„Wir Kinder vom Busbahnhof“, Steinewerfer, „Surfin‘ Gaza“ und schwarze Wassertanks auf Häusern

„Wir Kinder vom Busbahnhof“, Steinewerfer, „Surfin‘ Gaza“ und schwarze Wassertanks auf Häusern

Ein Workshop des Bildungswerks Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung

Panorama Gaza City, 8. April 2013, Fotograf: Harry Fear. Quelle: Flickr, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Am 3. Dezember 2016 kamen zwölf junge Leute im sogenannten Aquarium im Südblock am Kottbusser Tor in Berlin zusammen, um sich in einem vom Kommunikationswissenschaftler Felix Koltermann konzeptionierten und geleiteten Workshop mit den verschiedenen visuellen Facetten des israelisch-palästinensischen Konflikts auseinanderzusetzen. Nicht nur die großen Fensterfronten ließen den Eindruck entstehen, dass man sich in einem Aquarium befindet. Früher war in den Räumen tatsächlich ein Aquaristik-Fachgeschäft; inzwischen gibt es aber Vorhänge, und die Wasserbewohner sind ausgezogen.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2017/01/03/wir-kinder-vom-busbahnhof-steinewerfer-surfin-gaza-und-schwarze-wassertanks-auf-haeusern/

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Vom Bild | Zum Wort | Zum Ton

Symposium Vom Bild.jpg
Vom Bild | Zum Wort | Zum Ton

 

Wir laden herzlich ein zum Symposium der Stipendiatinnen der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung im Programm „Museumskuratoren für Fotografie“

am Samstag, 2. Juli 2016, 10 – 18 Uhr

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum, Hermann-Glöckner-Raum

 

Über Fotografien zu denken, zu schreiben, mit ihnen zu arbeiten, stellt, nicht nur aus kuratorischer Sicht, eine Herausforderung dar. Zum einen fordert die heutige Allgegenwart (digitaler) Fotografie eine ganz neue Aufmerksamkeit, möchte man das einzelne Foto tatsächlich sehen, lesen und dechiffrieren. Zum anderen geht damit die Dringlichkeit einher, eine Sprache zu finden, die eben diesen Anforderungen gerecht wird, ohne dabei zu vergessen, dass Bilder und Worte letztlich Antagonisten sind, deren Aufeinandertreffen im Idealfall eine neue Ästhetik und eine neue Form der Bildkritik provozieren kann.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2016/06/27/vom-bild-zum-wort-zum-ton/

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Archiv-August #12: Dinge als Bilder ihrer selbst

Archiv-August #12: Dinge als Bilder ihrer selbst

Archiv-August #12: Der zwölfte Beitrag unserer Reihe erschien erstmals am 18. April 2016. Viel Spaß beim Lesen!

 

Konstitutiv für die Moderne sind Bilder und Visualisierungsprozesse, weil sie in der Lage sind, Interventionsbereiche überhaupt erst sichtbar und zugleich komplexe, abstrakte Zusammenhänge fassbar zu machen. Die Stärke von Bildern ist die Rahmung (framing). Wie bei einem Gemälde werden Formate geschaffen, um Beobachtungen abzugrenzen, zuzuschneiden und zu rahmen. Dadurch wird in den Blick gerückt und zugleich ausgeblendet, und erst so werden Verwerfungen identifiziert und bearbeitbar. Die Ergebnisse können anschließend visuell als verbildlichtes Narrativ einer erfolgreichen Krisenbewältigung repräsentiert werden, d.

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Quelle: https://visual-history.de/2021/09/08/dinge-als-bilder-ihrer-selbst-das-beispiel-brasilia-materialisierter-raum-und-visualisierte-praxisanweisung/

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Archiv-August #10: Geschichtswissenschaft und das Bild als historische Kraft

Archiv-August #10: Geschichtswissenschaft und das Bild als historische Kraft

Archiv-August #10: Der zehnte Beitrag unserer Reihe erschien erstmals am 01. Februar 2016. Viel Spaß beim Lesen!

 

Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze[1] ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie[2] und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.

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Quelle: https://visual-history.de/2021/09/04/geschichtswissenschaft-und-das-bild-als-historische-kraft/

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„He even looks evil …“

Screenshot facebook-Profil

ARCHIV-AUGUST 2022

Die Visual History-Redaktion nutzt den Monat August, um interessante, kluge und nachdenkenswerte Beiträge aus dem Visual History-Archiv in Erinnerung zu rufen. Für die Sommerlektüre haben wir eine Auswahl von acht Artikeln getroffen – zum Neulesen und Wiederentdecken!

(7) Am 1. Januar 1945 erschoss Erich Muhsfeldt, Kommandoführer der Krematorien in Auschwitz, 200 polnische Gefangene im Lager Auschwitz II. 489 Personen klickten den „Gefällt-mir“-Button unter dieser Information an, die das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau am 1. Januar 2011 auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte – samt Porträt des Täters. Erinnerungskultur findet zunehmend in Social Media statt, und auch Historiker:innen beginnen damit, die Angebote bei Instagram, Twitter, Facebook und TikTok in den Blick zu nehmen – so wie Ina Lorenz, die sich schon 2015 in ihrem Beitrag mit der visuellen Geschichtsvermittlung im virtuellen Raum beschäftigt hat.



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Quelle: https://visual-history.de/2022/08/29/he-even-looks-evil/

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Zur Theorie einer interdisziplinären Allgemeinen Bildwissenschaft

Ray, Dual Perspective, Juli 2006 (http://www.flickr.com/photos/rayphua/190101021/) 
CC (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/)

 

Einleitung

Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft bedarf eines Theorierahmens, der die unterschiedlichen Forschungsperspektiven und -ergebnisse aufeinander zu beziehen erlaubt. Der hierfür diskutierte Vorschlag besteht in der These, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind. Diese These betont die kommunikativen Aspekte des Bildphänomens: Mit Bildern gibt jemand jemandem (oder auch wir uns selbst) etwas zu verstehen. Da dies bei Bildern in einer spezifischen Weise erfolgt, die wesentlich mit dem Wahrnehmungsaspekt von Bildern zusammenhängt und in besonderer Weise von der Materialität und Medialität der Bilder abhängt, bedarf die Bildwissenschaft einer wahrnehmungstheoretischen Ausrichtung. Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft impliziert folglich die theoretische Integration von Zeichen-, Medien- und Wahrnehmungsaspekten.

Seit den 1990er-Jahren ist eine zunehmende Ausweitung des für die Analyse von Bildern als relevant erachteten Fächerkanons festzustellen.[1] Als Folge der damit entstandenen Disziplinen- und Methodenvielfalt haben (in der Regel philosophisch orientierte) Bemühungen um eine allgemeine Bildwissenschaft eingesetzt,[2] die als methodologische Reflexion der zahlreichen bestehenden Bildwissenschaften verstanden werden können. Diese Bemühungen im Sinne einer Philosophie der Bildwissenschaft nehmen in der Regel keine Konkurrenz der bestehenden Bildwissenschaften an. Vielmehr gehen sie von unterschiedlichen Aspekten der Bildforschung aus (etwa die Aspekte Bildrezeption und Bildproduktion), deren disziplinäre Integration sie in systematischer Weise zu leisten versuchen. Entsprechend entwirft die Allgemeine Bildwissenschaft im Unterschied zu den einzelnen speziellen Bildwissenschaften keine alternativen empirischen Theorien. Ihr geht es mit der Analyse der jeweiligen methodischen und begrifflichen Voraussetzungen einzelner Bildwissenschaften vielmehr um theoretische Klärungsangebote, die sich idealerweise auch für die konkrete bildwissenschaftliche Forschung und vor allem für die explizit interdisziplinären Forschungsprogramme als hilfreich erweisen sollen.

