Von Lisa Gerlach Ein gutes Empfehlungsschreiben kann das Zünglein an der Waage sein, wenn es da...
Ein Hort für Schriftkultur
Die „Heidelberger Schriftstücke“ wechselten am 8. Februar ihre Szene; im Januar ging es durch dicke Tresortüren in den Keller, nun in die Bel Etage mit Parkett, Stuck und Kerzenlüstern. Wir sind zu Besuch im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg. Museumsdirektor Frieder Hepp und Restauratorin Yvonne Stoldt zeigen Objekte aus dem graphischen Kabinett.

Auf dem Weg zum Großen Salon des Museums muss man sich ermahnen, den Beginn der Veranstaltung nicht dadurch zu verpassen, dass die Augen an einem der beeindruckenden Exponate hängen bleiben, die den Weg dorthin flankieren. Doch schließlich sind wir gekommen, um Teile der Museumssammlung zu sehen, die sonst im Depot lagern. „Museen sind Eisberge“, sagt Herr Hepp schmunzelnd, denn der größte Teil ihrer Sammlungen ist fast nie zu sehen. Pflegebedürftige und lichtempfindliche Objekte liegen gut geschützt im Depot.
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Prachtvolle Manuskripte, unsichtbare Tintenflecke, legendäre Raben – Eine Reise nach Mitteldeutschland
Eine Gruppe von 25 Heidelberger Studierenden und Dozenten erkundete im Rahmen der interdisziplinären Exkursion „Mittelalterliche Handschriften, Schätze, Dome und Burgen“ vom 23. bis zum 26. Juni 2017 Bibliotheken und Kulturdenkmäler in Leipzig, Erfurt, Naumburg, Merseburg, Gotha und Eisenach. Die Gruppe setzte sich aus den Bereichen der Heidelberger Fächer Germanistik, Kunstgeschichte und Mittellatein zusammen. Die Exkursion wurde von Ludger Lieb (Germanistische Mediävistik), Tobias Frese (Mittelalterliche Kunstgeschichte) und Tino Licht (Mittellatein) geleitet.
Gastbeitrag von Katharina Gruenke und Stefan Bröhl
Im Vordergrund der Exkursion stand die direkte Erfahrung mit unterschiedlichen materialen Textkulturen und deren Formen. Die Begegnung mit den Text- und Bildzeugnissen des Mittelalters wurde durch Referate von Studierenden begleitet.
Die ersten Türen, die sich der Gruppe öffneten, waren die der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Leipzig.
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Quelle: http://sfb933.hypotheses.org/380
#fes Social History Portal der International Association of Labour History Institutions
Texte des RECS #2: Die Belege zu den monatlichen Schatullrechnungen Friedrichs des Großen in der Abschrift Stengels
Ralf Zimmer
Als in Berlin am Montag, den 22. November 1943 gegen 19.30 Uhr die Sirenen heulten, kündigten sie den Bewohnern den bis dahin schwersten Luftangriff der Royal Air Force in der von Arthur Harris ausgerufenen „Luftschlacht um Berlin“ an. In dieser Nacht brannte nicht nur das Schloss Charlottenburg aus. Auch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche musste einen Treffer durch eine Luftmine hinnehmen. Von unterschiedlicher Funktion sind beide Gebäude dennoch untrennbar mit den Hohenzollern verbunden. Ebenfalls in dieser Nacht wurde in der Spandauer Straße 1 in Charlottenburg das Brandenburg-Preußische, ehemals Königliche Hausarchiv zerstört. [1]
Quelle: http://recs.hypotheses.org/629
Sächsischer Druck auf das Domkapitel
Anfang 1628 sah sich Kursachsen am Ziel: Markgraf Christian Wilhelms hasadeurhafte Politik hatte ins Nichts geführt, und als Administrator des Erzstifts Magdeburg hatte er das Weite suchen müssen. Nun war die Gelegenheit, anstelle eines brandenburgischen Prinzen einen sächsischen als Landesherrn im prestigeträchtigen Erzstift zu installieren. Gute Kontakte ins Magdeburgische hatte Dresden immer schon gepflegt – dies sollte sich jetzt auszahlen. Im Januar 1628 setzte das Domkapitel tatsächlich Christian Wilhelm ab und wählte mit August von Sachsen einen Prinzen aus dem Haus Wettin.
