Rat für Informationsinfrastrukturen gegründet

Pressemitteilung des BMBF 112/2014:

Wissen digital besser erschließen

Der neu gegründete Rat für Informationsinfrastrukturen hat heute seine Arbeit aufgenommen. Die 24 Ratsmitglieder – Vertreter von Wissenschaft und Gesellschaft sowie Bund und Ländern – kamen heute in Göttingen zu ihrer ersten Sitzung zusammen.

Der Rat hat die Aufgabe, disziplinen- und institutionsübergreifende Empfehlungen für die weitere Entwicklung und den Ausbau der digitalen Infrastrukturen von Bildung und Wissenschaft zu erarbeiten. Dazu gehören etwa Fragen der digitalen Langzeitarchivierung, der Zugänge zu Datenbanken oder der Digitalisierung von Wissensbeständen. Informationsinfrastrukturen sind Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive und Forschungsdatensammlungen, die sich systematisch damit befassen, Daten und Informationen zusammenzutragen und bereitzustellen.

“Die Bundesregierung möchte im Rahmen ihrer Digitalen Agenda den digitalen Wandel in der Wissenschaft forcieren, dafür leistet auch der neue Rat für Informationsinfrastrukturen einen wichtigen Beitrag”, sagte Wanka anlässlich der konstituierenden Sitzung. “Bildung und Forschung sind zentrale Einsatzfelder für die digitalen Informationsmöglichkeiten, aber auch maßgebliche Treiber digitaler Innovationen in Deutschland. Daher ist es von großer Bedeutung, die Rahmenbedingungen für einen ungehinderten Informationsfluss zu verbessern.”

Die Gründung des Rates für Informationsinfrastrukturen gemeinsam mit den Ländern ist auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert. 2013 haben sich Bund und Länder im Rahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) auf Struktur, Aufgaben und paritätische Finanzierung des Rates verständigt. Der Rat setzt sich aus acht Vertretern der wissenschaftlichen Nutzer, acht Vertretern von Einrichtungen wie Bibliotheken und Archiven und jeweils vier Vertretern des öffentlichen Lebens sowie von Bund und Ländern zusammen.

Zum Vorsitzenden des neu gegründeten Rats wurde Prof. Dr. Otto Rienhoff von der Universität Göttingen und als Stellvertreterin Sabine Brünger-Weilandt vom FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur gewählt. Wanka gratulierte den Vorsitzenden und wies auf die hohe Bedeutung der Aufgaben des Rats hin. “Die Themenfülle, mit der sich der Rat beschäftigen wird, ist groß. Mal geht es um die Digitalisierung mittelalterlicher Handschriftensammlungen, mal um Linzenzfragen, mal um die Archivierung und Nutzung riesiger Datenmengen – allein am Deutschen Klimarechenzentrum fallen jährlich rund zehn Petabyte an Informationen an. Hierbei Prioritäten zu setzen und besondere Bedarfe zu identifizieren, ist keine einfache, aber eine außerordentlich bedeutsame Aufgabe des Rates zugunsten der digitalen Entwicklung in Deutschland”, sagte die Bundesforschungsministerin.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: http://www.bmbf.de/de/24356.php

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4219

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Zweites Treffen des DARIAH-DE Stakeholdergremiums “Wissenschaftliche Sammlungen” in Göttingen

Am 17.10.2014 fand an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen das zweite Treffen des Stakeholdergremiums „Wissenschaftliche Sammlungen“ statt.

Das Expertengremium dient als regelmäßiges Plenum des Austausches zwischen Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen, BibliothekarInnen, ArchivarInnen und InformationswissenschaftlerInnen, um fachwissenschaftliche Anforderungen an digitale wissenschaftliche Sammlungen zu artikulieren.

Die beim ersten Treffen im JuIi diskutierten theoretischen, methodischen und begrifflichen Themenkomplexe wurden als Ausgangspunkt genutzt, von dem aus konkrete Pläne entwickelt werden konnten, dieses wichtige Thema auch über den kleinen Kreis der Fachleute hinaus zu akzentuieren und grundlegende Strategien zu entwickeln. Das beim ersten Treffen erarbeitete Arbeitskonzept „Sammlung“ wurde in der Runde finalisiert und konkrete Schritte zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Sammlungen in den Geistes- und Kulturwissenschaften beschlossen. Mehr…

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4217

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Schule – Tablet – Wissenschaft: Was bringt die Zukunft? Ein Denkanstoß.

Gestern Abend hörte ich im Institut für Kunstpädagogik an der LMU den Vortrag „Freeware und Apps in kunstpädagogischen Prozessen“ von Andreas Hintermaier, der sowohl am Pädagogischen Institut der Stadt München als auch als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet. Ein Mann der Theorie und Praxis also.

Hintermaier zeigte u.a. den Trend auf, um den es an den Schulen heute geht: weg vom PC hin zum Tablet. Bis ein Schul-PC hochgefahren ist, ist ein guter Teil der Schulstunde vorbei. Tablets zu starten geht einfach schneller. Außerdem sind sie recht robust und die Wartung – wenn erforderlich – im wahrsten Sinne des Wortes, ist kinderleicht. Apps lassen sich in der Regel intuitiv bedienen. Um die Speicherung der Daten braucht sich kein Anwender zu sorgen, die geschieht meist automatisch (aber manchmal weiß man nicht genau wo, was ein Nachteil ist). Die Schüler wertschätzen die teuren Geräte und gehen vorsichtig mit ihnen um. Wer hier genaueres zu Pro und Contra wissen möchte, kann das differenzierter in den Folien des Vortrags nachlesen.

Genau gesagt geht der Trend nicht zum Android Tablet, sondern eindeutig zum iPad. Der Grund liegt darin, dass die Apple-Geräte aus mehreren Gründen für die Schule besser geeignet sind: sehr intuitive Bedienung, deutlich mehr Apps im pädagogischen Bereich als bei Android, Überwachung der Apps von Apple in Sachen Jugendfreiheit. Natürlich gibt es auch Nachteile, wie das Einbinden (verschiedener) mobiler Geräte ins Netzwerk oder der Zugriff auf die von Schülern erstellten Daten innerhalb/außerhalb der Cloud. Trotzdem lässt sich mit einem Satz feststellen:

„Beim digitalen Arbeiten geht der Trend an Schulen hin zum iPad.“

Die folgende Frage schließt sich direkt daran an:

Wenn heutige Schülergenerationen an das Tablet gewöhnt sind, wie sehen dann die zukünfigen Generationen von Wissenschaftlern aus?

Auf der Tagung Rezensieren-Kommentieren-Bloggen, die im Januar 2013 in München stattfand, wurde die Fragmentisierung von Texten – insbesondere im wissenschaftlichen Bereich – thematisiert. Die Fragmentisierung wird nicht allseits begrüßt, macht sie doch vielen “monographieversessenen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern” Angst [1].

–snip–

Eine App ist nichts anderes als ein Fragment. Ein überschaubares Maß an Funktionalität – im Gegensatz zu mächtigen Programmen wie Photoshop, von denen der Anwender häufig nur einen Bruchteil der Funktionen nutzt.

