Poeten, Patrone und Patrioten. Preußens Landwehr in adelsgeschichtlicher Perspektive

Allerlei Gestalten, groß und klein, pummelig dick bis hungersdünn, mit Zylinder und Samtweste vielleicht ein oder zwei, mit Mütz und Litewka keiner dabei, zerlumpt, barfüßig, darbend kommen so viel mehr, manch einer auch von weiter her. Zwischen 32 und 39 Jahre sind sie alt, Greise bald. Sind vom 2. Landwehr-Aufgebot, im Kriege blieben viele tot. Des Sonntags auf dem großen Acker, in Reih und Glied, angetreten zum Appell. Sie halten sich recht wacker, keiner der’s verriet, doch durchgezählt ist schnell: Frings, Hansen, Schmitz, Hausmann, Esser, Fritz – werden rasch eingetragen, auf das es Ihnen bald gehe an den Kragen, in die Liste säumiger Wehrmänner. Ausgewandert? Nach Virginien letzten Jänner? Krank? Verletzt? Ohne bürgermeisterliches Attest? So werden sie, gleich jetzt, zum Fall für die Gendarmerie. Rechtsschwenk Marsch! Zum Exerzieren ohne Gewehr! Dann Monturpflege, Zeughausdienst – der Leutnant befahl noch manches mehr. Dass einer dabei fror, kam selten vor. Der Dycker Fürst war ihr Major! Einen Gnadenthaler denn auch bekam, wer sich gut benahm.

Die Zeit der Romantik sah viele Dichter in Uniform. Auch die preußische Landwehr wich nicht ab von dieser ‘Norm’. Im Gegensatz zu obigen Zeilen (die mit etwas Glück einen wohlwollenden Schmunzler evozieren mögen) ist ihre Lyrik voll Ästhetik, Esprit, oft tiefer Melancholie. Jene hingegen spiegeln schlicht einige rein subjektive Eindrücke, die der Leser der überaus umfangreichen Appell- und Manöverberichte, Stärkelisten, Tagesbefehle, Bataillonsrapporte und Offizierskorrespondenzen im Dycker Archiv, Niederschlag einer über drei Jahrzehnte währenden aktiven Dienstzeit Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck als Offizier der preußischen Landwehr, gewinnen mag. Poeten, Melancholiker, die gab es auch in seinem Bataillon. Und damit ist nicht allein sein Adjutant Leutnant Althoff gemeint, der – es heißt verbotener Liebe trunken – sich anno 1820 mit seines fürstlichen Kommandanten Stieftochter im Tode vereinte. Als völlig ungefährlich, wenn auch kaum weniger anhänglich, erwiesen sich demgegenüber solche Landwehroffiziere, die der Dichtkunst seiner Gattin Constance de Salm huldigten, sie verehrten… .

Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck war im Jahre 1817 freiwillig in die Landwehr eingetreten – man mag sie grob ein auf Grundlage der Allgemeinen Wehrpflicht während der Befreiungskriege errichtetes, lokal organisiertes ‘Reserveheer’ des neupreußischen Staates nennen. Warum er dies (noch im fortgeschrittenen Alter) tat, wie es ihm gelang, trotz fehlender militärischer Ausbildung und Erfahrung, auch in dieser ‘Arena’ zu bestehen, welche Früchte ihm sein langjähriges und zeitraubendes Engagement einbrachte, und nicht zuletzt, was sich der Hohenzollernstaat von seiner Einbindung erhoffte, dies sind Fragen, denen ein einschlägiger Beitrag innerhalb der multiperspektivischen Netzbiographie zu seiner Person nachgeht. Hier hingegen soll für das äußerst breite Erkenntnisspektrum sensibilisiert werden, welches die Nachlässe adliger Landwehroffiziere aus Restauration und Vormärz bieten, die wenigstens im Rheinland im Übrigen zahlreicher sind, als es das Forschungspostulat eines “bürgerlichen Offizierskorps der Landwehr” (Rolf-Dieter Müller) suggeriert. Fürst Joseph ist auch hier nur einer von etlichen, doch er gibt uns wieder einmal  die volle “Messlatte” an die Hand.

Ganz im Sinne einer Adelsgeschichte als ‘Sonde’ zur Ausleuchtung wesentlich breiterer Themenbereiche, lässt sich auf dieser Grundlage noch viel weiter fragen. Zum Beispiel nach Patronage- oder Kreditnetzwerken. Mancher Pächter, Schuldner und Angestellte Fürst Josephs sah in ihm zugleich den lokalen Landwehrkommandeur, mancher Subalternoffizier einen reichen Gönner und Gläubiger. Welche adligen Netzwerke verliefen entlang der lokal bis regional gestrickten Landwehrstrukturen? Dieser war zugleich ein gemeinsamer Erfahrungsraum von Hunderttausenden preußischer Untertanen in national-patriotisch bewegten Zeiten. Konnte die Landwehr im entfeudalisierten Rheinland einen ‘Ersatz’ für verlorene Selbsterfahrungsmöglichkeiten als lokaler Herrschaftsträger bieten? Adel in der Landwehr – ein Bollwerk vor dem Thron? Wie konsequent setzten adlige Landwehroffiziere, hier gar ein ‘liberaler’ Regionalpolitiker, die staatlichen Zivilbehörden (Gensdarmerie, Bürgermeisterei, Landratsamt) zur Verfolgung pflichtvergessener Wehrmänner – und damit auch eigener Interesen – ein. Andersherum eröffnen die Überlieferungen der Adelsarchive einmalige Perspektiven auf die (Un-)Beliebtheit des unbesoldeten, tief in die noch weitgehend ländlichen Strukturen einschneidenden Landwehrdienstes. Landarmut und Auswanderung, Religiosität und Brauchtum scheinen als Ursachen für die oft apostrophierte und von ihren Gegnern im Militärapparat viel bemühte ‘Unzuverlässigkeit’ der Landwehr auch und gerade im Rheinland weit schwerer gewogen zu haben als ‘Vaterlandsvergessenheit’ oder demokratisch-liberale Politisierung. Es gäbe dazu noch so viel zu sagen, und zu forschen… Abtreten! Im Archiv melden! Weitermachen!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/215

