“Every Other Picture” – Louise Lawler in Dresden
Ende 1994 initiierte Ulrich Bischoff das Ausstellungsprojekt »4 x 1 im Albertinum«, das richtungsweisend für seine weitere Arbeit am Museum werden sollte und das von ihm auch ein wenig subversiv angelegt war. Bischoff war erst Anfang des Jahres von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen als Direktor an die Gemäldegalerie Neue Meister nach Dresden gewechselt. Insgesamt vier Mal hat die Ausstellung stattgefunden. Bis 1997 zeigten 16 Künstler unter diesem Motto ihre Werke, die jeweils im Dialog mit der Sammlung inszeniert wurden. Die Reihe stellte ein internationales Programm in Dresden vor und ergänzte den vorhandenen Bestand um wichtige Positionen. Für Bischoff war sie damals mehr als ein temporäres Ereignis. Sie war wegweisend für das Sammlungskonzept der folgenden Jahre, das er mit der Ausstellungsreihe erproben konnte.
Heute befinden sich von zehn der damals ausgestellten Künstler Werke in der ständigen Sammlung der Galerie, darunter auch einige der damals gezeigten Arbeiten von Günter Fruhtrunk, Leon Golub, Dan Graham und Maria Lassnig. Dabei hat Ulrich Bischoff eine ungewöhnliche Ausdauer und Treue gegenüber den Künstlern bewiesen. Immerhin 15 Jahre hat es gedauert, bis sich 2010 anlässlich der Wiedereröffnung des renovierten Albertinums der Wunsch nach einer retrospektiven Ausstellung von Jeff Wall realisieren ließ. Von Luc Tuymans, der 1996 an der dritten Präsentation von »4 x 1 im Albertinum« beteiligt war, konnte Bischoff 1999 mitdem Gemälde »Der Architekt« ein Hauptwerk des Künstlers erwerben. Nun, zum Abschluss seiner Tätigkeit an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (im Folgendem SKD) kuratieren beide gemeinsam die Ausstellung »Die Erschütterung des Sinne«, die mit der Gruppierung von »4 x 4« Künstlern nicht nur die formale Struktur von »4 x 1 im Albertinum« noch einmal aufgreif, sondern mit Tuymans und Jeff Wall auch zwei der damaligen Künstler erneut einlädt. Auch darin ist sich Bischoff treu geblieben. Hier schließt sich nach zwei Jahrzehnten der Kreis einer konsequenten und vorbildhaften Museumsarbeit.
Ein zweiter Blick auf die Namensliste der an »4 x 1 im Albertinum« beteiligten Künstler offenbart noch eine andere Programmatik. Mit Louise Lawler, Marcel Odenbach, Rolf Julius, Raffael Rheinsberg oder Alf Schuler zeigte Bischoff in der Gemäldegalerie Neue Meister unter anderem auch Nicht-Maler. Die Ausstellungsreihe unterwanderte hier ganz bewusst die traditionellen Gattungsgrenzen der einzelnen Institute an den SKD. Nicht nur lassen sich Maler, Bildhauer, Fotografen, Objekt-, Installations- oder Konzeptkünstler nicht mehr kategorisch voneinander trennen, viele Künstler überschreiten in ihrem Werk gerne alle Gattungsgrenzen und setzen die unterschiedlichsten Medien je nach Bedarf und Notwendigkeit für ihre künstlerischen Aussagen ein. Die Ausstellungsreihe »4×1 im Albertinum« hat dies vorgeführt, zahlreiche Erwerbungen während der vergangenen 20 Jahre haben diese mediale Öffnung nachvollzogen. Schließlich haben auch die SKD selbst eine entscheidende Konsequenz gezogen: Seit 2001 lautet der Titel des Museums »Galerie Neue Meister«, die Malerei hat ihren Ausschließlichkeitsanspruch aufgegeben und die Sammlung ist pluralistischer, dialogfähiger, zeitgenössischer und auch internationaler geworden.
