Abstract: Justin Olmstead „Peace, a tactical approach: How Britain and Germany abused the Promise of Peace during the First World War“

Great Britain and Germany did not hesitate to use the promise of peace to give their troops the time needed to win the war in decisive fashion. This tactical use of peace allowed Britain to maintain the possibility of American intervention only if the military claimed it was needed to bring the war to a successful conclusion. Similarly, the German Foreign Office was able to use the idea of peace to diffuse American angst therefore allowing the German military time to manoeuvre in hopes of ending the war through military means. This paper will reveal that Britain and Germany spoke with the United States about peace only when they believe peace suited their purposes. Peace was only an option to either country if it was perceived to be in a position of strength and could dictate the terms. Peace, it turned out, was simply another weapon of war.

Colloque international “Les défenseurs de la paix 1899-1917. Approches actuelles, nouveaux regards”, 15-17 janvier 2014

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1390

Weiterlesen

Abstract: Lukas Keller „L’Empire allemand en guerre : L’État, la société et le « danger pacifiste »“

Les relations entre le pacifisme « bourgeois » et l’État allemand, gouverné par les militaires, de 1914-1918 étaient tendues. Pour les dirigeants militaires et les organes de sécurité interne, le mouvement pacifiste représentait un danger car il exerçait un soi-disant effet néfaste sur l’opinion publique. Ainsi, afin de « protéger » la morale publique, les militaires et l’administration privèrent les pacifistes de nombreuses libertés individuelles fondamentales. Ils empêchèrent, avec une politique de censure rigoureuse, non seulement toute propagande pacifiste, mais rendirent également impossible l’organisation même du mouvement, en interdisant toute association libre. Avec des méthodes de surveillances modernes, les militaires contrôlèrent, en outre leurs activités politiques, la vie privée de nombreux pacifistes. La législation exceptionnelle leur permit de punir tous ceux qui se heurtaient à leurs prescriptions. Des avertissements, des amendes, des peines de prison et, finalement, des conscriptions militaires étaient les outils avec lesquels le régime arriva à supprimer quasi entièrement l’existence d’un pacifisme allemand, qui, pourtant, s’est toujours ressenti comme un mouvement patriote.

Colloque international “Les défenseurs de la paix 1899-1917. Approches actuelles, nouveaux regards”, 15-17 janvier 2014

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1388

Weiterlesen

Abstract: Rémy Cazals „Une pacifiste au travail en pleine guerre : Marie-Louise Puech-Milhau (1915–1916)“

Avant 1914, Jules et Marie-Louise Puech sont au cœur du mouvement pacifiste : Dotation Carnegie, Société pour l’Arbitrage entre Nations, bibliothèque Frédéric Passy, revue La Paix par le Droit. La guerre survenant, Jules tient à contribuer à la victoire sur le militarisme allemand pour établir une paix fondée sur le droit. Marie-Louise le remplace et abat un travail impressionnant qui nous est connu par deux sources principales, la correspondance entre les époux et le courrier administratif des organisations. Il faut assurer la publication de la revue et affronter la censure, alimenter la bibliothèque, répondre à un abondant courrier. Des frictions se produisent avec d’Estournelles de Constant au caractère difficile ; il faut régler le « combat des chefs » Ruyssen et Richet. Il faut, enfin, définir une attitude à adopter, en pleine guerre, vis-à-vis des initiatives en faveur de la Paix : que faire vis à vis du congrès de La Haye ? des dames de la rue Fondary ? de la Société d’études documentaires et critiques sur la guerre ?

Colloque international “Les défenseurs de la paix 1899-1917. Approches actuelles, nouveaux regards”, 15-17 janvier 2014

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1386

Weiterlesen

Die Technisierung des Todes

von Norbert Fischer – Die Einführung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert veränderte den Umgang mit Trauer und Tod grundlegend. An der Schnittstelle von Trauerfeier und Technik prallten die Vorstellungen der Befürworter auf die konservative Haltung ihrer Gegner – sowohl sinnbildlich als auch architektonisch. Somit war auch der Bau des ersten Krematoriums in Hamburg lange umstritten, bis äußere Umstände die Stadt zum Handeln zwangen.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau der ersten Krematorien technisierten den Umgang mit den Toten und veränderten die Bestattungskultur grundlegend. Sie vollzog sich im Kontext einer Epoche, die sich mit Stichwörtern wie Hochindustrialisierung, Urbanisierung, Technisierung und Verwissenschaftlichung kennzeichnen lässt. Mit der Feuerbestattung war eine mechanistisch-materialistische Vorstellung vom Körper verbunden, der zufolge dieser als bloße Zusammensetzung einzelner Teile galt. Parallel zur bürgerlichen „Feier“ des Todes im Gesamtkunstwerk des landschaftlichen Parkfriedhofes schritt die Entzauberung von Sterben und Tod voran. Der Tod erschien nun immer mehr in seiner bloßen technischen Materialität. Für den Umgang mit Tod und Trauer wurden praktisch-rationale Aspekte wie Hygiene und Technik entscheidend. Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau des ersten Hamburger Krematoriums 1892 zeigen schlaglichtartig, wie sich der Wandel der Bestattungskultur in steter Wechselwirkung zu sozialen, wirtschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen vollzog.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert

Die im späten 19. Jahrhundert eingeführte moderne, durch industrielle Technik geprägte Feuerbestattung wurde zur grundlegenden Reform im Bestattungswesen. Hamburg zählte dabei zu den Zentren der frühen Feuerbestattungsbewegung. Das 1892 eingeweihte erste Hamburger Krematorium war (nach Gotha 1878 und Heidelberg 1892) das dritte seiner Art in Deutschland. Als Ursachen für die Einführung der modernen Feuerbestattungen gelten allgemein jene Entwicklungen, die im Zusammenhang mit Hochindustrialisierung und Urbanisierung standen: rasches Bevölkerungswachstum und zunehmender Platzmangel auf städtischen Friedhöfen, wachsendes Hygienebewusstsein, Technisierung von Gesellschaft und Kultur, der schrittweise Bedeutungsverlust christlicher Traditionen und die allgemeine Verwissenschaftlichung der Gesellschaft.[1]

