Die Rheinlande und die ‚Erfindung‘ der Katharer

Ketzer und deren Verfolgungen sind wesentlicher Bestandteil unseres Geschichtsbildes vom Mittelalter.[1] Dabei gelten heutzutage die, oftmals mit Südfrankreich assoziierten, Katharer als bekannteste Gruppe damaliger Häretiker. Dieses spezifische Geschichtsbild wurde von einer breit rezipierten wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Literatur vermittelt oder zumindest unterstützt.[2]

Infragestellung des Geschichtsbildes der Katharer

Die Häresieforschung hat in den letzten fünfundzwanzig Jahren diese übliche Darstellung problematisiert und bestritten. Ausgehend von einer neuen Forschungsperspektive haben sich immer mehr Historikerinnen und Historiker auf die Konstruktion bzw. auf die ‚Erfindung‘ der Häresien – einschließlich des Katharismus – in den Quellen konzentriert und viele moderne Deutungen infrage gestellt. Waren die Katharer tatsächlich eine einheitliche ketzerische Bewegung im hochmittelalterlichen Europa (11.–13.

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Quelle: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2022/05/rheinlande-katharer-ausstellung-riversi/

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Cui bono? Über Sinn und Nutzen einer Übersetzung der Werke Joachims von Fiore

By permission of the President and Fellows of Corpus Christi College, Oxford, ms 255A, Joachim von Fiore, Liber Figurarum, fol. 17v a) Autor und Edition Joachim von Fiore war lange Zeit eins der schwarzen Löcher des Mittelalters. Obwohl sein Name…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7166

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Was ists, das hinter diesem Schleier sich verbirgt? Zur Debatte um Mein Kampf und weshalb man Wirkungszuschreibungen vermeiden sollte.

Ende 2015, 70 Jahre nach Adolf Hitlers Tod, werden die Nutzungsrechte an Mein Kampf, die nach Kriegsende auf den Freistaat Bayern übergingen, auslaufen. Dann steht jedem eine Veröffentlichung von Hitlers Programmschrift, auch unkommentiert, frei. Deshalb hatte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) 2009 in Eigeninitiative ein Editions-Projekt ins Leben gerufen, das durch eingehende Kommentierung „Hitlers Quellen Schritt für Schritt offenzulegen, den politik-, militär-, ideen-, kultur- und sozialgeschichtlichen Entstehungskontext seiner Weltanschauung nachzuzeichnen“ sucht, um „[...] jedem ideologisch-propagandistischen oder kommerziellen Missbrauch von Mein Kampf entgegenzuwirken.”1 Das Projekt wurde vom bayrischen Landtag gebilligt und schließlich mit einer halben Million Euro durch das bayrische Kultusministerium unterstützt, bis die Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vergangenen Dienstag, den 10. Dezember 2013, überraschend beschloss, eine Veröffentlichung unter bayrischem Staatswappen nun doch zu verhindern. Das IfZ will jedoch weiterhin in Eigeninitiative an der wissenschaftlich kommentierten Ausgabe arbeiten.

Ein Gesetz: Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.

Der Anstoß, den man an der Haltung der bayrischen Staatsregierung gegenüber einer wissenschaftlich qualifizierten Edition von Mein Kampf nehmen könnte, wirkt unter diesen Voraussetzungen freilich nicht so groß, denn es sieht so aus, als stände außer dem Rückzug der Förderung durch den Freistaat nichts einer Veröffentlichung 2015 entgegen. Die Staatskanzlei kündigte indes unlängst an, dass gegen Verlage, die Mein Kampf veröffentlichen wollen, zukünftig pauschal Strafanzeige wegen Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB erstattet werde2: Die Staatsregierung bezog in den vergangenen Jahren bereits so Position, eine Veröffentlichung der Hetzschrift sei „strafbar als Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda sowie als Volksverhetzung”3; selbst wenn sich diese Haltung 2012 besonders auch auf Initiative des bayrischen Landtages zu lockern schien, wurde sie nun noch einmal durch den Ministerrat deutlich zementiert.

