Wohin mit den Gefangenen?

Im Frühsommer 1623 hatte Christian von Braunschweig, bekannt vor allem als „toller Halberstädter“, mit seinen Truppen in der Nähe Göttingens, also im Territorium seines älteren Bruders Herzog Friedrich Ulrich, Quartier genommen. In Scharmützeln mit Einheiten der Armee der Liga, die damals im Hessischen operierte, hatte er einige Gefangene gemacht. Was sollte nun mit diesen geschehen? Am 1. Juli a.St. wies er die Stadt Göttingen an, die gefangenen Kriegsknechte nicht freizulassen; vielmehr sollte die Stadt sie weiterhin „mit nottürfftigem vnterhalt“ versorgen, bis andere Anweisungen kämen. Genau das geschah wenige Tage später: Am 7. Juli a.St. erteilte Christian seinem Generalgewaltiger (d.h. der frühmodernen Militärpolizei) den Befehl, daß er „noch heutt vor der Sonnen vntergangk, viertzig dero zu Göttingen entthaltenen gefangenen Soldaten vom feinde, den Lieutenantt vnd Officiers außsgenommen, Laße auffhencken“. Um den Ernst der Anweisung zu unterstreichen, fügte er hinzu, daß dies „bei vermeidung vnser hochsten vngnad“ geschehen solle. Der Generalgewaltiger präsentierte daraufhin der Stadt Göttingen diesen Befehl; bei der dort überlieferten Abschrift findet sich auf der Rückseite die Notiz vom Folgetag: „Vff diesen Schein seindt dem Gewalthiger 20 Gefangene vff sein darneben mundtlich andeuten ausgevolgtt worden.“ Der Vollzug fand also offenbar doch nicht mehr am 7. Juli, am Tag der Ausfertigung des Befehls, statt. Aber es besteht kaum ein Zweifel, daß zwanzig Kriegsgefangene mit dem Strang hingerichtet wurden. (StA Göttingen, Altes Aktenarchiv, Nr. 5774 fol. 2 Kopie; der Befehl an die Stadt Göttingen vom 1.7.1623 a.St. ebd. fol. 32 Ausf.)

Auf den ersten Blick mag diese Episode wie ein weiterer Beleg für die als zeittypisch angenommene Grausamkeit, vielleicht auch als Indiz für die damalige Rechtlosigkeit gelten. Allerdings gab es keine verbindlichen Regularien im Umgang mit Kriegsgefangenen; deren Tötung war durchaus möglich. Üblich war eine solche Maßnahme aber keineswegs, vielmehr widersprach sie den gängigen Handlungsmustern. Verwunderlich ist in diesem Fall, daß Christian von Braunschweig offenbar gar nicht erwogen hat, die gefangenen Kriegsknechte einfach „unterzustecken“, d.h. in die eigenen Truppen einzureihen. Diese Praxis war eigentlich in allen Armeen des Krieges verbreitet. Sie funktionierte auch deswegen so gut, weil sie beiden Seiten zugute kam: Die gefangenen Söldner fanden einen neuen Arbeitsplatz, und die eigene Armee erhielt Verstärkung. Die Alternative, nämlich die Gefangenen einfach freizulassen, auch mit der Auflage, daß diese nicht mehr in die Kämpfe eingriffen, widersprach den Gesetzen des Söldnermarktes: Solange die Möglichkeit bestand, daß eine Kriegspartei bereit war, weitere Söldner anzuwerben, war ein solches Verbot kaum durchsetzbar. Der Militärdienst war Broterwerb, und Faktoren wie Loyalität zu einem Herrscherhaus, dem Reich oder die Zugehörigkeit zu einer Konfession sollten nicht überschätzt werden.

Eine Erklärung für das Verhalten Christians läßt sich aus dem historischen Kontext ableiten. Der Söldnerführer befand sich damals in einer geradezu aussichtslosen Lage: Die Armee der Katholischen Liga unter Tilly stand bereit, um gegen ihn vorzurücken, während die Stände des Niedersächsischen Reichskreises massiv unter den Druck des Kaisers gerieten, jede weitere Unterstützung für Christian einzustellen oder gleich direkt gemeinsam mit Tilly gegen ihn zu kämpfen. Aus dieser Situation resultierte für die Armee des „Halberstädters“ eine nur geringe Attraktivität: Welcher Soldat würde bei einem Söldnerführer Kriegsdienste annehmen, dessen Sache nicht mehr viel Erfolg versprach? Die Kriegsknechte hatten ein ausgeprägtes Sensorium, um den Stellenwert eines Arbeitsplatzes einschätzen zu können – diese Form von Marktbeobachtung gehörte für jemanden, der im Krieg sein Glück machen wollte, dazu. Und Christian war sich offenbar darüber im Klaren, wie kritisch seine eigenen Erfolgsaussichten eingeschätzt wurden. Entsprechend harsch, aber auch konsequent war sein Handeln: Da die Gefangenen kaum in seiner eigenen Armee willig Dienst tun würden, sondern vielmehr bei nächster Gelegenheit „ausreißen“, also desertieren würden, kam ein Unterstecken nicht in Frage. Eine Freilassung auch nicht, da sie dann zum Heer des Gegners zurückgehen würden, der sich eindeutig im Aufwind befand.

