Das Innere nach außen gekehrt

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt seit dem 1. Oktober 2014 Fotografien des Niederländers Martin Roemers. 2004 traf der Fotograf den britischen Kriegsveteranen Frederick Bentley, der im Jahre 1944 sein Augenlicht verlor, als er von einer Granate getroffen wurde. Berührt von diesem Schicksal, begann der Niederländer nach Personen zu suchen, die ähnliche Erfahrungen wie Bentley gemacht haben. Entstanden ist eine große Sammlung an Geschichten und Bildern aus den verschiedensten Ländern.

Die Ausstellung umfasst 40 Porträts von Menschen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion. Die Bilder zeigen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs als Jugendliche, junge Erwachsene und Soldaten ihr Augenlicht zum Teil oder ganz verloren haben. Begleitet werden die ca. ein Meter großen Aufnahmen von Interviews mit den gezeigten Personen, die ihre persönlichen Geschichten erzählen. So berichtet ein Mann aus Großbritannien von einem Freund, mit dem er gemeinsam einen verschütteten Keller nach interessanten Dingen durchsucht hatte. Dabei fanden die beiden eine Handgranate, die sie aber nicht als solche erkannten und damit spielten. Als der Junge wieder erwachte, hatte er zwei Wochen im Koma gelegen und sein Augenlicht verloren.

Jedes tragische Einzelschicksal berührt und hält einem einmal mehr die Sinnlosigkeit von Kriegen vor Augen. Auf der anderen Seite rufen die Darstellungen nicht nur Mitleid hervor, sondern zeugen von einer besonderen Stärke. So beschreiben die Betroffenen nicht nur ihren Leidensweg, sondern vielmehr ihre persönliche Art und Weise, mit einer solchen Behinderung umzugehen.

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Dies wird auch durch die Präsentation der Sammlung bestärkt. Die Galerie ist mit schwarzen Wänden ausgekleidet, und auch die Aufsteller sind in dunkler Farbe gehalten. Die Porträts wurden in Schwarz-Weiß entwickelt. Jedoch sind sie auf einem weißen Untergrund angebracht, der sich wie ein Rahmen um die Fotografien schmiegt. Diese Darstellung gibt den Konsens der Ausstellung sehr gut wieder. Jedes einzelne Schicksal ist wichtig und erwähnenswert. Letztendlich werden aber all diese individuellen Geschichten zu einem Ganzen, weil sie trotz unterschiedlicher Nationalitäten das gleiche Schicksal eint. Martin Roemers verweist mit seiner Sammlung darauf, dass Bilder von äußerlich verletzten Menschen auch ihre innere Konstitution widerspiegeln können. Dies wird eindrucksvoll bestätigt, wenn man die Interviews neben den Bildern liest, wie Sieglinde Bartelsen, die trotz ihrer Einschränkung Näherin wurde und ihr eigenes Geld verdiente.

Zudem hat das Deutsche Historische Museum erstmals ein Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte entwickelt und angelegt. So können die Besucher in Brailleschrift einen Einführungstext und auch die einzelnen Schicksale neben den Bildern lesen. Es gibt außerdem die Möglichkeit für Menschen ohne Augenlicht, an Führungen mit anschließender Diskussion teilzunehmen.

Ergänzend zu der Sammlung brachte der Hatje Cantz Verlag einen begleitenden Fotoband zur Ausstellung heraus, der jedoch nur noch einmal die Interview-Ausschnitte und die dazugehörigen Bilder zeigt, die ohnehin in der Ausstellung betrachtet werden können. So kann man die Bilder und ihre Geschichten nachlesen, erhält jedoch kaum neue Informationen zur Entstehung.

Norman Perry (Großbritannien, 1919).

Norman Perry (Großbritannien, 1919). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Die Ausstellung läuft noch bis zum 4. Januar 2015 und ist besonders für jüngere Menschen einen Besuch wert. Denn sie zeigt am Beispiel tragischer Ereignisse, dass die vom Krieg betroffenen Menschen noch lange nach solchen Erlebnissen mit der Verarbeitung der Folgen beschäftigt sind. Erschreckend ist auch zu sehen, dass die Bilder ein heute sehr aktuelles Thema ansprechen. Man muss nur auf die Krisengebiete der Welt blicken und kann sich vorstellen, dass solche und noch schlimmere Ereignisse tagtäglich geschehen.

The Eyes of War – Fotografien von Martin Roemers
1. Oktober 2014 bis 4. Januar 2015
Deutsches Historisches Museum Berlin

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/12/01/das-innere-nach-aussen-gekehrt/

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Hitler auf der Weinflasche. Zwischen Werbekniff und Verharmlosung

Janine Schemmer Mussolini, Stalin und Hitler „zieren“ Etiketten von Weinflaschen, die in Schaufenstern einiger italienischer Cafés und Geschäfte ausgestellt sind und manch vorübergehenden Passanten zum Stehenbleiben und Staunen bringen. Als ich italienischen Freunden gegenüber meinen Unmut vor allem über die … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/2120

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China-News zur Plünderung und Zerstörung des ‚Sommerpalasts‘ im Herbst 1860

Die  Yùyuán 御园 [wörtl. "Kaiserliche Gärten"][1], die in Europa unter der Bezeichung 'Alter Sommerpalast' bekannt bekannt sind,  wurden ab Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet. Zu der Anlage gehörte neben den Gärten eine kostbare Bibliothek.[2]

Yùyuán 御园

Yùyuán 御园 | Photographie: Georg Lehner

In der Endphase des so genannten 'Zweiten Opiumkriegs' wurden gefangen genommene französische und britische Abgesandte festgesetzt und gefoltert.  Als Vergeltungsmaßnahme wurden Paläste und Gärten von englischen und französischen Truppen geplündert und auf Befehl Lord Elgins die Yùyuán 御园 von englischen Truppen zerstört. Der französische Befehlshaber General Montauban, der sich persönlich bereichert hatte, verweigerte die Teilnahme an der Zerstörungsaktion.

Während die Plünderungen in Zeitungsberichten teilweise ausführlich geschildert wurden[3], wurde die Zerstörung des 'Alten Sommerpalasts' nur kurz erwähnt - so heißt es in Das Vaterland lapidar "Der Sommerpalast des Kaisers ist von den Engländern in Brand gesteckt worden."[4] Die in den Wiener Blättern abgedruckten Meldungen basierten mehrheitlich auf Berichten in englischen Zeitungen, die das Vorgehen als gerechtfertigte Maßnahme sahen - und bald Kritik äußerten, dass das Niederbrennen des 'Sommerpalasts' nur wenig Eindruck auf die chinesische Seite gemacht hätte.[5] Auch Robert Swinhoe (1836-1877), der als Übersetzer bei den Truppen war, beschrieb in seinen persönlichen Erinnerungen  Narrative of the North China Campaign of 1860 (1861) die Plünderungen und die Zerstörung und gibt auch Lord Elgins Sicht der Dinge breiten Raum. Robert Swinhoe: Narrative of the North China campaign of 1860 (London: Smith, Elder & Co. 1861) zur Plünderung  S. 305-312, zu Lord Elgins Gründen für die Zerstörung S. 326-328, zur Zerstörung S. 328-337 .Vgl. auch den Bericht "Die Plünderung des k. Sommerpalastes bei Peking durch die Alliirten im Jahre 1860". In: Militär-Zeitung Nr. 7 (22.1.1862) 53 f. und Nr. 8 (25.1.1862), 59 f. - basierend auf der Darstellung von Svinhoe.))

Im März 1865 wurden die Ereignisse in Běijīng 北京 noch einmal Thema, denn Charles Guillaume Marie Apollinaire-Antoine Cousin-Montauban, comte de Palikao (1796-1878) wurde im franzöischen Senat als Schwächling angegriffen. Montauban erläuterte ann seine Sicht der Dinge - die dann in den europäischen Medien breit diskutiert wurden.