Die New Yorker Künstlerin Louise Lawler war 1994 gemeinsam mit Marlene Dumas, Günter Fruhtrunk und Marcel Odenbach an der ersten Ausgabe von »4 x 1 im Albertinum« beteiligt. Auch diese Wahl ist programmatisch gewesen. Lawler arbeitet mit Fotografie, ohne sich als Fotografin zu verstehen, und sie überschreitet dabei die traditionellen Gattungsgrenzen. Häufig stellt sie ihre fotografischen Arbeiten in einen informativen oder installativen Kontext. Sie kombiniert die fotografischen Motive mit Textergänzungen, die sie auf das Passepartout druckt oder den Fotos als Wandtext beistellt. Solche Texte kontextualisieren die Werke oder kommentieren das Dargestellte, können aber auch vom Bild unabhängige Botschaften transportieren. In anderen Beispielen inszeniert sie ihre Werke, indem sie mehrere Fotografien zusammenstellt, sie auf einer farbigen Wandmalerei präsentiert oder mit den Werken anderer Künstler kombiniert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ihres Schaffens ist der Einsatz ephemerer Materialien, mit denen sie ihre künstlerischen Botschaften auf Postkarten, Einladungen, Plakaten, Streichholzbriefchen, Servietten oder Kalender vertreibt.
Louise Lawler wurde 1947 in Bronxville geboren und gehört zusammen mit Richard Prince, Cindy Sherman und Barbara Kruger zur sogenannten picture generation, die Ende der 1970er Jahren an die Öffentlichkeit trat. Sie vertreten eine zweite Generation konzeptueller Künstler, die sich von ihren Vorgängern (Lawrence Weiner, Robert Barry oder Joseph Kosuth) vor allem durch ihre Aneignung von und ihre künstlerische Argumentation mit fotografischen Bildern unterscheiden. Louise Lawler fotografiert ihre Bilder an den »Orten der Kunst«, nachdem die Werke ihren Produktionsort, das Atelier, verlassen haben, um sich in einem anderen institutionellen Kontext zu bewähren. Ihre Aufnahmen entstehen in Galerien und Auktionshäusern, in den Wohnungen privater Sammler, in musealen Ausstellungssälen und Depots. Lawlers Blick richtet sich dabei immer auch auf den Umgang mit der Kunst, die Wahl ihrer Präsentation und die Formen ihrer Archivierung, die Wertschätzung der Kunst und ihre Positionierung in architektonischen und sozialen Kontexten. An jedem dieser Orte geraten andere Details in den Fokus des Interesses von Louise Lawler.
Dabei weisen ihre Aufnahmen über sich selbst hinaus auf ihre Umgebung, den Raum und die Institution ihrer Präsentation, in diesem Fall auf die Gemäldegalerie Neue Meister im Albertinum. Auch deshalb war die Entscheidung für Louise Lawler eine wichtige. Ihr Beitrag zur Ausstellung hat den Blick auch auf die Chancen und Defizite gelenkt, mit denen sich das Dresdener Museum damals konfrontiert sah.
Es war deshalb auch nur konsequent, dass Louise Lawler im Mai 2010 erneut nach Dresden gekommen ist, um hier im noch nicht wiedereröffneten Albertinum zu arbeiten. Für eine Gruppe neuer Werke fotografierte sie während der Einrichtung der Ausstellungsräume von Gerhard Richter, aber auch in der Skulpturensammlung und im Grünen Gewölbe. Aus diesem Aufenthalt sind eine Reihe neuer Werke entstanden, die sie seitdem in verschiedenen Variationen realisiert und in Ausstellungen gezeigt hat, 2012 auch in einer kleinen Präsentation im Schaukabinett im Albertinum. Gerhard Richters Malerei war bereits 1994 Thema eines der ausgestellten Werke. Die Fotografie mit Wandtext »Every Other Picture« entstand 1990 und verweist auf die Verfügbarkeit und Auswechselbarkeit von Kunstwerken. Diese Recherche zum Werk von Gerhard Richter hat Louise Lawler nach zwei Jahrzehnten in Dresden erneut aufgenommen.