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Die ausgewürfelte Einquartierung

Seit einigen Wochen ist erkennbar, daß im Blog “1628 Wertheim” die Hexenverfolgungen in eine entscheidende Phase treten: Im aktuellen blogpost wird erneut von Hinrichtungen berichtet. Gleichzeitig – und gerade wegen dieser nachgezeichneten Synchronität der Ereignisse schätze ich diesen Blog so sehr – passieren auch andere, teils banale, teils aufsehenerregende und einschneidende Dinge: so etwa der Weindurst des Kurfürsten von Mainz auf der einen, aber eben auch Einquartierungsfragen auf der anderen Seite. Bei letzteren klinke ich mich ein.

Nun gehören Einquartierungen zu den Alltäglichkeiten des Dreißigjährigen Kriegs; im dk-blog haben wir schon mehrfach diese Thematik berührt. Ein wichtiger Aspekt dabei war stets die Frage, wie eine solche Einquartierung organisiert wird: wo und bei wem werden wie viele Soldaten zu welchen Konditionen untergebracht? Zur Frage, wie das konkrete Quartier ausgewählt wird, bietet Wertheim ein sehr auffälliges Beispiel: Denn Anfang Mai 1629 haben sich, als es darum ging, 30 Reiter des Regiments Schönberg unterzubringen, betroffene Adlige (also offenbar Grundherren) darauf geeinigt, den Ort, der die Söldner aufnehmen sollte, durch das Zufallsprinzip zu bestimmen. Sie spielten darum, und am Ende traf es Allersheim.

Nun handelte es sich bei einem Losentscheid (und ein Spiel wird man darunter rechnen können) um eine Form der Entscheidungsfindung, die völlig unabhängig von ständischen Hierarchien und Abhängigkeiten funktionierte. Das mag auch die adligen Herren bewogen haben, auf dieses Verfahren zurückzugreifen. Dabei nahmen sie allerdings eine Entscheidung in Kauf, die unter Sachgesichtspunkten schlecht war. Im Fall Allersheim bedeutete dies, daß dieser Ort Söldner aufnehmen mußte, obwohl er bereits Einquartierungen zu ertragen hatte. Also einfach nur Pech für Allersheim?

Die Militärorganisation hatte zu dieser Zeit längst Strukturen ausgebildet, die solche Fehlentscheidungen zu verhindern suchten. In Gestalt der Kriegskommissare gab es zuständige Beamte, die auch für Einquartierungen zuständig waren und mit den Behörden vor Ort eine wenn möglich allseits akzeptable Lösung auszuloten suchten. Auch auf Seiten der betroffenen Landschaften gab es oft schon Kommissare, die die Belange der Region vertraten. Daß allein die Einrichtung solcher Kommissariate Härten bei der Quartiervergabe nicht ausschließen konnte, kann man sich leicht vorstellen. Wichtig bleibt jedoch, daß es beiderseits das Bemühen gab, eine nach Möglichkeit konsensuale Entscheidung herbeizuführen. Eine Quartierzuweisung durch Losentscheid oder durchs Spielglück konterkarierte nun genau diese Ansätze zur Kooperation zwischen Landes- und Militärbehörden. Insofern stellt das Beispiel Wertheim / Allersheim im Mai 1629 durchaus einen Sonderfall dar.

Allersheim hat sich übrigens mit dieser Entscheidung nicht abfinden wollen – gut verständlich, denn hier ging es um Überlebensfragen. Ob man bei den Adligen noch einmal rückgefragt und um eine Modifizierung der Entscheidung gebeten hat, ist nicht ersichtlich. Aber beim Fürstbischof von Würzburg hat man in dieser Sache suppliziert. Das war kein Zufall, denn Otto Friedrich von Schönberg, der Oberst des betreffenden ligistischen Kavallerieregiments, war gleichzeitig auch würzburgischer Geheimer Rat. Die Allersheimer richteten ihre Bitte also nicht an ihre eigene Herrschaft, sondern an die Obrigkeit des Obersten selbst – sicher kein ungeschickter Schachzug. Ob sie damit Erfolg hatten, läßt sich derzeit nicht nachvollziehen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/275

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Deutschland als möglicher Host für ERICs

Wie die Europäische Kommission auf ihrer Homepage vermeldet, kann Deutschland seit Ende Juni 2013 ERICs beantragen und hosten. Nötig waren dafür einige Anpassungen des deutschen Rechts.

Quelle: http://ec.europa.eu/research/infrastructures/index_en.cfm#

Bei einem ERIC (kurz für European Research Infrastructure Consortium) handelt es sich um eine Rechtsform, die dezidiert für die Projekte des European Strategy Forum on Research Infrastructures (ESFRI) entworfen worden ist.

