Digitale Öffnung der Geisteswissenschaften: Video-Zusammenfassung und Materialien zum DH Summit 2015

Der DH Summit 2015 im Berliner Harnack-Haus war von einer ertragreichen Aufbruchsstimmung geprägt, die sich auch in der neuen Video-Zusammenfassung zeigt.

Wer in diesem Jahr nicht dabei sein konnte, findet  Bilder, Poster und weitere Videos auf der Seite https://de.dariah.eu/dhsummit2015.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4958

Weiterlesen

Digital Publizieren: Wie schreibt man im digitalen Zeitalter?

Die Anwendung von verschiedener Software und semantischen Technologien hat sich in den letzten Jahren – hierbei sind sich die meisten Fachexperten einig – etwa in der Linguistik, Kunst-, Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Archäologie, Medienwissenschaft, langsamer und mühsamer jedoch in den Geschichtswissenschaften etabliert. Auch in der fachübergreifenden Debatte über Digitale Humanities wird den Geschichtswissenschaften immer noch eine Rolle des Außenseiters nachgesagt. Dabei ist nicht nur die Nutzung der im Web vorhandenen Informationen für die Geschichtswissenschaften essenziell, auch die Herstellung wissenschaftlicher Inhalte ohne die Nutzung aktueller digitaler Werkzeuge scheint beinahe undenkbar. Das Web fungiert dabei nicht nur als Ort der schnellen Findung und Verbreitung notwendiger Fachinformationen, wobei nach Wörterbüchern, Nachschlagewerken, Enzyklopädien, ja gar Rezensionen heute eher im Internet recherchiert wird. Es stellt auch Werkzeuge zur Erstellung und weltweiten Verbreitung eigener Forschungsergebnisse bzw. -informationen bereit, die durch vereinfachte Nutzung selbst für Laien leicht verständlich und zugänglich sind. Internationalisierung der Forschung und der Lehre, die letztere durch die von den Universitäten angebotenen Online-Kurse, erreicht somit eine nie zuvor vorhandene Dimension.

Die Nutzung des Internets hat also nicht nur ein qualitativ neues Verständnis der wissenschaftlichen Kommunikation geschaffen, die Fachgemeinschaft sieht sich mit neuen Textformaten konfrontiert, bei denen es sich allerdings noch herausstellen wird, inwiefern diese zum wissenschaftlichen Kulturgut gezählt werden können.

Wie verändern sich dabei aber der Schreibprozess und das Format der Texte, die wir verfassen?

Die Praxis zeigt auf der transnationalen Ebene in dieser Hinsicht zahlreiche kulturelle Unterschiede: Die Diskussion prägen beispielsweise Fragen, wie der wissenschaftliche Schreibprozess sich international im Hinblick auf Digital Humanities verändert. In der elektronischen Publikationskultur lässt sich die Diskrepanz sowohl im Vergleich zum osteuropäischen, als auch im englischsprachigen Raum feststellen. Die Praxis beispielsweise, sofort und direkt auf elektronische Publikationen einzugehen, diese zu kommentieren bzw. zu diskutieren, was bei englischsprachigen Veröffentlichungen ausgiebig genutzt wird, ist in Deutschland zumindest in diesem Ausmaß noch nicht zu beobachten. Auch solchen Formaten wie Preprints, die im englischsprachigen Raum große Akzeptanz finden, steht die Fachgemeinschaft in Deutschland mehr als kritisch gegenüber.

