In den letzten zwei Wochen beschäftigte uns ein breites Themenspektrum. Der Artikel einer Mutter in der “ZEIT” scheint, angesichts der ausgelösten Diskussionen, einen Nerv getroffen zu haben. Neben religions- sowie wirtschaftssoziologischen Fragen ging es um die “Müdigkeitsgesellschaft”, die Normalität von … Weiterlesen
aussichten Nr. 37 [31.08.2013]: Neue Einträge bei aussichten-online.net; Digest 01.07.2013-31.08.2013
Neustrukturierung der HIS GmbH
Interview “YouTube macht Geschichte”
Für hier evtl. auch interessant, das Interview auf “RNF Life” am letzten Dienstag. Unter dem Schlagwort ”YouTube macht Geschichte. Stadtarchiv Speyer und Social Media” fand in der Sendung ein gar nicht mal so kurzes Gespräch zum Thema statt. Der Sender hatte gut recherchiert, der Moderator ist selbst übrigens Web20-affin und Twitterer (sowie Historiker)
Aus der Sendungsankündigung: Wenn man sich so durch große Video-Plattformen wie YouTube klickt, dann findet man da neben einer Menge süßer Katzenvideos ambitionierte Kurzfilme und mehr und mehr auch speziell für die Plattform produzierte Sendungen mit eigenen Stars wie Y-Titti oder Gronkh mit seinen Let’s-Play-Videos.
In diesem zunächst einmal fast unüberschaubaren Wust sind wir dieser Tage auf historische Videos aus Speyer aufmerksam geworden.
Tatsächlich ist es so, dass das Stadtarchiv Speyer einen eigenen Video-Kanal mit Filmschnipseln aus dem Archiv aufbaut. Und nicht nur das: Das Stadtarchiv bloggt, twittert, facebookt und öffnet sich so einer breiten Öffentlichkeit.
Über den Nutzen und die Akzeptanz von Social Media für eine Institution wie das Stadtarchiv dreht sich das Gespräch zwischen Moderator Ralph Kühnl und Dr. Joachim Kemper vom Stadtarchiv in Speyer.
“Ein Weg aus dem Kulturpessimismus”. Das erste stARTcamp in Wien
Nach dem SciCamp von Wissenschaft im Dialog Anfang Juni, durfte ich nun auch am ersten österreichischen stARTcamp am 23. August in der Kunsthalle im Museumsquartier in Wien teilnehmen. Das innovative Format eines solchen, Barcamps hat sich in Deutschland bereits etabliert und auch in Österreich gab es rund 100 neugierige TeilnehmerInnen, die über verschiedenste Aspekten von Social Media sprechen wollten. Der Schwerpunkt der stARTcamps ist dabei immer der Kulturbereich. Damit ergab sich für mich eine wunderbare Ergänzung zum Thema Wissenschaftskommunikation des SciCamps. Bei beiden waren jedoch – zu meinem Bedauern – die Geistes- und Kulturwissenschaftler kaum vertreten, was den vielen interessanten und auch für diesen Bereich anwendbaren Sessions aber keinen Abbruch tat. In Wien waren die stARTcamper aus den unterschiedlichsten Bereichen der österreichischen und deutschen Kulturszene zusammengekommen und repräsentierten Museen, Theater und Festivals. Auch Journalisten, Grafikdesigner und Studenten waren dabei. Durch ihre verschiedenen Blickwinkeln und Herangehensweisen bereicherten alle TeilnehmerInnen den Tag und zeigten sich im Anschluss durchweg begeistert vom ersten österreichischen stARTcamp.Die charakteristische, namensgebende Eigenschaft einer Barcamp genannten “Unkonferenz” ist, dass sie sich gegen die gewöhnlichen Konferenzabläufe stellt: Sie hat kein festes Programm, keine vorher festgelegten Sprecher und auch nur selten ein eng begrenztes Thema. Stattdessen kann jeder Teilnehmer zu Beginn Sessions zu Themen vorschlagen, die ihm am Herzen liegen, Best-Practice-Beispiele vorstellen oder auch Probleme und offene Fragen thematisierten. Dies kann in Form eines Vortrages geschehen. Gern gesehen sind aber auch Workshops und offene Diskussionen, die häufig gänzlich neue Facetten und Ideen ans Licht bringen. Daneben ist für Kulturmacher wie Wissenschaftler und Kommunikationsexperten vor allem der Aspekt der Vernetzung und des Austausches interessant.