Nähere Informationen gibt es auf der Seite der Europäischen Kommission zu Forschungsinfrastrukturen: http://ec.europa.eu/research/infrastructures/index_en.cfm?pg=eric

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2085

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Die AG “Digitale Geschichtswissenschaft” im Web 2.0

AG_digigwDie letztes Jahr im September auf dem Historikertag gegründete Arbeitsgemeinschaft für “Digitale Geschichtswissenschaft” im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. wird am 3.9.2013 im Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig ihre Eröffnungstagung bestreiten[1]. Die Tagung, zu der man sich noch bis 15. August anmelden kann, steht unter dem Thema “Die digitale Herausforderung an die Geschichte. Forschungsinfrastrukturen und Geschichtswissenschaft”.

Nach einem Auftaktreferat von Prof. Dr. Martin Schulze Wessel (Vorsitzender des Historikerverbands) und der Vorstellung der AG durch Prof. Dr. Simone Lässig (Sprecherin der AG) diskutieren auf dem Podium unter der Leitung von Dr. Annette Schuhmann (ZZF): Dr. Helge Kahler (BMBF), N.N. (DFG), Dr. Stefan Lange (Wissenschaftsrat), Prof. Dr. Charlotte Schubert (Historikerverband/AG DGW) und Prof. Dr. Norbert Lossau (Universität Göttingen). Der Hashtag für die Tagung lautet #digiw2013.

@digigw bei Twitter und Mendeley

Auch im Web 2.0 ist die AG – wie von der Community lange erwartet – vor kurzem aktiv geworden: Bei Twitter hat der Account @digigw Anfang Juli einen fulminanten Start hingelegt und hat derzeit 192 Follower. Es wurde eine Liste Digitales Geschichtsnetz (Digitale Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum: Institutionen, Projekte, Stiftungen usw.) angelegt, die man abonnieren kann. Interessierte, die in die Liste aufgenommen werden wollen, können sich über Twitter melden. Bei Mendeley wurde eine Gruppe “Digital History” gegründet, die derzeit 26 Mitglieder hat.

Nun ist es mit der Wahl der Sozialen Netze ja immer so eine Sache und die persönlichen Vorlieben gehen oftmals auseinander. Über Twitter kam folglich mit Hinblick auf die Elsevier-Zugehörigkeit von Mendeley der Kommentar “Good group, but why is it on Mendeley?” Als Alternativen wurden Zotero mit Hinblick auf die bibliographischen Dienste und CiteULike mit Hinblick auf die Gruppenfunktionen genannt. Als Vorbild für den gelungenen Einsatz von Zotero könnte die Zoterogruppe zur Ordensgeschichte dienen.

Die Stärken des Web 2.0 nutzen

Die bisherige Zurückhaltung in Sachen Blogs und Soziale Medien dürfte mit zwei Punkten zusammen hängen: Zum einen gibt es wenige Neuigkeiten und Informationen aus der AG selbst, da sie keine eigenen Projekte hat und derzeit nur jährlich eine Tagung neben der zweijährlichen Mitgliederversammlung beim Historikertag plant. Auch die Arbeitsweise der Untergruppen muss sich wohl erst noch einspielen. Zum anderen gibt es keine personellen und finanziellen Ressourcen, die ein zentral gesteuertes Community Management für Web 2.0-Angebote übernehmen könnte.

Dies alles ist zwar nachvollziehbar, doch werden dabei die eigentlichen Stärken des Web 2.0 sowie der Fokus auf andere Inhalte übersehen: Die Community könnte die Web 2.0-Angebote der AG selbst verwalten und bespielen. Beispielsweise wäre es denkbar, den Twitter-Account – in Anlehnung an “I am Germany” – monatlich einem AG-Mitglied hauptverantwortlich zu übertragen. Daraus ergäbe sich mit Sicherheit eine interessante Dynamik.

Bei der Einrichtung einer Facebook-Gruppe braucht es – ähnlich wie bei den Gruppenbibliographien -  keine Zentrale. Einmal eingerichtet kann dort jede/r für die Gruppe interessante Neuigkeiten direkt posten. Damit läge der Schwerpunkt nicht auf den Neuigkeiten aus der AG selbst, sondern auf den Neuigkeiten aus dem Bereich “digitale Geschichtswissenschaft” allgemein. Und das wäre ja nicht das Schlechteste. Sinnvoll wäre wohl allerdings, jetzt nicht einfach kumulativ ein soziales Netz nach dem anderen zu bedienen, sondern sich vorab grundsätzliche Gedanken zu machen. Vielleicht gibt es dazu ja Anregungen aus der Community?

  1. Zum Programm der Tagung (PDF) http://www.historikerverband.de/fileadmin/_vhd/Arbeitsgemeinschaften/ag-digitale-gw/Dokumente/Tagungsprogramm_AG_DGW_2013_09_03.pdf

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1960

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Verteilungskampf oder Solidarität? Generationengerechtigkeit im Zeichen des demografischen Wandels

Der Finanzierungsdruck, unter dem die sozialen Sicherungssysteme ohnehin stehen, verschärft sich stetig durch den demografischen Faktor. Immer weniger junge Menschen müssen für die Versorgung einer steigenden Zahl von Menschen in der nachberuflichen Lebensphase aufkommen. Der schwierige Einstieg in eine immer anspruchsvollere Arbeitswelt und die große Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse kommen erschwerend hinzu. Doch auch die Älteren sehen sich verstärkt mit Problemen und Sorgen konfrontiert. Immer mehr ältere Menschen können von ihrer Rente kaum noch leben. Altersarmut wird für immer mehr Menschen zur Realität. Der Generationenvertrag der traditionellen Prägung gilt heutzutage nicht mehr als Selbstverständlichkeit. Am 23. Oktober 2013 diskutieren dazu Wissenschaftler und Experten bei Geisteswissenschaft im Dialog in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Kann eine Beziehung zwischen Generationen überhaupt gerecht sein bzw. welcher Gerechtigkeitsbegriff liegt dem zugrunde? Wie hat sich unser Verständnis von Generationengerechtigkeit entwickelt? Leben die heutigen Generationen wirklich auf Kosten der zukünftigen? Was ist zu tun, um einen Interessensausgleich zu vermitteln und die Solidarität zwischen den Generationen zu stärken? Und was können Arbeits-, Pflege- und Familienpolitik zu einer Verbesserung beitragen? Brauchen wir eine andere Sozialpolitik? Was können wir aus früheren demografischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen lernen?