Montauban stellt den Brand zunächst als Unfall dar:

Man hat viel davon gesprochen, aber man hat nie genau erklärt, wie das Feuer entstanden war, und zwar aus dem Guten Grunde, weil diejenigen, welche davon sprachen, nicht dabie waren. Die Sache ging folgendermaßen zu: Neben dem Sommerpalaste befanden sich einige hölzerne Häuser, woselbst man einige unserer Waffengefährten gefangen hielt; man stieß dort auf neue Beweise von der grausamen Behandlungsweise unserer Kameraden. Man fand blutige Kleidungsstücke und erkannte in einem Zimmer die Leiche des unglücklichen "Times"-Correspondenten, welchen die Chinesen dorthin geworfen hatten, damit er von den Schweinen gefresen werde. Die Soldaten wollten diese Häuser als einen infamen Ort, der an die schrecklichsten Grausamkeiten erinnerte, verbrennen, und sie hatten recht. Aber die daranstoßenden Mauerwerke berührten den Sommerpalast; das Feuer ergriff denselben und erbrannte theilweise ab, aber nicht vollständig."[6]

Doch als die Engländer mehr vom grausamen Schicksal der Gefangenen erfahren hätten, wollten sie weiter Rache nehmen:

[...] der englische Obercommondant, General Grant, schrieb mir, um mir den Vorschlag zu machen, nach dem Palaste zurückzukehren, um die Züchtigung der Chinesen zu vervollstänigen. Ich hielt es für durchaus unnütz, an unshcädliche Gebäude Feuer zu legen, schrieb in diesem Sinne an den englischen Gesandten und an den General und lehnte meine Betheiligung an diesem Zerstörungswerke ab.[7]

Auch Lord Elgin[8] hätte sich mit diesem Ansinnen auch an den französischen Gesandten, Baron Gros[9], gewandt, der ähnlich wie Montauban geantwortet hätte.

Was war nun noch zu thun? Es handelte sich weder um eine kriegerische Operation, noch um einen politischen Act, und wir hatten keinen Grund, uns dem Vorgehen der Englädner zu widersetzen. [10]

Es handle sich dabe nicht um einen Akt der Schwäche, im Gegenteil, man hätte die Engländer davon abgehalten, in die Stadt einzudringen und den Kaiserpalast niederzubrennen.[11]

Während die Plünderungen nicht weiter kommentiert wurden, wurde das Niederbrennen des 'Sommerpalastes' bald kritischer gesehen, so heißt es etwa in der Militär-Zeitung im Rahmen der Berichterstattung über die "Dotationsfrage des Grafen von Palikao[12]" ganz klar:

Was die Zerstörung des Sommerpalastes anbelangt, so ist dieselbe eine That des Vandalismus gewesen, denn es war zu allen Zeiten unerhört, Städte oder Plätze der Plünderung und Vernichtung preiszugeben, welche nicht vertheidigt werden.[13]

  1. Die Anlage besteht aus drei Teilen: Yuánmíng Yuán 圓明園 [Garten der vollkommenen Klarheit], Chángchūn Yuán 長春園 [Garten des ewigen Frühlings] und Qǐchūn Yuán 綺春園 [Garten des schönen Frühlings].
  2. Zur Geschichte der Anlagen vgl. Zhang Shuang: Das Yuan Ming Yuan Ensemble. Der kaiserliche Park der „Vollkommenen Klarheit“ in Beijing. Zeitschichtkarten als Instrument der Gartendenkmalpflege, Diss., TU Berlin, 2004. (URN: urn:nbn:de:kobv:83-opus-4683); einführend auch: MIT - Visualizing Cultures: The Garden of Perfect Brightness 1 - The Yuanmingyuan as Imperial Paradise  1700-1860). Zur politischen Bedeutung der Ruinen s. Haiyan Lee: "The Ruins of Yuanmingyuan: Or, How to Enjoy a National Wound." In: Modern China 35.2 (March 2009) 155-190. DOI: 10.1177/0097700408326911 (Access via JSTOR.
  3. Einige Beispiele: Die Presse Nr. 319 (12.12.1860) 3 - Online: ANNO; Innsbrucker Nachrichten Nr. 290 (18.12.1860), 1-2 - Online: ANNO; Das Vaterland Nr. 93(19.12.1860) [3] (Bericht aus der 'China Mail') - Online: ANNO; Die Presse (Abendblatt) Nr. 322 (15.12.1860) [2]: "Die Einnahme von Peking" - Online: ANNO.
  4. Das Vaterland Nr. 101 (30.12.1860), [3] - Online: ANNO.
  5. Vgl. "Stimmen über den Friedensschluß mit China" in Die Presse Nr. 1 (1.1.1861) [3] - Online: ANNO; "Die Ereignisse in China" in Die Presse (Abendblatt) Nr. 2 (2.1.1861) [2] - Online: ANNO;
  6. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  7. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  8. D. i. James Bruce, 8th Earl of Elgin and 12th Earl of Kincardine (1811–1863).
  9. D. i. Jean-Baptiste Louis Gros (1793–1870).
  10. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  11. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  12. D.i. Montauban, der 18 - "Palikao" ist abgeleitet von der Bālǐqiáo 八里橋 [wörtlich "Acht-Meilen-Brücke"], wo englische und französische Truppen am 21. September 1860 die chinesischen Truppen besiegten und direkten Zugang zur Hauptstadt erlangten.
  13. Militärzeitung Nr. 24 (22.3.1862) 191 - Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1918

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DH-Videoclip Adventskalender – Tür 1

Seit wir, das heißt DARIAH-DE und TextGrid Anfang April mit unserem eigenen YouTube Kanal zu Digital Humanities Themen an den Start gegangen sind, beobachte ich vergnügt, dass die Clips, die wir dort anbieten relativ gut angeklickt werden, also durchaus Interesse an Videos mit DH-Inhalten besteht. Neugierig wie ich bin, habe ich mich darauf hin umgesehen, wer sonst noch Vergleichbares anbietet und habe eine Fülle unterschiedlichster Videos rund um die DH gefunden – Projektvorstellungen, Portraits, Imagefilme, Interviews und eine Menge mehr. In der Vorweihnachtszeit lade ich nun alle interessierte Blog-Lesende ein, mich auf meinen Streifzügen durch die bunte YouTube-Welt zu begleiten und hier im Blog und parallel dazu auf dem DHd-Kanal jeden Tag ein anderes Video kennen zulernen.

Den Anfang macht heute das Video “Humanities Go Digital” des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, in dem Prof. Gregory Crane, Universität Leipzig, die Rolle der Digital Humanities beleuchtet:

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4334

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SCHLOSS BAU MEISTER. Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Zur Ausstellung im Berliner Bode-Museum vom 4. April bis 24. August 2014

Von Caroline Mang und Julia Strobl (Wien)

Anlässlich des 300. Todesjahres von Andreas Schlüter (1659/60–1714) widmet das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel dem Hofbildhauer und Archi­tekten des barocken Berlin eine Ausstellung, die vor allem sein Wirken am brandenburgisch-preußischen Hof fokussiert. Es ist dies nach 50 Jahren die zweite monographische Präsentation, wobei sich die Ge­dächtnisausstellung von 1964 vorwiegend dem bild­hauerischen Schaffen Schlüters näherte und es in den Kontext mit der Plastik seiner Zeit stellte.1 Der Wiederaufbau des nach Schlüters Plänen errichteten Berliner Stadtschlosses, der gerade nach Entwürfen des Archi­tekten Franco Stella unternommen wird, ist, so der Direktor der Skulpturensammlung am Bode-Museum Bernd Lindemann, aktuelles Motiv, sich insbesonde­re mit Andreas Schlüter als Baumeister auseinanderzusetzen. Der Kurator der Ausstellung Hans-Ulrich Kessler ist Herausgeber des umfangreichen Kata­logs Andreas Schlüter und das barocke Berlin sowie des ergänzenden Stadtführers Schlüter in Berlin, der die noch erhaltenen Werke und Bauten Schlüters im urbanen Raum erschließen soll.2