Bereits die Vorstellungsrunde am Morgen machte deutlich, mit welch unterschiedlichen Anliegen die Teilnehmer nach Wien gekommen waren. Jeder von ihnen sollte sich mit drei Hashtags vorstellen. Die meistgenannten waren Kreativität, Neugierde und Kommunikation – die typischen Charakteristika der Social-Media-Welt. Obwohl es für die Mehrheit der Gäste die erste Veranstaltung dieses Formats war, zeigte schon die Session-Planung, welch anspruchsvollen und vielfältigen Aspekten sich das stARTcamp an diesem Tag widmen würde. Dabei machte die Planung von jeweils drei parallelen Sessions die Auswahl nicht leicht. Umso intensiver wurde die Möglichkeit genutzt, sich in den Pausen über die Themen und Inhalte auszutauschen. Zudem dokumentierten einige fleißige Twitterer die Inhalte der Sessions. Zu finden sind ihre Gedanken unter dem Hashtag #scvie (stARTcamp Vienna) bei Twitter, facebook und Google+.
Zu den Eröffnungssessions gehörte unter anderem der Vortrag Social Impact Optimization von Frank Tentler, der sich mit den Grundlagen der professionellen Social-Media-Kommunikation und deren Organisation über Social Web Command Center beschäftigte. Dabei betonte er, dass das Social Web noch immer ein Ort der Privatsphäre und des Privaten ist, den man auch als Marketer achten muss. Die Kommunikation darf keine reine Verkaufssituation sein. Stattdessen ist es angeraten, sich auf die verschiedenen Formate und vor allem den Mobile-Markt einzustellen, die Meinungsführer für das eigene Thema zu finden und die neue schlagwortbasierte Kommunikation zu beachten. Für deren Planung ist der Impact, die direkte und beidseitige Kommunikation zentral, da es darauf ankommt, auf die Stimmen und Ideen der Gäste/Leser/Nutzer zu hören und aus diesen entsprechende Inhalte zu generieren. In diesem Sinne waren auch die Sessions zu Storytelling und Facebook-Gruppen von Daniela Unterholzner vom Institut für Kulturkonzepte Wien der bestmöglichen Nutzung von Social Media für das institutionelle Marketing gewidmet.
Einen gänzlich anderen Bereich diskutierte hingegen Wolfgang Senges von C3S, der Cultural Commons Collecting Society, die sich als eine auf Creative-Commons-Lizenzen basierende Rechteverwertungsgesellschaft als Alternative zur GEMA etablieren will und damit auch für Kultur und Wissenschaft interessante Neuerungen verspricht. Auch Wolfgang Gumpelmaier, der über die Crowd-University UnuniTV und das Thema Crowdfunding im Kulturbereich sprach, sowie der Digital Artist Alexander Mikula, der sein Wissen über agile Projekte teilte, bewegten sich mit ihren Sessions weg vom Thema Marketing hin zu nicht weniger interessanten Aspekten von Social Media für die Kultur.
Gleiches gilt für Frank Tendler und Markus Kucborski. Ihre Sessions erschienen auf den ersten Blick recht techniklastig und thematisierten neben dem Schwerpunkt Mobile Geräte und dem Facebook Wifi die Entwicklung von SmartPlaces für das Museum der Zukunft. Dieser etwas abstrakt anmutende Begriff beinhaltet die Nutzung von Location Based Services wie Foursquare auf der einen und Interaktions-Diensten wie Twitter auf der anderen Seite, um nicht nur das externe Marketing einer Kultureinrichtung durch Specials und Gamification-Aspekte zu verbessern, sondern auch die direkte Interaktion mit den Besuchern. Kostenloses (Facebook-)W-Lan ermöglicht es Einrichtungen mit Facebook Orten, die Besucherströme und -präferenzen der Nutzer zu rekonstruieren und die Gestaltung ihrer Häuser entsprechend anzupassen. Im Gegenzug werden den Gästen neben dem Internetzugang spezielle Dienstleistungen und Vergünstigungen angeboten, wenn sie die Institutionen weiterempfehlen, über sie berichten oder ihre Geschichten und Ideen mit ihnen teilen. Auch sollen nicht nur die jeweilige Institution und ihre Besucher, sondern auch die Besucher und Kultureinrichtungen untereinander vernetzt werden, um inhaltliche Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen aufzuzeigen, neue Interessen zu wecken und auf diese Weise mehr tatsächliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Dies ist ein Aspekt, den die Wissenschaftskommunikation von Forschungseinrichtungen und Universitäten bisher kaum nutzt. Gerade für Sonderveranstaltungen wie die Lange Nacht der Wissenschaft oder Tage der Offenen Tür bieten sich hier noch viele neue Möglichkeiten. Als herausragend innovatives Beispiel wurde das Kreativzentrum Dortmunder U vorgestellt. Das Erlebnis Kultur wird dort durch vielfältige Arten der Kommunikation und augmented-reality-Implementierungen gänzlich neu definiert, um den derzeit noch recht passiven Kulturkonsumenten zu mehr Aktivität anzuregen und zu einem Prosumenten zu machen, dessen Wünsche für die Ausgestaltung der Kulturangebote eine aktivere Rolle spielen.