Insgesamt entwickelte sich die Regelung der rechtlichen Voraussetzungen für die Feuerbestattung und den Bau von Krematorien in den einzelnen deutschen Teilstaaten uneinheitlich. Preußen schuf erst 1911 eine entsprechende gesetzliche Basis. In Hamburg wurden die gesetzlichen Bestimmungen zur Feuerbestattung nach langwierigen Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat unter dem Druck der schweren Cholera-Epidemie von 1892 erlassen. Auch musste die Anlage hier, im Gegensatz zu den öffentlichen Friedhöfen von Gotha und Heidelberg, auf Druck des Senats auf einem Privatgrundstück errichtet werden (das immerhin nahe des Ohlsdorfer Friedhofs an der heutigen Alsterdorfer Straße lag). Der Hamburger Senat wollte zudem die Benutzung des geplanten Krematoriums auf die ortsansässige Bevölkerung beschränken, um keine diplomatischen Konflikte mit Preußen aufkommen zu lassen – und preußisch waren damals bekanntlich auch die direkten Nachbarstädte Altona, Wandsbek und Harburg. Neben politischem und gesellschaftlichem Konservativismus bildeten vor allem die christlichen Kirchen den Hauptgegner der Feuerbestattung, weil die Einäscherung der christlichen Tradition zutiefst zu widersprechen schien.

Trotz aller Widrigkeiten setzte sich die moderne Feuerbestattung schrittweise durch. Es waren vor allem Vertreter des aufgeklärt-gebildeten, vor allem auch protestantischen Bürgertums, die sich in der Frühzeit der Feuerbestattung einäschern ließen: Akademiker bzw. Freiberufler, Kaufleute, höhere Beamte. Speziell in Hamburg betrug der Anteil kaufmännischer Berufe, freier Akademiker und Beamter unter den Eingeäscherten zwischen 1892 und 1895 fast zwei Drittel, unter den Beerdigten des Ohlsdorfer Zentralfriedhofs hingegen nur ein gutes Fünftel.[2] Die Anhänger der Feuerbestattung organisierten sich in Vereinen, um den Bau von Krematorien durchzusetzen. Der erste Vorstand des 1883 begründeten Hamburger Feuerbestattungsvereins verzeichnete drei Ärzte, drei Kaufleute, je einen Rechtsanwalt, Beamten, Chemiker, Ingenieur und Buchdruckereibesitzer.[3] Bei den Anhängern der Feuerbestattung handelte es sich um einen spezifischen Kreis innerhalb des gebildeten Bürgertums, der offensiv auf die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen reagierte und die sich nun entfaltenden (den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu verdankenden) Potentiale entsprechend nutzte. Insbesondere Mediziner engagierten sich weiterhin für den Bau von Krematorien; nicht zufällig sprachen sich die internationalen medizinischen Kongresse 1869 in Florenz und 1871 in London für die Einführung der Feuerbestattung aus. Im Deutschen Reich waren es nicht zuletzt Vertreter der öffentlichen Gesundheitspflege, die auf die Bedeutung der Einäscherung für das Bestattungswesen vor allem der Großstädte hinwiesen. Nachdem Hygieniker und Ärzte für eine Ausbreitung hygienischer Gedanken in der Medizin gesorgt hatten, begannen sie nun in Zusammenarbeit mit Kommunalpolitikern, die öffentliche Gesundheitspflege in den Städten zu propagieren. Ärzte, kommunale Beamte, Architekten und Ingenieure wurden zu Trägern und Repräsentanten der neuen Hygienebewegung in den Städten. Dabei war das jeweilige Interesse und Engagement für die Feuerbestattung keineswegs rein ideeller Natur. Architekten erwuchsen neue Bauaufgaben, Rechtsanwälten winkte aufgrund der noch immer unsicheren Rechtslage ein weiteres Betätigungsfeld (zahlreiche Prozesse, etwa um Aschenbeisetzungen auf kirchlichen Friedhöfen, zeugen davon). Sich immer weiter professionalisierende Berufe wie Ärzte und Ingenieure konnten mit dem technischen Ausbau hygienerelevanter Einrichtungen ihre eigenen beruflichen Chancen ebenso steigern wie ihr gesellschaftliches Prestige. Jedenfalls gelang es den Feuerbestattungsvereinen bald in einigen deutschen Städten, eine hochtechnisierte Bestattungsart in einem stark von Traditionen geprägten Bereich wie Tod und Bestattung einzuführen, und dieser allmählich soziale Akzeptanz zu verschaffen.

Architektur an der Schnittstelle von Technik und Trauerfeier

Solange die nackte Technik aus Rücksicht auf herrschende Pietätsvorstellungen verborgen bleiben sollte, standen die Architekten vor einem Dilemma. Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt hier das Hamburger Krematorium dar.[4] Errichtet nach Entwürfen des Architekten Ernst Paul Dorn, gilt es in seiner Synthese barocker, romanischer und byzantinischer Elemente als Beispiel für sehr späte Formen des Historismus.[5] Auf den ersten Blick fällt die Gestaltung des Schornsteins auf: Er wird an der Spitze von einem Zinnenkranz umgeben, seine Höhe von rund 25 Meter war baupolizeilich vorgeschrieben. Daneben prägen unterschiedliche Dachformen, wie Zeltdach und stumpfwinkliges Satteldach, den äußeren Eindruck. Zur architektonischen Gliederung des Gebäudes verwendete Dorn rote Verblendziegel und in geringem Maß Formsteine; Wandflächen setzte er teilweise durch einfachen Zementputz ab.[6]

Der Verarbeitung von Verblendsteinen maß der Architekt dabei besondere Bedeutung zu. Kunsthistorisch wird diese Gestaltungsweise als Ausdruck einer „fortschrittlichen und technisch modernen ‘Materialwahrheit’“ interpretiert; im zeitgenössischen Hamburg wurde sie bezeichnenderweise sowohl bei Industriebauten angewendet als auch in der sakralen Baukunst.[7] Ernst Paul Dorn selbst hatte noch kurz vor Fertigstellung des Krematoriums eine als Musterbeispiel technischen Bauens gerühmte Maschinenhalle für die Hamburger Industrie- und Gewerbeausstellung von 1889 errichtet.[8] Immerhin bildete die offensichtliche Nähe des Hamburger Krematoriums zur Fabrikarchitektur einen deutlichen Fingerzeig auf den technisch-industriellen Hintergrund der Feuerbestattung.

