(H-Soz-u-Kult): Job: 0,5 Wiss. Volontär/in (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)
(H-Soz-u-Kult): Job: 1 Wiss. Mitarb. und 0,5 Projektmitarb. “Ausstellung Straf- und Militärjustiz 1933-1956″ (Gedenkstätte Münchner Platz Dresden)
Die Hamburger Hochbahn AG in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“
von Dr. Christoph Strupp –
In Hamburg stellte die Geographie besondere Herausforderungen an die Verkehrsplanung, denn hier hätte sich der Mittelpunkt eines klassisch sternförmig angelegten Verkehrsnetzes mitten in der Alster befunden. Städtische Fixpunkte wie das Rathaus, der Hauptbahnhof oder die Kaufhäuser der Mönckebergstraße drängten sich östlich der Alster. Der Hafen als wichtigster Arbeitgeber befand sich im Süden und war von der Elbe durchschnitten, weitere wichtige Einzugsgebiete für den Verkehr befanden sich im dichter besiedelten Westen, Norden und Osten der Stadt. Dafür reichten Straßenbahn-Linien nicht aus, und so wurde 1906 der Bau einer Schnellbahn um die Alster mit Abzweigungen in die Außenbezirke beschlossen. Das erste Teilstück der Ringlinie wurde im Frühjahr 1912 der Öffentlichkeit übergeben.
Krisen und Konflikte im Hamburger Nahverkehr der Weimarer Republik
Ähnlich wie andere deutsche Nahverkehrsgesellschaften war die Hamburger Hochbahn AG zunächst ein privatrechtlich verfasstes Wirtschaftsunternehmen, wurde aber im Juli 1918 als sogenannter „gemischtwirtschaftlicher Betrieb“ mit einer umfassenden Konzession für den Hamburger Nahverkehr neu gegründet. Die Hochbahn übernahm den Straßenbahnbetrieb und in den folgenden Jahren weitere kleine Verkehrsgesellschaften. Hinzu kamen in den 1920er-Jahren die ersten Autobuslinien und der Linienverkehr mit Fährschiffen auf der Alster. In der Hand der Reichsbahn blieb dagegen die Stadt- und Vorortbahn (S-Bahn), die von Blankenese über Altona und den Hauptbahnhof nach Ohlsdorf führte.
Das Organisationsmodell des gemischtwirtschaftlichen Betriebs, bei dem sich rund 50 Prozent der Aktien im Besitz des Hamburger Staates befanden und viele Maßnahmen, insbesondere die Fahrpreise, politischer Genehmigung bedurften, war in der zeitgenössischen betriebswirtschaftlichen Literatur gepriesen worden: Es vermeide die bürokratische Schwerfälligkeit und die Kosten einer Behörde zugunsten privatwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen, sichere dem Staat aber weitreichende Eingriffsmöglichkeiten, um auf das „Wohl der Allgemeinheit“ zu achten. Spätestens unter den schwierigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Weimarer Republik ergaben sich daraus Konflikte, die mit großer Heftigkeit in den Stadtparlamenten und der Lokalpresse ausgetragen wurden.
Der Enthusiasmus, mit dem die Freigabe des erste Teilstücks der Hochbahn 1912 gefeiert worden war, war schon nach dem Ersten Weltkrieg abgeklungen. In den 1920er-Jahren erhöhte das Unternehmen mehrfach seine Tarife, aber Mittel für umfassendere Ausbauten des Schnellbahn-Netzes oder Modernisierungen des Wagenparks waren stets knapp. Der seit 1912 amtierende Vorstandschef, der Ingenieur Wilhelm Stein, agierte nach Ansicht seiner Kritiker selbstherrlich, konzentrierte sich zu sehr auf das Betriebsergebnis und vernachlässigte die Verkehrsbedürfnisse der Bürger und den gesellschaftlichen Auftrag des Verkehrsunternehmens.