Aus dieser Perspektive soll gefragt werden, wie die neuen Technologien für die moderne elektronische Publikationskultur effektiver eingesetzt werden können? Was würde es für die gegenwärtige Publikationskultur bedeuten, wenn wir uns beim Schreibprozess nicht mehr für bestimmte Datentypen und Formate entscheiden bzw. uns von wertvollem Material trennen müssten, weil diese auf dem „traditionellen“ Wege nicht publiziert werden können? Wie sollen die elektronischen Veröffentlichungen technisch ausgestattet werden, damit eine internationale Kommunikation mit der betroffenen Fachgemeinschaft möglich ist? Welche Werkzeuge wären für eine international ausgerichtete kollaborative Arbeitsweise erforderlich? Wie sollten sich die Historiker auf diese Arbeitsweise vorbereiten? Welche technischen Kenntnisse sollten vorausgestellt werden? Wie wird schließlich so eine Praxis unsere gegenwärtige Publikationswelt verändern?

Die formulierten Fragen werden am Beispiel eines webbasierten digitalen Redaktionssystems, das gerade im Rahmen des Projekts OstDok erprobt wird, kritisch hinterfragt sowie die technischen Möglichkeiten im Hinblick auf die landesweite bzw. internationale digitale Zusammenarbeit geprüft. Das Feld osteuropäische Geschichte eignet sich für dieses Beispiel besonders gut, denn sowohl die rechtlichen, als auch die kulturellen Unterschiede sowie das abweichende Verständnis der Digital Humanities insgesamt eine vielseitige Betrachtung des Themas ermöglichen.

Zur Person:

Arpine Maniero, Studium der Geschichte und Pädagogik an der Staatlichen Pädagogischen Universität in Yerewan, Armenien. Seit September 2001 war sie im Rahmen eines DAAD-Stipendiums an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie anschließend von 2002 bis 2006 als Promotionsstudentin im Fach Geschichte Ost- und Südosteuropas eingeschrieben war. In diesem Zeitraum war sie Mitarbeiterin des Osteuropa-Instituts München im Rahmen des Projekts Virtuelle Fachbibliothek Osteuropa (ViFaOst). Seit 2009 ist sie stellvertretende Bibliotheksreferentin und Koordinatorin des Projekts Osteuropa-Dokumente online (OstDok) im Collegium Carolinum München.

Quelle: http://dhtg.hypotheses.org/238

Weiterlesen

Pagode? Pagode!

In den Texten zu “Groß-Peking” (1892) tauch(t)en immer wieder ‘Pagoden’ auf. Aus dem Kontext wird schnell klar, dass hier weder Gebäude noch Münzen oder Gewichte gemeint sind. Es geht vielmehr um Figuren, deren Köpfe und Hände beweglich sind.

Die Suche nach ‘Pagode’ in einschlägige allgemeinen Enzyklopädien und Wörterbüchern liefert zum Teil überraschende Ergebnisse. So fehlt die gesuchte Bedeutung bei Zedler und Krünitz. In Zelders Universal-Lexicon werden unter ‘Pagode’ zwar Bauwerke in Indien und China und Götzenbilder angeführt, die so genannten ‘Wackelpagoden’ fehlen.[1] In Krünitz’  Enzyklopädie[2] kommen unter ‘Pagode’ neben dem Bauwerk und den darin befindlichen Figuren zwar auch Münzen und Gewichte vor, die hier gesuchte Bedeutung fehlt.

Wackelpagode
Wackelpagode (Meißen, um 1900).
Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig. Inventarnummer: L/3/2005: Wackelpagode. Meißen (Porzellanmanufaktur). 1900 (um).
(CC BY-NC-SA 3.0 DE)

Gustav Flügel[3] beschreibt in seinem umfangreichen Beitrag ‘Pagode’ ((Johann Samuel Ersch/Johann Gottfried Gruber: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Pacholenus – Palermo-Seide (= Sect. 3, Theil 9; Leipzig: Gleditsch 1837)  S. 264-267.)) für die von Ersch und Gruber herausgegebene Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste zunächst Bauten in Indien und China und bemerkt abschließend:

