Petition zum Erhalt des Alten Bahnhofs Schleißheim

Der Alte Bahnhof Oberschleißheim steht seit Jahren leer und verfällt immer mehr. Der mögliche Ausbau der Bahnstrecke und häufig wechselnde Besitzverhältnisse haben in den letzten Jahren eine Nutzung verhindert. Wir befürchten, dass ein baldiger Abriss nicht mehr auszuschließen ist. Die Initiative ‚Verrückter Alter Bahnhof Oberschleißheim‘ hat bereits seit 2008 diverse Anstrengungen unternommen, das Bahnhofsgebäude nutzbar […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/07/5273/

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FAMI im LWL-Archivamt VII: Aufbereiten von Registraturgut

_BO_0740Hallo werte Archivinteressierte. Heute möchte ich auf eine grundlegende Aufgabe in unserem Arbeitsalltag eingehen, nämlich das Aufbereiten von Registraturgut. Viele Unterlagen aus der jüngeren Verwaltungsgeschichte bekommen wir von unserem Registraturbildner in Stehordnern überlassen, welche für eine dauerhafte Einlagerung im Magazin überaus ungeeignet sind, da die aufrechte Platzierung des Ordners schwerkraftbedingt nach einiger Zeit zu Verformungen führt, was auch seinen Inhalt schädigen kann. Zudem verbraucht der Stehordner auch in Hinblick auf die enthaltene Schriftgutmenge, mehr Regalplatz als eine gut gefüllte Archivschachtel. Natürlich ist die Archivschachtel auch wesentlich stabiler und liegt sicherer im Regal. (Aufbereitet) Umgebettet wird auch, um chemische Substanzen innerhalb des Archivguts zu minimieren wie z.B. mögliche Weichmacher in Klarsichthüllen, oder Metall (Büroklammern, Heftklammern), welches korrodieren kann.

 

Image00003Also ist eine Umbettung der Archivalien unabdinglich. Beim Umbettverfahren hier im Archivamt entnehmen wir die gelochten Schriftstücke aus ihren Ordnern und übertragen sie in säurefreie, der DIN ISO 9706 entsprechenden Deck- und Rückenkartonagen, die von einer Plastikbindung zusammenhalten werden. Da dieses System sehr simpel und einfach zu handhaben ist, können auch ungelernte Kräfte damit umgehen. Somit ist das Umbetten auch eine sehr gute Tätigkeit mit der man Praktikanten an die Arbeit im Archiv heranführen kann.

 

_BO_0744Zu dem Umbetten der Unterlagen gehört auch das „Entgräten“. Hierbei wird die Archivalie von allen Papierschädigenden Materialien befreit, wie beispielsweise Metallteilen (Büroklammern, Heftklammern) welche korrodieren können oder aber auch Klebefilmstreifen und Plastikfolien, die dem Papier durch chemisch ablaufende Prozesse im Laufe der Zeit zusetzen. Außerdem kann man parallel auch sehr gut anderes Archivgut aus der Akte entfernen, was vielleicht anderswo besser aufbewahrt werden sollte, z.B. Fotos die bei andere klimatische Lagerungsbedingungen wie Papier benötigen, oder Pläne, die man unter Umständen vielleicht besser in dafür vorgesehenen Schubladen planlegt. Beim Entfernen von Informationsträgern sollte man natürlich unbedingt beachten, dass an der entsprechenden Stelle ein Hinweisblatt zurückbleibt, was über den neuen Aufbewahrungsort der Unterlage Aufschluss gibt. Besonders beachten muss man auch Ausdrucke auf Thermopapier (Faxpapier). Wer sich an die Quittungen aus dem Supermarkt und ihre gefühlte Lesbarkeit von 3 Tagen vor Augen hält, der kann sich schon vorstellen warum diese Unterlagen unbedingt umkopiert werden sollten.