Insgesamt zeigte das erste stARTcamp in Wien den Willen und die Kreativität der anwesenden Kulturmacher, das Potenzial von SocialMedia zu nutzen. Nicht zuletzt die Session zur Frage nach dem „next big thing after Facebook“ machte zudem deutlich, dass gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse hierfür eine zunehmend große Rolle spielen. Thematisiert wurden unter anderem die zunehmende Spezialisierung der Online-Plattformen – sei es nach Interessensgebieten, nach Foto und Chat oder nach Altersgruppen – die neuer Marketingstrategien bedarf. Auch die Aspekte Datenschutz und daran gebunden die Nutzbarkeit von Digitalisierungsprojekten – ebenfalls interessant für Geisteswissenschaftler – sowie Werbung und Monetarisierung des Internet kamen auf. Sie alle sind zentral für die Zukunft von Social Media in Kultureinrichtungen. Die kreativen Ideen von Kultur und Wissenschaft und die Realität klaffen aber vielfach noch stark auseinander. Dies zeigte sich auch an dem hohen Anspruch der Sessions des stARTcamps auf der einen und den vergleichsweise wenigen Anwesenden, die darüber auch twitterten, auf der anderen Seite. Nichtsdestotrotz erwies sich das stARTcamp Wien „als Mittel gegen Kulturpessimismus bei den Kulturmachern“, wie es eine TeilnehmerInnenin formulierte, und erfüllte damit seinen Anspruch allemal.
Einen Überblick zu allen stART-Veranstaltungen gibt es hier.
Fotos des stARTcamp Wien von Karola Rieger auf flickr.
Blogbeitrag von Frank Tentler auf Echtzeitgeist
Blogbeitrag von Therese Zalud auf mqw.at
Dieser Beitrag basiert auf meinem Nachbericht zum stARTcamp Wien für kulturmanagement.net.
Zwei neue Publikationen über Moses Hess
Volker Weiß, Mitglied des Beirates der Rosa Luxemburg Stiftung Hamburg hat für Friedrich-Ebert-Stiftung eine Broschüre über Moses Hess geschrieben: Moses Hess (1812 – 1875) : Leben, Werk und Erbe eines rheinischen Revolutionärs; Bonn, Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der Sozialen Demokratie, 2013. – 40 S. = 2,5 MB, PDF-File. – ( Reihe des Gesprächskreis Geschichte der FES, Band 99) ISBN 978-3-86498-423-5. Die Broschüre ist hier online.
Prof. Mario Keßler hat soeben “Moses Hess and Ferdinand Lassalle: Pioneers of Social Emancipation”, 2013, [= BzG – Kleine Reihe Biographien, Bd. 28], 131 S., ISBN 978-3-86464-044-5, 14,80 EUR im Berliner trafo Verlag publiziert.
Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2013/08/30/neue-broschure-uber-moses-hess/
Bern Lecture on Digital Heritage III
Dr. Gunther Reisinger zur quellenkritischen Handhabung von internetbasierten Inhalten am Beispiel netzbasierter Kunst(Re)Präsentationen
Dr. Gunther Reisinger vom Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der Technischen Universität Graz ist zu Gast bei der dritten Bern Lecture on Digital Heritage in der Hochschule der Künste Bern. Er wird über terminologische Differenzierungen zwischen Netzkunstwerk, Abbild und Quelle sprechen und aus der praxisbezogenen Annäherung an medienimmanente Unterschiede derselben die Frage ableiten, wie mit netzbasierter Kunst als Quelle umgegangen werden kann. Grundlegende Paradigmen und Möglichkeiten der werkbezogenen Kontextualisierung netzbasierter Kunst und ihrer zugehörigen Quellen werden im werkeigenen Medium (dem Internet) aufgezeigt.