Zu einer Diskussion dieser und weiterer Fragen im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2013 – Die demografische Chance laden wir Sie herzlich in den Plenarsaal der Bayerische Akademie der Wissenschaften in München ein.

Es diskutieren mit Ihnen:

Prof. Dr. Christoph Butterwegge
Universität zu Köln
Zur Person / Statement

Prof. Dr. Dieter Frey
Ludwig-Maximilian-Universität in München
Zur Person / Statement

Dr. Christina Lubinski
Deutsches Historisches Institut in Washington (USA)
Zur Person / Statement

Dr. Bettina Munimus
Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, Stuttgart
Zur Person / Statement

Moderation:
Niels Beintker, Bayerischer Rundfunk
Zur Person

Veranstaltungsort:
Bayerische Akademie der Wissenschaften
Plenarsaal, 1. Stock
Alfons-Goppel-Str. 11
80539 München

Bitte melden Sie sich bis zum 21. Oktober an.
Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr.

Hier der Programmflyer zum Download

Bild: ©Shutterstock.com/ollyy

Quelle: http://gid.hypotheses.org/846

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Immer wieder, immer wieder: Torlinientechnologie!!!

Kaum ist im Fußball wieder einmal ein Tor geschossen worden, das aber nicht gewertet wurde (Bundesliga, 1.Spieltag, TSG Hoffenheim, K. Volland, siehe u.a. focus.de) kommt der Schrei nach dem Einsatz von Torlinientechnologie erneut auf.

tor volland

Dass die benachteiligte TSG Hoffenheim mit der Entscheidung unglücklich ist mag nicht verwundern. Doch wie es scheint sind sehr viele andere Akteure ebenfalls für den sofortigen Einsatz von Torlinientechnologie. Auf faz.net wird z.B. der beteiligte Schiedsrichter zitiert:

Schiedsrichter Kinhöfer gab die Unnahbarkeit auf, die seine Zunft so oft umweht, und forderte technische Hilfe an: „Wir Schiedsrichter würden es begrüßen, wenn diese Geschichte uns abgenommen wird. Aber das ist halt nicht so. Dementsprechend müssen wir die Entscheidung treffen – und die war heute leider falsch“, sagte Kinhöfer.

Die Einzigen, die sich dem Heilsbringer Torlinientechnologie (wobei hier anzumerken ist, dass unterschiedliche Versionen herumschwirren, was genau für eine Art von Torlinientechnologie eingesetzt werden soll; von Torkameras bis Chip im Ball) widersetzen zu scheinen sind die Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga (DFL). Auf sportal.de wird Andreas Rettig, der Geschäftsführer der DFL zitiert:

“Dass die Entscheidung in Hoffenheim die Diskussion über die Torlinien-Technologie neu entfacht, ist verständlich. Derzeit gibt es nach unserer Einschätzung jedoch noch kein perfekt ausgereiftes System, welches diese tiefgreifende und möglicherweise dann endgültige Entscheidung einer sofortigen Einführung rechtfertigt. So lässt die FIFA derzeit noch eine Fehlertoleranzgrenze von drei Zentimetern zu”, sagte Rettig.

In Bezug auf meinen Beitrag zum Thema Torlinientechnologie im Februar unterstütze ich diese kritische, abwartende und beobachtende Haltung der DFL. Denn im Gegensatz zu der weit verbreiteten “technological fix” Meinung, dass Torlinientechnologie die endgültige und einzig wahre Lösung des Problems ist, ist das Problem zum jetzigen Zeitpunkt noch lange nicht gelöst. Auch Torlinientechnologie, die selbstständig entscheidet, kann Fehler machen. Dies sollte man sich insbesondere auch dann vor Augen führen, wenn es tatsächlich einmal zu einer Einführung kommen sollte: Denn die Entscheidung einer visuellen Torlinientechnologie basiert wie auch der menschliche (Schiedsrichter-) Blick ebenso auf einer gesellschaftlich situierten, subjektiven und partikularen Sichtweise. Die Entscheidung einer Torlinientechnologie ist deshalb nicht zwangsläufig besser. Im Gegenteil könnte es sogar zu einem Gefühl von “falscher Transparenz” (vgl. Collins & Evans 2012: 907)1 kommen: D.h. duch den Einsatz der Technologie denkt man, dass es jetzt gerechter zugeht (weil alle Situationen richtig erkannt werden würden), obwohl auch die Technologie Fehler machen kann, das aber in der öffentlichen Wahrnehmung nicht verankert ist.