Anders als die Allgemeine Bildwissenschaft, die sich primär um einen theoretischen Rahmen der Bildforschung bemüht, sind die vielen spezifischen Bildwissenschaften (in der Regel in mehr oder weniger empirischer Ausrichtung) mit speziellen Bildaspekten oder auch Bildtypen befasst.[3] Die Visual Culture Studies können beispielsweise als eine dieser speziellen Bildwissenschaften angesehen werden, die insbesondere die kulturellen Einbettungen von Bildern thematisieren.[4] Unter der Annahme, dass Karten als spezielle Bilder zu verstehen sind, kann als eine ganz anders gelagerte spezielle Bildwissenschaft etwa die Kartografie genannt werden.[5] Die überragende spezielle Bildwissenschaft, die sich selbst als bildwissenschaftliche Leitdisziplin versteht, ist natürlich die Kunstgeschichte.[6] Systematisch betrachtet, sollte die Integration der verschiedenen Disziplinen und Bildaspekte unproblematisch sein und einen erheblichen Beitrag zur gewünschten Vervollständigung unserer Einsichten in den Forschungsgegenstand „Bild“ leisten. Der Grund, dass dies mitunter doch eher schlecht als recht gelingt, ergibt sich zum einen aus verschiedenen Idiosynkrasien, die sich historisch mit der Entwicklung der einzelnen Fächer entwickelt haben, zum anderen aus eher wissenschafts- und institutionspolitischen Gründen und schließlich drittens vor allem auf Grund bestimmter theoretischer Vorentscheidungen, die mit den Fächern bzw. Fächergrenzen aber nur kontingenterweise zusammenfallen.[7]

Im Folgenden werde ich primär das Programm einer Allgemeinen Bildwissenschaft in interdisziplinärer Ausrichtung erläutern und hierbei exemplarisch auf einige relevante Probleme der speziellen Bildwissenschaften eingehen. Ohne dies im Einzelnen zu kennzeichnen, habe ich Teile des folgenden Artikels aus meinen bereits publizierten Aufsätzen entnommen und neu zusammengestellt.[8]

 

Zur philosophischen Grundlegung der Bildforschung

Um den Status einer Allgemeinen Bildwissenschaft verständlich zu machen, ist der Hinweis hilfreich, dass es in der Bildforschung (wie in jeder anderen Forschung) verschiedene Forschungsebenen gibt – etwa Beobachtung, Beschreibung, Interpretation oder Modell- und Theoriebildung –, die sich gegenseitig ergänzen und aufeinander abgestimmt werden müssen. Dies ist umso wichtiger, je heterogener die begrifflichen und methodischen Standards der beteiligten Disziplinen sind. In diesem Zusammenhang besteht eine wichtige Aufgabe der philosophischen Rationalität darin, durch begriffliche Klärung die jeweiligen theoretischen Implikationen der verschiedenen Positionen zu verdeutlichen und in einer integrativen Theorie konsistent zusammenzuführen. Neben der Begriffsklärung bemühen sich philosophische Unternehmungen zudem um kritische Reflexion der zentralen Begriffe, was einerseits Begründungen bei der wissenschaftlichen Einführung von Grundbegriffen einschließt, andererseits unter Umständen Neuschöpfungen von Begriffen erfordert. Bei allen genannten Aufgaben ist die institutionelle Zuordnung der Bemühungen sekundär. Entscheidend ist natürlich allein der sachliche Beitrag, das heißt: der Nutzen für die Organisation der konkreten Forschung.

Die Allgemeine Bildwissenschaft (oder, was weitgehend dasselbe meint: das philosophische Nachdenken über die Möglichkeit einer systematisch formulierten Grundlagentheorie für die bildwissenschaftliche Forschung) ist ein als Dienstleistung zu verstehender Beitrag für den eher empirisch arbeitenden Forscher intendiert. Der Name „Allgemeine Bildwissenschaft“ lehnt sich hierbei an die sehr erfolgreiche Etablierung einer Allgemeinen Sprachwissenschaft an. Er bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass im Bildbereich eine ähnlich nachhaltige Entwicklung wie im Sprachbereich möglich ist. Auf keinen Fall besagt er, dass Bilder wie sprachliche Zeichen aufgefasst und untersucht werden sollen oder ausschließlich in dieser Weise untersucht werden könnten. Mit der Rede von einer Allgemeinen Bildwissenschaft werden folglich die eigentümlichen Strukturen von Bildern, die sich ganz offensichtlich in vielfältigen Hinsichten von den Strukturen sprachlicher Ausdrücke unterscheiden, keineswegs in Frage gestellt.

Wenn es richtig ist, dass die wissenschaftliche Bildforschung notwendig interdisziplinär verfahren muss – was derzeit der kleinste gemeinsame Nenner der Bildforscher zu sein scheint –, dann ist es sinnvoll und rational geboten, genauer darüber nachzudenken und gemeinsam zu klären, wie denn eine solche Forschung in systematischer Weise und methodisch kontrolliert erfolgen kann. Die Idee einer Allgemeinen Bildwissenschaft setzt hierbei zum einen voraus, dass sich die Betätigung „Wissenschaft“ wesentlich durch systematisch geordnete Aussagen und durch methodisch kontrollierte Verfahren auszeichnet. Zum anderen impliziert sie, dass es für die interdisziplinäre Forschung fruchtbar ist, die entsprechenden Vorgaben aus den beteiligten Einzeldisziplinen zu prüfen und sich gegebenenfalls an ihnen zu orientieren, will sie denn mehr sein als ein rein additives Nebeneinander. Etwas stärker formuliert lässt sich sagen, dass eine interdisziplinär betriebene Bildwissenschaft, in der die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven systematisch aufeinander bezogen sind, nur dann möglich wird, wenn es gelingt, einen gemeinsamen Theorierahmen zu entwickeln, der für die unterschiedlichen Disziplinen als ein integratives Forschungsprogramm dienen kann.

 

Ein bildwissenschaftlicher Theorierahmen

Einen Theorierahmen zu erstellen ist primär eine begriffliche Aufgabe. Als Ergebnis einer solchen Aufgabe liegt ein komplexes Aussagengefüge vor, das die gemeinsamen Annahmen verschiedener Theorien zusammenfasst. Hierzu müssen aus den relevanten bestehenden Theorien einige wesentliche Begriffe gewissermaßen herausdestilliert und in eine kohärente Struktur gebracht werden. Ein Theorierahmen ist keine Metatheorie; denn während die Metatheorie eine Theorie über Theorien ist, in der die konstitutiven Bedingungen bestimmt werden, die Theorien (und auch Theorierahmen) erfüllen müssen, ist der Theorierahmen inhaltlich ausgerichtet. Er ist eine verallgemeinerte, integrative Theorie, in der diejenigen Begriffe als zur Erforschung eines Phänomenbereichs wesentlich ausgezeichnet und charakterisiert werden, die in den unterschiedlichen Theorien zu diesem Bereich (eventuell nur implizit) enthalten sind. Er liefert das, was auch als Paradigma bezeichnet worden ist.