Die Figuren endlich, die man bei uns Pagoden nennt, und die gewöhnlich aus Porzellan nach dem Muster chinesischer Formen gebildet sind, erhielten unstreitig jenen Namen aus Verwechslung des Tempels mit dem Götzen, der sich in dem Tempel befindet und darin verehrt wird, sodaß hier recht eigentlich das continens pro contento gesetzt wird. Man weiß, daß sie trotz ihrer häßlichen Gestalten bei uns als Zierathen verwendet, und je fratzenhafter, desto theurer bezahlt werden.[4]

Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm heißt es kurz:

pagode, f. m. das franz. pagode (aus sanskrit. bhagavati), indischer, chinesischer götzentempel, das darin verehrte götzenbild, sodann eine einem solchen bilde ähnliche figur, besonders mit wackelndem kopfe: […].[5]

In der 14. Auflage des Brockhaus heißt es:

Pagōde, […]. Die in den P. der brahman. Inder in großer Zahl vorhandenen Götterstatuen sind meist von gebrannter Erde und oft sehr groß. Nach diesen Götterbildern hat man auch kleine, ungestaltete, zum Teil aus China stammende Figuren mit beweglichem Kopf und Händen, mit denen man zur Zeit des Rokokogeschmacks Schränke, Kamine u. s. w. verzierte, P. genannt.[6]

Meyer‘s Großes Konversations-Lexikon hilft weiter. In der vierten Auflage heißt es:

Pagoden heißen ferner auch die kleinen bunten, gewöhnlich nach chinesischen Mustern gebildeten Figuren von Gips mit beweglichen Händen und Köpfen, die man als Nachahmungen jener Götzen zur Rokokozeit als Verzierung auf Kamingesimsen, Schränken etc. aufzustellen pflegte. Der neuere Geschmack hat die Pagoden in kleinern Verhältnissen aus Porzellan nachgebildet und in die Nippsachen eingereiht. – Im übertragenen Sinn braucht man die Bezeichnung P. von Menschen, welche, ohne selbständiges Urteil zu haben, zu allem ja sagen.[7]

Und genau darum geht es: Die Pagoden, die in  “Groß-Peking” (1892)  gemeint sind, sind Personen des öffentlichen Lebens, die zu allem ‘Ja’ sagen.  In der sechsten Auflage[8] fehlt im Artikel ‘Pagode’ der letzte Satz des Artikels aus der vierten Auflage …

 

  1. Zedler Universal-Lexicon Bd. 26, Spalte 237 f.
  2. Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft von D. J. G. Krünitz. (1773-1858).
  3. Zur Biographie: Johann W. Fück: “Flügel, Gustav Leberecht” in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 260-261 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn116631465.html.
  4. Johann Samuel Ersch/Johann Gottfried Gruber: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Pacholenus – Palermo-Seide (= Sect. 3, Theil 9; Leipzig: Gleditsch 1837)  S. 267.
  5. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Bd. 13 (1889), Sp. 1408 s.v. pagode.
  6. Brockhaus’ Konversationslexikon  (14. Auflage; Leipzig, Berlin und Wien: F. A. Brockhaus 1894-1896, Bd. 12, S. 809 s.v. ‘Pagode’.
  7. Meyers Konversationslexikon. Vierte Auflage (Leipzig und Wien 1885-1892), Bd. 12 s. v. Pagode.
  8. Meyers Großes Konversationslexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. (Leipzig und Wien 1905-1909) Bd. 6, Sp. 307 s.v. Pagōde.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1745