Ein Tablet ist ebenfalls eine Art Fragment. Es ist nicht so mächtig wie ein PC, sondern hat seine eigenen Stärken, die durch Reduktion von Funktionalität (z.B. keine Maus, keine Tastatur) und einer daraus entstandenen Neuschöpfung von Funktionen (z.B. Wischen) erlangt wurde. Und jetzt wiederhole ich die soeben gestellte Frage: Wenn heutige Schülergenerationen an das Tablet gewöhnt sind, wie sehen dann die zukünfigen Generationen von Wissenschaftlern aus?

Und:

Wie wird sich das auf die Forschung auswirken?

Happy thinking!

 

[1] Peter Haslinger: Block und Kugelschreiber oder Twitterwall? Thesen zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften

Quelle: http://games.hypotheses.org/1832

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“Eine schöne Nebenbeschäftigung”? Perspektiven einer altertumskundlich-mediävistischen Wissenschaftsgeschichte 2.0

Nach der kürzlichen Veröffentlichung eines kleinen E-Books zur “Wissenschaftsgeschichte im digitalen Zeitalter” (https://verlag-ripperger-kremers.de/fluechtigkeit-der-information) möchte ich – aus meiner Perspektive als literaturwissenschaftlicher Mediävist – an dieser Stelle einige Aspekte der Publikation perspektivieren und damit zur weiterführenden Diskussion einladen. Meine Überlegungen verstehe ich als Positionsbestimmung in einer disziplinübergreifenden Wissenschaftslandschaft und als Versuch einer konstruktiven Zusammenführung aktueller Diskussionspotenziale zwischen historisch arbeitenden Disziplinen und den Digital Humanities. Hingewiesen sei nicht zuletzt auch auf weitere Bände der neuen Reihe “Transformationen von Wissen und Wissenschaft im digitalen Zeitalter” (https://verlag-ripperger-kremers.de/ebook-reihe/transformationen-des-wissens).

Es ist eine Klage, die sich durch Jahrzehnte zurückverfolgen lässt: der zunehmende Orientierungsverlust der Geisteswissenschaften hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgabe – Orientierungslosigkeit als “Signum der Gegenwartsphilosophie” (K. W. Zeidler). Verschiedene Gründe werden ins Feld geführt: wachsende Dominanz diffus so bezeichneter ‘Kulturwissenschaften’, vermeintlicher Verfall wissenschaftlicher Werte und Traditionen angesichts von digital turn und open access… Man ist bisweilen erstaunt, wie mühelos kausallogische Zusammenhänge konstruiert werden. Interessanter erscheint die implizite Prämisse, diese Geisteswissenschaften könnten überhaupt eine Orientierungsleistung erbringen. Es geht dann nicht allein um Fragen der Methode, sondern um Zwecke und Ziele, unter denen solche Wissenschaften sich konstituieren. Fragen also, die sich als ungemein stimulierend erweisen können, doch zugleich einer Vielzahl an Meinungen Tür und Tor öffnen, die immer noch regelmäßig im erklärten Niedergang ‘der’ Geisteswissenschaften gipfeln.

Man kann diesen Fragenkomplex als Aufgabe der Fach-Philosophen von sich weisen. Oder sich der vermeintlich unverfänglichen Pflege etablierter Fronten von ‘Theorie’ und ‘Praxis’ widmen, wie sie sich im digitalen Zeitalter wieder verschärft zu haben scheinen. Eine solche Haltung muss aber zumindest in zweifacher Hinsicht verwundern. Zum ersten sind diese Fragen, wie gesagt, bereits seit Jahren, teils Jahrzehnten gestellt, sodass weder Geisteswissenschaften noch Wissenschaftsverlage heute, 2014, unvermittelt vor eine unerwartete Herausforderung gestellt sind, wie manche Diskussion indes suggeriert.[1] Zum zweiten ist die Reflexion von Bedingungen, unter denen Forschung und Theoriebildung sich vollziehen, doch seit jeher Voraussetzung einer fortwährenden Teilhabe an Wissenschaft. Anders gesagt: Die Geisteswissenschaften sind in ihrem Wesen reflexiv und damit gleichsam angewiesen auf Krisen, die dieses Bewusstsein gegenüber dogmatischer Erstarrung schärfen.

Desinteresse und Pessimismus angesichts sich vollziehender Transformationsprozesse mögen auch darauf beruhen, dass der Terminus ‘Wissenschaftsgeschichte’ im 20. Jahrhundert vielfältige Positionen befördert hat, die in ihren Relationen oft schwerlich überschaubar sind. Dahinter steht auch ein generelles terminologisches Problem, angesichts einer Vielzahl so genannter Schlüsselbegriffe, die in Fach- wie Alltagssprache in diversen Varianten verwendet und damit nicht selten zur assoziativen Auslegungsfrage werden. Wenn in den letzten Jahren Tendenzen einer verstärkten Wiederaufnahme und Weiterentwicklung begriffshistoriographischer Fragestellungen zu verzeichnen ist,[2] so sollte man dies zum Anlass nehmen, die Debatte auf breiterer Front wieder zu etablieren.

Das umrissene Desiderat betrifft auch die interdisziplinären Fachbereiche der Germanischen Altertumskunde und Mediävistik, denen die Geschichte des 20. Jahrhunderts eine besondere Aufgabe gestellt hat.[3] Das Erfordernis einer wissenschaftsgeschichtlichen Reflexion präsentiert sich weiterhin als Herausforderung, zumal mit Fokus auf Entwicklungen der Nachkriegsjahrzehnte;[4] gerade die 1980er Jahre kristallisieren sich als Zeitraum eines beschleunigten Orientierungswandels heraus.[5] So sollte man auch in altertumskundlich-mediävistischen Disziplinen (ich ziehe hier bewusst keine scharfen Grenzen) den Versuch wagen, Wissenschaftsgeschichte nicht allein als Geschichte der Wissenschaften im Mittelalter zu verfolgen, sondern sie als jüngere und – Stichwort: digital – jüngste Geschichte einzelner Disziplinen fruchtbar zu machen, zwischen Positionen zu vermitteln.

Damit ist die Frage der Perspektive gestellt, gibt ‘Wissenschaftsgeschichte’ doch kein verbindliches, gleichsam abzuarbeitendes Methodenspektrum an die Hand. Hier ist eine intensivierte Diskussion gefordert. So hat, um einen Ansatzpunkt zu nennen, Otto Gerhard Oexle in den letzten zwei Jahrzehnten das Konzept der ‘Problemgeschichte(n)’ in der Mediävistik befördert, im Sinne einer Orientierung an transdisziplinär zu bearbeitenden Fragestellungen.[6] Über Disziplingrenzen hinaus sind seine Vorschläge bisher aber – soweit ich sehe – allenfalls punktuell rezipiert worden. Zugleich wird daran beispielhaft deutlich, dass die historisch-systematische Hinterfragung disziplinärer Potenziale für ein Bewähren dieses zunehmend verkündeten, aber immer noch vagen Forschungsprinzips ‘Transdisziplinarität’ – in dem an erster Stelle zu lösende Probleme das Verbindende sein sollen – unerlässlich ist. Doch müssen solche ‘Probleme’ als wissenschaftliche (Re-)Konstruktionen in ihrer Geltung begründet sein.

