Blog zur Tagung “Geschichte Lernen digital”, 8. und 9. März 2013
Lieutenant-General Jochmus / Jochmus Pascha / Jochmus Freiherr von Cotignola: der transkontinentale Lebensweg eines Ministers der Zentralgewalt
Er zählt nicht zu den bekannten Gestalten unter den Regierungsmitgliedern der Provisorischen Zentralgewalt, und auch die historische Forschung hat von ihm wenig Notiz genommen: August Giacomo Jochmus. Wenige Jahre nach seinem Tod wurden einige in seinem Nachlass druckfertig vorliegende Schriften entsprechend seiner eigenen testamentarischen Verfügung herausgegeben1; sie enthalten eine autobiographische Skizze2 sowie ein kurzes, wesentlich darauf fußendes Lebensbild, das der Editor Georg Martin Thomas erstellte3. Der 1905 veröffentlichte Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie4 fasste nochmals die dort gebotenen Angaben zusammen – und seit dann ist so gut wie gar nichts mehr zu Jochmus erschienen. In neueren Lexika sucht man ihn vergebens, auch sonstige Forschungsliteratur zu ihm ist kaum zu finden, allenfalls hie und da eine beiläufige Erwähnung5. Was heute über seinen Lebensweg bekannt ist, dürfte daher zum überwiegenden Teil direkt oder mittelbar auf seine eigenen Angaben zurückgehen – ein Mangel, dem auch hier nur in wenigen Einzelheiten abgeholfen werden kann.
In jedem Fall war es ein ausgesprochen vielfältiges Leben, das er führte – im Hinblick auf Orte, Milieus und Betätigungen. Jochmus war 1808 in Hamburg geboren; über sein Elternhaus ist nicht viel überliefert. Der Vater starb früh. Nach dem Willen seiner Mutter hätte Jochmus den Beruf eines Kaufmanns ergreifen sollen, zog jedoch eine militärische Laufbahn vor6. Bereits mit 19 Jahren ging er nach Griechenland, um sich den Philhellenen anzuschließen, und machte dort die Feldzüge von 1827 bis 1829 mit; danach war er einige Jahre als Hauptmann des Generalstabs im griechischen Kriegsministerium beschäftigt, wobei er unter anderem mit Vermessungs- und Planungsarbeiten befasst gewesen zu sein scheint. Über Vermittlung des britischen Gesandten in Athen schloss er sich 1835 während des Ersten Carlistenkrieges in Spanien der Anglo-Spanischen Legion an, die auf der Seite der Königin Isabella kämpfte. Hier stieg er weiter rasch auf und brachte es bis zum Brigadegeneral und Chef des Generalstabs des spanischen Armeecorps in Kantabrien; zu dieser Zeit gewann er auch die wohlwollende Aufmerksamkeit des britischen Außenministers Henry John Temple, Viscount Palmerston7. 1838 ging er nach England und wurde von dort nach Konstantinopel entsendet, um mit dem britischen Gesandten Lord John Ponsonby (der 1849 als Botschafter in Wien nochmals ein wichtiger Korrespondent Jochmus’ war) die von Großbritannien angeführte Intervention mehrerer europäischer Mächte in Syrien in die Wege zu leiten.
Dort hatten die Streitkräfte des Ibrahim Pascha, Sohn des faktisch autonomen Gouverneurs von Ägypten Mehmet Ali Pascha, wiederholte Versuche der osmanischen Armee zurückgeschlagen, die Kontrolle des Sultans über die Gebiete an der Ostküste des Mittelmeers wiederherzustellen. Frankreich unterstützte zudem die ägyptische Seite, was den Konflikt auch zum potentiellen Kriegsanlass zwischen den europäischen Mächten werden ließ: zur sogenannten „Orientkrise“ von 1839–18418, parallel zur für die Entwicklung in Deutschland bedeutsamen „Rheinkrise“9. Jochmus erreichte hier, im Alter von wenig mehr als 30 Jahren, den Höhepunkt seiner aktiven militärischen Tätigkeit zunächst als Chef des Generalstabs der kombinierten englischen, österreichischen und osmanischen Landstreitkräfte, dann in der Schlussphase der Kämpfe als deren Befehlshaber. Als solcher verdrängte er im Winter 1840/41 die ägyptischen Truppen aus Syrien und trug damit zur Schaffung der militärischen Voraussetzungen für den „Meerengenvertrag“ von 1841 bei, der die Krise vorerst beilegte10. Jochmus trat in der Folge in das osmanische Kriegsministerium ein, wo er im Range eines Paschas von zwei Roßschweifen bis 1848 beschäftigt blieb. Während seiner Zeit im Osmanischen Reich knüpfte er offenbar auch jene Kontakte zur österreichischen Diplomatie und zu Mitgliedern des habsburgischen Kaiserhauses, die für seinen späteren Weg von großer Wichtigkeit waren; doch sollte er sich auch enge Verbindungen zu England zeit seines Lebens bewahren.
Im April 1848 verließ Jochmus seine Stellung in Konstantinopel und kehrte nach Deutschland zurück – den späteren Darstellungen zufolge anscheinend aus freien Stücken und veranlasst durch die Märzrevolution11. Im diesbezüglichen Erlass des Sultans, der sich in seinem Nachlass findet, ist freilich nicht von einer Resignation die Rede, sondern von einer Neuorganisierung des Ministeriums, durch welche für ihn keine weitere Verwendung bestehe12. Auch die Aktivitäten Jochmus’ während des folgenden Jahres sind weitgehend unbekannt. Im Mai 1849 hielt er sich in Baden auf, als er von Seiten des Reichsverwesers – bezeichnenderweise durch den österreichischen Gesandten bei der Reichsstadt Frankfurt und ehemaligen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt, Ferdinand von Menßhengen – mit der Aufforderung kontaktiert wurde, „ein Reichs-Ministerium zu bilden und daran Theil zu nehmen“13. Seine Heranziehung scheint also von Anbeginn an vor allem durch seine Beziehungen zur österreichischen Diplomatie veranlasst gewesen zu sein. Die Bildung des letzten Ministeriums der Zentralgewalt verlief freilich hektisch und recht konfus, da neben Jochmus noch weitere Persönlichkeiten mit ähnlichen Aufträgen bedacht worden waren und viele potentielle Minister angesichts der denkbar ungünstigen Lage der Zentralgewalt ablehnten14. Letztlich erhielt Jochmus, der zeitweise auch zum Finanz- und Handelsminister vorgeschlagen worden war, das Außen- und ein neuerrichtetes Marineministerium.
Wie das Ministerium insgesamt, dem unmittelbar nach seiner Vorstellung von der Nationalversammlung das Misstrauen ausgesprochen wurde, so stieß auch Jochmus seitens der erbkaiserlichen Partei wie der Linken auf scharfe Ablehnung. Maximilian von Gagern lästerte in Anspielung auf Jochmus’ Karriere in Konstantinopel, die ihm wohl als Söldnertum ausgelegt wurde, angesichts der fortschreitenden Auflösung der Versammlung werde den neuen Minister bald nichts mehr hindern, „statt des Kreuzes auf der Paulskirche die drei Roßschweife mit dem Halbmond aufzupflanzen“15. Selbst sein Ministerkollege Johann Hermann Detmold nannte Jochmus nach einem guten Monat gemeinsamer Tätigkeit einen „Strohkopf“ und freute sich darüber, dass dieser den Reichsverweser auf dessen mehrmonatigem Kuraufenthalt in Gastein begleitete, weil in seiner Abwesenheit „die Sachen viel einfacher und leichter“ gingen16. Dennoch fällt es schwer, sich dem Urteil anzuschließen, von den Mitgliedern des letzten Reichsministeriums habe Jochmus „am wenigsten konkrete Arbeit“ geleistet17.
