Wenn Presse zur Zensur greift: FAZ mahnt Klaus Graf ab

http://archiv.twoday.net/stories/326207397 In völliger Unkenntnis der Meinungsbildungsprozesse in der digitalen Welt (Stichwort Streisand Effekt) mahnte die Frankfurter Allgemeine Zeitung den ausgewiesenen Blogger Klaus Graf ab. Wie ein bislang unbekanntes Gerücht zu trauriger Berühmtheit kommt und wie manchenorts eine geäußerte und zudem missverstandene Vermutung einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft auch im 21. Jahrhundert noch als strafwürdige üble Nachrede erachtet […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/03/3996/

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Online-Petition zum Ende der Denkmalförderung in NRW

Die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte hat eine Online-Petition zur angekündigten Streichung von Denkmal-Fördermitteln bis 2015 durch rot-grüne Landesregierung NRW gestartet.

Zur Online-Petition geht es hier:

https://www.openpetition.de/petition/online/angekuendigte-streichung-der-landeszuschuesse-fuer-die-archaeologie-und-denkmalpflege-zuruecknehmen

Der Inhalt hier wortwörtlich wiedergegeben:

“An die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: Nehmen Sie die angekündigte Streichung der Landeszuschüsse für die Archäologie und Denkmalpflege zurück!

Was soll passieren?

Das Land Nordhein-Westfalen will sich bis 2015 ganz aus der Finanzierung der Archäologie zurückziehen und hat bereits für 2013 drastische Mittelkürzungen vorgenommen.

Wie läuft es bisher?

In NRW wird die Archäologie / Bodendenkmalpflege von den zwei großen kommunalen Verbänden im Rheinland (LVR) und in Westfalen (LWL) getragen, und die Stadt Köln kümmert sich selbst um ihr Gebiet. Bislang wurden die Kosten für die Ausgrabungen und die nötige Nachsorge hälftig von den kommunalen Trägern (LVR, LWL und Stadt Köln) übernommen, die andere Hälfte bezahlte das Land NRW. Die Summe der Landesmittel lag bisher bei knapp 12 Millionen Euro pro Jahr.

Um was geht es?

Überraschend wurde dieser Landeszuschuss von der neuen Regierung für 2013 drastisch gekürzt, nämlich auf 10 Millionen Euro. 2014 sollen nur noch 3,3 Millionen Euro zur Verfügung stehen, und 2015 will das Land ganz aus der Mitfinanzierung der Archäologie aussteigen. Diese Kürzungen können von den kommunalen Verbänden und der Stadt Köln natürlich nicht ausgeglichen werden. Für viele Bodendenkmäler führt das zur undokumentierten Zerstörung, weil das Geld für die nötigen Rettungsgrabungen und ihre Dokumentation fehlt. In den Fachämtern werden die Gelder fehlen, die Funde fachgerecht zu konservieren und restaurieren. Bestenfalls verschwinden Funde und Grabungsakten im Magazin, weil die Mittel fehlen, die Ergebnisse für die Öffentlichkeit aufzubereiten und in den Museen den Bürgern zu zeigen. Auch viele Baudenkmäler könnten nicht mehr saniert werden, die historische Bausubstanz zahlreicher Städte wäre in Gefahr.

Die Gefährdung unseres kulturellen Erbes

Kulturgutschutz und -pflege ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sie ist als Pflicht im Gesetz verankert. Dem Staat kommt daher eine besondere Fürsorgepflicht zu. In unserem föderalen System stehen die Bundesländern in der Verantwortung. Die Verlagerung von Aufgaben von der Landesebene auf die Kommunen, ohne dort gleichzeitig für die nötige Mittelausstattung zu sorgen, ist verantwortungslos. Wie glaubwürdig aber ist ein “öffentliches Interesse”, wenn die Landesregierung dafür bald nicht mehr einen Cent ausgeben will? Das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands mit hoher Wirtschaftskraft, zahlreichen Bauvorhaben und einer dynamischen Entwicklung setzt ein fatales Zeichen, wenn es sich ganz aus seiner Verantwortung für die Pflege und den Schutz seiner Bodendenkmäler davonstiehlt. Das archäologische Archiv im Boden zeugt von unserer gemeinsamen Geschichte und Kultur, es ist ein hohes Gut der Allgemeinheit. In NRW ist es über die Museen und den Tourismus und als Teil der Identität und der Lebensqualität ein wirtschaftsrelevanter Standortfaktor.

Begründung: Kürzungen hätten dramatische Folgen

Das bundesweite Votum der Wissenschaftler und Kultur-Experten ist einhellig: Alle führenden Archäologen in NRW haben auf die dramatischen Folgen der geplanten Kürzungen hingewiesen. Der Verband der Landesarchäologen der Bundesrepublik Deutschland bittet um die Rücknahme der Kürzungen. Auch Kulturstaatsminister Bernd Naumann bezeichnete die Streichungen als „kulturpolitische Bankrotterklärung“. Gudrun Kopp, MdB aus Ostwestfalen-Lippe und Parlamentarische Staatsekretärin beim Bundesentwicklungsminister sagt: “Das wäre das Ende für Denkmalpflege und ein Sündenfall an der Historie unserer Region.”

Die Petition der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e. V. (DGUF)

Wir bitten die Landesregierung, ihre geplanten und für 2013 schon umgesetzten Mittelkürzungen betreffend Archäologie und Denkmalpflege zurückzunehmen. Wir appellieren an die Fraktionen und Abgeordneten des Landtags von NRW, ihre Verantwortung wahrzunehmen und den Kurs der Landesregierung zu korrigieren. Wir bitten die Landespolitiker, sich erneut mit den Experten – auch der DGUF – an einen Tisch zu setzen und, begleitet von fachlichem Rat, bessere Alternativen zu erwägen.

Wir bitten Sie, die an der Geschichte und Kultur des Landes NRW interessierten und für das Land engagierten Bürger, diese Petition durch Ihre Unterschrift zu unterstützen!

gez. Die DGUF (für den Vorstand und Beirat: Rengert Elburg, Diane Scherzler M.A., Dr. Erich Claßen, Dr. Frank Siegmund, Dr. Gerhard Ermischer)”

Bitte unterzeichnen!