Ich bin sicher nicht juristisch qualifiziert genug, um den Vorwurf der Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda und der Volksverhetzung zu widerlegen. Verweisen kann ich auf den Wortlaut von § 86 StGB, insb. Abs. 2 und 3, und auf ein darauf bezogenes Urteil des BGH vom 25. Juli 19794, in dem unter anderem begründet wird, dass Mein Kampf (genauer: jede vorkonstitutionelle Schrift im Allgemeinen) nicht dazu geeignet ist als Propagandamittel im Sinne von § 86 StGB zu gelten, wenn diese nicht durch zum Beispiel ein Vorwort oder Textzusätze/-ergänzungen „in der Weise aktualisiert wird, dass nunmehr aus ihrem Inhalt selbst die Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik hervorgeht.”5 In Bezug auf den Vorwurf der Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB, insb. Abs. 2, ist Abs. 6 desselben Paragraphen zu beachten, der Abs. 2 unter die Ausnahme von § 86 Abs. 3 stellt, also eine Ahndung ausschließt, wenn eine entsprechende Handlung „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.”

Ich sehe deshalb, wie gesagt ohne ausreichend juristische Qualifikation zu genießen, um derlei Rechtsfragen stichhaltig bewerten zu können, keinen Anhalt für ein rechtliches Vorgehen gegen mindestens eine wissenschaftlich einwandfrei kommentierte Ausgabe von Mein Kampf. 2008 ließ das Communiqué des bayrischen Finanzministeriums zudem erkennen, dass es auch nicht direkt darum ginge, der Verfassung gerecht zu werden, sondern man sich „mit einer restriktiven Haltung sehr viel Anerkennung erworben” habe und da man das Werk deshalb nun für per se verfassungsfeindlich halte, sei auch „nicht zu erwarten, dass nach dem Erlöschen des Urheberrechts das Werk wild veröffentlicht werde.”6 Zumindest wenn man die zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten dazu nutzen kann, jeglichen Veröffentlichungsversuch zu unterbinden. An der Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens bleiben m.E. berechtigte Zweifel offen.

Und furchtbar wie ein gegenwärtger Gott.

Und dabei könnte nun gerade eine womöglich sogar mitbetreute wissenschaftlich kommentierte Ausgabe der bereits jetzt bestehenden „wilden” und unkontextualisierten Verbreitung besonders im Internet7 eine wertvolle, da entsprechend kontextualisierte Alternative entgegenstellen. Mein Kampf hat darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten eine massive Verbreitung gerade (aber bei Weitem nicht ausschließlich) im arabischen Raum erfahren und dort sein Übriges getan antisemitistische Argumentationsweisen zu befeuern. Wer – zumal mit rechtsstaatlichen Mitteln – versucht, entsprechend kontextualisierende und aufklärerische Ausgaben im deutschsprachigen Raum zu verhindern, versagt unserer Gesellschaft die Möglichkeit, die Gefahrenpotentiale von Hitlers Hetzschrift zum Beispiel auch im interkulturellen Diskurs aktiv zu entschärfen.

Wer darüber hinaus unterstellt, eine solche Schrift gefährde per se noch heute den öffentlichen Frieden und gereiche per se zur Ächtung eines Teils der Bevölkerung, der gesteht ihr eine gewissermaßen recht privilegierte Macht zu. Das ist eine aktive Mystifizierung im ursprünglichen Wortsinn; hüllt man ein Werk, eine Person, ein Symbol in ein solches Mysterium ein, erhält das so geschaffene Mysterienkonstrukt eine transzendente Stellung gegenüber der eigentlich recht banalen materiellen Verfasstheit des so Verhüllten: Die Unterstellung, Mein Kampf wäre schon an sich in jedem beliebigen heutigen Kontext volksverhetzend, völlig unabhängig von Herausgabeintention und Umgang damit, gibt dem Konstrukt eine Überzeitlichkeit, die der Schrift beim besten Willen nicht zusteht.

Das wirkt vergleichbar mit der noch immer praktizierten Mystifizierung Hitlers als das ultimative Monstrum, das nicht etwa nur durch Zuschreibung, sondern durch bewusste Transzendentmachung in seiner Monströsität potenziert wird. Das Dokumentationsdrama Speer und Er (2005, Heinrich Breloer) beispielsweise trägt die Monströsität schon im Titel: Eigentlich geht es im Film gar nicht so sehr um Hitler, sondern – der Titel möchte es eigentlich verraten – um den Kriegsverbrecher Albert Speer. Brisanz wird aber, zumindest ad hoc im Titel, nicht mit dessen Verwicklungen in die Machenschaften der Nationalsozialisten und seiner zweifelhaften Selbstinszenierung erzeugt, sondern viel eher durch den phorischen Verweis auf Ihn, dessen Nicht-Nennung dem geneigten Publikum genug Raum lässt sich zu überlegen, dass Speer ohne Ihn als transzendentes Prinzip womöglich kein Kriegsverbrecher gewesen wäre.8 Es handelt sich dabei m.E. noch um eine vergleichsweise seichte und einigermaßen unaufdringliche Vorgehensweise; der plakativ das „Monstrum Hitler” herausstellenden Beispiele gibt es allerdings so viele, dass ich dem geneigten Leser sicher den Gefallen tun kann, es bei diesem einen zu belassen und schlicht darauf zu verweisen, dass gerade populärwissenschaftliche Dokumentationsreihen die Zentralsetzung Hitlers in Bezug auf das Dritte Reich als zweckmäßige Strategie erkannt haben; scheinbar ohne dass die Macher sich darüber im Klaren sind, dass sie damit ein essentielles Prinzip des Führerkults reproduzieren.