Ich würde es wegen der bereits vorhandenen Fernsehkameras in den oberen Ligen deshalb nach wie vor für sinnvoll halten (auch um dem endlosen Schrei nach Torlinientechnologie entgegenzukommen), die Einführung eines einfachen Video Reviews zu überlegen: Falls es zu einer strittigen Torlinienszene kommt (wie oft passiert das tatsächlich in Relation zu den absolut gespielten Minuten?2 ) kann das dreiköpfige Schiedsrichterteam unter dem Vorsitz des sog. vierten Offiziellen ein-zwei- oder dreimalig pro Spiel eine Unterbrechung des Spiels vornehmen und sich die Szene auf den zur Verfügung stehenden Fernsehbildern anschauen. Die einfache Mehrheit der drei vor-Ort Begutachtungen entscheidet. So wäre gewährleistet, dass die Schiedsrichter auf genau der selben Basis entscheiden können, wie das milionenfache, diskutierende Fernsehpublikum. Die Entscheidung wäre für jeden nachvollziehbar und gerecht. Wenn man die letzten strittigen Szenen (Volland Tor, Lampard Tor WM 2010) als Beispiel nimmt, waren sich bei der Betrachtung der TV Bilder im Nachhinein ja auch alle einig, dass es sich um reguläre Tore gehandelt hat.

Ein Problem bleibt natürlich bei allen Arten von Entscheidungstechnologien im Fußball bestehen: Wie kann die Integrität des Fußballs bis hin zur untersten Spielklasse gewährleistet werden? Wie kann man argumentieren, dass zwar in den oberen Klassen Technologien wie der Video Review eingesetzt werden, wenn sich die unteren Klassen einen solchen Einsatz nicht leisten können? Das Argument, dass es in den oberen Klassen um viel Geld geht lasse ich dabei aber nicht zählen.

  1. Collins, Harry & Evans, Robert (2012): Sport-decision aids and the ”CSI-effect”: Why cricket uses Hawk-Eye well and tennis uses it badly. Public Understanding of Science 2012, 21, 904-921.
  2. Bei einem normalen Bundesligaspieltag werden bei neun Spielen z.B. schon insgesamt mehr als 810 Minuten gespielt.

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=5536

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Broumovské nástěnné malby od středověku do baroka/Braunauer Deckenmalereien vom Mittelalter zum Barock

Der Braunauer Kulturverband Omnium veranstaltet vom 22. bis zum 23. August 2013 in Braunau ein öffentliches Seminar zum Thema „Braunauer Deckenmalereien vom Mittelalter bis zum Barock“. Das Seminar stellt die Ergebnisse der Restaurierung und der kunsthistorischen Erforschung des mittelalterlichen Freskos des Jüngsten Gerichts, das sich im Untergeschoß des Pfarrhauses in Braunau befindet, sowie der barocken Ausmalung der Pfarrkirche in Martinkovice des bayerischen Malers Felix Anton Scheffler (1701-1760) dar. Das Seminar ist ein Teil der Initiative des Verbandes Omnium „Für das Leben der Braunauer Kirchen“, der zusammen mit wissenschaftlichen Institutionen (wie z. B. dem Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und dem Nationalen Amt für Denkmalpflege) die Erforschung, Sanierung sowie kulturelle Rehabilitation der Gruppe der barocken Kirchen im Braunauer Land fordert. Sie stellen ein einzigartiges Ensemble der Baudenkmäler, die mit der Wirkung der Benediktiner im Kloster Braunau zusammenhängen und einen bedeutenden Teil des europäischen Kulturerbes darstellen.

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5209

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Berufsbezeichnung „Ingenieur”: Bescheinigung auf Vorstoß der Hochschule Ost-Westfalen-Lippe an allen NRW-Hochschulen

http://idw-online.de/pages/de/news546989 Der deutsche „Ingenieur“ hat weltweit einen guten Ruf. Mit der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen und der Abschaffung des Abschlussgrades „Diplom-Ingenieurin/Ingenieur“ wurde die automatische Berufsbezeichnung durch den Studienabschluss jedoch hinfällig. Bereits vor einem Jahr hatte der Senat der Hochschule OWL daher eine Ordnung beschlossen, die eine Bescheinigung der Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ für Absolventinnen und Absolventen […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/08/4646/

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Köln: “Le[ ]re als Denkmal”. Führungen und Aktionen zum “Tag des offenen Denkmals” am 8. September

Der diesjährige Tag des offenen Denkmals steht unter dem Motto “Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?” Eines der unbequemsten Denkmale in Köln ist der Ort des Historischen Archivs in der Severinstraße. Hier wirkt allein der Raum, der nach dem Einsturz und der folgenden Räumung des Archivgutes als riesiger Krater zurückbleibt: Leere als Denkmal, oder hintersinniger:

Le[ ]re als Denkmal

Die Initiative ArchivKomplex ist am “Tag des offenen Denkmals” (8. September 2013) von 11 bis 17 Uhr am Ort des Geschehens präsent. In drei Führungen (11.30, 13.30 und 15.30 Uhr) gehen Mitglieder der Initiative erläuternd auf die Ereignisse ein. Es findet eine künstlerische Aktion zum Thema statt, an der das Publikum sich beteiligen kann. Um 13.58 Uhr, zur Zeit des Einsturzes, wird ein “Denkmal des unbekannten Bauarbeiters” enthüllt.

Wir laden Sie ein, am Sonntag, 8. September, zwischen 11 und 17 Uhr zum Treffpunkt vor dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (Severinstraße 241, 50676 Köln) zu kommen und teilzunehmen!

Damit setzt die Initiative ArchivKomplex die Serie von temporären Aktionen und Interventionen fort, um die Auswirkungen der Katastrophe vom 3. März 2009 auf die Stadt-Gesellschaft in Erinnerung zu halten – als “Denkmal im Prozess”. Dass das nötig ist, zeigt die Entscheidung der Stadtratsmehrheit vom 18. Juli, den Archiv-Neubau zu verkleinern: In der städtischen Politik lässt die Sensibilität für die Ereignisse offensichtlich bereits nach.

