Der Artikel von Jan Heinemann “Aus der Sicht eines Skeptikers” hat letzte Woche für reichlich Gesprächsstoff auf unserem Blog gesorgt. Das ist gut, denn es zeigt, dass Blogs “still alive” sind. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, Jans etwas polemisch-kritischen Artikel so früh zu veröffentlichen, um die “Schmerzgrenze” auszuloten, mit der wir hier operieren können. Um so erfreuter bin ich über den sachlichen Charakter der Kommentardiskussion und hoffe, dass wir das noch viele Male so wiederholen können.
The Trend is your friend
Viele der Blogbeiträge, die ich bisher gelesen habe, loben das Digitale über den grünen Klee. Kaum ein kritisches Wort ist zu lesen, was letztlich auch zu der schreibenden Community von de.hypotheses.org passt. Menschen, die sich nicht vor der digitalen Revolution überrollen lassen wollen. Ich zähle mich auch dazu. Einer der absolut überzeugten “Digital Humanisten”. Trotzdem lese ich Beiträge wie den von Jan Heinemann gerne, da ich sie als wohltuendes Korrektiv verstehe, um das eigene Denkmuster reflektiv zu betrachten. Dennoch bin ich überzeugt: Wir stehen mit den Geisteswissenschaften vor einer wissenschaftlichen Revolution. Science 2.0, schon oft ausgerufen und doch nie so richtig angekommen, dürfte durch den Vormarsch der Digital Humanities nun tatsächlich bald auch in den Geschichtswissenschaften Einzug halten. Dieser Trend darf nicht verschlafen werden!
Mit großem Bedauern musste ich feststellen, dass es bisher größtenteils die Anglistik, Germanistik oder die Kommunikationswissenschaften sind, die sich den Methodenkoffer der Digital Humanities unter den Nagel reißen. Wo bleiben die Historiker?
Ohne in diesem Beitrag genauer auf die Definitionsproblematik der Digital Humanities einzugehen, sehe ich den größten Vorteil der Digital Humanities in den Möglichkeiten, quantitative Fragestellungen für die Geschichtswissenschaft zu entwickeln. War ein Großteil historischer Forschung bisher qualitativer Natur, so können nun durch digitale Methoden erstmals Quellen quantitativ ausgelesen und analysiert werden. Allerdings steckt diese Forschung noch in den Kinderschuhen. Warum?
Ich habe den Eindruck, dass sich viele Historiker nicht trauen, die neuen Hilfsmittel einzusetzen, da diese als zu modern und wenig erprobt gelten. Müsste es nicht auch ausreichen, wenn man wisse, wie man mittels Office Word ein Textdokument erstellt? Immerhin sind wir keine Informatiker! Diese Einstellung, mit der ich im Laufe meines Studiums immer wieder konfrontiert wurde, finde ich gefährlich. Sie führt dazu, dass die Geschichtswissenschaft zumindest methodisch das 21. Jahrhundert verschläft! Selbst in den Digital Humanities spricht niemand davon, dass Historiker ab sofort über die umfassenden Programmierkentnisse eines Informatikers verfügen müssten. Diese fälschliche Annahme kommt mir eher vor wie ein Schutzschild, hinter dem sich viele Kritiker verstecken.
Für mich zählt vielmehr das kreative Element. Neue Methoden bieten neue Möglichkeiten, neue Fragestellungen zu entwickeln und zu beantworten. Diesen Prozess kann die Geschichtswissenschaft nicht alleine gehen. Damit verbunden ist eine neue Interdisziplinarität. Ist das denn schlimm? Im Sinne des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns dürfte das eigentlich kein Grund zur Besorgnis sein. Immerhin möchte ich nicht, dass sich in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren die Informatik um einen Teil der historischen Fragestellungen kümmert und nicht mehr die Geschichtswissenschaft.
Historyblogging
Was verändert sich noch? Die Art und Weise des Wissenstransfers. Etwas überspitzt formuliert Jan Heinemann: “welchen Anreiz kann es noch geben, von Angesicht zu Angesicht wissenschaftliche Fragen zu debattieren, sich in Theorien zu graben und Satz für Satz mit seinen Kommilitonen zu zerlegen, zu hinterfragen und sich anzueignen, wenn alles irgendwo schon auf drei Seiten zusammengefasst, als gültige Wahrheit reproduziert und stets abrufbar ist?” Wer auch immer so denkt (und leider wurde ich mit genau diesen Bedenken schön des Öfteren konfrontiert), scheint das Konzept hinter der Blogosphere nicht verstanden zu haben! Niemand möchte ernsthaft eine Wissenschaft, welche sich ohne physische Interaktion lediglich vor den Bildschirmen der Computer abspielt. Die Befürchtung, dass Blogging früher oder später Seminare, Konferenzen oder gar universitäre Lehre ersetzen könnte, scheinen mir absolut haltlos. Nichts ist zielführender als Face-to-Face-Kommunikation.1 Auch die Digital Humanities werden weiterhin auf den Austausch außerhalb der digitalen Welt angewiesen sein. Die Bolgosphere bzw. das digitale Netzwerk bietet hier meiner Meinung nach eher eine diese Treffen ergänzende Plattform, auf der Themen vertieft behandelt und Diskussionen in breiterer Runde fortgeführt werden können.