Die Geburt Andreas Schlüters in Danzig um das Jahr 1660 wird in der kunsthistorischen Forschung inzwi­schen allgemein akzeptiert.3 Das vor allem von nieder­ländischen Künstlern der Renaissance und des Ma­nierismus geprägte Stadtbild wirkte, so darf vermutet werden, auf den jungen Bildhauer ein. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt, erst seine Berufung an den Hof des polnischen Königs Jan III. Sobieski (reg. 1674–1696) nach Warschau im Jahr 1681 lässt ihn in seinem Wirken als Bauplastiker und Bildhauer fassbar werden.4 Durch die Tätigkeit unter den Architekten Tilman van Gameren und Augustyn Locci traf er noch vor seiner Berufung als Hofbildhauer nach Berlin auf die neuesten künstlerischen Strömungen aus den Nie­derlanden und Italien. Ab 1694 arbeitete Schlüter für den Kurfürsten Friedrich III. (reg. 1688–1713) am Aus­bau der Doppelstadt Berlin-Cölln zu einer barocken Königsmetropole.5 In diese Anfangszeit als Hofbild­hauer fallen auch seine Reisen nach Italien, Frankreich und die Niederlande, 1699 erfolgte schließlich die Er­nennung zum Schlossbaudirektor – ein Höhepunkt seiner Karriere als „Bildhauerarchitekt“. Nach dem Skandal um den drohenden Einsturz des Münzturms 1706 verlor er diese Position, führte aber in königli­chem Auftrag weiterhin plastische Werke aus. Eine neuerliche Anstellung als Hofbaumeister fand Schlü­ter erst wieder 1713 in St. Petersburg unter Zar Peter dem Großen, wo er allerdings schon wenige Monate nach seiner Ankunft verstarb.

Einem der prominentesten Werke Andreas Schlüters als Hofbildhauer, dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten begegnet man im Foyer des Bode-Muse­ums, wo es in Form einer Kopie – die Galvanoplastik wurde von Wilhelm von Bode in Auftrag gegeben – auf dem originalen Sockel platziert ist. Das ursprüng­liche Reiterstandbild Schlüters mit den dazugehörigen vier Sklavenfiguren, einst auf der Langen Brücke vor dem Stadtschloss der Hohenzollern (Abb. 1), befindet sich heute im Ehrenhof des Charlottenburger Schlos­ses. Im Verlauf der Ausstellung wird das Werk, für dessen Ausführung der Bronzegießer Johann Jacobi verantwortlich zeichnet, mehrfach aufgegriffen und in einen typengeschichtlichen Kontext gestellt. Die Du­alität des Reitermonuments, welches den Kurfürsten als kriegerischen Feldherren und als souveränen Herr­scher im Sinne der Adventus-Ikonographie darstellt, zeigt sich, wenn man sich ihm von unterschiedlichen Seiten her nähert, und bezeugt die Könnerschaft des Bildhauers.6 Weitere permanent im Bode-Museum befindliche Werke Schlüters – die Attikafiguren der Villa Kameke – begegnen dem Besucher im Gang, der zur eigentlichen Ausstellung führt.

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

Zu Beginn erfolgt eine anschauliche und überblicks­hafte Präsentation der kulturpolitischen Situation unter den brandenburgischen Kurfürsten im fort­geschrittenen 17. Jahrhundert, der „Weg zu Andreas Schlüter“. Bereits der große Kurfürst Friedrich Wil­helm (1640–1688) forcierte nach dem Dreißigjährigen Krieg die künstlerische und wissenschaftliche Ent­wicklung durch die Neuerrichtung der Kunstkammer sowie der Bibliothek. Unter seinem Nachfolger, dem Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König in Preußen, begann der repräsentative Ausbau Berlins zur kö­niglichen Residenzstadt. Er war es, der 1694 Andreas Schlüter aus Polen an den preußischen Hof berief, an dem familiär bedingt – der Kurfürst verbrachte seine Jugendzeit in Holland, zudem war seine Gattin Lui­se-Henriette Prinzessin von Oranien-Nassau – vor­zugsweise niederländische Kunst gesammelt wurde. Präsentiert werden Exponate namhafter Künstler, beispielsweise Werke der flämischen Bildhauer Fran­çois Duquesnoys, Artus Quellinus d. Ä. und François Dieussarts. Die hervorragende Qualität der bildhaue­rischen Arbeit des neuberufenen Hofbildhauers wird mittels einer Gegenüberstellung zweier Standbilder des Großen Kurfürsten demonstriert, indem Schlü­ters 1698 vom Bronzegießer Johann Jacobi gegosse­nes Standbild mit der Marmorstatue von Bartholo­meus Eggers, eines Werksstattmitarbeiters des Artus Quellinus, konfrontiert wird.

Obwohl das Anschauungsmaterial ergiebig ist und gut ausgewählt wurde, werden die vorgestellten Werke allzu selten in Bezug zu den Arbeiten Schlüters gesetzt und gerade in jenen ersten Räumen, die Schlüters An­kunft und die Situation in Berlin thematisieren, ver­misst vor allem die fachfremde Besucherin bzw. der fachfremde Besucher einleitende Begleittexte, ohne die sich der Kontext der präsentierten Werke kaum erschließt. An dieser Stelle erweist sich der begleitende Audioguide als unerlässlich. Einen zweiten zentralen Kritikpunkt bildet die Aussparung von Schlüters Lehr­jahren und Wirken in Polen – gleichwohl das Quellenmaterial zu der Frühzeit Schlüters spärlich ausfällt, wurde gerade in der neueren Forschungsliteratur seine Tätigkeit in Danzig und Warschau am königlichen Hof aufgearbeitet.7 Ein knapper, einführender Über­blick über die ersten 30 Lebensjahre Schlüters oder die künstlerische Situation in jenen Städten zu seiner Zeit wäre an dieser Stelle der Ausstellung durchaus wünschenswert gewesen. So aber bleibt die bildhau­erische und architekturpraktische Ausbildung des zukünftigen Berliner Schlossbaumeisters in Danzig, dem niederländisch geprägten Zentrum des Manieris­mus im Ostseeraum, unberücksichtigt. Dennoch kann hier auf den entsprechenden Beitrag Regina Deckers im Ausstellungskatalog verwiesen werden, der eben jene künstlerischen Anfänge Schlüters als Hofkünst­ler in Polen, seine Arbeit an der königlichen Kapelle in Danzig und seine Mitwirkung am Bauschmuck des Krasiński-Palastes beleuchtet.8 Überdies versuchte ein vom Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik an der TU Berlin und der Kunstgeschicht­lichen Gesellschaft zu Berlin vom 6. bis 7. Juli 2014 veranstaltetes internationales Kolloquium („Andreas Schlüter und das barocke Europa“), diesen fehlen­den Aspekt zu kompensieren, und widmete sich dem Thema aus einer ostmitteleuropäischen Perspektive. Allerdings konnten auch dort keine gesicherten neuen Werke oder Quellen vorgestellt werden, die die Früh­zeit Schlüters geklärt hätten.

Schlüters erste große Aufgabe in Berlin war der Bauschmuck des Zeughauses. Präsentiert werden seine sog. Sterbenden Krieger (Abb. 2), ausdrucks­starke, als Schlusssteine konzipierte Kopftrophäen, die schon zur Entstehungszeit eine Übertragung in das Medium des Kupferstichs nach Federzeichnungen Teodor Lubienieckis erfuhren (Abb. 3). In der künst­lerischen Darstellung der Kopftrophäen werden, so Fritz-Eugen Keller, zwei Momente vereinigt.9 Die als Dreiergruppen angelegten Köpfe boten die Möglich­keit, die verschiedenen Lebensalter zu visualisieren, gleichzeitig kommt es in der Darstellung der Gesichter zu einer überaus realistischen Veranschaulichung un­terschiedlicher Passionen nach Charles Le Brun, der im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Schemata ver­schiedenster Ausdrucksmöglichkeiten beschrieb und deren visuelle Umsetzung reglementierte. In der Aus­stellung werden die Zeughausmasken in den Kontext italienischer Vorbilder gestellt. Eine Kupferstichserie Giovanni Battista Galestruzzis zeigt die Fassadenma­lereien des frühen 16. Jahrhunderts von Polidoro da Caravaggio. Gian Lorenzo Berninis Medusenhaupt aus den kapitolinischen Museen – die wohl prominen­teste Leihgabe der Ausstellung – lenkt in der Mitte des Raumes den Blick unwillkürlich auf sich und weist den Werken Schlüters eine Nebenrolle zu. Die baudekora­tiven Arbeiten in Danzig und Warschau hinsichtlich ihrer Vorbildwirkung heranzuziehen, wäre, wie schon eingangs erwähnt, ein noch ausstehendes Desiderat zukünftiger Forschung. Schon die ältere Literatur ver­wies beispielsweise auf die dekorativen Medaillons am Schlüterhaus in Danzig, die das Konzept der sterben­den Kriegermasken antizipieren (Abb. 4).10

2 Andreas Schlüter: Kopftrophäe als Schlussstein an der Südfassade Hofes, Zeughaus, Berlin (Kretzschmar, Ulrike (Hg.): Das Berliner Zeughaus, München, Berlin u.a. 2006, S. 88).