Dabei gibt es noch immer keine Antwort auf die Fragen: Wie konnte der Einsturz passieren? Wer trägt die Verantwortung? Der Bau des Erkundungsschachtes hat sich mehrfach verzögert, die Ermittlungen ziehen sich hin, der Rechtsstreit hat noch nicht einmal begonnen … So bleibt das Loch das nachdrückliche Denkmal menschlichen Versagens, das Tote, viele Traumatisierte, den Verlust von Gebäuden und einen immensen Schaden an unersetzlichen Kulturgütern hinterließ.

ArchivKomplex hat sich seit seiner Gründung Ende 2011 immer wieder zu Themen, die mit dem Einsturz zusammenhängen, geäußert, zum Beispiel in:

  • einer Erklärung zum Neubau des Stadtarchivs und zur Zukunft der Kunst- und Museumsbibliothek (23. Mai 2013),
  • einer Erklärung zum Planungsstopp für den Neubau des Stadtarchivs (12. April 2013),
  • einer Diskussionsveranstaltung zum Wettbewerbsergebnis “Erweiterung des Gymnasiums Kaiserin-Augusta-Schule und städtebauliche Entwicklung des Georgsviertels” (14. Januar 2013),
  • einer Erklärung dazu (4. Dezember 2012), die von vielen Bürgern der Stadt unterstützt wird, 
  • der Beteiligung an der “plan12″ Architektur Biennale Köln (21. – 28. September 2012), 
  • der Arbeit »24 Sätze zu 8 Minuten« am Bauzaun um den Archivkrater (seit 3. März 2012).

 

Ausführliche Dokumentationen, Texte und Presseberichte dazu finden Sie unter www.archivkomplex.de.

ArchivKomplex
c/o Dorothee Joachim, T 0221 37 82 45 / Reinhard Matz, T 0221 550 52 83[
Information und Kontakt: http://www.archivkomplex.de 

Quelle: Pressemitteilung ArchivKomplex vom 8.8.2013
http://www.archivkomplex.de/index.php/presse/presse-von-akx

via http://archiv.twoday.net/stories/453140241/

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/261

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Hausarbeit angefertigt, abgegeben und korrigiert. Nächster Schritt: Wikipedia-Artikel ? Bericht einer experimentalen Wikipedianerin.

 

Setzt man sich an den Computer, um einen Wikipedia-Artikel anzulegen oder zu ergänzen, so muss eine überzeugte Motivation die treibende Kraft eines solchen Unternehmens sein. In meinem Fall liegt Letztere bereits in den ausklingenden Jahren der Sekundarstufe vor.

Mit dem starken Appell der Lehrer an die fortgeschrittenen Schüler, sich vor allem bei der Referatsvorbereitung eines wissenschaftlich basierten Recherchierens anzueignen, ging der Hauptkritik-Punkt gegen Wikipedia einher; nämlich der auf die Frage der Autorität bezogene: Der Inhalt der jeweiligen Artikel sei höchst unzuverlässig, denn jedermann könne ohne Sanktion alles Mögliche veröffentlichen. Diese allgegenwärtige Sentenz gegen die Online-Enzyklopädie nahm ich schon damals nicht so einfach hin.

Die Tatsache, dass jedermann bei Wikipedia mitwirken könnte, weckte mein Interesse, wirkte sogar verlockend auf mich ein. Somit würde die Vorstellung, irgendwann in der Zukunft, einen eigenen Wikipedia-Artikel zu schreiben, bei mir als Hintergedanke bleiben. Ich spielte von nun an mit der Idee, mich zu einer Art Expertin in einem Thema zu entwickeln und dazu meinen Beitrag für Wikipedia zu leisten. Zur Herangehensweise eines solchen ambitionierten Planes wusste ich als Neuntklässlerin nichts Weiteres.

Erst, als ich mich in den einleitenden Universitätssemestern mit einer tiefgreifenden, kritisch-reflektierten Form der Recherche konfrontiert sah, erschloss sich mir die Methode zur Erlangung wissenschaftlicher Expertise: in der Form der Planung und Verfertigung von Hausarbeiten. So geschah es, dass meinem ersten Beitrag für die Online-Enzyklopädie das Thema einer wissenschaftlichen Hausarbeit zugrundelag.

Bevor ich mich mit der englischen Schriftstellerin Anna Barbauld im Rahmen ihrer theoretischen Schriften zur literarischen Ästhetik im 18. Jh. beschäftigte, war mir der Name vollkommen unbekannt. Der ganze Prozess zur Gestaltung der Arbeit, die Sichtung von Bibliographien, Quellenauswahl und die darin investierte Einlesezeit, ergänzt durch meine eigenen Auslegungen zum Thema, bildeten nicht nur die Grundlage meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern rüsteten mich mit einer beträchtlichen Menge an biographischen Informationen zu der Autorin aus, welche ich nun für den besagten ersten Wiki-Artikel gut gebrauchen konnte.

Abgesehen von der Tatsache, dass ich diesen Erkenntniszuwachs zum Leben Barbaulds erlangt hatte, waren mir die unterschiedlichen Meinungen und Interpretationen der in der Sekundärliteratur vertretenen Autoren geläufig geworden. Ich konnte sie alle als Referenzen heranziehen und dies verlieh mir das Sicherheitsgefühl, das beim eigenen Wikipedia-Debüt – besonders in Bezug auf das Einhalten vom Grundprinzip der Überprüfbarkeit – so entscheidend ist.

Nichtsdestotrotz bestanden noch gewisse Vorbehalte und Sorgen im Zusammenhang mit dem Schreiben.