Bei der inneren Gestaltung verwirklichte Dorn die Idee eines Zentralraumes.[9] Mit ihrer achteckigen Grundform bot diese Halle bei Trauerfeiern Platz für rund 100 Personen; eine kleine Vorhalle beherbergte die Empore mit einem Harmonium. Eine gegenüber dem Haupteingang gelegene Nische markierte den Platz für die Aufbahrung des Sarges, die auf einem entsprechend geschmückten Katafalk erfolgte; hier fanden auch Ansprachen statt.[10] Dies versinnbildlicht den heikelsten Punkt der Feuerbestattung: die Schnittstelle von Technik und Trauerfeier.[11] Da die technischen Anlagen aus Rücksicht auf die Pietät in aller Regel in das Untergeschoss verbannt wurden, musste eine Verbindung zur Trauerhalle hergestellt werden. Dies geschah normalerweise durch eine Hebevorrichtung, die an ihrem oberen Ende in einen Katafalk mündete. Auf letzterem blieb der Sarg während der Trauerfeier aufgebahrt und glitt anschließend hinunter; die entstehende, den Blick auf die technische Anlage freigebende Öffnung wurde rasch wieder geschlossen (in Hamburg durch eine Rolljalousie). Im 1901 eröffneten Mannheimer Krematorium wurde der Katafalk zusätzlich mit einem von vier schlanken Säulen getragenen Dach versehen, das bei der Versenkung mit hinunterglitt und die Öffnung verschloss. Dass dieser Moment in der Öffentlichkeit als heikel empfunden wurde, zeigt folgender Pressekommentar zur Mannheimer Lösung: „Da das kaum mannshohe Dach leicht mit Kränzen und losen Blumen zu schmücken ist, so würde die Gruft wie mit diesen gedeckt und geschlossen erscheinen, und es ist wohl denkbar, daß ein solcher Abschluß der Trauerfeier von ästhetisch noch wohlthuenderer Wirkung wäre, als es in jenen Crematorien [Gotha und Hamburg] der Fall ist.“[12]

Traditionelle Atmosphäre: Trauerfeiern im Krematorium

Nach wie vor unter gesellschaftlichem Legitimationsdruck stehend, zeigten sich die Anhänger der Feuerbestattung bei der Gestaltung von Trauerfeiern in besonderem Maß bestrebt, traditionelle Pietätsvorstellungen nicht zu verletzen. Für derartige Rücksichten waren nicht zuletzt auch finanzielle Erwägungen ausschlaggebend: Nur eine genügende Auslastung der privat vorfinanzierten Krematorien konnte für einen kostendeckenden Einäscherungsbetrieb sorgen, und schon aus diesem Grund bemühten sich die Vereine natürlich um möglichst große Akzeptanz in der Bevölkerung. So verband die Feuerbestattungsbewegung die vorgegebenen Abläufe des Krematoriumbetriebes mit bekannten Versatzstücken der bei Beerdigungen üblichen Zeremonien. Die Zäsur, die der Einsatz moderner Technik bedeutete, wurde durch vertraute Muster der Sepulkralkultur übertüncht. Selbst wenn die Gestaltung der Zeremonien theoretisch den Angehörigen überlassen blieb, versuchte der Hamburger Feuerbestattungsverein über entsprechende Vorschläge immer wieder der Vorstellung entgegenzuwirken, dass mit der Einäscherung eine Absage an bisherige Traditionen verbunden sei.[13] Zu den wichtigsten (da sichtbaren) Arrangements zählte die Dekoration der Halle und des aufgebahrten Sarges mit Kränzen, Pflanzen und Blumen.[14] Verwendet wurden Arten, die als typische Zeichen der Anteilnahme galten (Palmen, Lorbeer, Immergrün, Rosen). Stimmungsvolle Gemälde und die im zweiten Jahr nach der Eröffnung angebrachten Bronzekandelaber sollten eine feierliche Atmosphäre im traditionellem Sinn erzeugen. Außerdem sorgte der Hamburger Feuerbestattungsverein gegen entsprechende Gebühren für Trauermusik und Trauergesang. Geistliche Traueransprachen fanden zwar häufig, aber keineswegs immer statt. Obwohl ab 1896 ein regelmäßig auf dem nahen Friedhof Ohlsdorf anwesender protestantischer Geistlicher auf Initiative des Vereins auch dem Krematorium zur Verfügung stand.[15]

Ein prominentes und daher gut dokumentiertes Beispiel, die Einäscherung des Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow am 29. März 1894,[16] gibt detaillierteren Aufschluss über die sich bei den frühen Feuerbestattungen entfaltenden sepulkralen Muster und über die Einstellung der Beteiligten. Die Einäscherung Bülows, der sich 1887 in Hamburg niedergelassen hatte, geschah auf eigenen testamentarischen Wunsch. Bemerkenswert angesichts der Geschichte der Feuerbestattung erscheint zunächst, dass der Trauerzeremonie im Krematorium eine Feier in einer Hamburger Kirche vorausging. Nach der Kirchenfeier wurde der Sarg mit Bülows Leichnam zum Krematorium gefahren. Die dortige Trauerfeier war von Trauergesang und -musik geprägt (am Harmonium spielte Gustav Mahler) und mündete in einen weltlichen Nachruf. Schließlich glitt, untermalt von Gesang, der reichlich mit Blumen geschmückte Sarg mittels der hydraulischen Anlage in die Tiefe. Vor der Einäscherung entfernten Angestellte des Krematoriums den Trauerschmuck vom Sarg und übergaben ihn den Angehörigen; in Ausnahmefällen durften einzelne Blumen mit in die Verbrennungskammer gegeben werden – „gewissermaßen ein sinnlicher Ausdruck dafür, daß treue Liebe über den Tod hinausgeht“, wie der Vorsitzende des Hamburger Feuerbestattungsvereins, Eduard Brackenhoeft, in einer Broschüre vermerkt.[17] Zum darauf folgenden technischen Einäscherungsvorgang stand die Feier in keinerlei Verbindung.  Wie andere Vereine achtete auch der Hamburger Feuerbestattungsverein auf eine strikte Trennung zwischen Trauerfeier und Einäscherung, um die vielfach kritisierte Übergabe des Leichnams an die Technik zu kaschieren. Während sich die Trauerfeier im Krematorium in der Regel so eng als möglich an die auf Friedhöfen übliche Beisetzung anlehnte, wurde die Einäscherung und damit das eigentlich Neue unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen. Der Hamburger Vereinsvorsitzende Brackenhoeft hatte in seinen verschiedenen Publikationen zur Feuerbestattung in besonderem Maß die erforderliche Rücksichtnahme auf bestehende Traditionen betont: „Jeder neue Brauch wird am leichtesten dann volkstümlich und hat am ehesten dann Aussicht auf Verallgemeinerung, wenn er sich möglichst dem Hergebrachten anschließt. Ist doch die Abweichung von der Sitte oft einer der Hauptvorwürfe, die man den Freunden der Feuerbestattung macht.“[18]