Der Befehl, einige Gefangene hinrichten zu lassen, zeugt von Christians Verbitterung. Es mochte auch ein Signal an die eigenen Soldaten sein, mit dem er ihnen klar machen wollte, daß es nun keine armeenübergreifende Solidarität unter Kriegsknechten mehr gab. Christian zerstörte mit dem Tötungsbefehl die prinzipielle Annahme, daß auf beiden Seiten „ehrliche Kriegsleute“ standen, die in den Soldaten auf der anderen Seite nicht unbedingt einen Feind erkannten, sondern einen Standesgenossen auf derselben soziale Ebene. Genaueres können wir nicht sagen, da die Zeugnisse keine Auskunft über die Motivation und das Kalkül Christians geben. Aber vielleicht wollte der Söldnerführer auf diese Weise auch die Kohärenz der eigenen Armee stärken.

Nötig wäre es gewesen, denn am 11./21. Juli 1623 brach Christian mit seinen Truppen auf und strebte nach Westen, um das Reichsgebiet zu verlassen und sich auf das Territorium der Generalstaaten zu retten. Eine Entscheidung im Feld hat er wohlweislich vermeiden wollen. Allerdings stellte ihn das nachrückende Heer der Katholischen Liga unter Tilly knapp vor der Grenze bei Stadtlohn zur Schlacht, die am 6. August 1623 zu einem Debakel für den „Halberstädter“ geriet. Was aus den Gefangenen wurde, die in Göttingen verblieben waren, geht aus diesem Quellenbestand nicht hervor. Wir können plausibel annehmen, daß die Stadt sie spätestens nach der Schlachtentscheidung freigelassen hat. Gut möglich, daß viele von ihnen dann versucht haben, sich der siegreichen Armee der Liga wieder anzuschließen. Denn der Krieg und das Leben gingen weiter.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/108

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Die USA um 1900, Teil 1/3

Von Stefan Sasse

"American Progress": Colombia führt die Siedler, Buch unterm Arm
Um 1900 waren die Vereinigten Staaten ein ungemein widersprüchliches Land, noch viel widersprüchlicher als sie es sonst sind. Ein nie dagewesener technischer Fortschritt erreicht die breite Masse der Bevölkerung und sorgte für eine dramatische Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Wirtschaft boomte, und jeden Tag kamen hunderte von Migranten ins Land. Die Vorstellung, dass Amerika eine weltweit einzigartige Nation war, deren Bestimmung es sein musste, die Ideale von Freiheit und Demokratie in die Welt hinauszutragen - der so genannte American Exceptionalism - mischte sich mit einer großen Welle der Religiosität, deren Triumph 1919 das Alkoholverbot der Prohibition werden sollte. Gleichzeitig aber waren die Abgründe zwischen arm und reich im Land gigantisch, lebten viele Minderheiten diskriminiert und von den Segnungen des Fortschritts ausgeschlossen und wurden die letzten großen Verbrechen an der amerikanischen Urbevölkerung, den Indianern, begangen. Im Folgenden sollen schlaglichtartig Aspekte dieser Widersprüchlichkeit der USA, die so viel mit einer ähnlichen Widersprüchlichkeit im Deutschland derselben Epoche gemeinsam hat und doch völlig andere Wege daraus findet, genauer beleuchtet werden.

Die Epoche zwischen 1890 und 1920 sah die Vervollständigung des amerikanischen Territoriums durch die Zulassung neuer Staaten zum Gebiet der USA. Die Ära des Wilden Westens, die in den scheinbar rechtlosen territories geblüht hatte, kam mit der formalen Aufnahme der Bundesstaaten Montana, South Dakota, North Dakota, Washington (alle 1889), Idaho, Wyoming (beide 1890), Utah (1896), Oklahoma (1907), Arizona und New Mexico (beide 1912) zu ihrem Ende. Das bedeutete auch das vollständige Ende der amerikanischen Urbevölkerung als frei umherziehender Stammesgesellschaft, die bereits zuvor durch die Errichtung der Reservate empfindlich eingeschränkt worden war. Mit der Aufnahme der neuen Staaten jedoch kamen das Recht der USA (für US-Bürger, was die Indianer nicht waren), ihre Polizei, die Marshalls und das Militär in jeden Winkel der USA. Da die wertvollen Gebiete der neuen Bundesstaaten das Interesse von Siedlern und Geschäftsmännern gleichermaßen weckten, wurden die Indianer ein weiteres Mal deportiert. Häufig waren ihre Zielreservate über tausend Kilometer entfernt und weder klimatisch noch kulturell in irgendeiner Weise mit ihrem bisherigen Lebensraum identisch. 

