Vor Kurzem hatte die geisteswissenschaftliche Blogosphäre einen Grund, sich selbst zu feiern! Klaus Graf veröffentlichte am 10. Februar 2015 im Frühneuzeit-Blog der RWTH Aachen, einem Blog der hiesigen Plattform, seine Analyse eines Handschriftenfundes. Das wird deswegen als bemerkenswert betrachtet, weil der Fund in seiner Wichtigkeit – Sensation – für Forscher vom Fach nicht zu umgehen ist und weil er in seiner Wichtigkeit die Kommunikationsform adelt, in der die Analyse öffentlich gemacht wurde. Am 28. Februar 2015 kommt es mit leichten Überarbeitungen auf dem Mittelalter-Blog zu einer erneuten Publikation, die auch eine 43-seitige PDF-Version bereitstellt. Beide unter einer CC BY 3.0 DE-Lizenz, die vor allem zur Namensnennung verpflichtet.
Wie Mareike König im Redaktionsblog kommentiert, wird (inner-)wissenschaftliches Bloggen vor allem als Möglichkeit zur Diskussion von work in progress betrachtet. Das macht es der Print-Community leicht, wissenschaftliches Bloggen zu übersehen oder zu ignorieren. Deswegen wertet sie Grafs Blogeinträge sowohl als “Geschenk” für die Plattform hypotheses.org und das wissenschaftliche Bloggen allgemein, als auch als “Provokation” an die Print-Wissenschaft, weil dieser wichtige Fund bzw. seine Beschreibung und Analyse nicht in einer gedruckten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde.
Natürlich entfacht sich in den anschließenden Kommentaren gleich eine Diskussion darüber, wie provokativ der Blogeintrag Klaus Grafs vor dem Hintergrund anderer Blogprojekte und ihrer Veröffentlichungen von wichtigen Funden und Erkenntnissen wirklich sei und ob er sich nicht vielmehr einreihe in eine – gerade für die Geschichtswissenschaft recht rege – Bloggingpraxis, die wesentliches zu disziplinären und gegenstandsbezogenen Diskursen beitrage.
König stellt im oben erwähnten Eintrag des Redaktionsblogs aber die Vorzüge des Publizierens im Blog heraus:
“Das Blog ermöglichte die schnelle Publikation, die frei zugänglich ist und keine Beschränkungen (Inhalt, Textlänge, Verlinkungen, Abbildungen) aufweist. Eine Zweitpublikation in einer Fachzeitschrift oder das Einstellen in einem Repositorium (Vorschlag Eric Steinhauer) kann auch später noch erfolgen, sofern überhaupt gewünscht. Denn das Frühneuzeit-Blog der RWTH ist bibliothekarisch gesehen eine vollwertige fortlaufende Publikation, sie besitzt eine eigene ISSN, die Inhalte werden von OpenEdition archiviert.”
Ein Blogeintrag steht also einer Zeitschriftenpublikation in nichts nach? Publikationsgeschwindigkeit, Open Access, Darstellungspotenzial, Archivierbarkeit, mit paginierter PDF sogar einfach zu zitieren… das alles spricht für sich selbst. Zumindest scheinbar. Im Diskussionsverlauf wird auch gleich der Vergleich zwischen Blogeinträgen und Peer-Review-Artikeln gezogen. Gewissermaßen das Zünglein an der Wage.
Mag die Stilisierung der betreffenden Publikationsformenwahl gerechtfertigt sein oder nicht; Einträge in Weblogs werden über kurz oder lang keine vollumfänglich gleichwertigen Veröffentlichungen darstellen, wie Beiträge in Zeitschriften oder Sammelbänden. Und es schiene mir auch absurd, sie in gleicher Weise “bei Berufungsverfahren [zu] berücksichtig[en]” (König, s.o). Wollte man das, müsste man sie wohl ihrer medialen Spezifik berauben, ihre Offenheit, Flexibilität und Heterogenität zähmen, indem man sie in die Publikations- und Organisationsinfrastrukturen des innerwissenschaftlichen Diskurses einfädelte. Was bliebe dann noch vom Bloggen übrig?
Ich frage mich auch, in wie weit die Wahl zum Blog als bevorzugten Publikationsort einer originären Arbeit dieses Gewichts nicht wesentlich auch deswegen möglich wurde, weil Klaus Graf nun mal ein schon gestandener Historiker ist. Hätte ein solcher wissenschaftlicher Artikel auch von einem Nachwuchswissenschaftler in einem vielleicht noch recht frischen Blog gepostet werden können und dabei dieselbe Aufmerksamkeit genossen und dasselbe Vertrauen gewonnen?
Viel plausibler scheint es mir da zu sein, dem in der Diskussion ebenfalls erwähnten Credo zu folgen: “Vergesst die wissenschaftliche Anerkennung von Blogs!” Wenn man versuchen wird, Blogs und ihre Einträge in die Anerkennungs-, Vergleichbarkeits- und Qualitätssicherungsmaschinerie der Wissenschaft einzufädeln, werden ihre spezifischen und noch nicht ausgeschöpften diskursiven Potenziale massiv verschoben, wenn nicht aufgehoben werden. Artikel wie der von Klaus Graf zeigen: Fertige Arbeiten werden anders kommentiert als work in progress.
Weblogs mit Zeitschriften zu vergleichen, erscheint mir immer unfruchtbarer, je länger ich an meiner Diss sitze und analysiere, wie ihr Potenzial ‘hier und da’ und auf welche Weise ausgenutzt wird. Weblogs mehr zu behandeln, als ‘wären’ sie Tagungen oder Workshops, scheint mir ihnen gerechter zu werden. Der SozBlog bspw. ist voller Versuche, eine solche Auffassung mal mehr, mal weniger explizit in die Tat umsetzen.
Quelle: http://metablock.hypotheses.org/906