Die Kommunalisierung der Feuerbestattung

Für die Feuerbestattung sollte es von großer Bedeutung sein, dass sie auch in breiten Arbeiterkreisen Fuß fassen konnte. Dies geschah im wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg, also in der Zeit der Weimarer Republik. Nun erwies sich die Feuerbestattung als ein entscheidender Baustein der Rationalisierung im kommunalen Bestattungswesen. Immer mehr Krematorien – auch das Hamburger – waren inzwischen, zum Teil auf gesetzlichen Druck, in kommunale Hände übergegangen, und die Einäscherungspraxis konnte gezielt in städtische Rationalisierungskonzepte einbezogen werden: „Die Friedhofsverwaltungen [besonders in Großstädten] haben ein lebhaftes Interesse daran, sie zu fördern, weil sie erhebliche Ersparnisse an Friedhofsgelände bringt. Dieses finanzielle Interesse, das sich naturgemäß auch auf die Kosten der Feuerbestattung selbst auswirkt, zwingt aber auch dazu, den Minderbemittelten Aschengrabplätze zur Verfügung zu stellen, die nicht mehr Raum in Anspruch nehmen, als für die Unterbringung der Aschenreste notwendig ist,“[19] hieß es von offizieller Seite. Die bessere Auslastung der Anlagen und effizientere Nutzung der Friedhofsfläche waren willkommene Folgewirkungen. Neue, pragmatische Formen der Aschenbeisetzung wurden nun entwickelt, die schließlich in den Formen anonymer Beisetzung münden sollten. Durch gezielte Gebührensenkungen gelang es den Kommunen, die Einäscherungszahlen deutlich zu steigern. Signifikant ist die Entwicklung vor allem in den Großstädten: In Hamburg beispielsweise, dessen erstes Krematorium 1915 kommunalisiert wurde, wuchs der Anteil der Einäscherungen an den Gesamtbestattungen stetig an. 1933 schließlich wurde auf Grund der steigenden Nachfrage auf dem Ohlsdorfer Friedhof das zweite, von Fritz Schumacher entworfene Hamburger Krematorium eingeweiht – letztes Bauwerk des von den Nationalsozialisten aus dem Amt getriebenen Oberbaudirektors. Insgesamt darf zumindest für die Städte behauptet werden, dass die Feuerbestattung in der Zeit der Weimarer Republik ihren „exotischen” Charakter verlor. Das bedeutete allerdings nicht, dass der Umgang mit ihr generell etwas Selbstverständliches wurde. Die katholische Kirche etwa erlaubte die Feuerbestattung erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den frühen 1960er Jahren. Gegenwärtig liegt der Anteil der Feuerbestattungen an den Gesamtbestattungen im deutschlandweiten Durchschnitt bei über 50 %, in einigen Städten und Regionen – darunter auch Hamburg – jedoch weit höher.



[1] Zur Geschichte der Feuerbestattung siehe Norbert Fischer: Zwischen Trauer und Technik. Eine Kulturgeschichte. Berlin 2002; siehe auch Axel Heike-Gmelin: Kremation und Kirche. Die evangelische Resonanz auf die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert. Berlin 2013.

[2] Eigene Auswertung folgender Unterlagen der Friedhofsverwaltung Hamburg: Sargregister 1892-1895; Feuerbestattungsregister 1892-1895 (Feuerbestattungen: n = 73; Beerdigungen: n = 76). Siehe auch Fischer: Umgang, 1986, S. 46.

[3] Eduard Brackenhoeft: Das Crematorium in Hamburg. Eine übersichtliche Darstellung der Entstehung, Einrichtungen und Betriebsvorschriften des Crematoriums in Hamburg. Hamburg 1896, S. 1, Fußnote.

[4] Für Beschreibung und Interpretation des Hamburger Krematoriums greife ich unter anderem auf folgenden Aktenbestand zurück: Denkmalschutzamt Hamburg: Akte Altes Krematorium Alsterdorfer Str. DA 39-407.301. Band 1-5. – Zur Geschichte der Krematoriumsarchitektur siehe Henning Winter: Die Architektur der Krematorien im Deutschen Reich 1878-1918. Dettelbach 2001.

[5] Hermann Hipp: Gutachten betr. Ehemaliges Krematorium Hamburg-Alsterdorf. 1976, S. 7. In: Denkmalschutzamt Hamburg, Akte Altes Krematorium.

[6] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 10; Ernst Paul Dorn: Das Hamburger Crematorium. In: Deutsche Bauzeitung 26, 1892, S. 97.

[7] Hipp (wie Anm. 21), S. 7-8.

[8] Roland Jaeger: Hoch Hammonia! Gewerbe- und Industrieausstellung von 1889. In: Volker Plagemann (Hg.): Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reiches Tor zur Welt. München 1984, S. 84-86, hier S. 85.

[9] Hipp (wie Anm. 21), S. 7.

[10] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 12-13.

[11] Ernst Beutinger: Handbuch der Feuerbestattung. Leipzig 1911, S. 129.

[12] Illustrirte Zeitung Nr. 3010, 7.3.1901, S. 365.

[13] Eduard Brackenhoeft: Feuerbestattung und Pietät. Wien 1909, S. 4.

[14] Hierzu und der folgenden Beschreibung siehe Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 13.

[15] Ebd. S. 13 und S. 29-30.