Für die Bildwissenschaft besteht eine Besonderheit darin, dass ein solcher Rahmen nicht nur die Forschung innerhalb einer Fachdisziplin strukturieren, sondern ganz wesentlich auch zur interdisziplinären Organisation sehr unterschiedlicher Disziplinen beitragen soll bzw. können muss. Nach einer Unterscheidung, die Umberto Eco zur Charakterisierung der Semiotik verwendet hat,[9] würde ein entsprechender Vorschlag dann mit dem Anspruch auftreten, dass eine Allgemeine Bildwissenschaft selbst eine eigene Disziplin bilde und nicht nur ein Forschungsfeld. Als Feld wäre eine Wissenschaft nur induktiv anhand der unterschiedlichen Forschungsaktivitäten zu bestimmen; als Disziplin verstanden, müsste es jedoch möglich sein, deduktiv ein Modell zu entwickeln, an dem sich die einzelnen Forschungen orientieren. Beide Ansätze widersprechen sich nicht, sondern können sich vielmehr ergänzen. Der Anspruch, der mit einem Modell erhoben wird, schließt insbesondere nicht aus, dass sich dieses Modell in Auseinandersetzung mit den disziplinenspezifischen Ansätzen entwickelt. Es ist lediglich unterstellt, dass es prinzipiell sinnvoll (also auch für die Fachdisziplinen von wissenschaftlichem Vorteil) und erstrebenswert ist, die unterschiedlichen Aktivitäten zu systematisieren und an einem zunächst sicherlich übermäßig (und unzulässig) vereinfachten Theorierahmen auszurichten. Obschon ein solcher Strukturierungsvorschlag entsprechend begründet werden muss, ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass sich dieses Modell trotz sorgfältiger Begründung im Laufe der Zeit verändern oder eines Tages als unzureichend oder gar als unangemessen erweisen wird. Zudem bleibt es natürlich möglich, unterschiedliche Modelle herauszubilden. Dies alles stellt die prinzipielle Sinnhaftigkeit von Modellen bzw. Theorierahmen aber nicht in Frage.

 

Bilder als wahrnehmungsnahe Medien

In der bildtheoretischen Diskussion lassen sich bereits zwei grundsätzliche bildtheoretische Paradigmen unterscheiden – das zeichentheoretische[10] und das wahrnehmungstheoretische[11] Paradigma. Beide besitzen bereits eine längere Tradition, haben einen jeweils unterschiedlichen Einfluss auf die theoretischen Grundlagen der verschiedenen Bilddisziplinen und kommen daher als Kandidaten für ein übergeordnetes Paradigma in Frage. Die Tatsache, dass hier mehrere theoretische Optionen bestehen, macht das Unternehmen insgesamt aber weder sinnlos noch überflüssig. Auch in diesem Grundlagenbereich ist vielmehr anzunehmen, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Um als bildwissenschaftlicher Theorierahmen auftreten zu können, sollte jedes vorgeschlagene Modell jedoch in der Lage sein, auch eine disziplinenübergreifende Strukturierung des Forschungsfeldes zu leisten. Es wäre durchaus zu wünschen, dass hierzu in naher Zukunft verschiedene Alternativen ausgearbeitet werden.

Mein eigener Vorschlag besteht darin, diese beiden Traditionen als sich ergänzende Aspekte zusammenzuführen. Bilder als wahrnehmungsnahe Medien aufzufassen, bedeutet somit, dass für uns ein Gegenstand nur dann ein Bild ist, wenn wir ihm eine Bedeutung auf der Grundlage unserer Wahrnehmungskompetenzen zuweisen. Der Begriff der Wahrnehmungsnähe ist hierbei graduell und relativ zum Zeichenverwender variabel. Er soll nicht darauf hinweisen, dass Medien im Kommunikationsprozess wahrgenommen werden müssen, denn diese Bedingung gilt für den Zeichengebrauch generell. Es geht also selbstverständlich nicht um Wahrnehmbarkeit. Entscheidend ist hier vielmehr, dass auch für die Interpretation bildhafter Medien, mit der ihnen ein Inhalt zugewiesen wird, der Rekurs auf Wahrnehmungskompetenzen konstitutiv ist und die Struktur der Bildträger damit – im Unterschied zu arbiträren, etwa mathematischen Zeichen – zumindest Hinweise auf die Bildbedeutung enthält. Diese Besonderheit der wahrnehmungsnahen Interpretation liegt am stärksten bei illusionistischen Bildern vor. Zwar müssen wir auch hier bereits verstanden haben, dass es sich um ein Bild handelt, und damit eine allgemeine Zeichenkompetenz besitzen; aber um zu bestimmen, was im Bild dargestellt ist, können wir im Wesentlichen auf die Prozesse zurückgreifen, die wir mit der Fähigkeit zur Gegenstandswahrnehmung bereits besitzen.

Ray, Dual Perspective, Juli 2006 (http://www.flickr.com/photos/rayphua/190101021/)  CC (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/)

Ray, Dual Perspective, Juli 2006/Flickr
CC

Hier sind zwei zusätzliche Anmerkungen zum Zeichenbegriff hilfreich. Zunächst ist es wichtig, sich die Funktion des Zeichenbegriffs innerhalb des vorgeschlagenen Theorierahmens klar zu machen. Er dient vor allem der übergeordneten Klassifikation der unterschiedlichen kommunikativen Phänomene. Er liefert den Oberbegriff, wie die Bezeichnung „Lebewesen“ als Oberbegriff dient, um so unterschiedliche Phänomene wie Menschen und Mücken zusammenzuordnen. Natürlich ist dies nur gerechtfertigt, wenn es mindestens eine gemeinsame Eigenschaft gibt. Bei Bildern und nicht-bildhaften Zeichen bestehen diese vor allem darin, dass ein Trägermedium vorliegt, das wir in der Regel zum Zwecke der Kommunikation verwenden, um jemandem etwas zu verstehen zu geben. Eine solche Eigenschaft ist natürlich überaus allgemein und sagt nicht viel über die Besonderheiten von Bildern aus. Die Besonderheiten werden erst durch die sogenannte spezifische Differenz zum Ausdruck gebracht, die im vorliegenden Fall in der Wahrnehmungsnähe bzw. in der perzeptuellen Kompetenz besteht, mit der wir Bilder betrachten bzw. durch die Gegenstände ihren Bildstatus erhalten. Insofern ich die perzeptuellen Kompetenzen also als das entscheidende Moment zum Verständnis von Bildern erachte, ließe sich mein Vorschlag auch als eine perzeptuelle Bildtheorie ansehen, die allerdings um einen Ausgleich mit den semiotischen Ansätzen bemüht ist.

Die zweite Anmerkung zum Zeichenbegriff betrifft die Allgemeinheit, die diesem Begriff zukommen soll. In der Semiotik hat der Zeichenbegriff, wie die Grundbegriffe aller Wissenschaften, sehr unterschiedliche Fassungen erfahren. Die Kritik der semiotischen Bildtheorie sollte also nicht so erfolgen, dass nur ein sehr spezieller Zeichenbegriff zugrunde gelegt wird. Wenn etwa die Referenz auf konkrete Gegenstände als Bedingung von Zeichen angesehen wird,[12] dann werden natürlich ungegenständliche Bilder zu offensichtlichen Gegenbeispielen. Dieser Zeichendefinition zufolge wären allerdings auch Wörter oft keine Zeichen, weil etwa „Einhorn“ oder „Gerechtigkeit“ ebenfalls nicht auf konkrete Gegenstände referieren. Im Gegensatz zu einem auf konkrete Referenz verkürzten Zeichenbegriff sollte bereits dann von einem Zeichen gesprochen werden, wenn erstens ein physisches Objekt als Zeichenträger bzw. als Medium vorliegt und zweitens eine Person diesem Medium eine Bedeutung zuweist. Die Bedeutungszuweisung kann sehr unterschiedlich erfolgen, etwa konventionell im Fall des Klingeltons, der den Beginn der Schulstunde ankündigt, oder eben auf Grundlage unserer Wahrnehmungskompetenzen in dem Fall, in dem wir in einem Gegenstand etwas sehen, was dieser Gegenstand nicht selber ist. Diese Relation des „etwas in etwas sehen“, die nicht von Semiotikern, sondern von dem eher phänomenologisch orientierten Richard Wollheim kreiert wurde,[13] erachte ich also bereits als ein (freilich recht elementares) Beispiel einer Bedeutungszuweisung. Bei ungegenständlichen Bildern kann der Prozess der Bedeutungszuschreibung etwa über deren Selbstreferenz beschrieben werden.[14]

