Vom Sonderdruck zum Tweet, von Kutschen und Verflüssigung
Ein Fazit hat ja meist etwas Trockenes an sich. Das ist nicht gut, wenn man eine Konferenz beschreiben will, die alles andere als trocken war.
Versuchen wir es also mit Highlights und Schlaglichtern, möglichst anschaulich und kurzweilig – und damit dem Charakter der RKB-Konferenz entsprechend. Als Veranstalter betrachten wir im Nachhinein unsere Entscheidung als richtig, Diskussionspanels an die Stelle von Vorträgen gesetzt zu haben: Die Kurzweile kam ganz von allein, indem offenbar wurde, dass alle Diskutanten der drei Panels mit Engagement und Überzeugung dabei waren. Zugleich machten deutlich unterschiedliche Meinungen die Diskussionen umso angeregter, etwa im dritten Panel zwischen Valentin Groebner und Anne Lipp, oder dann, wenn ein Diskutant das zuvor im RKB-Blog publizierte Statement eines Kollegen als „unsäglich“ bezeichnet – zu Unrecht, wenn ich mir diese persönliche Meinung hier erlauben darf, zumal der Betroffene der Grippewelle zum Opfer gefallen war und sich nicht selbst verteidigen konnte.
Der Plan, den einzelnen Panels bestimmte Themen vorzugeben, ist dagegen tendenziell gescheitert: Die Diskussionen hüpften und sprangen nur so über den breiten Fächer digitaler Sujets. Und – um ein Hauptstadtzitat mit Bart einzubinden – das war auch gut so. Es spiegelte sich darin die Ernsthaftigkeit, mit der jeder einzelne Diskutant sein persönliches Steckenpferd vorbringen wollte und es spiegelte sich darin auch eine, wie ich es im Schlusswort nannte, „gesunde Aufgeregtheit“ im Umgang mit all den Themen, die unseren Alltag als Wissenschaftler so fundamental ändern oder bereits geändert haben (die Zukunft ist bereits Vergangenheit, siehe auch das Titelbild der Tagung (1)).
Was war also dieses bunte Themenpotpourri? Wir starteten beim Konkreten, der Bilanz von recensio.net und der Verkündung von Geburtstagsgeschenken. Wer die verpasst hat, möge bitte selbst suchen. Und wir starteten mit der Frage, warum eigentlich so wenig kommentiert wird in den Geisteswissenschaften. Interessanterweise blieb diese Frage als eine der wenigen fast vollständig unberührt, so dass wir weiter nur ahnen dürfen, es habe etwas mit der Hierarchieverliebtheit des deutschen Wissenschaftssystems oder der Nichtverwertbarkeit im wissenschaftlichen Curriculum oder der immer noch als „unwissenschaftlich“ empfundenen scheinbar qualitätsungesicherten Web 2.0-Umgebung zu tun. Oder mit allem. Es sei eingeschoben, dass Johan Schloemann passend zu diesem Aspekt in seinem am 4.2. in der SZ (Feuilleton) erschienen Artikel „Server oder Sammelband“ in Anspielung auf eine parallele Konkurrenzveranstaltung von der RKB-Tagung als „Münchner Unsicherheitskonferenz“ schreibt.