Vielmehr scheint er in mehrerlei Hinsicht keine unwichtige Rolle gespielt zu haben: Durch das rasch aufgebaute besondere Vertrauensverhältnis zum Reichsverweser, das sich auch nach dem Ende der Zentralgewalt in einem bis fast an das Lebensende des Erzherzogs fortgesetzten Briefwechsel niederschlug18, dürfte er viel dazu beigetragen haben, jenen trotz seiner immer wieder starken Rücktrittsgelüste zum Verbleiben zu bewegen19. Auch an den Verhandlungen sowohl mit den deutschen Regierungen als auch mit außerdeutschen Mächten über die Auflösung der Zentralgewalt und den Übergang zu einer neuen gemeinsamen Institution der deutschen Staaten war er, obwohl sie formell überwiegend vom Ministerpräsidenten Wittgenstein geführt wurden, maßgeblich beteiligt; dabei spielte er nicht zuletzt seine etablierten Verbindungen zur britischen Diplomatie immer wieder aus20 und legte zudem selbst mehrere Pläne zur Neuordnung Mitteleuropas vor21.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass gerade Jochmus’ Marineressort im Sommer und Herbst 1849 zu den aktivsten Dienststellen der Zentralgewalt zählte, weil es eine Flotte mit einem knappen Dutzend Kriegsschiffen und ein entsprechend zahlreiches Personal unter sich hatte22. Dies stand im Kontrast dazu, dass ab Mai 1849 der Geschäftsgang einiger Ressorts (insbesondere des Justiz- und des Handelsministeriums, aber in beträchtlichem Maße auch des Inneren) nahezu zum Erliegen kam, weil in Abwesenheit eines Parlaments weder Gesetzgebungsprojekte noch zu vollziehende Beschlüsse vorhanden waren und auch die Kooperation der Einzelstaaten hinsichtlich ihrer inneren Angelegenheiten gegen Null ging. In den Sitzungsprotokollen des Reichsministeriums aus diesem Zeitraum tritt Jochmus daher keineswegs als inaktiver Minister in Erscheinung, sondern hatte im Gegenteil häufig über Flottenangelegenheiten zu berichten, unter anderem über die schwierige Suche nach einem sicheren Winterhafen oder über die Auseinandersetzungen um das erbeutete dänische Kriegsschiff „Gefion“. Diese Fregatte war nach dem glücklich verlaufenen Seegefecht vor Eckernförde am 5. April 184923 in deutsche Hände geraten und wurde, obwohl in unbrauchbarem Zustand, unter dem Namen „Eckernförde“ der deutschen Flotte eingegliedert. Nach dem im Juli mit Dänemark geschlossenen Waffenstillstand wäre Preußen nur zu gerne bereit gewesen, den materiell wenig wertvollen Rumpf zurückzugeben; die Schleswig-Holsteiner hingegen waren ebenso wie die von Jochmus vertretene Zentralgewalt entschlossen, die symbolträchtige Trophäe zu halten. Angesichts der drückenden Übermacht der Dänen zur See und der preußischen Truppen zu Lande kam es so weit, dass Jochmus den Befehlshaber der kleinen Reichsflottenmannschaft der „Eckernförde“ anwies, das Schiff im Falle eines Gewaltstreichs in die Luft zu sprengen24. Letztlich fand sich ein Kompromiss, der das Schiff durch Überwinterung in einem preußischen Hafen zwar der Verfügung Schleswig-Holsteins entzog, aber formell der Zentralgewalt und der deutschen Kriegsmarine erhielt.
Nach dem Ende der Provisorischen Zentralgewalt im Dezember 1849 bekleidete Jochmus längere Zeit keine öffentlichen Ämter. Finanziell unabhängig, konnte er es sich leisten, in den 1850er Jahren eine mehrjährige Weltreise zu unternehmen, während der er sich nicht nur neuerlich längere Zeit im arabischen Raum aufhielt, sondern auch Indien, China und Amerika besuchte. Er rühmte sich später auch, mit der einzigen Ausnahme Portugals jedes europäische Land bereist zu haben25. Er veröffentlichte Reiseberichte und Militärhistorisches in der Zeitschrift der Londoner Royal Geographical Society26 und wurde 1858 korrespondierendes Mitglied der Wiener Geographischen Gesellschaft27. Seit 1856 lebte er zumeist in Wien, weil sein Adoptivsohn Carlos dort die Offiziersausbildung begonnen hatte. Sichtlich band sich Jochmus, der bereits im November 1849 für sein Wirken als Reichsminister den österreichischen Leopolds-Orden erhalten hatte28, in diesen Jahren zusehends enger an den österreichischen Staat. Der Österreichisch-sardinische Krieg von 1859 bot eine erste Gelegenheit, bei der die Aufnahme Jochmus’ in die österreichische Armee als Feldmarschallleutnant beabsichtigt war, was jedoch vor dem raschen Ende des Kriegs nicht mehr vollzogen wurde.
Zu Anfang des folgenden Jahres wurde Jochmus in den österreichischen Adel als „Freiherr Jochmus von Cotignola“ erhoben. Das italienisch klingende Adelsprädikat hatte er selbst ausgewählt – wie aus Notizen in seinem Nachlass hervorgeht, hatte er im Vorfeld der Adelserhebung intensive genealogische Nachforschungen angestellt und insbesondere die gewagte Behauptung zu erhärten versucht, die Familie Jochmus (welche nach eigener Überlieferung aus Böhmen nach Norddeutschland gekommen war) stamme von italienischen Adeligen ab und sei insbesondere mit den Sforza-Herzögen von Mailand verwandt, unter deren Ahnen er einen „Giacomuzzo“ ausgemacht hatte29. In seine an die österreichischen Behörden eingereichten Papiere hatte er diese eher hanebüchenen Kombinationen letztlich nicht aufgenommen, sondern nur jenes „Cotignola“, das ihm als Besitzung der Sforza-Ahnen untergekommen war, wohl ohne Erläuterung der Hintergründe vorgebracht30. Diese an sich recht belanglose Episode wirft vielleicht einiges Licht darauf, was einem Mann mit einem so abenteuerlichen bisherigen Lebensweg alles als möglich erscheinen konnte: Wer es von Hamburg über Griechenland, Spanien, Syrien und Konstantinopel bis Frankfurt und Wien gebracht hatte, englischer Offizier, osmanischer Pascha und deutscher Reichsminister gewesen war, sich Freund und Briefpartner eines britischen Ministers, eines österreichischen Erzherzogs, aber auch russischer Adliger und Diplomaten nennen konnte, warum sollte der nicht auch mit italienischen Dynasten verwandt sein?
Für seine letzte Lebensphase scheint sich Jochmus allerdings vorbehaltlos Österreich verschrieben zu haben. In einer Denkschrift an Carlos von 1864 äußerte er sich höchst verbittert über die Entwicklungen in Deutschland seit 1849 und wollte mit der Vorstellung eines deutschen Staates nichts mehr zu tun haben: „[...] als im Jahre 1859 Deutschland sich selbst aufgab, ‘indem es Oesterreich verließ’, habe ich mich besitzlich und staatsrechtlich unverweilt, nach ernstester Erwägung von Deutschland losgesagt. Die höchste Lebensbedingung der Staaten, wie der Individuen ist die Ehre. Mein Entschluß ist gerechtfertigt worden [...] ‘Die deutsche Frage’ – sagte hingegen vor wenigen Wochen, bei Eröffnung des Reichsrath der Abgeordneten deren Präsident Ritter von Hasner – ‘ist die Nichtigkeits-Beschwerde gegen den verlorenen Proceß der Weltgeschichte’. – Verloren in letzter Instanz 1859, denn es ist mindestens gegen die Wahrscheinlichkeits-Berechnung, daß eine spätere Generation den dummen Frevel der Gegenwärtigen wieder gutmachen könne. Dem Finis Poloniae steht das Finis Germaniae ‘als Gesammt-Nation’, historisch begründet, zur Seite. Hauptursachen beider Erscheinungen sind der Mangel an innerer Organisations-Fähigkeit und an Staatszwecks-Gemeinsamkeit gegenüber dem Auslande. Der deutsche Bund bildete weder eine einheitliche Nation, noch eine Regierung. Seinem Wesen nach war er ein Staaten-Verband ‘deutscher Völkerschaften’ und dieser ist durch den thatsächlichen, wenn auch nicht formellen, Bundesbruch Preußens 1859 zerrissen worden; denn die Zerklüftung von 1863 in Frankfurt am Main und von 1864 in Schleswig-Holstein sind nur ‘Folgen’ des ersten Bundesbruches.“31 Die Schuld sah Jochmus also unzweideutig bei Preußen – eine Haltung, die durchaus als logische Fortsetzung seines Wirkens von 1849 verstanden werden kann32.