Häuptling Bigfoot tot am Wounded Knee
Der Niedergang ihrer Gesellschaft und Kultur und die Aussichtslosigkeit eines bewaffneten Kampfs gegen die Weißen führte bei den Indianern zu einer Welle von Spiritualität, der so genannten Geistertanzbewegung, die in bemerkenswerter Weise mit Wellen amerikanischer (christlicher) Spiritualität zusammenfiel. Sie hatte bereits zwischen 1860 und 1872 eine erste Blüte erlebt. Zentraler Inhalt war die Vorstellung, dass die Ahnen zurückkehren und eine Wiederbelebung der indianischen Lebensweise einleiten würden. Entgegen populärer Vorstellungen nahmen bei weitem nicht alle indianischen Gesellschaften daran teil; der Geistertanz war eine Sache vorrangig der Minneconjou-, Sioux- und Lakota-Stämme, die die großen Ebenen bewohnt hatten. Die Idee war, dass durch an die alten Jagdtänze gemahnende Geistertänze die Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits geöffnet werden und damit den Ahnen und den Büffeln die Rückkehr ermöglicht werden könnte. Die Weißen würden dann verschwinden. Diese Protestbewegung gewann 1890 massiv an Zulauf und stellte eine insgesamt friedliche Protestbewegung dar, die die US-Regierung aber alarmierte. Sie reagierte mit Einschränkungen der ohnehin unzureichenden Lebensmittellieferungen an die Reservate und verschärften Kontrolle. Im Winter 1890 eskalierte die Situation in South Dakota am Wounded Knee, wo Soldaten der 7. Kavalleriedivision ein Massaker unter den Indianern verübten und die Geistertanzbewegung zu einem abrupten Ende brachten. Der Widerstand der Indianer war nach dem Massaker endgültig gebrochen. Ohne Bürgerrechte vegetierten sie für 80 Jahre in den Reservaten dahin, ehe in den 1970er Jahren die Sache der Indianer in der Protestkultur der Epoche einen wichtigen Stellenwert einzunehmen begann und mit der Besetzung von Wounded Knee 1973 populären Ausdruck fand. 

Diese Art der Kolonialisierungspolitik nach innen fand eine Entsprechung nach außen. Die USA, die unter Präsident Monroe bereits 1823 den Anspruch erklärt hatten, den gesamten amerikanischen Doppelkontinent zu beherrschen und von europäischen Einflüssen zu befreien, drängten aggressiv den Einfluss der letzten europäischen Kolonialmacht zurück (Kanada wurde bereits 1919 als eigenständiger Staat im Völkerbund zugelassen, obwohl es seine formale Unabhängigkeit erst 1931 erhielt), Spanien. In der Karibik sowie im Pazifik hielt Spanien noch diverse militärisch wichtige Stützpunkte auf verschiedenen Inseln, die die USA als unabdingbar für die die Durchsetzung ihres Manifest Destiny – wörtlich: unabwendbares Schicksal, die Vorstellung, dass man amerikanische Werte auf dem ganzen Kontinent ausbreiten müsse – ansahen. Im amerikanisch-spanischen Krieg von 1898 besiegten die USA spielend das veraltete Militär der auseinanderbrechenden und von inneren Zwistigkeiten gelähmten einstigen Großmacht Spanien und errichteten einen Satellitenstaat im vormals spanischen Kuba, annektierten Puerto Rico und Guam und kauften Spanien die Philippinen für 20 Millionen Dollar ab. Da die lateinamerikanischen Kolonien ohnehin bereits (zumindest de facto) von ihren einstigen iberischen Kolonialherren unabhängig waren, dominierten die USA damit den Doppelkontinent und schickten sich an, ein eigenes Kolonialreich im Pazifik zu gründen. Im Gegensatz zu Europa nannte man es allerdings nicht „Kolonien“ und plante keine so großflächigen Besitznahmen wie die Europäer das taten, sondern dachte eher in Handels- und Militärstützpunkten.

Amerikanische Truppen erklimmen die Mauern von Peking
Es überrascht nicht, dass die USA 1901 ganz selbstverständlich an der Seite der europäischen Kolonialmächte an der Niederschlagung des Boxer-Aufstands teilnahmen. Die Boxer, eine chinesische Protestbewegung gegen die westlichen Einflüsse auf ihr halb kolonisiertes und zur Bedeutungslosigkeit reduziertes Land, hatten durch Angriffe auf Botschafter Europas eine de-facto-Kriegserklärung abgegeben. In einer entfernt an die Geistertanz-Bewegung erinnernden Welle der Spiritualität (obwohl es natürlich keine Verbindung zwischen den Boxern und den Indianern gab) brachten sich die Boxer in einen Zustand spiritueller Ektase, von der sie sich Unverwundbarkeit gegenüber den Kugeln der Kolonialherrn versprachen. Das Resultat war ein Gemetzel an den Boxern und die Unterwerfung Chinas unter die Handelsinteressen Europas und, erstmals, der USA. 

Die USA begriffen sich erstmals auch in der breiteren Öffentlichkeit als eine Großmacht mit „natürlichen“ Interessen jenseits ihrer eigenen Grenzen. In den Tagen vor Beginn des Ersten Weltkriegs war die Nation äußerlich konsolidiert und hatte sich in eine aktive Macht verwandelt, mit der auf internationaler Ebene gerechnet werden musste und von der niemand klar sagen konnte, wie sie sich verhalten würde, am allerwenigsten die Amerikaner selbst. Man war sich einig darin, dass man keine „typisch europäische“ Kolonialmacht sein wollte – das Manifest Destiny sah schließlich die Verbreitung amerikanischer Werte vor – aber gleichzeitig war man überzeugt, besser als die Nationen ohne Großmachtstatus zu sein und daher das Recht auf ein Eingreifen in deren Souveränität zu besitzen und ihre Bevölkerung als minderwertig zu betrachten. 