Aus dem Gesagten lässt sich zusammenfassend als minimales Kriterium für eine Allgemeine Bildwissenschaft fordern, dass sie ein Modell entwickeln sollte, das die verschiedenen Bildphänomene miteinander zu verbinden geeignet ist. Über die jeweilige Stellung der einzelnen Bildaspekte ist es dann möglich, auch die zahlreichen Bildwissenschaften in systematischer Weise aufeinander zu beziehen, ohne deren Eigenständigkeit in Frage zu stellen. Wird der Ausdruck „Wissenschaft“ relativ streng aufgefasst, wären zudem einheitliche (oder zumindest aufeinander abgestimmte) methodische Vorgaben zu bestimmen. Eine Allgemeine Bildwissenschaft ist damit auf jeden Fall keine neue, erst noch zu kreierende Disziplin, die neben die bereits ausgebildeten Bildwissenschaften tritt. Sie besteht vielmehr in nichts anderem als in dem übergeordneten Theorierahmen. Als begriffliche Vorklärung liefert dieser die theoretischen Grundlagenreflexionen, die jeder fachspezifische bildwissenschaftliche Forschungsansatz enthalten sollte und die als Voraussetzung für einen fruchtbaren interdisziplinären Austausch gelten können.

Erst mit dem Vorliegen eines solchen Theorierahmens scheint mir dann auch die Analogie zum linguistic turn, die mit den Ausdrücken „pictorial turn“ oder „iconic turn“ angedeutet wird, ihre Berechtigung zu erhalten – nicht schon mit den Hinweisen auf das viel beschworene Phänomen der Bilderflut, auf die zunehmende Bedeutung der elektronischen Bildmedien oder auf den verstärkt erfolgenden ideologischen Einsatz von Bildern –; denn auch der linguistic turn schloss eine Wende zur Linguistik, also nicht nur zur Sprache, sondern zur Sprachwissenschaft ein.

 

 Zur interdisziplinären Verfasstheit der Bildwissenschaft

Gehen wir davon aus, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind, dann ist ihre Erforschung nur im Verbund von semiotischen und wahrnehmungstheoretischen Überlegungen möglich. Dies lässt sich auch so formulieren, dass die begriffliche Analyse nicht nur alle zur Erläuterung eines Begriffs notwendigen Begriffe ins Spiel bringt, sondern damit zugleich die zur angemessenen Erforschung des Phänomens nötigen Disziplinen benennt. Das wären also auf jeden Fall die Semiotik und die (Wahrnehmungs-)Psychologie als die dem Zeichen- und dem Wahrnehmungsaspekt zugeordneten Disziplinen. Da für den Zeichenbegriff aber wiederum der Kommunikationsbegriff wesentlich ist, kommt sicherlich die Kommunikationswissenschaft hinzu. Zudem ist die Medienwissenschaft zentral, weil in der Verbindung von Wahrnehmungsaspekt und Zeichenaspekt die Materialität und damit die Medialität des Bildträgers eine wesentliche Funktion erhält.

Die hier nicht im Einzelnen gelieferten Begründungen für das skizzierte Vorgehen ergeben sich aus dem zugrunde liegenden begriffsanalytischen Ansatz, der zunächst als ein orientierendes Verfahren der Explikation begrifflicher Strukturen und Bedingungsverhältnisse begriffen werden sollte. Anhand einer so verstandenen Analyse werden Begriffe in Begriffsfeldern organisiert und ihre Beziehungen zueinander untersucht. Bei dieser Art der Analyse, die ich als Begriffskartografie bezeichne, werden Begriffe nicht in ihre Bestandteile zerlegt. Vielmehr handelt die Begriffskartografie von den Zusammenhängen, die zwischen dem zu explizierenden Begriff und den zur Explikation nötigen weiteren Begriffen bestehen und die sich metaphorisch als Begriffsnetz bezeichnen ließen. Als Begriffskartografie fragt die in der Regel philosophische Analyse demnach, wie sich die Struktur eines Phänomenbereichs und die Fragestellungen, die sich mit ihm verbinden, relativ zu unseren begrifflichen Instrumenten gestalten und mit welchen Problemen und Möglichkeiten wir im Einzelnen jeweils zu rechnen haben.

Es entsteht auf diese Weise ein Vorschlag, wie die Beziehungen der zahlreichen, sehr heterogenen Bildwissenschaften gedacht werden können. Zudem werden dadurch diejenigen Disziplinen ausgeschlossen, die Bilder nur als methodische Werkzeuge einsetzen – etwa zu diagnostischen Zwecken, wie die Medizin. Zu den Bildwissenschaften sollten nur diejenigen Disziplinen zählen, die zum theoretischen Verständnis der Bildthematik beitragen, die also in systematischer Weise Aussagen machen über die unterschiedlichen Bildformen, Bildtypen und Bildverwendungen, über die verschiedenen Verfahren ihrer Herstellung und Bearbeitung, über die speziellen Bedingungen ihrer Rezeption und Distribution oder auch ganz allgemein über den Begriff des Bildes und seine Stellung innerhalb des wissenschaftliches Diskurses.

Eine Strukturierung der unterschiedlichen Disziplinen im Sinne einer einheitlichen Gesamtdisziplin kann nicht beanspruchen, die wahre Systematik innerhalb der Bildwissenschaften formuliert zu haben. Im Gegensatz zu den objektiv beschreibbaren Forschungsleistungen der einzelnen Disziplinen besitzen derartige Strukturierungsvorschläge prinzipiell nur den provisorischen Charakter von Verfahrensvorschlägen, deren Brauchbarkeit sich immer wieder aufs Neue erweisen muss. Dennoch sind solche Vorschläge nicht beliebig. Ihre Qualität richtet sich nach dem Maß ihrer innersystematischen Stringenz und natürlich nach dem Maß der Synergien, das sie in der interdisziplinären Forschung zu generieren erlauben.

 

Das Ordnungskriterium für die Gliederung, die ich im Folgenden kurz erläutere, ist die Praxisnähe bzw. -ferne der relevanten Disziplinen.[15]

  • Grundlagendisziplinen
  • Historisch orientierte Bildwissenschaften
  • Sozialwissenschaftliche Bildwissenschaften
  • Anwendungsorientierte Bildwissenschaften
  • Praktische Bilddisziplinen

 

Gemäß der Annahme, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind, liegt es zunächst nahe, als Grundlagendisziplinen diejenigen Wissenschaften auszuzeichnen, die sich professionell mit Wahrnehmungsphänomenen (Kognitionswissenschaft, Neurowissenschaft und Psychologie) und mit Zeichenphänomenen (Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Rhetorik, Semiotik) befassen. Diese Gliederung, die sich unmittelbar aus der Analyse des Bildbegriffs ergibt, kann als horizontale Gliederung angesprochen werden. Sie wird als übergeordnete Strukturwissenschaften auch Mathematik, Logik sowie Philosophie umfassen. Dass ich außerdem die Kunstwissenschaft in diesen Bereich einordnen würde, ist vor allem in der Historie des Fachs begründet und bedarf einer Erläuterung. Die Kunstgeschichte ist insofern eine (selbstverständlich besondere herauszuhebende) Grundlagendisziplin, als sie in ihrer bisherigen Geschichte sehr komplexe Beschreibungskategorien herausgebildet hat, die vor allem in der Phänomenerfassung und in der Interpretation konkreter Bilder einen systematisch wichtigen Beitrag leisten. Zudem stellt sie ein Arsenal von beachtenswerten Beschreibungen und Analysen konkreter Bildtypen, Bildformen und Bildtraditionen zur Verfügung, die eine differenzierte Sichtung und kritische Würdigung des vielschichtigen Bildphänomens überhaupt erst ermöglichen und als notwendige Bedingung einer angemessenen wissenschaftlichen Bildforschung gelten können.