Anschließend ging es in die Keynotes und in die Diskussionen. Anzunehmenderweise wird beides im bald erscheinenden Tagungsbericht detailliert zu lesen sein, so dass ich mich darauf beschränke, die Landepunkte der Gedankensprünge zusammenzutragen:
Wir sprangen von Publikationsorten (Monographie, Blogs, Twitter, Verlage, Repositorien) zu Publikationsarten: Open Access aller Farben, Closed Access – mit deutlichsten Tendenzen zum Erstgenannten in goldener Fassung. Zu Aggregatzuständen von Texten: Herr Groebner hier vehementer Freund des zumindest temporär Festen, viele andere waren deutlich anderer Meinung. Zu inneren und äußeren Zwängen, die Einfluss auf unsere Innovationsfreude haben. Zu Wissenschaftskommunikation „nach außen“ und der Frage, welche Rolle wir der Öffentlichkeit zugestehen, ob wir sie als Bedrohung oder Chance, als Zuschauer oder Zielpunkt unserer Forschung wahrnehmen möchten. Auch zu der Frage, welcher Sprache wir uns und für wissenschaftliche Texte bedienen (oder bedienen sollten). Das alles hängt unmittelbar mit der Nutzung und Nutzbarkeit von Social Media im Wissenschaftsbetrieb zusammen. Wobei, wenn ich mich recht erinnere, nicht ein einziges Mal der Begriff „Social Media“ fiel. Es ging oft und viel um Förderstrukturen und um Korsette aus Tradition und Drittmitteln, die unser Verhalten, unsere Kommunikation und ganz konkret das Leben und Überleben digitaler Online-Angebote mitbestimmen. Und all das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Diskutierten. Ich hatte ja Kurzweil angekündigt und bitte jeden Dabeigewesenen, der sein Steckenpferd des Gehörten ergänzen möchte, dies in den Kommentaren zu tun.
Die RKB-Tagung brachte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ihre erste Twitterwall. Dass wir es ausgerechnet am ersten Tagungsnachmittag mit einem Ausfall von Twitter (ja, von Twitter, nicht der Twitterwall-Software, nicht des WLAN!) zu tun bekommen würden, konnte niemand ahnen.
Zwei schöne Botschaften, jede für sich ein Aufscheinen größtmöglicher Verständigung, allen Kontroversen zum Trotz: Niemand der Anwesenden führte auch nur ein einziges Mal im Verlaufe zweier Tage die „Digital Natives“ im Mund. Ist das nicht schön? All das viele reden, bloggen, twittern ob der Zweifel an der „Generationentheorie“ scheint gefruchtet zu haben. Unsere Panels waren ein schlagender Beweis dafür. Ich nenne verständlicherweise (aus Gründen der Höflichkeit) keine Namen, darf aber verraten, dass mehr als einmal die ältesten Diskutanten gegen die jüngsten argumentierten, und zwar nicht so, wie Sie als Uneingeweihter sich das gerade vorstellen.
Die zweite Versöhnungsbotschaft: Es gibt einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Einmal, zu Beginn der Konferenz, fiel das Wort „Sonderdruck“ – im Zuge einer Schilderung überholter Formen von Wissenschaftskommunikation. Da lachte der ganze Saal. Auch jene, denen der feste Aggregatzustand von Texten am besten schmeckt.
Danke an die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Es waren zwei Tage in einer optisch wie kulinarisch höchst ansprechenden Umgebung, für die man nicht oft genug danken kann. Derselbe Dank gilt Ihnen als Besuchern: Wir waren etwa acht Tage im Voraus ausgebucht, und viele von Ihnen rutschten erst über die Warteliste in die Veranstaltung, was uns als Veranstaltern neben einem schlechten Gewissen in vielen Fällen auch Bewunderung für Ihre Flexibilität abrang, war doch die Besetzung erfreulich überregional, ja international. Und ganz explizit will ich für den vollständig ausbleibenden Besucherschwund am Freitagnachmittag danken: Sie alle harrten bis zum bitteren Ende aus, und ich hoffe glauben zu dürfen, dass das nicht nur am grässlichen Münchner Dauerregen lag. Danke!
Der letzte Dank, aber keineswegs weniger herzlich, geht an das L.I.S.A.-Portal der Gerda Henkel Stiftung. Dort nämlich können Sie sich in ein paar Tagen die Videos der RKB-Konferenz ansehen, die gerade entsprechend aufbereitet werden.