[16] Bernhard Stockmann: „Ruht wohl, ihr teuren Gebeine“. Die Trauerfeiern für Hans von Bülow. In: Harald Weigel (Hg.): Festschrift für Horst Gronemeyer zum 60. Geburtstag. Herzberg 1993, S. 461-477.

[17] Diese Beschreibungen und das Zitat nach Brackenhoeft: Crematorium, 1986, S. 13-17 und S. 29-30.

[18] Eduard Brackenhoeft: Die Beisetzung der Aschen-Überreste Feuerbestatteter. Ihre Berechtigung und Gestaltung. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der Feuerbestattung. Hamburg 1904, S. 34.

[19] Frank/[Otto] Linne (Friedhofsverwaltung Hamburg): Aschengrabmale für den Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg 1924, S. 6-8.

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1226

Weiterlesen

Crowdsourcing – Definition und Prozessbeschreibung

crowdsourcing_largeCrowdsourcing ist ein von Jeff Howe aus den Begriffen “Crowd” und “Outsourcing” geprägtes Kunstwort. Es bezeichnet die Auslagerung von Arbeitsprozessen an externe Personen, die jeweils über unterschiedliches (Fach)wissen verfügen.

Eine prägnante Definition von Crowdsourcing liefert Oliver Gassmann, Professor für Innovationsmanagement an der Universität von St. Gallen:

“Crowdsourcing ist eine interaktive Strategie des Auslagerns von Wissensgenerierung und Problemlösung an externe Akteure durch einen öffentlichen oder semi-öffentlichen Aufruf an eine große Gruppe. Typischerweise stehen kreative Themen im Zentrum, aber es sind auch repetetive Aufgaben möglich. In der Regel wird dieser Aufruf durch eine Webseite realisiert. In Kürze: Crowdsourcing ist eine interaktive, community-basierte Innovationsstrategie.”

Gassmann zeigt in seinem Buch “Crowdsourcing – Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz”  u.a. die verschiedenen Projektphasen eines Crowdsourcing-Prozesses auf. Ich möchte im folgenden diese Projektphasen anhand eines Beispiels aus der Kunstgeschichte veranschaulichen. Hierzu gibt der Kuppelbau von Florenz aus dem Jahr 1367 ein ausgezeichnetes Beispiel.

Beim Crowdsourcing gilt es ein Problem zu lösen, dass zuvor präzise definiert werden muss. In Florenz hieß das: Die große Öffnung über der Vierung sollte durch eine Kuppel verschlossen werden.

Für das weitere Gelingen eines Crowdsourcing-Prozesses ist von Bedeutung, an welche Crowd sich der Fragesteller wendet. Ist in den Online-Crowdsourcing-Prozessen im Internet die Zahl der teilnehmenden Innovatoren theoretisch unbegrenzt, ist es beim physischen Crowdsourcing um so wichtiger, an die richtigen Teilnehmer heranzutreten. Im Fall von Florenz wandten sich die verantwortlichen Domvorsteher an Künstler und Baumeister aus Europa. Botschaft hiervon erhielten die Angesprochenen über florentinische Kaufleute.

Zunächst werden beim physischen Crowdsourcing möglichst viele Ideen zusammengetragen, wobei auch “wilde” Ideen ihren Platz haben. Analog dazu haben sich die Domvorsteher ebenfalls zunächst die Ideen aller Innovatoren angehört.

Typisch für einen Crowdsourcing-Prozess ist die 90-9-1-Regel, die besagt, dass 1% der Teilnehmer die letztlich sichtbaren und verwirklichbaren Inhalte erstellen, 9% an der Modifzierung der Inhalte mitarbeiten und 90% der Teilnehmer die Inhalte lediglich konsumieren, ohne aktiv Wissen beizusteuern. Hinsichtlich des Kuppelbaus ist diese Regel insofern anwendbar, als es auch hier viele Vorschläge gab, aber letztlich nur die Idee Brunelleschis verwertbar war, alle anderen Ideen – insbesondere die der Ausfüllung der Kuppel mit Erde – ist nachträglich als “wilde” Idee zu bezeichnen. Diese Ideen sind nicht geeignet, aber im Brainstorming eines Crowdsourcing-Prozesses zunächst absolut erwünscht.

Auch eine Prämie als Belohnung ist ein motivationaler Anreiz für das Einreichen von Lösungsvorschlägen. Sie kann als Fixbetrag oder Umsatzbeteiligung ausgezahlt werden. Im Designwettbewerb um den Bau der Kuppel in Florenz war einzig die fixe Vergütung eine sinnvolle Art der Entlohnung und hier setzte man 200 Goldflorine als Gewinnerlösung aus.

Den besten Vorschlag machte Filippo Brunelleschi, der zunächst das Goldschmiedehandwerk erlernte, bevor er sich dem Studium der Baukunst widmete. Er gehörte der Zunft der Baumeister nicht an und aufgrund starker Vorbehalte gegen seine Person wurden seine Pläne mehrfach abgelehnt.

Heute weiß man, dass Lösungen häufig im Transfer von Wissen durch Experten gefunden werden, die Interesse an unterschiedlichen Wissensbereichen haben, und die nicht zwingend Experte für den Bereich sein müssen, für den sie eine Lösung finden. Nun hat der Goldschmied Brunelleschi die Baukunst durchaus ausgiebig studiert und war auf mehreren Gebieten Experte; das aber hat zu seiner Zeit zu großer Skepsis geführt.

Bei der Umsetzung der Lösung ist es wichtig, den bzw. die richtigen Mitarbeiter damit zu betrauen. Von zentraler Bedeutung ist weiterhin, dass sich die mit der Durchführung verantwortlichen Personen mit der Idee identifizieren. Außerdem ist eine umfassende Betreuung der mit der Umsetzung beauftragten Mitarbeiter durch das Unternehmen nötig. Dies alles erhöht die Umsetzbarkeit der Lösung. Kommt es bei der Durchführung zu Problemen, kann der ganze Crowdsourcing-Prozess jetzt noch scheitern.