Da das Bildphänomen in sehr unterschiedlichen historischen und kulturellen Gestalten auftritt, muss eine Allgemeine Bildwissenschaft auch die entsprechenden historisch orientierten Bildwissenschaften (vor allem Archäologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft und Museumswissenschaft) integrieren. Die hier entwickelten Theorien werden vor allem die Geschichtlichkeit der Bilder und ihre besondere Eignung zur kulturellen Selbstverständigung zum Gegenstand haben. Besondere Verdienste für die Erschließung der Bilder als historische Quellen hat sich insbesondere Gerhard Paul erworben.[16] In den Zusammenhang der historisch orientierten Bildphänomene gehören auch Bildverwendungen, die sich uns heute kaum noch erschließen, wie die Phänomene der Bildmagie oder des Bildzaubers.

Neben der historisch-kulturellen Variabilität lassen sich viele kontext- und funktionsspezifische Besonderheiten der Bildverwendung ausmachen, die eine Beteiligung der verschiedenen Sozialwissenschaften (etwa Erziehungswissenschaft, Kulturwissenschaft, Politikwissenschaft, oder Soziologie) erfordern. Während die historisch orientierten Bildwissenschaften die Theorien der Grundlagendisziplinen um die geschichtlich-kulturelle Dimension ergänzen, entfalten die sozialwissenschaftlichen Disziplinen die Bildthematik relativ zu den speziellen Bereichen und Funktionen der Gesellschaft. Wie die Grundlagendisziplinen sind diese Wissenschaften daher nicht auf bestimmte Bildtypen eingeschränkt, im Unterschied zu jenen behandeln sie je nach fachlicher Ausrichtung aber teilweise sehr spezifische Formen des Bildeinsatzes (etwa den politisch-ideologischen Bildeinsatz).

Gegenüber allen genannten Bereichen bilden die anwendungsorientierten Bildwissenschaften (etwa Informatik, Kartografie, Werbung) eine Gruppe technisch verfahrender Disziplinen. Wie die Computervisualistik als exemplarische angewandte Bildwissenschaft veranschaulichen kann, werden ihre Theorien zur Bildherstellung und Bildbearbeitung immer in Hinblick auf die Realisierung entsprechender Werkzeuge entwickelt. Sie liefern daher keinen reflexiven Beitrag zum Verständnis bildhafter Darstellungsformen. Dennoch bleiben sie auf die übrigen Wissenschaften bezogen, weil ihre Verfahren einerseits die in den sozialwissenschaftlich orientierten Bildwissenschaften formulierten Theorien konkreter Bildverwendungen nicht außer Acht lassen sollten und ihre technischen Modelle und Implementationsverfahren andererseits zur Beurteilung dieser Theorien beitragen können.

Visualisierung der weltweiten Städtepartnerschaften auf einer Weltkarte. Kürzere Entfernungen in hellerer Farbe, Februar 2013. Urheber: Andreas Kaltenbrunner, Quelle: Wikimedia Commons (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Connections_between_sister_cities_visualised_on_a_world_map_%28hotlog%29.svg?uselang=de)  CC (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de)

Visualisierung der weltweiten Städtepartnerschaften auf einer Weltkarte. Kürzere Entfernungen in hellerer Farbe, Februar 2013
Urheber: Andreas Kaltenbrunner, Quelle: Wikimedia Commons CC

Der letzte aufgeführte Bereich der praktischen Bilddisziplinen (etwa Design oder Typografie) umfasst nur im uneigentlichen Sinn Wissenschaften. Denn diesen (oft den künstlerischen Akademien angegliederten) Disziplinen geht es in der Regel primär um die konkrete Gestaltung oder Realisierung von Bildprojekten. Sie als theoretische Disziplinen aufzuführen, halte ich insofern aber für gerechtfertigt, als sie auch Theorien der Bildgestaltung entwerfen, also allgemeine Regeln formulieren, nach denen bei der praktischen Bildherstellung zu verfahren ist.

Die einzelnen genannten Disziplinen gehen nicht in einer Allgemeinen Bildwissenschaft auf, sondern beschäftigen sich in der Regel nur unter anderem mit Bildern. Sie besitzen also zumindest einen bildrelevanten Forschungsbereich, der für das Fach insgesamt aber oft eher marginal ist. Damit geht faktisch einher, dass diese Disziplinen nur Teilbereiche der Bildthematik erforschen. Die Politikwissenschaft beschäftigt sich etwa in dem Teilbereich „Symbolische Politik“ mit einem speziellen Aspekt des Einsatzes von Bildern, aber die meisten Themen, die sie sonst bearbeitet (etwa die makroökonomischen Fragestellungen), haben mit Bildern wenig zu tun. Ähnliches ließe sich sicher von der Kommunikationswissenschaft, von der Soziologie oder auch von der Informatik sagen.

Innerhalb der skizzierten Konzeption ist mit dem Titel „Interdisziplinarität“ nicht nur an eine systematische Verbindung der Grundlagendisziplinen gedacht, sondern auch an eine Verknüpfung von Grundlagenreflexion und Anwendung. Dieser Intention trägt vor allem einer angestrebten engen Beziehung von Bildwissenschaft und Computervisualistik Rechnung. Danach ist letztere eine angewandte Bildwissenschaft, deren Lösung praktischer Probleme der Bildgenerierung und Bildverarbeitung von den grundlagentheoretischen Ergebnissen profitieren kann, wie umgekehrt die Grundlagenreflexion in der Praxis ein geeignetes Korrektiv für ihre Reflexionen finden mag.

Da sich eine allgemeine Bildwissenschaft zentral mit der Frage der interdisziplinären Verfasstheit der Bildforschung beschäftigt, könnte sie in besonderer Weise auch zur paradigmatischen Klärung der Probleme beitragen, die sich üblicherweise mit inter- oder transdisziplinären Verbünden einstellen. Denn wie kaum ein anderes Thema zieht sich die Bildproblematik durch die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche und verbindet so Kultur und Technik oder Kunst und Wissenschaft. Im Unterschied zu vielen anderen Wissenschaften zeichnet sich die Bildwissenschaft in der vorliegenden Konzeption zudem dadurch aus, dass sie zwar wesentlich spezielle Formen des kommunikativen Miteinander zum Thema hat, hierbei aber zugleich mit konkreten, teilweise sehr technischen oder informationstechnologischen Artefakten beschäftigt ist, die sich in ihrer jeweiligen Verwendung als Prüfstein für die entworfenen Theorien heranziehen lassen. Die bildwissenschaftlichen Reflexionen besitzen damit durch ihre zahlreichen Anwendungsgebiete im besonderen Maße ein empirisches Korrektiv

 

Schluss

Die vorangegangenen Darstellungen und Überlegungen lassen sich von der Überzeugung leiten, dass es möglich ist, die Bildwissenschaft als interdisziplinär orientierte und gleichwohl systematisch verfahrende Wissenschaft zu etablieren. Hierzu wird als nötig erachtet, einen gemeinsamen Theorierahmen zu entwickeln, der für die unterschiedlichen Disziplinen ein integratives Forschungsprogramm bereitzustellen vermag. Der Theorierahmen muss so konzipiert sein, dass er einerseits den unterschiedlichen Bildbegriffen Rechnung trägt und andererseits hinreichend Anknüpfungspunkte für die verschiedenen disziplinspezifischen Zugangsweisen eröffnet. Ein konkreter Vorschlag hierzu besteht in der These, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind. Diesen Vorschlag im Einzelnen auszugestalten, kann nur mit der disziplinären Unterstützung der einzelnen Bildforscher gelingen.

 

[1] Vgl. als Überblick Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt a.M. 2005.