Neben Stein selbst waren auch die staatlichen Vertreter im Aufsichtsrat Kritik ausgesetzt, weil sie den Hochbahn-Vorstand stützten. Dies wiederum lag in einem grundsätzlichen Interessengegensatz begründet, der auf Einzelheiten der 1918 getroffenen Regelungen zurückging. Hamburg hatte damals nämlich für Privataktionäre der Hochbahn eine Dividendengarantie von fünf Prozent übernommen. Der Staat musste sich als Sachwalter öffentlicher Interessen also einerseits für ein gutes Verkehrsangebot und billige Fahrpreise einsetzen. Als Großaktionär war er aber andererseits auch an gewinnorientiertem Handeln des Vorstands und hohen Einnahmen interessiert, um für die Dividendengarantie nicht in Anspruch genommen zu werden.
Stein gelang es auch unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise ab 1930, den finanziell angeschlagenen Hamburger Staat von der Garantie freizustellen, obwohl die Fahrgastzahlen und die Einnahmen einbrachen: Wurden 1930 noch 307 Millionen Personen befördert und 67,8 Millionen RM an Einnahmen erzielt, waren es 1933 nur noch 191 Millionen Fahrten und Einnahmen von 37,62 Millionen RM. Die Menschen gingen zu Fuß oder benutzen preiswert zu erwerbende Fahrräder, und in Presse und Bürgerschaft verschärfte sich die Kritik an der Fahrpreispolitik Steins.
Nahverkehr und Nationalsozialismus
Die starke staatliche Position im Nahverkehr trug 1933 dazu bei, dass die deutschen Verkehrsgesellschaften personell unmittelbar unter die Kontrolle der neuen Machthaber gerieten. Stein beschrieb später rückblickend, wie seine Tätigkeit bei der Hochbahn im April 1933 geendet hatte: Der nationalsozialistische Bürgerschaftsabgeordnete Friedrich Stanik war in seinem Büro erschienen und hatte erklärt, er sei vom Senat beauftragt, die Dienstgeschäfte zu übernehmen. Mit Stein mussten zwei seiner Vorstandskollegen sowie die sozialdemokratischen Betriebsräte ihre Schreibtische räumen. Rund vier Wochen später, in der Generalversammlung der Aktionäre, formierte sich auch der Aufsichtsrat neu, indem die demokratischen Senats- und Bürgerschaftsvertreter ihren Rücktritt erklärten bzw. entlassen und durch Nationalsozialisten und konservative bürgerliche Kräfte ersetzt wurden.
Insgesamt können die Jahre des „Dritten Reichs“ für die Entwicklung des Nahverkehrs in Deutschland aber nur bedingt als Einschnitt gelten. Zwar betonten nationalsozialistische Verkehrstheoretiker viel stärker die Aufsichts- und Lenkungsfunktion des Staates, und eine Reihe neuer Gesetze und Verordnungen reglementierten den Straßenverkehr stärker als zuvor. Substanziell eingeschränkt wurden die Handlungsspielräume der Verkehrsgesellschaften vor Ort durch das Reich aber nicht. Der „Sozialismus der Tat im deutschen Verkehrswesen“, den etwa Verkehrsstaatssekretär Gustav Koenigs 1940 beschwor, fand seine Grenzen in dem Gebot wirtschaftlicher Betriebsführung, auf dem man in Berlin genauso nachdrücklich beharrte.
Auch die Propaganda für die Automobilisierung hatte weniger Folgen, als man vermuten könnte, denn Planungen für eine Anpassung der Städte an den zunehmenden Individualverkehr gab es schon vor 1933. Sie liefen auf eine Ausweitung des Schnellbahn- und Autobusverkehrs und eine Zurückdrängung der Straßenbahn aus den Innenstädten hinaus, waren aber verkehrswissenschaftlich umstritten und gelangten nicht in größerem Stil zur Umsetzung. Dasselbe galt für die Überlegungen nationalsozialistischer Stadtplaner zu baulichen Auflockerungen der Städte und Siedlungsprogrammen im Umland, die eine Neuorientierung der Nahverkehrsnetze notwendig gemacht hätten.