Auch die Befürchtung des sinkenden Forschungsinteresses kann ich nicht teilen. Nur weil etwas im Netz veröffentlicht wird, bedeutet das nicht, dass man aufhören soll/muss, Fragen zu stellen. Kann es nicht sogar über kurz oder lang einen gegenteiligen Effekt auslösen?
Hier macht es sich die Kritik an Open Access und Digital Humanities etwas zu einfach und vergisst vor allem die immensen Vorteile, die die digitale Welt bietet.
Bleiben wir beispielsweise kurz bei der Zielgruppe. Auch darüber wurde bereits in den Kommentaren diskutiert. Sicherlich sind Wissenschaftsblogs nicht der Weisheit letzter Schluss, wenn es um die Vermittlung von Wissen bzw. Wissenstransfer geht. Allerdings sind sie ein Anfang. Oftmals wird bemängelt, wie elitär und hierarchisch universitäre Lehre aufgebaut ist. Blogs schaffen hier in mehrfacher Hinsicht Abhilfe. Sie tragen Debatten/Wissen nach außen und sind für interessierte Laien im Netz frei zugänglich abrufbar. Natürlich erreicht man nicht jeden, aber das wäre zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich noch etwas vermessen anzunehmen. Wenn Karl-Heinz Schneider schreibt: “Ich war gerade drei Tage in Sachen “Angewandter Geschichte” unterwegs, in einer norddeutschen Kleinstadt, in der wir ein kleines Projekt zur Stadtgeschichte durchführen, aber in dem Dilemma stecken, das alle viel mehr von uns erwarten: Lösungen für Antworten, die schon lange niemand mehr gefunden hat, Unterstützung bei der alltäglichen Auseinandersetzung mit alten Herren, die keine Veränderung wollen, Aufklärung über Dinge, die niemand so richtig versteht, Abstand und Nähe zugleich. Aus der Perspektive dieser Akteure sind Debatten wie diese hier reinster Elfenbeinturm, das versteht “draußen” niemand. Muss es vielleicht auch nicht. Aber es zeigt die Grenzen des Bloggens auf. Für Laien ist das hier jedenfalls nichts“, dann hat er damit sicherlich zum Teil recht. Für Laien ist das hier nichts. Ich würde aber konstatieren, dass es für interessierte Laienhistoriker_Innen schon etwas ist, nämlich die Möglichkeit, an dieser hier geführten Debatte nicht in abgeschlossenen Elfenbeintürmen an der Universität, sondern offen zugänglich im Netz teilzuhaben!
Weiß der Blogger um die Wirkung seines Posts?
Aus der Sicht eines Skeptikers stellt Jan Heinemann in seinem Beitrag die Frage nach dem Bewusstsein über die Wirkung eigener Posts von Bloggern.
Auch dies ist eine berechtigte Frage, auf die eine Antwort gegeben werden muss. Aber wie und von wem?
Die Blogs, die den Beinamen “wissenschaftlich” bekommen wollen, müssen letztlich den selben Qualitäts- und Objektivitärsansprüchen standhalten, wie traditionelle wissenschaftliche Publikationsformen.
Müssen sie das uneingeschränkt? Gegenstimmen wie die von Klaus Graf sagen: “Wissenschaftliches Gammelfleisch bringt einen nicht um!“.2 Diese gewagte These setzt die Mär vom reflektierten und informierten Leser voraus. Diese könnten dann in den Kommentarzeilen auf inhaltliche Fehler hinweisen und bringen letztlich einen Erkenntnisgewinn für den Autor mit sich. Auch diese Methode hat etwas für sich, zeigt aber, in welcher Zwickmühle sich wissenschaftliches Bloggen momentan befindet. Das Konzept des “Publish first – filter later”3 beendet bewusst traidtionelle Denkmuster. Das Peer Review muss dabei kein zwangsläufig vorgeschalteter Prozess sein. Hubertus Kohle nennt die Alternative: “Eine Bewertung, die im Nachhinein stattfindet, kann ebenfalls ein Peer Review sein“.4 Dieses Vorgehen führt zwangsläufig zu mehr Content und mehr Content führt zwangsläufig zu einer wachsenden Unübersichtlichkeit die, wie Kohle abschließend konstatiert “nur über professionelle Recherchetechniken einigermaßen einzuhegen ist”.5
Die Chancen auf Gammelfleisch zu stoßen, sind aus den oben genannten Gründen höher als bei traditionellen Publikationsformen. Das kann dann zu einem Problem werden, wenn das Open-Peer-Review Verfahren auf unreflektierte Blog-Leser stößt. Hier muss für den Leser an einer transparenten Lösung gearbeitet werden. Nur so kann der von Jan Heinemann angesprochene “tendency to confuse quality or relevance with popularity” entgegengearbeitet und ein Trend hin zu Wissenschaftlichkeit im Netz gelegt werden. In Gänze nimmt es dem Leser das reflektierte Lesen jedoch nicht ab.