[2] Vgl. Hans Dieter Huber, Bild, Beobachter, Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft, Ostfildern-Ruit 2004, online unter http://www.hgb-leipzig.de/artnine/huber/aufsaetze/bbm.pdf; Stefan Majetschak (Hrsg.), Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, München 2005; Klaus Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft (2003), 3., überarbeitete Neuauflage, Köln 2013; Klaus Sachs-Hombach, Wege zur Bildwissenschaft. Interviews, Köln 2004.

[3] Zur Geschichte der Bildtheorie siehe Oliver R. Scholz, Art. „Bild“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, Stuttgart 2000, S. 618-669.

[4] Vgl. Marius Rimmele/Bernd Stiegler (Hrsg.), Visuelle Kulturen/Visual Culture zur Einführung, Hamburg 2012.

[5] Vgl. Gyula Pápay, Kartografie, in: Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft, S. 281-295.

[6] Gottfried Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild? München 1994; Horst Bredekamp, Art. „Bildwissenschaft“, in: Ulrich Pfister (Hrsg.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart 2003, S. 56-58; Hans Belting (Hrsg.), Bilderfragen: Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007.

[7] Vgl. zu den bildtheoretischen Aspekten Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des visualistic turn, Frankfurt a.M. 2009.

[8] Vgl. hierzu insbesondere Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium; Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft; Klaus Sachs-Hombach, Bildwissenschaft als interdisziplinäres Unternehmen, in: Torsten Hoffmann/Gabriele Ripple (Hrsg.), Bilder. Ein (neues) Leitmedium? Göttingen 2006, S. 65-78.

[9] Vgl. Umberto Eco, Einführung in die Semiotik (1968), 7. Auflage, München 1991, hier 17ff.

[10] Vgl. hierzu etwa Nelson Goodman, Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis 1968; siehe auch Oliver R. Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung (1991), 3., überarbeitete Auflage, Frankfurt a.M. 2011.

[11] Vgl. hierzu etwa Ernst H. Gombrich, Art and Illusion. A Study in the Psychology of Pictorial Representation, Princeton (NJ) 1960.

[12] Vgl. etwa Gernot Böhme, Theorie des Bildes, München 1999, 27ff.

[13] Vgl. Richard Wollheim, Art and its Objects, 2nd Edition with six Supplementary Essays, Cambridge 1980.

[14] Vgl. Winfried Nöth, Zeichentheoretische Grundlagen der Bildwissenschaft, in: Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln 2005, S. 33-44.

[15] Vgl. die Einleitung in Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft.

[16] Gerhard Paul, Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006; ders., BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013.

 

Literatur

Hans Belting (Hrsg.), Bildfragen: Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München: Fink 2007

Gottfried Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild? München: Fink 1994

Gernot Böhme, Theorie des Bildes, München: Fink 1999

Horst Bredekamp, Art. „Bildwissenschaft“, in: Ulrich Phister (Hrsg.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Metzler: Stuttgart 2003, S. 56-58

Umberto Eco, Einführung in die Semiotik (1968), 7. Auflage, München: Fink (UTB) 1991.

Ernst H. Gombrich, Art and Illusion. A Study in the Psychology of Pictorial Representation, Princeton (NJ): Princeton University Press 1960

Nelson Goodman, Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis: Hackett 1968.

Hans Dieter Huber, Bild, Beobachter, Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag 2004.

Stefan Majetschak (Hrsg.), Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, München: Fink 2005

Winfried Nöth, Zeichentheoretische Grundlagen der Bildwissenschaft, in: Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln: Halem Verlag, 2005, S. 33-44

Gyula Pápay, Kartografie, in: Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft, Disziplinen, Themen und Methoden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, S. 281-295.

Gerhard Paul, Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006

Marius Rimmele/Bernd Stiegler (Hrsg.), Visuelle Kulturen/Visual Culture zur Einführung, Hamburg: Junius 2012

Oliver R. Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung (1991), 3., überarbeitete Auflage, Frankfurt am Main: Verlag Vittorio Klostermann 2011

Oliver R. Scholz, Art. „Bild“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, Stuttgart: Metzler 2000, S. 618-669

Klaus Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft (2003), 3., überarbeitete Neuauflage, Köln: Halem Verlag 2013

Klaus Sachs-Hombach, Wege zur Bildwissenschaft. Interviews, Köln: Halem Verlag 2004

Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildwissenschaft, Disziplinen, Themen und Methoden, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005

Klaus Sachs-Hombach, Bildwissenschaft als interdisziplinäres Unternehmen, in: Torsten Hoffmann/Gabriele Ripple (Hrsg.), Bilder. Ein (neues) Leitmedium? Göttingen: Wallstein-Verlag 2006, S. 65-78

Klaus Sachs-Hombach, (Hrsg.), Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des visualistic turn, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009

Charles P. Snow, Die zwei Kulturen. Rede Lecture (1959), abgedruckt in: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. C. P. Snows These in der Diskussion, hg. von Helmut Kreuzer, München: dtv 1987

Richard Wollheim Wollheim, Art and its Objects, 2nd Ed., Cambridge: Cambridge University Press 1980

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/10/07/zur-theorie-einer-interdisziplinaeren-allgemeinen-bildwissenschaft/

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Visual History

Quelle: Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau ©

In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst. Ihren Exponenten geht es darum, Bilder über ihre zeichenhafte Abbildhaftigkeit hinaus als Medien und Aktiva mit einer eigenständigen Ästhetik zu begreifen, die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, Deutungsweisen transportieren, die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren und in der Lage sind, eigene Realitäten zu generieren.

Visual History in diesem Sinne ist damit mehr als eine additive Erweiterung des Quellenkanons der Geschichtswissenschaft oder die Geschichte der visuellen Medien; sie thematisiert das ganze Feld der visuellen Praxis sowie der Visualität von Erfahrung und Geschichte. Methodisch ist das Forschungsdesign der Visual History transdisziplinär und offen angelegt. Abhängig von ihren Untersuchungsgegenständen bedient sie sich besonders der Methoden der Kunstgeschichte, der Medien- und der Kommunikationswissenschaft.

 

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Gerhard Paul, Visual History, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 13.3.2014

Quelle: Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau ©

Stanislaw Mucha (Krakau), Torhaus Auschwitz-Birkenau, Aufnahme nach der Befreiung des Lagers Mitte Februar/Mitte März 1945. Die Aufnahme zeigt das Torhaus des Vernichtungslagers Birkenau aus der Perspektive der sogenannten Rampe. Am Rande des Fotos ist deutlich der auf den Betrachter zulaufende Stacheldrahtzaun zu sehen. Das „Fot. Nr. 28“ entstammt einem Fotoalbum mit 38 Aufnahmen des befreiten Lagers, das Mucha dem Museum Auschwitz überlassen hat. Dem Album hat Mucha ein Vorwort beigefügt, in dem er schildert, wie er nach der Befreiung des Lagers im Auftrag einer sowjetischen Untersuchungskommission 100 Fotos des befreiten Lagers anfertigte. Weitere Fotos dieser Serie befinden sich heute in Warschau im Polnischen Institut des nationalen Gedenkens (IPN). Das Foto von Mucha zählt zu den bedeutendsten Ikonen des 20. Jahrhunderts. Es ist in Büchern, Zeitschriften und Ausstellungen immer wieder als „Ikone der Vernichtung” reproduziert worden, obwohl es de facto das Torhaus nach der Befreiung zeigt. Durch seinen kompositorischen Aufbau übt das Bild eine geradezu magische Kraft auf den Betrachter aus. Zugleich suggeriert es eine bestimmte Deutung des Holocaust als ein modernes täterloses Verbrechen, die lange Zeit anschlussfähig an strukturalistische Theorien des Holocaust war. Eine der Visual History verpflichtete Analyse der Fotografie von Mucha hätte das Bild zunächst realienkundlich nach den auf der Fotografie abgebildeten Gegenständen sowie ikonologisch nach dem kompositorischen Aufbau sowie der immanenten Triebkraft von diesem bestimmt (Abbildungsrealität). Dem würde die Untersuchung des historisch-politischen Kontextes folgen, in dem das Foto entstanden ist (Entstehungsrealität). Eine dritte Untersuchungsebene hätte sich der synchronen wie diachronen Nutzung und Rezeption des Bildes in unterschiedlichen politischen, kulturellen und medialen Zusammenhängen zu widmen (Nutzungsrealität). Abgeschlossen würde die Analyse mit der Untersuchung der Funktionen und Wirkungen, die das Bild im kulturellen Gedächtnis gezeitigt hat (Wirkungsrealität). Ausführlich zu dieser Fotografie Christoph Hamann, Fluchtpunkt Birkenau. Stanislaw Muchas Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau (1945), in: Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 283-302. – Quelle: Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau ©