Nationalsozialistische Machtübernahme bei der Hamburger Hochbahn
Der neue Vorstandschef der Hamburger Hochbahn AG, Friedrich Stanik, war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und hatte nach einer kaufmännischen Lehre in den 1920er-Jahren im Ölgeschäft gearbeitet. 1929 war er der NSDAP beigetreten, gehörte bald zum engeren Kreis um den Hamburger Gauleiter und späteren Reichsstatthalter Karl Kaufmann und wurde am 1. März 1933 zum NS-Gauinspekteur ernannt worden. Zahllose weitere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen und Ämter sollten in den folgenden Jahren noch hinzukommen.
Mit der Berufung Staniks und der Nazifizierung des Aufsichtsrats war die Hochbahn einerseits unter weitgehender Kontrolle des Staates nach 1933 in Hamburg ähnlich wie Behörden und andere gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit hoher infrastruktureller Bedeutung wie die Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerke fest in das nationalsozialistische Herrschaftssystem in der Hansestadt integriert (ausführlich: Hamburg im „Dritten Reich“). Die Frage von Handlungsspielräumen des Unternehmens gegenüber dem Regime, die die Forschungen zur Privatwirtschaft im „Dritten Reich“ – zu Banken, Versicherungen oder den großen Industrieunternehmen – seit Jahren beschäftigt (zuletzt: Frei / Schanetzky (Hrsg.): Unternehmen), stellte sich formal nicht mehr: Die personelle Verflechtung an der Spitze machte die Hochbahn zu einem Teil des Regimes. Die Probleme in der öffentlichen Akzeptanz der Nahverkehrspolitik von Staniks Vorgänger Stein sicherten diesem Umbruch möglicherweise in Teilen der Öffentlichkeit Sympathien, aber handlungsleitend waren sie für Kaufmann und den neuen nationalsozialistischen Bürgermeister Carl Vincent Krogmann nicht. Andererseits fungierte aber auch unter Stanik der Vorstand nicht als bloßer Befehlsempfänger des Rathauses, und die Hamburger Hochbahn AG blieb auch nach der Machtübernahme ein Unternehmen, in dem zwischen – schon in sich widersprüchlichen – öffentlichen Interessen und den Interessen der Privataktionäre ein Ausgleich gefunden werden musste.
Noch im Frühjahr 1933 sandte Stanik in seinen Ankündigungen in der Presse ambivalente Signale über den zukünftigen Kurs des Unternehmens, denn neben der Ankündigung eines seit langem geforderten Arbeitslosentarifs und Verbesserungen im Service machte er auch deutlich, dass die Substanz der Hochbahn angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise in Hamburg nicht gefährdet werden sollte. Die neue „nationalsozialistische“ Dimension der Unternehmenspolitik wurde viel stärker intern sichtbar: Im Personalbereich kam es zu einer Entlassungswelle, der rund 260 politisch und gewerkschaftlich engagierte Sozialdemokraten und Kommunisten und auch jüdische Mitarbeiter zum Opfer fielen. An ihrer Stelle wurden mehrere hundert SA-Männer eingestellt.