Aber auch auf mehr Sachlichkeit bedachte Darstellungsformen beackern oftmals ein Bildwissen, das die nationalsozialistische Propaganda selbst ausgefurcht hat. Es gibt eine handvoll Bilder Adolf Hitlers, die permanent immer und immer wieder auftauchen müssen, darunter die beiden Schulterstück-Aufnahmen, die die 1943er-Auflage von Mein Kampf auf der Vorderseite und in der Titelei zieren9; als die typischsten heutzutage gezeigten Filmaufnahmen würde ich die Abschlussrede Hitlers im Riefenstahl-Film Triumph des Willens von 1935 oder ähnliche Rede-Aufnahmen sowie Ausschnitte aus den Privataufnahmen mit Eva Braun am Obersalzberg ausweisen wollen. Bis auf letztere greift man dabei auf eindeutiges Propaganda-Material zurück. Durch die Rekontextualisierung werden sie zwar eindeutig von ihrer propagandistischen Einbettung enthoben, besonders der Riefenstahl-Ausschnitt wird nicht selten in den Dienst einer satirischen Doublage gestellt oder dient der bloßen stummgeschalteten Bebilderung von Ausführungen aus dem Off, für die sonst kein spezifisches Material zur Verfügung steht. Die Wirkweise der Bilder verliert sich allerdings nicht, sie wird verändernd weitergenutzt oder – was schlimmer wiegt – in ihrer Wirkungskraft im Sinne des Führerkults nicht ernstgenommen.

Wenn von der Wahrheit nur diese dünne Scheidewand mich trennte – und ein Gesetz

Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, das „Monstrum Hitler” heraufzubeschwören und dabei immer weiter an diesem überweltlichen Konstrukt zu bauen, das mit einem unwirklichen Macht-Privileg ausgestattet wird und die Gesellschaft so wiederum in Ohnmacht davor versetzt. Das kann als Abwehrmechanismus durchaus seine Funktionalität besitzen und fügt sich recht passgenau in eine Darstellungstradition ein, die von ‘Machtergreifung’ und ‘Tag der Befreiung’ spricht, die den ‘Verführer der Massen’ kennt; es fügt sich passgenau in eine Sprach- und Identitätskrise nach dem Krieg, die sich ihrer eigenen Ausdrucksformen ob nationalsozialistischer Instrumentalisierung oder Ächtung nicht mehr sicher sein konnte und zwangsläufig dem ausgesprochen realen Grauen mit mehr oder minder adäquaten Konstrukten des Grauens begegnet. Es ist eine absolut logische Reaktion, dem nationalsozialistischen Führer-Konstrukt das entmenschte Konstrukt des Monster-Hitlers entgegenzustellen, um den ideologischen Ballast der faschistischen Propaganda abzufassen und möglichst auszuexorzieren.

Daher rührt m.E. auch die restriktive Haltung gegenüber Mein Kampf. Es ist nicht etwa der Inhalt der Schrift und ihr etwaiges hetzerisches Potential, das sich ja per se in der heutigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr entfalten könnte10, sondern die Aufrechterhaltung der mindestens ursprünglich ausgesprochen gerechtfertigten Schutzhaltung. Indem man nun aber fortfährt, der Schrift ein hohes Hetzpotential zuzuschreiben, weil es ein essentieller Zuschreibungsbestandteil des Hitler-Konstrukts ist, erkennt man der nationalsozialistischen Ideologie unter der Macht eines hitlerschen Monstrums implizit eine überzeitliche Fähigkeit zur Einflussnahme an und macht Mein Kampf zu einem vermeintlich priviligierten Erkenntnismedium, vor dessen ‘Wahrheiten’ Sais-Schleier und Gesetz den Bürger schützen müssen, der seinerseits zum Zwecke seiner Meinungsbildung auf den Wahrheitsanspruch eines offiziellen Narrativs zu vertrauen habe, dem ja dann ein Wissen innewohnt, das ihm selbst verwehrt bleibt. In solche Unbestimmtheit gesetzt aktualisiert man stetig die Wirkmächtigkeit des Werkes, indem man ihm im Zirkelschluss stetig Wirkmächtigkeit zuspricht. Man darf es wohl als fatal bezeichnen, dass damit „die Faszination einer Macht, die ihren einzigen Grund in ihrer Ermächtigung hat und sich aus dem Nichts selbst erschafft”11, zwar stark umgewertet, aber eben dennoch aufrechterhalten wird.