3 Theodor Lubieniecki: Kopfkartusche in Ruinenlandschaft, Berlin, 1696–1700, Feder in Schwarz, 30,7 x 20 cm (Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. 13119).

4 Hans Andreas Schlüter (?): Medaillon mit dem Kopf eines Kriegers, Fassade des sog. Schlüterhauses, Danzig/Gdańsk, um 1640 (Foto 1964, Kondziela/Fijałkowski 1965, wie Anm. 4, Abb. 48).

Einen größeren Part widmet die Ausstellung dem Schlüterschen Reiterstandbild des Großen Kurfürs­ten (Abb. 1), welches dem Urtyp des Reiterbildnisses, jenem Marc Aurels, axial gegenübergestellt wird und präsentationstechnisch seine Wirkung in der ihm ge­gebenen großen Räumlichkeit ausgezeichnet entfalten kann. Als Vorbild der Idee eines Reiterstandbildes als einem Brückenmonument wird auf das von Giambologna konzipierte Reiterstandbild des französischen Königs Heinrich IV. auf der Pont Neuf in Paris ver­wiesen, welches zudem die Sockelgestaltung mit den vier am Fuße des Denkmals platzierten Sklaven vor­wegnimmt. Interessant ist hier wiederum die Rolle des Bronzegießers Johann Jacobi, der eine grundlegende Vermittlerrolle innehatte. Nach seiner Mitarbeit am Guss des monumentalen Reiterstandbildes von Lud­wig XIV. 1692 in Paris (Entwurf François Girardon) wurde er nach Berlin berufen, um Schlüters Denkmal des Kurfürsten zu gießen. Die dynamisch-offensive Darstellung des Schlüterschen Reiterstandbilds, hier vor allem die Draperie des Gewandes, korrespon­diert eindeutig mit dem Wachsmodell für das Stand­bild des Alessandro Farnese von Francesco Mochi. Positiv hervorzuheben ist die gelungene kuratorische Konzeption, die Reiterstandbilder nicht nur in Form kleiner Modelle zu präsentieren, sondern mittels zeit­genössischer Gemälde und Stiche deren einstige Aufstellungssituation in den jeweiligen Residenzstädten zu vermitteln.

So wie das Reiterstandbild an der Langen Brücke ist auch die 1889 abgerissene Alte Post mit Fassaden­dekoration Schlüters aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Der Besucher vermisst hier zeitge­nössische Ansichten, lediglich ein kleinformatiges Gemälde dokumentiert die städtebauliche Lage un­mittelbar neben der Langen Brücke gegenüber dem Schloss. Die Fassade des Posthauses als größere Ge­samtansicht abzubilden, wäre insofern interessant ge­wesen, als sie in ihrer Konzeption mit den klassischen römischen Architekturformen bricht und, wie Guido Hinterkeuser feststellt, Anregungen von niederländi­scher und französischer Seite aufgreift.11 Ausgestellt werden insgesamt sechs von den acht noch erhaltenen dekorativen Tondi (Abb. 5), die oberhalb des Piano Nobile angebracht waren und unterschiedliche Tu­genden figurieren, wobei die Identifikation der unge­wöhnlichen Allegorien bis heute nicht schlüssig gelun­gen ist.12 Als Referenzrahmen für die ikonographische Inszenierung der Tugenden wird in der Ausstellung verallgemeinernd auf Cesare Ripas Iconologia ver­wiesen. Dagegen betont Hinterkeuser, dass sich meist keine Anhaltspunkte für die Identifizierung der Alle­gorien in den zeitgenössischen Ikonographietraktaten finden lassen.

5 Andreas Schlüter: Allegorie der Diskretion (?), Relieftondo von der Fassade der Alten Post, um 1703, Sandstein (SMB, Skulpturensammlung / Antje Voigt).

Mit der Präsentation der bronzenen Porträtbüste des Prinzen Friedrich II. von Hessen-Homburg wird in einem weiteren Nebenraum ein Werk Schlüters aus dem Jahr 1701 vorgestellt, dessen herausragende Qua­lität durch die Konfrontation mit zeitgenössischen Vergleichsbeispielen fassbar wird. Eine Bronzebüste des Landgrafen von Hessen-Kassel von dem flämi­schen Bildhauer Gabriel Grupello sowie eine Marmorskulptur des Architekten Jules Hardouin-Mansart von dem französischen Bildhauer Jean-Louis Lemoyne flankieren Schlüters meisterliche Darstellung des Prinzen von Hessen, die vollplastisch ausgestaltet auf Allansichtigkeit angelegt ist und sich stilistisch durch­aus mit der führenden französischen Porträtkunst des Hochbarock messen kann.

Erst in einem der letzten Ausstellungsräume wird ein­gelöst, was der Ausstellungstitel SCHLOSS BAU MEIS­TER verspricht: Der Fokus wird nun auf Schlüter als Baumeister des Berliner Schlosses gelegt.13 Zeitgleich mit der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen wurde die zum Schlossplatz ausge­richtete Fassade durch Schlüter vollendet und bildete somit einen repräsentativen Rahmen für den bevor­stehenden Krönungseinzug. Das beinahe den kom­pletten Ausstellungsraum füllende Modell von Wolf­gang Schulz aus den 1980er-Jahren im Maßstab 1:100 verschafft den BesucherInnen einen anschaulichen Überblick über die einst bestehende Schlossanlage. Der Schlüter’sche Entwurf speist sich aus Anleihen der italienischen Hochrenaissance sowie des Hochbarocks in Rom. Auch französische Vorbilder wie der Umbau des Louvre, der ab 1661 als Prototyp des zeitgenössi­schen Schlossbaus bezeichnet werden kann, werden genannt.14 Neben den nicht ausgeführten Bernini- Entwürfen diente insbesondere auch die Ostfassaden­gestaltung durch den Architekten Claude Perrault als Anregung für Schlüters Hofportalanlagen. Die Fas­saden zum Schlossplatz hingegen lassen Reminiszen­zen an römische Stadtpaläste erkennen, deren Archi­tektur Schlüter, so Hinterkeuser, vor allem über den niederländischen Architekten Tilman van Gameren vermittelt bekam, der ihm derartige architektonische Formen am Krasiński-Palast in Warschau gleichsam vorexerzierte. Bei aller schlüssiger Auflistung von Vor­bildern für den Schlossumbau bleibt eine große Un­klarheit bestehen: der Weg Schlüters zum Architekten. In welchem Ausmaß der zunächst nur als Bildhauer und Bauplastiker tätige Künstler bereits im Zuge sei­ner Ausbildung in Polen architekturtheoretische und praktische Grundlagen des Bauwesens erlernte, wird nicht entschlüsselt. Die Auseinandersetzung mit der Position Andreas Schlüters als „Bildhauerarchitekt“, eine Doppelfertigkeit, die zu seiner Zeit durchaus kei­nen Einzelfall darstellt, scheint ein interessanter An­satz für die weitere Schlüter-Forschung zu sein.