Weiterlesen

Wappenbuch Richental III: Die Konstanzer Handschrift

Wie Christof Rolker bereits in seinem Eingangspost schrieb, unterscheiden sich die verschiedenen Handschriften der Chronik des Konstanzer Konzils wesentlich. Neben der Aulendorfer Handschrift A stellt die Konstanzer Handschrift K eine der wichtigsten Handschriften für die Forschung dar. Sie ist die einzige heute noch in Konstanz – im Rosgartenmuseum unter der Signatur Hs. 1 – verwahrte Handschrift der Chronik. Um 1465 entstanden, ist sie seit Anfang des 16. Jahrhunderts in städtischem Besitz nachgewiesen. Die Papierhandschrift besteht aus 225 Blatt im Format 390 x 290 mm, von denen etwa 150 Blatt die Chronik des Konstanzer Konzils enthalten, woraufhin ein Anhang mit Urkundenabschriften zum Konzil von Basel folgt. Der einspaltig angelegte Text wurde von ein bis zwei Schreibern in gotischer Kursive verfasst. Die Erzählperspektive des Textes ist in der Handschrift objektiviert, statt Ulrich Richental sprechen die erber lüt der Stadt Konstanz. Etwa 105 Seiten sind mit kolorierten, meist ganzseitigen Federzeichnungen als Textillustrationen ausgeführt, für die 3-5 ausführende Hände einer Werkstatt vermutet werden. Schon in die Illustrationen integriert finden sich zahlreiche Wappenabbildungen, die im Zusammenhang mit den abgebildeten Bildinhalten bzw. Personen stehen. Der Bilderzyklus der Konstanzer Handschrift wird als einer der umfangreichsten der erhaltenen Überlieferung gesehen. Bereits in den Textverlauf integriert finden sich kleine […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/3082

Weiterlesen

DH-Kolloquium II – Clash of Concepts: Text

Während die erste Sitzung des Kolloquiums im Zeichen eines allgemeinen Überblicks zu den Digital Humanities stand (TexperimenTales berichtete), war für die zweite Sitzung mehr Detailarbeit vorgesehen. So können Forschungsfragen, die innerhalb des DH-Bereichs behandelt werden, Objekte ganz unterschiedlicher Art untersuchen: Bilder, 3D-Objekte, Audioaufnahmen, Videos usw. Wenn man aber Leute auf der Straße fragen würde, was Geisteswissenschaftler vorrangig behandeln, würde wohl die häufigste Antwort “Texte” sein. Doch was ist das überhaupt – “Text”?

Lustigerweise haben Patrick Sahle und ich ungefähr zur gleichen Zeit und ohne miteinander Rücksprache zu halten, uns in unseren Dissertationen an einer Definition des Textbegriffs versucht. Während ich der Sache in meinem ersten Kapitel ein paar wenige Seiten Platz einräumte (hier), widmete Patrick den gesamten dritten Band seines Dissertationswerks* (der für sich allein genommen den Umfang meiner Arbeit übersteigt) dem Textbegriff und der (Re)Codierung. Trotzdem wir uns ansonsten gut verstehen, waren wir bisher noch nicht mal darüber übereingekommen, ob wir überhaupt über das gleiche sprechen, wenn mir “Text” sagen. Ein gemeinsames Kolloquium, so dachten wir uns da, ist da vielleicht eine gute Möglichkeit, auszuloten, ob unsere beiden Ansätze synthetisierbar sind. Oder auch eine Gelegenheit, uns kräftig die Köpfe einzuschlagen, welcher Begriff denn den anderen sich unterzuordnen vermag.

Um es vorwegzunehmen: Wir haben es in der uns zur Verfügung stehenden Zeit nicht geschafft, zu einer endgültigen Klärung zu kommen. Das lag einerseits daran, dass Patrick zur Erläuterung seines pluralistischen Textbegriffs, der versucht, alle möglichen Textarten zu subsummieren, eine Menge Zeit brauchte. Und das ich auf der anderen Seite meine Gegenthese, Texte seien im Grunde nichts anderes als Sequenzen diskreter Einheiten, nicht aus dem Stegreif gegen alle von Patrick abgeschossenen Gegenargumente in Stellung bringen konnte. Inwiefern es uns in einer der nächsten Sitzungen gelingen wird, doch noch auf einen Nenner zu kommen, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Aber ich kann hier versuchen zu skizzieren, aus welcher Ecke wir eine mögliche Lösung hervorkramen könnten, die uns beide zufrieden zurücklässt.