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/05/31/visual-history/

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Methodenworkshop: Bilder als wissenschaftliche Quelle

Erste Seite des Hochzeitsalbums einer jungen Frau aus Dakar, 2004

In vielen historischen, kultur-, medien- und politikwissenschaftlichen oder ethnologischen Forschungsprojekten besteht der Wunsch und nicht zuletzt auch die Notwendigkeit, neben schriftlichen Quellen auch Bilder als Quellen gewinnbringend in das Forschungsvorhaben einzubringen. Trotz der bereits erschienenen methodischen Hilfestellungen zeigt sich außerhalb der kunst- und bildwissenschaftlichen Praxis eine gewisse Unsicherheit.[1] Innerhalb der unterschiedlichen Forschungsvorhaben und den davon abhängigen, spezifischen Zugängen zu Bildquellen ist die Frage, welche Methoden und Analyseverfahren im Kontext der eigenen Fragestellungen eingesetzt werden können, nach wie vor präsent.

Von dieser Schwierigkeit im praktischen Umgang mit Bildern – seien es Gemälde, Grafiken, Fotografien, Comics, Logos oder Videobilder – ausgehend, entstand auf Initiative von Daniela Fleiß in Zusammenarbeit mit dem Doktorandenkolleg Locating Media im Rahmen der Nachwuchsförderung an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen die Idee eines Methodenworkshops, der sich konkret und praktisch mit Bildern als wissenschaftliche Quelle beschäftigen sollte. Ziel der eintägigen Veranstaltung, an der neben den Organisatorinnen und den eingeladenen ReferentInnen vorwiegend DoktorandInnen teilnahmen, war das Zusammentragen konkreter methodischer Lösungsansätze sowie die Reflexion bereits vorhandener Erkenntnisse im wissenschaftlichen Umgang mit Bildquellen.

In den einführenden Grußworten von ANGELA SCHWARZ (Siegen), Prodekanin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, GABRIELE SCHABACHER (Siegen), wissenschaftliche Koordinatorin des Graduiertenkollegs, und DANIELA FLEIß (Siegen), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, wurde nochmals die Notwendigkeit einer Diskussion über die zur Verfügung stehenden Methoden und deren Anwendung und Brauchbarkeit deutlich.

Die drei Impulsreferate, die den ersten Teil des Workshops gestalteten, stellten bereits erprobte Methoden vor und zur Diskussion. In Vertretung von JENS JÄGER (Köln), der persönlich nicht anwesend sein konnte, las Angela Schwarz dessen Vortrag Kein Bild ohne Kontext. Oder: Gibt es kontextunabhängige Bedeutungen? vor, in dem fotografische Bilder im Mittelpunkt standen. Sein Ausgangspunkt war es, auf Probleme, die sich bei der Arbeit mit fotografischen Quellen ergeben können, aufmerksam zu machen und konkrete Lösungsansätze vorzustellen. So besteht nach Jäger die Schwierigkeit weniger im Umgang mit sogenannten Ikonen, zu denen die wichtigsten Informationen vorliegen, als vielmehr im Umgang mit denjenigen Fotografien, deren Entstehungskontext und Rezeptionsbedingungen nicht bekannt sind. Für die Bearbeitung solcher Bildquellen schlug Jäger vor, sie als Teil des Narrativs zu untersuchen, in welches sie eingebunden sind. Auch wenn jegliche Informationen über den Bildträger hinaus verloren gegangen sind, so existiert doch das Bildobjekt selbst, das auf seine technische Herstellung und ästhetische Erscheinung hin befragt werden kann. Insbesondere letztere folgt Konventionen, die Aufschlüsse über die Entstehungszeit oder die Funktion des Bildes eröffnen können. Bereits diese Informationen lassen eine kritische Quellenanalyse zu. Dabei, so Jäger schließlich, dürften Bildquellen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen stets in Beziehung zu anderen Quellen – auch unterschiedlicher Art – gesetzt werden. Auf diese Weise verneinte er die eingangs gestellte Frage nach der Existenz einer kontextunabhängigen Bedeutung: Denn auch wenn über die Fotografien selbst keine konkreten Informationen vorliegen, so können über ihre Materialität und Erscheinung Rückschlüsse auf ihren Entstehungskontext gezogen werden. Auf diese Weise bleibt kaum eine Bildquelle kontextlos.

Daran schloss der Vortrag MARTIN KNAUERS (Münster) auch inhaltlich an, indem er exemplarisch an einem Bildtypus aufzeigte, wie der von Jäger angesprochene Kontext und dessen Erschließung rekonstruiert werden könne. Knauer spannte dabei den Bogen vom Herrscherbildnis über aktuelle politische Porträts hin zu einer besonderen Form des gegenwärtigen Selbstporträts: dem Selfie, das in jüngster Zeit über soziale Internetplattformen eine wachsende Verbreitung findet. Knauer führte vor Augen, wie sich dieses an die Darstellungskonventionen des traditionellen Bildtypus anlehnt. Als Beispiele dienten hier Herrscherbildnisse und aktuelle Pressebilder Putins, die ebenfalls durch das Zurückgreifen auf bereits bestehende Repräsentationstraditionen nicht zuletzt auch eine spezifische Rezeption auslösen. In allen drei Beispielen bestätigten sich formale Parallelen in der (Selbst-)Darstellung. Das Selfie gibt der Gattung Porträt eine neue Relevanz, die nicht zuletzt auch ein wissenschaftliches Potenzial bereithält. Doch wie kann methodisch mit diesen Bildern gearbeitet werden? Für eine erste Annäherung empfahl Knauer einen assoziativen Umgang, der schließlich um traditionelle Fragestellungen ergänzt werden müsse, um die Tradition, die Funktion und den Gebrauch dieser Bilder erschließen zu können.

Den Ausgangspunkt des dritten Vortrags von ANDREAS ZEISING (Siegen) bildete schließlich die Frage: Was macht die Kunstgeschichte mit Bildern? So verdeutlichte Zeising, dass sich die Kunstgeschichte zwar nicht nur mit Bildern beschäftige, der Umgang mit diesen jedoch eine Kernkompetenz des Fachs darstelle. Folglich würden sich auch die Methoden der bildwissenschaftlichen Anschauung aus der Kunstgeschichte heraus entwickeln, da auch Bilder außerhalb des klassischen Bereichs der Kunst auf ihre Bildlichkeit hin untersucht werden müssten. Hier lieferten die Methoden, die innerhalb der Kunstgeschichte entwickelt worden seien, ein wertvolles Instrumentarium, das von den Bildern aus denke und nach deren Funktionsweisen frage. Drei von Zeising abschließend vorgestellte Methoden – Rezeptionsästhetik, (politische) Ikonografie und Interpiktorialität – könnten sich schließlich auch für eine Bildanalyse außerhalb der kunsthistorischen Forschung eignen.

Richard Caton Woodville: Eine Warnung, in: Das Buch für alle, Jg. 33, Heft 19 (1897), S. 453.