Der Preußisch-österreichische Krieg von 1866 brachte ihm dann doch noch die Würde eines Feldmarschallleutnanten der österreichischen Streitkräfte; allerdings dauerte auch diesmal die Ernennung so lange, dass der Waffengang bereits entschieden war, bevor Jochmus aktiv werden konnte. Er zog sich danach aus dem öffentlichen Leben zurück und reiste 1870–71 nochmals um die Welt. Seine letzten Jahre verbrachte er, anscheinend von einer langwierigen Krankheit gezeichnet, bei seiner Schwester in Bamberg, wo er auch starb33.
Trotz des Vorhandenseins eines recht umfangreichen Nachlasses und der vier Bände gedruckter Schriften ist es nicht leicht, sich ein Bild von der Persönlichkeit Jochmus’ zu verschaffen. Er hat im Laufe seines Lebens eine außerordentliche Fülle von Rollen gespielt und sich in verschiedenen, zum Teil fast inkompatibel erscheinenden Milieus bewegt. Die Vorstellung, dass einmal sein weltumspannender Lebensweg jenseits des Bereichs der Miszelle quellengestützt aufgearbeitet werden könnte, ist zugleich verlockend und einschüchternd: Ersteres, weil dies Licht in viele Aspekte der Verflechtung Europas mit anderen Weltregionen, insbesondere dem heutigen Nahen Osten, zu bringen verspräche. Potentiale, aber auch Grenzen und Ambivalenzen des globalen wie des innereuropäischen Kulturkontakts im 19. Jahrhundert müssten an Jochmus sichtbar werden: Wie viel verstand er wirklich von den Menschen und Lebensweisen der Länder, die er teils als Beobachter und Forscher, teils und vor allem aber als Soldat im Dienste des Interventionismus europäischer Mächte bereiste? Hat er sich etwa die türkische oder arabische Sprache je angeeignet? Konnten Begegnungen in solchem Kontext für gegenseitiges Verständnis sorgen, oder führten sie eher zur weiteren Ausprägung von Abgrenzungen Europas gegen Außereuropa im wissenschaftlichen wie im politischen Diskurs? – Einschüchternd ist demgegenüber die Vorstellung, wie hoch die Ansprüche an die Bearbeitung einer Jochmus-Biographie wären, die nicht seinen eigenen retrospektiven Aussagen verpflichtet bliebe, sondern seinen diversen Lebensstationen an Ort und Stelle archivalisch nachginge. Die Zahl der zu bereisenden Länder und Institutionen, die verschiedenen zu beherrschenden Sprachen und Überlieferungszusammenhänge, wären von einer einzigen Person kaum oder gar nicht zu bewältigen. Dem kann natürlich auch im Rahmen unseres Eichstätter Projekts nicht abgeholfen werden. Wohl aber verspricht dieses, über die Tätigkeit Jochmus’ in jenem Jahr 1849 einiges bekannt zu machen, das bis jetzt in den Frankfurter Akten vergraben war.
- THOMAS, Georg Martin (Hrsg.): August von Jochmus’ Gesammelte Schriften, 4 Bde., Berlin 1883–1884.
- Ebd., Bd. 3, IX–XII.
- THOMAS, Georg Martin: Vorerinnerung des Herausgebers, in: THOMAS, Georg Martin (Hrsg.): August von Jochmus’ Gesammelte Schriften, Bd. 1: The Syrian War and the Decline of the Ottoman Empire 1840–1848 in Official and Confidential Reports, Documents, and Correspondences with Lord Palmerston, Lord Ponsonby, and the Turkish Authorities, Volume 1, Berlin 1883, VII–XXI, hier IX–XV.
- CRISTE, Oscar: Jochmus: August Freiherr J. von Cotignola, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 50, Leipzig 1905, 745–746.
- Vgl. etwa BERTSCH, Daniel: Anton Prokesch von Osten (1795–1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts (Südosteuropäische Arbeiten 123), München 2005, 104–105, mit Benutzung einer Quelle aus dem Nachlass Jochmus; GOREN, Haim: Dead Sea Level. Science, Exploration and Imperial Interests in the Near East, London 2011, 91–92, 97–98.
- THOMAS, Vorerinnerung, X; leicht abweichende Angaben bei CRISTE, Jochmus, 745.
- WEBSTER, Charles: The Foreign Policy of Palmerston 1830–1841. Britain, the Liberal Movement and the Eastern Question, 2 Bde., London 1951, hier Bd. 1, 450.
- Eine ausführliche Darstellung aus britischer Sicht bietet WEBSTER, Foreign Policy, Bd. 2, 619–776. Für neuere Bearbeitungen mit genauerem Eingehen auf die Ereignisse in der Levante vgl. FARAH, Caesar E.: The Politics of Interventionism in Ottoman Lebanon, 1830–1861, Oxford – London 2000, 30–51; KARSH, Efraim – KARSH, Inari: Empires of the Sand. The Struggle for Mastery in the Middle East, 1789–1923, Cambridge (Massachusetts) – London 1999, 36–41. Wichtige Aktenstücke finden sich bei HUREWITZ, Jacob Coleman: The Middle East and North Africa in World Politics. A Documentary Record, Bd. 1: European Expansion, 1535–1914, New Haven – London 1975, 267–279.
- Zu dieser vgl. GRUNER, Wolf D.: Der Deutsche Bund, die deutschen Verfassungsstaaten und die Rheinkrise von 1840. Überlegungen zur deutschen Dimension einer europäischen Krise, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 53 (1990) 51–78.
- Abdruck bei HUREWITZ, Middle East, Bd. 1, 279.
- CRISTE, Jochmus, 745. Ausgesprochen vage formulierte Jochmus selbst seine Darstellung des Abgangs: THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3, X.
- Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II.
- Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 42, Menßhengen an Jochmus, 10. Mai 1849.
- Fürstlich Leiningensches Archiv Amorbach, Familienarchiv, Nachlass Fürst Karl zu Leiningen, Karton V, Denkschrift „Das Ministerium Wittgenstein“ (wohl von Alexander von Bally verfasst); vgl. JACOBI, Helmut: Die letzten Monate der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland (März – Dezember 1849), Frankfurt am Main 1956, 105–110.
- PASTOR, Ludwig von: Leben des Freiherrn Max von Gagern 1810–1889. Ein Beitrag zur politischen und kirchlichen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Großenteils nach ungedruckten Quellen bearbeitet, Kempten – München 1912, 303.
- STÜVE, Gustav (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Stüve und Detmold in den Jahren 1848 bis 1850 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 13), Hannover – Leipzig 1903, 244: Detmold an Johann Karl Bertram Stüve, 4. Juli 1849.
- So, ohne nähere Begründung, JACOBI, Letzte Monate, 109.