Es kann der Wissenschaftshistoriographie ja nicht einfach um den Nachvollzug einer linear abstrahierten Genese von Wissen und Wissenschaft, eine “Autobiographie der eigenen Vernunft” (J. Mittelstraß) gehen, die dogmatisch am Status quo einer Disziplin orientiert wäre. Es geht um den Nachvollzug von Argumentationen, die darauf gründen, zweckmäßig und zielorientiert zu sein. Erst in der aktualisierenden Verhandlung solcher Argumentationsstrukturen kann Wissen konstituiert und somit relevant werden. Aber wo beginnt und wo endet Argumentation? Es sind ja dynamische Prozesse angesprochen, bei deren Erfassung vielfach mit den Begriffen ‘Innovation’ und ‘Tradition’ operiert wird, einerseits also Potenziale zur Diskussion stehen, andererseits die Unhintergehbarkeit von Wirkungsgeschichten mitgedacht ist. Der Hermeneutik sind beide Begriffe inhärent. Doch ist die Forderung nach hermeneutischer Reflexion vielfach Gemeinplatz geworden: Hermeneutik muss als reproblematisierendes Diskussionsfeld einzelner Disziplinen wieder kultiviert werden![7]

Die Digital Humanities versprechen einen Ausweg aus dem skizzierten Dilemma, erheben sie doch selbstbewusst den Anspruch, eine zukunftsträchtige Form der Geisteswissenschaften zu etablieren.[8] Aber was ist damit gemeint? Wenn regelhaft ‘überprüfbare Antworten’ zum Ziel erklärt werden, so rückt die bekannte Frage der praktischen Relevanz der Geisteswissenschaften in den Fokus, in Orientierung an den so genannten exakten Wissenschaften. Wie verhält sich dieser Anspruch der ‘Exaktheit’ zur angedeuteten philosophischen Dimension der Aufgabe? Ein ‘Antwortenkönnen’ funktioniert in den Geisteswissenschaften ja allein im kulturellen Kontext, setzt dort also weiterhin eine hermeneutische Kompetenz voraus, die sich nicht in Ja/Nein-Entscheidungen erschöpft  – ‘Wissen’ ist dort eben doch noch etwas anderes als in den Naturwissenschaften.[9] Die Leistungsfähigkeit digitaler Werkzeuge liegt aber in Prozessen, die nach eben diesem binären Prinzip automatisiert sind. Einen praktischen Nutzen von Suchfunktionen und Datenbanken wird andererseits niemand in Frage stellen wollen, der diese Leistungsfähigkeit erfahren hat. Doch ist mit der Selektion und Strukturierung abstrakter Daten zu Informationen nicht automatisch ein ‘Wissen’ generiert, um dessen zukunftsträchtige Bewahrung und Aktualisierung es in der Wissenschaft doch gehen soll. Es wird deutlich, dass künftig stärker der Dialog aller Beteiligten zu suchen ist, um etablierte Fronten zu entspannen. Es steht zu hoffen, dass zunehmende – und zunehmend ernst genommene – Blog-Diskussionen dazu ihren Beitrag leisten werden.

In der vorgestellten Publikation konkretisiere ich die vorausgehenden Überlegungen am Beispiel des “Reallexikons der Germanischen Altertumskunde” sowie der vor einigen Jahren daraus hervorgegangenen “Germanischen Altertumskunde Online”.[10] In diesem rund 50.000 Druckseiten umfassenden Großprojekt finden Archäologie, Geschichtswissenschaft, Philologie und Religionswissenschaft zusammen; die Frage der kulturwissenschaftlichen Inter- und Transdisziplinarität ist umso dringlicher gestellt. Waren unlängst aber noch voluminöse Registerbände vonnöten, um Fragestellungen auf einer Metaebene zu verknüpfen, so erscheint die Kombination leistungsfähiger Datenbanken und Suchfunktionen mit digitalen Darstellungsmöglichkeiten (die über bloße Listen ja längst hinausführen) als künftige Option, Problemstellungen der Wissensgenerierung und ‑tradierung visuell zu ‘materialisieren’ – und an einer solchen Darstellung neue Fragen zu entwickeln.

Wo ansetzen? Im Nachvollzug disziplinärer und überdisziplinärer Entwicklungsprozesse treten als Kristallisationspunkte von Diskursen Begriffe hervor, die weiterhin zum konstruktiven Ausgangspunkt einer Untersuchung von ‘Problemen’ gereichen könnten. Es ginge aber nicht darum, weiterhin in enzyklopädischer Weise unter ausgewählten Lemmata disziplinäre Positionen zu versammeln. Es ginge darum, über die Leistungsfähigkeit digitaler Werkzeuge semantische Netze zu generieren, deren Strukturen nach Wirkungszusammenhängen fragen lassen. Die Plausibilität gesetzter ‘Probleme’ wäre dann nicht zuletzt zu bemessen an deren Potenzial, neue ‘Probleme’ zu erschließen; Wissenschaft verwirklicht sich im fortdauernden Prozess. Einer strikten Hierarchie von Fragestellungen und Thesen (und damit schließlich von Disziplinen) wären Netze potenzieller Problemrelationen entgegengestellt, die schließlich auch ‘Unerwartetes’[11] hervorbringen könnten – und damit nicht nur jene curiositas stimulieren, sondern auch der Forderung nach Transdisziplinarität Rechnung tragen würden.

Die Möglichkeiten des digitalen Mediums stehen zu ‘traditioneller’ Wissenschaft somit keinesfalls konträr. Es ist aber an der Zeit, “daß die Theoretiker ihre Überheblichkeit und die Praktiker ihre Ignoranz ablegen”,[12] um programmatischen Bekenntnissen aktive Zusammenarbeit folgen zu lassen. “Das freundliche Ende der Geisteswissenschaften”, das Hans Ulrich Gumbrecht unlängst in der F.A.Z. proklamierte – Geisteswissenschaften als schöne Nebenbeschäftigung (amenity) –,[13] sehe ich noch nicht eingeläutet. Solange indes Bescheidenheit[14] den (‘traditionellen’) geisteswissenschaftlichen Betrieb bestimmt, wird man Gumbrechts Formulierung von einem “Über-Leben auf Gnade und an der intellektuellen Peripherie” zustimmen müssen. Gefordert ist keine neue Form der Geisteswissenschaften. Gefordert ist ein neues Selbstbewusstsein ihrer Vertreterinnen und Vertreter, die sich der Reflexionsform und der Orientierungsfunktion ihrer Tätigkeit – über Fachgrenzen hinaus – wieder bewusst werden und unter den Bedingungen und Möglichkeiten des frühen 21. Jahrhunderts stellen.

Jan Alexander van Nahl 2014: Die Flüchtigkeit der Information. Wissenschaftsgeschichte im digitalen Zeitalter. (Transformationen von Wissen und Wissenschaft im digitalen Zeitalter 3.) Ripperger & Kremers, Berlin.



[1] Vgl. van Nahl, Jan Alexander 2014: Odyssee 2.0? Wege und Irrwege digitaler Publikationen in den Geisteswissenschaften. In: Ulrich Seelbach (Hg.), Zwischen Skylla und Charybdis? Forschung, Wissenschaftsverlage und Web 2.0, S. 129–136. Bern.

[2] Vgl. Eggers, Michael/Matthias Rothe (Hg.) 2009: Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaften. Wetzlar.