Und wenn Sie glauben, Sie hätten es jetzt geschafft, muss ich Sie enttäuschen: Eine kleine Ankündigung hätte ich, im Namen aller am RKB-Blog Beteiligten: Wir starteten als reiner Konferenzblog. Den zu betreiben, war nicht nur – im Rückblick – sinnvoll. Es hat auch Spaß gemacht, und wir sind auf reichlich Resonanz gestoßen. Die Themen, die hier behandelt werden, bleiben aktuell, womöglich länger, als uns allen lieb ist. Um es kurz zu machen: Wir wollen weitermachen und hier ab und zu Gedanken zur Entwicklung der Wissenschaftskommunikation bewegen, gern in zugespitzter Form, aber sicher nicht mehr in derselben Frequenz wie zuvor, um unauffällig die Brücke zu den Korsetten und zum Thema Zeitnot zu schlagen, die auch zu den zentralen Themen der Tagung gehörte.
P.S.: Sie fragen sich, was es mit den Kutschen im Titel auf sich hat? Dann waren Sie offensichtlich nicht dabei. Alle anderen fragen sich das nicht. Abhilfe schafft der Klick auf L.I.S.A., sobald dort die Videos verfügbar sind. Nehmen Sie sich Zeit, denn es war die wohl meistgebrauchte Metapher der Konferenz. Und wenn Sie schon dabei sind, sei Ihnen hier noch das Interview mit Gudrun Gersmann ans Herz gelegt, das Deutschland Radio Kultur anlässlich der RKB-Konferenz und des recensio.net-Geburtstags sendete.
(1) Den Herrn mit dem Zwiebackschachtelartigen Smartphone haben wir übrigens „Hardy“ getauft. Wir vermissen ihn schon jetzt auf der Startseite von recensio.net)
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/413
Vom Sonderdruck zum Tweet, von Kutschen und Verflüssigung
Ein Fazit hat ja meist etwas Trockenes an sich. Das ist nicht gut, wenn man eine Konferenz beschreiben will, die alles andere als trocken war.
Versuchen wir es also mit Highlights und Schlaglichtern, möglichst anschaulich und kurzweilig – und damit dem Charakter der RKB-Konferenz entsprechend. Als Veranstalter betrachten wir im Nachhinein unsere Entscheidung als richtig, Diskussionspanels an die Stelle von Vorträgen gesetzt zu haben: Die Kurzweile kam ganz von allein, indem offenbar wurde, dass alle Diskutanten der drei Panels mit Engagement und Überzeugung dabei waren. Zugleich machten deutlich unterschiedliche Meinungen die Diskussionen umso angeregter, etwa im dritten Panel zwischen Valentin Groebner und Anne Lipp, oder dann, wenn ein Diskutant das zuvor im RKB-Blog publizierte Statement eines Kollegen als „unsäglich“ bezeichnet – zu Unrecht, wenn ich mir diese persönliche Meinung hier erlauben darf, zumal der Betroffene der Grippewelle zum Opfer gefallen war und sich nicht selbst verteidigen konnte.
Der Plan, den einzelnen Panels bestimmte Themen vorzugeben, ist dagegen tendenziell gescheitert: Die Diskussionen hüpften und sprangen nur so über den breiten Fächer digitaler Sujets. Und – um ein Hauptstadtzitat mit Bart einzubinden – das war auch gut so. Es spiegelte sich darin die Ernsthaftigkeit, mit der jeder einzelne Diskutant sein persönliches Steckenpferd vorbringen wollte und es spiegelte sich darin auch eine, wie ich es im Schlusswort nannte, „gesunde Aufgeregtheit“ im Umgang mit all den Themen, die unseren Alltag als Wissenschaftler so fundamental ändern oder bereits geändert haben (die Zukunft ist bereits Vergangenheit, siehe auch das Titelbild der Tagung (1)).