Anti-katholische Karikatur
Genau dieser Überlegenheitsdünkel führte zu einer Bewegung namens Nativism, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aggressiv Stimmung gegen Einwanderer gemacht hatte, um 1900 herum aber eine erneute Blüte erlebte. Der Nativism ging davon aus, dass einige Nationen über „besseres Blut“ verfügten als andere – besonders England, Schweden und Norwegen wurden mit positiven Eigenschaften bedacht, während Osteuropäer, Südeuropäer, Iren und Asiaten (Latinos spielten damals noch keine Rolle) negative Eigenschaften zugeschrieben wurden, die eine Vereinbarkeit mit amerikanischen Werten wenn nicht ausschlossen, so doch zumindest in Frage stellten. In einer unheimlichen Parallele zu heutigen Migrations- und Integrationsdiskursen unterstellte man den Einwanderern, dass ihre Religion – der Katholizismus – unvereinbar mit amerikanischen Werten sei und sie im Geheimen das Ziel anstrebten, die USA in einen Vasallenstaat des Vatikans zu verwandeln. Man echauffierte sich über die hohen Geburtenzahlen der Migranten und fürchtete eine Überfremdung des eigenen „Volkes“. Die Migranten seien, entweder vom Blut (Genetik war noch nicht bekannt) oder von kulturellen Werten her außerdem faul und kriminell veranlagt. Die überdurchschnittliche Repräsentation besonders der Italiener (etwa in Chicago) und Iren (etwa in Atlantic City) in der organisierten Kriminalität schien diese Annahmen zu unterstützen.

Einwanderer, die in New York die großen Auswanderungsschiffe verließen, sahen sich daher häufig bei der Arbeitssuche Schildern ausgesetzt, die in klaren Worten ihre Unerwünschtheit deutlich machten: "Irish Need Not Apply" (Iren brauchen sich erst gar nicht zu bewerben) "No Wops Allowed" (Kein Zugang für Spaghettifresser) und "The Chinese Must Go" (Die Chinesen müssen verschwinden) zeigten, dass das Versprechen, das man auf die Freiheitsstatue graviert hatte – Give me your tired, your poor, Your huddled masses (Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure zusammengedrängten Massen) – für die Amerikaner eine Drohung geworden war. Die Migranten wurden so künstlich in eine Unterschicht gepresst, in der viele als einzigen Ausweg aus billiger, schwerer Arbeit die Kriminalität sahen, was die Vorurteile nur zu bestätigen schien. Der Aufstieg des Nativism zeigt sich auch deutlich in politischen Maßnahmen jener Zeit, wurden doch Quoten für Einwanderer festgelegt: Während es für die „erwünschten“ Ethnien wie Engländer oder Skandinavier praktisch keine Begrenzungen gab, wurden Süd- und Osteuropäer kaum mehr ins Land gelassen. 


Carl C. Brigham, um 1914
Eine weitere unschöne Parallele zu heute ist die Rolle der Wissenschaft. Auch um 1900 machten sich Gegner der Migration scheinwissenschaftliche Argumente zu eigen, um ihre Forderungen zu unterstützen. Eine traurige Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang vor allem der Psychologe Carl C. Brigham. Er brachte 1915 eine Studie heraus, die die Intelligenz von Einwandern untersuchte (mit genauso dubiosen Methoden, vor allem passend zusammengestellten IQ-Tests) und offiziell feststellte: "The intellectual superiority of our Nordic group over the Alpine, Mediterranean, and negro groups has been demonstrated." (Die intellektuelle Überlegenheit der nordischen Gruppe über die alpine, mediterrane und Neger-Gruppe ist bewiesen worden.) Zur Ehrenrettung Brighams muss man sagen, dass er diese Theorien in den 1920er Jahren vollständig widerrufen hatte, was aber Politiker nicht daran hinderte, sie für die Einführung schärferer Einwanderungsgesetze 1924 zu missbrauchen. Für die Einwanderer, die bereits im Land waren, plante man eine umfassende „Amerikanisierung“. Dazu gehörten vor allem Bücher und Pamphlete, in denen die Einwanderer aufgefordert wurden, ihre bisherige Kultur aufzugeben und stattdessen die amerikanische anzunehmen – ähnlich dem heutigen Integrationsdiskurs also wurde eine totale Assimilation gefordert, eine Annahme „unserer“ Werte und ein Ablegen der „fremden“ Werte. Dass diese „amerikanischen“ Werte ebenfalls von Einwanderern verschiedenster Couleur geprägt worden waren, ist damals wie heute in der hysterischen Debatte völlig untergegangen. Während dieser „Amerikanisierungsprozess“ andauerte, steckte man die Migranten vor allem dahin, wo man sie nicht oft sehen musste und wo sie „den Wert harter Arbeit“ kennenlernen konnten: Textilfabriken, Minen und häusliche Dienstleistungen für die Oberschicht.