[3] Vgl. Zernack, Julia 2005: Kontinuität als Problem der Wissenschaftsgeschichte. Otto Höfler und das Münchner Institut für Nordische Philologie und Germanische Altertumskunde. In: Klaus Böldl/Miriam Kauko (Hg.), Kontinuität in der Kritik. Zum 50jährigen Bestehen des Münchener Nordistikinstituts. Historische und aktuelle Perspektiven der Skandinavistik, S. 47–72. Freiburg.

[4] Vgl. meine exemplarischen Bemerkungen zu “Walter Baetke” in: Germanischen Altertumskunde Online 01/2014 (s.u.). Abrufbar unter: http://www.degruyter.com/view/GAO/GAO_32 [20.10.2014].

[5] Vgl. van Nahl, Jan Alexander 2013: Verwehter Traum? Ältere Skandinavistik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Hartmut Bleumer et al. (Hg.), Turn, Turn, Turn? – Oder: Braucht die Germanistik eine germanistische Wende?, S. 139–142. Siegen.

[6] Vgl. u.a. Oexle, Otto Gerhard 2007: Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Eine Problemgeschichte der Moderne. In: Otto Gerhard Oexle (Hg.), Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft, Kunst und Literatur 1880–1932, S. 11–116. Göttingen.

[7] Vgl. auch meine Diskussion zu “Veröffentlichungsformen der Zukunft” mit Christian Schwaderer und Jan Keupp unter http://mittelalter.hypotheses.org/3893 [20.10.2014].

[8] Vgl. Thaller, Manfred 2011: Digitale Geisteswissenschaften. Abrufbar unter: http://www.cceh.uni-koeln.de/Dokumente/BroschuereWeb.pdf [20.10.2014]. Es seien an dieser Stelle die Vertreterinnen und Vertreter der Mediävistik daran erinnert, dass Manfred Thaller bereits seit den späten 1970er Jahren (!) zu grundlegenden Fragen einer digitalen Geschichtswissenschaft arbeitet.

[9] Vgl. Rheinberger, Hans-Jörg 2004: Wozu Wissenschaftsgeschichte? In: Rudolf Seising/Menso Folkerts/Ulf Hashagen (Hg.), Form, Zahl, Ordnung. Studien zur Wissenschafts- und Technikgeschichte, S. 51–62. Stuttgart.

[10] http://www.degruyter.com/view/db/gao [20.10.2014].

[11] Rheinberger, Hans-Jörg 2007: Man weiß nicht genau, was man nicht weiß. Über die Kunst, das Unbekannte zu erforschen. In: Neuer Zürcher Zeitung 05.05.2007. Abrufbar unter: http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleELG88-1.354487 [20.10.2014].

[12] Peckhaus, Volker 1999: Chancen kontextueller Disziplingeschichtsschreibung in der Mathematik. In: Volker Peckhaus/Christian Thiel (Hg.), Disziplinen im Kontext. Perspektiven der Disziplingeschichtsschreibung, S. 77–95. (Erlanger Beiträge zur Wissenschaftsforschung.) München, hier: S. 92.

[13] Gumbrecht, Hans Ulrich 2013: Ein freundliches Ende der Geisteswissenschaften? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Digital/Pausen 04.10.2013 Abrufbar unter: http://blogs.faz.net/digital/2013/10/04/freundliches-ende-geisteswissenschaften-379 [20.10.2014].

[14] Vgl. Heidbrink, Ludger/Harald Welzer (Hg.) 2007: Das Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften. München.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4170

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Umfrage zum Gebrauch digitaler Werkzeuge und Dienste im geisteswissenschaftlichen Forschungsprozess

DARIAH-DE Logo mit deutscher Unterschrift CMYK 1.1

Wir laden herzlich zur Teilnahme an unserer Umfrage über den Gebrauch von digitalen Werkzeugen und Diensten während des geisteswissenschaftlichen Forschungsprozesses ein.
Mit dieser Umfrage wollen wir Nutzererwartungen und Nutzergewohnheiten beim forschungsbezogenen Einsatz von Software untersuchen und würden uns freuen, wenn Sie sich 15-20 min. Zeit nehmen, um den Fragebogen unter diesem Link zu beantworten.

Die Auswertung der Umfrage erfolgt anonymisiert. Durch die Umfrageergebnisse hoffen wir belastbare Aussagen treffen zu können im Hinblick auf:

•    den Einsatz von Software in den verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses
•    zu schließende Lücken in digitalen Arbeitsabläufen
•    die Stärken und Schwächen der eingesetzten Software

Für Rückfragen, Anregungen und Diskussionen stehen wir gerne für Sie bereit. Nutzen Sie dazu einfach die Kommentarfunktion hier oder die in der Umfrage angegebenen Kontakadressen.

Die Auswertung Ihrer Antworten werden wir selbstverständlich hier auf diesem Blog publizieren.

Diese Umfrage wurde innerhalb des Projektes DARIAH-DE erstellt. Weitere beteiligte Institutionen sind:
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
Universität Hamburg
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
Deutsches Archäologisches Institut
DHd – Digital Humanities im deutschsprachigen Raum

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4106

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Historische Blicke auf die Nachkriegszeit

Der historische Blickwinkel ist bei der Untersuchung der Deutschen Nachkriegskinder von großer Bedeutung. Psychologische Diagnosen, Methoden und Begrifflichkeiten haben ihrerseits eine Geschichte, die sich im Laufe der Zeit verändert. Der Annales-Historiker Ariès, der eine Geschichte der Kindheit verfasst hat, zeigte beispielsweise auf, wie sich das Rollenverständnis von Kindheit über die Jahrhunderte verändert hat, vom „kleinen Erwachsenen“ zur eigenen Lebensphase.1 Eine Untersuchung über das Kindheitsbild der Nachkriegszeit ist nicht bekannt. Thematisch sehr passend ist das Buch von Svenja Gottesmann,2 die das Trauma-Konzept in der Psychiatrie der Nachkriegszeit am Beispiel der rückkehrenden Flüchtlinge und deren Krankenakten historisch untersucht. Menschen galten zu dieser Zeit prinzipiell als unbegrenzt belastbar. Sie zeigt auf, wie sich dieses Konzept des Nichtvorhandenseins von Traumata auf die Zuschreibung des Opferstatus und die damit verbundene fehlende Entschädigungen auswirkt. Auch die historische Rückübertragung des Begriffs Verdrängung kritisiert sie, da „Schweigen auch in hohem Maße eine Reaktion auf die ‚Marktbedingungen’ gewesen sei (es war kaum jemand interessiert), wie auch eine Folge auf die vielfach proklamierten Aufforderungen, zu vergessen“,3 (Goltermann zitiert ihrerseits Peter Novick). Bei der Lektüre der Krankenakten sollte man also Zuschreibungen von Diagnosen
oder auch Emotionen4 aus historischer Perspektive hinterfragen,5 weswegen eine historische Bearbeitung der Nachkriegskinder-Studie aus dieser Perspektive von hoher Bedeutung ist.
Der Geschichte der Nachkriegs- und Kriegskinder wird seit einigen Jahren von Seiten der Historiker mehr Aufmerksamkeit zuteil, sowohl im nationalen Rahmen,6 wie im internationalen.7 Zur Nachkriegszeit gibt es mehrere historische Einführungen.8

Quelle: Foerster, S. (2013). Von den „Deutschen Nachkriegskindern“ zu einer Längsschnittstudie der Entwicklung über die Lebensspanne. Evaluation der Methodologie einer Stichprobenreaktivierung (Diplomarbeit). Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, S. 12-13.

