Popgeschichte wird Sektion auf dem 50. Deutschen Historikertag 2014
Das Jahr beginnt für uns mit einer guten Nachricht: Der 50. Deutsche Historikertag, der vom 23. bis 26. September 2014 unter dem Thema “Gewinner und Verlierer” in Göttingen tagen wird, hat eine Sektion zur Popgeschichte angenommen. Hier das Konzept der Sektion:
“The Winner Takes It All”.
Popgeschichtliche Narrative des 20. Jahrhunderts zwischen Ausbeutung und Emanzipation
Vom Lastwagenfahrer zum Welt-Star, vom Punk zur Modezarin, vom Ghetto-Kid zum Plattenproduzenten: Die Popgeschichte hat viele Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Der Star ist der geradezu emblematische Akteur einer massenkulturellen Aufmerksamkeitsökonomie des 20. Jahrhunderts, denn wo die Bestätigung einer institutionalisierten Kultur fehlt, haben Siegergeschichten legitimatorische Funktion. Als moralisches Korrektiv dienen Verlierergeschichten: vom raschen Abstieg, frühen Drogentod oder dem Niedergang ganzer Branchen, etwa der Musikindustrie. Derartige Narrative spiegeln individuelle Auffassungen vom richtigen Leben und legitimen Streben wider und konstituieren auf überindividueller Ebene gesellschaftliche und wirtschaftliche moral economies.
Die Sektion möchte nicht nur solche populären Erzählungen von Erfolg und Scheitern auf den Prüfstand stellen, sondern auch etablierte akademische Narrative. Auch den wissenschaftlichen Diskurs über die Popkultur des 20. Jahrhunderts prägen Dichotomien, in denen die Rollen von Gewinnern und Verlierern je nach Denkschule klar verteilt sind: Mal erscheinen darin Jugendliche als widerständige Opponenten gegen eine Hegemonialkultur, mal sind sie willenlose Opfer der Manipulation einer kommerzialisierten Konsumindustrie. Die Fallstudien des Panels hinterfragen solche Zuschreibungen und stellen damit ein neues Themenfeld in den Mittelpunkt, das als eines der zentralen medialen, ökonomischen und politischen Handlungsfelder des 20. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit der Geschichtsschreibung verdient.
Anhand von Fallbeispielen werden unterschiedliche Forschungsperspektiven vorgestellt, die sich teils ergänzen, teils aber auch im Widerspruch zu einander stehen. Seinen Schwerpunkt hat das Panel in der Zeitgeschichte nach 1945, schlägt aber einen Bogen in die erste Hälfe des 20. Jahrhunderts um Brüche und Kontinuitäten mit älteren Epochen zu thematisieren, etwa in einem ersten Beitrag mit dem „Jazz Age“. Solche Kontinuitäten lassen sich anhand von Tanz-Spektakeln nachverfolgen, die im späten 20. Jahrhundert die Form massenmedial vermittelter Wettbewerbe angenommen haben.
Diese “dance circles” im Streetdance wurzeln teils ebenso wie der urbane Cakewalk um 1900 im „Black Atlantic“ und ermöglichten Formen von Öffentlichkeit, in denen neben ästhetischen auch ethische Fragen verhandelt wurden, etwa von Anpassung und Widerstand. Alles zu geben, um zu gewinnen, ist bis in die Tanz-Fernsehshows der Gegenwart ein zentrales Narrativ, in dem eine Geschichte der Moderne präsent ist, die Freiheit nicht im Projekt der Selbstverwirklichung durch Arbeit suchte: Auch im “dance circle” gibt es Wettbewerb zwischen den Tänzern, er findet aber unter anderen institutionellen Bedingungen statt. (Astrid Kusser)
Nach diesem medien- und körpergeschichtlichen Einstieg öffnet das Panel in einem zweiten Schritt das Spannungsfeld zwischen Konsumption und Produktion indem es den Siegeszug anglophoner Popmusik in Westdeutschland seit den 1960er Jahren in den Blick nimmt. Bisher wurde dieser Erfolg zumeist mit dem Bedürfnis jugendlicher Konsumenten erklärt, die als wichtigste Käuferschaft für populäre Musik nach einem Sound verlangten, der ihren gewandelten Bedürfnissen Ausdruck gab und aus den USA und Großbritanniens importiert wurde.