Und wer mit ungeweihter schuldger Hand den heiligen, verbotnen früher hebt

Der so um Mein Kampf und Hitlers Gestalt gehüllte Schleier befeuert dann nicht nur den Führerkult, dem man eigentlich Herr werden möchte, teilweise sogar noch in Resten seiner demagogischen Einbettung, sondern sie verwehrt aktive Einflussmöglichkeiten auf das Geschichtsbild, das ja ohnehin ständig von revisionistischer Seite dem hanebüchenen Vorwurf der verzerrenden Wirklichkeitsselektion ausgesetzt ist. Eine wissenschaftlich fundierte Dekonstruktion und damit auch Entmystifizierung der Schrift und des Hitler-Konstrukts versetzte die Gesellschaft in die Lage, sich gegenüber faschistischen Argumentationsweisen und ihren Ablegern in Bezug zu setzen und der Breite der Öffentlichkeit aufklärerisch Zugang zu gewähren. Meiner sehr persönlichen Ansicht nach gesundet gerade die deutsche Kultur auch nur in der Aufgabe des Hitler-Konstrukts, dessen Alleinanspruch auf Abscheulichkeit und Demokratiefeindlichkeit den Führerkult – wie ausgeführt und absurderweise! – in seiner Wirksamkeit nachträglich befördert und dazu geeignet ist, zeitgenössische Tendenzen mit ähnlich verheerenden Konsequenzen weichzuzeichnen bzw. die Anfälligkeiten demokratischer Systeme auszublenden. Die Gesellschaft hingegen in ihrer Breite an die theoretischen Grundlagen der nationalsozialistischen Demagogie – und dazu ist Mein Kampf m.E. sehr gut geeignet – heranzuführen, den Schleier so zu lüften, erscheint mir als eine ehrlichere und weitaus wirksamere Position.

Das muss nicht unter dem bayrischen Staatswappen passieren; es müssen indes Möglichkeiten offen bleiben Mein Kampf und Adolf Hitler in ihrer Historizität wahrnehmbar zu machen. Das hilft auch bei der Entschärfung der propagandistischen Potentiale, die gedrungenermaßen weitertradiert und so teilweise reaktualisiert werden: Die Faszination am „Monstrum Hitler”, aus der sich beispielsweise eine große Menge populärwissenschaftlicher Formate brisanzsteigernd speißt, würde an Gefahrenpotentialen und nicht zuletzt vielleicht auch an ihrer fragwürdigen Wirksamkeit einbüßen, legte man ihren Kern offen und zeigte auf, mit welchen Mitteln sie überhaupt hervorgerufen wurde.

Allein schon die zugängliche Rekonstruktion von Hitlers Quellen und Gedankengebern gäbe womöglich weitreichende Aufschlüsse und entzauberte ein Stück weit den Führerkult. Eine solche Rekonstruktion darf jedoch nicht auch noch zukünftig in einen Elfenbeinturm voller Mysten gesperrt werden, schon gar nicht, weil zeitgenössische Führerkulte und Ideologisierungsstrategien dezidiert außerhalb von wissenschaftlich geschulten Kreisen ansetzen. Ich will keineswegs unterstellen, dass eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Mein Kampf dazu in der Lage wäre, vor jeglicher Hetze und demokratiefeindlich-ideologischer Einflussnahme zu schützen; das stellte die Schrift ebenfalls auf das Podest des privilegierten Erkenntnismediums, das sie nicht ist. Es wäre allerdings zu erwarten, dass das zielstrebige und in unseren Wertekanon eingebettete Offenlegen der Grundlagen von Hitlers Demagogie, deren verheerende Konsequenzen uns durch die in den letzten Jahrzehnten geschehene Aufarbeitung sehr bekannt sind, das Auge schult für ganz ähnliche oder mindestens entfernt vergleichbare Weisen. Luise Rinser, um nur ein Beispiel anzuführen, zeigt in ihrem Nordkoreanischen Reisetagebuch12 sehr eindrucksvoll, wie blauäugig man auch als eine der großen literarischen Stimmen nach dem Niedergang des Dritten Reiches, wenngleich noch in den 1980er-Jahren, dem nordkoreanischen Modell des Führerkultes und der propagandistisch überinszenierten Verheißungserfüllung13 hemmungslos auf den Leim gehen kann.