Titel: Werk, Abbild oder Quelle? Zur Differenzierung netzbasierter Kunst(Re)Präsentationen
Datum: Fr. 13.09.2013 um 17:30 Uhr
Ort: Hochschule der Künste Bern, grossen Aula (Fellerstrasse 11, CH – 3027 Bern; Haltestelle: Bümplitz Nord)
Sprache: Deutsch
Eintritt: frei
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Jubiläumsjahres 10 Jahre HKB statt und ist dem MAS PDACH assoziiert.
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2185
Call4Papers: “TOP TEN – Zur Praxis des Bewertens, Sortierens und Ausschließens in Kultur und Bildung” (bis 15.09.13)
„Die zehn besten Sachbücher, Ausbildungsberufe, Universitäten …“ – so ist es täglich den medialen Berichterstattungen zu entnehmen. Ranglisten sind längst kein exklusives Phänomen der (populären) Musikindustrie mehr; sie haben Konjunktur in vielfältigen Bereichen der Gesellschaft, deren kulturelle (Bildungs-)Landschaft immer komplexer … Weiterlesen
Neues Hausnummernsystem für Südkorea tritt demnächst in Kraft
In Korea galt vom 14. Jahrhundert an bis zur Kolonialisierung durch Japan 1910 ein eigenes Adresssystem. Fünf Häuser fasste man zur kleinsten Einheit zusammen, die «Tong» genannt wurde, und jedes Haus hatte eine Hausnummer. Eine Adresse bestand somit im Falle der Hauptstadt aus dem Namen der Stadt, des Stadtbezirks, des Viertels und der Nummer von Tong und Haus. Am Schluss stand der Name des Empfängers.
Die japanische Kolonialmacht führte dann 1918 ein vorwiegend der Steuereintreibung dienendes System ein, das am Grundeigentum orientiert war und als System der Nummerierung des Bodens bezeichnet wurde. Es enthielt die Namen von Provinzen, Städten und Stadtvierteln, aber eben keine Strassennamen. Seelmanns Darstellung des japanischen Systems lautet wie folgt:
An deren [der Straßennamen, AT] Stelle tritt eine Nummer, die wie folgt zustande kommt: Ein Stadtteil wird in eine bestimmte Anzahl von Parzellen eingeteilt, die je eine Nummer bekommen. Jeder Eigentümer einer Parzelle wiederum erhält je nach der Reihenfolge der Eintragung ins Grundbuch eine Nummer zugeteilt, die zum Bestandteil der Adresse wird. Wenn beispielsweise die Parzelle Nr. 1 eines Viertels 10 verschiedene Eigentümer hat, bekommen diese die Nummern 1 1, 1 2, 1 3, usw. Wird jedoch das Grundstück 1 1 in zwei Teile geteilt, werden daraus 1 1 und 1 11. Ist ein Grundstück gross und fand die Aufteilung wiederholt statt, kann es vorkommen, dass 1 1 und 1 100 nebeneinander stehen. Das Problem dieses Systems: Mit der Verstädterung wurden die Grenzen der alten Parzelleneinteilung (...) bis zur Unkenntlichkeit verwischt. So entstand ein Labyrinth von Zahlen, in dem sich ausser Briefträgern kaum noch jemand auskannte.
Vorlagen als Kategorie der Systematischen Aktenkunde
Im neuesten Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte hat Stephan Lehnstaedt einen lesenswerten Artikel zu den 2002 beschlossenen Ghettorenten veröffentlicht. Seine Hauptquellen sind Unterlagen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem vergangenen Jahrzehnt, die er auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes einsehen konnte. Der Umgang mit diesen Quellen in den Fußnoten ist handwerklich sauber, weist aber auf eine Fehlstelle in der zeithistorischen Aktenkunde hin: Die Klassierung des behördeninternen Schriftverkehrs.
Worum geht es dabei? Adressierte Schreiben zwischen Korrespondenten, die nicht derselben Organisation angehören, werden üblicherweise in der Form “X an Y, Datum” im Anschluss an die Archivsignatur zitiert; so auch hier. Daneben greift Lehnstaedt aber häufig auf Schriftstücke zurück, die ihm formal als deutlich anderer Typ auffielen und die er (offensichtlich behelfsweise) als Interne Schreiben anspricht, z. B. “Internes Schreiben des BMAS an den Minister, 9.4.2009″ (Anm. 93, willkürlich herausgegriffen). Das lässt schon in verwaltungskundlicher Sicht stutzen: Eine Behörde schreibt an ihren Chef?