Ein Modell des Treppenhauses und Teile der Ausstattung des 1950 gesprengten Stadtschlosses, darunter originale Holztüren, Tapisserien oder das prunkvolle Silberbuffet aus dem ehemaligen Rittersaal, vermit­teln einen Eindruck von den Innenräumen des ba­rocken Schlosses, die im Zuge des Wiederaufbaus als Humboldtforum nicht wieder rekonstruiert werden – ein zentraler Kritikpunkt aktueller Auseinanderset­zungen.15

Schlüter scheiterte als Schlossbaumeister an der von höchster Stelle gewünschten Umgestaltung des Wasserturms in einen ca. 300 Fuß hohen Münzturm mit Glockenspiel, der ab 1702 an der Nordwestecke der Schlossanlage auf bereits bestehender Bausubstanz aufgerichtet wurde. Der labile und sandige Untergrund am Spreeufer verursachte statische Probleme und Risse am Bauwerk. Um den drohenden Einsturz ab­zuwenden, musste der Münzturm abgetragen werden. 1706 endete damit Schlüters Karriere als Hofarchitekt. Als Hofbildhauer blieb er weiter für die Hohenzollern tätig und schuf die als Pendants gedachten monumen­talen Prunksarkophage für das Königspaar Sophie Charlotte und Friedrich I. im Berliner Dom. In sei­nen letzten Berliner Jahren übernahm er Bauaufgaben privater Auftraggeber wie den technisch aufwändigen Einbau einer Kanzel in die Marienkirche oder seinen letzten Bau in Berlin, die Villa Kameke (Abb. 6).16

6 Andreas Schlüter: Villa Kameke, Berlin, Mittelrisalit Straßenseite, Foto vor 1945 (Wünsdorf, BLDAM, Messbildarchiv, in: AK Bode-Museum 2014, wie Anm. 2, Abb. XXII.4, S. 420).

Die berninesken Attikafiguren dieses bemerkenswer­ten Gartenpalais, das den Zweiten Weltkrieg nicht überdauerte, befinden sich permanent in der Samm­lung des Bode-Museums, im langen Gang nach dem Eingangsfoyer. Fast am Ende der Schlüter-Ausstellung vermittelt der Aufriss der Gartenfassade der Villa Ka­meke den BesucherInnen das Architekturcapriccio des reifen Bildhauerarchitekten.

Großformatige Fotografien der erhaltenen Schlüter­werke in Berlin laden abschließend ein, den vorhan­denen Spuren in der Stadt zu folgen. In Berlin Mitte befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben der stetig wachsenden Schlossbaustelle auch der Berli­ner Dom mit der königlichen Grablege, die Bauplastik des Zeughauses, die Kanzel der Marienkirche sowie die Gruftpforte zum Männlichgrabmal in der Nikolaikirche. Das Reiterstandbild des großen Kurfürsten hingegen hat seinen Platz im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses gefunden – weit ab von seinem ur­sprünglichen Bestimmungsort, der Langen Brücke, die einst zum Schloss der Hohenzollern führte.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 304–310.

 

  1. Edith Fründt/Eva Mühlbächer (Hg.): Andreas Schlüter und die Plastik seiner Zeit. Eine Gedächtnisausstellung anläßlich der 250. Wiederkehr seines Todesjahres (AK Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturen-Sammlung, Berlin, 1964), Berlin 1964.
  2. Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin (AK Bode-Museum, Skulpturensamm­lung und Museum für byzantinische Kunst, Berlin, 2014), Berlin: Hirmer 2014. Ders., Schlüter in Berlin. Stadtführer, Berlin: Hirmer 2014.
  3. Regina Deckers: Andreas Schlüter in Danzig und Polen, in: AK Bode-Museum 2014, S. 20–31, hier S. 20–21.
  4. Siehe vor allem: Henryk Kondziela / Wojciech Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit Andreas Schlü­ters in Polen, in: Michelangelo heute. Sonderband der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Uni­versität zu Berlin 14 (1965), S. 267–291. Guido Hinterkeuser: Ex oriente lux? – Andreas Schlüter und der pol­nische Anteil am Ausbau Berlins zur Königsmetropole, in: Małgorzata Omilanowska/Anna Straszewska (Hg.): Wanderungen (= Das gemeinsame Kulturerbe 2), War­schau: Instytut Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2005, S. 27–41.
  5. Heinz Ladendorf: Andreas Schlüter. Baumeister und Bildhauer des preußischen Barock, Leipzig: Seemann 1997. Die neuaufgelegte Monographie von Ladendorf aus dem Jahr 1937 wird mit einem Kommentar von Hel­mut Bösch-Supan ergänzt, der den Originaltext unver­ändert belässt, jedoch den Werkkatalog vervollständigt und die Forschung seit 1945 hinzufügt.
  6. Auf jenen Kunstgriff Schlüters verweist auch Hans-Ul­rich Kessler. Hans-Ulrich Kessler: Das Reiterdenkmal des Grossen Kurfürsten, in: AK Bode-Museum 2014, S. 222–235, hier S. 230–231.
  7. Guido Hinterkeuser: Ad Nobilissimum SCHLVTERVM Gdanensem. Andreas Schlüter und seine Stellung in der deutschen und polnischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Robert Born u.a. (Hg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs (Hum­boldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte 1), Ber­lin: Mann 2004, S. 301–333.
  8. Deckers: Andreas Schlüter (wie Anm. 3).
  9. Fritz-Eugen Keller: Die Schlusssteine der Bögen am Erdgeschoss des Zeughauses. Andreas Schlüters Tri­umphhelme und Kopftrophäen besiegter Krieger – ein Hauptwerk nordeuropäischer Barockskulptur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 136–151, hier S. 144–147.
  10. Georg Cuny: Danzigs Kunst und Kultur im 16. und 17. Jahrhundert. Danzigs Künstler mit besonderer Be­rücksichtigung der beiden Andreas Schlüter, Frank­furt am Main: Verlag Heinrich Keller 1910. Kondziela/ Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit (wie Anm. 4).
  11. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und die Alte Post in Berlin, in: AK Bode-Museum 2014, S. 374–383, hier S. 377.
  12. Guido Hinterkeuser: Kat. XX.3–XX.8. Reliefs von der Fassade der Alten Post, in: AK Bode-Museum 2014, S. 386–390, hier S. 390.
  13. Wilhelm v. Boddien: So weit sind wir jetzt: Das Berli­ner Schloss-Humboldtforum ist im Bau, in: Förderver­ein Berliner Schloss e.V., URL: http://berliner-schloss. de/aktuelle-infos/wo-stehen-wir-heute-der-sachstand (21.07.2014).
  14. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 258–272, hier S. 267–268.
  15. Jens Jessen: Ausstellung „Andreas Schlüter“. Kein Außen ohne das Innen, in: Die Zeit 17/2014, URL: http://www.zeit.de/2014/17/schlossbaumeister-andreas-schlueter (21.07.2014).
  16. Zur Sonderstellung der Villa Kameke und ihrer ar­chitektonischen Verwandtschaft mit Gartenpalais in Deutschland und Wien siehe Hellmut Lorenz: Andreas Schlüters Landhaus Kameke in Berlin, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56, 2 (1993), S. 153–172.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/167

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Geburtstagskind des Monats Dezember: Die Rückkopplung

Die Rückkopplung wird am 8. Dezember 120, und Ö1 feiert dies (So 7.12.2014, 23:03-0:00):

"120 Jahre Rückkopplung" von Knut Aufermann
Live aus dem ORF Funkhaus in Wien

Am 8. Dezember 1894 bekam der Brite Alfred Graham sein Patent für "A New or Improved Method and Means of Producing Sound". Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die erste Anleitung, um mit Hilfe eines Mikrofons und eines Lautsprechers Rückkopplungen zu erzeugen. Musikalische Höhepunkte von Jimi Hendrix oder Alvin Lucier lassen sich von diesem Patent ableiten. Kunstradio und Resonance104.4fm feiern zusammen den Geburtstag der Rückkopplung mit einem Netzwerk von Feedback live aus London. Eine Sendung von Knut Aufermann.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022374748/

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Soziologie der Liebe – Ein Interview mit Prof. Dr. Udo Thiedeke

Nadja Boufeljah aus unserer Redaktion hat für die aktuelle Ausgabe zum Thema „Emotionen: Wie sozial sind unsere Gefühle?“ ein Interview mit Prof. Dr. Udo Thiedeke zur Soziologie der Liebe geführt. Was bedeutet es, wenn man liebt? Wie kommt es zu … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/7870

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Sade im Sumpf

Sehr schön, der morgige Sumpf (FM4, 30.11.2014, 21:00-23:00) widmet sich Sade:

Was bleibt von Marquis De Sade?
Ein Sumpf-Spezial zum 200. Todestag

Das 20. Jahrhundert war von ihm fasziniert. Guillaume Apollinaire nannte ihn göttlich, Adorno und Horkheimer erkannten ihn seinem Werk die schwarze Seite der Aufklärung, Pasolini machten aus seinen "120 Tagen von Sodom" eine Parabel über den Faschismus, und Feministinnen wollten seine Werke verbannen. Heute ist es stiller geworden um den vielleicht skandalösesten Autors der Moderne.
- außer in Frankreich. Eine aktuelle Ausstellung in Paris über De Sade und die Kunst trägt den Titel "Die Sonne angreifen".