 

Ein ganz eigenes Kapitel, auf das ich auch nur Oberflächlich eingehe, ist der Umgang mit Datenträger wie z.B. CDs oder Disketten , welche mitunter in Unterlagen der letzten 30 Jahre auftauchen. Gerade Disketten, haben ein kritisches Verfallsdatum, was der magnetischen Speicherung der Daten geschuldet ist. Werden die Daten der Speichermedien nicht rechtzeitig in gängige Formate konvertiert (PDF, JPEG, TIFF) und auf Festplatte gespeichert, (oder bei einfachen Textdateien auch ausgedruckt), so sind diese schlicht und ergreifend irgendwann verloren. Neben der Lebensdauer der Datenträger ist ein weiteres Problem die Verfügbarkeit von passenden Abspielgeräten. Schaut mal bei euch am PC nach, ob Ihr noch ein Diskettenlaufwerk vorfindet. Also meiner hat keines mehr und hinzu kommt, das viele der heute produzierten Computer noch nicht einmal mehr ein DVD-Laufwerk besitzen. Man kann denke ich die Problematik erahnen, mit welcher die Archive in Punkto Datensicherung zu kämpfen haben.

 

Dahingegen ist die magazintechnische Bearbeitung von Akten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, welche vielfach mit der sogenannten preußischen Fadenheftung gebunden sind, geradezu ein Selbstläufer. Lästige Folien gab es damals noch nicht und auch Metallteile finden sich kaum, also muss bei diesen Akten bis auf die Entsäuerung des Papiers und die eventuelle Reinigung der Oberflächen kaum großer Aufwand betrieben werden. Einzig mechanischen Schäden oder Schimmelbefall sollte man natürlich behandeln.

 

Hat man die Akte nun magazingerecht aufgearbeitet, wandert sie nach entsprechender Verzeichnung in die passende Archivschachtel, welche natürlich auch gewisse Voraussetzungen erfüllen sollte. Die Außenmaße 39cm x 28 cm x 12 cm Länge, Breite, Höhe) sollte er schon haben, um Akten mit preußischer Fadenheftung, sowie Akten in Folio- oder DIN-Formaten, sowie die üblichen Klappmappen aufnehmen zu können. Zudem muss er wie alles archivgerechte Material auch alterungsbeständig nach DIN 9706 sein und eine gewisse Pappenstärke aufweisen, die eine Stapelung von 3 Schachteln übereinander ermöglicht.

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/920

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Voynich Manuskript das Werk eines Autokopisten?

“Schon wieder eine neue Theorie zum Voynich Manuskript?” mögen sich die geneigten Leserinnen und Leser dieses Blogs fragen. “Da lässt der Hermes doch bestimmt wieder kein gutes Haar dran.” Tatsächlich warfen die jüngsten Veröffentlichungen zum Thema weit mehr Fragen bei mir auf, als sie nachvollziehbare Antworten gaben. Um so erfreulicher finde ich, dass ich nun endlich einmal von einer aktuellen Veröffentlichung berichten kann, die ich für sehr überzeugend halte, vielleicht sogar für überzeugender als meine eigene Theorie.

Vor etwa vier Monaten wurde ich per Mail nett gefragt, ob ich bereit wäre, einen Paper-Entwurf zum Voynich Manuskript kritisch gegenzulesen. Die Bitte kam von Torsten Timm, der – wie so viele Voynich-Forscher – nicht mit der Wissenschaft sein Geld verdient. Wer weiß, wie gerne ich mich zwischendurch immer wieder mit dem Voynich Manuskript (VMS) beschäftige, kann natürlich ahnen, wie bereitwillig ich dieser Bitte nachkam. Vom ersten Augenblick an erschien mir Timms Hypothese plausibel und einen fruchtbaren Austausch per Mail und Skype später bin ich nach wie vor überzeugt davon, dass seine Theorie das Potential hat, die Entstehung des VMS-Textes zu erklären. Timm hat sie inzwischen (lobenswerterweise als Open Access Paper, daran bin ich auch nicht ganz unschuldig, glaube ich) auf arxiv.org veröffentlicht, so dass sich jede|r selbst ein Bild machen kann. Zu wünschen ist, dass sich Peer Reviewers finden, so dass das Paper auch auf einer publikumswirksameren Plattform veröffentlicht werden kann.