Ein Ministerialbeamter hat sofort ein klares Bild von diesem Schriftstücktyp vor Augen, den er als “Vorlage” kennt. Vorlagen sind die Hauptinstrumente der formalisierten Kommunikation zwischen der Arbeits- und der Leitungsebene eines Ministeriums. Sie dienen der Entscheidung oder der Unterrichtung, was in der Regel deutlich vermerkt wird, und sind in ersterem Fall mit einem Votum verbunden (vgl. aus Sicht des Praktikers Beuth 2005: 123).
Sie tragen eine Geschäftsgangsverfügung, die alle zu durchlaufenden Hierarchiestufen bis zum Staatssekretär oder gar Minister aufführt. Jeder dieser Beamten hat die Möglichkeiten, mit dem ihm zugewiesenen Farbstift zu kommentieren, zu streichen oder zu ergänzen – und das sowohl auf dem Weg nach “oben”, zur Beeinflussung der anstehenden Entscheidung, als auch auf dem Rückweg nach “unten”, zur Interpretation und Ausgestaltung der getroffenen Entscheidung. Der knappe Platz bedingt dabei verknappte Äußerungen, die in einem hoch formalisierten Verfahren entstehen und verarbeitet werden. Die Vorlage ist ein recht komplexes Instrument.
Heutige Vorlagen kommen den im Briefstil gehaltenen Behördenschreiben in der Tat recht nahe, seit nämlich die Geschäftsgangsverfügung vom Ende des Kontexts in den Kopf des Schriftstücks gerückt ist, also an die Stelle einer Adresse. Im Auswärtigen Amt geschah dieser Wandel um 1970. Dadurch wird der formengeschichtliche Ursprung der Vorlage verdeckt: der Aktenvermerk. In älteren Vorlagen wird dies deutlicher, schon allein durch die Selbstbezeichnung als “Aufzeichnung”. Hier ein Beispiel der 1950er-Jahre aus dem Auswärtigen Amt (PA AA, B 51-400-405, Bd. 52):
Es handelt sich um eine Vorlage des stellvertretenden Leiters der Wirtschaftsabteilung, Junker, an Bundesaußenminister v. Brentano, auf dem Weg nach “oben” mit Rotstift abgezeichnet (und damit gebilligt) von Staatssekretär Hallstein. Das Votum (Billigung des beigefügten Antwortentwurfs) ist nicht explizit formuliert. Brentanos Billigung wird von der grünen Verfügung “Abschrift an Bu[ndes]wi[rtschafts]mi[nisterium] ebenfalls nur impliziert.
Der Aktenvermerk wird generell zu den immobilen Aufzeichnungen gezählt, die nicht zum Versand an einen Empfänger gedacht sind, sondern zum Festhalten von Wissen zum späteren Gebrauch der aktenführenden Stelle (vgl. Papritz 1959: 340). Nun war es schon in der 19. Jahrhundert üblich, solche Aufzeichnungen mit einem Votum zu versehen und höheren Orts zu vorzulegen. Sie deshalb aber mit Meisner (1969: 198) “besser zu den Berichten (Verkehrsschriftstücken)” zu rechnen, berücksichtigt zum einen nicht genügend die formalen Eigentümlichkeiten des Aktenvermerks, insbesondere die Ersetzung der Adresse durch einen Geschäftsgangsvermerk, der mitunter sogar in den Kontext integriert ist. Zum anderen verwischt die Einordnung in das bekannte Schema von Erlass und Bericht die Urschriftlichkeit als Grundcharakteristikum der Behördenarbeit mit Vorlagen: Auf eine Vorlage folgt eben kein Erlass im Sinne eines separaten oder auch nur aufgesetzten, jedenfalls eigenständigen Schreiben, sondern verschiedene Stellen arbeiten (unter Wahrung der Hierarchie: kollaborativ) an demselben Dokument.
Für die Quellenkritik hat das natürlich weit reichende Konsequenzen. Die präzise Benennung in der Zitation weist nach, dass der Autor den Typ seiner Quelle richtig erkannt hat. Nur kann man für den Bereich der Zeitgeschichte Historikern keinen Vorwurf machen, wenn die Aktenkunde selbst die Besonderheiten des Aktenwesen des 20. und 21. Jahrhunderts bislang nicht wirklich durchdrungen hat.
Literatur:
Beuth, Heinrich W. (2005), Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.
Meisner, Heinrich Otto (1969), Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig.
Papritz, Johannes (1959), Die Motive der Entstehung archivischen Schriftgutes, in: Mélanges offerts par ses confrères étrangers à Charles Braibant, Brüssel, S. 337–448.