Das Erste war die Frage nach der Relevanz des Themas für die deutsche Version der Wikipedia. Zwar lag bereits ein kleiner Eintrag zu Barbauld auf Deutsch vor, ich konnte mir allerdings nicht sicher sein, ob sie als für die deutsche Literatur ausreichend relevant betrachtet werden würde. Die kargen Bemerkungen, die einen knappen Lebenslauf Barbaulds wiedergaben, schienen bereits dafür eine Antwort parat zu haben. Eindeutig fehlten Verweise im Text und die Quelle des einzigen Bildes im Artikel wurde nicht angegeben. Ich fragte mich sogar, warum dieser Artikel wegen der fehlenden Relevanz nicht bereits gelöscht worden war.

Verbunden mit diesen Defiziten war mein Zögern, den bereits vorhandenen Text zu ändern bzw. zu korrigieren. Ich hatte nämlich den Eindruck, ich würde aggressiv wirken oder den Autor des Artikels beleidigen, wenn ich in seinen Text eingreifen würde. Dabei schwirrte immer noch die Frage um mich herum: Hatte ich überhaupt einen wissenschaftlich fundierten Anspruch, der mich dazu berechtigte, inhaltliche Änderungen vorzunehmen?

Dazu kam noch der sprachliche Aspekt zum Tragen. Da Deutsch nicht meine Muttersprache ist, und ich mich meines allzu komplizierten Ausdrucks bewusst bin, war ich mir nicht sicher, inwiefern mein Text den enzyklopädischen Kriterien der Verständlichkeit und Sachlichkeit  entsprechen würde.

In Anbetracht der aufgelisteten Aspekte entschied ich mich dazu, meinen ersten Wikipedia-Artikel als ein Experiment zu betrachten. Unabhängig davon, wie er in die Wiki-Community ankam, ob er gelöscht werden würde oder nicht, alles mögliche Feedback würde für mich produktiv sein, denn ich würde so oder so die Funktionsweise der Online-Enzyklopädie aus der Perspektive eines Mitwirkenden kennenlernen. Daran lag es mir am meisten.

Die Motivation, mich endlich an das Schreiben zu machen, nahm beim Gedanken, ich könnte nicht bloß meine Kenntnisse im Bereich auf die Probe stellen, sondern auch mit Experten und anderen Interessenten am Thema in Kontakt treten, deutlich zu. Außerdem bedeutete diese Aufgabe eine praktische Umsetzung des sonst theoriebehafteten akademischen Arbeitens. Es handelte sich hier nicht mehr um eine persönliche Leistungserbringung, welche nach der Benotung ihre Bedeutung einbüßte, sondern um eine Möglichkeit, langhaltende, qualitative Informationen für eine breite Leserschaft zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne stellte ich mir einige Ansprüche, nach denen ich mich für einen pflichtbewussten Umgang beim Schreiben richten wollte.

Ich hatte bereits festgestellt, dass die spanische Version des Artikels, welcher, wie der  englische auch, ausgezeichnet wurde, eine direkte Übersetzung des englischen ist. In dem Moment überlegte ich, dasselbe für den deutschen Artikel zu versuchen, entschied mich aber dagegen. Es würde mir wenig bringen, eine reine Übersetzung zu schreiben, wenn ich mich eigentlich als unabhängige Verfasserin versuchen wollte.

Mit dieser Entscheidung musste ich eine Komplikation in Kauf nehmen: den dadurch erhöhten Zeitaufwand. Obwohl ich die thematischen Unterkategorien des englischen Artikels übernahm, legte ich den eigentlichen Inhalt fest. Dies bedeutete, dass ich mir zuerst der Informationssammlung widmen und eine Auswahl treffen sollte, bevor ich zum eigentlichen Schreiben kommen konnte. Zwar hatte ich mit der Hausarbeit gewisse Vorarbeiten geleistet, es bestand aber, wie eigentlich zu erwarten war, keine direkte Entsprechung zwischen beiden Texten, denn die jeweiligen Ansprüche waren völlig andere.

Wenn ich dem Grundprinzip der NOR (Keine Theoriefindung) folgen sollte, so musste ich den ganzen argumentativen Teil meiner Hausarbeit ausschließen. Nur die Absätze, welche mit der historischen Einbettung und mit dem allgemeinen Kontext zu tun hatten, konnte ich teilweise übernehmen. Im Grunde erwies sich mein Artikel als ein völlig neu konzipierter Text, der nur das Thema mit der Hausarbeit gemeinsam hatte. In diesem Sinne fungierte Letztere als eine Zwischenhaltestelle auf dem Weg zur Expertise in meinem Themenbereich.

Die Tatsache, dass ich das Recherchieren fortsetzen musste, entpuppte sich bald als ein Vorteil, denn bald konnte ich auf wichtige Bezüge auf die deutsche Literatur verweisen, die in der englischen Version nicht vorhanden waren und die zur Relevanz des deutschen Artikels beitrugen. So zum Beispiel konnte ich die These von einem Kritiker aufführen, der in Nietzsches Werk Also sprach Zarathustra Parallelen zu Barbaulds erfolgreichem Kinderbuch Hymns in Prose for Children vermutet.

Was die technischen Aspekte der Textgestaltung angeht, so fand ich die Formatierung etwas gewöhnungsbedürftig. Oft war es mir nicht klar, wie einige Absätze – zum Beispiel, wo ein langes Zitat aufgeführt werden sollte – genau zu gestalten waren, oder ob die Übersetzung vom Zitierten einer besonderen Markierung bedurfte. In solchen Fällen habe ich aus anderen Beispielartikeln die Formatierung übernommen oder wenn ich keine Beispiele fand, richtete ich mich nach eigenem Urteil.