Der Link noch einmal hier:

https://www.openpetition.de/petition/online/angekuendigte-streichung-der-landeszuschuesse-fuer-die-archaeologie-und-denkmalpflege-zuruecknehmen

 

Weiterführende Links:

http://kristinoswald.hypotheses.org/562

http://storify.com/krosworldia/kultur-ist-kein-luxus-sie-ist-eine-notwendigkeit

http://archaeologik.blogspot.de/2013/03/ende-der-denkmalforderung-nrw-online.html

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/468

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Porträt von Matthes & Seitz

"Was auch kommt, es kann nur besser werden" schrieb Magnus Klaue in konkret 6/2004, S.48, als Andreas Rötzer den durchaus verdienstvollen, wegen Streifzügen ins Rechtsextreme allerdings zu Recht berüchtigt gewordenen Verlag Matthes & Seitz übernahm (dazu u.a. Diedrich Diederichsen, Freiheit macht arm, Köln 1993, 117-157). Nun, es wurde besser, und ein Porträt des jetzigen Verlagszustandes liefert dieses Wochenende die NZZ.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/326525010/

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Konferenzankündigung (Uni Bamberg): “Krise der europäischen Vergesellschaftung? Soziologische Perspektiven.” (11./12.04.2013)

Die europäische Integration führte insbesondere seit den 1990er Jahren zu einer grundlegenden Transformation der sozialen Beziehungen und der Lebenssituation der Menschen in Europa. Während sich das Leben der Menschen in der Nachkriegszeit vorrangig im Rahmen von Nationalstaaten abspielte, geht die … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4418

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Filmbesprechung: Unsere Mütter, unsere Väter, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier.

Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch die in der zweiten Folge dargestellte Schlacht um Kursk, die für Friedhelm und Wilhelm zu einer Wasserscheide wird. Wilhelm, von einer Panzerfaust temporär außer Gefecht gesetzt, zerbricht innerlich unter dem Druck, seine Männer für völlig sinnlose Ziele in den Tod führen zu müssen und desertiert, während Friedhelm den letzten Rest seiner einstigen Ideale über Bord wirft und schreiend, angetrieben vom scheinbaren Tod seines Bruders, das Ziel mit der Maschinenpistole in der Hand faktisch im Alleingang erobert - um dort weinend zusammenzubrechen, als er erkennt, für welch sinnloses Ziel die Kameraden um ihn herum gefallen sind. Seine Konsequenz ist genau das Gegenteil von Wilhelm. Wo der einstige Karrieresoldat, stets seine Pflicht tuend, nun von Zweifeln völlig übermannt ist und den Entschluss fasst, aus dem Krieg auszusteigen (auch um den Preis seiner eigenen Vernichtung), wandelt sich Friedhelm zum "perfekten Soldaten", der tut was man ihm sagt und nicht darüber nachdenkt, ob es nun das Erschießen von Bauernmädchen oder Hängen ihrer Mütter und Väter ist. Ohne mit der Wimper zu zucken arbeitet er mit dem SS-Mann zusammen, den er in der ersten Folge am liebsten noch umgebracht hätte, als er mit der ukrainischen Hilfspolizei Juden tötete. Seine völlige Entmenschlichung wird offenkundig, als er bei der Partisanenbekämpfung plötzlich Auge in Auge Viktor gegenübersteht und man nicht sicher sein kann, ob er schießen wird oder nicht. 

Greta und Viktor
Während die Männer dem Grauen der Front direkt ausgesetzt sind, zeigt es sich für die beiden Frauen indirekter. Greta prostituiert sich mit einem Gestapo-Mann, um Viktor falsche Papiere zu besorgen und zerstört darüber die Beziehung. Im Gegenzug wird sie der Star, der sie so lange werden wollte. Sie wird arrogant und eingebildet und verliert jeden Blick für die Realitäten, bis sie zurückgelassen im selben Feldlazarett strandet in dem ihre Freundin Charlotte ihre Illusionen längst verloren hat. Charlotte, das Nesthäkchen der Gruppe, denunziert in ersten Folge noch willig eine jüdische Hilfsärztin, ohne nachzudenken, weil es genau das ist, was die angeblich aus dem Film ausgesparte Nazi-Sozialisation mit den Menschen gemacht hat. Am Ende des Films riskiert sie ihr Leben für die Rettung einer anderen russischen Hilfsschwester, wird beinahe von russischen Soldaten vergewaltigt und arbeitet für die Rote Armee, ehe sie nach Deutschland zurückkehrt. In beiden Frauen bringt der Krieg das Schlechteste hervor, und beide reifen über die Erfahrung und riskieren ihr Leben, um den Fehler nicht zu wiederholen. Greta wird es darüber verlieren, ein letztes Kriegsopfer, erschossen nur Tage vor der Kapitulation wegen Defätismus. Das Frauengefängnis, in dem sie sich befindet, ist eine wahre Hölle der Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit. Monate gehen ins Land ohne eine Nachricht von außen, ohne zu wissen was passieren wird, ohne Urteil und ohne Strafe. Irgendwann geht die Zellentür auf, man wird hinausgebracht und erschossen.

Einzig Viktor geht ohne psychische Narben aus seinen Taten hervor, aber auch er hat alles verloren: in einer ungeheuer sensiblen Darstellung des Holocaust muss er feststellen, dass seine alte Wohnung mittlerweile von ausgebombten Deutschen bewohnt wird; von seinen Eltern gibt es keine Spur mehr. Die neuen Bewohner dagegen, die sich noch darüber beklagen, dass die Juden nicht ordentlich geputzt haben, bevor sie "weggezogen" sind und bemerken, dass immerhin die Möbel brauchbar waren, stellen das Gesicht der hässlichen Deutschen in ihrem Alltags-Antisemitismus dar, ohne dass es dazu der Karikatur bedürfte, die solche Gestalten in anderen Filmen allzuoft werden. Als Viktor seiner Familie nachspüren will, sitzt am Behördenschreibtisch jener Gestapo-Mann, der ihn in den Zug nach Auschwitz brachte und seine Freundin hinrichten ließ, und die Amerikaner wissen es und belassen ihn doch dort, weil sie seine Expertise brauchen. Alles ist anders, und doch nichts verändert, und als er in das Trümmerfeld der Bar zurückkehrt, in der 1941 mit seinen vier Freunden Abschied feierte, scheint er ein gebrochener Mann.