Patricks (wie oben angemerkt pluralistischer) Textbegriff fußt auf den vielgestaltigen Anwendungsfeldern, mit denen er jeden Tag als Geschäftsführer des CCeH konfrontiert ist und manifestiert sich in einem – wie er es nennt – Textrad:

Das Textrad. Entwurf und Umsetzung aus Sahle (2013).

Der pluralistische Textbegriff als Rad nach Sahle (2013).

Patrick gelingt es, wie er im Laufe seines Vortrags zeigen konnte, alle Textwissenschaftler, ihre theoretischen Überlegungen, die Entwicklung von Standards und praktischen Anwendungen auf einen Punkt oder einen Verlauf auf der Felge dieses Rades zu lokalisieren. Meine Frage ist aber: Ist ein Rad stabil, das keine Nabe hat? Rückübertragen aus der Metapher: Gibt es nicht etwas, das allen Texten in allen Betrachtungsweisen zugrunde liegt? In meinem Ansatz müssen Texte nicht notwendigerweise in Schrift gefasste Sprache sein, sie können auch Abstraktionen über andere Dinge der Welt repräsentieren (wie ich das z.B. mal in meinem Gastbeitrag auf den Scilogs erläutert habe). Wo passt die DNA auf dieses Rad, wo Maschinencode? Oder gehören sie auf ein anderes Rad? Aber hätte dieses andere dann nicht vielleicht die gleiche Nabe wie das von Patrick?

Ich werde versuchen, diese Gedanken noch einmal in einer späteren Sitzung auszuführen, in der ich das Text Engineering Software Laboratory vorstellen will. Bis dahin rede ich mir ein, dass Patrick und ich auf der gleichen Grundlage stehen, aber an unterschiedlichen Positionen.

Bildschirmfoto 2015-04-19 um 17.58.43

Betrachten wir das gleiche Ding von verschiedenen Enden her? Und an wen erinnern mich die beiden nur?

__________________

Literatur:

Hermes, Jürgen (2012) Textprozessierung – Design und Applikation. [Online-Fassung] Dissertation, Universität zu Köln.

Sahle, Patrick (2013) Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 3: Textbegriffe und Recodierung. [Preprint-Fassung]. Dissertation, Universität zu Köln.

* Beides Open Access Publikationen – Könnt ihr euch mal ein Beispiel dran nehmen!

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1318

Weiterlesen

Zwei Quellen zur Gymnasialgeschichte der Stadt Kassel mit 150 Büchern

Friedrichsgymnasium

Claudie Paye veröffentlicht in ihrem Blog Napoleon auf der Spur die Transkription von Quellen zur napoleonischen Ära in den deutschen Landen, stets versehen mit einem Kommentar. Jüngst erschienen in Payes Quellenblog zwei ministeriale Schreiben des frühen 19. Jahrhunderts zur Schulentwicklung der Stadt Kassel:

„Cassel [soll] Lehranstalten haben, welche der Hauptstadt des Königreiches würdig sind“ – Reorganisation des Schulwesens in Kassel (Juli 1811)

„Die Wahl eines Professors auf einer Universität, … hält kaum so schwer…“ – Ernennung des Personals für das Lyceum und die Bürgerschule in Kassel und Suche nach französischen Sprachlehrern (Juli 1812)

In den beiden Schreiben geht es um das 1779 von Landgraf Friedrich II. gegründete Lyceum Fridericianum zu Cassel, eine höhere Lehranstalt nebst angeschlossener Bürgerschule. Das Lyceum basierte auf einer vormaligen Lateinschule und führte sich in ihren Annalen Mitte des 19. Jahrhunderts daher auf das Gründungesdatum 1599 zurück. Die beiden Quellen dokumentieren, dass man zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach einer Neuordnung der Anstalt gesucht hatte. Infolge wurde die Bürgerschule vom Lyceum abgetrennt und letzteres später nach Kurfürst Wilhelm I. (1743-1821) als Kurfürstliches Gymnasium Fridericianum zu Cassel geführt, heute das Friedrichsgymnasium Kassel.