Vielfach geflügelt ist das Wort, das meint, man lerne aus Geschichte. Was sie für Geschichte hält, muss eine Gesellschaft, zumal eine, die das nationalsozialistische Regime zu beerben hatte, für sich selbst festmachen. Mein Kampf in seiner Historizität als vorkonstitionelles Machwerk Adolf Hitlers und nicht als eine hetzerische Geißel der Sozialdemokratie zu begreifen und so damit umzugehen, gewährte womöglich das Privileg es irgendwann Geschichte ohne aktuelle Gefahrenpotentiale werden zu lassen und jenen Stimmen, die unsere Gesellschaft tatsächlich in hohem Maße mit ganz ähnlichen Verfahren gefährden, die Resonanzkraft zu rauben.

  1. Zielvorstellungen des IfZ auf der dem Projekt gewidmeten Präsentationsseite (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013), Titel kursiviert BD.
  2. vgl. Christine Haderthauer (CSU) in einem Nachrichten-Beitrag des Bayrischen Rundfunks. Online-Abruf via BR-Mediathek (Ministerrat: Mein Kampf bleibt weiter verboten, vom 10. Dezember 2013, →Link).
  3. So zum Beispiel zitierte Tim Farin 2008 für stern.de (Hitlers “Mein Kampf”. Zwischen Kritik und Propaganda, vom 25. April 2013, Ressort POLITIK > Geschichte, →Link) ein Communiqué des bayrischen Finanzministeriums.
  4. Az.: 3 StR 182/79, Strafbarkeit des öffentlichen Verkaufs von Adolf Hitlers Mein Kampf. Online-Abruf auf technolex.de (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013).
  5. ebd., vgl. Urteil des BGH vom 24. August 1977, Az.: 3 StR 229/77.
  6. zitiert nach dem stern.de-Artikel von 2008; s. Anm. 3 d. vorl. Beitr.
  7. Eine Google-Suche führt schon unter den ersten Ergebnisnennungen zu kopier- und downloadfähigen Komplettdigitalisaten u.a. einer deutschen und einer englischen Fassung der Schrift. Amazon.com führt die deutschsprachige Fassung in mehreren verschiedenen Ausführungen, darunter auch als Kindle-Edition.
  8. Den sich doch aufdrängenden Verweis auf den locus classicus der transzendentmachenden Nicht-Nennung verhelfs ER wage ich an dieser Stelle nicht explizit zu machen.
  9. Ich habe bis heute keine stichhaltigen Informationen über die beiden Aufnahmen ausfindig machen können, außer dass freilich Heinrich Hoffmann sie gemacht hat.
  10. Ginge man von einem solchen per-se-Wirkpotential aus, müsste man von der Herausgabe von Goebbels Reden bis hin zum dokumentarisch aufbereitet Bildmaterial noch einiges in Frage stellen, das unlängst seinen Weg in die öffentliche Zugänglichkeit gefunden hat.
  11. So Albrecht Koschorke im SZ-Gastbeitrag zur Wirkung von Mein Kampf. Online-Abruf via Süddeutsche.de (Die Wirkung von Hitlers “Mein Kampf”, vom 13. Dezember 2013, Ressort KULTUR, →Link). Eine längere Version des gesamten Beitrags wird nach Angaben von Süddeutsche.de demnächst als E-Book bei Matthes & Seitz erscheinen.
  12. Rinser beschreibt darin die Eindrücke und Erfahrungen während ihrer Reisen nach Nordkorea 1980 und 1981/82, während derer sie auch auf Kim Il-sung traf. U.a. 1986 in einer aktualisierten Auflage bei Fischer erschienen.
  13. Und zum Beispiel Charles K. Armstrong stellt die nordkoreanische Ideologie mit ihrem charismatischen Führer und der Mobilisation der Massen in direkte Nähe des europäischen Faschismus’. Vgl. Armstrong, Charles K.: Trends in the Study of North Korea. In: The Journal of Asian Studies 70 (2/2011), S. 357–371.

Quelle: http://enkidu.hypotheses.org/293

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