Ambivalenzen wie diese durchziehen den gesamten Film und regen zum Nachdenken und zur Reflexion an. Leider, und hier kommen wir zum Scheitern des Films, war den Produzenten beim ZDf, vielleicht auch dem Regisseur und Drehbuchschreiber selbst, das Konzept schon risikoreich genug, so dass das Drehbuch an vielen Stellen bewusst harmlos und auf der sicheren Schiene gestaltet wurde. Viele Nebencharaktere sind bestenfalls holzschnittartig dargestellt (hier finden sich endlich die karikaturesk bösen Nazis, die alle nur schlechten Sex haben und/oder dumm sind), und vor allem die Dialoggestaltung ist wesentlich zu explizit geraten. Es gibt ein wichtiges Prinzip beim Geschichtenerzählen: show,don't  tell. Sachverhalte müssen durch die Geschehnisse deutlich werden. Wann immer ein Schauspieler in character etwas erklären muss, wird man aus der Immersion der Geschehnisse herausgerissen, die mit so viel Aufwand angestrebt wird.

Wilhelm Winter im Schützengraben
Mindestens einmal pro Episode spricht ein Charakter das Motto des Films direkt an die Zuschauer gerichtet aus: "Der Krieg bringt nur das schlechteste im Menschen hervor". Es hätte dem Zuschauer durchaus zugetraut werden dürfen, diesen Schluss für sich selbst zu ziehen, denn die Handlung und die Bilder geben es problemlos her. Solche Situationen finden sich immer wieder. Selbst in den Gefechten verzichten Soldaten immer wieder auf Zeichensprache um eindeutige Befehle zu brüllen, damit der Zuschauer weiß, was als nächstes passiert (im Häuserkampf ein an Selbstmord grenzendes Verhalten), anstatt es einfach zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass der Zuschauer es schon verstehen wird. Die auf den direkt-dabei-sein-Effekt ausgelegte Wackelkamera macht das Nachvollziehen der taktischen Situation ohnehin obsolet, und die Soldaten haben den Einblick ja selbst nicht. Warum also überhaupt versuchen, ihn dem Zuschauer zu geben? Auch die Dialoge leiden unter diesem Problem. Viel zu häufig reden die Charaktere viel zu viel über das, was sie tun, anstatt es einfach zu machen. In den gleichen Problemkomplex gehört die Druckreife, die die Dialoge öfters erreichen und sie steif und unnatürlich erscheinen lassen. Es ist ein plötzliches Aufblitzen einer geschliffen formulierten Reflexionsreife, die sonst überhaupt nicht zu finden ist und wie ein Fremdkörper wirkt, offensichtlich ans Publikum und nicht an andere Charaktere gerichtet.

Dramaturgisch aber erweist sich die scheinbare Unsterblichkeit der Hauptfiguren als größeres Problem. Dass Friedhelm an Ende der ersten Folge überleben würde war noch relativ klar; der Cliffhanger eher Routine. Als er aber den Brustschuss am Ende der zweiten Episode überlebte und Wilhelm gleichzeitig aus dem Hexenkessel von Kursk entkam, wurde die Glaubwürdigkeit bereits deutlich strapaziert. In der dritten Folge häuften sich dann die Zufälle, die die Charaktere überleben ließen. Die Ursache für diese Glaubwürdigkeitsprobleme liegen in zwei Ursachen begründet. Die erste ist die im Verhältnis immer noch geringe Dauer des Films mit dreimal 90 Minuten, die es angesichts des ambitionierten Zeitrahmens - von den Eröffnungsschlachten 1941 bis zur Niederlage 1945 - nicht erlauben, viele Nebenfiguren zu entwickeln. Deren Fehlen aber macht es nicht möglich, Charaktere sterben zu lassen, die dem Zuschauer etwas bedeuten, wodurch das Überleben der Hauptfiguren bis in die letzten Filmminuten wenig glaubhaft erscheint. Man denke im Vergleich an "Im Westen nichts Neues", wo eine ganze Reihe von Figuren am Ende auf zwei herabschmilzt, oder "Band of Brothers", wo wesentlich mehr Erzählzeit auf weniger erzählte Zeit kommt und so mehr Raum für menschliche Dramen abseits der Hauptfiguren lässt, so dass wir ein besseres Gefühl für das Ganze bekommen. Es wirkt deswegen etwas bemüht, wenn in den letzten zehn Filmminuten noch schnell Greta und Friedhelm sterben müssen, obwohl es für ihre Charakterentwicklung durchaus passend ist (dass überhaupt einer der Charaktere überlebt ist schon ein Wunder). Auch scheinen die Filmemacher vor manchem Grauen bisweilen zurückzuschrecken, wenn etwa Charlotte vor der drohenden Vergewaltigung durch eine russische Offizierin gerettet wird, die sie gut behandelt und dies vor Untergebenen damit begründet, ein "neues Deutschland" aufbauen zu wollen.

Greta und Charlotte bei einem Frontauftritt Gretas
Aus dieser Problemstellung resultiert das zweite Problem: da man beim ZDF offensichtlich nicht risikobereit genug war, die insgesamt fünf Handlungsstränge unabhängig voneinander zu entwickeln - was das Publikum stark herausfordert - ließ man die Figuren sich immer wieder begegnen, was relativ schnell ebenfalls zu Verrenkungen in der Glaubwürdigkeit führt. Es sind diese dramaturgischen Probleme in der Serie, die "Unsere Mütter, unsere Väter" das Ziel einer Vergleichbarkeit mit den amerikanischen Vorbildern verfehlen lassen, aber sicherlich nicht die grundsätzliche Struktur innerhalb der Geschichte. "Unsere Mütter, unsere Väter" könnte, seiner moralischen Keule und seiner selbst auferlegten dramaturgischen Beschränkungen entkleidet, noch wesentlich mehr sein als es aktuell ist, und es ist bereits jetzt ein halbes Wunder, wenn man die Produktionen der letzten Dekade auf diesem Feld bedenkt. Ich würde gerne mehr solche Produktionen sehen und weniger "Die Flucht", "Die Luftbrücke" und ähnliche Schmonzetten. Fernsehen kann spannend sein und zum Nachdenken anregen, und "Unsere Mütter, unsere Väter" hat gezeigt, dass auch Deutschland auf diesem Feld mitspielen kann. Wenn noch etwas mehr Risikobereitschaft bei den Produzenten zu finden wäre, die sich dank der Gebührengelder ohnehin nicht um die Quote sorgen müssen, dann wäre viel auf dem Weg zu einer echten historischen Vergangenheitsbewältigung im Fernsehen getan, ohne dass man das Projekt künstlich zur Bühne einer Generationenverständigung erklären müsste.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/03/filmbesprechung-unsere-mutter-unsere_24.html

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Ausstellung: "Merkur & Co. – Kult und Religion im römischen Haus"

Abb. 1: Lebensbild, Kulthandlung am Hausaltar
Das Historische Museum Baden (Schweiz) präsentiert vom 1. Februar bis zum 26. Mai 2013 die Sonderausstellung "Merkur & Co. - Kult und Religion im römischen Haus".