  1. Ariès, P. (2007). Geschichte der Kindheit. München: dtv.
    Erikson, E. H. (1999). Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.
  2. Goltermann, S. (2009). Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg. München: DVA.
  3. Goltermann, S. (2009). Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg. München: DVA. S.
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  4. Assmann, A., & Frevert, U. (1999). Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. München: DVA.
    Biess, F., & Moeller, R. G. (Hrsg.). (2010). Histories of the Aftermath. The Legacies of the Second World War in Europe. Oxford (UK): Berghahn Books.
  5. Seidler, G., & Eckart, W. (Hrsg.). (2005). Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung. Gießen: Psychosozial.
  6. Ackermann, V. (2004). Das Schweigen der Flüchtlingskinder: Psychische Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung bei den Deutschen nach 1945. Geschichte und Gesellschaft, 3(30), 434–464.
    Seegers, L., & Reulecke, J. (2009). Die „Generation der Kriegskinder“. Historische Hintergründe und Deutungen. Giessen: Psychosozial.
    Seegers, L. (2009). Die „Generation der Kriegskinder“ als Erinnerungsphänomen in Deutschland. In Kinder des Krieges. Materialien zum Workshop in Voronež. 11.-13. März 2008. Moskau 2009 (Bd. 3, S. 14–25). Moskau: Deutsches Historisches Institut. Abgerufen von http://www.perspectivia.net/content/publikationen/dhi-moskau-bulletin/2009-3/0014-0025
  7. Maubach, F. (2009). Der Krieg im Spiel – Kindliche Aneignungen kriegerischer Gewalt 1939-1945. In Kinder des Krieges. Materialien zum Workshop in Voronež. 11.-13. März 2008. Moskau 2009 (Bd. 3, S. 26–36). Moskau: Deutsches Historisches Institut.
    Satjukow, S. (2009). ,,Bankerte!” Verschwiegene Kinder des Krieges. In Kinder des Krieges. Materialien zum Workshop in Voronež. 11.-13. März 2008. Moskau 2009 (Bd. 3, S. 57–69). Moskau: Deutsches Historisches Institut. Abgerufen von www.perspectivia.net/content/publikationen/dhi-moskau-bulletin/2009-3/0057-0069
  8. Faulstich, W. (2002). Die Kultur der fünfziger Jahre. München: Fink.
    Faulstich, W. (2003). Die Kultur der sechziger Jahre. München: Fink.
    Naumann, K. (Hrsg.). (2001). Nachkrieg in Deutschland. Hamburger Edition.

Quelle: http://zakunibonn.hypotheses.org/1343

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Wissenschaftliches Rundgespräch zur Archivgutdigitalisierung

Am 26. Mai waren wir bei einer wichtigen Diskussion in der Archivschule in Marburg. Vertreter der Archive und Wissenschaftler aus der Forschung diskutierten über das wichtige Thema Digitalisat, was aus der aktuellen Forschung in vielen Fächern kaum mehr wegzudenken ist.

Die scheidene Projektkoordinatorin Stephanie Oertel hat jetzt einen Bericht dazu geschrieben, der die Wünsche und Probleme beider Seiten zum Thema Digitalisierung präsentiert und zusammenbringt. Er kann als Anregung für weitere Diskussionen zu diesem Thema dienen.

Der gleiche Bericht findet sich auf: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5567&count=5340&recno=35&sort=datum&order=down

Vielen Dank an die Autorin Stephanie Oertel.

Wissenschaftliches Rundgespräch zur Archivgutdigitalisierung

Von Stepanie Oertel

ArchivschuleMAR„Wenn ich mir was wünschen dürfte. Wunsch(t)raum Archiv für NutzerInnen im digitalen Zeitalter“ lautete einer der Vortragstitel auf dem 18. Archivwissenschaftlichen Kolloquium am 26. und 27. November 2013 in Marburg: SYLVIA NECKER (damals IRS, Erkner) ging in ihm auf eine mögliche Beständepriorisierung für die Archivgutdigitalisierung, das Rechercheverhalten und die Möglichkeiten eines digitalen Archivs aus wissenschaftlicher Sicht ein. Ihre Anregungen und auch die der anderen Referenten aus der Wissenschaft, den Bibliotheken und den Museen zeigte ein Potential auf, das innerhalb des DFG-geförderten Produktivpiloten „Digitalisierung von archivalischen Quellen“ genutzt werden soll. Ziel ist es, in den zukünftigen Digitalisierungsstrategien der Archive die Sicht und die Bedürfnisse der Nutzer stärker als bisher zu berücksichtigen. Die Koordinierungsstelle des DFG-geförderten Produktivpiloten „Digitalisierung von archivalischen Quellen“ nahm das wissenschaftliche Interesse am Thema, das im Kolloquium signalisiert wurde, zum Anlass und lud Forscher verschiedener geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Sparten zu einem vertieften Austausch ein. Am 26. Mai 2014 fand dazu ein wissenschaftliches Rundgespräch in der Archivschule Marburg statt. Die Wissenschaftler diskutierten gemeinsam mit den Projektpartnern des Produktivpiloten die Möglichkeiten der digitalen Bereitstellung von archivalischen Quellen. Der Austausch fand als offenes Plenum statt. Die wichtigsten Gesprächsthemen werden nachfolgend zusammenfassend dargestellt:

1. Auswahl – Priorisierung

Der enorme Archivalienumfang ist ein möglicher Grund, warum die Digitalisierung in den deutschen Archiven bislang noch nicht umfassend voran geschritten ist. Da aus wirtschaftlichen Gründen eine Totaldigitalisierung nicht möglich ist, muss aus den als archivwürdig bewerteten Beständen eine relevante Auswahl getroffen werden. CLEMENS REHM (Landesarchiv Baden-Württemberg) veranschaulichte dies am Beispiel einer Priorisierungsliste, die lediglich 7 Prozent des Archivguts des Landesarchivs Baden-Württemberg umfasst und für deren Digitalisierung eine Summe von ca. 88 Millionen Euro bereitgestellt werden muss. Grundlage der Priorisierung sind aktuelle Forschungsschwerpunkte. Sie beinhaltet vorrangig Rückgratbestände, hoch frequentierte Bestände, Bestände zu Jubiläen und diejenigen, die von Bestandserhaltungsaspekten betroffen sind. Niedrig priorisiert werden hingegen schutzfristenbehaftete Bestände, bspw. Daten von Finanzämtern, die aus rechtlichen Gründen nicht online gestellt werden dürfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur mit einer Veröffentlichungsmöglichkeit der Digitalisate eine DFG-Förderung möglich ist. Für schutzfristenbehaftete Bestände findet diese Finanzierungsmöglichkeit keine Anwendung.

Von Seiten der Wissenschaft wurde angeregt, die Bestände, die die Grundlagenforschung bedienen, hoch zu priorisieren und möglichst als komplette Bestände online zu stellen. Zudem sollten alle Findmittel digital recherchierbar sein. Die Digitalisate, die bei der digitisation-on-demand Methode und der Sicherungsverfilmung entstehen, sind ebenfalls für die digitale Bereitstellung zu berücksichtigen. Neben ihren eigenen Forschungsschwerpunkten empfahlen die Wissenschaftler auch die digitale Bereitstellung von vollständig unbekannten Materialien, die wiederum neue potentielle Forschungsmöglichkeiten eröffnen.