Kurz zum Inhalt: Timm begibt sich – wie ich das auch tat – auf die Suche nach einer Textgenerierungsmethode, deren Anwendung ein Resultat ergibt, dass die sonderbare distributionellen und statistischen Eigenschaften des VMS-Textes wiederspiegelt. Timm bezieht sich dabei vor allem auf die seltsame Eigenschaft, dass sich das Auftreten, die Häufigkeit und die Position (n-te Zeile, n-te Position in der Zeile) von VMS-Wörtern relativ gut vorhersagen lassen aus dem Auftreten, der Häufigkeit und der Position ähnlich aussehender Wörter. Da Timm ausschließt, dass dem Schreiber/der Schreiberin des VMS im späten Mittelalter/der frühen Neuzeit ein Instrumentarium zur Verfügung stand, das es erlaubte, eine solche Verteilung mathematisch herzuleiten, vermutet er, dass sie das Resultat eines Seiteneffekts einer einfacheren Methode der Textgenerierung ist.

Kern dieser angenommenen Methode ist ein Kopiervorgang des Schreibenden: Dieser erfand initial eine Reihe von unterschiedlichen Zeichenfolgen, die er im Anschluss immer wieder abwandelte. Timm weist nach, das teilweise ganze Zeilen voneinander kopiert scheinen, wobei immer leichte Abwandlungen in den Kopierprozess eingeflochten wurden, so dass nie gleiche, sondern immer nur ähnliche Zeichenketten entstanden. Auf den ersten Blick mag diese Methode als zu simpel bzw. zu abwegig erscheinen – wer zur Hölle soll sich hinsetzen und mehr als hundert Seiten auf diese sinnlose Art füllen? Allerdings wird die Hoax-Hypothese zum VMS (die Zeichen des VMS tragen keinen Inhalt, es wurde nicht zum Austausch bzw. zur Bewahrung von Information angefertigt) schon länger verbreitet und Timm belegt seine Vermutungen durch eine ganze Reihe von Indikatoren, im Paper selbst und vor allem in seinem Anhang, dem man ansieht, dass sich da jemand gewissenhaft mit der Materie auseinandergesetzt hat.

Timm

Ausschnitt aus der Seite f100r des VMS. Darauf farblich markiert von Timm angenommene kopierte, abgewandelte “Wörter” in wiederkehrenden Positionen.

Zum Ende geht Timm auch noch auf meine PIII-Hypothese ein, zu der er – nach meiner Ansicht – die bisher beste Alternativhypothese aufgestellt hat. Wir vermuten beide eine Textgenerierungsmethode hinter dem VMS-Text, und doch es gibt zwei entscheidende Unterschiede:

  1. Für meine PIII-Hypothese ist ein Codebuch notwendig, da dort die verschiedenen Chiffren auf Klartextbuchstaben abgebildet werden. Ein solches Codebuch wurde bisher nie gefunden, die Chiffrierungsmethode ist (wie ich selbst zugebe und Timm noch einmal schön ausführt) extrem kompliziert handzuhaben, v.a. bei der Dechiffrierung. Da Timms Kopisten-Hypothese ohne ein solches Codebuch auskommt, weil der Text einfach durch dauernde Abwandlung von sich selbst zustande kommt, sehe ich meine Hypothese hier klar im Nachteil.
  2. Das Resultat der Kopisten-Methode ist ein sinnfreier Text (den man textlinguistisch wohl noch nicht mal als Text bezeichnen dürfte). Mit ihm kann man nichts weiter anfangen, als jemanden zu täuschen, um sich dadurch irgendeine Art von Vorteil zu verschaffen. Ob dies tatsächlich eine solche Mühe, welche die Erzeugung des VMS gekostet haben muss, rechtfertigen kann, sei dahingestellt. Mit einer PIII-artigen Methode aber ist es möglich, Informationen zu verbergen, und zwar so gut, dass diese evtl. mit der Technik des 21. Jahrhunderts nicht entschlüsselt werden können. Lässt sich das nicht vielleicht als stärkerer Antrieb annehmen?

Ich gebe hier Occams Rasiermesser den geneigten Leser|inne|n in die Hand. Mögen sie beurteilen, welche Hypothese sie für plausibler halten. Mir sind ein paar Dinge in den Kopf gekommen, die man überprüfen und das Lot damit in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen könnte. Das ist mir aber noch zu unausgegoren, als dass ich mich dazu jetzt schon äußern möchte. Ich freue mich jedenfalls, dass Torsten die Muße und den Mut gefunden hat, seine Theorie so gewissenhaft auszuarbeiten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Möge dies ein weiterer Anstoß sein, die zukünftige VMS-Forschung auf eine solidere Basis zu stellen.