Anhand von 150 Originalfunden aus der Schweiz wird die römische Religion im privaten Rahmen vermittelt.

Abb. 2: Gorgo
Die Ausstellung ist eine Wanderausstellung des Museums für Urgeschichte(n) Zug, die durch Funde aus Baden ergänzt wird. 
Besondere Beachtung verdienen die Götterfiguren eines Hausheiligtums, welche 1871 in Baden gefunden wurden. 
Ergänzt wird die Ausstellung von einer Fotoserie des Badener Stadtfotografen André Urech, der sich auf die Suche nach Religion und Kult in heutigen Haushalten gemacht hat. 
Die Sonderausstellung wird durch ein Rahmenprogramm und Veranstaltungen für Schulen erweitert.


Abb. 1 u. 2: Historisches Museum Baden

Quelle: http://provinzialroemer.blogspot.com/2013/03/ausstellung-merkur-co-kult-und-religion.html

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Ein Frontispiz sagt mehr als 1000 Worte (I): Johan Nieuhof: Gezandtschap der Neêrlandtsche Oost-Indische Compagnie, aan den grooten Tartarischen Cham (1665)

Die Serie “Ein Frontispiz/Bild sagt mehr als 1000 Worte” hält Beobachtungen bei der (ersten) Sichtung von vor 1700 publizierten Texten zu China fest.

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts unternahm die Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) große Anstrengungen, das portugiesische Monopol in Macau (Aomen 澳門) zu brechen, 1603 und 1607 scheiterten Versuche, Macau einzunehmen. In den 1620ern versuchte man erneut, Macau zu erobern und sich auf den Pescadoren festzusetzen. Während diese Versuche scheiterten, gelang es 1624, auf Formosa einen Stützpunkt einzurichen (Fort Oranje (ab 1627: Fort Zeelandia; [heute Anping 安平/Distrikt Tainan 臺南]) der bis 1661 gehalten werden konnte. Um Zugang zum China-Handel zu bekommen, schickte die VOC wiederholt Gesandtschaften nach Beijing, die erste war 1655-1657 unter Pieter de Goyer (fl. 1655-1657) [1] und Jacob de Keyser (fl. 1655-1657). Hofmeister, vor allem aber als Zeichner und Schreiber dieser ersten Expedition war Johan Nieuhof (auch Joan Nieuhoff, 1618-1672 [2])

Zwei Schiffe der VOC, die Koudekerke und die Bloemendaal verließen Batavia am 19.7.1655 mit Kurs Guangzhou 廣州, die Koudekerke erreichte den Hafen von Guangzhou am 4.9.1655, die Bloemendaal am 05.10.1655. Von Guangzhou aus machte man sich im März 1656 auf die etwa 2400 km lange Reise nach Beijing 北京, wo die Gesandtschaft am 16.7.1656 eintraf und rund drei Monate blieb. Am 16.10.1656 verließ die Gesandtschaft Beijing und erreichte, kam am 28.1.1657 Guangzhou und kehrte von dort nach Batavia zurück. Das Ziel der Gesandtschaft, der freien Zugang zum chinesischen Markt, wurde nicht erreicht – die Niederländer ‘durften’ alle acht Jahre eine Handelsdelegation in Verbindung mit einer Tributgesandtschaft nach China schicken und nur in dieser Zeit in Guangzhou Handel treiben. [3]

Nieuhofs Het Gezandtschap der Neêrlandtsche Oost-Indische Compagnie, aan den grooten Tartarischen Cham, den tegenwoordigen Keizer van China, die 1665 in niederländischer Sprache erschien [4], gibt eine ausführliche Beschreibung dieser Reise – und darüber hinaus  eine Beschreibung des Landes und seiner Geschichte. Der Band wurde – wie Nieuhofs andere Bücher – von seinem Bruder Hendrik auf der Basis von Joans Skizzen und Aufzeichnungen herausgegeben. Das Besondere an diesem Band sind die etwa 150 Abbildungen, die darin enthalten sind – und die einen ‘authentischen Blick’ auf China versprachen. Nicht zuletzt die Abbildungen machten  den Titel  schnell zu einem ‘Bestseller’, es gab nicht nur mehrere Ausgaben in niederländischer Sprache, sondern auch Übersetzungen ins Deutsche, ins Englische, ins Französische und ins Lateinische, u.a.:

Von den beiden englischen Ausgaben und der in Antwerpen 1666 veröffentlichten Ausgabe abgesehen, erschienen alle Versionen bei Jacob van Meurs [5]. Die Frontispize dieser Ausgaben unterscheiden isch nur durch den in dem in eine Art Vorhang eingefügten Titel in unterschiedlciehn Sprachen.

Das Frontispiz kann als Programm für Nieuhofs Bericht und Beschreibungen gelesen werden für einen der ersten Texte eines ‘Augenzeugen’, der außerhalb katholischer Missionarskreise stand: Oben steht – klein und unauffällig ins Bild gefügt – der Titel, zusammen mit den drapierten Stoffbahnen bildet er gleichsam den Theatervorhang, der sich vor einem seltsamen Schauspiel hebt.

Im Zentrum der Komposition – quasi auf der Bühne – entfaltet sich die Szene, die den größten Teil der Darstellung einnimmt. Da sitzt der Kaiser auf einem mit geflügelten Drachen reich verzierten Thronsessel. Er hat eine Hand in die Hüfte gestützt, die andere ruht auf einem Globus. Der Globus zeigt Teile Zentralasiens, Indien, Südostasien, China, Japan und den Umriss Westaustraliens (soweit er von den Fahrten des Dirk Hartog (1616), des Frederick de Houtmann (1619) und des Abel Tasman (1644) bekannt war – der Norden Asiens und der Pazifik verlieren sich im Schatten.