Dieser Artikel ist anlässlich der Verabschiedung von Professor Ulrich Bischoff, von 1994 bis März 2013 Direktor der Galerie Neue Meister, erschienen in: Dresdener Kunstblätter 2/2013. Neue Meister für Ulrich Bischoff, hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2013, S. 56-60.
Quelle: http://gra.hypotheses.org/539
Geduldete Euthanasie
Ungefähr 200 000 Deutsche wurden im Rahmen der NS-Euthananasie ermordet, weil sie sogenannte Behinderte, Epileptiker/innen, psychisch Kranke oder arbeitsunfähig waren.
Quelle: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Online-Lernen/content/11104
Was Sie schon immer über “research technologists” wissen wollten und nie zu fragen wagten
Vom 11. bis 12. März fand am Corpus Christi College in Oxford ein Workshop zum Thema “Recognising Research Technologists in Research: an Action Plan” statt. Der Workshop wurde von JISC (UK) gemeinsam mit SURF (NL) und dem CSC (FIN) organisiert und fand im Rahmen des e-Infrastructure Policy Forums statt. Zwei kurze Tage lang diskutierten Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und europäischen Ländern darüber, was “research technologists” definiert, welche Rolle sie im Forschungsprozess insbesondere im Kontext der Digitalisierung haben, und wie man ihren Status und ihre Karrierepfade, ihre Ausbildung und ihre Anerkennung verbessern könnte. Einige Ergebnisse des Workshops sollen hier in Form von Frage & Antwort berichtet werden.
1. Was sind “research technologists” überhaupt?

Licht am Ende des Tunnels? (Keller der Bodleian Library, Oxford) – Torsten Reimer, “Old Tunnel, New Light”. Mit freundlicher Genehmigung, all rights reserved, Quelle: http://www.flickr.com/photos/torstenreimer/8554250760/sizes/h/in/photostream/.
Der Begriff “research technologist” (je nach Kontext auch “scientific programmer” oder “data technologist” genannt) bezeichnet kurz gesagt eine Personengruppe, die technisch-informatische Kompetenzen und Lösungen in den wissenschaftlichen Forschungsprozess einbringt. Dabei kann man sie in einem Kontinuum verorten, das zwischen zwei Polen aufgespannt ist: auf der einen Seite die rein auf ihre disziplinäre Forschung fokussierten Wissenschaftler (von denen heute allerdings zumindest eine gewisse technische Expertise erwartet wird); auf der anderen Seite die reinen technischen oder informatischen Dienstleister, die generische Standard-Lösungen für bestimmte Probleme (wie Datenspeicherung, Datenmanagement, Retrieval-Lösungen, etc.) anbieten können. Zwischen diesen beiden Polen sind einereits, näher am wissenschaftlichen Pol, die “digital humanists” oder “e-scientists” angesiedelt, die zwar primär ihren eigenen Forschungszielen verpflichtet sind, diese Ziele aber unter Einsatz individuell angepasster technologischer Lösungen zu erreichen suchen; andererseits, und näher am technologischen Pol angesiedelt, gibt es eben die research technologists, die einen primär technisch-informatischen Hintergrund mit einem tieferen Verständnis für Forschungsfragen verbinden und die forschungsgetriebene, individuell angepasste technologische Lösungen entwickeln und umsetzen.
