Der (Wohlfahrts-)Staat erfüllt in der kapitalistischen Gesellschaft die Funktion gesellschaftlicher Regulierung. Indem er Ein- und Ausschlüsse moderiert sowie soziale Herrschaftsverhältnisse bearbeitet und zum Teil reproduziert, trägt er zum Fortbestand kapitalistischer Demokratien bei. Mittels welcher Instrumente der Staat die sozialen Verhältnisse … Continue reading →
Die chinesische Schrift … und was angehende Historiker/innen darüber wissen sollten
Die Möglichkeit, im Rahmen der in der Studieneingangs- und Orientierungsphase (BA Geschichte) vorgesehenen Vorlesung “Theorien und Geschichte schriftlicher Quellen und Medien” in 60-70 Minuten die Geschichte der chinesischen Schrift zu präsentieren (Universität Wien, 29. 10. 2014), stellt zumindest in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung dar: einerseits soll ein einführender Längsschnitt durch die Geschichte der chinesischen Schriftkultur geboten werden, andererseits muss auch der politisch-kulturelle Hintergrund (Orakelwesen in der chinesischen Antike, Vereinheitlichungen und “Reformen” der chinesischen Schrift, Einflüsse von Konfuzianismus und Buddhismus auf die Entwicklung von Schriftkultur, Anfänge von Papier und Buchdruck, etc.) berücksichtigt werden.
Nachdem unter anderem “epochen- und raumübergreifendes Grund- und Orientierungswissen über Schriftkultur” sowie “Grund- und Orientierungswissen über Geschichte, Funktion, Bedeutung und Analyse schriftlicher [...] Quellen”[1] vermittelt werden soll, hat sich die folgende Vorgangsweise geradezu angeboten:
Einleitend wurden die zentralen Faktoren bei der Entwicklung der Schrift (Wandel der Schreibmaterialien, ästhetische Vorstellungen (Kalligraphie!), neue Möglichkeiten und Techniken der Vervielfältigung, gesellschaftliche Umbrüche) benannt. Es folgten Beispiele für die zur Rektonstruktion der Geschichte der chinesischen Schrift wichtigen Schriftträger (Knochen, Bronze, Stein, Bambus, Holz, Papier – die auf Seide geschriebenen Bücher wurden der Vollständigkeit halber am Rande erwähnt).[2]
Die Ausführungen zu jüngeren Debatten um die schrifttypologische Einordnung/Beschreibung des Chinesischen wurden bewusst kurz gehalten – ebenso der Hinweis auf die sechs Strukturtypen (liushu 六書) chinesischer Schriftzeichen.
Die Frage nach der Anzahl der chinesischen Schriftzeichen wurde aus drei Blickwinkeln beleuchtet: 1.) Anzahl der allgemein gebräuchlichen Schriftzeichen, 2) Anzahl der Schriftzeichen in zweisprachigen Chinesisch-Wörterbüchern und 3) Anzahl der Schriftzeichen in einsprachigen Wörterbüchern und Zeicheninventaren (Beispiel: Unicode).
Eine Graphik verdeutlichte dann Entwicklung, Abfolge und Zusammenhänge der wichtigsten Schriftstile (Große und Kleine Siegelschrift, Kurialschrift, Modellschrift, Schreibschrift und Konzeptschrift). Als Beispiel für die so genannte “wilde Konzeptschrift” wurde ein Ausschnitt aus der Autobiographie des buddhistischen Mönchs Huaisu (8. Jh.n.Chr.) gezeigt.[3]. Ebensowenig durfte ein Blick auf das älteste erhaltene gedruckte datierte Buch – das Diamantsutra aus dem Jahr 868 n. Chr. – fehlen.[4]
Um den vorgegebenen Zeitrahmen einhalten zu können, folgte dann ein “Sprung” ins 18. Jahrhundert – zu einer Seite aus der wohl umfassendsten jemals gedruckten (chinesischen) Enzyklopädie (Gujin tushu jicheng 古今圖書集成 , d.i. “Sammlung von Texten und Illustrationen aus alter und neuer Zeit”, 1720er Jahre).
Auf Beispiele zur Ordnung und Anordnung der chinesischen Schriftzeichen (unter anderem eine Seite aus einem frühen (1872) chinesischen Telegraphencode) folgten dann zusammenfassende Bemerkungen zu der nach der Gründung der Volksrepublik China (1949) in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführten Schriftreform (Vereinfachung der Schriftzeichen, Verbreitung des Hochchinesischen, Entwicklung einer Lautumschrift). Erläuterungen zu nicht nur schriftgeschichtlich bemerkenswerten Einzelheiten der Seite 1 der Renmin Ribao 人民日報 (“Volkszeitung”) vom 20.12.1977 standen am Ende des Vortrags.
- Vgl. dazu Universität Wien, Studienpläne Geschichte, Studienplan-Wiki
- Dabei wurde auch auf einige der im Rahmen der Serie Kulturgeschichte Chinas im Netz vorgestellten Sammlungen zurückgegriffen.
- Vgl. http://www.npm.gov.tw/masterpiece/fPreview.aspx?sNo=04001004
- Vgl. British Library, Turning the Pages.
Bonincontrius’ Klassifikation der Astrologie
Lorenz Bonincontrius (1410-1491) hielt während seines Aufenthalts in Florenz einige Vorträge über das astronomische Lehrgedicht des antiken Dichters Marcus Manilius. Diese Vorträge arbeitete er zu einem umfangreichen Kommentar aus, den er in Rom im Jahre 1484 veröffentlichte. Im Vorwort zu … Weiterlesen →
Schattierungen. Poetologische Mehrdimensionalität am Rande von Edwin A. ABBOTTs Flatland.