Der Kaiser ist ein junger Mann, seine Gesichtszüge sind ebenmäßig, er trägt einen kleinen Kinnbart und einen Schnurrbart. Die Augenbrauen über schmalen, gerade stehenden Augen zeigen einen eleganten Schwung. Auf dem Kopf trägt er eine Art Kappe mit zwei Pfauenfedern, die nach rechts unten (vom Betrachter aus gesehen) hängen. Er trägt ein langes Kleid aus einem gemusterten Stoff, das mit drei Knöpfen geschlossen (Knopfleiste vom Halsansatz bis unter den Arm) wird, und eine lange Kette aus großen Perlen mit einer Quaste.

Rund um den Thron stehen Diener /einer hält einen Schirm über den Kaiser), Bewaffnete und Würdenträger – direkt rechts und links neben dem Thron zwei Beamte mit langen Perlenketten. Alle tragen Kopfbedeckugnen, bei einigen hängt im Rücken der Zopf herunter.

‘Realistischer’ Blick?

Im Vordergrund – also vor der Bühne im Parterre – , finden sich vier weitere Figuren – ohne Kopfbedeckungen, eher ärmlich gekleidet. In der Mitte liegt eine Gestalt in einem einfachen langen Kleid mit einem sehr dicken Holzbrett um den Hals auf dem Boden. Die Arme der Figur, die zu Füßen des Liegenden sitzt, und die der Figur ganz links sind durch Ketten gefesselt. Alle drei haben dichtes Haar, das am Oberkopf zu einem Zopf zusammengebunden ist. Ganz anders erscheint die Figur rechts außen,  die zwar ebenfalls nur in Tücher gehüllt ist, aber wirres Haar und einen wirren Bart trägt.

‘Realistischer’ Blick auf China?

  • Die ab 1645 proklamierten Gesetze (tifaling  剃髮令 “Haarschneidedekrete”) befahlen den Han-Chinesen, den Großteil des Kopfes kahl zu scheren und das verbleibende Haar zum Zopf (bianzi 辮子) zu flechten. Die Durchsetzung stieß auf großen Widerstand, eine flächendeckende Umsetzung gelang erst in den 1660ern, also nach Nieuhofs Aufenthalt in China. Ausgenommen von dieser Regelung waren buddhistische Mönche, die vollständig kahl geschoren waren, und daoistische Priester, die Haar und Bart nicht schoren.

    Diese Veränderung beschreibt Nieuhof im Abschnitt über das Aussehen der Chinesen (dt. Ausg. S. 289, frz. Ausg. S. 47 , nl. Ausgabe (1665) S. 57, engl. Aus. (1669) S. 209)
  • Die Figur mit dem Halsbrett findet sich bei Nieuhof noch einmal in der ‘Beschreibung Chinas im Kapitel über Gaukler und Bettler  (frz. Ausg. S. 36, nl. Ausgabe  (1665) S. 36, dt. Ausg. (1666) S. 267); in der englischen Version (1669) ist die Abbildung spiegelverkehrt (S. 171)). Allem Anschein nach findet sich nur in der deutschen Version eine kurze Beschreibung der  Szene:”Unter andern Possen und Triegereyen / womit die Bettler in ·Sina· den Leuten das Geld vexieren / habe ihch auchzum offtern in unterschiedenen Städten und Dörffern / gesehen / daß sie den Hals durch einen grossen viereckten Stein / der ihren gantzen Leib wol zuschmettern konte [sic!] / gesteckt / und also auff der Erden gelegen; massen im beygefügten Kupffer recht lebendig abgebildet.” (S. 268)Bei dem ‘Stein’ handelt es sich um den sogenannten “Kang” (frz. cangue, von port. canga ‘Joch’, chin. mujia 木枷  oder jiasuo 枷鎖) wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert zur Bestrafung eingesetzt (ähnlich dem in Europa verbreiteten Pranger). Der Apparat bestand aus zwei Teilen, die zusammen ein schweres, flaches Brett mit einem Loch in der Mitte bildeten. Die Öffnung war so bemessen, dass der Delinquent atmen und schlucken konnte, aber mit seinen Händen nicht an den Mund kam (und daher beim Essen Hilfe brauchte).  Je nach Schwere des Verbrechens war das Halsholz unterschiedlich schwer, das jeweilige Strafmaß war seit dem Da Ming lü 大明律 von 1397 geregelt. Darstellungen dieser Bestrafung sind in der westlichen China-Literatur sehr häufig. [8]

Die Darstellung ist Programm: Einerseits wird in dem Band ausführlich die Gesandtschaft, die vor allem mit Beamten und Würdenträgern zusammentraf beschrieben, andererseits gibt es auch Informationen über ‘das gemeine Volk’ und dessen Sitten und Gebräuche. Anders als bei (in den nächsten Posts dieser Reihe zu diskutierenden) Texten von – in der Regel – jesuitischen Autoren fehlen hier sämtliche Bezüge auf göttliche Allmacht und/oder religiöse Symbole.

[1] Zur Biographie: “Goyer [Pieter de]” in Van der Aa e.a., Biographisch Woordenboek der Nederlanden, Deel 7 (1862), 328.

[2] Nieuhof verbrachte den größten Teil seines Lebens fern seiner niederländischen Heimat: im Dienst der Geoctroyeerde West-Indische Compagnie (WIC) 1640-1649 in Brasilien, danach im Dienst der VOC – und später als Privatmann – auf dem indischen Subkontinent, auf Ceylon, in China und auf den Molukken.

[3] Dazu (mit Literaturhinweisen und kursorischen Verweisen auf Quellen im VOC-Archiv) Friederike Ulrichs: Johan Nieuhofs Blick auf China (1655-1657). Die Kupferstiche in seinem Chinabuch und ihre Wirkung auf den Verleger Jacob van Meurs. (=SInologica Coloniensia 21, Wiesbaden: Harrassowitz 2003) 10 f.

[4] Links zu zahlreichen Digitalisaten → Bibliotheca Sincia 2.0.