Doch damit begannen erst die Probleme. Denn das Haus Habsburg wollte dank der militärischen Überlegenheit im Reich seinerseits einen eigenen Kandidaten präsentieren und drängte Kursachsen dazu, die eigenen Ansprüche zurückzustellen. Doch Dresden dachte gar nicht daran, hier zurückzustecken – ein bemerkenswerter Schritt, denn in all den Jahren zuvor hatte Kursachsen immer darauf geachtet, ein gutes Auskommen mit dem Kaiser zu pflegen. Im Fall der Besetzung des Erzstifts Magdeburg kam es nun zum offenen Konflikt. Am Ende setzte sich der Kaiser durch und ließ seinen Sohn Leopold Wilhelm als Administrator einsetzen (vgl.
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Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/961
Guck mal, wer da bloggt 21! Blogs bei de.hypotheses.org
Mittlerweile wurden bei de.hypotheses.org über 400 Blogs eingerichtet, nicht alle sind aktiv geworden oder geblieben, aber wir wollen diesmal wieder einige der Blog-Perlen vorstellen, die bisher noch nicht zum Zuge gekommen sind.
1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch. Quellen aus Archiven des Rheinlands
Es ist erstaunlich, was Monika Marner im Landschaftsverband Rheinland (LVR) auf die Beine gestellt hat. 25 Archive aus dem Rheinland posten gemeinsam ihre Quellen aus dem Ersten Weltkrieg. 100 Jahe später auf den Tag genau werden täglich ca. 10 neue Quellen publiziert, die von einer wachsenden Community kommentiert, transkribiert oder für den Schulunterricht genutzt werden. Mittlerweile ist so die stolze Zahl von über 5000 Quellen entstanden.
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Eine digitale Schriftkunde, auch für den Dreißigjährigen Krieg
Auch wenn es bereits stattliche Quelleneditionen zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs gibt, ist die Masse der überlieferten und noch nicht gesichteten und bearbeiteten Archivalien immer noch so riesig, daß ein ganzes Forscherleben nicht ausreicht, sie zu bewältigen. Das muß aber nicht entmutigen, genauso wenig wie die paläographischen Herausforderungen bei der Entzifferung der Schriften des 17. Jahrhunderts. Tafelwerke, anhand derer man in universitären Übungen erste Gehversuche in diese Richtung machen kann, gibt es zwar schon sehr lange. Nun aber bieten die Staatlichen Archive Bayerns eine digitale Schriftkunde an, anhand derer handschriftliche Quellen aus den unterschiedlichen bayerischen Staatsarchiven vom 8. bis zum 20. Jahrhundert als Übungsmaterial aufbereitet werden.
Das Angebot knüpft an analoge Vorbilder an, ist aber nicht nur für die archivarische Ausbildung bestimmt, sondern will allgemein Hilfestellung bieten „für wissenschaftliche, heimatkundliche oder genealogische Forschung“ – entsprechend der digitalen Nutzungsmöglichkeiten. Ausgangspunkt ist das Archival selbst, das als Scan präsentiert wird.
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Praktikum beim LWL-Archivamt. Die Neue.
Dieses Mal bin ich es, die ein Praktikum beim Archivamt Westfalen-Lippe absolviert. Und vor allem meine Eindrücke und Erkenntnisse öffentlich teilt. Statt eines einmaligen Schlussberichtes versuche ich, zwischendurch immer mal wieder etwas zu schreiben. Ich?
Ich heiße Sabeth Goedert. Und anders als die meisten anderen Praktikanten in der Vergangenheit kann ich noch kein halbes oder abgeschlossenes Studium vorweisen. Viel schlimmer noch, ich habe noch nicht einmal angefangen.
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34. Rosa Elefanten oder Das Recht auf Vergessenwerden
An das Vergessen erinnern
Kaum scheint uns alles zuhanden, müssen wir es auch schon wieder loswerden. Kaum ist die jüngste Medienrevolution entlarvt worden, doch nicht der Eintritt ins Paradies gewesen zu sein, müssen wir uns auch schon mit ihren höllischen Folgewirkungen herumschlagen. Kaum scheint es uns gelungen, schier endlose Mengen an Daten und Informationen halbwegs dauerhaft für einen erheblichen Teil der Menschheit verfügbar zu machen, sind wir uns nicht mehr sicher, ob das auch wirklich alles gewusst werden soll. Kaum glauben wir die Möglichkeiten an der Hand zu haben, an alles erinnern zu können, fällt uns auf, wie wichtig es ist, auch mal vergessen zu dürfen.