Auf der symbolpolitischen Ebene zeigte sich das vorbehaltlose Bekenntnis zum „Dritten Reich“ in einem neuen Hochbahn-Emblem mit Hakenkreuz, der im Herbst 1933 gegründeten Betriebszeitschrift „Stirn und Faust“, die bis Ende 1944 in hoher Auflage erschien, nationalsozialistisch ausgerichteten Betriebsversammlungen und der Teilnahme von Abordnungen der Hochbahner an Parteiveranstaltungen, Aufmärschen, Sammlungen usw. Diese Aktionen machten Zweiflern in den eigenen Reihen ebenso wie der Öffentlichkeit deutlich, wo das Unternehmen politisch stand. Später trat noch ein kostspieliges Bündel sozialpolitischer Maßnahmen Staniks für die Belegschaft hinzu: Weihnachtsfeiern und Betriebsfeste, Ausflüge, Freizeitangebote, aber auch die Erneuerung von Arbeits- und Aufenthaltsräumen sowie der Bau von Werkswohnungen. Sie sollten die propagandistisch verklärte Wertschätzung des Arbeiters in dem neuen Staat mit Inhalt füllen und waren Stanik offensichtlich auch persönlich besonders wichtig. Hier schlossen die Interessen der Hamburger NS-Führung und des Hochbahn-Vorstands nahtlos aneinander an.
Öffentlicher Nahverkehr im Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung und Wirtschaftlichkeit
Dagegen zeigten sich im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung der Hochbahn Spannungen zwischen der Unternehmensleitung auf der einen und den staatlichen Vertretern auf der anderen Seite, die mit den bereits in der Weimarer Republik zu Tage getretenen Zielkonflikten zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl-Orientierung zusammenhingen: Die Forderung nach wirtschaftlicher Rentabilität, an der die Stadt aufgrund der 1918 vereinbarten Dividendengarantie und der prekären Haushaltslage unverändert ein besonderes Interesse haben musste, war mit den von Reichsstatthalter Kaufmann ab 1934 persönlich durchgesetzten Tarifsenkungen im Berufsverkehr, die besonders Hafenarbeitern zugute kommen sollten, und der Verlagerung einer Reihe weiterer finanzieller Lasten auf das Unternehmen unvereinbar. Eine Abschaffung der Dividendengarantie wurde zwar erwogen und mit den zuständigen Reichsbehörden in Berlin diskutiert, scheiterte 1938 aber letztlich an dem befürchteten Imageschaden für Stadt und Unternehmen sowie dem hohen Anteil an Kleinaktionären, die ihre Einkünfte nicht verlieren sollten.
Der Reingewinn der Hochbahn sank Mitte der 1930er-Jahre vorübergehend fast auf Null. Trotz gesteigerter Zusatzeinnahmen aus Touristenfahrten mit Hochbahn-Autobussen ins Umland und bis nach Bayern sowie der Verkehrsmittelwerbung in Fahrzeugen und an den Haltestellen wurden die Investitionen in die vorhandenen Wagen und Anlagen vernachlässigt. Auch der weitere Ausbau des Schnellbahn-Netzes, der zunächst auch der Arbeitsbeschaffung, später der großflächigen Umgestaltung Hamburgs zur „Führerstadt“ dienen sollte und viele Millionen gekostet hätte, kam über Planungen auf dem Papier nicht hinaus: Dies galt für die zunächst gewünschte Verbindung vom Jungfernstieg über den Hauptbahnhof Richtung Osten nach Horn und die Verlängerung der Zweiglinie im Westen bis zu Hagenbecks Tierpark ebenso wie für das Anfang der 1940er-Jahre von dem „Führerstadt“-Architekten Konstanty Gutschow geplante halbe Dutzend neuer U-Bahn-Linien, bei denen auch eine Untertunnelung der Elbe in Richtung Harburg vorgesehen war.
