Marion Liebhold vom Buchladenkollektiv Schwarze Risse (Berlin) hat reingeblättert.
Die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung in Deutschland wurde lange dominiert von der Sozialdemokratie und dem orthodoxen Marxismus. Sie hat an den Niederlagen der Bewegung selbst, bis hin zu ihrer Zerschlagung 1933, gelitten. Eine Folge davon ist, dass, wie Ralf Hoffrogge in der Einführung zu diesem Buch schreibt, ein Großteil der linken „Gruppen und Bewegungen abseits von Linkspartei und Gewerkschaften in ihrer politischen Aktivität keinen Bezug mehr zur Geschichte des Sozialismus hat.“ Weil aber die „Klassenfrage“ heute aktueller denn je ist, sind es auch die Erfahrungen und Lehren, die sich aus der Geschichte der Klassenkämpfe und ihrer Organisationen ziehen lassen.
Da eine Sozialgeschichte der modernen Arbeiterbewegung den Rahmen einer theorie.org-Einführung sprengen würde, konzentriert sich Hoffrogge vor allem auf ihre politische Geschichte. Er stellt die Organisationen, ihre Entstehungsbedingungen und LeiterInnen vor und zeichnet die richtungweisenden Debatten und Entscheidungen nach.Die erste wichtige Organisation der Arbeiterbewegung in Deutschland war der ‚Bund der Geächteten‘, zu dem sich 1834 wandernde Gesellen und exilierte Intellektuelle in Paris zusammenschlossen – und zum ersten Mal Arbeiterkämpfe mit der politisch-philosophischen Perspektive eines Sozialismus bzw. (damals noch gleichbedeutend:) Kommunismus verbanden, also mit der Vision einer den Kapitalismus überwindenden Gesellschaft. Die Entwicklung von dort bis zur SDAP bzw. SPD als erster Massenpartei der Arbeiterbewegung und zur Verbreitung der Gewerkschaften war geprägt vom Kampf gegen Repression und um Anerkennung als politischer Akteur.
Dass am Ende dieser Entwicklung die Partei ihre Erfolge nicht mehr an der Revolution, sondern nur noch an Wählerstimmen maß und im arbeitsteiligen Verbund mit den Gewerkschaften an der Verdrängung des politischen Klassenkampfes arbeitete, war auch internen Verwerfungen geschuldet. Die Konflikte zwischen unterschiedlichen Fraktionen, an der Basis der Bewegung und an den Rändern der Organisationen sind die interessantesten Momente der Geschichte.
Hoffrogge gibt den marginalisierten Stimmen und Strömungen viel Raum und rezipiert ‚andere‘ Historiker der Arbeiterbewegung wie Karl Heinz Roth, Ahlrich Meyer und Erhard Lucas. Seine eigene Darstellung politischer Geschichte zeichnet aus, dass in ihr meist nicht einfach ‚eins zum anderen’ führt, sondern die historischen Zusammenhänge komplex und bisweilen paradox sind. Hoffrogge gelingt es, viele Schwächen und Beschränkungen in der geschichtlichen Theorie und Praxis der organisierten Arbeiterbewegung kritisieren, ohne sich von ihr zu verabschieden.
Schmetterling Verlag [theorie.org], Stuttgardt 2011, ISBN 978-3-89657-655-0, Paperback, 216 Seiten, 10,- €
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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/12/13/ralf-hoffrogge-sozialismus-und-arbeiterbewegung-in-deutschland-von-den-anfangen-bis-1914/