[5] Zur Biographie: “Moers [Jacob van]” in: A.J. van der Aa, Biographisch woordenboek der Nederlanden. Deel 12. Tweede stuk. J.J. van Brederode, Haarlem 1869.

[6] S. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Tokyo/Rutland/Singapore: Tuttle 2008) S. 257.

[7] H. S. Brunnert/V. V. Hagelstrom: Present day political organization of China (New York : Paragon (s. l. s. a.; Vorwort datiert “Foochow, 1911″), Nr. 950, S. 498.

[8] Zwei Beispiele aus dem 19. Jahrhundert: Plate 13 in Mason/Dadley (engr.): The punishments of China (1804) und eine Photographie von John Thomson (Nr. 13, Abb. unten links) in Bd. 3 seiner  Illustrations of China and Its People (1874). Der Mann mit dem Halsbrett findet sich in einer der in den 1980ern von Leonard Blussé (wieder)entdeckten Skizzen. R. L. Falkenburg bezeichnet diese Skizze als Darstellung von “bedelaars en acrobaten (afb. 13)”, also “Bettlern und Akrobaten” ohne weiter zu kommentieren. Vgl.R. L. Falkenburg: “Johan Nieuhofs beelden van China” in:  L. Blussé and R. Falkenburg (ed.):  Johan Nieuhofs beelden van een Chinareis, 1655-1657 (1987) 63, Abb. S. 70 unten. (Online: Leiden University Repository)

 

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/428

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Crowdsourcing in der Renaissance? Aber ja!

Was denn, Crowdsourcing ist doch so ein neumodischer Kram? Was hat denn das mit der „echten“ Kunstgeschichte zu tun (außer ARTigo natürlich)?

Crowdsourcing ist nicht zwingend an das Internet gebunden, obwohl es hier besonders effektiv funktioniert. Aber es gibt auch physisches Crowdsourcing. Und das fand beim Bau der Kuppel von Florenz statt. Die Geschichte geht so:

Im Jahr 1296 beschlossen die Florentiner, eine größere Kirche zu bauen. Es sollte etwas Repräsentatives, noch nie Dagewesenes sein. Man baute eine Weile, geriet in Geldnot, die Pest brach aus, prozessbedingt waren verschiedene Baumeister beteiligt, kurz: aufgrund einiger Unwägbarkeiten kamen die Bauarbeiten nicht recht voran.

Der folgende Überblick zeigt den Crowdsourcing-Prozess, der damals stattfand:

  • Die Planung des Doms geriet sehr groß, dessen war man sich bewusst. Deshalb wurde 1367 die Bürgerschaft an der Entscheidung beteiligt, die sich für die sog. „große Lösung“ entschied. Diese von Vielen getragene Entscheidung war damals wie heute unüblich (oder kennen Sie ein Großprojekt aus der Neuzeit, bei dem die Bürger vorher gefragt werden, ob sie es wollen?)
  • Jetzt wurde also an einen großen Dom gebaut: Die Öffnung über der Vierung betrug ca. 44 Meter im Durchmesser, und keiner wusste, wie sie zu verschließen war. Mit den vorhandenen Technologien ging das nicht. Also wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der sich an Künstler und Architekten wandte. Die Fragestellung, wie die Vierung überwölbt werden könnte, wurde über florentinische Kaufleute an den Höfen Europas verbreitet. Bei einem physischen Crowdsourcing-Prozess ist es besonders wichtig, sich an die richtige Crowd zu wenden, um möglichst gute Lösungsvorschläge zu erhalten. Beim Internet macht es die Masse, aber das gab es ja noch nicht.
  • Als die Teilnehmer dann im Jahr 1420 in Florenz anreisten, trug jeder von ihnen seine Lösung vor. Dabei waren auch “wilde” Vorschläge, wie die Idee, die Kuppel mit Erde auszufüllen. Beim Sammeln von Vorschlägen ist aber zunächst jeder einzelne willkommen und danach wird aussortiert; das geschah auch in Florenz. Hier blieb der Vorschlag Brunelleschis übrig.
  • Filippo Brunelleschi war eigentlich Quereinsteiger. Als gelernter Goldschmied, der sich im Selbststudium mit der Baukunst beschäftigte, kam er auf die Lösung (auch typisch für Crowdsourcing-Projekte: Lösungen finden häufig Experten, die a) mehrere Interessensgebiete haben und/oder b) auf die Lösung auch durchaus abseits ihres Haupt-Interessensgebiets kommen).
  • Üblich ist in Crowdsourcing-Prozessen die Auszahlung einer Prämie für die beste Lösung. Auch dies war in Florenz der Fall. Dort wurden 200 Goldflorine dafür ausgesetzt.

Wie man sehen kann, ist Crowdsourcing nichts Neues. Diese Form der Zusammenarbeit, bei der mit den verfügbaren Mitteln nach der besten Lösung für ein Problem gesucht wird, gibt es schon lang. Wenn Ihnen weitere Beispiele aus der Kunstgeschichte dazu einfallen, können Sie mir das über die Kommentarfunktion gerne mitteilen.

Weitere Artikel: Crowdsourcing – Was ist das und was macht das?

Quellen:

Fanelli Giovanni und Michele: Die Kuppel Brunelleschis. Geschichte und Zukunft eines großen Bauwerks, Florenz 2004

Gassmann, Oliver: Crowdsourcing. Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz, 2. Auflage, München 2013

Vasari, Giorgio: Das Leben des Bildhauers und Baumeisters Filippo Brunelleschi, in: ders.: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, übers. und hrsg. von Ludwig Schorn und Ernst Förster, 6 Bde., Stuttgart / Tübingen 1832-1849 [Reprint Worms 1983], Bd. 2, 1. Teil, S. 156-226

http://www.arthistoricum.net/themen/themenportale/renaissance/lektion-4/2-die-kuppel-von-s-maria-del-fiore/

Quelle: http://games.hypotheses.org/987

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Filmbesprechung: Unsere Mütter, unsere Väter, Teil 1/2