Was war also dieses bunte Themenpotpourri? Wir starteten beim Konkreten, der Bilanz von recensio.net und der Verkündung von Geburtstagsgeschenken. Wer die verpasst hat, möge bitte selbst suchen. Und wir starteten mit der Frage, warum eigentlich so wenig kommentiert wird in den Geisteswissenschaften. Interessanterweise blieb diese Frage als eine der wenigen fast vollständig unberührt, so dass wir weiter nur ahnen dürfen, es habe etwas mit der Hierarchieverliebtheit des deutschen Wissenschaftssystems oder der Nichtverwertbarkeit im wissenschaftlichen Curriculum oder der immer noch als „unwissenschaftlich“ empfundenen scheinbar qualitätsungesicherten Web 2.0-Umgebung zu tun. Oder mit allem. Es sei eingeschoben, dass Johan Schloemann passend zu diesem Aspekt in seinem am 4.2. in der SZ (Feuilleton) erschienen Artikel „Server oder Sammelband“ in Anspielung auf eine parallele Konkurrenzveranstaltung von der RKB-Tagung als „Münchner Unsicherheitskonferenz“ schreibt.
Anschließend ging es in die Keynotes und in die Diskussionen. Anzunehmenderweise wird beides im bald erscheinenden Tagungsbericht detailliert zu lesen sein, so dass ich mich darauf beschränke, die Landepunkte der Gedankensprünge zusammenzutragen:
Wir sprangen von Publikationsorten (Monographie, Blogs, Twitter, Verlage, Repositorien) zu Publikationsarten: Open Access aller Farben, Closed Access – mit deutlichsten Tendenzen zum Erstgenannten in goldener Fassung. Zu Aggregatzuständen von Texten: Herr Groebner hier vehementer Freund des zumindest temporär Festen, viele andere waren deutlich anderer Meinung. Zu inneren und äußeren Zwängen, die Einfluss auf unsere Innovationsfreude haben. Zu Wissenschaftskommunikation „nach außen“ und der Frage, welche Rolle wir der Öffentlichkeit zugestehen, ob wir sie als Bedrohung oder Chance, als Zuschauer oder Zielpunkt unserer Forschung wahrnehmen möchten. Auch zu der Frage, welcher Sprache wir uns und für wissenschaftliche Texte bedienen (oder bedienen sollten). Das alles hängt unmittelbar mit der Nutzung und Nutzbarkeit von Social Media im Wissenschaftsbetrieb zusammen. Wobei, wenn ich mich recht erinnere, nicht ein einziges Mal der Begriff „Social Media“ fiel. Es ging oft und viel um Förderstrukturen und um Korsette aus Tradition und Drittmitteln, die unser Verhalten, unsere Kommunikation und ganz konkret das Leben und Überleben digitaler Online-Angebote mitbestimmen. Und all das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Diskutierten. Ich hatte ja Kurzweil angekündigt und bitte jeden Dabeigewesenen, der sein Steckenpferd des Gehörten ergänzen möchte, dies in den Kommentaren zu tun.
Die RKB-Tagung brachte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ihre erste Twitterwall. Dass wir es ausgerechnet am ersten Tagungsnachmittag mit einem Ausfall von Twitter (ja, von Twitter, nicht der Twitterwall-Software, nicht des WLAN!) zu tun bekommen würden, konnte niemand ahnen.
Zwei schöne Botschaften, jede für sich ein Aufscheinen größtmöglicher Verständigung, allen Kontroversen zum Trotz: Niemand der Anwesenden führte auch nur ein einziges Mal im Verlaufe zweier Tage die „Digital Natives“ im Mund. Ist das nicht schön? All das viele reden, bloggen, twittern ob der Zweifel an der „Generationentheorie“ scheint gefruchtet zu haben. Unsere Panels waren ein schlagender Beweis dafür. Ich nenne verständlicherweise (aus Gründen der Höflichkeit) keine Namen, darf aber verraten, dass mehr als einmal die ältesten Diskutanten gegen die jüngsten argumentierten, und zwar nicht so, wie Sie als Uneingeweihter sich das gerade vorstellen.