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Timm, Torsten (07/2014): How the Voynich Manuskript was created. Publication: eprint 2014arXiv1407.6639T

Hermes, Jürgen (2012) Textprozessierung – Design und Applikation. Dissertation, Universität zu Köln. Publication eprint http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/4561

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1076

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Round Table „Annotation von digitalen Medien”

von Luise Borek und Ruth Reiche, Technische Universität Darmstadt

Wer kennt ihn nicht, den Drang beim Lesen eines Textes ein paar Zeilen zu unterstreichen, eine Notiz an den Rand zu schreiben oder wichtige Stellen mit einem Post-It zu versehen, um sie bei Bedarf schnell wieder zu finden? Annotieren ist ein urmenschliches Bedürfnis, im Analogen wie auch im Digitalen. Doch ist bei einer Transformation vom Analogen ins Digitale ein Mehrwert zu erwarten, der Annotationspraktiken als Arbeitsinstrument für die Geistes- und Kulturwissenschaften neue Qualitäten verleiht, insofern digitale Annotationen medienübergreifend wirken, leicht mit anderen geteilt und von anderen ergänzt werden können und so die Entstehung von Wissen über einen längeren Zeitraum nachvollzogen werden kann.

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Prinzipiell können alle Arten von digitalen Objekten annotiert werden, nicht nur Texte, sondern z.B. auch Bilder oder Videos. In diesem thematischen Kontext hat sich der Round Table „Annotation von digitalen Medien” positioniert, organisiert von der HRA Heidelberg und mit TeilnehmerInnen verschiedener Fachdisziplinen aus Berlin, Darmstadt, Essen, Heidelberg und Rom. Er fand am 5. und 6. Juni 2014 im Heidelberger Karl Jaspers Centre statt. Anhand konkreter Beispiele aus den jeweiligen Forschungsprojekten ist die Runde gemeinsam fünf Kernfragen digitalen Annotierens nachgegangen:

  1. Was sind Annotationen?
  2. Wer nutzt Annotationen?
  3. Zu welchem Zweck?
  4. Wie werden sie eingesetzt?
  5. Warum überhaupt Annotationen?

Die Frage danach, was Annotationen sind, entspringt dem Bedürfnis einer definitorischen Abgrenzung des Gegenstandsbereichs. Auch wenn alles, was auf ein ‚Datum’ referenziert, ein ‚Metadatum’ ist, so gehen Annotationen doch über rein deskriptive Metadaten hinaus. Vielmehr können manuelle Annotationen als Mikro-Publikationen eines Autors oder einer Autorin verstanden werden, denen maschinell generierte Annotationen gegenüberstehen. Bei einer solchen Gegenüberstellung darf allerdings nicht vergessen werden, dass letzteren die Leistung zum Design des automatisierten Verfahrens vorausgeht. Weiter können wissenschaftliche, private sowie projektinterne Annotationen unterschieden werden, die sich in ihrem Zugang unterscheiden (öffentlich vs. privat) sowie in ihrer Dauerhaftigkeit (persistent vs. flüchtig). Mit diesen drei Typen und ihren Anforderungen sind auch schon unterschiedliche Nutzergruppen impliziert.

Doch aus welchem Grund annotieren welche Nutzer? Hier sind verschiedene Szenarien denkbar, die stark vom jeweiligen Workflow abhängen, in dem die Annotationen auftreten und der somit ihre Anforderungen bedingt. In einem kollaborativen Arbeitsprozess besitzen Annotationen z.B. oftmals vorläufigen Charakter. Erst nach erfolgter Prüfung werden diese im späteren Verlauf durch feststehende Annotationen abgelöst. Letztere bedürfen selbstverständlich eines anderen Status als ihre kurzlebigen (und nicht mehr benötigten?) Vorgänger, denn die Grundlage der Wissenschaftlichkeit besteht in der Nachprüfbarkeit von Belegen. Deshalb sind persistente Annotationen für wissenschaftliche Nachnutzbarkeit dringend notwendig. Konsequent umgesetzt entsteht ein verlässliches Netzwerk des Wissens, das die Idee des Konzepts ‚Linked Data’ mittels eines standardisierten Referenzsystems für wissenschaftliche Kontexte weiterdenkt.