Von Stefan Sasse

Es ist das Fernsehereignis des Jahres, wenn man der Eigenwerbung von ZDF glauben darf: der monumentale Dreiteiler "Unsere Mütter, Unsere Väter", 14 Millionen Euro schwer und ein Triumph des gebührenfinanzierten Fernsehens. Für deutsche Verhältnisse ist die Miniserie tatsächlich monumental, und für deutsche Verhältnisse ist sie sehr gut gelungen. So sehr einige Exponenten der Öffentlichkeit die Serie in den Himmel loben - etwa Frank Schirrmacher, der in ihr gar die letzte Gelegenheit für einen generationenübergreifenden Dialog erblickt, oder Christian Buß, der ins selbe vom ZDF bereitwillig hingehaltene Horn stößt - so sehr kritisieren andere, ob in taz, beim Kölner Stadtanzeiger oder im Cargo-Blog, für seine überzeichneten Klischees und die völlig anachronistischen Hauptfiguren, die von ihrer Mentalität her so gar nicht nach 1941 passen wollen. Um den Film aber bewerten zu können, muss ich eigentlich in zwei Rollen schlüpfen: die des Historikers, der versucht, die historische Faktentreue und Intepretation einzuordnen, und die des Filmkritikers, der die Serie aufgrund ihrer dramaturgischen Kriterien durchleuchtet. Denn eines wird beim Ansehen bewusst: das Projekt ist ambitioniert, wesentlich ambitionierter, als man es vom deutschen Geschichtsfernsehen gewohnt ist (siehe dazu auch mein Beitrag "Zum Elend des deutschen Geschichtsfernsehens"), und muss fast zwangsläufig an äußerst widerstreitenden Erwartungen und Zielrichtungen scheitern. Aber ein Ereignis ist es, eines, das man gesehen haben muss und das eine Zeitenwende im deutschen Geschichtsfernsehen einläuten könnte. Warum, wird im Folgenden zu zeigen sein. Bevor ich beginne, nur eine kurze Spoiler-Warnung: wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte das nun nachholen, denn ich werde Details aus der Geschichte verraten. Er ist etwa bei Amazon auf DVD und Blueray erhältlich. 

Sezieren wir zu Beginn erst einmal, welches Ziel sich der Film eigentlich setzt, der ähnlich wie "Das Boot" ein Gesamt-Oevre ist und nur aus Gründen der Sendezeit-Ökonomie in drei Teile gespalten wurde. Zum Einen hat er ein klares pädagogisches Ziel, das das ZDF in seiner Werbung auch besonders hervorstreicht. Er soll Generationen ins Gespräch bringen, soll zeigen, wie es damals war und gleichzeitig Fragen stellen. Zum anderen ist es ein historisches Werk, das einen Authenzitätsanspruch aufstellt und diesen mit aufwändigen Produktionswerten und penibler Recherche unterstreicht. Und zum dritten soll es auch dramaturgisch überzeugen; beständig wird der Vergleich zu HBOs "Band of Brothers" (erhältlich als DVD oder Blueray) bemüht, einer amerikanischen Miniserie zum Schicksal einer Fallschirmjägereinheit im Zweiten Weltkrieg, die zehn Folgen hat und als absoluter Klassenprimus gilt. Dummerweise lassen sich von diesen Zielen nur zwei gleichzeitig erreichen, obwohl alle drei angestrebt werden, und die Sequenzen, in denen dieser Widerspruch offensichtlich wird, gehören zu den schwächsten des Films. Aber beginnen wir bei der historischen Authenzität. 

Die fünf Freunde feiern, Frühsommer 1941
Es ist beeindruckend, dass die Filmemacher endlich eine wichtige Lektion bei der Umsetzung historischer Stoffe begriffen haben: penible Faktentreue ist kein Wert an sich. Über dieses Problem sind Großproduktionen wie "Der Untergang" gestolpert und gescheitert. Stattdessen gibt der Film uns fünf fiktive Charaktere, Freunde allesamt und keine überzeugten Nazis, die in den Krieg hineingezogen werden, der - ein beherrschendes Motiv des Films - das schlechteste im Menschen hervorbringt. Das erlaubt eine gewisse Freiheit im Handeln der Figuren, anstatt ihnen schwerfällige verschriftlichte Worte in den Mund zu legen (die aber historisch verbürgt sind).

Auch fällt eine weise Selbstbegrenzung der Autoren auf (die ihnen von den Kritikern überwiegend negativ ausgelegt wird, aber dazu gleich mehr): die Geschichte spannt über die Jahre 1941-1945 und spielt sich praktisch ausschließlich an der Ostfront ab. Diese Entscheidung ist mehr als klug, denn die Ostfront ist für das kollektive Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs prägend und für Deutschland wesentlich wichtiger gewesen als die Westfront, die wir in den amerikanischen Produktionen sehen. Bereits dieses grundsätzliche Setting wird massiv kritisiert, weil es sowohl die Sozialisation der früheren Hitler-Jahre sowie die ersten beiden Kriegsjahre ausspart, was es wirken lässt, als sei der Krieg eine von außen aufgezwungene Katastrophe, die die Protagonisten in sich hineinziehe. Hier ist klar der volkspädagogische Aspekt am Wirken: so was darf man nicht zeigen! Es ist eine Variation der irren Diskussion anlässlich "Der Untergang" 2004, ob man denn Hitler als Menschen zeigen dürfe. Heilige Einfalt! Der Kern ist, dass der Krieg für die Menschen dieser Generation als eine von außen hereindräuende Katastrophe kam. Sie konnten nichts dagegen tun, sofern sie nicht den Mut zum individuellen Widerstand hatten (der überwiegend tödlich war), und den haben die Protagonisten klar nicht. Stattdessen sind die Frauen eher positiv gestimmt, einer pflichtbewusst, nur einer negativ (und eher aus persönlichen Gründen, weil er klarer als die anderen sieht, was Krieg eigentlich ist), und einer wäre gerne positiv gestimmt, darf es aber nicht sein (weil er Jude ist). Die Vorstellung, dass der Zuschauer hier die Moralkeule übergezogen braucht, die ihm noch einmal sagt, dass die Nazis böse waren und den Krieg angefangen haben, ist so typisch deutsch dass es wehtut. Man darf mittlerweile erwarten, und vom Publikum dieses Films sowieso, dass so grundlegende Fakten bekannt sind. Es ist nicht nötig, ständig die didaktische Keule übers Haupt des Publikums zu schwingen, dem ohnehin viel zu wenig eigene Denkleistung abverlangt wird - aber auch dazu später mehr.