Die Beiträge zum Sade-Sumpf:

ein Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Ernst Strouhal
eine Rückschau auf den Einfluss von De Sade auf die Popmusik und
einer neuen Ausgabe unserer zweiwöchentlichen Elektronikmesse "Die Unordnung der Dinge".

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022374492/

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Neue Perspektiven auf (anti-)koloniale Gewalt in Mythen, Erinnerung und Praxis. Claire Mauss-Copeaux analysiert einen zentralen Wendepunkt des algerischen Unabhängigkeitskriegs (1954-1962)

Rezension zu: Claire Mauss-Copeaux, Algérie 20 août 1955. Insurrection, répression, massacres. Paris 2011.

Wie kaum ein anderes Thema der Zeitgeschichte sorgt der zwischen 1954 und 1962 um die Unabhängigkeit Algeriens geführte Krieg bis heute in Frankreich immer wieder für breite und oftmals hoch emotional geführte Debatten. Seit der algerischen Unabhängigkeit 1962 schlugen die miteinander in Konflikt stehenden Erinnerungen und Deutungen der beteiligten Akteure bzw. ihrer (zum Teil selbsternannten) Repräsentanten immer wieder hohe Wogen, die u.a. als »Krieg der Erinnerungen« bezeichnet wurden. Obgleich die algerischen Aufstände vom 20. August 1955 seit jeher Gegenstand intensiver Kontroversen waren und als eines der Schlüsselereignisse dieses Krieges gelten, hat es – anders als etwa im Fall des Putschs vom 13. Mai 1958 – vergleichsweise lange gedauert, bis eine Monographie sich dieses Ereignisses und seiner unmittelbaren Folgen annahm. Claire Mauss-Copeaux hat diese Lücke gefüllt, und um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis, zu dem sie, aufbauend auf einem umfangreichen Fundus algerischer und französischer Archivalien und Zeitzeugenberichte kommt, ist in mehrfacher Hinsicht beeindruckend und als solches nicht nur Spezialisten französischer Kolonialgeschichte als besonders lesenswert zu empfehlen.
Zum historischen Kontext: Weniger als ein Jahr nach dem Beginn der algerischen Rebellion am 1. November 1954 war die Befreiungsfront Front de Libération Nationale (F.L.N.) bereits massiv angeschlagen. Seit Beginn des Jahres 1955 hatte die französische Armee dank ihrer ebenso technischen wie zahlenmäßigen Überlegenheit und ausgestattet mit weitreichenden Vollmachten der Regierung in Paris zahlreiche führende Aktivisten verhaftet oder getötet. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zweigen der Organisation war entweder gestört oder unterbrochen. In dieser Situation entschied sich der für die Region um Constantine (Le Constantinois) Verantwortliche des F.L.N. Zighoud Youcef dafür, einen breiten Aufstand zu organisieren, der am zweiten Jahrestag der französischen Absetzung des marokkanischen Königs mit großer Unterstützung der lokalen algerischen Bevölkerung in mehreren Orten des Constantinois stattfand. Ziel war es, das symbolträchtige Datum zu nutzen, um durch Angriffe auf Institutionen des kolonialen Systems internationale Aufmerksamkeit zu erregen und die allgemeine Mobilisierung für den F.L.N. voranzutreiben (84-89). Die Bilanz der Toten an diesem Tag betrug 123. Damals und bis in die jüngste Vergangenheit wurden insbesondere die angeblich in Form von Massakern umgekommenen 71 Toten europäischer Herkunft vielfach als Rechtfertigung für die anschließenden »Vergeltungsmaßnahmen« gegenüber der algerischen Bevölkerung in der gesamten Region angeführt (123-125).
In ihrem ersten Teil macht Mauss-Copeaux die zentrale Rolle der Gewalt für die Existenz und die Stabilisierung des kolonialen Staates in Algerien deutlich. Sie stellt fest, dass in über hundert Jahren kolonialer Unterdrückung Gewalt nicht das einzige Kommunikations- und Herrschaftsmedium der Franzosen in Algerien war. Ungeachtet dessen diente Gewalt während der gesamten französischen Besatzung in jedem Fall offener Revolte oder Infragestellung der kolonialen Hierarchie als letztes Mittel zum Erhalt des status quo (14). So wird verständlich, dass es in Algerien nach den ersten vereinzelten Anschlägen, die auf den 1. November 1954 folgten, nicht erst der massiven Aufstände des 20. August 1955 bedurfte, um das gesamte Land in einen Kriegszustand zu versetzen. Dafür hatten bereits zuvor die Anweisungen der Armeeführung (vor allem das seit dem 1. Juli 1955 auf ganz Algerien angewendete Prinzip der »kollektiven Verantwortung«) wie auch die Einsatzpraxis von Berufssoldaten und Wehrdienstleistenden gesorgt (Erschießungen von Gefangenen bzw. Verdächtigen z.T. mit anschließender öffentlicher Zurschaustellung der Leichen, Vergewaltigungen und Folter) (61-63).
Die Teile zwei und drei des Buchs rekonstruieren die Aufstände in den verschiedenen Orten des Constantinois. Besonders eingehend werden El Alia und Aïn Abid untersucht, da dort die meisten Zivilisten ums Leben kamen, wobei insbesondere die Angriffe auf private Häuser und die Morde an Frauen und Kindern das französische Entsetzen erregten. In der damaligen kolonialen Propaganda und zum Teil bis heute fungieren diese Morde als »massacre de réference« und Ausweis einer unmenschlichen Tyrannei des F.L.N. mit dem sich jede Form der Vergeltung rechtfertigen ließ (123).
Vor allem auf der Grundlage lokaler Quellen und den Berichten algerischer und europäischer Zeitzeugen gelingt es Mauss-Copeaux, eine neue Lesart des 20. August zu begründen. So gesteht sie zwar bei mindestens 42 der Morde den Tatbestand eines Massakers zu (126), entlarvt jedoch kursierende Horrorszenarien wie einen Mord mit einer Gabel und das Herausreißen eines Fötus aus dem Bauch einer Schwangeren als Gerüchte (158-159). Bezüglich der Verantwortung des F.L.N. für die Morde an europäischen Zivilisten gibt sich die Autorin skeptisch. Sie verweist darauf, dass der F.L.N. zumindest bis zu diesem Datum Angriffe auf europäische Zivilisten explizit verbot und es im Fall eines Schießbefehls auf Zivilisten an allen Orten des Aufstands zu Massakern hätte kommen müssen – nicht nur in El Alia und Aïn Abid. (91-93). Ohne den Anspruch zu erheben, eine vollständige Erklärung dieses »Rätsels« (134) liefern zu können, führt die Autorin die These an, dass die von Algeriern begangenen Massaker auf intensive lokale Spannungen zurückzuführen seien, die zwischen Algeriern und Europäern allgemein bestanden hätten, aber auch zwischen direkt involvierten Einzelpersonen. Hinzu seien situative Dynamiken gekommen, wie eine kurz zuvor erfolgte Denunziationen gegenüber den Kolonialbehörden, die Erschießung eines Algeriers durch einen Europäer auf offener Straße und der Umstand, dass die Häuser der europäischen Opfer unmittelbar neben den ursprünglich anvisierten Gebäuden lagen, die den kolonialen Staat repräsentierten. Auf der Basis dieser Argumentation erscheint es tatsächlich naheliegend, dass der Aufstand auf lokaler Ebene als Gelegenheit für individuelle Racheakte genutzt wurde (144).
Bis heute haben mehrere Überblickswerke französischer Historiker über den Algerienkrieg viele (zu einem großen Teil erfundene) Details der Morde an europäischen Zivilisten im Constantinois aufgeführt und die anschließenden Repressalien der Armee nur kursorisch behandelt. Ohne sie zu verschweigen, wurde der »Tod« von schätzungsweise 12 000 Algeriern oftmals vereinfacht als Konsequenz der vorherigen »Massaker« eingeordnet und damit abgehandelt (177-180). In dem vierten Teil ihrer Monographie zeigt Claire Mauss-Copeaux eindrucksvoll, dass auch diese Lesart revidiert oder zumindest ergänzt werden muss: Erst am 28. August 1955 wurde der eine Woche zuvor erteilte Befehl an die französischen Soldaten eine »schnelle und brutale Wiederherstellung der Ordnung« durchzuführen, dahingehend präzisiert, dass das Leben von Frauen und Kindern zu schonen sei (184-185). Bis dahin warfen Flugzeuge der französischen Armee über mehreren Dörfern des Constantinois Bomben und Napalm ab, Bodentruppen legten ganze Dörfer in Brand nachdem die Häuser zuvor von Panzerfahrzeugen unter schweren Beschuss genommen worden waren. Sogar ein Escorteur der Marine wurde eingesetzt, um das Umland der Küstenstadt Collo breitflächig zu bombardieren (190-192). Auf diese mehr oder weniger wahllos durchgeführten Aktionen kollektiver Bestrafung folgten planmäßige Verhaftungen und anschließende Massenerschießungen hunderter algerischer Männer und Jugendlicher, deren Leichen in Massengräbern verscharrt wurden. Angesichts der aktiven Verschleierung derartiger Verbrechen durch die französische Armee wird hier die Bedeutung des Zugangs der Oral History besonders deutlich: Nicht nur Archivmaterial und Fotos wurden systematisch zerstört (199). Auch die Körper der Hingerichteten sollten ausgelöscht werden. So wurden in Guelma nach einer Massenerschießung die Leichen algerischer »Verdächtiger« zur Unkenntlichmachung mehrfach von Kettenfahrzeugen überfahren und zerquetscht (220-225).
Dass die beschriebenen Exzesse des französischen Militärs vor allem Unbeteiligte treffen mussten und auch an Orten begangen wurden, an denen es keine Aufstände gegeben hatte, zeigt das ganze Ausmaß willkürlich eingesetzter Gewalt während des Kolonialkrieges. Entgegen einer bislang weit verbreiteten Interpretation sind die Aufstände des 20. August somit durchaus als Auslöser nicht aber als hinreichende Erklärung für die anschließenden Massaker zu verstehen. Deren systemischen Charakter macht nicht zuletzt der Umstand deutlich, dass die Regierung in Paris über das Vorgehen der Armee genauestens Bescheid wusste, aber weder eingriff noch Sanktionen verhängte (183-184). Claire Mauss-Copeaux hat hiermit ein für das differenzierte Verständnis des algerischen Unabhängigkeitskrieg essenzielles Werk vorgelegt. Dass die Autorin die Verwendung von Bezeichnungen der Gewalt durch die Akteure von damals und heute mehrfach diskutiert ohne jedoch selbst die Frage zu klären, was zum Beispiel unter »Massaker« verstanden werden soll, ist ihr in jedem Falle nachzusehen. Ihre durch Karten, Abbildungen und eine Vielzahl von Zitaten angereicherte Monographie hat nicht nur einen der entscheidenden Wendepunkte des algerischen Unabhängigkeitskrieges in ein neues Licht gerückt. Weit darüber hinaus werden auch Studien über koloniale Gewalt ebenso wie Oral History Projekte in diesem Buch Anknüpfungspunkte finden.