- Zahlreiche dieser Briefe sind publiziert bei THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 4.
- Zu dieser Auffassung gelangte bereits VALENTIN, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848–49, 2 Bde., Berlin 1930–1931, Bd. 2, 466.
- Vgl. die Korrespondenz und Akten bei THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3.
- Er ließ insgesamt vier Projekte in Form von Diagrammen lithographisch vervielfältigen und verbreiten. Exemplare finden sich in seinem eigenen Nachlass sowie in jenem von Karl zu Leiningen: Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana C II Nr. 5; Fürstlich Leiningensches Archiv Amorbach, Familienarchiv, Nachlass Fürst Karl zu Leiningen, Karton VI. Nur die Amorbacher Überlieferung kennend, gelangte Veit Valentin zu der irrigen Annahme, dass die Blätter von Fürst Leiningen herrühren müssten: VALENTIN, Revolution, Bd. 2, 468f., 671. Die Urheberschaft Jochmus’ geht jedoch aus seinen Bemerkungen dazu in Verbindung mit der Münchner Überlieferung ebenso hervor wie aus einem Begleitschreiben zu einer Sendung von Exemplaren der Blätter an Arnold Duckwitz: Staatsarchiv Bremen, 7,183: Nachlass Arnold Duckwitz, Mappe 6, Jochmus an Duckwitz, 19. Dezember 1849.
- Eine im Dezember 1849 vorgelegte Übersicht weist für die Flotte eine faktische Mannschaft von 921 Mann bei einer Sollstärke von 1503 Mann aus: BArch, DB 52/16, fol. 91. Hinzu kommt das zivile Personal im Ministerium. Zur deutschen Kriegsmarine von 1848/49 vgl. BÄR, Maximilian: Die deutsche Flotte von 1848–1852. Nach den Akten der Staatsarchive zu Berlin und Hannover dargestellt, Leipzig 1898; HUBATSCH, Walther – BERNARTZ, Hanswilly – FRIEDLAND, Klaus – GALPERIN, Peter – HEINSIUS, Paul u. a.: Die erste deutsche Flotte 1848–1853 (Schriftenreihe des Deutschen Marine-Instituts 1), Herford – Bonn 1981; MOLTMANN, Günter: Die deutsche Flotte von 1848/49 im historisch-politischen Kontext, in: RAHN, Werner (Hrsg.): Die deutsche Flotte im Spannungsfeld der Politik 1848–1985. Vorträge und Diskussionen der 25. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte 1985 (Schriftenreihe des Deutschen Marine-Instituts 9), Herford 1985, 21–41; PETTER, Wolfgang: Programmierter Untergang. Die Fehlrüstung der deutschen Flotte von 1848, in: MESSERSCHMIDT, Manfred – MEIER, Klaus A. – RAHN, Werner – THOSS, Bruno (Hrsg.): Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 25), Stuttgart 1982, 150–170.
- STOLZ, Gerd: Die schleswig-holsteinische Erhebung. Die nationale Auseinandersetzung in und um Schleswig-Holstein von 1848/51, Husum 1996, 121–125.
- Jochmus teilte ein umfangreiches Dossier an Akten und Schriftverkehr in dieser Angelegenheit als Zirkularschreiben den Bevollmächtigten sämtlicher deutschen Staaten bei der Zentralgewalt mit, um die Unterstützung ihrer Regierungen für die Position der Zentralgewalt anzurufen: BArch, DB 52/15, fol. 5–27.
- THOMAS (Hrsg.), Jochmus’ Schriften, Bd. 3, XI.
- JOCHMUS, August Giacomo: Notes on a Journay into the Balkan, or Mount Haemus, in 1847, in: The Journal of the Royal Geographical Society 24 (1854) 36–85; JOCHMUS, August Giacomo: Commentaries (Written in 1830 and 1834.) 1. On the Expedition of Philip of Macedon against Thermus and Sparta; 2. On the Military Operations of Brennus and the Gauls against Thermopylae and Aetolia; 3. On the Battle of Marathon etc.; 4. On the Battle of Sellasia, and the Strategic Movements of the Generals of Antiquity between Tegea, Caryae, and Sparta, in: The Journal of the Royal Geographical Society 27 (1857) 1–53; JOCHMUS, August Giacomo: On the Battles of Sellasia, Marathon, and Thermus, in: Proceedings of the Royal Geographical Society of London 1 (1857) 481–483.
- Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 49–50.
- Vgl. Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 45.
- Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana A II Nr. 79. Die Säule im Familienwappen bot zu weiteren Spekulationen in Richtung einer Verwandtschaft mit den Colonna Anlass.
- Österreichisches Staatsarchiv Wien, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Adel HAA AR, Karton 210.
- Bayerische Staatsbibliothek München, Jochmusiana C II Nr. 5.
- Nach THOMAS, Vorerinnerung, XV, soll Jochmus dennoch 1871 bei der Schaffung des Wilhelminischen Reiches Genugtuung empfunden haben: „[...] das hohe, stolze Gefühl, ein Deutscher zu sein, trat nun auch bei Jochmus voll in seine Rechte ein“. Sofern dies keine – nach damaligem Empfinden – Behübschung durch den Herausgeber der (in Berlin erschienenen) Schriften Jochmus’ ist, wäre es ein weiterer Beleg für die außerordentliche Wandelbarkeit seiner Einstellungen.
- CRISTE, Jochmus, 746; THOMAS, Vorerinnerung, XV.
Neues Zentrum für digitale Geisteswissenschaften: Bündelung des Know-Hows in den Digital Humanities
Pracht auf Pergament
Von Oktober 2012 bis Januar 2013 fand in der Hypo-Kunsthalle München eine bedeutende Ausstellung statt: Unter dem Titel “Pracht auf Pergament” wurden bedeutende früh- und hochmittelalterlichen illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek der Öffentlichkeit präsentiert. Es wird sicherlich Jahrzehnte dauern, bis erneut eine vergleichbare Ausstellung stattfindet. Ausgestellt wurden 75 Codices, die zwischen 780 und 1180 in bischöflichen und klösterlichen Skriptorien entstanden – u. a. in Tegernsee, Freising, Salzburg, der Reichenau etc. Von diesen stammten 72 aus der Bayerischen Staatsbibliothek, drei weitere aus der Staatsbibliothek Bamberg. [...]
Carolingian Critters III: Munich, BSB, Clm 6253
The pick of today is slightly less Carolingian than the other critters that were paraded here. It is another manuscript from Bayerische Staatsbibliothek in Munich with a shelfmark Clm 6253. Clm 6253, the first volume of a three-volume copy of Expositio Psalmorum of Cassiodorus[1], was produced at Freising in the second quarter of the ninth century, during the times of Hitto (811/812-836) and his nephew Erchenbert (836-854).[2] This period saw copying of as many as forty books identified by Bischoff and thus a significant growth of the scriptorium of the Freising cathedral.[3] Originally, a complete set of three manuscripts was copied at Freising, but of these only the first two volumes survive, now Clm 6253 and Clm 6254.[4]
The manuscripts, as it seems, were stationery as is evidenced by the ownership marks of the Freising cathedral from the twelfth (Clm 6254) and fifteenth century (Clm 6253). Nevertheless, the three volumes of the Expositio were tied to other manuscripts in the area, and it cannot be excluded that they left Freising for short periods of time. According to Bischoff, two surviving volumes of the Expositio Psalmorum from the Abbey of saint Emmeram in Regensburg, Clm 14077 and Clm 14078[5], were copied from the Freising volumes.[6] Bischoff dates their copying to the third quarter of the ninth century, i.e., shortly after the production of the Freising exemplars themselves. This implies movement of books and/or people between the two intellectual centers, particularly since the copyist of the St. Emmeram volumes might have been trained at Tegernsee, a foundation some 80 km south of Freising. The hand of the same scribe can be seen in many other St. Emmeram books from the period, a sign that we should speak not of a casual migration but a transplantation of a particular skilled individual from one center to another.