2. Warum sind “research technologists” wichtig?
Im Kontext der zunehmenden Digitalisierung des kulturellen Erbes in den Geisteswissenschaften, der evidenzbasierten Sozialwissenschaften und der datengetriebenen Naturwissenschaften ist innovative Forschung ohne spezifische technisch-informatische Kompetenzen, die über generische Standard-Lösungen hinaus gehen, kaum noch denkbar. Die Europäische Kommission und das eIPF haben jedenfalls formuliert, dass ohne eine gut aufgestellte community von research technologists wettbewerbsfähige Forschung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmend schwieriger sein wird. Die Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Wissenschaft macht es zunehmend unmöglich, dass ein/e einzelne/r Wissenschaftler/in alle im engeren Sinne forschungsgetriebenen und alle technologischen Aspekte seiner/ihrer Forschung selbst beherrschen, anpassen und neu entwickeln kann. Zugleich sind “research technologists” mit meist informatischem Hintergrund in der Industrie und dem Service-Sektor gefragte Arbeitskräfte, sodass es für die Wissenschaft oft schwierig ist, geeignete Mitarbeiter/innen zu finden und zu halten. Viele Projekte in den digitalen Geisteswissenschaften sind davon betroffen.
3. Warum ist der Status von research technologists derzeit problematisch?
Zur Zeit haben “research technologists” keinen klar definierten Status; den meisten Wissenschaftlern ist der Begriff selbst unbekannt. Da sie nicht selbst disziplinär verankerte Forschungsprojekte leiten oder eine solche Leitungsposition anstreben, steht ihnen anders als “normalen” Wissenschaftlern keine akademische Karriere offen. Da sie andererseits nicht zum festen Personal von Rechenzentren gehören, die überwiegend nicht für so forschungsnahe und projektgetriebene Forschungsprojekte zuständig sind, haben sie auch hier keine konkreten Aufstiegschancen. Weil sie überwiegend projektbasiert eingestellt werden, sind sie zumindestens in den Geistes- und Sozialwissenschaften häufig befristet und unsicher beschäftigt. Und weil sie zu oft als Dienstleister gesehen werden, und nicht als vollwertig am Forschungsprozess beteiligte, sind sie häufig nicht Ko-Autoren wissenschaftlicher Artikel über ihr Forschungsprojekt und bekommen demnach nicht einmal symbolisches akademisches Kapital für ihre Arbeit.
4. Was können verschiedene Akteure unternehmen?
Es wurden verschiedenste Lösungsansätze diskutiert, vier davon scheinen mit aber besonders wichtig. Erstens sollte der genuine, forschungsorientierte Beitrag, den “research technologists” zum Forschungsprozess beitragen dadurch gewürdigt werden, dass sie mit Bezug auf ihre Gehaltsstufe als Wissenschaftler eingestuft werden oder zumindest besser gestellt werden, als dies derzeit oft der Fall ist. Zweitens und kurzfristig sollten sie aus dem gleichen Grund am Verfassen und Publizieren von wissenschaftlichen Artikeln beteiligt werden, was möglicherweise die Inhalte ebenso beeinflussen würde wie die geeigneten Publikationsorte. Drittens und mittelfristig sollten veränderte Publikationsgewohnheiten es “research technologists” erlauben, durch die Publikation von Tools und Code ebenfalls “academic credit” zu erwerben. Viertens (und das scheint mir der Bereich zu sein, wo am deutlichsten eine win-win-Situation hergestellt werden könnte), sollten an den Universitäten idealerweise auf Fakultätsebene “Research Technology Centers” oder “Digitale Forschungszentren” eingerichtet werden, die “research technologists” dauerhaft eingerichtete Stellen anbieten können. Das würde den RTs eine dauerhafte Perspektive eröffnen und es Projekten zugleich erlauben, zeitweise und flexibel Expertise ins Projekt zu holen, ohne dass die RTs nach Abschluss des Projekts auf der Straße stehen, und ohne dass der Universität wertvolle Expertise verloren geht.
Klar wird auf jeden Fall, dass die Entwicklung in der Forschungspraxis nicht haltmacht, während die kulturellen und institutionellen Gegebenheiten nur langsam reagieren. Hier sind in der Tat individuelle Forscher/innen ebenso gefragt wie Entscheider/innen auf institutioneller Ebene! Auch Input aus der Community ist hier gerne gefragt: Welche (vielleicht abweichende) Erfahrungen haben Sie in Ihren Projekten mit “research technologists” gemacht? Sind Sie vielleicht selbst eine/r? Was sehen Sie als dringlichste Probleme?