Tom Schilling als Friedhelm Winter
Der Krieg im Osten beginnt mit dem schnellen Vormarsch Richtung Moskau ("es ist eine Lust, vorzustoßen") und findet eine erste Ernüchterung durch den Tod erster Kameraden im Feuergefecht und die Notwendigkeit, den Kommissarbefehl auszuführen. Leutnant Wilhelm Winter, der pflichterfüllte Berufssoldat, wird über die mögliche Sauberkeit des Krieges ernüchtert und muss sein schmerzendes Gewissen bekämpfen, während sein pazifistischer Bruder Friedhelm versucht, sich durch Dienst nach Vorschrift so weit als möglich zu entziehen. Beide Versuche, dem Grauen beizukommen - ob durch Rückzug auf den Befehlsnotstand oder die möglichst hohe Nichtbeteiligung - sind zum Scheitern verurteilt, was in der späteren Desertion Wilhelms und der zunehmenden Verrohung Friedhelms ihren Ausdruck findet: Eiskalt pragmatisch passt er sich jeder Situation an, entgeht immer wieder dem Tod, weil das Leben ihm nichts mehr bedeutet (Sophie Albers)

Die vielfach geäußerte Kritik an dem Ensemble, das keinen einzigen überzeugten Nazi enthält, läuft vor diesem Hintergrund ins Leere. Zum Einen zeigt sie eine merkwürdige Vorliebe für Schwarzweiß-Zeichnung: als ob ausnahmslos alle Deutschen der Alterskohorte der frühen 1920er Jahre von der Nazi-Sozialisation restlos überzeugt gewesen wären! Und wie sollte ein echter Nazi in diesen Freundeskreis kommen, wo man Swing tanzt und pazifistische Gedichte schreibt? Dramaturgisch wäre dies nicht zu vermitteln, und es kann überhaupt nur einmal mehr mit der didaktischen Keule begründet werden, die einzusetzen es so viele in den Fingern juckt. Dabei ist doch gerade das Leitmotiv des Films, dass der Krieg nur das schlechteste im Menschen hervorbringe, mit diesen Charakteren, die ihm eher distanziert gegenüber stehen, so viel wirkmächtiger! Wie viel besser funktioniert doch "Im Westen nichts Neues" mit Paul Bäumer als mit Ernst Jünger!

Viktor Goldstein und der Anführer der polnischen Partisanen
Berechtigte Kritik hingegen müssen sich die Filmemacher für ihre Figur des Viktor Goldstein gefallen lassen, des Juden im Freundeskreis, mit der schillernden Greta zusammen, die so gerne ein Star wäre. Seine offene Existenz im Jahr 1941 ist tatsächlich sehr unwahrscheinlich, und es drängt sich der Verdacht auf, dass er vor allem eingefügt wurde, um eventuelle Kritik an der Täterperspektive abzublocken, indem man auch ein Opfer mit einführt. Das Ergebnis ist allerdings ambivalent. Da Goldstein keine realistischen Berührungspunkte mit den anderen Charakteren mehr hat, ist sein Handlungsstrang von den anderen abgetrennt. Er flüchtet aus dem Zug nach Auschwitz, schließt sich notgedrungen polnischen Partisanen an, die genauso antisemitisch sind wie die Deutschen, und flüchtet schließlich zurück nach Deutschland. Obwohl unzweifelhaft hochspannend scheint seine Geschichte etwas losgelöst vom Rest, nicht nur örtlich, sondern auch in der Tonart. Hier vergreifen sich die Filmemacher auch am häufigsten im Ton, etwa wenn der Partisanenführer mitten im Gespräch wie vom Erdboden verschwindet, als ob er Batman wäre. Viktors Odyssee fühlt sich bisweilen wie eine jüdische Variante von "So weit die Füße tragen" an. 

Gleichzeitig aber muss man den Filmemachern Lob dafür aussprechen, wie die Geschichte um die polnischen Partisanen uns einen doppelten Blick auf die Einsatzgruppen-Verbrechen hinter der Front in der Partisanenbekämpfung öffnet. Massenexekutionen zur "Vergeltung" von Partisanenangriffen und deren folgende Zweifel an ihrem eigenen Tun, der viel zitierte radikale Antisemitismus der Partisanen, die die Juden im Zug ins KZ eingesperrt lassen damit sie krepieren und die Beteiligung der Wehrmacht an all diesen Verbrechen (personifiziert ausgerechnet vom ehemaligen Feingeist und Pazifisten Friedhelm, der jetzt ohne mit der Wimper zu zucken unschuldige Bauern hinrichtet) - solche Szenen wurden noch nie gezeigt. Wilhelm Winter exekutiert einen Politkommissar (unwillig, aber er tut es), Friedhelm schickt Bauern ins Minenfeld, um die eigenen Leute zu schützen - niemand kann sich dem Grauen entziehen, ob er es will oder nicht. 

Friedhelms Einheit richtet "Partisanen" hin
Warum so viele Kritiker dies nicht erkennen wollen und darin ein Reinwaschen der deutschen Schuld erkennen wollen, erschließt sich mir nicht. Die Darstellung der mordenden Soldaten als entfesselte stramm nationalsozialistische Soldateska wäre eine reine Karikatur. Stattdessen nehmen Menschen an diesen Verbrechen teil und führen sie aus, die dem Regime bestenfalls neutral gegenüberstanden. Diese Botschaft ist um ein Vielfaches wirkmächtiger als die teils zu Abziehbilder degenerierten strammen Nazis aus "Der Untergang", die gemeinsam mit Hitler an den Endsieg glauben. Als Greta sich endlich traut, den versammelten Soldaten ins Gesicht zu sagen, dass "der Endsieg leider ausfällt", ist auf deren Gesichtern der Schock einer Erkenntnis zu sehen, der sie sich lange verschlossen haben. Szenen wie diese, und strukturelle Anlagen wie diese, heben "Unsere Mütter, unsere Väter" weit über den bisherigen Nazi-Kitsch hinweg, den dieselben Kritiker wohl sogar vorziehen würden. Guido-Knopp-Betroffenheitsrhetorik scheint immer noch so vorzuherrschen, dass man die echte, viel tiefgreifendere Kritik nicht einmal mehr erkennt, wenn man direkt vor ihr steht, sie vielleicht nicht einmal erkennen will. 

Weiter geht's im zweiten Teil.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/03/filmbesprechung-unsere-mutter-unsere.html

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