Auf die wissenschaftlichen Anregungen folgten zum Teil archivarische Bedenken. Argumentiert wurde, dass die digitalen Auftragsbestellungen (digitisation-on-demand) meist nur wenige Seiten umfassen und eine Digitalisierung des vollständigen Bestandes mit Einbindung der notwendigen Kontextinformationen nicht finanziert werden kann. Zu den Kontextinformationen zählen die Bestandsinformationen im Findbuch und in der Klassifikation, sowie die Tektonik aller Bestände im jeweiligen Archiv und die Metadaten zum Digitalisat. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Digitalisate, die parallel zur Schutzverfilmung entstehen, deutliche Qualitätsverluste beinhalten können.

2. Erschließung und Digitalisierung
2.1 Erschließungstiefe

Der Wunsch nach möglichst vielen digitalen Beständen mit flacher Erschließung wurde von den Forschern aus den Kreisen der Digital Humanities geäußert und als Beispiel die Protokolle der Behörden genannt. Die Archivare wiesen auf die Fehlerquellen hin, die die Umsetzung dieses Wunsches mit sich bringen würde. Werden Digitalisate nicht oder nur rudimentär erschlossen, kann deren Analyse zu Fehlinterpretation führen, da dem Benutzer die Informationen zur Rekonstruktion der ursprünglichen Zusammenhänge im Bestand fehlen. Die Interpretation des einzelnen Digitalisats kann mit dem Image und dem Dateinamen nicht ausreichend durchgeführt werden. Aus gutem Grund ist die Erschließung der Bestände mit der Darstellung der Bestands- und Behördengeschichte und der Bereitstellung weiterer Informationen eine Fachaufgabe im Archiv. Die meisten Historiker sind sich der Bedeutung der Informationsquelle bewusst. Sie sollte auch allen zukünftigen Wissenschaftlern vermittelt und in digitaler und gut ablesbarer Form bereitgestellt werden.

2.1 Normdaten

Die Normdatenerhebung und damit die Verzeichnung von normierten Begriffen ist bei der Erschließung der Bestände und ihrer digitalen Bereitstellung ein wissenschaftlicher Zusatzgewinn. Das automatische Auslesen durch den Einsatz der OCR (Optical Character Recognition) – Technologie für handschriftliche Quellen zeigt eine hohe Fehlerquelle auf. Aus diesem Grund sind hier die weiteren technischen Entwicklungen abzuwarten.

2.3 Crowdsourcing

Crowdsourcing könnte die Lücke zwischen Erschließungsansprüchen der Forschung und Erschließungsnormen der Archive verkleinern, wenn ein gegenseitiger Nutzen realisiert wird. Den Archivaren und Forschern ist das große Kooperationspotenzial mit Synergien auf beiden Seiten bewusst. Für die manuelle Anreicherung wird eine bedienerfreundliche Infrastruktur für effektives Arbeiten mit geringem Zeitaufwand angeregt. Dabei sollten Modulationen und semantische Bausteine ebenfalls berücksichtigt werden. Als Mangel wird bislang der Datenaustausch und damit die fehlenden Schnittstellen für die Einbindung der Daten in eine Forschungsumgebung und in das archivische Informationssystem gesehen. Hierfür bietet sich als technische Lösung das Daten-Harvesting zum automatischen Abgleich der Daten zwischen den Institutionen an.

3. Auffindbarkeit der Quellen (Persistent Identifier und Speicherort)

Für den Persistent Identifier empfahl PATRICK SAHLE (Universität Köln) eine „sprechende“ Signatur, die feingranular auf die einzelne Seite verweist, und die Bereitstellung der dazugehörigen technischen Metadaten. Die Umsetzung dieser Anregung beinhaltet enorme Personalkosten, die in einem Digitalisierungsprojekt nicht aufgebracht werden können, bemerkte MARTINA WIECH (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen). Hier müssen automatische und halbautomatische Verfahren etabliert und weitere Möglichkeiten gefunden werden, damit Digitalisierungsprojekte realisiert werden können. HUBERT LOCHER (Bildarchiv Foto Marburg) wies darauf hin, wie essentiell ein verlässlicher Speicherort zum Zitieren der elektronischen Quelle sei.

Mit dem digitalen Wandel in der Informationstechnologie sind gerade auch die Begrifflichkeiten zu klären. Was ist die originale Quelle? In erster Hinsicht ist es das Unikat. Ist es aus bestandserhaltenden Gründen nicht mehr lesbar, tritt an dessen Stelle die digitale Kopie mit dem Informationsgehalt. In wissenschaftlichen Arbeiten sind möglichst beide Verweise, sowohl die analogen als auch die digitalen, aufzulisten und sollten daher in der digitalen Bereitstellung ablesbar sein.

4. Verwertung der Daten

Neben manuellen Quellenauswertungen werden heute immer häufiger automatische Auswertungen von Metadaten in der Forschung eingesetzt, die einen effizienten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn versprechen. Die Aufgabe der Archivare ist dabei die Datenbereitstellung. Das in der Archivwelt etablierte Format EAD (Encoded Archival Description) sollte in seiner Funktion als Austauschformat genutzt und in Forschungsinfrastrukturen eingebunden werden.

Der hohe Aufwand, für die Nachbearbeitung der OCR-Erkennung ist in der Projektplanung für die Digitalisierung von archivalischen Quellen zu berücksichtigen. Der Anspruch ist, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geforderte Fehlergenauigkeit von 99,98 % für maschinenschriftliche und 98 % für handschriftliche Quellen zu garantieren. STEPHAN HOPPE (Institut für Kunstgeschichte München) bemerkte, dass auch ein fehlerfreies Arbeiten mit 80 %iger Genauigkeit einen Forschungsgewinn erbringt.

5. Vernetzung

Ein möglichst hoher Grad an Transparenz wurde für die Digitalisate angeregt und hierfür eine Ampelstrategie für die digitale Präsentation vorgeschlagen. Auf die Kooperation und den Austausch zwischen Bibliotheken, Museen und Archiven wurde aus wissenschaftlicher Sicht mehrfach hingewiesen. Im digitalen Zeitalter nähern sich die Merkmale der Sammlungstypen generell einander an. Der Mehrwert liegt hier in der Nachnutzung der technischen Errungenschaften und der Ausbildung gemeinsamer Standards innerhalb der Gedächtnisinstitutionen unter Einbindung der Forschung.