Gegen dieses Narrativ, das dazu tendiert, die Eigendynamik der Musikproduktion und -vermarktung auszublenden, wird mit einem produktionsorientierten Ansatz argumentiert: Verglichen mit den USA stand die westdeutsche Musikwirtschaft der drei Nachkriegsjahrzehnte in einer personellen, kognitiven und stilistischen Kontinuität, die das heimische Pop-Produkt auf die Verliererstraße brachte. Eine Trendwende zeichnete sich erst um 1980 ab, als Strukturveränderungen auf globaler wie nationaler Ebene bis dahin unerprobten deutschen Produzenten, Musikern und Repertoires Vermarktungschancen eröffneten. Das Beispiel plädiert für das Thema „Kulturproduktion“ als neues Forschungsfeld für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. (Klaus Nathaus)
Dieser Interpretation steht, drittens, eine stärker auf die Konsumenten bezogene Perspektive gegenüber. Kulturindustrielle Produkte wurden auch in einer von den Produzenten nicht intendierten Weise zu Sinn-Konstruktionen herangezogen. Dies lässt sich etwa anhand der Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreich entstehenden Star- bzw. Fanclubs beobachten, die Hundertausende überwiegend jugendliche Mitglieder auf die Figuren ihrer jeweiligen Stars einschworen, deren erfolgreiche Karrieren ihnen als Vorbild dienten.
Gegen diese organisierten Formierungen des Generationengeschmacks regte sich Protest von links und rechts über die „falschen Vorbilder“ – ein Narrativ, das teils auch den akademischen Diskurs prägt. Dabei wird zumeist die aktive kulturpolitische Rolle von Fan-Clubs übersehen: In Nachfolge bürgerlicher Geschmacksgemeinschaften des 19. Jahrhunderts (Wagner-Gesellschaften, Kunst- und Museumsvereine) betrieben organisierte Schlager- und Pop-Fans den Übergang von imagined zu organized communities und setzten zunehmend erfolgreich ihren Anspruch auf Repräsentation in der Medienöffentlichkeit durch. Dabei bildeten sie eigenen kulturellen Praxen im Sinne jenes „listenreichen“ Umgangs mit den Produkten (de Certeau) heraus, der einen „aktiven“ Konsum kennzeichnet, und trugen so zur Formierung einer zunehmend pluralistischen Popkultur bei. (Bodo Mrozek)
Mit deren Ausbreitung und Etablierung wandelten sich – viertens – auch biographische Entwürfe. Anhand der Erzählungen von (Auto-)Biographien in den Kategorien von Verlierern und Gewinnern lässt sich der Wandel in zeitgenössischen und retrospektiven Selbst- und Fremddeutungen der 1970er und 1980er Jahre thematisieren. Lange Zeit wurden vor allem negative Folgen von deviantem Verhalten beschrieben: soziales Außenseitertum, Abdriften in Kriminalität und Sucht, Versagen und Scheitern in einem Lebensabschnitt, in dem Bildung und Ausbildung sowie die Gewöhnung an Verantwortung und Pflichterfüllung im Vordergrund stehen sollten.
Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gewinnt ein anderes Narrativ an Bedeutung, das die „Verschwendung der Jugend“ als ein Gelingen interpretiert. Jugendkulturelle Lebensentwürfe renitenter Punks oder hedonistischer Beatniks, deren Wurzeln sich bis in die Romantik zurückverfolgen lassen, werden als erfülltes, weil intensiv und kompromisslos subjektiv gelebtes Leben interpretiert: Diese affirmativen (Selbst-)Beschreibungen der Popkultur als befreiend, individualisierend oder widerständig bedürfen der Historisierung und rücken die für die Popgeschichtsschreibung originäre Quellengattung der Selbstzeugnisse in den Mittelpunkt. (Alexa Geisthövel)
Mit diesen vier unterschiedlichen Fallbeispielen will das Panel Popgeschichte als ein breites Set von Methoden und Problemen vorstellen. Dabei wird weder für einen neuen „Turn“ plädiert, noch ein radikaler Bruch mit bewährten Methoden behauptet. Vielmehr geht es um den Ausblick auf ein junges Forschungsfeld, das inhaltlich zu etablierten Bereichen der Wirtschafts-, Protest- oder Konsumgeschichte anschlussfähig ist, aber neue Quellen erschließt und andere Forschungsperspektiven einnimmt. Die Sektion will somit den Gewinn popgeschichtlicher Ansätze und Fragestellungen für die Historiographie des 20. Jahrhunderts aufzeigen.