Die zweite Versöhnungsbotschaft: Es gibt einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Einmal, zu Beginn der Konferenz, fiel das Wort „Sonderdruck“ – im Zuge einer Schilderung überholter Formen von Wissenschaftskommunikation. Da lachte der ganze Saal. Auch jene, denen der feste Aggregatzustand von Texten am besten schmeckt.
Danke an die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Es waren zwei Tage in einer optisch wie kulinarisch höchst ansprechenden Umgebung, für die man nicht oft genug danken kann. Derselbe Dank gilt Ihnen als Besuchern: Wir waren etwa acht Tage im Voraus ausgebucht, und viele von Ihnen rutschten erst über die Warteliste in die Veranstaltung, was uns als Veranstaltern neben einem schlechten Gewissen in vielen Fällen auch Bewunderung für Ihre Flexibilität abrang, war doch die Besetzung erfreulich überregional, ja international. Und ganz explizit will ich für den vollständig ausbleibenden Besucherschwund am Freitagnachmittag danken: Sie alle harrten bis zum bitteren Ende aus, und ich hoffe glauben zu dürfen, dass das nicht nur am grässlichen Münchner Dauerregen lag. Danke!
Der letzte Dank, aber keineswegs weniger herzlich, geht an das L.I.S.A.-Portal der Gerda Henkel Stiftung. Dort nämlich können Sie sich in ein paar Tagen die Videos der RKB-Konferenz ansehen, die gerade entsprechend aufbereitet werden.
Und wenn Sie glauben, Sie hätten es jetzt geschafft, muss ich Sie enttäuschen: Eine kleine Ankündigung hätte ich, im Namen aller am RKB-Blog Beteiligten: Wir starteten als reiner Konferenzblog. Den zu betreiben, war nicht nur – im Rückblick – sinnvoll. Es hat auch Spaß gemacht, und wir sind auf reichlich Resonanz gestoßen. Die Themen, die hier behandelt werden, bleiben aktuell, womöglich länger, als uns allen lieb ist. Um es kurz zu machen: Wir wollen weitermachen und hier ab und zu Gedanken zur Entwicklung der Wissenschaftskommunikation bewegen, gern in zugespitzter Form, aber sicher nicht mehr in derselben Frequenz wie zuvor, um unauffällig die Brücke zu den Korsetten und zum Thema Zeitnot zu schlagen, die auch zu den zentralen Themen der Tagung gehörte.
P.S.: Sie fragen sich, was es mit den Kutschen im Titel auf sich hat? Dann waren Sie offensichtlich nicht dabei. Alle anderen fragen sich das nicht. Abhilfe schafft der Klick auf L.I.S.A., sobald dort die Videos verfügbar sind. Nehmen Sie sich Zeit, denn es war die wohl meistgebrauchte Metapher der Konferenz. Und wenn Sie schon dabei sind, sei Ihnen hier noch das Interview mit Gudrun Gersmann ans Herz gelegt, das Deutschland Radio Kultur anlässlich der RKB-Konferenz und des recensio.net-Geburtstags sendete.
(1) Den Herrn mit dem Zwiebackschachtelartigen Smartphone haben wir übrigens „Hardy“ getauft. Wir vermissen ihn schon jetzt auf der Startseite von recensio.net)
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/413
Der Hype um das Internet, die digitale Welt und der ganze Rest #rkb13

Die Titelgrafik der RKB-Tagung basiert auf einem Design von Moma Propaganda, São Paolo. www.momapropaganda.com.br
Die RKB-Tagung in München ist gerade vorüber. Wer nicht dabei sein konnte, hatte via Twitter und über hypotheses.org die Möglichkeit “live” dabei zu sein und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Nun freut es umso mehr, dass sich die Süddeutsche Zeitung ausgiebig mit dem Thema der Wissenschaftskommunikation befasst (Ausgabe 29 vom 4.2.2013, S. 9).