Am Beispiel des Rechts auf Vergessenwerden im Internet, das nun schon seit geraumer Zeit vor allem unter juristischen Vorzeichen diskutiert wird, lässt sich nicht nur einiges über unser Verhältnis zum „Neuland“-Medium lernen, sondern werden auch die temporalen Probleme offenbar, die jede Verschiebung im medialen Ensemble mit sich bringt.
Das Recht auf Vergessenwerden entweder einzufordern oder vehement abzulehnen, zeigt nicht zuletzt die widersprüchlich erscheinenden Folgewirkungen einer Demokratisierung von Informationen an (von Wissen würde ich hier ausdrücklich noch nicht sprechen wollen). Bei dem Versuch, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung an der res publica, an den öffentlichen Angelegenheiten teilhaben zu lassen, setzt man nicht ganz zu Unrecht auf den Zugang und die Verbreitung entsprechender Informationen durch geeignete Medien. Mit dem Internet verband sich ja die Hoffnung, auf eben diesem Weg einen gehörigen Schritt weitergekommen, wenn nicht sogar bereits am Ziel angekommen zu sein. Wie sehr sich eine solche Hoffnung inzwischen als Illusion herausgestellt hat, können wir seit Jahren auf unterschiedliche Art und Weise erfahren. Erstens gibt die Kontrolle über das Medium immer noch ausreichende Möglichkeiten an die Hand, um zu bestimmen, was eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit erfahren darf und was nicht. Zweitens bringt das Internet ganz neue Formen zur Herstellung von Arkanpolitik und Geheimwissen hervor, die zuvor überhaupt nicht möglich gewesen waren (worauf wir dann wieder durch Whistleblower hingewiesen werden). Und drittens schlägt die Demokratisierung von Informationen weniger bei den res publica als vielmehr bei den res privata durch. Und genau hier, bei den intimen Angelegenheiten, die nicht von allen problemlos in Erfahrung gebracht werden sollen, wird das Recht auf Vergessenwerden akut – beim peinlichen Partyfoto, dem Urlaubsvideo in allzu leichter Bekleidung oder einem despektierlichen Blogeintrag.
Stellt sich natürlich die Frage, was man höher bewertet wissen möchte, den freien und demokratischen Zugang zu Informationen oder die Wahrung der Privatsphäre. Zur Diskussion steht dann eine Grenzziehung, die sich niemals endgültig fixieren lässt, nämlich zwischen dem Beginn des Privaten und dem Ende des Öffentlichen. Müssen es sich Prominente gefallen lassen, dass ihre Urlaubsbilder im Netz verfügbar sind, weil es sich um Personen des öffentlichen Lebens handelt? Haben Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an den gefilmten Alkoholexzessen ihrer Angestellten, weil davon ihr Unternehmen unmittelbar betroffen ist? Hier steht nichts weniger auf dem Spiel als die Frage nach der Entgrenzung jedes einzelnen Lebens in die Allgemeinheit hinein.
Forget it!
Aber das ist ja nur die aktualitätsfixierte Seite des Themas, nur derjenige Aspekt, der Schlagzeilen zu produzieren verspricht, weil Semi- oder Vollprominente Gerichtsprozesse anstrengen oder in der Rubrik „Vermischtes und Skurriles“ junge Menschen auftauchen, die beim Bewerbungsgespräch mit ihrer nicht lebenslauftauglichen Vergangenheit konfrontiert werden. Daneben und darunter spielen sich aber andere Auseinandersetzungen um Grenzziehungen ab, die weniger das Private/Öffentliche, sondern eher das Gestern/Heute/Morgen und das Vergessensollen/Erinnernmüssen betreffen. Kann man also Vergessen dekretieren? Schließlich kennen wir alle diesen Gag aus der Psychologen-Trickkiste für blutige Anfänger: Was passiert, wenn man jemanden auffordert, auf gar keinen Fall an den rosa Elefanten zu denken? Eben…
Alle Formen der Zensur können von diesem Dilemma ein Lied singen. Gerade dann, wenn man es sich als Wahrer von guter Ordnung, Moral und Sitte zum Ziel gesetzt hat, eine bestimmte Verlautbarung, die gegen diese selbst gesetzten Prinzipien verstößt, in ihre Schranken zu weisen, gerade dann erfährt diese Verlautbarung besondere Aufmerksamkeit. Wenn man auf gar keinen Fall vergessen werden will, sollte man sich also intensiv darum bemühen, dass einen andere vergessen machen wollen – dann erhöht sich die Chance deutlich, erinnert zu werden. Womit wir auch schon beim nächsten Problem angelangt wären, inwieweit nämlich Vergessen entweder ein aktiver oder passiver Vorgang ist. Kann man sich tatsächlich dazu zwingen, etwas zu vergessen (siehe rosa Elefant) oder muss man nicht warten, bis bestimmte Erinnerungen durch andere überlagert werden?