Weiter geht's in Teil 2. 

Literaturhinweise:
Videospiel "Bioshock Infinite", das sich mit den hier besprochenen Ideen und Ereignissen auseinandersetzt und die Inspiration für diesen Artikel bot: PC, PS3, X360
Bildnachweise: 
American Progress - John Gast (gemeinfrei)  
Bigfoot - Department of Defense (gemeinfrei)
Peking - Department of the Army (gemeinfrei)
Karikatur - Alma Bridwell White (gemeinfrei)
Brigham - unbekannt (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/04/die-usa-um-1900-teil-13.html

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Natürlich, eine alte Handschrift

“IV Kloster Lorch, Hort geheimnisumwitterter Handschriften Alte Klosterbibliotheken eigneten sich vorzüglich, wenn es galt alte Manuskripte zu fingieren (und zwar schon lange vor Umberto Ecos “Name der Rose”). So wurden in der Chronik der Truchsessen von Waldburg zwei erfundene frühmittelalterliche Adelslisten auf eine alte Chronik in St. Emmeram zu Regensburg und ein altes Messbuch im Kloster Murrhardt zurückgeführt. Bei der Aufarbeitung der Staufer-Überlieferungen des Klosters Lorch bei Schwäbisch Gmünd konnte ich feststellen, dass historische Traditionsbildung und der Bewertungsprozess der Kulturgutbewahrung eng korreliert waren. Und [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3518

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Lexikon zur Computergeschichte: Accelerated Graphics Port – AGP

Der von Intel speziell für Grafikkarten entwickelte Standard kam erstmals 1997 auf den Markt. Auch wenn er eine Weiterentwicklung des PCI-Standards darstellt, ist er sowohl technisch, als auch mechanisch mit diesem nicht Kompatibel. Sein Vorteil besteht darin, dass er eine direkte Verbindung zwischen Grafikkarte und Chipsatz bildet. Bei einer Auslastung des Arbeitsspeichers der Grafikkarte kann […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/04/4031/

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Besuch im Kloster Reisach im Inntal

Angeregt von einem Hinweis von Klaus Graf besuchte ich am Ostermontag, 1. April 2013, das Karmeliterkloster Reisach im bayerischen Inntal bei Oberaudorf. Den Komplex hat sicherlich jeder Italienurlauber bereits gesehen, der auf dem Weg von München zum Brenner war, da er in unmittelbarer Nähe der Autobahn liegt (vor der Ausfahrt Oberaudorf). Reisach war die letzte Klostergründung im Bistum Freising vor der Säkularisation. Es entstand 1731 als Gründung des geadelten Hofkammerrats Johann Georg von Messerer, Hofmarksherr im unmittelbar benachbarten Urfahrn (in Sicht- und Rufweite des [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3482

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wbs-law: Zustellung von Abmahnungen via [!] facebook

In seinem Video-Blog erklärt Rechtsanwalt Christian Solmecke, dass es keine formalen Anforderungen an Ab­mah­nungen gibt. So sind beispielsweise auch mündliche Ab­mah­nungen oder – so neuerdings geschehen – über facebook verschickte Ab­mah­nungen zulässig.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/04/4027/

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LMU: Historisches Seminar erweitert Fokus auf Russland- und Asienstudien

http://www.uni-muenchen.de/aktuelles/stellenangebote/profs/20130314092533.html Im Rahmen der Graduiertenschule „Ost- und Südosteuropastudien“ (http://areastudies-osteuropa.de) erweitert das Historische Seminar der LMU München sein disziplinäres Spektrum auf Russlandstudien mit einem Schwerpunkt auf Regionen Asiens. Die bislang errichteten einschlägigen Professuren vertraten die Geschichte Ost- und Südosteuropas.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/04/4024/

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aventinus classica Bd. 1 [31.03.2013]: Quellen. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie. Hamburg: Diplomica Verlag 2013

Mit “Quellen. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie” ist der erste Band der Schriftenreihe von aventinus erschienen. Er behandelt Methoden und Hilfsmittel der Quellenarbeit sowie Beispiele aus dem Altertum, dem Mittelalter und der Neuzeit. http://www.aventinus-online.de/index.php?id=3390

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/03/4012/

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01. Nietzsche und die historische Gretchenfrage

Aus nicht ganz aktuellem Anlass ein paar Worte zu einem alten Freund und Kupferstecher: Nietzsche ist ein notorisch aufregender Diskussionspartner, schließlich gibt es im Dialog mit seinen Büchern kaum Wohltemperiertheit. Die mittlere Stimmung ist nicht seine Stärke, die heftige Polemik, die thesenhafte Zuspitzung, die Verschmähung von Gegnern, das opulent formulierte eigene Anliegen hingegen schon. So ertappt man sich bei der Lektüre immer wieder zwischen jubelnder Zustimmung und grunzender Ablehnung.