Cassiodorus in the early Middle Ages
Together with Augustine’s Ennaratio in Psalmos and with somewhat younger Glosa ex traditione seniorum (first half of the 7th century) compiled from Patristic sources, Cassiodorus’ Expositio was the basic reference toolkit for the study of the Psalms up to the times of Lanfranc of Bec (11th century) and of Anselm of Laon (d. 1112).[7] The centrality of Cassiodorus’ exposition, which was the only continuous exposition of the whole Psalter, is best attested by the fact that since the early medieval times, Cassiodorus’ running commentary was appropriated multiple times, including as a marginal commentary, as an epitomized one-book version and as tituli, i.e., short summaries of Psalms, which were attributed to Bede.[8] Younger, derivative commentaries such as the Breviarium of ps-Jerome (mid-seventh century) and the marginal commentary on the Psalms once attributed to Bruno of Würzburg (c. 1005-1045) drew heavily on Cassiodorus, blending his exegesis with that of Augustine and, in case of the latter, of ps-Jerome. It is not surprising then, that, as Stoppacci shows in her overview of the transmission of the text, a copy of the Expositio was present in almost every major Carolingian monastic centre.[9]
Yet, Cassiodorus’ commentary itself did not attract annotators, at least none working very intensely, a fact easy to understand, given that the material from Cassiodorus was rather exported into Psalters and pandect Bibles. Clm 6253, nevertheless, suggests that even the Expositio could have been occasionally annotated.
Annotations in Clm 6253
Many marginalia can be found in Clm 6253, starting from the critical sigla that were integral to the text itself[10] and copied into Clm 6253 by the hand of the main scribe. At least three, and probably more, other hands were active in the margin after the manuscript was produced. Of these those that interests us here belong to scribes writing between the tenth and the eleventh century, whose annotating activity is first visible in fol. 5r as a probation Dominus deus.[11] This same series of hands added Cassiodorian sigla to some passages, e.g. in fol. 262v[12], it also added nota signs, made minor corrections, occasionally glossed the text[13], and most importantly these hands contributed also six larger annotations (A-F).
The transcription below first gives the passage/element from the Expositio to which the annotations are tied by means of their position (A, D, E) or by signes de renvoi[14], and then the text of the excerpts as it is found in the manuscript in italics. The source of the annotation is then given, and further comments are provided as necessary.
A. annotation to two of the Cassiodorian critical signs, Praef. 10-11 (10r)
(chi et rho): Crisimon haec sola ex uoluntate uniuscuiusque ad aliquid notandum ponitur.
(pi et rho): Biatro id est frontis haec ubi aliquid obscuritatis est ob sollicitudinem ponitur.
Source: Isid. Etym. 1.21.22-23; Cassiodorus provides explanation of the signs in Interpretatio notarum in folia 1v-3v of Clm 6253 as hoc in dogmatibus vel de necessariis (chi et rho), and hoc in definitionibus (pi et rho).
B. annotation to Ps. 2, 10 (32r)
Ubi oritur pulcherrimum deliberativum dicendi genus: Genera causarum sunt quattuor, deliberativum, demonstrativum, iudicale. Deliberatiuum genus est in quo de quibuslibet utilitatibus vitae quod aut debeat aut non debeat fieri tractatur. Demonstratiuum est in quo laudabilis persona aut vituperabilis ostenditur Iudicale in quo de eius prius personae facto aut poenae aut praemii sententia datur. Dictum autem iudicale eo quod iudicet hominem et sententiam suam ostendat utrum laudabilis praemio dignus sit, aut certe reus condemnari liberarique supplicio. Deliberativum genus uocatur eo quod de unaquaque re in eo deliberatur. Demonstrativum dictum quod unamquamque rem aut laudando aut uituperando demonstrat.
Source: Isid. Etym. 2.4.1-5; the excerpt in Clm 6253 contains some notable variants/errors with respect to the text of the Etymologies, including quattuor instead of tria (an error of reasoning, or of transcription?), and vituperabilis for reprehensibilis, which have no parallel among manuscripts used by Lindsay for his edition of the Etymologiae[15], nor is to be found it in the digitized manuscripts available online.[16] The corruption in quo de eius prius instead of in quo de ipsius has parallel in two manuscripts. Lindsay’s K (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, MS Weiss. 64, s. 8, ½, Bobbio) reads in quod ei prius and a similar corruption occurs also in Lindsay’s A (Milan, Biblioteca Ambrosiana, MS L 99 sup., s. 8, Bobbio), where one reads in quo ei prius.[17] Presence of the variant might thus imply what was the provenance of the original used in the excerpt, although it does not say much about how the original was used, e.g., whether a florilegium was not consulted. Also, this error strikes me as an error that could have arisen spontaneously from writing, as the graphemes for r and s are to some extent interchangeable, but not from hearing, perhaps an indicator of an alternative emergence.
C. annotation to Ps. 4, divisio Psalmi (37v)
Et ideo sub figura mythopoeia, ecclesiam dicamus loqui: Ethopopeya est, cum sermonem ex aliena persona inducimus, ut hic David sub persona ecclesiae.
Source: Isid. Etym. 2.21.32.
D. annotation to Ps. 4, 3 (38v)
Cum superiori uersu pro nobis orauerit, hic per energiam alloquitur genus humanum: Energia est rerum gestarum aut quasi gestarum sub oculis inductio.
Source: Isid. Etym. 2.21.33.
E. annotation to Ps. 38, 12 (243r)
Hieronimi. tabescit anima cum caro luxuriis et concupiscentiis refrenatur. Tabescere hoc est obstupescere de anterioribus delictis. Et hoc intellegendum est ut ad tantam subtilitatem per abstinentiam decoquatur, ut ad instar filiorum illorum deducatur.
Sources: ps-Jerome, Breviarium to Ps. 38, 12[18]; and Bruno of Würzburg, Expositio Psalmorum to Ps 38, 12.[19] While the two potential sources of the excerpt contain the same text, there are two indicators that rather than from a copy of Breviarium, this excerpt was taken from the Expositio attributed to Bruno of Würzburg. First, E is the only excerpt in Clm 6253 that is tagged with the source name, Hieronimi. Such a tag, a reference to the Breviarium, can be found in the Expositio.[20] Second, the Breviarium differs from Expositio of Bruno by containing caro a luxuriis instead of caro luxuriis.[21]
F. Annotation to Ps. 48, 4 (291v)
Sapientia pertinet ad mysteria diuina declaranda; prudentia uero ad mores probabiles instruendos; sic omnis sermo diuinus duabus his uirtutibus plenissimus indicatur: Hinc enim quae narraturus est inchoauit, quod sint uerba sua mirabili prius complexione describens, ut omnes desideranter quaererent quod promissum sub tali praedicatione sentirent. Sapientia pertinet ad res divinas edocendas, prudentia ad mores probabiles instituendos; sic omnis sermo divinus duabus his virtutibus indicatur.
Source: section Sapientia… instituendos taken from Hraban Maur, De rerum naturis 6.1.[22] The annotator also made a correction of a large lacuna at the end of Ps 48, 4 in the same folio. Such a correction could have been made from another exemplar of Cassiodorus’ running commentary or from Cassiodorian material in a form of a marginal commentary.
Ps-Jerome, (Ps-)Bruno from Würzburg or someone else?