Exempli gratia ist der Publikationsprozess, samt vorgelagerter Erarbeitung von Informationen, wobei die Reduktion auf den Begriff “filtern” eher zu pauschalisierend ist, bis zur Thesenentwicklung und anschließendem Schreibprozess. Schlagwörter wie “Open Access” dürfen in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Der Rückgriff auf die Infrastrukturen als Allheilsbringer der Geisteswissenschaften geht dann doch etwas weit. Hier werden wissensgenerierende Methoden zu stark mit dem Output der Wissenschaften verknüpft, mit dem Paper, mit dem Buch, mit der Online-Publikation. Denn auf einen solchen Output hinzuarbeiten, dürfte keinem Infrastrukturprojekt als Ziel dienen. Wenn dies so wäre, dann würden Infrastrukturen zu stark an einzelne Projekte und Forschungsvorhaben gebunden sein. Das dem nicht so ist, sollte klar werden, schaut man auf die heterogene Nutzerlandschaft, die gesamten Geisteswissenschaften.
Aber allein durch die Nutzung digitaler Tools wie Mendeley, Geobrowsern oder Visualisierungsumgebungen wie Gephi beginnt keine neue Epoche. Die Fragestellungen sind – ja, sie dürfen es auch explizit sein – die gleichen wie zuvor. Denn das bestätigen oder verwerfen alter Thesen ist ein guter Anfang um schließlich neue Fragestellungen zu entwickeln und diese auch an einer großen Masse an Daten überprüfen zu können. Erst an dieser Stelle kommt die Infrastruktur ins Spiel, deren Rolle zwar zentral ist, die aber den nach wie vor analogen Vorgang der Hypothesenbildung wenn überhaupt nur ein wenig unterstützen kann. Das bedeutet, dass das überaus kreative Vorgehen und Arbeiten in der Wissenschaft nach wie vor nicht von Maschinen ersetzt werden kann.
Der Spiegel schrieb im April 1957 im Zusammenhang mit Roberto Busas Corpus Thomisticus von “Text-Analyse durch Elektronen-Gehirne” (S. 62) und die innerkirchliche Diskussion – zu den vom Teufel persönlich entsandten Maschinen – blieb nicht aus. Vielleicht ist die aktuelle Diskussion davon nicht so weit weg. So klingt es zumindest etwas esoterisch, wenn vom “magischen [...] Vorsprung” durch Technik geschrieben wird; im SZ-Artikel und auch in den Tweets.
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1248
Open Peer Review – letzter Tag
Letzter Tag im Open Peer Review-Projekt “historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften“, das gemeinsam mit Peter Haber derzeit bei Oldenbourg und wunderbar betreut von Julia Schreiner läuft. Nach den letzten Wochen mit Hochs und Tiefs, manchmal langen Leerläufen und dann wieder intensiven Kommentier-Phasen kann man jetzt schon einige Lehren aus diesem Pilotprojekt ziehen. Dies ist nicht der Platz für die Details dazu, allerdings ist absehbar, dass wir künftig mit vielen veränderten Arbeitsweisen rechnen dürfen, wenn sich solche Review- und Publikationsprojekte etablieren. Die deutschsprachige Blogosphäre spielt hier wohl nur eine untergeordnete Rolle, doch neuerdings geänderte Förderrichtlinien der DFG und des FWF in punkto Open Access werden doch dazu beitragen, dass immer mehr Geschichtswissenschaft im Netz sichtbar wird.
Der veſte Buchſtab. Digitale Editionen, ihre Erstellung und Darbietung

Quelle: http://mws.hypotheses.org/1571
Nationalenzyklopädie versus Wikipedia – Norwegens Store Norske Leksikon: SNL.no

The Library: Encyclopedias, 1964
Flickr Commons, LSE Library (public domain)
Spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends kämpfen viele Verlage mit einbrechenden Verkaufszahlen ihrer Enzyklopädien und Lexika, wie zuletzt der Verlag Encyclopaedia Britannica, der 2010 aufgrund niedriger Nachfrage die letzte 32-bändige Ausgabe seines prestigeträchtigen Nachschlagewerks herausgegeben hat.