Die Quelle von 1811 erwähnt eine Bibliothek:

[…] Ein [Text durchgestrichen] mathematischer und physicalischer Apparat und Bibliothek fehlen dem Lyceo bis jetzt noch gänzlich; nur bey dem Seminario findet sich eine kleine Sammlung pädagogischer Schriften von etwa [verso] 150 Bänden, und eine Sammlung von Musikalien von den besten Meistern. […]1

Karl Friedrich Weber (1794-1861), Direktor des Gymnasiums von 1835 bis 1852, berichtet 1846 in seiner „Geschichte der städtischen Gelehrtenschule zu Cassel“ von Paul Veit (auch Veith oder Vith), dem Rektor der Lateinschule von 1772 bis 1779, verstorben 1781. Dieser habe 1781, „wo er 76 Jahr 9 Monat alt den 22. October starb“,  zuvor „zum Zeichen seiner Anhänglichkeit an die Schule, laut Testament vom 21. Mai 1780, seine Bibliothek dem Lyceum vermacht“.2

Weber vermutet an späterer Stelle in einem Kapitel über die „Lehrmittel“, dass diese Sammlung kurz nach 1800 verkauft worden sei und übernimmt dabei auch die Formulierung der Quelle 1811 nahezu wortgetreu:

„So viel für die Verbesserung des Schulwesens durch die Einrichtung des Lyceums geschah, so wenig dachte man daran, die geringen Lehrmittel der früheren Zeit zu vermehren. Daher gab es weder einen physikalischen Apparat, noch Hülfsmittel zum naturhistorischen Unterricht, außer was etwa die Lehrer selbst an Kupferwerken besaßen. Nur bei dem Seminar befanden sich (1808) ohngefähr 150 Bände pädagogischer Schriften und eine Sammlung Musikalien. Die Bibliothek des Rectors Veit, welche derselbe dem Lyceum vermacht hatte, wurde vermuthlich ihrer geringen Brauchbarkeit wegen 1802 versteigert und der Erlös mit 84 Thlr. 23 Alb. 4 Hlr. zur Schulcasse genommen.“3

Die Homepage des Friedrichgymnasiums in Kassel beschreibt die Geschichte der Anstalt  verborgen hinter dem Menuepunkt “Schule” und dem Unterpunkt „Schulleitung“4. Die vorhandenen „Bibliotheken“ (im Plural, ebenfalls erst auf den zweiten Klick hinter dem Menuepunkt „Lernen“  zu finden) werden mit einem Foto vorgestellt, das anhand der Einbände auf Bestände des 18. und 19. Jahrhunderts verweist.5

cassel.schulprogramm.1840Die Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel hält laut Katalog Schulschriften des Lyceums und des Gymnasiums Fridericianum seit 1803, darunter auch sogenannte „Schulprogramme“, die jährlichen Schulberichte über Lehrinhalte, Prüfungen und Ereignisse. Die Schulschriften sind erst teilweise erschlossen, folgt man dem digital abrufbaren Katalog, der bei zahlreichen Titeln die eingescannten Kärtchen zeigt. Jubiläumsschriften und weitere Publikationen stehen als bibliographische Angaben aus Harvard Library Bibliographic Dataset zur Verfügung.6

Die Kasseler Gymnasialbibliothek ist, wie’s scheint, noch im Dornröschenschlaf.  Zu vermuten ist, dass nach der Reorganisation des Lyzeums/Gymnasiums in Kassel, von der die beiden oben genannten Quellen zeugen,  die Bibliothek in den verschiedenen Sachgebieten modern bestückt wurde, d.h. die Bestände im wesentlichen der Zeit des Massenbuchdrucks seit ca. 1840 entstammten. Inwieweit Bestände der Buchsammlung über die Schulschriften hinaus in die Murhardsche Bibibliothek gelangt sein könnten, ist bisher unbekannt. Über den Altbestand in ihren Bibliotheken gibt leider die Homepage des Friedrichsgymnasiums keine Auskunft, spendiert lediglich ein Bücherfoto vom Regal.