The presence of excerpts A-D and F in Clm 6253 is to some extent explainable by them being derived from encyclopedic texts. The E is distinct from the rest and worth of additional attention. Of the six annotations, this is the only one that comes from a non-encyclopedic source, a commentary even. Such a text can to be expected to turn up in the margin, naturally, but a margin of a different book – a Psalter. A somewhat similar comment on Ps 38, 12 can be, for example, found in the famous annotated Psalter, St. Gallen, Stiftsbibliothek, MS 27 (850-860, St. Gallen).
How come then that we can see a Psalm commentary in the margin of another Psalm commentary?
The history of commentaries on the Psalter is in its nature similar to the history of commentaries on many Classical texts such as that of Martianus Capella, Boethius and Terence.[23] As Margaret Gibson observes, already early after Cassiodorus, commentaries began to emerge which were in effect compilations of earlier material.[24] They were freely assembled from loose capsules of learning and only gradually solidified into traditions, although there was always some room to add or subtract something, and otherwise engage with the little parcels of learning. Already around 800, there were advanced psalteria cum sua expositione, i.e., Psalters with commentaries, which were purposefully inserted into the margin, but which were not associated explicitly with a particular author and differed exemplar per exemplar.[25] The first known individual that can be associated with certainty with a Psalm-commentary after Cassiodorus is Lanfranc of Bec from the late eleventh century. Before him, we have the material, but we know little about when, where, and how was the material assembled and re-assembled in the process of transmission. False attribution was common, as was the case with Jerome in case of Breviarium, which is in fact a compilation of Patristic sources, and with Bede in case of the Psalm tituli.
Around 1060, four splendid, almost identical exemplars of a Psalter with marginal commentary were produced at Tegernsee.[26] One of them, Oxford, Bodleian Library, MS Rawl. G 163[27], features a running title Bruno episcopus, which was once thought to refer to the author of the commentary, Bruno, bishop of Würzburg (1005-1045). This is how the commentary can be found in the Patrologia Latina, but thanks to the examination of Margaret Gibson, the attribution was since dropped and it is now believed that the commentary, which falls in line with what was said above about the process of anonymous, flexible compilation, is a house product.[28] This could also explain, why the earliest manuscripts of the commentary come from Tegernsee (c. 1060), and from St. Emmeram, Regensburg (c. 1100)[29], and also why a bit from this commentary-to-be can be found in a manuscript that from Freising, our Clm 6253. As we saw earlier, the three centers had mutual ties that involved exchange of books and people, and of texts as well.[30]
Naturally, we must be very cautious about what we can learn from the excerpt in Clm 6253. One possibility is that E was taken from a Psalm-commentary, perhaps from a manuscript similar to the four manuscripts mentioned above, and gives us thus a micro-glimpse on the prehistory of the commentary ascribed to Bruno of Würzburg. It is, however, likewise possible that what landed in Clm 6253 as an excerpt had separate existence outside a fixed commentary. We must remember that in its most original form, the material presented in E, could be found in the Breviarium of ps-Jerome and is present in encapsulated form akin to that of E already in a Carolingian annotated Psalter, such as St. Gallen 27. Rather than a witness of a particular commentary tradition, that of Tegernsee, the excerpt E should be seen perhaps as symptomatic of the larger and necessarily more vague regional development, a peculiar form of the material from the Breviarium which can be found, among others, also in the Tegernsee commentary. The physical existence of the Tegernsee tradition as we perceive it today rests on four manuscripts, which were copied in a short span of time at a single place, and thus owes more to the incidence of time and place than to an intention, less so to a design of an individual. Or in other words, the Tegernsee manuscripts, as also Gibson points out, are just a peak of the iceberg in a larger, more fluid regional tradition/s, which entailed re-writing and re-assembling of textual resources from the oldest times. Gibson herself hypothesizes that the commentary which emerges in Bavaria with the Tegernsee manuscripts might have had a Carolingian predecessor, and it is perhaps this predecessor, and we can think of a Carolingian annotated Psalter, which supplied Clm 6253.[31]
Conclusion
Clm 6253 provides us with a welcomed probe into the life of a text in the tenth and eleventh century Bavaria. The ninth century manuscript containing Cassiodorus’ commentary on Psalms was clearly still being used and studied in the tenth century and was extended by three other texts, one of which was itself a Psalm-commentary. Although the prototype for this commentary was the Breviarium of ps-Jerome, the annotation derived from it has a particular regional tinge, and is found in a similar form in the Psalm commentary from the Abbey of Tegernsee available around 1060. The parallelism between the annotation and the Tegernsee commentary may indicate that the commentary was known and used at Freising shortly after the time of its compilation, but it can be equally an independent witness of a more fluid, less consistent tradition with older roots. If the annotations could have been dated more precisely, it would be perhaps possible to assess better what is the relationship between the Breviarium as a proto-source[32], the Tegernsee manuscripts and Clm 6253.
Because of its centrality in the study of the Psalms before the appearance of the early scholastic Psalm-commentaries, Cassiodorus’ Expositio Psalmorum in Clm 6253 seems to have exerted a “gravitational pull” on the material that could have been used in the exposition of the Psalter, whether these were clippings from encyclopedias, or capsules of exegesis on the same text. Yet, the annotation of Clm 6253 never became anything more than a casual enterprise without a clear steer, but in fact, that is what annotations often were at their roots. We will never know why the annotator chose only a single snippet of what was possibly a larger corpus of material to insert into Clm 6253, nor why he chose five other fragments of larger texts to be inserted here and there into the manuscript. Perhaps, we must imagine that his prototype was just a scanty, lightly annotated copy of a Psalter, where capsules of exegesis such as E were most likely to be found. In a long run, the Expositio Psalmorum preserved in Clm 6253 might have been itself a part of the story, as it was a likely source of the marginal annotations for a Carolingian Psalter. Once these eventually coagulated with other annotations into a richer, more fixed corpus, this proto-commentary became the source of the very same annotations by which Clm 6253 was enriched in the tenth century.
[1] This was the original form of Cassiodorian archetype. Majority of the early copies of the Expositio are three-volume. See James W. Halporn, “The Manuscripts of Cassiodorus’ ‘Expositio Pslamorum’,” Traditio 37 (1981): 389.
[2] Dating and localization according to Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen). II: Laon-Paderborn, Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der Mittelalterlichen Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz (Wiesbaden: Harrassowitz, 2004), 234 no. 3008; and Katharina Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek (Munich: Reichert, 1990) nos. 56-57.
[3] Bernhard Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit: Die vorwiegend Österreichischen Diözesen, vol. 1 (Wiesbaden: Otto Harrassowitz Verlag, 1940), 65–67.
[4] The three Freising manuscripts are discussed in Ibid., 1:108–09.
[5] Their descriptions in Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen). II, no. 3129; and Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, no. 126. These are volumes one and three of the commentary on Psalms. Of volume two, only fragment survives, now Graz, Universitätsbibliothek, MS 1703/81.
[6] Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, 1:218.
[7] Margaret Gibson, “Carolingian Glossed Psalters,” in The Early Medieval Bible. Its Production, Decoration and Use (Cambridge, 1994), 96. See also Margaret T. Gibson, “The Place of the Glossa Ordinaria in Medieval Exegesis,” in Ad Litteram: Authoritative Texts and Their Medieval Readers (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1992), 5–27.
[8] See Gibson, “Carolingian Glossed Psalters,” 96–97.
[9] Patrizia Stoppacci, “Cassiodorus Senator. Expositio Psalmorum,” in La Trasmissione Dei Testi Latini Del Medioevo, TETRA II (Firenze: SISMEL, 2005), 143–159.
[10] These cues marked certain topics discussed by Cassiodorus and in his words were to be used to more easily access particular passages, e.g. a M-like sign to indicate de musica. See James W. Halporn, “Methods of Reference in Cassiodorus,” The Journal of Library History (1974-1987) 16, no. 1 (1981): 71–91.
[11] My dating is based on the comparison with the Die datierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Datierte Handschriften in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland Bd. 4 (Stuttgart: Hiersemann, 1994), Abb. 2.