Neben den bereits skizzierten Themenfeldern rund um das Annotieren eröffnet sich mit Fragen nach Raum- und Zeitkomponenten von zu annotierenden Objekten ein weiterer Bereich, der in diesem Kontext noch wenig diskutiert wurde: Objekte verändern sich über die Zeit. Folglich wird nicht ein Objekt annotiert, sondern dessen Zustand bzw. eine Version des Objekts, die das vorliegende Digitalisat repräsentiert.

Der Round Table hat sich als ein geeignetes Format für praxisorientierten Austausch über Annotationen erwiesen und allen TeilnehmerInnen Anregungen für ihre Forschungsprojekte gegeben. Im Rahmen von DARIAH-DE kann das Annotationscluster als Plattform für weitere Gespräche über dieses verbindende Thema fungieren. Zu diesem Zweck ist bereits eine Mailingliste eingerichtet. Wir laden alle Interessierten zum Erfahrungsaustausch ein und freuen uns auf rege Diskussionen. Let’s post-it!

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3831

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Spaß am Lernen? Brauchen wir nicht! Sagt das Bayerische Kultusministerium

LiebermannIch schreibe für meine Diss gerade zum Zusammenhang zwischen positiven Erlebnissen und Lernen – z.B. während des Spielens – da fällt mein Blick auf einen Zeitungsartikel, den mir meine Freundin gestern mitgebracht hat: „Ein Hoch auf den Frontalunterricht“ von Tina Baier. Sie nimmt den Artikel „Die zehn populärsten Irrtümer der Pädagogik“ der Zeitschrift „Schule&Wir“, (S. 4-7), die vom Bayerischen Kultusministerium herausgegeben wird, aufs Korn. Frau Baier regt sich zu Recht auf und mir kommt auch die Galle hoch. Nicht das der Artikel des Ministeriums grundsätzlich falsch ist, aber vieles ist platt, einseitig und bewusst verzerrt formuliert.

Es ist aber auch zu blöd, dass Schulen mit einem reformpädagogischen Ansatz bei Eltern so beliebt sind. In Zeiten sinkender Schülerzahlen muss man sich was einfallen lassen und da ist es zunächst mal am einfachsten, den „Gegner“ schlecht zu machen.

Zu dumm, dass am Ende des ministerialen Artikels nur Tipps zum Weiterlesen von verärgerten Lehrern (Wisniewski und Vogel, sh. hier) und einer Journalistin aufgeführt sind. Wenn ich Ministerium wäre, würde ich renommierte Wissenschaftler als Leseempfehlung geben. Und es ist jetzt schon wieder ziemlich blöd, die renommierten Wissenschaftler, wie Gerhard Roth, Gerald Hüther und Manfred Spitzer sagen allesamt so ziemlich das Gleiche. Und das steht dem Inhalt des Artikels in “Schule&Wir” in vielen Punkten zugegen.

Zumindest wären die genannten Herren in der Lage, relevante Irrtümer, die es im pädagogischen Bereich gibt, auf dem Stand der Forschung zu diskutieren. Und zwar in einer Art und Weise, die den Intellekt mitdenkender Eltern nicht beleidigt.

Demokratische Bürger sind unbequem

Aber es doch klar, warum das Kultusministerium Spaß am Lernen und Lob argwöhnisch betrachtet und Noten, Sitzenbleiben sowie Frontalunterricht propagiert: Der Staat schafft sich seine Bürger selbst. Und wo kämen wir hin, wenn sich in der Schule Demokratie breit machen würde? Demokratie ist für den Bürger nur in geringen Dosen gut, gerade eben so viel, dass er den Eindruck hat, in einer zu leben. Mehr nicht. Wirklich demokratisch erzogene Bürger sind unbequem und außerdem: Vielleicht hat der Staat Angst, dass ihm letztendlich die CSU-Wähler wegbrechen?

Die Parolen, mit denen heute das Bayerische Kultusministerium wirbt, wie „Ohne Fleiß kein Preis“, sind nicht nur längst überholt, sie sind zutiefst demokratiefeindlich. Ich meine damit nicht, dass Faulheit gut ist. Aber Fleiß von außen als Parole anzusetzen, zu propagieren, dass nur der Fleißige gut sein kann, weil er eine Eins schreibt und damit einen Wert hat, ist überholt. Hat man im Ministerium schon einmal davon gehört, dass „Fleiß“ bei Interesse der Schüler einfach da ist? Nur hat diese Bereitschaft der Mitarbeit eher die Ausprägung von „Engagement“ oder „begeisterter Mitarbeit“. So etwas zu schaffen, ist einem demokratischen Lehrer möglich!