Weil das aktive Vergessen auf einer individuellen und kognitionstheoretischen Ebene füglich zu bezweifeln ist, konnte Umberto Eco in einem viel zitierten Beitrag (aber welcher Beitrag von ihm wäre nicht viel zitiert?) auch zurecht behaupten, dass man eine Kunst des Vergessens vergessen könne. [1] Die Befürworter eines Rechts auf Vergessen könnten dem entgegnen, dass es ihnen darum auch gar nicht gehe. Die Kunst zur Auslöschung bestimmter individueller Gedächtnisinhalte interessiere sie gar nicht, vielmehr gehe es darum, bestimmte Inhalte für das kollektive Gedächtnis unzugänglich zu machen. Und damit wäre dann auch eine wichtige Präzisierung in der gesamten Diskussion um das Recht auf Vergessenwerden im Internet erreicht. Um das Vergessen geht es nämlich überhaupt nicht. Es geht nur darum, die Verbindungen zu kappen und die Spuren zu löschen, die zu bestimmten Inhalten hinführen könnten, und das vor allem bei der wichtigsten Suchmaschine Google. Vergessen wird hier also gar nichts, es wird höchstens das Suchen erschwert.
Aber das Signal ist natürlich trotzdem nicht zu unterschätzen, denn schon seit halben Ewigkeiten bemühen sich Kulturen darum, unliebsame Inhalte per Dekret aus dem kollektiven Gedächtnis zu entfernen. Bedeutsam wurde ein solches Vorgehen regelmäßig nach Kriegen, wenn in Friedensverträgen festgehalten wurde, dass alle Erinnerungen an begangene Grausamkeiten und Freveltaten ausgelöscht werden sollten. (Dieses Vergessensgebot hat sich erst im Verlauf der Kriege des 20. Jahrhunderts in das Gegenteil eines Erinnerungsgebots verkehrt.) Sollte bei solchen Bemühungen also die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufrecht erhalten werden, um den gewesenen Krieg nicht in das Heute hineinschwappen zu lassen, handelt es sich in Zeiten des Internet eher um den Versuch, die alles umfassende Technik nicht vollständig das eigene Leben bestimmen zu lassen. Aber um ein wirkliches Vergessen kann es natürlich nicht gehen. Es kann nur um eine symbolisch aufzurufende Markierung gehen, entsprechende Grenzziehungen einzuhalten. Wer sich daran nicht gebunden fühlt, wird problemlos Wege finden, das Recht auf Vergessenwerden zu vergessen.
Heute das Gestern von morgen bestimmen
Historisch interessant ist die gesamte Angelegenheit, weil wir es hier auch mit einem Versuch zu tun haben, Grenzen zwischen den Zeiten zu ziehen. Schließlich steckt hinter dem Recht auf Vergessenwerden ganz wesentlich der Versuch, ein bestimmtes Stück Vergangenheit im Orkus verschwinden zu lassen, und damit heute schon bestimmen zu wollen, was man morgen noch über das Gestern wissen kann. Das hat bereits diverse Menschen und Gruppen auf den Plan gerufen, die sich gegen eine Zensur der Vergangenheit und damit einhergehende Konsequenzen für die historische Forschung gewendet haben.