Fazit

Das wissenschaftliche Rundgespräch war auf beiden Seiten gewinnbringend und lädt zur Verstetigung des Austauschs ein. Deutlich wurden die verschiedenen Sichtweisen der Wissenschaftler, die zum Teil stark divergierten. Der Wunsch möglichst bald und möglichst viele Bestände online recherchieren zu können, wurde hingegen von allen Wissenschaftlern geäußert. Die Anregungen fließen in den Produktivpiloten ein und werden aktuell unter wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. Die spartenübergreifenden Gespräche werden weiter intensiviert. Das Protokoll zum wissenschaftlichen Rundgespräch ist auf der Projektseite der Archivschule Marburg abrufbar.[1]

Übersicht zum wissenschaftlichen Rundgespräch

Irmgard Ch. Becker (Archivschule Marburg): Begrüßung und Vorstellung des Produktivpiloten

Vorstellungsrunde der Teilnehmer

Offenes Plenum:
a)Auswahl – Priorisierung
b)Verhältnis zwischen Erschließung und Digitalisierung
-Erschließung (flach – tief / Quantität – Qualität)
-Normdaten
-Crowdsourcing – Bereitschaft der Forschung
c)Auffindbarkeit der Quellen (Persistent Identifier und Speicherort)
-Zitieren der archivalischen digitalen Quelle
d)Verwertung der Daten
-Auslesen der Metadaten / automatisierte Auswertung (Erschließungsinformationen, digitalisiertes Archivgut)
e)Vernetzung
-Metadaten und Archivalien
-Projekte

Irmgard Ch. Becker (Archivschule Marburg): Zusammenfassung und Ausblick

Anmerkung:
[1] Protokoll zum wissenschaftlichen Rundgespräch Link < archivschule.de/uploads/Forschung/Digitalisierung/Veranstaltungen/Protokoll_wissenschaftlichen_Rundgespraechs_zur_Archivgutdigitalisierung_2014-05-26.pdf> (Stand: 24.07.2014).

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/1131

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Ausbildung von Hochschuldozenten. Ungelernte Lehrende

http://sz.de/1.2115150 Langweilige Vorlesungen, zu wenig Debatte: Viele Professoren und Lehrbeauftragte haben keine didaktische Ausbildung und scheuen Diskussionen. Wer Karriere an der Uni machen will, konzentriert sich auf Forschung statt auf Lehre. © Text: SZ

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/09/5351/

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AIME – An Inquiry into Modes of Existence (B. Latour)

Screen Shot 2014-08-28 at 13.44.01Einige kennen ihn vielleicht aus Laussane von einem sehr interessanten Vortrag im Rahmen des DH 2014-Opening Plenary: Bruno Latour, Soziologe und Philosoph, Schüler u.a. von Gabriel Tarde – gemeinsam mit Michel Callon und John Law prägender Kopf der ‘material-semiotischen’ Methode der sog. Akteur-Netzwerk-Theorie (oft abgekürzt ‘ANT’). Neben anderen hat David M. Berry dieser DH-Vortrag Latours im Rahmen seines Blogs ganz offensichtlich inspiriert.

Als Professor der Sciences Po, Paris – und gemeinsam mit einem großen Team von Mitarbeitern dort sowie weiteren weltweiten Beiträgern – publiziert Latour nun sein neuestes Buch ‘An Inquiry into Modes of Existence’ im Rahmen einer sehr ansprechend gestalteten, zweisprachigen Internetseite (Zugriff: Anmeldung erforderlich): http://www.modesofexistence.org/

Neben einem Projektblog bietet die Seite Vollzugriff auf den Text Latours (“book”) mittels mehrerer interessanter Technologien, wobei hier neben dem “Notizbuch” und der Volltextsuche insb. die dezente und zugleich  intuitive, vielgenutzte Annotationsmöglichkeit besticht. Sie bildet gewissermaßen eine dritte Spalte des Texts. So finden sich auf o.g. Präsenz neben dem Print-Text (und einer Notizbuch-Funktionalität) auch weitere Anmerkungen, u.a. Latours, es entstehen Diskussionen u.v.m.

Hervorzuheben sind daneben aber auch jene ‘disamalgamierenden’ Text-Zugänge (“crossings”), die Textbereiche des Buchs über eine zweite Spalte, die anfangs als alphabetisch angeordnete Abbreviaturen-Liste erscheinen mag, verknüpfend durchziehen – oder aber thematisch angeordnet sowie mittels übersichtlich vernetzter ‘Punkt’-Einstiege einen weiteren Einstieg erlauben. Mehrere, einblendbare Tutorials, teils in Form von Videos, führen begleitend auch in diese experimentelleren Bereiche ein. Nicht zuletzt diese lohenen einen Besuch.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3979

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Rotkäppchen und der böse Wolf? – Das Titelthema „Digitale Geisteswissenschaften“ in Humboldt Kosmos

Kenneth Whitley, „Once upon a time“, ca. 1939. Bildnachweis: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, http://www.loc.gov/pictures/item/98518274/ (public domain).

Kenneth Whitley, „Once upon a time“, ca. 1939. Bildnachweis: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, http://www.loc.gov/pictures/item/98518274/ (public domain).

Die Digitalen Geisteswissenschaften bleiben im Gespräch! Nach der großen Herrenhausen-Tagung der Volkswagen Stiftung im Dezember 2013, dem ausführlichen duz-Themenheft vom November 2013, das den schönen Titel „Digitale Geisteswissenschaften – Die Nerds unter den Denkern“ hatte, sowie der ersten Jahrestagung des Verbands der Digitalen Geisteswissenschaften im deutschsprachigen Raum (DHd) in Passau mit über 350 TeilnehmerInnen, stehen die Digitalen Geisteswissenschaften nun erneut im Fokus der geisteswissenschaftlichen Öffentlichkeit: Im August diesen Jahres ist Humboldt Kosmos, das Magazin der Alexander von Humboldt Stiftung, mit dem Titelthema „Digital Humanities – Rotkäppchen 2.0“ erschienen (Heft 102/2014).

Das Titelthema wird im Kontext des Wissenschaftsjahrs 2014 präsentiert, das unter dem Motto „Die digitale Gesellschaft“ steht, und erscheint sowohl auf deutsch als auch auf englisch. Auch das Engagement der Humboldt-Stiftung in diesem Bereich, insbesondere mit der Einrichtung der hochdotierten Humboldt-Professur „Digital Humanities“ in Leipzig, die bekanntlich mit Gregory Crane besetzt wurde, dürfte eine Rolle bei der Wahl des Themas gespielt haben.

Der Beitrag der Wissenschaftsjournalistin Lilo Berg beleuchtet verschiedene Einsatzgebiete digitaler Daten und Methoden in den Geisteswissenschaften und zeigt überzeugend deren Nützlichkei für die Forschung auf, nicht ohne auch problematische Aspekte anzusprechen. Der Haupttext, in dem zahlreiche prominente deutsche VertreterInnen der digitalen Geisteswissenschaften sowie einige kritische Stimmen zu Wort kommen, wird flankiert von Kurzprofilen der Beitragenden, einer Übersicht zu relevanten Studienangeboten und Zentren, einer kurzen Geschichte der Digital Humanities sowie einer Liste von Zeitschriften, Verbänden und Projekten aus dem Bereich der Digitalen Geisteswissenschaften. Ohne Zweifel bringt ein solcher Beitrag dem Thema viel Aufmerksamkeit und man kann sich daher eigentlich nur darüber freuen! Zugleich stolpert man als selbst in den Digitalen Geisteswissenschaften engagierter Wissenschaftler doch über die eine oder andere Passage, die das Feld weniger überzeugend porträtiert.

