Für die zeitliche Orientierung in der (Kultur-) Geschichte Chinas spielen die nianhao 年號 (aus der Vielfalt älterer und neuerer Übersetzungen seien hier nur Regierungsdevise, Regierungstitel, Jahrestitel oder Ärenbezeichnung genannt) der Kaiser eine große Rolle, symbolisieren sie doch den “Anspruch des Kaisers auf die Regulierung der Zeit.”[1]
Für knapp anderthalb Jahrtausende – vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gründung der Ming-Dynastie im Jahr 1368 musste sich ein “Neubeginn” nicht unmittelbar an der Thronbesteigung eines neuen Herrschers orientieren. Der Wechsel der Regierungsdevise während der Herrschaft eines Kaisers konnte so den “Anbruch einer neuen Zeit”[2] symbolisieren. Wolfgang Bauer meinte, dass die Einführung dieser nianhao “aufs engste mit diesem ängstlichen Ausschauhalten nach der Bestätigung der eigenen Handlungen durch Äußerungen der Natur in Zusammenhang steht.”[3]
Da nach 1368 jeder Kaiser für die Dauer seiner Herrschaft nur eine solche nianhao annahm, werden diese “Regierungsdevisen” vor allem für die Geschichte der letzten beiden kaiserlichen Dynastien – Ming (1368-1644) und Qing (1644-1911) in der “westlichen” Literatur auf eine Weise verwendet, die den irrigen Schluss nahelegt, es könnte sich dabei um den Namen des Kaisers handeln.
Dass man schon mit der Auswahl der nianhao der Herrschaft des neuen Kaisers ein Programm geben wollte, soll im folgenden am Beispiel der den Kaisern der Qing beigelegten Devisen illustriert werden[4]:
- 1644-1661 Shunzhi 順治 (“[dem Himmel] folgsame Regierung”)
- 1662-1722 Kangxi 康熙 (“Gesunder Weltfrieden”)
- 1723-1735 Yongzheng 雍正 (“Harmonische Geradheit”)
- 1736-1795 Qianlong 乾隆 (“Durch den Himmel Unterstützter”)
- 1796-1820 Jiaqing 嘉慶 (“Vielversprechendes Heil”)
- 1821-1850 Daoguang 道光 (“Leuchten des dao [Weg, Vernunft]“)
- 1851-1861 Xianfeng 咸豐 (“Ganze Fülle”)
- 1862-1874 Tongzhi 同治 (“Vollkommene Ordnung”)
- 1875-1908 Guangxu 光緒 (“Wachsende Herrschaft”)
- 1909-1911 Xuantong 宣統 (“Klare Grundsätze”)
- Thomas O. Höllmann: Das alte China. Eine Kulturgeschichte (München 2008) 156.
- Ebd.
- Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück (München 1989 [1974]), 113.
- Vgl. Evelyn S. Rawski: The Last Emperors. A Social History of Qing Imperial Institutions (Berkeley/Los Angeles/London 1998) 303 (Appendix One: Names of Qing Emperors and the Imperial Ancestors), Gertraude Roth Li: Manchu. A textbook for reading documents (Honolulu 2000) 376. Renate Eikelmann (Hg.): Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern (München 2009) 538 (Tabelle mit den nianhao in chinesischer, mandschurischer, mongolischer und tibetischer Fassung sowie weiteren Literaturangaben). – Zur Genealogie der Qing-Dynastie vgl. Erich Hauer, Das Mandschurische Kaiserhaus, sein Name, seine Herkunft und sein Stammbaum. In: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen, I. Abt., Bd. 29 (1926) 1-39; Qingshigao 清史稿 [Entwurf einer Geschichte der Qing-Dynastie], Ausgabe: Zhonghua shuju (Beijing 1976); Bd. 17 und Bd. 18 [= biao 表, juan 1-7: huangzi shibiao 皇子史表, juan 1-7], sowie die Quellen- und Literaturangaben bei Rawski, Last Emperors (1998) S. 315 Anm. 69, 334 Anm. 58.
Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/852