Da mich das Historische in seiner allgemeinen wie auch besonderen Präsenz in unser aller Alltag interessiert, soll es hier um Nietzsches famose zweite unzeitgemäße Betrachtung gehen. Dieser Text hat unübersehbaren Einfluss ausgeübt auf die Behandlung der geschichtstheoretischen Gretchenfrage, wie wir es nämlich mit der Bedeutung der Geschichte in unserem Leben halten wollen. Bei Nietzsches Lebensbegriff mag das verzweifelte Stöhnen der Leserschaft bereits anheben. Denn sein Verständnis von „Leben“ ist emphatisch aufgeladen und kommt – Arm in Arm untergehakt – mit der „Gesundheit eines Volkes“ und der Bedeutung der „Tat“ daher, die allesamt in mehr als einer Hinsicht Schwierigkeiten machen können.

Wollen Sie die letzten zwanzig Jahre noch einmal leben?

Seien wir jedoch für einen Moment großzügig und lassen die eine oder andere Unstimmigkeit beiseite. Ich befleißige mich eher als geschichtstheoretischer Parasit und befrage Nietzsches „Unzeitgemäße“ (welche Anmaßung schon hier: bestimmen zu wollen, was „die Zeit“ ausmacht, um sich von ihr mit einem hochnäsigen Avantgardismus abzusondern) daraufhin, was sie uns heute noch zu sagen hat. Weniger erkenntnisfördernd finde ich dabei die ansonsten häufig behandelte Unterscheidung von monumentalischer, antiquarischer und kritischer Geschichtsschreibung. Es ist vielmehr eine andere, eher unscheinbare, weil theoretisch auf den ersten Blick nicht sonderlich interessante Frage, die meines Erachtens Aufmerksamkeit verdient. Was nämlich, so fragt Nietzsche, wenn man seine Bekannten (oder auch die gänzlich Unbekannten) fragen würde, ob sie die letzten zehn bis zwanzig Jahre noch einmal durchleben wollten (S. 255)? An dieser Form historischer Problematisierung – wie hältst du es mit der Bedeutung der Vergangenheit für deine Gegenwart? – könnten sich unterschiedliche Formen der Geschichtskultur festmachen lassen, ließen sich diverse historische Typen identifizieren (von denen Nietzsche schon einige benennt) und damit auch gänzlich unterschiedliche Arten und Weisen bestimmen, Geschichte zu haben und zu machen. Aus diesen diversen Formen der Geschichte ergäben sich wiederum Möglichkeiten der geschichtstheoretischen Reflexion.

Man kann den „Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ also in der vermeintlich banalen Beobachtung sehen, dass wir in einer Kultur leben, die sich ohne große Gegenrede seit Langem darauf verständigt hat, „der Geschichte“ eine zentrale Rolle zuzuweisen. Wir leben mithin in einer soziokulturellen Wirklichkeit, die sich der Beobachtung der eigenen Historisierung verschrieben hat, die also ihrer eigenen Geschichte konstitutiven Wert beimisst, gegenwärtige Geschehnisse beständig auf ihren historischen Wert hin taxiert, permanent mit der Produktion von „eigener“ Geschichte beschäftigt ist und nicht zuletzt deswegen sämtliche Phänomene mit einem Datum versieht. Das ist in (historisch und global) vergleichender Perspektive keineswegs notwendig. Man könnte auch sehr gut ohne ein solches Verständnis von „Geschichte“ leben. Europa und dem Westen kann das aber kaum noch gelingen. Warum nicht? Welche Vor- und Nachteile hat eine solche Form der permanenten Historisierung?

Sie verführt zumindest dazu, „Geschichte“ als einen neutralen, alles umhüllenden Container zu begreifen, der die objektive Chronologie vorgibt, in den sich menschliche Tätigkeiten, gesellschaftliche Begebenheiten und kulturelles Geschehen einsortieren lassen. „Geschichte“ wird damit zum säkularen Religionsersatz. Was jedoch außer Acht bleibt, ist die Historizität der Historie – mit fatalen Folgen. [1]

Die Vergangenheit der zeitgemäßen Trivialität anpassen

Nietzsche warnt beispielsweise vor einer naiven, ja ich würde sagen: arroganten Art und Weise des Umgangs mit dem Historischen, die nicht erst zu seinen Zeiten ein Problem darstellte, sondern seither nichts an Aktualität eingebüßt hat. Es ist eine Position, die untrennbar mit einer diffusen Fortschrittsgläubigkeit verbunden ist und sich unbesehen selbst an die Spitze der historischen Entwicklung setzt, um majestätischen Blicks auf die Unzulänglichkeiten der Vergangenheit herabzublicken. „Jene naiven Historiker nennen ‚Objectivität‘ das Messen vergangener Meinungen und Thaten an den Allerwelts-Meinungen des Augenblicks: hier finden sie den Kanon aller Wahrheiten; ihre Arbeit ist, die Vergangenheit der zeitgemässen Trivialität anzupassen.“ (S. 289)

Das schließt für Nietzsche eine weitere Position im Umgang mit der Vergangenheit aus, nämlich die richtende. Wenn man sich schon nicht anmaßen kann, die Klimax historischer Entwicklungsmöglichkeiten darzustellen – Nietzsches Lieblingshaudrauf ist hier natürlich Hegel –, wie sollte man sich dann ein Urteil über frühere Zustände erlauben? „Als Richter müsstet ihr höher stehen als der zu Richtende; während ihr nur später gekommen seid. Die Gäste, die zuletzt zur Tafel kommen, sollen mit recht die letzten Plätze erhalten: und ihr wollt die ersten haben?“ (S. 293)