Friedrichsgymnasium.Kassel.gedenktafel

Literatur

Karl Friedrich Weber, Geschichte der städtischen Gelehrtenschule zu Cassel, Cassel 1846 (google books)

Ders., Geschichte der städtischen Gelehrtenschule zu Cassel von 1599-1709, Schulprogramm 1844 (Titelnachweis)

Links

Digitalisierte Schulprogramme des Gymnasium Fridericianum, Kassel (Universitätsbibliothek Giessen)

Lyceum Fridericianum

Friedrichsgymnasium Kassel, Bibliotheken

Friedrichsgymnasium Kassel, Geschichte

Homepage des Friedrichsgymnasiums Kassel

Abbildungen

Gebäude des ehemaligen Lyceum Fridericianum um 1900 (Festschrift für das 150. Jubiläum des Staatlichen Friedrichsgymnasiums zu Kassel 1779–1929, Kassel 1929; S. 9); Schulprogramm 1840 (Quelle); Gedenktafel (Quelle + Lizenz)

  1. „Cassel [soll] Lehranstalten haben, welche der Hauptstadt des Königreiches würdig sind“ – Reorganisation des Schulwesens in Kassel (Juli 1811)
  2. Karl Friedrich Weber, Geschichte der städtischen Gelehrtenschule zu Cassel, Cassel 1846; S. 267
  3. Weber, 1846, S. 348
  4. Friedrichsgymnasiums Kassel, Geschichte
  5. Friedrichsgymnasium Kassel, Bibliotheken
  6. Katalogsuche Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Schlagworte lyceum cassel, gymnasium fridericianum cassel

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/750

Weiterlesen

Einladung zu Hausnummern-Vortrag und Flanerie, Wien 22./23.5.2015

Es gibt wieder mal die Gelegenheit, meinen Hausnummernvortrag und die dazugehörige Flanerie zu besuchen, und zwar zu folgendem Termin:

Freitag, 22.5.2015, 19:00-20:30 (Vortrag)
Ort: VHS Wiener Urania, Uraniastraße 1, 1010 Wien

Samstag 23.5.2015, 15:00-16:30 (Stadtflanerie)
Treffpunkt wird tags zuvor beim Vortrag bekanntgegeben

Kosten: 12 Euro
Anmeldung und Buchung unter http://www.vhs.at/kurs-details/vhs-wien-kurse/Wiener-Adressen-Kurs/287332738.html

Wiener Adressen. Das Geheimnis der Hausnummern Wiens

Klein und unscheinbar haben sie sich an die Häuser festgemacht: Die Hausnummern. Sie scheinen keine Geschichte zu haben, so selbstverständlich, so alltäglich sind sie für uns geworden; dabei wurden die 1770 vergebenen "Konskriptionsnummern" nicht etwa eingeführt, um den in der Stadt lebenden Menschen oder Fremden die Orientierung zu erleichtern, sondern um gemeinsam mit einer Volkszählung - der "Seelenkonskription" - ein neues Rekrutierungssystem vorzubereiten. Manche der damals vergebenen Nummern sind heute noch an den Wänden der Häuser sichtbar; der Vortrag erklärt, wie es dazu gekommen ist, die Flanerie stellt einige der noch erhaltenen Konskriptionsnummern vor und liefert damit Einblicke in die Geschichte vergangener und gegenwärtiger Ordnungssysteme.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022420428/