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1487
Brandenburg und der Dreißigjährige Krieg: textbook-Splitter
Karin Friedrich, die in Aberdeen lehrende Spezialistin für preußische Geschichte, hat vor einigen Monaten ein textbook zu Brandenburg-Prussia, 1466-1806 vorgelegt. Der in der Reihe “Studies in European History” erschienene knappe und konzise Überblick wird in den kommenden Jahren für Studierende in der englischsprachigen Welt sicher sehr hilfreich sein. Der Erfolg ist dem Buch durchaus zu wünschen, denn eine solche gelungene komprimierte Darstellung des vormodernen Teils der brandenburg-preußischen Geschichte hat ihren Wert, zumal wenn sie ältere Darstellungen in englischer Sprache ablösen kann.
An der Stelle soll es aber gar nicht um das Buch als ganzes gehen, sondern lediglich um die Frage, in welcher Weise der Dreißigjährige Krieg dargestellt wird. Es ist klar, daß diese Phase für die brandenburgische Geschichte kein Ruhmesblatt war, im Gegenteil. Um so großartiger geriet in der borussischen Geschichtsschreibung der Aufstieg der Hohenzollerndynastie, die im Laufe weniger Generationen ihre Herrschaft in den Kreis der europäischen Großmächte einführen konnten. Wie geht die Autorin also mit diesen bekanntermaßen dunklen Jahren Brandenburgs um?
K. Friedrich behandelt den ereignisgeschichtlichen Kontext, wie es in einem solchen Lehrbuch üblich ist, ausgesprochen knapp (79 f.). Bei den dafür aufgewendeten zwei Seiten fällt auf, daß Schwarzenberg zwar als “controversial Catholic minister” erwähnt wird, aber keineswegs wie in der älteren Forschung als der Sündenbock für eine Politik stilisiert wird, die Brandenburg beinahe unter die machtpolitischen Räder andere Potentaten zu bringen drohte. Die präsentere Figur ist aber, wenig verwunderlich, Friedrich Wilhelm, der eine flexiblere politische Ausrichtung verfolgte.
Daß man gewillt war, aus den bitteren Lehren des Kriegs zu lernen, zeigte sich bei der Organisation der Steuererhebung. Hier verweist K. Friedrich auf das Beispiel der Schweden, die 1626 ins Herzogtum Preußen einfielen und dort Kriegskontributionen erhoben (27). Auch hier taucht noch einmal Schwarzenberg auf als derjenige, der als Erster eine am schwedischen Modell angelehnte Steuererhebung zu etablierten suchte und damit wie dann der nachmalige Große Kurfürst eine antiständische Politik verfolgte, um das Steueraufkommen zu erhöhen. Das schwedische Beispiel wird auch zu recht für das Militärwesen betont, besonders war die Aufbringung von Truppen angeht (86, dazu auch schon 31 f.); vielleicht aber ist der Sprung zum Kantonsystem – der Begriff fällt an der Stelle – hier etwas zu weitgehend.
Zum Thema des konfessionellen Dissenses zwischen dem calvinistischen Herrscherhaus und den weitestgehend lutherischen Untertanen verweist die Autorin auf die Ausgleichsbemühungen im Jahr 1631, die allerdings nur unter dem politischen Druck zustande kamen (“At the height of the Catholic threat”, 39) und nicht von Dauer waren. Schließlich wird noch die Entstehung des Pietismus als Reaktion auf die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs gesehen (“as response to the traumas of the Thirty Years War”, 98), aber dies ist lediglich ein Stichwort.