Reformpädagogik hat alte Wurzeln

Interessant finde ich, wie weit und erfolgreich viele reformpädagogische Ansätze, wie Montessori, die Individualpsychologie nach Alfred Adler, die Heilpädagogik und Gruppenpädagogik bereits im Wien der 1920er und 30er Jahre, also vor dem 2. Weltkrieg und der NS-Zeit, waren. Die Stadt war zu der Zeit maßgeblich in Fragen des Unterrichts sowohl für inländische als auch für ausländische Besucher. Hier zwei Zitate von Rudolf Dreikurs, einem Schüler Alfred Adlers. Die Erstauflage des Buches kam 1971 heraus und hat nichts an Aktualität eingebüßt:

“In einer Epoche, in der alle außer den Privilegierten soziale Gleichberechtigung verlangen, wird die Anmaßung derer, die sich zu Bonbon- und Prügelverteilern machen möchten, einfach nicht mehr akzeptiert. Es ist einigermaßen grotesk, daß wir zwar selbst durchaus negativ auf solche anmaßenden Methoden reagieren, trotzdem aber versuchen, sie in der Erziehung unserer Kinder anzuwenden.” [...]

“Unsere Schwierigkeiten entstehen daraus, daß wir nicht fähig sind, als Gleiche miteinander zu leben. Wir müssen neue Methoden und Einstellungen entwickeln – innerhalb der Familie, im Schulleben, in der Wirtschaft und in der Politik.

Wir sind noch immer mit einer autokratischen Tradition beladen, und es gelingt uns nicht, uns davon zu lösen. In der allgemeinen Wirrnis, die daraus entsteht, können wir nicht tun, wozu wir durchaus imstande wären, nämlich eine soziale Atmosphäre, innerhalb der sich die Demokratie entwickeln kann, zu schaffen und das trotz der Verhältnisse, die sie hemmen.“  

Literatur: Rudolf Dreikurs: Selbstbewußt. Die Psychologie eines Lebensgefühls. Soziale Gleichwertigkeit und innere Freiheit, 3. Auflage 1990, S. 31 und S. 222

Bild: Max  Liebermann: Nähschule (Arbeitssaal) im Amsterdamer Waisenhaus – 2.Fassung, 1876-1877, Ort: Wuppertal, Von-der-Heydt-Museum, Bildquele: www.artigo.org

Quelle: http://games.hypotheses.org/1675

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Paris zur Zeit der Belle Époque: die Ausstellung “Paris 1900” im Petit Palais

Foto 1Das Petit Palais an den Champs-Elysées wurde neben dem Grand Palais als prächtiger Ausstellungspalast für die Weltausstellung 1900 errichtet und dient heute als Museum. Derzeit werden dort bis zum 17. August 2014 in der Ausstellung “Paris 1900, la ville spectacle” über 600 Exponate gezeigt und Besucherinnen und Besucher in das Paris der Jahrhundertwende, die Zeit der Belle Époque, zurückversetzt. Das Petit Palais alleine lohnt schon einen Besuch, denn es repräsentiert bestens die Zeit des Fortschrittsoptimismus, der technischen Neuerungen und den Stil und die Eleganz des Pariser Lebens um 1900.

Foto 2Gezeigt werden in sechs thematischen Abschnitten Gemälde, Kunstgegenstände, Poster, Skulpturen, Fotografien, die ersten Filme der Gebrüder Lumière sowie Möbel, Schmuck und Kostüme. Das ist insgesamt sehr klassisch, transportiert aber dennoch überzeugend die quirlige Atmosphäre und die Aufbruchsstimmung, die anlässlich der damaligen Weltausstellung geherrscht haben muss. Über 51 Millionen Besucherinnen und Besucher kamen damals aus aller Welt nach Paris. Darunter waren auch viele deutsche Dienstmädchen, die sich zu dieser Zeit in Paris in Stellung oder auf Arbeitssuche befanden. Die Weltausstellung taucht in den Archiven und Dokumenten immer wieder auf, so z.B., weil im Jahr 1900 die Übernachtungszahlen des protestantischen Dienstmädchenheims zum ersten Mal rückläufig waren. Nach der gültigen Hausordnung des Heims, durften die jungen Frauen nach dem Abendessen um 19 Uhr das Haus nicht mehr verlassen. Sie wollten aber unbedingt zur Weltausstellung gehen und suchten und fanden also andere Unterkünfte, die ihnen größere Freiheiten erlaubten1.