Im Falle des Kuppelbaus mischten sich die für den Kirchenbau Verantwortlichen in die Durchführung ein und gängelten Brunelleschi, indem sie Lorenzo Ghiberti mit den Bauarbeiten betrauten. Brunelleschi, der darin die Untergrabung seiner Kompetenz sah, stellte sich daraufhin über mehrere Monate krank und erreichte schließlich, dass er die Arbeiten allein weiterführen konnte. Die mit dieser Maßnahme verbundene Anerkennung seines Sachverstands sicherte den reibungslosen Ablauf der weiteren Bauarbeiten an der Kuppel.

Anhand der geschilderten Schritte wird deutlich, dass es sich hier um einen Prozess menschlicher Interaktion handelt. Erkennbar ist weiterhin, dass es viele Aspekte gibt, die Ursachen für das Scheitern von Crowdsourcing sein können, weil sich die Teilnehmer, die Lösungen im Rahmen dieses Prozesses erarbeiten, nicht entsprechend behandelt, gewürdigt, angesprochen, etc. fühlen. Deshalb schließt sich die Frage an: Welche Bedürfnisse der Teilnehmer beachtet werden sollten, damit Crowdsourcing-Prozesse erfolgreich bzw. noch erfolgreicher gestaltet werden können. In den nächsten Artikeln will ich Antworten auf diese Frage finden.

Weitere Artikel dieser Serie:

  1. Auftakt zur Artikelreihe: Was macht Crowdsourcing erfolgreich?
  2. Crowdsourcing: Definition und Prozessbeschreibung

sowie:

Quelle: http://games.hypotheses.org/1442

Weiterlesen

Vortrag von Daniel Meßner am IFK: Identifizierung durch Biometrie

Am 20.01.2014 um 18 Uhr am IFK in Wien Vortrag von Daniel Meßner:

Identifizierung durch Biometrie – Anwendungspraktiken zur Wiedererkennung von Personen

Inhalt:

Biometrie spielte bei der Identifizierung von Individuen Ende des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle: Mithilfe körperlicher Merkmale und persönlicher Informationen, die in einem internationalen Netzwerk sicherheitsbehördlicher Institutionen ausgetauscht wurden, erstellten Polizeiexperten in erkennungsdienstlichen Registraturen und Datensammlungen Identitäten von Personen, die als verdächtig galten oder straffällig waren. Körperliche Merkmale sollten sicherstellen, dass die Informationen den jeweiligen Individuen eindeutig zugeordnet wurden und nicht mehrere Datensätze für eine Person existierten. Damit war die Vision verbunden, der Kriminalität in den stetig wachsenden Großstädten ein wirksames Mittel entgegensetzen zu können. Die Identifizierung von Individuen durch biometrische Merkmale basiert auf der Annahme, dass diese einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen und sich die Referenz zwischen Körper und Merkmal objektivierbar dokumentieren lässt. Anhand konkreter Anwendungsfälle stellt Daniel Meßner Praxisformen kriminalpolizeilicher Identifizierung vor und arbeitet das Zusammenspiel von technischen Apparaturen, Medieninhalten und institutionellen Praktiken am Beispiel des Wiener Erkennungsdienstes heraus.

http://www.ifk.ac.at/index.php/events-detail/events/175

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=5615

Weiterlesen

Mediengeschichtliches Forum: Vortrag Anna Bischof, M.A.

Das Mediengeschichtliche Forum lädt nächsten Montag zu einem Vortrag von Anna Bischof, M.A., mit dem Thema:

“Transnationale Wissensmittler: Die Migration tschechoslowakischer Journalisten und ihre Tätigkeit für Radio Free Europe in München (1950-1975)”

Der Vortrag mit anschließender Diskussion findet am Montag, 20. Januar 2014, um 18 Uhr c.t. im Übungsraum I des Historischen Seminars, Grabengasse 3-5, statt.

Das Mediengeschichtliche Forum wird von Martin Stallmann, M.A., am Historischen Seminar/ZEGK organisiert.

Mediengeschichtliches Forum Anna Bischof 200114

Quelle: http://hdmedia.hypotheses.org/88

Weiterlesen

Positive Devianz oder: Warum Abweichung nicht immer schlecht sein muss – Von Anna Fassl

Der folgende Essay gibt einen Einblick in das Phänomen der positiven Devianz. Devianz ist ein vieldiskutiertes Phänomen, das in erster Linie mit negativen Merkmalen in Verbindung gebracht wird. Kann Abweichung, wie im Fall von genialen Wissenschaftler_innen, brillanten Künstler_innen oder Wunderkindern … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5840

Weiterlesen

Trachten heute – mehr als ein modischer Spleen?

 

Zunehmend bin ich verwirrt. Das hängt vielleicht mit meinem Alter zusammen, in erster Linie aber mit Erscheinungen, die mir manchmal geradezu die Orientierung nehmen: junge Menschen in Lederhosen und Dirndlkleidern, Burschen in karierten Hemden, Mädchen mit ausladenden Spitzendekolletés …  Tatsächlich hat in den letzten Jahren die Renaissance der Tracht stattgefunden. Fragt man in einer Vorlesung, wer denn eine solche nicht gar sein eigen nennt, dann schnallen bei mehr als der Hälfte der Studierenden die Hände hoch – und das ohne rot zu werden! Plötzlich sehe ich alt aus, obwohl es doch noch gar nicht so lange her ist, dass Trachten nicht nur als konservativ und rückwärtsgewandt betrachtet wurden, sondern auch als belastet, als Ausdruck einer von den Nationalsozialisten gepflegten „Blut und Boden“-Ideologie.

 

Authentizität von Trachten

Ich weiß schon: Von den Anhängern des Trachtenkults wurde das schon damals, in den 1970/80er Jahren, als undifferenziert und als Vorurteil kritisiert. Trachten seien eben einfach schön, machten eine gute Figur, seien „authentisch“ und würden, was doch wichtig sei, die Verbundenheit zur Heimat, zur eigenen Herkunft ausdrücken. Durch das Tragen von Trachten werde die eigene Identität gestärkt, womit diese zur Orientierung in einer sich rasant wandelnden Welt beitrügen. Mit „Blut und Boden“ habe das doch nichts zu tun. Nun sind Trachten aber keineswegs „authentisch“, auch wenn immer wieder zwischen „echten“ und „unechten“, weil stärker den unterschiedlichen Modetrends angepassten Trachten, unterschieden wird. Sie existieren keineswegs unverändert seit Jahrhunderten. Tatsächlich ist die Tracht vor allem eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, als sich die Sommerfrischler aus der meist recht einfachen Kleidung der Einheimischen diverse Versatzstücke wählten und mit modernen Accessoires verbanden. Interessanterweise verbarg sich dahinter sogar etwas politisch Fortschrittliches, nämlich eine Kultur der „Ursprünglichkeit“, die ein harmonisch-utopisches Gesellschaftsmodell spiegelte, das sich durch das Fehlen von Standes- und Klassenunterschieden auszeichnete. In der konstruierten „Ursprünglichkeit“ der Sommerfrische, etwa durch das Tragen von Trachten, war man zuallererst Mensch und erst in zweiter Linie adelig, bürgerlich, bäuerlich oder proletarisch.