Druckausgabe des Store Norske Leksikon
Auch in Norwegen kämpfte der durch die beiden größten Verlage des Landes, Aschehoug und Gyldendal, gegründete Kunnskapsforlaget mit sinkenden Umsätzen. 1978–1981 gab er die erste Ausgabe des Store Norske Leksikon [Großes Norwegisches Lexikon] heraus, das die beiden vorherigen großen Standardenzyklopädien Aschehougs konversasjonsleksikon und Gyldendals Store Konversasjonsleksikon vereinte. Die vierte Ausgabe von Store Norske Leksikon, die von 2005–2007 herausgegeben wurde, war bereits die letzte Printausgabe des Lexikons und wurde von einer kostenpflichtigen Online-Ausgabe abgelöst. Doch auch die Online-Ausgabe erbrachte nicht die erhofften Gewinne, da sie in direkter Konkurrenz zum Enzyklopädiegiganten Wikipedia stand. 2010 kündigte Kunnskapsforlaget an, dass der Betrieb der Online-Version des Lexikons eingestellt werde, worauf eine Debatte über die Zukunft der ›norwegischen Nationalenzyklopädie‹ folgte. Ausgelöst wurde diese vor allem durch die Aussage der norwegischen Kulturministerin Anniken Huitfeldt, die sagte, sie halte es nicht für die Aufgabe des Staates, die Verantwortung für die Netzausgabe des Store Norske Leksikon zu übernehmen. In einem Interview mit dem norwegischen Fachblatt der Buchbranche Bok & Samfunn äußerte sie ferner: »Es braucht starke Argumente, damit der Staat sich an der Finanzierung eines nationalen Lexikons beteiligt. Eine solche Anfrage ist durch den Kunnskapsforlaget gekommen, und wir werden sie selbstverständlich genau abwägen, aber ich habe meine Zweifel daran, wie richtig das ist. Es wird um viel Geld gehen, und Netzlexika wie Wikipedia sind eine interessante Alternative. Ich bemerke, dass viele negativ gegenüber Wikipedia eingestellt sind, aber ich teile diese Auffassung nicht.«

Onlineversion des Store Norske Leksikon
Die humanistische Bildungsorganisation Fritt Ord [Freies Wort] und die Sparebankstiftelse DnB Nor übernahmen daraufhin das Lexikon und geben es seitdem in Zusammenarbeit mit den Universitäten, der norwegischen fachliterarischen Autorenvereinigung und der norwegischen Wissenschaftsakademie unter dem Projektnamen Norsk nettleksikon [Norwegisches Netzlexikon] heraus. SNL.no beinhaltet sowohl das Store Norske Leksikon als auch das Store Medisinske [Große Medizinische] und das Norsk Biografisk Leksikon [Norwegische Biografische Lexikon], alles drei fachliterarische Standardwerke. Die Zielsetzung des Projekts formuliert seine Redakteurin Ida Jackson wie folgt: »Das norwegische Netzlexikon arbeitet für Wissen für alle, ein freies Internet, digitale Bildung und Forschungsvermittlung auf gut Norwegisch.« Im Redaktionsblog des Lexikons, Lille Norske [Kleines Norwegisches], schreibt sie ferner: »Ein Lexikon ist kein Buch. Ein Lexikon ist keine Internetseite. Ein Lexikon ist Inhalt. Das Wichtige ist nicht schönes Papier oder ein Goldrücken. Das Wichtige sind nicht Teilen-Knöpfe zu Facebook und Twitter. Das Wichtige sind die Artikel, die Links zwischen den Kapiteln und die Metadaten zu den Artikeln. Es sind die Texte.«
An der hier nur kurz skizzierten Debatte um Store Norske Leksikon zeigen sich grundlegende Legitimationsprobleme der traditionsreichen Lexika und Enzyklopädien im Zeitalter von Wikipedia und Google. Gerade für eine solch kleine Nation wie Norwegen scheint der sich anbahnende Verlust der Nationalenzyklopädie so schmerzhaft zu sein, dass sogar nicht-staatliche Organisationen enorme Summen in die Hand nehmen – laut Aftenposten investierten Fritt Ord und Sparebankstiftelsen DnB Nor je 15 Millionen Kronen ins Lexikon –, um nicht vollkommen von einer ›Weltenzyklopädie‹ wie Wikipedia überschattet zu werden.