Dieser Aspekt ist wahrlich nicht zu unterschätzen. Denn in der Tat ist hier das Bemühen zu beobachten, schon heute eine Vergangenheit zu kreieren, die erst morgen relevant werden dürfte. Zugleich ist die gesamte Diskussion in einen größeren Rahmen einzuordnen. Menschen und Kulturen waren zu allen Zeiten mittels unterschiedlicher Techniken darum bemüht, nicht nur Erinnerungen zu bewahren, sondern auch das Vergessen aktiv zu befördern (damnatio memoriae). Und auch wir, hier und heute, in den vergangenheitsseligen Zeiten des frühen 21. Jahrhunderts, sind auf vielfachem Weg darum bemüht, die Vergangenheit von morgen zu produzieren. Sehen wir uns doch nur die Praxis derjenigen an, die aus durchaus berechtigten Gründen das Recht auf Vergessenwerden fürchten: In Archiven werden die Konsequenzen diskutiert, die mit entsprechenden juristischen Regelungen einhergehen könnten. Aber was tun denn die Archive selbst, wenn nicht als Vergessensmaschinen zu fungieren? Im Gegensatz zu der zuweilen immer noch anzutreffenden Überzeugung, dass Archive vor allem dazu da seien, Dokumente übe die Zeiten hinweg aufzubewahren, die für Institutionen und Kollektive von Bedeutung sind, muss man festhalten, dass das weniger als die halbe Wahrheit ist. Archive sind in wesentlich größerem Maß damit beschäftigt, Erinnerungen zu tilgen, weil sie das allermeiste Material, das ihnen zugeführt wird (deutlich über 90%) vernichten müssen. Hier geht es vielleicht weniger um die Frage, ob man vergessen darf (oder muss), sondern eher um die Frage, wer darüber entscheiden kann, was vergessen werden darf.
Das Recht auf Vergessenwerden allein auf Internetsuchmaschinen zu delegieren, ist also reichlich kurz gesprungen. Denn es sind nicht Maschinen, die vergessen, sondern es sind Menschen, die vergessen sollen. Das menschliche Vergessen steht aber nicht nur unter einem gewissen kognitiven Vorbehalt, sondern hängt auch von der Benutzung anderer Medien als dem Internet ab (die soll es ja geben!) sowie von den Anstrengungen, die man auf sich zu nehmen bereit ist. Denn sich zu erinnern, erfordert tatsächlich Mühe. Unterlässt man diesen Energieaufwand, ist dem Vergessen kaum Einhalt zu gebieten.
Würde man den Versuch einer quantifizierenden Bestandsaufnahme unternehmen, würde sich wohl ohne weiteres herausstellen, dass im Umgang mit der Vergangenheit das Vergessen ohnehin der wesentlich normalere Vorgang als das Erinnern ist. Geht wohl auch gar nicht anders, denn wie schon Jorge Luis Borges wusste, würde das vollkommene Gedächtnis zur ebenso vollkommenen Lebensunfähigkeit führen. [2] Möglicherweise werden solche Überlegungen gemieden, weil sie das unumgängliche Paradox vor Augen führen, das unser Verhältnis mit der Vergangenheit prägt, es nämlich mit einer anwesenden Abwesenheit zu tun zu haben. Die Vergangenheit existiert nicht mehr, und gerade deswegen müssen wir zumindest einige letzte Spurenelemente davon gegenwärtig halten. Das Recht auf Vergessenwerden scheint in diesem schütteren Rest von Vergangenem noch mehr weiße Flecken produzieren zu wollen. Vielleicht ist die Diskussion darum aber auch nur ein Ausdruck unseres Unbehagens, das uns angesichts der medialen Möglichkeiten umfassender Geschichtsproduktion auf allen gesellschaftlichen Ebenen überfällt. Vielleicht wollen wir nur das Paradox einer Vergangenheit zurückhaben, die wirklich vergangen und nur deshalb gegenwärtig ist.
[1] Umberto Eco: An Ars Oblivionalis? Forget it!, in: Publications of the Modern Language Association (PMLA) 103 (1988) 254-261.
[2] Jorge Luis Borges: Das unerbittliche Gedächtnis, in: ders., Fiktionen. Erzählungen 1939-1944, 6. Aufl. Frankfurt a.M. 1999, 95-104.
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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2015/02/13/34-rosa-elefanten-oder-das-recht-auf-vergessenwerden/