[12] This annotator was not the only one to add Cassiodorian sigla. Because of their discreteness and minuteness, it is not possible to distinguish when the tenth-century hand is at work, and when another hand writing in light ink made the signs.
[13] I was able to find the following glosses: 12v, 17b, disciplinis: VII. liberalibus artibus; 14r, 17a, cuius: sanctae scripturae; 16v, 15a, drama: fabula; 16v, 19a, schemata: figurae; 34r, 6a, Abessalon: Hebrei dicunt(?); 51v, 17b, aurei oris: Crysostomus; 52v, 25b, pietate: religione; 149r, 20b, catheristae: expurgatos; 164v, 4a, acti: inspirati; 254r, 20b, sibi: id est Iudeis; 254r, 20b, mihi: id est Christo.
[14] The signs used are: a hybrid symbol combining letter h and asterisk (B), antisigma (C), and a hybrid symbol combining letter h and a cluster of dots (F). The h-like symbols are used in Clm 6253 elsewhere as signes de renvoi for corrections.
[15] Cf. Wallace Martin Lindsay, Etymologiarum Sive Originum Libri XX, vol. 1, 2 vols. (Oxford: Clarendon Press, 1911).
[16] I consulted the following online resources: “Europeana Regia | Bibliotheca Carolina,” accessed May 12, 2013, http://www.europeanaregia.eu/en/historical-collections/bibliotheca-carolina; “E-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek Der Schweiz,” accessed May 12, 2013, http://www.e-codices.unifr.ch/; and “Biblioteca Ambrosiana Digital,” accessed May 12, 2013, https://store.codex2.cilea.it/store#/index.
[17] Lindsay, Etymologiarum Sive Originum Libri XX, vol. 1, bk. 2.4.
[18] PL 26, 943b.
[19] PL 142, 168c-d.
[20] At least in the PL edition.
[21] Although there are exemplars of the Breviarium containing the same variant, e.g. Wolfenbüttel, HAB, MS Guelf. 17 Weiss. (first half of the 9th century, Weissenburg), at: http://diglib.hab.de/mss/17-weiss/start.htm?image=00175.
[22] PL 111, 154b; also at: http://www.mun.ca/rabanus/drn/6.html.
[23] See Mariken Teeuwen, “The Pursuit of Secular Learning: The Oldest Commentary Tradition on Martianus Capella,” The Journal of Medieval Latin 18 (2008): 36–51.
[24] Gibson, “The Place of the Glossa Ordinaria in Medieval Exegesis,” 6–12.
[25] See for example Frankfurt, Stadt- und Universitätsbibliothek, MS Barth. 32 (c. 800), at: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/msma/content/zoom/3591549.
[26] These were: Munich, BSB, MS Clm 18121; Oxford, Bodl., MS Rawl. G 163; Oxford, Bodl., MS Laud. lat. 96; and Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, MS Vat. Ross. 184. Described in Christine Elisabeth Eder, Die Schule des Klosters Tegernsee im frühen Mittelalter im Spiegel der Tegernseer Handschriften (Munich: Arbeo-Ges., 1972), 103–106.
[27] Description in A Summary Catalogue of Western Manuscripts in the Bodleian Library at Oxford, Which Have Not Hitherto Been Catalogued in the Quarto Series with References to the Oriental and Other Manuscripts [vol. 6: To the Oriental Manuscripts and Papyri] (Oxford: Clarendon, 1895), 3:371-72, at: http://www.bodley.ox.ac.uk/dept/scwmss/wmss/online/medieval/rawlinson/rawl-g.bak. The manuscript was later at Würzburg, possibly even prepared for this destination; see Eder, Die Schule des Klosters Tegernsee im frühen Mittelalter im Spiegel der Tegernseer Handschriften, 95.
[28] Cf. Gibson, “The Place of the Glossa Ordinaria in Medieval Exegesis,” 12.
[29] This is Munich, BSB, MS Clm 14124, which contains another fragment of the commentary in fol. 152r, see at: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00034636/image_305.
[30] The hand that copied Oxford Laud. lat. 96 and Oxford Rawl. G 163 is the same hand that copied Freising, Dombibliothek, MS 50, a fragment of a sacramentary used at an unknown place; see Eder, Die Schule des Klosters Tegernsee im frühen Mittelalter im Spiegel der Tegernseer Handschriften, 106 and 122. This manuscript fragment might be the link between Tegernsee and Freising.
[31] Gibson, “The Place of the Glossa Ordinaria in Medieval Exegesis,” 12.
[32] Note Clm 29404/3, a ninth-century fragment of the first volume of the Breviarium, which was present at Freising around 1000 at the latest. Unfortunately, the text of Ps 38 does not survive in the fragment, see at: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00071371/image_1
Quelle: http://de.hypotheses.org/71957
Säkularisation in Bayern: Kommissionsreisen zur Untersuchung der Klosterbibliotheken (1802, 1803, 1811/12): Tagebücher online
Im Zuge der Aufhebung der Klöster in Bayern besuchten 1802, 1803 und 18011/12 Kommissare die aufgehobenen Klöster, um Bücher für die Münchner Hofbibliothek auszuwählen. Tagebücher über diese Reisen wurden von der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert; sie sind online zugänglich: BSB A-Reg. B 101, Tagebuch über die Commissionsreise zur Untersuchung der Bibliotheken in den bayerischen Mendikantenklöstern im Jahre 1802, 14.7.-10.11.1802, online: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00054889/image_1 (Bayerische Staatsbibliothek, München) BSB A-Reg. B 102, Tagebuch über die churfürstliche Commissionsreise zur Untersuchung der ständischen Klosterbibliotheken in Bayern 1803, online: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00054890/image_1 (Bayerische Staatsbibliothek, [...]
ViFa Geschichte Nr. 02/03 (2013): Neue Datenbanken in chronicon eingebunden
Die Nachlässe der Minister, oder: Was haben Memoiren in einer Aktenedition zu suchen?
Wie bereits berichtet, ist der Kernbestand der von uns geplanten Edition – die 185 Sitzungsprotokolle des Gesamtreichsministeriums und die Beilagen dazu – inzwischen vollständig transkribiert beziehungsweise regestiert. Die weitere Arbeit konzentriert sich einerseits auf Sachkommentare zu diesem Material, andererseits auf die Ermittlung weiterer, nicht unmittelbar beiliegender Bezugsakten aus den nunmehr digitalisierten Beständen der Ministerien.
Anton von Schmerling legte in hohem Alter nach seinem Ausscheiden aus der aktiven (österreichischen) Politik umfangreiche “Denkwürdigkeiten” an, die heute als Manuskript im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt werden.
Daneben ist aber für die kommenden Monate noch eine weitere Reihe von Demarchen geplant. In einer erklecklichen Zahl von Bibliotheken und Archiven, über weite Teile Deutschlands (und Österreichs) verstreut, soll in Nachlässe der Minister und Unterstaatssekretäre der Provisorischen Zentralgewalt Einsicht genommen werden. Recherchen im Laufe des vergangenen Jahres haben ergeben, daß es zu mehr als der Hälfte der Regierungsmitglieder in größerem oder geringerem Umfang handschriftliches Material gibt. Besonders reichhaltig sind der Nachlass des Justizministers Robert von Mohl in Tübingen und Stuttgart – allein seine gesammelten Briefwechsel füllen 20 Bände –, die Familienpapiere Gagern in Darmstadt, der Nachlass des Außen- und Marineministers August Jochmus in München sowie jener des Vorsitzenden des Ministerrats im Herbst 1848, Anton von Schmerling, in Wien. (Warum die aufeinander folgenden Leiter des Reichsministeriums manchmal Premierminister hießen und manchmal nicht, wäre eine eigene Geschichte.) Substantielle Bestände gibt es aber auch an etwas abgelegeneren Orten, etwa im Stadtarchiv Krefeld zum Finanzminister Hermann von Beckerath oder im Leiningenschen Schlossarchiv zu Amorbach zum ersten deutschen Premierminister, Karl zu Leiningen. Die fortschreitende Erschließung von Nachlässen und Autographen durch überlokale Datenbanken (genannt seien vor allem die ZDN sowie der Autographenkatalog KALLIOPE) hat außerdem erlaubt, kleinere Reste und Einzelstücke an einer Vielzahl von Standorten zu lokalisieren, die freilich gar nicht alle bereist werden können.