Liste der ReferentInnen und vorläufige Referatstitel:
1. Prof. Dr. Detlef Siegfried (Universität Kopenhagen):
„Popgeschichte: Probleme und Perspektiven“ (Einleitung)
2. Dr. Astrid Kusser (Universidade Federal Rio de Janeiro):
“Dance Craze, dance circle. Wettbewerb in medialen Tanzspektakeln um 1900 und um 1980“
3. Dr. Klaus Nathaus (University of Edinburgh):
“Erfolgswege und Sackgassen: Pfadabhängigkeit als Erklärung für die anglo-amerikanische Dominanz der Popmusik in (West-)Deutschland 1900-1980“
4. Bodo Mrozek, M.A. (Freie Universität Berlin / ZZF Potsdam):
„Losers united: Fan-Clubs als Geschmacks-Avantgarden von den 1950er bis in die 1980er Jahre“
5. Dr. Alexa Geisthövel (Medizinhistorisches Institut der Charité, Berlin):
„Gelebtes Leben: Wie verschwendete Jugend wertvoll wurde“
Lexikon zur Computergeschichte: User Datagram Protocol – UDP
Podcast „Durch Gott zum Sieg…“ – Der Erste Weltkrieg und die Kirchen
Als am 1. August 1914 das deutsche Kaiserreich mobil machte, war das der Auftakt für die „Urkatastrophe des Jahrhunderts“: den Ersten Weltkrieg. Alle patriotischen Hoffnungen schienen Wirklichkeit zu werden, die Kriegsbegeisterung kannte kaum Grenzen. In diesem Klima wollten die Kirchen nicht abseits stehen; auch sie begrüßten den Krieg, dessen angeblich reinigende Kraft Deutschland zu einer geistig-moralischen Erneuerung führen sollte:
WDR-Beitrag vom 12.01.2014 (Podcast): http://www.wdr3.de/zeitgeschehen/ersterweltkiregundkirchen100.html
Abstract: Piotr Szlanta „Poles – Nation without Pacifists? Phenomenon of War and the Polish Public Opinion 1899–1914“
Poles, as a nation deprived of their statehood, perceived war as a useful means to regain full independence. New generations of Poles were educated in the traditions and myths of the national uprisings. A cult of national heroes, who fell on the different battlefields, as Napoleonic marshal Józef Poniatowski, during the long 19th century for the sake of independence, constituted one of the fundaments of the Polish culture. For the approaching war Polish youth could prepare in gymnastic Falcon organizations and paramilitary units, established in Austrian Poland (Galicia) after 1908.
The two, main parties, which dominated the Polish political arena in the pre-1914 period, namely the Socialist (PPS) and National Democrats (SND) accepted the violence as a means of solving political disputes. Voices of liberal intellectuals such as Jan Bloch, attempting to raise doubt regarding the benefit of a war which must be fought on Polish soil, were marginalized in a public opinion.
Abstract: Nicolas Pitsos „Pour la paix dans les Balkans : projets pour la résolution pacifique de la question d’Orient au début du XXe siècle“
Tout au long de la question d’Orient, à côté des politiques nationalistes et bellicistes, des solutions pacifiques de cet imbroglio diplomatique se profilent également. Elles se déclinent en plusieurs projets reposant sur des principes divers et variés tels que la décentralisation/autonomie avec maintien du statu quo territorial, l’internationalisation de villes où se croisent les intérêts conflictuels et les convoitises contradictoires des Etats balkaniques et des grandes puissances, ainsi que la fédéralisation. L’idée de la création d’une république fédérale dans la péninsule des Balkans, qui remonte à la fin du XVIIIe siècle, réapparaît constamment tout au long des crises qui jalonnent la question d’Orient, jusqu’au projet d’une confédération balkanique. Celui-ci est surtout exprimé au tournant du XXe siècle, par des socialistes aussi bien à l’extérieur qu’à l’intérieur des Balkans. Il est davantage élaboré et concrétisé lors des conférences qui réunissent les partis social démocrates des Balkans à Belgrade en 1910 ou à Bucarest en 1915 et dans leurs manifestes contre les conflits qui menacent et dévastent la péninsule entre 1912 et la Grande Guerre.