Aber halt: Würde ein solcher Verzicht denn nicht bedeuten, sich der Beurteilung offensichtlichen Unrechts zu entheben? Man muss dabei nicht erst auf den Holocaust verweisen, denn das Problem würde sich auch in zahlreichen anderen Fällen stellen. Hier ginge es aber wohl darum, die Ebenen auseinander zu halten, denn ein Geschehen historisch einzuordnen und für eine Gegenwart anschlussfähig zu machen, ist etwas anderes, als daraus die moralischen Konsequenzen zu ziehen. Beide Schritte bleiben zwar aufeinander bezogen, betreffen aber tatsächlich grundlegend andere Zeitebenen. Einmal wird in der Gegenwart über die Vergangenheit gesprochen, das andere Mal werden aus der Vergangenheit Konsequenzen für die Gegenwart gezogen. Ob die Vergangenheit diese Konsequenzen auch schon hätte ziehen können, wäre wiederum eine historische Frage.

Kein Baum vor lauter Wald

Welche Fragen könnte man also im Anschluss an Nietzsche stellen? Welche anderen Umgangsformen mit dem Geschichtlichen kann man identifizieren? Wo ließe sich das Historische in unserem Alltag und unserem „Leben“ ausfindig machen? Die Schwierigkeit ist wahrscheinlich eher, den Baum im Waldesdickicht erkennbar zu machen. Denn, wie nicht großartig bewiesen werden muss, das Historische ist überall – nur möglicherweise nicht immer ganz offensichtlich. Und es ist nicht immer leicht zu sagen, in welcher Form es sich in unterschiedlichen Zusammenhängen bemerkbar macht.

Beispiele für Historisierungen, für den Gebrauch und Missbrauch von Geschichte gibt es nun wahrlich zuhauf. Wir werden geradezu überflutet mit der beständigen Rede von angeblich historischen Ereignissen, die sich im Minutentakt ereignen, von einem alles erinnernden Memorialkult, vom Geschichtsfernsehen, von Zeitschriften und Büchern historischen Inhalts, von Mittelaltermessen – und von unserem eigenen permanenten Verfilmen und Verfotografieren unseren banalen Alltags, wodurch wir längst zu unseren eigenen Ego-Historikern und Ego-Archivaren geworden sind. Man kann zuweilen Nietzsches Verzweiflung angesichts einer allgegenwärtigen Überhistorisierung verstehen. „By the time you look at something it’s already history“, sang Bruce Cockburn einst. Auch wenn er damit eher die Flüchtigkeit von Werten beklagte, kann man diesen Satz auch als Anklage gegen eine übermäßige Vergeschichtlichung verstehen.

Wie weitermachen? Wie soll man sich in einer solchen Situation noch ernsthaft mit Geschichte beschäftigen können? Nietzsche weiß Rat: mit der unumgänglichen Anwendung der Historie auf sich selbst. Eine Selbstoperation ohne Narkose, gewissermaßen. Es geht also nicht um eine disziplinäre Selbstversicherung, nicht um eine Geschichte der Geschichtsschreibung, sondern um eine geschichtstheoretische Selbstverunsicherung. Der „Ursprung [der historischen Bildung] muss selbst wieder historisch erkannt werden, die Historie muss das Problem der Historie selbst auflösen, das Wissen muss seinen Stachel gegen sich selbst kehren […].“ (S. 306) Daher: Sucht „die Geschichte“ und spießt sie auf, wo immer ihr sie trefft. Zuweilen beschleicht mich der Eindruck, wir hätten mit dieser Arbeit kaum begonnen.

[1] Elizabeth Deeds Ermarth, History in the discursive condition. Reconsidering the tools of thought, London/New York 2011, 98.

[Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, in: ders., Sämtliche Werke. Krirtische Studienausgabe, Bd. 1, hg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, 9. Aufl. München 2012, 243-334]


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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/03/30/nietzsche-und-die-historische-gretchenfrage/

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Ein Frontispiz sagt mehr als 1000 Worte (II): Kircher, China monumentis … illustrata (1667)

Athanasius Kircher SJ (1602–1680) war Universalgelehrter und Vielschreiber.  Er hatte Interesse signalisiert, in die China-Mission zu gehen, dazu kam es allerdings nicht, er verbrachte den Großteil seines Lebens am Collegium Romanum und veröffentlichte ausführliche Werke zu einem breiten Spektrum an Themen. [1] Eines dieser Werke ist ein früher Klassiker über China: China monumentis, qua sacris qua profanis, nec non variis natrae et artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata.

Dafür, dass es “ein[es] der meistegelesenen Chinabücher der frühen Neuzeit”[2] war, gibt es nur wenige Ausgaben:

Die Ausgaben unterscheiden sich zum Teil beträchtlich voneinander – die Meurs-Ausgabe ist leicht gekürzt, die französische Ausgabe enthält am Ende des Buches einen “Dictionaire chinois & françois ” (324-267), ein Wörterverzeichnis ohne Schriftzeichen.