Andererseits sind auch Lücken festgestellt worden; von manchen Persönlichkeiten scheint überhaupt kein oder kein nennenswerter Nachlass jemals bekannt gewesen zu sein, so etwa von den beiden letzten Vorsitzenden Grävell und Sayn-Wittgenstein-Berleburg. In anderen Fällen sind Papiere, die im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert in Familienbesitz nachweisbar sind, heute unbekannten Verbleibs, etwa die in mehreren Arbeiten vor dem Zweiten Weltkrieg noch herangezogenen Materialien aus dem Besitz des letzten Justizministers Johann Hermann Detmold. Der umfangreiche Nachlass des kurzzeitigen Unterstaatssekretärs im Handelsministerium, Gustav Mevissen (der als Unternehmer und als Kölner Lokalpolitiker weit bekannter ist), ist dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln zum Opfer gefallen und auf absehbare Zeit nicht zu benutzen; und vom Grazer Nachlass des Erzherzog-Reichsverwesers selbst sind erhebliche Teile im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
Was aber wollen wir mit diesen Quellen? Ihre Einbeziehung in eine Aktenedition ist ausgesprochen ungewöhnlich. Dahinter steht vor allem die folgende Überlegung: Die Protokolle selbst sind in aller Regel sehr lapidar formuliert. Zu vielen Punkten liest man dort Formulierungen in der Art von: Das Reichsministerium des Krieges legt den in dessen Akten unter Numero 1628 eingetragenen Bericht des Reichs-Commißärs Stedmann vom 21ten dieses Monats und die demzufolge für den Befehlshaber der Reichstruppen in Schleßwig-Holstein, Generalmajor von Bonin, entworfene – unter Numero 756 vom 29ten dieses Monats ausgefertigte Instruktion vor. Es wird beschlossen: letztere zu genehmigen (73. Sitzung vom 27. Dezember 1848, § 8). Zum Inhalt der erwähnten Dokumente erfährt man hier nichts oder fast nichts, in einzelnen Fällen werden nicht einmal Betreffe genannt; viel weniger kommen Diskussionen oder Begründungen für die Entscheidungen zur Sprache. Allenfalls wird zu einem Beschluss erwähnt, er sei nach stattgehabter Erörterung gefallen. Diese lakonische Kürze ist durchaus nicht ungewöhnlich; von Protokollen als Quellengattung darf grundsätzlich nicht erwartet werden, dass sie etwas anderes als die rechtlich relevanten Aspekte eines Vorgangs festhalten, in diesem Fall eben die Beschlüsse. Der Umstand unterscheidet die Protokolle des Reichsministeriums aber doch von einzelnen ähnlichen Quellen derselben Zeit, namentlich von den Wiener Ministerratsprotokollen, in denen regelmäßig auch von den Ministern vorgebrachte Standpunkte und Argumente wiedergegeben werden. (Dies rechtfertigt im Falle der österreichischen Protokolle für sich bereits den Grundsatz der Edition im Volltext, auch wenn er angesichts des Umfangs des Bestandes an der langen Bearbeitungsdauer und dem gewaltigen Umfang der Edition einen gewichtigen Anteil hat.)
Die Aufarbeitung der Beilagen und sonstigen Bezugsakten sowie die Verwertung von Sekundärliteratur in den Sachkommentaren sind natürlich die Mittel erster Wahl, um die Kürze der Protokolle auszugleichen und den Benutzerinnen und Benutzern unserer Edition die unausgesprochenen Zusammenhänge zu erschließen. Manches aber, zumal Atmosphärisches, steht in aktenförmigem Schriftgut nirgends. Daher kommt die Idee, dass es einerseits wünschenswert, andererseits aber angesichts des überschaubaren Gesamtumfangs des zu bearbeitenden Materials auch hinsichtlich des Aufwands vertretbar ist, Quellen anderer Art ergänzend hinzuzuziehen. Zeitnahe Briefe oder persönliche Aufzeichnungen einerseits, später niedergeschriebene Erinnerungen andererseits erscheinen dazu gerade wegen der ganz anders als bei Akten gelagerten Berichts- und Selbstdarstellungsabsichten, die in ihnen wirksam sind, als besonders interessante Texte. Dass die Anlage und auch die Aufbewahrung solcher Schriften, welche die neuere Quellenkunde im Bereich der Selbstzeugnisse oder „Ego-Dokumente“ verortet, bei bürgerlichen wie adeligen Akteuren des öffentlichen Lebens im 19. Jahrhundert besonders verbreitet war, kommt unseren Absichten zustatten; im Übrigen auch insofern, als erhebliche Mengen derartiger Quellen bereits in publizierter Form vorliegen. Die Durchsicht dieser Veröffentlichungen und die Anbringung von Verweisen ist daher Teil der Kommentierung der Akten; zusätzlich sollen aber bisher ungedruckte Stücke ediert werden, wo sie von besonderem Wert für die Anliegen unseres Forschungsvorhabens sind.
Klar sein muss dabei, gerade angesichts des Umfangs des potentiell verwertbaren Materials dieser Art, dass es sich nur um eine Auswahl handeln kann. Die Protokolledition und der Nachweis der Bezugsakten sind und bleiben das Pflichtprogramm unserer Edition, die Ergänzung aus Selbstzeugnissen der Beteiligten gleichsam die Kür. Ein Vollständigkeitsanspruch, wie er hinsichtlich des ersteren Punktes selbstverständlich einzuhalten ist, kann hinsichtlich des zweiten nicht eingelöst und soll daher gar nicht erhoben werden: Dazu müssten wohl sämtliche Abgeordnete, Reichsgesandte, Reichskommissare, aber auch die Minister der einzelstaatlichen Regierungen, mit denen die Zentralgewalt verkehrte, einbezogen werden, darüber hinaus aber auch noch andere Zeugen und Zeuginnen, die in welcher Kapazität auch immer – als Journalisten, als Beamte oder Militärs, als Ehefrauen von Politikern – Einblick in das Geschehen hatten. Eine erste wesentliche Beschränkung betrifft daher den Personenkreis: Die handschriftlichen Nachlässe werden nur für die Mitglieder des Reichsministeriums, also Minister und Unterstaatssekretäre, aufgesucht. Auch aus ihnen kann aber gewiss nicht jede Stelle, die in irgendeiner Weise für die Tätigkeit der Zentralgewalt relevant und bisher ungedruckt ist, von uns veröffentlicht werden. Es ist daher eine Auswahl zu treffen, die sich an der Relevanz für die Leitfragen unseres Projekts orientiert.
Was dabei im Einzelnen herauskommen wird, ist aber jetzt noch nicht zu sagen. Da es ja gerade darum geht, bisher Unveröffentlichtes zu finden, wissen wir noch nicht, was der Blick in die Nachlässe liefern wird. Mit dem Schmerling-Nachlass hat vor kurzem dieser Arbeitsgang begonnen, Anfang März sind dann bereits die Mohlschen Papiere an der Reihe. Was sich dabei ergibt, wird an dieser Stelle zu erfahren sein, bevor es dann in den Editionsband Eingang findet.