Zunächst einmal wird aber der große Nutzen digitaler Daten und Methoden für genuin geisteswissenschaftliche Fragestellungen, die zudem auf breites Interesse stoßen, nicht nur an zahlreichen Beispielen aus der Forschungspraxis der für den Beitrag befragten ForscherInnen aufgezeigt, sondern eben auch an dem wunderbaren Beispiel, das dem Themenheft seinen Titel gibt: Rotkäppchen. Was für die Gebrüder Grimm mangels Daten und Methoden eine unerreichbare Herausforderung war, nämlich die Ergründung der weltweiten Verbreitung des Rotkäppchen-Themas und die Suche nach einem möglichen Ursprung der Erzählung, wird mit digitalen Daten und Methoden erstmals möglich. Der Beitrag berichtet von den Arbeiten des Anthropologen Jamshid Tehrani, der auf der Grundlage zahlreicher (allerdings bei weitem nicht aller) Fassungen von Rotkäppchen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und unter Nutzung digitaler Methoden, unter anderem Algorithmen aus der Phylogenetik, zu verlässlichen und neuen Ergebnissen kommt: Er zeigt, dass die Frage nach einem gemeinsamen Ursprung schlecht gestellt ist, sondern dass es vielmehr drei große Familien des Themas gibt, wie sie in Asien, Afrika und Europa existieren. (Wer den Originalbeitrag von Tehrani lesen möchte, kann dies übrigens in der ausgezeichneten Zeitschrift PLOSone tun, wo der Beitrag im Open Access erschienen ist.)

So schön dieses und weitere Beispiel sind, so schade ist allerdings auch, dass der Artikel immer wieder etwas verkürzend oder unkritisch verfährt, sowohl wenn es um bestimmte Details der digitalen Forschungspraxis und -methoden geht, als auch insbesondere dann, wenn es um die Argumente der Kritiker der Digitalen Geisteswissenschaften geht. Ein erster Punkt betrifft das disziplinäre Profil der Digitalen Geisteswissenschaften. Es fällt zum Beispiel (insbesondere den Literaturwissenschaftlern unter uns) auf, dass die Linguistik und Archäologie als Pioniere der Digitalen Geisteswissenschaften genannt werden, dann weitere Disziplinen genannt, die Literaturwissenschaft aber an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt, sondern offenbar unter die Linguistik subsumiert wird. Im überwiegenden Teil des Beitrags geht es dann umgekehrt vor allem um literaturwissenschaftliche Gegenstände und Methoden, und die Literaturwissenschaften im weitesten Sinne sind – mit Gregory Crane, Martin Hose, Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Jan-Christoph Meister, Claudine Moulin, und Gerhard Wolf – die bei weitem am Besten vertretene Disziplin im Beitrag. Zwar kommen Archäologie und Linguistik noch kurz zur Sprache, die zahlreichen Aktivitäten und Initiativen in anderen Bereichen der Digitalen Geisteswissenschaften in Deutschland – man denke insbesondere an die Geschichte, Kunstgeschichte oder Musikwissenschaft, bleiben leider unerwähnt. Das disziplinäre Profil der Digitalen Geisteswissenschaften ist viel breiter und viel interdisziplinärer, als es der Beitrag vermittelt.

Ziemlich befremdlich ist außerdem, dass ohne jegliche kritische Distanz die Digitalen Geisteswissenschaften für ein bestimmtes Übel der Gegenwart verantwortlich gemacht werden. Es mag ja sein, dass die Konzentrationsfähigkeit und sprachliche Sicherheit von Studierenden (zumindest aus Sicht der ProfessorInnen) unzureichend ist, und vielleicht stimmt es ja tatsächlich, dass diese beiden Kompetenzen bei Studienanfängern über die Jahre hinweg abnehmen. Die Digital Humanities, so wird im Beitrag Gerhard Wolf zitiert, verstärkten diesen Trend! Wenn es diesen Trend gibt (der Punkt ist durchaus umstritten), so ist dafür doch allenfalls die übergreifende Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens und der Medien insgesamt verantwortlich zu machen, nicht jedoch ein noch kleiner Teil des Wissenschaftsbetriebs, mit dem die allermeisten StudienanfängerInnen während ihrer Schulausbildung und Sozialisation bis dahin wohl kaum in Berührung gekommen sein dürften. Glücklicherweise ist das wirklich ein Randthema des Beitrags.

Wirklich ärgerlich wird es allerdings beim Thema Forschungsförderung. Hier übernimmt der Beitrag unkritisch die Strategie eines seiner Beiträger, etablierte und digitale Geisteswissenschaften gegeneinander auszuspielen. Einer der Kritiker der Digitalen Geisteswissenschaften, Gerhard Wolf, wird mit folgendem Hinweis zitiert: „Digitalprojekte verschlingen Ressourcen, die wir dringend für unser geisteswissenschaftliches Kerngeschäft bräuchten“. Dass die dann von Wolf genannten Kernaufgaben, „interpretatives Erforschen und Editieren“ selbstverständlich von den digitalen GeisteswissenschaftlerInnen praktiziert werden, bleibt unerwähnt. Auch sei die Langzeitverfügbarkeit digitaler Objekte “nicht gewährleistet” und die “Abhängigkeit von der Technik nehme besorgniserregend zu”. Hier bleibt die Tatsache unerwähnt, dass die Langzeitverfügbarkeit papierbasierter Editionen auch nicht an sich gewährleistet ist, sondern erst durch eine über Jahrhunderte gewachsene und institutionalisierte Bibliothekslandschaft möglich wird, mithin durch Infrastrukturen, von denen wir abhängig sind. Die Anstrengungen, um eine vergleichbar tragfähige und dauerhaft verlässliche digitale Infrastruktur für digitale Objekte zu schaffen (in der Tat nach wie vor eine Herausforderung!), in der Digitalisate sicher aufbewahrt, langfristig verfügbar und unter neuen Fragestellungen nutzbar sind, werden erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit und mit vergleichsweise geringen Mitteln betrieben. Niemand würde fordern, statt Bibliotheken doch lieber Forschung zu fördern, denn Bibliotheken sind unbestrittene Grundlage für Forschung. Ebenso verhält es sich mit der digitalen Infrastruktur: auch sie ist Grundlage (digitaler) Forschung und auch sie muss in vergleichbarer Weise wie die analoge Forschungsinfrastruktur institutionalisiert und dauerhaft gefördert werden. Vor allem aber: Alle GeisteswissenschaftlerInnen sollten an einem Strang ziehen, um ihre wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung sichtbar zu machen und mit ihren (auch, aber nicht nur finanziellen) Bedürfnissen bei Politik und Forschungsförderern gehört zu werden!

Was bleibt als Fazit? Einen Blogpost über einen wissenschaftsjournalistischen Beitrag schreibt man nicht, um seine Stärken zu loben. Daher lag hier der Schwerpunkt auf einigen Aspekten des Beitrags, die aus Sicht der Digitalen Geisteswissenschaften eher kritisch zu sehen sind. Es bleibt zu hoffen, dass sich die sicherlich zahlreichen GeisteswissenschaftlerInnen, die den Beitrag lesen werden, in der Lage sind, die Verkürzungen des Beitrags zu erkennen und ihnen vor allem die wunderbaren Anwendungsbeispiele im Gedächtnis bleiben, die zeigen, wie vielfältige neue Erkenntnisse und neue Fragestellungen durch digitale Daten und Methoden möglich werden!

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3953

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