Abstract: Keith Grieves „A future too awful to contemplate: Old Liberals, landscape preservationism and local patriotism in England in 1917“
Liberals outside Lloyd George’s government who favoured a negotiated peace in the autumn months of 1917 concluded that England would be ruined by another year of war. They asked whether there should be limits to the mobilisation of manpower and material by the warfare state? In advance of Lord Lansdowne’s peace letter they suggested that the War Cabinet would destroy every liberal tenet for which the war was fought, including beauty, taste and history. Some Liberal activists demonstrated profound insights into the realities of ‘all out’ war by searching for the limits of mobilisation. For example, during timber extraction arguments arose for the defence of picturesque woodland. In a variegated Blighty, where place-related identity still mattered, a liberal critique of the ‘wanton prolongation of war’ crystallised during the third Ypres offensive. This affective dimension of peace through negotiation has been neglected in the historiography of the Great War. On their way to political oblivion, Old Liberals arguments for peace were sometimes were rooted in the cultural and aesthetic domains of local and national life.
Abstract: Galit Haddad „Le pacifisme iconographique : dessiner le refus de guerre en 1914–1918“
Cette communication vise à retracer la spécificité de la propagande pacifiste dès lors qu’elle choisit de s’exprimer à travers des représentations visuelles.
Une des conclusions de cette recherche est la suivante : lorsque le pacifisme s’énonce à travers des procédés visuels, la violence imaginée, la mort et l’anéantissement des corps sont soulignés avec plus de force encore que dans les écrits. La symbolique mortuaire constitue ainsi un pilier du pacifisme visuel de nombreux peintres et graveurs issus de la sphère pacifiste et antimilitariste. En outre, nombreuses sont les images de cet échantillon qui reprennent les topoï de la culture médiévale en les adaptant au contexte guerrier du moment.
A travers un échantillon de l’iconographie d’opposition à la guerre en 1914-1919, cette communication cherche à analyser les modalités graphiques censées faire « voir » ou « comprendre » la violence de guerre, et les moyens par lesquels les artistes (graveurs ou peintres) ont fabriqué des images visant à la condamner.
Le pinceau des artistes, le stylet des graveurs, le crayon des dessinateurs a-t-il mieux transmis le refus de guerre que la propagande écrite, beaucoup plus étudiée ? Par quelles modalités graphiques s’est traduite telle ou telle idéologie du refus de guerre, comme le pacifisme libertaire ou l’antimilitarisme ?
Il s’agira donc de montrer, à travers une série d’images, la férocité de la guerre telle que l’ont dessinée les pacifistes. Car il s’agissait pour eux d’obliger le spectateur à fixer le regard sur des images terrifiantes : crânes, squelettes, corps déchiquetés, cadavres déshumanisés… Autant d’images destinées à convaincre sur les conséquences de la violence de guerre, et qu’il convient d’analyser de près.
Standard zur Werner Geier-Ausstellung
(vgl.)
IFK-Vortrag von Daniel Meßner zu Identifizierung durch Biometrie, Wien 20.1.2014
Zeit: Mo, 20.1.2014, 18h
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
Abstract:
Biometrie spielte bei der Identifizierung von Individuen Ende des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle: Mithilfe körperlicher Merkmale und persönlicher Informationen, die in einem internationalen Netzwerk sicherheitsbehördlicher Institutionen ausgetauscht wurden, erstellten Polizeiexperten in erkennungsdienstlichen Registraturen und Datensammlungen Identitäten von Personen, die als verdächtig galten oder straffällig waren. Körperliche Merkmale sollten sicherstellen, dass die Informationen den jeweiligen Individuen eindeutig zugeordnet wurden und nicht mehrere Datensätze für eine Person existierten. Damit war die Vision verbunden, der Kriminalität in den stetig wachsenden Großstädten ein wirksames Mittel entgegensetzen zu können. Die Identifizierung von Individuen durch biometrische Merkmale basiert auf der Annahme, dass diese einen Menschen eindeutig und zweifelsfrei kennzeichnen und sich die Referenz zwischen Körper und Merkmal objektivierbar dokumentieren lässt. Anhand konkreter Anwendungsfälle stellt Daniel Meßner Praxisformen kriminalpolizeilicher Identifizierung vor und arbeitet das Zusammenspiel von technischen Apparaturen, Medieninhalten und institutionellen Praktiken am Beispiel des Wiener Erkennungsdienstes heraus.
http://www.ifk.ac.at/index.php/events-detail/events/175