Richard Caton Woodville, Eine Warnung, in: Das Buch für alle, Jg. 33, Heft 19 (1897), S. 453.
Aus dem Promotionsprojekt „The Gift of History: Geschichtspopularisierung transnational in britischen und deutschen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts“ (Arbeitstitel)
von Tobias Scheidt, Universität Siegen

Der zweite Teil des Workshops diente dazu, in Kleingruppen methodische Schwierigkeiten an konkreten Einzelbeispielen zu diskutieren. Im Vorfeld waren die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert worden, Bildbeispiele mitzubringen, um so die im jeweiligen Forschungsvorhaben auftretenden methodischen Schwierigkeiten zu veranschaulichen. In der gemeinsamen Gruppendiskussion wurde schließlich an potenziellen Lösungen gearbeitet. In der Gruppe, die von Martin Knauer angeleitet wurde, fanden sich die Projekte zusammen, die sich zeitlich vor 1900 orientieren. Dabei standen Druckgrafiken und Fotografien vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert zur Diskussion. Thematisch reichte das Spektrum der zu behandelnden Bilder von Illustrationen in historischen Lehrbüchern und der illustrierten Presse bis hin zu kolonialen sowie wissenschaftlichen Fotografien und Ausstellungsaufnahmen. In der zweiten, von Andreas Zeising moderierten Gruppe, wurden Bildquellen aus dem 20. und 21. Jahrhundert präsentiert und besprochen. Diese stammen aus Forschungsprojekten zur Umweltbewegung, zur Selbstpräsentation von Militärfirmen, zu Medienpraktiken im Kontext der Migration, zum Kalten Krieg in Computerspielen, zur Fabrik als touristischer Ort um 1900 und zur Straße als Massenmedium.

Bei der Präsentation und Diskussion der Fallbeispiele kristallisierten sich trotz der Bandbreite an Themen und Quellen in beiden Gruppen ähnliche Fragen und Schwierigkeiten heraus. So wurde diskutiert, wie aus einem großen Bildkorpus eine repräsentative, aussagekräftige Auswahl an Einzelbildern getroffen werden kann, die sich für eine detaillierte Analyse eignet. Dabei wurde der Vorschlag eingebracht, den Korpus in verschiedene Kategorien, die abhängig vom jeweiligen Bildkorpus ggf. selbst generiert werden müssen, zu unterteilen, um festzustellen, wie repräsentativ ein Einzelbild für den gesamten Bildbestand ist. Schließlich könnten sowohl typische wie auch untypische Bilder zur genaueren Behandlung ausgewählt werden, um einen Gesamteindruck des Bestands zu garantieren. Dabei wurde eine Auswahl und Kombination möglichst verschiedener Bildmedien, sofern diese innerhalb eines Themas relevant sind, gutgeheißen.

Mehrfach kam darüber hinaus die Problematik zur Sprache, über nur wenige Zusatzinformationen zu den Bildern zu verfügen. Sowohl bei wissenschaftlichen Fotografien wie auch bei Kolonialaufnahmen sind Entstehungsbedingungen und Urheber der Aufnahmen häufig unbekannt. Hierbei stellten sich die Fragen, wie diese Bilder behandelt werden können und welche Informationen dennoch rekonstruierbar sind. Auch der Umgang mit filmischen Bildern sowie die Rolle und Bedeutung eines Filmstills in der Analyse der narrativen Struktur wurden diskutiert. In den einzelnen Diskussionen wurden dabei die in den Impulsreferaten vorgeschlagenen Methoden und Lösungsansätze nochmals aufgegriffen. Die von Jäger betonte Notwendigkeit, stets den Kontext mitzudenken, in dem die Bilder eingebettet sind und der sich in zeitgenössischen Bildwelten, Bildpräsenzen und Bildpraktiken äußert, wurde bekräftigt. Auch die von Zeising vorgestellten Methoden erwiesen sich als hilfreich.

Erste Seite des Hochzeitsalbums einer jungen Frau aus Dakar, 2004

Erste Seite des Hochzeitsalbums einer jungen Frau aus Dakar, 2004.
Aus dem Promotionsprojekt „Medien, Geschlecht und Generationen: translokale Vernetzungen und mediale Räume von Senegales_innen in Berlin und Dakar“ von Simone Pfeiffer, Universität Siegen

Nach der Gruppenarbeit kamen abschließend nochmals alle TeilnehmerInnen zusammen, um die Ergebnisse der Gruppendiskussionen zu präsentieren. Insgesamt stellte sich heraus, dass für die Arbeit an und mit Bildern kein Patentrezept geschrieben werden kann. Abhängig von der Fragestellung nehmen Bilder als Quelle unterschiedliche Relevanzen ein und verlangen je nach Disziplin, Quantität und Qualität individuelle Methoden. So können nicht nur bereits existierende Herangehensweisen helfen, sondern Untersuchungsmöglichkeiten müssen oftmals gänzlich neu gedacht werden. Darin liegt zum einen eine Schwierigkeit, zum anderen aber auch ein Gewinn für die historische Bildforschung.

Als Fazit wurde empfohlen, die Bilder in ihrer Materialität und historischen Dimension zu behandeln sowie stets deren Herstellungs- und Verbreitungsbedingungen zu berücksichtigen. Erst in dieser Kombination kann eine dem Bild gerechte und für das Forschungsvorhaben gewinnbringende Analyse erfolgen. Auch die Kombination mit anderen Quellen wurde nochmals betont, in deren Verbund das Bild zwar eine eigene, jedoch nicht isolierte Rolle einnehmen müsse. Abschließend wurde dazu ermutigt, ergebnisoffen an Bilder heranzutreten und nicht eine ungeprüfte These auf das Bild anzuwenden, wodurch andere Deutungsmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen würden.

Insgesamt kann auf einen sowohl in seinem Format, seiner Struktur wie auch seiner inhaltlichen Diskussion sehr gelungenen Workshop zurückgeblickt werden. Die große Bandbreite an fachlichen Disziplinen, unterschiedlichsten Bildtypen und Forschungsthemen bestätigte, welch hoher Stellenwert dem Bild als wissenschaftlicher Quelle zugeschrieben werden muss und dass die Etablierung eines sicheren und selbstverständlichen Umgangs mit diesen ein wichtiges Vorhaben ist.

 

[1] Zur Einführung in die historische Bildforschung siehe u.a.: Martina Heßler, Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der frühen Neuzeit, München 2006; Jens Jäger, Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische Bildforschung, Tübingen 2000; Jens Jäger, Fotografie und Geschichte, Frankfurt a.M. 2009; Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur „Visual History“ des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013; Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006.

 

Siehe auch den Tagungsbericht von Tobias Scheid: Bilder als wissenschafliche Quelle. Interdisziplinärer Methodenworkshop auf H-Soz-u-Kult vom 30.6.2014.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/05/19/methodenworkshop-bilder-als-wissenschaftliche-quelle/

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Hinweise zur Bildrecherche

Screenshot flickr.com, Bildersuche "Geschichte" mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

 

Screenshot flickr.com, Bildersuche "Geschichte" mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

Screenshot flickr.com, Bildersuche “Geschichte” mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

Die Redaktion der „Zeithistorischen Forschungen / Studies in Contemporary History“ hat einen umfassenden Ratgeber zur Bildrecherche zusammengestellt,  auf den wir hier im Blog visual-history.de gerne hinweisen möchten. Unter anderem stellt der Ratgeber Bilddatenbanken (nichtkommerziell und kommerziell) und Plattformen vor, gibt eine nach thematischen Schwerpunkten sortierte Übersicht über Bildarchive und präsentiert ausgewählte Bildbände sowie eine aktuelle Sammlung nützlicher Links zur Bildrecherche. Das Dokument steht als pdf zum Download zur Verfügung.

 

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/01/22/hinweise-zur-bildrecherche/

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