So weit – und so wenig. Doch dies ist im Rahmen einer gut 100-seitigen Darstellung auch nicht zu kritisieren. Wichtig erscheint mir festzuhalten, daß der Tonfall nichts Apokalyptisches hat; die schwierigen und krisenhaften Umstände dieser Jahrzehnte werden angesprochen, doch finden sie sich durch die Einbettung auch in größere strukturelle Zusammenhänge gut kontextualisiert.
Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/117
Tagungsankündigung “Körperwissen II: Alter(n) und vergängliche Körper” (Call4Papers bis 01.04.2013)
Im Jahre 2009 hat eine erste gemeinsame Tagung der beiden Sektionen unter dem Titel „Körperwissen“ die möglichen Schnittstellen soziologischen Fragens ausgelotet, die sich in Bezug auf das „Wissen vom Körper“ und das „Wissen des Körpers“ ergeben.[1] Die nun vorgesehene Anschlusstagung … Weiterlesen
Bodo Mrozek zur Geschichte des „Swing tanzen verboten“-Schilds
[via Mareike König/G+]
Bodo Mrozek zur Geschichte des "Swing tanzen verboten"-Schilds
[via Mareike König/G+]
Neue Wege statt der “staubigen Straße der Chronologie” | Entwurf Kernlehrplan Geschichte für die Sek II NRW erschienen
Der neue Kernlehrplan Geschichte für die Sekundarstufe II NRW in der Entwurfsfassung für die Verbändebeteiligung ist seit letzter Woche veröffentlicht. In den Abiturjahrgängen seit 2007 waren in NRW die jährlich neu aufgelegten Vorgaben für das Zentralabitur maßgeblich, die für die beiden Qualifikationsjahrgänge (in G8: Stufe 11 und 12) einen chronologischen, stark auf deutsche Nationalgeschichte verengten Durchlauf durch das 19. und 20. Jahrhundert vorsahen. Die bisherigen Zentralabiturvorgaben standen vielfach in der Kritik, entsprechend hoch sind die Erwartungen an den ersten Kernlehrplan für die Oberstufe. Besonders die Schulbuchverlage scharrten schon mit den Hufen: Wie weitreichend verändert sich das Inhaltsprofil des Geschichtsunterrichts in der Oberstufe im bevölkerungsreichsten Bundesland? Die Antwort heißt: Der neue Kernlehrplan wird den Schulbuchautoren viel Arbeit bescheren, denn es soll sich einiges ändern. Ein kurzer Überblick:
Dem neuen Kernlehrplan liegt dasselbe Kompetenzmodell für alle Gesellschaftswissenschaften wie auch schon beim Kernlehrplan für die Sek I zugrunde (Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenzen), das unter politikdidaktischer Domäne entstanden und nicht ganz passend zu den geschichtsdidaktischen Kompetenzmodellen ist. Besonders die „Handlungskompetenz“ mit dem Ziel „Prozesse und Ergebnisse historischen Denkens lebensweltlich wirksam werden zu lassen“ (S. 14) scheint in geschichtsdidaktischer Hinsicht nicht ganz unproblematisch. Wie bereits beim KLP Sek I klingt im einführenden Absatz „Aufgaben und Ziele des Faches“ ansonsten stark das FUER-Modell (Waltraud Schreiber u.a.) durch, wenn beispielsweise auf die Operationalisierung historischen Denkens als Rekonstruktion von Vergangenheit und Dekonstruktion von Geschichte Bezug genommen wird (S. 9). Beim Kompetenzbegriff also (mit Blick auf den KLP Sek I) nicht viel Neues.