Wenn es um das Übersetzen der Gedichte ging, so musste ich es selber übernehmen, denn ich fand keine deutsche Übersetzungen vor. Hier musste ich mich fragen, ob es in solchen Fällen Regelungen gibt, oder ob man einfach die volle Übersetzungsfreiheit hat.

Auch wusste ich manchmal nicht, welche Begriffe zu verlinken waren und welche als eindeutig genug galten. Dies war beim Begriff  „Vernunft“ der Fall. „Vernunft“ hat bei Wikipedia einen eigenen Artikel, aber der Terminus schien mir so selbstverständlich zu sein, dass ich auf die Verlinkung verzichten wollte. Wiederum ergaben sich mehrmals Fälle, in denen ein Verweis nötig und verständnisfördernd gewesen wäre, wo aber der deutsche Artikel dazu nicht vorhanden war.

Ich fürchte, hier bin ich etwas willkürlich vorgegangen und habe oft „leere“ Begriffe verlinkt, die dann in der veröffentlichten Version mit der roten Markierung gekennzeichnet wurden. An dieser Stelle nahm ich mir vor, die betreffenden Artikel zu ergänzen, sobald der Hauptartikel veröffentlicht und frei zugänglich war.

Zu meiner Enttäuschung musste ich feststellen, dass bis mein Beitrag freigeschaltet wird, es noch etwas länger dauern kann. Bei der Einsicht in die Versionsgeschichte merkte ich, dass mehr als ein Jahr vergangen war, bevor der angelegte Artikel gesichtet und freigeschaltet wurde. Im Nachhinein würde ich erfahren, dass dies dadurch zu erklären war, dass zur Zeit der Erstellung des Artikels in der deutschen Wikipedia keine Sichtung bzw. Freischaltung nötig war und dass viele der ersten Beiträge erst nachträglich freigeschaltet wurden.

Hier fragte ich mich, woran es liegen kann, dass manche Artikel deutlich schneller als andere freigeschaltet werden, ob es nur auf den Umfang zurückzuführen ist oder ob gewisse Themen von den dafür Zuständigen bevorzugt werden. Dies würde in dem Sinne weitere Fragen zur Relevanz und Autorität aufwerfen.

Sehr schnell war allerdings das Feedback von Amygdala77, einer Expertin im Themenbereich Geburtshilfe, die auch viele Übersetzungen aus dem Englischen unternommen hat. Sie änderte knapp 21 Stunden nach Veröffentlichung den Begriff „Großbritannien“ in „Vereinigtes Königreich und Irland“ um, ergänzte die Verlinkung zu dem Namen William Congreve mit der Bezeichnung „Autor“, damit eine volle Entsprechung zu dem deutschen Artikel zu Congreve besteht und korrigierte einen Rechtschreibsfehler.

Obwohl ich für diese Korrekturen sehr dankbar war und davon lernen konnte, dachte ich in meinem experimentellen Vorhaben mit Wikipedia nicht so weit gekommen zu sein wie ich mir es gewünscht hatte. Da Vieles davon abhängig war, ob mein Beitrag zugelassen wurde oder nicht, ließ die anstehende Sichtung die meisten Fragen, die ich am Anfang hatte, offen.

Dies würde sich mit der Hilfe von Wikipedia-Administrator Marcus Cyron ändern. Nachdem er meinen Erfahrungsbericht zum Artikelschreiben gehört hatte, beschäftigte er sich mit meinem Beitrag und erklärte mir, welche Aspekte ich noch beachten sollte – darunter der Nachimport der englischen Versionsgeschichte, da ich den ersten Absatz im Artikel direkt aus dem Englischen übersetzt hatte, und weitere Details wie die Jahreslinks für deutschsprachige Literaturseiten.

Eine besonders schöne Überraschung war es, als ich in der Woche nach meinem Vortrag meinen Artikel freigeschaltet fand. Ohne Zweifel hatte ich das Herrn Cyron zu verdanken, der mich in der Korrekturphase meines Artikels so stark unterstützt hatte. Sobald ich auf ein Hindernis kam, oder meine Arbeit am Verlinken unterbrechen musste, stellte ich fest, dass Herr Cyron bereits bescheid wusste und selbst weitermachte, wo ich aufgehört hatte. Eine bessere Betreuung als Wikipedia-Debütant kann man sich gar nicht wünschen. Er machte uns allen im Seminar Mut, weitere Artikel bei Wikipedia zu schreiben und erinnerte uns daran, wie nützlich solche Beiträge selbst für andere Artikelverfasser im selben Themenbereich sein können. Damit wurde meine anfängliche Angst, in bereits verfasste Texte einzugreifen, erheblich gemindert.

Nach dem aufwendigen Verfassen des Artikels ist mir auch klar geworden, dass diese Leistung keineswegs zu Ende geführt wurde, denn der Artikel selbst ist Teil eines langen Projektes, eines sogenannten „work in progress“, bei dem ich mir die Beteiligung von anderen Interessenten erhoffe, um zu einem virtuellen Gespräch zum Thema kommen zu können. Da ich mich in der Zukunft mit Barbaulds Wirken in der Literatur zu beschäftigen beabsichtige, fände ich einen regen Austausch anhand der Änderungsvorschläge an dem Artikel äußerst hilfreich.

Ich arbeite jetzt an meinem Artikel weiter und versuche die „leeren“ Links mit neuen Einträgen zu füllen. Ganz eindeutig fehlt mir noch Übung, aber dafür habe ich die Unterstützung vom Team der Wikipedianer, deren schnelles Reaktionstempo, umfassende Expertise und Hilfsbereitschaft den Aufwand erleichtern und Mut zum Weiterschreiben machen.

 


 

Quelle: http://wppluslw.hypotheses.org/448

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