Der Hochbahn-Vorstand unter Stanik wurde dabei eher selten mit eigenen Initiativen aktiv, widersetzte sich aber in den Aufsichtsratssitzungen hartnäckig, allerdings am Ende oft erfolglos, den staatlichen Ansinnen. Wenig kooperativ zeigten sich Kaufmann und Krogmann umgekehrt bei den Bemühungen Staniks, sie zu Maßnahmen gegen unerwünschte Konkurrenz – den Individualverkehr der Radfahrer, den preiswerten Nahverkehr der Reichsbahn oder auch kleinere Wettbewerber wie die Verkehrsaktiengesellschaft Altona (VAGA) – zu bewegen. Der 1934/35 mit großem Propagandaaufwand geführte Kampf gegen die Radfahrer erschien ebenso wie z. B. das Festhalten Staniks an Tarifmodellen, die auf eine möglichst exakte Abrechnung jeder einzelnen Fahrt nach Länge und Verkehrsmittel hinausliefen, von mangelnder Flexibilität und wenig Verständnis für die Entwicklung der Verkehrsbedürfnisse geprägt zu sein.
Die Hamburger Hochbahn AG im Zweiten Weltkrieg
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 veränderte die Rahmenbedingungen für das Unternehmen in allen Bereichen: Angesichts der Einschränkungen des privaten Verkehrs waren die städtische Kriegsgesellschaft und die Hamburger Rüstungsbetriebe auf die Nahverkehrsgesellschaft wie nie zuvor angewiesen. Die ständig steigende Nachfrage musste aber mit immer weniger Personal und Material auf einem immer schadhafteren Streckennetz bewältigt werden, sodass der Vorstand bald über Methoden nachdachte, wie man Fahrgäste abweisen konnte. Die Kritik der Bevölkerung an der Qualität des Service in den überfüllten Wagen verstärkte sich und stellte eine Konstante dar, die alle politischen Umbrüche von den frühen 1920er-Jahren bis in die Bundesrepublik überdauerte. Die Struktur der Belegschaft veränderte sich durch die Beschäftigung von Pensionären, Hilfskräften, Frauen sowie ausländischen Zivil- und Zwangsarbeitern. Schaffnerinnen und später auch Fahrerinnen stand man allerdings vor dem Hintergrund der bisherigen, männlich geprägten Unternehmenskultur und der Rollenbilder des Nationalsozialismus distanziert gegenüber.
Jüdische Fahrgäste, die schon in den 1930er-Jahren Schikanen ausgesetzt sein konnten, durften nach der Einführung der Kennzeichnungspflicht im September 1941 – dem „Judenstern“ – öffentliche Verkehrsmittel nur noch eingeschränkt nutzen. In einigen wenigen Fällen behandelten Mitreisende sie noch freundlich, und in anderen schämten sich Menschen immerhin für ihr distanziertes Verhalten. Ansonsten berichteten Zeitzeugen später aber von Beschimpfungen und tätlichen Angriffen auf Juden, die von den Schaffnern geduldet wurden
Die Auseinandersetzungen zwischen Vorstand und Staat über Finanzierungsfragen traten im Krieg in den Hintergrund – sie sollten erst in den späten 1940er-Jahren unter demokratischen Vorzeichen wieder aufleben, als Fragen der Finanzierung des Wiederaufbaus und neuer Strecken ebenso wie das Problem der Dividendengarantie Politik und Öffentlichkeit erneut beschäftigten. In der Kriegszeit erweiterte sich zunächst das Aufgabenspektrum der Straßenbahn um den Gütertransport und die Abfuhr von Schutt, aber spätestens nach dem „Feuersturm“ im Sommer 1943, bei dem mehrere hundert Wagen von U-Bahn und Straßenbahn sowie wichtige Betriebshöfe, Haltestellen und Gleisanlagen vor allem im Osten der Stadt zerstört wurden, ging es nur noch darum, durch Improvisationen den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dem Druck der Verhältnisse geschuldet, die am Ende selbst das Papier für die Fahrscheine zur Mangelware machten, war eine im Herbst 1942 beschlossene drastische Vereinfachung der Tarife und die Förderung von Zeitkarten, die nicht mehr jede Fahrt individuell abrechneten. Damit kam man heute gängigen Formen der Tarifgestaltung nahe.