through the gates of heaven
Ich sehe das ganze Thema Digital History nicht so kritisch wie Jan Heinemann. Die Forschung darf sich nicht von der “Flut potenzieller Informationen und Quellen” verunsichern lassen. Was die Forschung braucht, sind neue Methoden zur Analyse und Filterung von Daten/Quellen. Hier sehe ich die Digital Humanities in der Pflicht. Ihre Aufgabe wird es sein, zukünftig dafür zu sorgen, dass die Flut an Quellen keinen Qualitätsverlust in der Forschung verursacht. Es muss in Forschung und Lehre bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass zukünftig neue “Softskills” vonnöten sind, um der Informationsflut Herr zu werden.
Aber allein die Tatsache, dass die Plattform Hypotheses stetig wächst und sogar Skeptiker wie Jan Heinemann doch lieber auf Blogs schreiben (wenn auch kritisch), als es ganz sein zu lassen, zeigt, dass wir dabei sind, eine neue Art des Wissenstransfers zu entwickeln.
add:
Kurz bevor ich diesen Artikel freigeben wollte, las ich ein Streitgespräch im Spiegel zum Thema: Wissenschaft in den Medien. Der letzte Abschnitt, der passenderweise den Titel: “Sind Blogs die Rettung?” trägt, zieht dabei für das Wissenschaftsblogging eine nüchterne Bilanz. Forscher hätten Angst, kritisch zu bloggen und fürchteten die Ausgrenzung durch Kollegen. Wenn das stimmt, ist das sicher ein Problem, dem sich die Wissenschaft annehmen muss. Damit hätten wir auch den einzigen Punkt des Gesprächs freigelegt, dem ich, sollte er stimmt, beipflichten würde.
Der Rest ist (vielleicht auch auf Grund der Intention des Spiegels) zu eintönig. Es wird schlicht bestritten, dass die Wissenschaft ohne Journalismus nicht in der Lage sei, Endnutzer zu erreichen. Dieser Vergleich hat leider etwas Schieflage, vergisst er doch die bisherigen Untersuchungen zu Blogs, die auf deren quasi-journalistischen Charakter abzielen.6 Natürlich kann keiner erwarten, dass Blogs die gleiche Reichweite besitzen wie anerkannte Journalistische Plattformen (zumindest noch nicht). Um aber auf den Titel des Streitgespräches zurückzukommen, wo denn die Wissenschaft in den “Medien”7 noch platz findet? Etwa auf den paar Seiten im Spiegel? Oder Seite 29 in der F.A.Z.? Anstatt zu bemängeln, dass einzelne Wissenschaftler und Studierende versuchen, das Interesse für Wissenschaft durch Blogs nach außen zu tragen, hätte ich mir von Herrn Wormer (lehrt Wissenschaftsjournalismus an der Uni Dortmund), Frau Lüthje (lehrt Kommunikationswissenschaften an der TU Dresden) und Herrn Fischer (lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Uni Heidelberg) etwas mehr “Punch” gegenüber der Presse erhofft. Eines ist zuimdest für mich aus meiner eigenen Leseerfahrung her sicher: Wissenschaftsjournalismus in der traditionellen Form gibt es in Deutschland nicht mehr!
- http://www.listeningway.com/rogers2-deu.html
- http://digigw.hypotheses.org/1063
- Shirky, Clay: Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, 2008 und Cognitive Surplus: Creativity and Generosity in a Connected Age, 2010.
- http://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Kohle.pdf
- Ebda.
- Hecker-Stampehl, Jan: Bloggen in der Geschichtswissenschaft als Form des Wissenstransfers, in: Haber, Peter, Pfanzelter, Eva, hrg.: historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften, München, 1013, S.37-51
- Gemeint sind damit alle Medien, die von Journalisten betrieben werden.