Drei Bahnhöfe (Gare de Lyon, d’Orsay und Invalides) waren eigens für die Weltausstellung 1900 gebaut sowie die erste Metrolinie fertig gestellt worden. Nur ein Jahr zuvor war die Dreyfusaffäre mit der Begnadigung von Alfred Dreyfus zwar noch nicht vollständig beendet, aber zumindest beruhigt worden. Aufgrund der internationalen Proteste nach der zweiten Verurteilung des jüdischen Offiziers wäre es beinahe zu einem internationalen Boykott der anstehenden Weltausstellung in Paris gekommen. Erst die Begnadigung im Herbst 1899 sorgte dafür, dass die Weltausstellung zu einem internationalen Erfolg werden konnte.

Foto5Die heutige Ausstellung im Petit Palais führt Besucherinnen und Besucher durch die Abschnitte “Paris, vitrine du monde”, eben jener Weltausstellung von 1900 gewidmet, das Paris des “Art Nouveau”, gefolgt vom Paris der Kunstszene, “Der Mythos der Pariserin” und “Paris bei Nacht”, mit den Abschnitten zur Theater- und Kabarettszene, und dem Abschnitt von den Cafés-concerts über Zirkus bis hin zu den Freudenhäusern am Montmartre.

Der Mythos der “Belle Époque” dauert bis heute an, und das nicht nur, weil unmittelbar im Anschluss an diese – zumindest bürgerliche – Leichtigkeit das Grauen des Ersten Weltkriegs folgte, sondern auch, weil darin eine tatsächliche kulturelle Mischung zum Ausdruck kommt, auf deren ungleiche Kräfte die Ausstellung hinweisen will, so das Programmheft. Ein Besuch ist zwar beim Einlass stets mit Wartezeiten verbunden, wird aber allen, die sich für Paris und die Belle Époque interessieren, uneingeschränkt empfohlen.

Wer nicht nach Paris kommen kann, hat die Möglichkeit, sich mit diesem Video zu trösten, das einen Eindruck von der Ausstellung bietet (mit französischen Kommentaren von Christophe Leribault).

Exposition Paris 1900 – Petit Palais von paris_musees

 

Ausstellung im Petit Palais
vom 2.4.2014-17.8.2014,
Dienstag-Sonntag 10h00-18h00
Donnerstags 10h00-20h00

http://www.petitpalais.paris.fr/fr

Fotos (M. König):

1) Das Petit Palais

2) Der Eingang der Ausstellung

3) Blick in die Ausstellung: der Abschnitt zu Theater und Kino

  1. Vgl. Mareike König, Bonnes à tout faire: Deutsche Dienstmädchen in Paris um 1900, in: Dies. (Hg.), Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert, München 2003, S. 69-92, hier S. 88, online: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/bsb00044758/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=69&pdfseitex=.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1885

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Die Hume’sche Regel: Barbara Kirchner im Interview

Ich leite keine Ziele aus Analysen ab, weil das gegen die schöne Hume’sche Regel, »Man kann aus einem Sein kein Sollen ableiten«, verstößt und weil historisch gesehen Verstöße gegen diese Regel immer zu idealistischem Quatsch führen. Ich habe die Interessen, die Forderungen, dass keine soziale Ungleichbehandlung aufgrund von kulturellen, biologischen, religiösen, ästhetischen oder weiß der Teufel welchen Geschlechterunterscheidungen geschehen darf, zur Analyse schon mitgebracht, da sehe ich dann, wo die Probleme liegen, warum die Forderungen noch nicht erfüllt sind.

Barbara Kirchner hat viele Hüte, sie ist Professorin für theoretische Chemie, Feministin, Marxistin, gemeinsam mit Dietmar Dath Autorin des Theorie-Werks "Implex" und wurde nun von der Jungle World interviewt.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/948989930/

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