Weiterlesen

Lexikon zur Computergeschichte: Auxiliary Port – AUX

AUX war unter MS-DOS und verwandten Betriebssystem der Gerätename, der in der Regel ein symbolischer Link auf COM1 war. Die Abkürzung steht für ‘Auxiliary’, was ins Deutsche übersetzt soviel bedeutet wie ‘Helfer’ und sich auf an COM-Ports angeschlossene Geräte wie Mäuse oder (analoge) Modems bezog.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5803/

Weiterlesen

Neuerscheinung zu Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus

Sascha Lange hat beim Ventilverlag ein Buch über Meuten, Swings & Edelweißpiraten veröffentlicht, ein Interview mit ihm erschien Anfang April in der Jungle World:

Lange, Sascha: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus. Mainz: Ventil-Verlag, 2015. [Verlags-Info]

Ankündigung:

Ob Swingjugend, Edelweißpiraten, Meuten, Fahrtenstenze in Hamburg, Köln, Leipzig, Berlin, München und anderswo – überall in Deutschland gründeten sich zwischen 1933 und 1945 Jugendgruppen, die sich dem NS-Regime verweigerten und stattdessen ihre eigenen Subkulturen pflegten. Mit eigenem Dresscode, eigenen Liedern und eigener Freizeitgestaltung, autonom und selbstbestimmt. Dafür scheute man auch nicht die direkte Konfrontation mit der Hitlerjugend und drängte stellenweise sogar deren Einfluss zurück, mit Flugblättern, Anti-Nazi-Graffitis, Überfällen auf HJ-Heime – nicht nur in Großstädten, sondern auch in der Provinz.

Erstmalig bietet ein Buch eine breite Übersicht über oppositionelles bzw. Widerstandsverhalten von Jugendlichen während der NS-Zeit. Der Fokus liegt dabei auf selbstbestimmten, informellen Gruppen, die sich aufgrund persönlicher Sympathien sowie kultureller Vorlieben für Musik und Kleidung zusammengeschlossen haben. Demgegenüber wird die Entwicklung der Hitlerjugend aufgezeigt und ihr Scheitern an der Aufgabe, die gesamte deutsche Jugend zu führen.

Amerikanische Swing-Musik ließ zudem Mitte der 1930er-Jahre die erste Jugendkultur der Moderne in Deutschland entstehen – eine Keimzelle für alle folgenden Subkulturen des 20. Jahrhunderts. Wie es zu dieser Entwicklung kam, erklärt dieses Buch.

Sascha Lange hat für »Meuten, Swings & Edelweißpiraten« viele ehemalige subkulturelle Aktivistinnen und Aktivisten zu Interviews getroffen, Quellen und Archivmaterial ausgewertet und ein umfangreiches Bildarchiv angelegt. So ist das Buch Materialsammlung und Einführung in die ersten Jugendkulturen der Moderne zugleich, ein bildreiches Nachschlagewerk, das zeigt, wie und wo Jugendliche sich dem Zwang des Nationalsozialismus entzogen.


Bereits länger liegt die Buchfassung seiner Dissertation vor:

Lange, Alexander: Meuten - Broadway-Cliquen - Junge Garde. Leipziger Jugendgruppen im Dritten Reich. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2010.
PDF (kostenpflichtig): http://www.degruyter.com/view/product/209906

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022419760/

Weiterlesen

In memoriam Gerhard Rill

“Am 25. März 2015, knapp vor der Vollendung seines 88. Lebensjahres, verstarb in Klosterneuburg der ehemalige Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Gerhard Rill; Österreichs Archive und Geschichtswissenschaft haben mit seinem Tod einen wichtigen Vertreter verloren”, teilt das Österreichische Staatsarchiv in einem Nachruf auf seiner Website mit. Ihm war die enge Zusammenarbeit mit der Geschichtswissenschaft stets wichtig, und als Verfechter des Verbleibens des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in seinem historischen Gebäude am Minoritenplatz hat er auch den Interessen der Historikerinnen und Historiker gedient.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/2008

Weiterlesen