Funktionen von snl.no
Neben der symbolischen Bedeutung des Lexikons ist es jedoch vor allem die Frage nach inhaltlicher Qualität, die die norwegische Debatte anfeuerte und die ähnliche Debatten außerhalb Norwegens bereits leitete und leiten wird; wie auch in Deutschland, wo die Brockhaus-Enzyklopädie vor ähnlichen Schwierigkeiten steht. Store Norske Leksikon und damit auch SNL.no ist im Gegensatz zu Wikipedia eine Primärquelle, aus der mit Angabe eines Autors zitiert werden kann und die durchweg ›echte‹ Literaturangaben enthält. Wikipedia hingegen wird kontinuierlich – und kostenlos – aktualisiert. Hierin liegt der wohl größte Vorsprung von Wikipedia vor SNL.no, den die norwegische Redaktion jedoch in zweierlei Hinsicht einholen will. Zum Einen sollen viele neue Akademiker für die Online-Publikationen des Store Norske Leksikon gewonnen werden: »Akademiker, Forscher und Fachautoren sollen lernen, dass das Netz ein Teil der Öffentlichkeit ist, kein Schimmelpilz hinter dem Sofa«, wirbt Ida Jackson. Zum Anderen bietet SNL.no die Möglichkeit, nach einer Registrierung Änderungsvorschläge und Aktualisierungen abzugeben – ähnlich wie bei Wikipedia –, die jedoch von einem der 300 Fachexperten und nicht nur per ›Schwarmintelligenz‹ redigiert werden. Genau in diesem Punkt liegt die eigentliche Innovation des internetbasierten Lexikons SNL.no. Es stellt nicht nur eine fundierte und qualitätsgesicherte Quelle für u.a. Schüler, Studenten und Wissenschaftler dar, es versucht zudem das Renommee eines traditionsreichen Nachschlagewerkes auf eine moderne Publikationsform zu übertragen und rüttelt an alten, behäbigen Verhaltensweisen einer Wissenschaftswelt ›von gestern‹. Die Hauptredakteurin von Store Norske Leksikon kündigt deshalb in einem Interview mit Aftenposten an: »Du wirst sehen können, ob ein emeritierter Professor wirklich an der Diskussion teilnimmt. Früher konnte man sich hinter einer lebenslaufbasierten Autorität verstecken. Aber das, was im Netz Legitimität verleiht, ist Handlung. Fachverantwortliche, die nicht antworten oder mehr als drei Tage brauchen, um zu antworten oder Anwesenheit zu zeigen, wollen wir immer los werden. Diejenigen, die sich so aufführen, wollen wir einfach nicht haben.«
Letztendlich ist der Fortbestand des kostenlosen SNL.no jedoch weiterhin von der Finanzierung abhängig und es bleibt zu hoffen, dass die derzeitige Kulturministerin Hadia Tajik sich mehr für das norwegische Online-Nachschlagewerk einsetzt als es ihre Vorgängerin getan hat und die Verantwortung für die Unterstützung eines so löblichen Bildungsprojekts auch beim Staat sieht.
mediaevum.net: Hochschulschriften-Service der Universitätsbibliothek Wien
Open Access, Author-Fees und Impact
Quelle: http://geschichtsweberei.blogspot.com/2012/11/open-access-author-fees-und-impact.html
Wie man Nachwuchsförderung schlecht reden kann. Eine Replik auf Janina Reibold
Quelle: http://gab.hypotheses.org/392