Ganz anders bei den Inhaltsfeldern: Gemessen an der „staubigen Straße der Chronologie“ (Reinhart Koselleck), die bislang in NRW in Sek I und Sek II gleich zweifach beschritten werden musste, ist die Benennung der sieben neuen Inhaltsfelder (1 bis 3 in der Einführungsphase 10, 4 und 5 in der Qualifikationsphase 11, 6 und 7 in der Qualifikationsphase 12) überaus bemerkenswert:
1 | Erfahrung mit Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive
2 | Islamische Welt – christliche Welt: Begegnung zweier Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit
3 | Die Menschenrechte in historischer Perspektive
4 | Die moderne Industriegesellschaft zwischen Fortschritt und Krise
5 | Die Zeit des Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Herrschaftsstrukturen, Nachwirkungen und Deutungen
6| Nationalismus, Nationalstaat und deutsche Identität im 19. und 20. Jahrhundert
7 | Friedensschlüsse und Ordnungen des Friedens in der Moderne
Drei Auffälligkeiten:
- Mit den neuen Inhaltsfeldern werden hauptsächlich themenorientierte, diachrone (Längsschnitt‑) Zugänge zur Geschichte eröffnet, die viel stärker Zusammenhänge und Beziehungen deutlich machen sollen und können. Beispielsweise reichen die Themen zu Aspekten der Selbst- und Fremdwahrnehmung im Inhaltsfeld 1 von der Antike (Konstruktcharakter der Bezeichnung „Römer“ oder „Germane“) über Mittelalter (christliche Mehrheit, jüdische Minderheit) und frühe Neuzeit (Entdeckungsfahrten) bis zu den Folgen der Arbeitsmigration ins Ruhrgebiet – oder im Inhaltsfeld 7 Friedensschlüsse vom Dreißigjährigen Krieg über die napoleonischen Kriege hin zu beiden Weltkriegen.
- Die Inhaltsfelder markieren eine deutliche Abkehr der bisherigen Engführung bezogen auf deutsche Geschichte (nur Inhaltsfeld 5 und 6 verfolgen hauptsächlich diesen Fokus) hin auch zu globalgeschichtlichen Aspekten und solchen, die historische Beziehungen zwischen Ländern und Räumen deutlich werden lassen. Insbesondere Themenschwerpunkte wie Fremdsein, Menschrechte und Friedensschlüsse eignen sich für Fremdverstehen, interkulturelles Lernen, Multiperspektivität und das Einbringen von Gegenwartsbezügen. Es wäre wünschenswert, dass die Freiräume, die der Kernlehrplan gibt, tatsächlich dazu genutzt werden, stärker auch gesamteuropäische Perspektiven und zugleich außereuropäische Räume vermehrt einzubeziehen.
- Mit einem Schwerpunkt auf politikgeschichtliche Aspekte werden dennoch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte stärker betont als bisher. Eine solche Hinwendung – auch zu Aspekten der Geschichtskultur – spiegelt die Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten wider und war somit überfällig.
Im hinteren Teil des Kernlehrplans werden einzelne Aspekte der Inhaltsfelder in konkrete Kompetenzanforderungen übersetzt, wobei sich erst in der Anwendung in Unterrichtsplanungen erweisen wird, wie hilfreich diese Vorschläge sind (beim KLP Sek I waren sie es nicht immer). Offen bleibt zunächst auch die (für die bisherige Unterrichtspraxis in der Qualifikationsphase oft wesentliche) Frage, zu welchen inhaltlichen Schwerpunkten in Zukunft Zentralabiturklausuren gestellt werden; dies wird man aber frühestens 2016 sehen. Übrigens werden die Operatoren ersetzt in einer neuen, gebündelten Übersicht „Überprüfungsformen“.
Das Konzept der Inhaltsfelder ist innovativ und die grundsätzliche Frage: themenorientierter oder chronologischer Geschichtsunterricht? wird eindeutig beantwortet. Die Verbändebeteiligung bis Mai 2013 wird zeigen, ob und wie sich der Vorschlag behaupten kann.
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2013): Neue Wege statt der “staubigen Straße der Chronologie” | Entwurf Kernlehrplan Geschichte für die Sek II NRW erschienen. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 26.3.2013. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1616, vom [Datum des Abrufs].
Konferenz zu Open Access Monographien, London 1.-2.7.2013
Open Access Monographs in the Humanities and Social Sciences Conference
Zeit: 1./2.7.2013
Ort:The British Library, London, UK
[via FWF-Newsletter]