Politisch korrekt?

Die Einheimischen übernahmen im Übrigen diese Trachten, vor allem die finanziell erschwinglichen Bestandteile, zumal sie sowohl die Annäherung an die letztlich hegemoniale bürgerliche Lebensform als auch die Rückbindung an ihre Lebenswelt ermöglichten. Folglich waren die Trachten sogar Ausdruck einer sich verändernden Welt. Dass die NationalsozialistInnen schließlich die vermeintliche Harmonie für sich in Anspruch nahmen und die Trachten als Teil der „Blut und Boden“-Ideologie instrumentalisierten, dafür können die Trachten freilich nichts. Dennoch bleibt die Tracht dadurch belastet, nicht zuletzt weil ihre Träger und Trägerinnen durch ihr unschuldiges Auftreten historische Naivität an den Tag legen und meist kein Bewusstsein darüber entwickeln, welche Ideologien mit Kleidung transportiert werden können. Daher scheint mir das Tragen von Trachten nur noch in Form des künstlerischen Umgangs mit Kleidung möglich. Zumeist lässt sich aber – zumindest in der Rezeption der KonsumentInnen – keine klare Trennung zwischen dem Wunsch nach Bewegungslosigkeit und kritischem Spiel erkennen; die Vermischung unreflektierter Identifikation und kritischer Distanz scheint bislang unvermeidbar.

Die Tracht als „Text“

Vielleicht bin ich aber wirklich zu streng? Vielleicht sind Trachten tatsächlich einfach nur schön und dazu gemacht, die Menschen attraktiv wirken zu lassen, um etwa – wie der Literaturkritiker Hellmuth Karasek in einer Diskussionsrunde bei Günther Jauch meinte – die Brüste der Damen einfach besser zur Geltung kommen zu lassen? Abgesehen einmal von der doch recht fragwürdigen Zuschreibung, die Karasek vornimmt, ist aber Geschmack immer auch vom gesellschaftlichen Kontext abhängig. Und so muss Kleidung wohl doch als „Text“ verstanden werden, der im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Prozessen zu lesen ist. Und die Renaissance der Tracht korrespondiert ohne Zweifel mit einer Entwicklung, die das Konservative plötzlich als fortschrittlich preist und im Zuge der Globalisierungsprozesse zunehmend auf kulturelle Bewegungslosigkeit setzt. Sie überschneidet sich auch mit dem Erfolg von Parteien, die weit rechts außen stehen. Die große Welt mag sich wandeln, die „Heimat“ scheint jedoch wie der Fels in der Brandung zu stehen: von wilden Wassern umspült und doch so unbeweglich.

„Dynamische Heimat“ – Versöhnung mit den Trachten

Ob eine solche Orientierung allerdings die notwendige Verarbeitung von Wandlungsprozessen und die Bewältigung der eigenen Existenz ermöglichen kann, bleibt fraglich. Der Begriff der „Heimat“ sollte daher dynamisch verstanden und der Wandel als notwendiger Bestandteil der eigenen Identität anerkannt werden. Damit wird vielleicht auch die Tracht von ihrem bitteren Beigeschmack befreit. Das Schwarzweißbild von der guten alten Heimat und der bösen Globalisierung, die unsere angeblich „authentische“ Volkskultur gefährde, könnte damit einem differenzierten Blick weichen. Dabei kann es helfen, die Volkskultur auch als Thema im Geschichtsunterricht zu behandeln, allerdings weniger mit dem Argument der Heimatverbundenheit als vielmehr im Sinne einer reflexiven Betrachtung, die die Funktionen etwa von Trachten betont, ohne diese – immerhin gehören Trachten ja zunehmend zur Lebenswelt der SchülerInnen – als etwas Unmögliches zu diffamieren. Dann kann auch ich mich mit der Lederhose, dem Dirndl und dem karierten Hemd wenn schon nicht anfreunden, so doch arrangieren. Eine Lederhose kaufe ich mir aber dennoch nicht – die Verweigerung sei mir im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft auch weiterhin gestattet.

 

 

Literatur

Externer Link

 

Abbildungsnachweis
© piu700 / pixelio.de

Empfohlene Zitierweise
Hellmuth, Thomas: Trachten heute – mehr als ein modischer Spleen? In: Public History Weekly 2 (2014) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1192.

Copyright (c) 2014 by Oldenbourg Verlag and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

The post Trachten heute – mehr als ein modischer Spleen? appeared first on Public History Weekly.

Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-2/trachten-heute-mehr-als-ein-modischer-spleen/

Weiterlesen

“Die Schweizer”. Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?

 

Der „Wille zur Geschichte“ ist gleichsam Elixier der Willensnation. Das war sicher auch ein Grund für das Schweizer Fernsehen, dem Publikum im November 2013 eine vierteilige Geschichtslektion zu besten Sendezeiten zu präsentieren. Doch welche Geschichte sollte hier gezeigt werden? Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?

 

Was hält die Schweiz zusammen?