Bild: Buchcover, Editions Payot & Rivages,

Quelle: http://gewalt.hypotheses.org/659

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Legende und Geschichte – die römische Königszeit, Teil 4

Von Stefan Sasse
Dies ist der dritte Teil der Artikelserie. Im ersten Teil besprachen wir die ersten beiden mythischen Könige Roms, Romulus und Numa. Im zweiten Teil besprachen wir die folgenden beiden Könige, Hostilius und Marcius. Im dritten Teil widmeten wir uns den zwei nächsten Königen, Tullius und Priscus. In diesem abschließenden Teil betrachten wir den letzten König von Rom, Tarquinius Superbus. 

Tarquinius Superbus
Die Geschichte des Aufstiegs von Tarquinius Superbus ist bereits der eines Bösewichts würdig. Er war der Sohn oder Enkel (es gibt widerstreitende Überlieferungen) des fünften Königs von Rom, Lucius Tarquinius Priscus, und mit einer Frau namens Tullia verheiratet, die in bester römischer Tradition, die nur zwei weibliche Extremfiguren kennt - entweder die tugendhafte, vorbildliche Ehefrau oder die intrigante, ambitionierte und böse Schwiegermutter -, ihren Ehemann zum Putsch gegen König Nummer sechs, Servius, anstachelte. Tarquinius, von Haus aus eitel und leicht von solchen Schandtaten zu überzeugen (daher auch sein Name "Superbus", was sich als arrogant oder eitel übersetzen lässt), machte sich auch gleich daran und marschierte mit einer Bande bewaffneter Unterstützer in den Senat, wo er sich breitbeinig auf den Königsthron setzte (ein Hauch von Machismo gibt der Geschichte hier die notwendige Würze) und die Senatoren aufforderte, ihm zu huldigen, weil Servius ohnehin ein schlechter König sei.
Die Begründung, die Tarquinius Superbus hierfür gibt, ist, abgesehen von den obligatorischen ad-hominem-Attacken (Servius ist ein Sklave, der von einer Frau auf den Thron gesetzt wurde) von geradezu lächerlicher Ironie: Servius habe die unteren Klassen Roms den oberen vorgezogen und deren Reichtum öffentlich sichtbar gemacht, so dass die unteren Klassen unzufrieden wurden. Wenn man bedenkt, dass gerade diese Probleme die Republik zu Fall bringen würden ist das schon eine interessante Vorwegnahnme. Tarquinius etablierte sich danach als Bösewicht, indem er den heraneilenden Servius (der die exakt gleichen Vorwürfe in Richtung Tarquinius schleudert) die Treppen des Senatsgebäudes hinunterwerfen und den Verletzten danach niederstechen lässt. Seine Frau, ebenfalls im Public-Relations-Sektor tätig, trieb danach ihren eigenen Streitwagen über die Leiche, so dass die komplett bespritzt mit dem Blut des Königs zuhause ankam. Tarquinius weigerte sich später, den toten König beerdigen zu lassen.

Tarquinius Thronergreifung, Comic aus den 1850er Jahren
Diese Geschichte der Thronergreifung alleine ist schon viel zu gut, um wahr zu sein. Sie enthält alle Elemente, die die Römer in ihren Geschichten liebten: intrigante Frauen, Gewalt und den Konflikt vom virtus gegen die niederen Instinkte. Tarquinius und seine Frau Tullia werden als geradezu karikaturhaft böse dargestellt, was die Bühne für eine passende Regierungszeit ebnet. Diese beginnt auch gleich mit einigen Schauprozessen gegen feindlich gesinnte Senatoren. Deren Plätze füllte er danach nicht wieder auf, was den Senat effektiv verkrüppelte und zu einem reinen Akklamationsorgan machte. Dieser Zug bewies erneut seine Tyrannei: wären die Senatoren schuldig gewesen, spräche schließlich nichts gegen Nachernennungen. 