Dieser “Meilenstein in der europäischen Chinakenntnis” [4] basiert auf den Berichten und Briefen von Missionaren in Indien, Japan und China. Etwa zwei Drittel des Bandes ist der Nestorianerstele (“Pars I., Monumenti Syro-Sinici Interpretatio,” pp. 2-45), der Ausgabe Amsterdam, Janssonius à Waesberge 1667), dem Vordringen des Christentums in Asien (“Pars II., De Variis Itineribus In Chinam Susceptis,” pp. 46-128) und den Religionen Asiens (“Pars III., De Idololatria Ex Occidente primum in Persidem, Indiam, ac deindè in ultimas Orientis, Tartariae, Chinae, Japoniae Regiones successivâ propagatione introducta,” pp. 129-163)  gewidmet. Danach kommt ein Überblick zu Pflanzen und Tieren Chinas (“Pars IV., China Curiosis Naturae & Artis miraculis illustrata,” pp. 164-211), kurze Bemerkungen zur Architektur (“Pars V., De Architectonica, Caeterisque Mechanicis Artibus Sinensium,” 212-224) und abschließend ein Abschnitt zur chinesischen Sprache und Schrift (“Pars VI., De Sinensium Literatura, pp. 225-238).

Kircher: China illustrata (1667) | © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel <http://diglib.hab.de/drucke/gv-2f-5/start.htm>

Kircher: China illustrata (1667) | © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
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Der Inhalt – und die Frage, ob China illustrata tatsächlich ein Meilenstein ist – wird noch ausführlicher zu besprechen sein, hier soll zunächst nur ein Blick auf das Frontispiz.

Auf den ersten Blick ist hier nur wenig Chinesisches, das Sujet ist rein europäisch – nnd arbeitet so die Rolle der Societas Jesu in China heraus.

Neben zahlreichen Putten sind vier männliche fiugren abgebildet, die zum Teil durch Attribute, zum Teil aus dem Text des Bandes identifizierbar werden:

Ricci und Schall von Bell werden von Strahlen aus dem Strahlenkranz um das Christusmonogramm IHS be/erleuchtet. Auf einem Podest stehen links und rechts Säulenhallen, der Blick auf die Landschaft im Hintergrund wird von der China-Karte verdeckt, im Vordergrund links liegen astronomische Werkzeuge und Geräte, darunter Zirkel,  Kompass, Armillarsphäre und Winkelmaß. Auf den Setzstufen des Podests finden sich der Name des Verfassers und der (Kurz-)Titel.

Chinesisches bzw. direkte Bezüge auf China beschränken sich auf die Umrißkarte im Zentrum des Bildes (die Ricci, Schall von Bell und ein schwebender Putto hochhalten) und die Kleidung der beiden Missionare. Die Darstellungen sind vereinfachte (verkleinerte und spiegelverkehrte) Varianten von ganzseitigen Abbildungen von Ricci und Schall von Bell m Buchinneren. Ricci erscheint schlicht gewandet wie ein konfuzianischer Gelehrter, Schall von Bell im zeremoniellen Gewand eines Mandarins dargestellt, komplett mit Mandarin-Tuch (bŭzi 補子 [11]) und Hut.

Das Frontispiz hat wenig Bezug zum Inhalt des Werks, es handelt sich vielmehr um eine Glorifizierung des Wirkens der Societas Jesu in China.

[1] Kurzbiographie: Fritz Krafft: „Kircher, Athanasius“. In: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 641-645 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118562347.html, Werk und Literaturverzeichnis: Gerhard Dünnhaupt: Athanasius Kircher S.J. (1602–1680). In: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Bd 3 (Stuttgart: Hiersemann 1991) 2326–2350.

[2] Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jh. (=Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 55; Weinheim 1987) 96 f.

[3] Links zu Digitalisaten : Bibliotheca Sinica 2.0.

[4] Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jh. (=Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 55; Weinheim 1987) 96 f.

[5] Zur Biographie: Cándido de Dalmases SJ, Ignatius von Loyola; Versuch einer Gesamtbiographie (München: Neue Stadt 2006).

[6] Kurzbiographie: Claudia von Collani: “Franz Xaver”. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Bd. 14 (Herzberg: Bautz 1998) Sp. 269–272.

[7] Liam Matthew Brockey: Journey to the East. The Jesuit Mission to China 1579-1724. (Cambridge, MA/London: Harvard University Press 2008) 32 f.

[8]Kurzbiographie: Walter Demel: “Matteo Ricci”. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 8 (Herzberg Bautz 1994), Sp. 181–185.

[9] Zur Praxis des lingchi: Timothy Brook/Jérôme Bourgon/Gregory Blue: Death by a Thousand Cuts (Harvard University Press 2008).

[10]  Zur Biographie: Claudia von Collani: SCHALL, Johann Adam S. von Bell. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) Bd. 8 (Herberg: Bautz 1994) Sp. 1575–1582; Hartmut Walravens: „Schall von Bell, Johann Adam“. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 551-552 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118606387.html

[11] Dazu: Schuyler Cammann: “The Development of the Mandarin Square”. In: Harvard Journal of Asiatic Studies Vol. 8, No. 2 (August 1944), pp. 71-130.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/455

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