Verbreitet ist der Befund, dass es die Geschichte sei, welche die Willensnation Schweiz zusammenhält. Diese Sichtweise kam im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angesichts eines die Schweiz bedrohenden Sprachennationalismus auf, erhärtete sich in der Zeit der Geistigen Landesverteidigung und erstreckte sich über die Epoche des Kalten Krieges hinaus.1 Doch welche Geschichte kittet? Wie wir wissen, hat die Geschichte der Schweiz, was vordergründig paradox erscheinen mag, im Bewusstsein der Bevölkerung keinen hohen Stellenwert. Viele SchweizerInnen nehmen für sich in Anspruch, von der Geschichte weitgehend verschont geblieben zu sein. Für das Erklären des Zustandekommens der Nation begnügt man sich mit weit zurückliegenden Ursprungsmythen. Ähnlich den USA ist das Land von Mythen durchdrungen, weil es geradezu einfache Formeln für den Zusammenhalt braucht. Geschichte, die aus den Studierstuben an die Öffentlichkeit gelangt, wird schnell zur einfach handhabbaren Gebrauchsgeschichte (Guy Marchal). Sie ist damit der Kontrolle der HistorikerInnen entzogen und unterliegt einer geschichtskulturellen Eigendynamik. Nicht komplexe Strukturen sind gefragt, sondern einschlägige Geschichtsbilder mit klaren Deutungsangeboten. Ist es in den USA vor allem ein gemeinsamer Traum, welcher die Nation zusammenhält,2 so ist es in der Schweiz das seit dem Ersten Weltkrieg allumfassende Bild des ständig bedrohten, aber sich in der komplexen globalen und europäischen Umwelt erfolgreich zurechtfindenden Kleinstaates.

Unausgegorene Absichten

Es sei „ein Kreuz“ mit der Schweizer Geschichte, meint Roger de Weck, Direktor der SRG und profunder Kenner des Schweizer Werdegangs.3 Für andere stellt sie gar ein „Minenfeld“ dar.4 Und wie die Reaktionen auf die Sendung „Die Schweizer“ zeigen, kam die Kritik an einem „altväterischen“, „männerlastigen“ und einem „veralteten Geschichtsverständnis frönendem Filmkonzept“, das sich primär an der Logik des Fernsehmarkts mit einem personalisierenden Zugang ausrichtete, bereits im Vorfeld der Ausstrahlung.5 Die Absicht der FernsehmacherInnen war es, wie ihr Direktor formulierte, der Willensnation zu zeigen, wie sich ihr Land vom Staatenbund zum Bundesstaat entwickelte. Der „Bundesstaat bleibe ein Glücksfall“ und sei „ein Kind der Aufklärung“, so de Weck.6 Doch wie lässt sich ein solcher Prozess anschaulich darstellen? Die Wahl der Verantwortlichen fiel auf einen ausgewählten Personenkreis von Werner Stauffacher über Hans Waldmann und Niklaus von Flüe zu General Henri Dufour sowie Alfred Escher und Stefano Franscini, welche als eine Art „Founding Fathers“ gewirkt haben sollen und die Zeitphase vom frühen 13. Jahrhundert bis 1882 (die Eröffnung des Gotthardtunnels) abzudecken hatten. Die Wahl fiel auf ein teleologisches Konstrukt, das im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft steht.

Edutainment produziert Bilder – aber welche?

Eine derart präsentierte Geschichte, angeboten als „Sternstunden“ oder als „unsere Historie im Film“, wird zwangsläufig zum Edutainment-Angebot.7 Während etwa bei Sendungen über Medizin, Technik und Wissenschaft kaum jemand Anstoß an einer publikumswirksamen und folglich an Unterhaltung orientierten Darstellungsweise nimmt, so führte die Serie „Die Schweizer“ zu einer breiten HistorikerInnen-Schelte. Was ist bei Geschichte anders als bei der Physik oder der Humanmedizin? Es ist die Identitätsfrage und dies auch bei jenen, die mit Identität scheinbar wenig am Hut haben. Daraus ergibt sich schnell ein Disput über das richtige Deutungsangebot. Welches Geschichtsbild die Serie vermittelt, das bleibt aber diffus. So blendet sie reflektierende Expertenstimmen von HistorikerInnen ein. Gleichzeitig wirkt die visuelle Kraft des ausgestrahlten Bildes und schafft emotionale Bezüge. Bildhafte Darstellungen und Expertise widersprechen sich allzu oft. Das Expertenurteil kann der bildhaft gewordenen Deutung auch wenig entgegensetzen.

Immer das Gleiche?

Hier stehen die Verantwortlichen der Serie denn auch vor einem ähnlichen Dilemma wie der Geschichtsunterricht. Mit rationalen Argumenten ist Geschichtsbildern nur schwerlich beizukommen. Nun ist zu vermuten, dass die FilmemacherInnen aus marktstrategischen Gründen die Doppeldeutigkeit geradezu für ihr Edutainment-Angebot nutzten und den Mythen ihren Platz beliessen, welche mit weiteren Geschichtsbildern zum 19. Jahrhundert ergänzt wurden: die Schweiz als Glücksfall und Erfolgsmodell in einer durch Krisen geschüttelten Welt. Ist es das, was die Willensnation in der Gegenwart zusammenschweisst? Kitt für den Zusammenhalt könnte auch das kritische Beleuchten und Reflektieren sein, indem die Bürgerinnen und Bürger darüber Bescheid wissen, wie sich ihr Gemeinwesen in enger Abhängigkeit von seinem Umfeld (meist als „Ausland“ qualifiziert) entwickelt hat und wie auch Schweizer Geschichte im Rhythmus europäischer und globaler Entwicklungen verläuft. Darauf zielt die Serie der „Geschichte der Schweizer“ im Grundsatz ab. Gelungen ist es dem Format aber nicht.

 

 

Literatur

  • Buchbinder, Sascha: Der Wille zur Geschichte. Schweizergeschichte um 1900 – die Werke von Wilhelm Oechsli, Johannes Dierauer und Karl Dändliker, Zürich 2002.
  • Furrer, Markus: Die Nation im Schulbuch – zwischen Überhöhung und Verdrängung. Leitbilder der Schweizer Nationalgeschichte in Schweizer Geschichtslehrmitteln der Nachkriegszeit und Gegenwart, Hannover 2004.
  • Marchal, Guy P.: Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität, Basel 2006.

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Foto des Verf.

Empfohlene Zitierweise
Furrer, Markus: “Die Schweizer”. Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?
 In: Public History Weekly 2 (2014) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1141.

Copyright (c) 2014 by Oldenbourg Verlag and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

The post “Die Schweizer”. Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation? appeared first on Public History Weekly.

Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-2/die-schweizer-welches-geschichtsbild-braucht-die-willensnation/

Weiterlesen