Tarquinius wandte seine Aufmerksamkeit dann nach außen, nach Latium, das er vollständig unter römische Kontrolle bringen wollte. Mit einer Reihe von geschickten Bündnissen und Verrat fiel Stadt um Stadt unter seine Kontrolle und vereinte ihre Truppen mit Rom. Seine Taktiken waren alles andere als fein: er versteckte etwa bei einer Konferenz mit latinischen Anführern Waffen in deren Hütten, die danach gefunden wurden - und die Latiner wegen Verrats getötet. Die Überlebenden und Nachfolger verstanden den Hinweis und folgten ihm. Eine andere renitente Stadt fiel, als sein Sohn, einen Bruch mit dem Vater vortäuschend, die Kontrolle übernahm und die örtliche Nobilität hinrichtete. Die Erfolge des Tarquinius waren daher auch von einer Aura des Ruchlosen und Ehrlosen umgeben. Ein ordentlicher Römer gewann schließlich in der männlichen, offenen Feldschlacht. Tarquinius konnte jedoch auch auf  eine Reihe genuiner Erfolge zurückblicken. Einige Ausbauten Roms, so etwa der Bau des großen Jupiter-Tempels und der Bau der Cloaka Maxima gehen auf sein Konto.

Michaelangelos Darstellung der Sibyll
Tarquinius gehört außerdem zum Rahmenprogramm einer der merkwürdigeren Sagen der römischen Frühzeit, der Legende der sibyllenischen Bücher. Sibyll war eine Art Orakel, die Tarquinius neun Bücher mit Prophezeiungen zu einem gewaltigen Preis anbot. Tarquinius lehnte ab, woraufhin Sibyll drei der Bücher verbrannte  und die restlichen sechs zum gleichen Preis erneut anbot. Tarquinius war schon unsicher, lehnte aber erneut ab, woraufhin Sibyll drei weitere verbrannte. Die restlichen drei kaufte Tarquinius nun. Die Römer konsultierten diese Bücher, die von speziellen Aristokraten bewacht wurden, bis zum Brand des Jupitertempels 85 v. Chr., woraufhin sie eine neue Sammlung sibyllischer Prophezeiungen aus dem ganzen Mittelmeerraum zusammenkauften, die sie bis zum Aufstieg des Christentums vor wichtigen Entscheidungen konsultierten. Hätte Tarquinius nur alle neun Bücher gekauft! 

Der Fall des Tarquinius kam, wie auch sein Aufstieg, durch eine Frau. Bei der Belagerung einer reichen Stadt namens Rutuli, die Tarquinius nur der Beute wegen belagerte, langweilten sich die adeligen Jungspunde mit Offiziersrang so sehr, dass sie begannen, gegenseitig die Treue ihrer Ehefrauen zu prüfen. Die einzige Frau, die der Prüfung standhielt, war Collatia - erneut sehen wir die typisch römische Figur der tugendhaften Ehefrau -, was die Leidenschaft von Tarquinius' Sohn Sextus erregte, der sie erpresste und zum Sex zwang. Collatia aber machte die Affäre danach öffentlich und beging dann Selbstmord. Als Reaktion auf diese Ehrverletzung der Nobilität schwor Collatius zusammen mit seinen Freunden Lucius Junius Brutus und Publius Valerius, die Tarquinier aus Rom zu vertreiben. Die ruinöse Baupolitik des Königs, der die Kassen Roms geleert hatte und angesichts des Misserfolgs der Belagerung von Rutini auch keine Aussicht auf Besserung hatte, tat sein Übriges. 

Lucius Junius Brutus
Da Brutus zur Leibgarde Tarquinius' gehörte, besaß er das Recht, die Ständeversammlung (comitia) einzuberufen, was er tat - und als Bühne für eine vernichtende Anklagerede gegen den König nutzte. Tarquinius, seine Frau Tullia und sein Sohn (der kurz darauf ermordet wurde) flüchteten aus der Stadt, und Brutus und Collatius wurden zu den ersten beiden Konsuln Roms gewählt. Natürlich wäre dies keine römische Geschichte ohne einen ordentlichen Verrat, und so zwang Brutus kurz darauf Collatius zum Rücktritt, um einen genehmeren Kollegen zu bekommen. Tarquinius indessen verbündete sich mit Roms altem Feind Veji und marschierte auf Rom, wurde aber von Brutus' Armee zurückgeschlagen. In der blutigen Schlacht fand Brutus den Tod; er hatte zuvor jedoch auch eine innenpolitische Verschwörung entdeckt und die Loyalisten Tarquinius' ohne viel Federlesens exekutieren lassen, darunter auch zwei eigene Söhne. Ohne Verbündete in der Stadt, die nun fest in den Händen der Republikaner war, wandte sich Tarquinius an den König von Clusium, Porsena. Der marschierte mit einer großen Armee auf Rom, das eine blutige Verteidigungsschlacht schlug, die ebenfalls in die römische Legende einging: angeblich gelang es Porsena fast, eine Brücke über den Tiber unter Kontrolle zu bekommen, bevor die Römer sie zerstören konnten. Ein tapferer Aristokrat namens Horatius hielt die feindliche Armee im Alleingang lange genug auf, dass die Brücke hinter ihm zerstört werden konnte und schwamm danach in Sicherheit. 

Solche angeblichen Heldentaten hin oder her, Rom wurde danach von Porsenas Armee belagert. Es ist unklar, ob Porsena Rom eroberte und kurzzeitig besetzte oder ob die Römer die Belagerung überstanden; so oder so zog Porsena aber bald ab und überließ Tarquinius dessen letztem Versuch, Rom zurückzuerobern. Dieses Mal stellte sich der Armee Tarquinius (im Bündnis mit der latinischen Stadt Tusculum) der erste Diktator Roms entgegen, Albus Postumius Albus, der in der Schlacht ebenfalls den Tod fand. Die Römer siegten knapp, und Tarquinius verschwand endgültig im Exil. Rom war eine Republik. 

Tyrannenmord
Zu den Gründungskernen der Republik gehörte die ungeheure Feindseligkeit gegenüber allem, was nach Tyrannei und Königtum roch. Zahlreiche Politiker der Republik fanden den Tod (oder ein abruptes Karriereende), weil man ihnen Aspirationen nach dem Königstitel unterstellte. Das letzte Opfer dieser Königs-Paranoia war Julius Cäsar, der allerdings in der Angelegenheit kaum als unschuldig gelten darf. Die ungeheure Bosheit des Tarquinius (die vermutlich deutlich übertrieben ist) diente den Römern dabei immer als bequeme Rechtfertigung dieser Ablehnung des Königstitels. Jeder, der die Alleinherrschaft anstrebte, musste sich mit Tarquinius vergleichen lassen - ein PR Albtraum. Letztlich aber diente auch die Geschichte von Tarquinius vor allem als ein pädagogisches Werk: wie die Könige vor ihm war Tarquinius immer dazu gut, bestimmte Lektionen über das, was die Römer als ihr Selbstverständnis betrachteten - virtus - zu erläutern. 

Die Könige waren keine historischen Figuren, sondern mystische Verzerrungen realer, historischer Persönlichkeiten. Vermutlich gab es auch mehr als sieben von ihnen. Ihre Geschichte aber wurde erst zu einer Zeit aufgeschrieben, als die ältesten Einwohner der Stadt allenfalls Großeltern hatten, die bei Tarquinius' Vertreibung dabeigewesen waren. Es verwundert daher nicht, dass die Geschichten zwar hervorragend die Lektionen hergeben, die die Römer gerne weitergeben wollten, aber vermutlich wenig auf historische Genauigkeit geben. Für uns sind sie daher eher ein Fenster ins Innenleben der römischen Seele als in das ihrer Vorgeschichte. 

Bildnachweise: 
Tarquinius Münze - Guillaume Rouille (Public Domain)
Comic - John Leech (Public Domain)
Sibyll - Michelangelo (Public Domain)
Brutus Büste  - Jastrow (Public Domain)
Tyrannenmord - Karl von Piloty (Public Domain)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/11/legende-und-geschichte-die-romische.html

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