Schon Friedrich Stanik hatte im Sinne nationalsozialistischer Deutungen des Luftkriegs die Zerstörungen der zweiten Kriegshälfte als Bewährungsprobe interpretiert, der sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter erfolgreich gestellt hatten. Nach 1945 prägte ein entkontextualisierter und entpolitisierter Blick auf die Leistungen der Hochbahn in Krieg und Wiederaufbau die Selbstdarstellung des Unternehmens. Dagegen vermied man nach der Entlassung eines Teils der als engagierte NSDAP-Mitglieder kompromittierten Mitarbeiter 1945/46 ähnlich wie viele andere Betriebe und Institutionen in Westdeutschland lange eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in den Jahren des „Dritten Reichs“.
Fazit
Ob die Geschichte der Hamburger Hochbahn AG paradigmatische Züge für Nahverkehrsgesellschaften im Nationalsozialismus oder gar für städtische Infrastruktur-Unternehmen insgesamt hat, lässt sich angesichts der bisherigen Zurückhaltung der Forschung in diesem Bereich nicht leicht beantworten. Rahmenbedingungen wie der besondere rechtliche Status Hamburgs und die herausgehobene Rolle Reichsstatthalter Kaufmanns, die 1918 getroffene Dividendenregelung oder auch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 und die „Führerstadt“-Planungen legen zunächst eine Unternehmensentwicklung mit individuellen Zügen nahe. Reichsweit dürfte aber gegolten haben, dass ein funktionsfähiger Nahverkehr im Interesse der jeweiligen lokalen und regionalen Machthaber lag und politisch motivierten Interventionen damit Grenzen setzte, weil Mängel in der Bereitstellung städtischer Dienstleistungen auf das Ansehen des Regimes insgesamt zurückgefallen wären und zudem den wirtschaftlichen Wiederaufstieg bzw. die Rüstungs- und Kriegswirtschaft behindert hätten.
Dass der Nahverkehr mit gewissen Ausnahmen beim Einsatz der populären Autobusse zumeist buchstäblich in den eingefahrenen Gleisen aus den Jahren des späten Kaiserreichs verblieb, verweist auf die Pfadabhängigkeit moderner städtischer Infrastruktur, die ebenfalls überall ähnlich gewirkt haben dürfte und grundlegenden Neuausrichtungen im Weg stand. Dies gilt auch für die relativ gleichbleibende Unzufriedenheit der Kunden, in der sich berechtigte Kritik mit Animositäten und Reibereien mischten. Die politischen Verwerfungen der 1930er- und 1940er-Jahre spiegelten sich in Hamburg im öffentlichen Verkehrswesen damit nur im Austausch von Vorständen und Personal, in – realen oder rhetorischen – Anpassungen der Unternehmensphilosophie sowie symbolpolitischen Veränderungen wider.
Literatur:
- Frei, Norbert / Schanetzky, Tim (Hrsg.): Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur, Göttingen 2010.
- Hamburg im „Dritten Reich“, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Göttingen 2005.
- Strupp, Christoph: Nahverkehr und Nationalsozialismus. Die Hamburger Hochbahn AG im „Dritten Reich“, München/Hamburg 2010.
Dr. Christoph Strupp ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Hamburg.
Publikationen u. a.: Nahverkehr und Nationalsozialismus. Die Hamburger Hochbahn AG im „Dritten Reich“, München/Hamburg 2010; Fremde Blicke auf das „Dritte Reich“. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945, (hrsg. mit Frank Bajohr) Göttingen 2011.
(H-Soz-u-Kult): Job: 1 Post-doc, 2 x 0,5 Promotions-Stellen “Geschichte des Reichsfinanzministeriums” (Univ. Köln)
Über die Musik zur NS-Geschichte
Interview mit Dr. Gabriele Knapp - Diplom-Pädagogin und Musiktherapeutin, Berlin
Über die Musik zur NS-Geschichte
Interview mit Dr. Gabriele Knapp - Diplom-Pädagogin und Musiktherapeutin, Berlin