Abbotts Flatland, 1884 erstmals und im selben Jahr überarbeitet und mit einem Preface erschienen1, fand in der Vergangenheit wenig gesonderte Aufmerksamkeit vonseiten der Literaturwissenschaft2 und nimmt von jeher Teil an einem eher ›naturphilosophischen‹ Diskurs; die Auseinandersetzung mit dem Werk blieb der Edition, Rezension, Adaption und einer naturwissenschaftlich geprägten Betrachtung seiner Denkstrukturen vorbehalten, wobei es mindestens in der angelsächsischen Rezeption als Ganzes den locus classicus narrativ verwirklichter Vierdimensionalität zu liefern scheint. Dabei stellt sich die ›Vielseitigkeit‹ von Flatland, die bereits der Untertitel »a romance of many […]
Quelle: http://enkidu.hypotheses.org/451
Citizen Humanities
Kürzlich wurde ich gefragt, was Citizen Science mit Wissenschaft zu tun habe. Wiebke Rettberg von Wissenschaft im Dialog hat für mein Wissenschafts-KM-Magazin einen tollen Beitrag darüber geschrieben, den ich um Beispiele aus Geisteswissenschaften und Museen ergänzt habe. Dabei geht es neben der Sammlung von wissenschaftlich verwertbaren Daten vor allem darum, sich mit Citizen Science als schöner, kreativer und zugleich ergebnisreicher Weg zu öffnen, transparenter werden und den Mehrwert einer Wissenschaftsdisziplin der Öffentlichkeit aufzuzeigen. International gibt es schon einige erfolgreiche Beispiele, in Deutschland werden entsprechende Projekte v.a. über die Plattform „Bürger schaffen Wissen“ koordiniert. Sie dient der Präsentation von Projekten, ist ein Austauschforum, entwickelt Leitfäden und Workshops für Wissenschaftler und interessierte Bürger.
„Citizen Science“ meint die Zusammenarbeit von Laien und Forschern an wissenschaftlichen Fragestellungen. Für Themen und Formate fast jedes Wissenschaftsbereiches – und gerade für die Archäologie – gibt es Interessierte, die sich intensiv mit Details auseinandersetzen und über versierte Kenntnisse verfügen. Für geisteswissenschaftliche Datenerhebungen in neuen Größenordnungen, forschende Kultureinrichten, Museumsdepots mit verborgenen Schätzen oder Häuser, die ihre Sammlungen digitalisieren wollen, bieten sich damit neue Möglichkeiten. Apps und Online-Angebote vereinfachen die Koordination und Kommunikation der Beteiligten und schaffen eine neue Flexibilität, zum Beispiel die Unabhängigkeit von Standorten.
Vorübergehender Hype oder ein neues Verständnis von Wissenschaft?
Viele wissenschaftliche Fragestellungen neuer Größenordnungen wären ohne die breite Beteiligung von Freiwilligen nicht zu bearbeiten. Dabei geht es aber nicht nur um rein pragmatische Machbarkeitsaspekte, sondern vor allem um eine neue Wertschätzung. Viele Menschen setzen sich als Laien intensiv mit fachlichen Themen auseinander, weil sie wissbegierig sind und Freude daran haben. Sie sammeln so nicht nur Fachwissen, sondern auch Erfahrungen und spezifisches Wissen über lokale Begebenheiten – man denke nur an Reenactment oder ehrenamtliche Denkmalpfleger. Das ist eine gesellschaftliche Ressource, die Forschung und Kulturbetrieben zugute kommen kann, bisher aber kaum den notwendigen Raum erhalten hat. Die Leidenschaft für ein Thema oder der Spaß am Mitmachen ist dabei nicht zu verwechseln mit Oberflächlichkeit.
Wie funktioniert ein Citizen Science-Projekt?
Die Antwort darauf ist so komplex wie einfach: Jedes Projekt muss seinen eigenen Weg finden, in Abhängigkeit von der Fragestellung, der gewünschten Mitarbeit, aber auch unter Berücksichtigung von Faktoren wie Budget, Zeit, räumliche Kapazitäten und Verortung. Die Beteiligung der Bürger kann dabei unterschiedlich ausfallen:
- Kooperation: Bürger stellen zum Beispiel die Rechenleistung ihres heimischen Computers oder ihres Smartphones zur Verfügung. Die Beteiligung des Einzelnen ist minimal und beschränkt sich auf das Bereitstellen von Ressourcen.
- Kollaboration: In solchen Projekten sammeln Bürger aktiv Daten und tragen damit zur Forschung bei.
- Koproduktion: Bürger forschen gemeinsam mit Wissenschaftlern. Je nach Komplexität sind dafür Schulungen oder ein bestimmtes Vorwissen nötig.
- Ko-Design: Wissenschaftler und Bürger arbeiten auf Augenhöhe zusammen, um neue Forschungsfragen zu definieren oder Projekte zu konzipieren.
Gut gemacht! – Engagement braucht Anerkennung
Wenn man sich für ein Citizen Science Projekt engagiert, möchte man dafür wertgeschätzt werden. Man möchte regelmäßig über Neuigkeiten informiert werden, sich mit Wissenschaftlern austauschen, Einblicke in den Forschungsprozess, Methoden und Fragestellungen erhalten und erfahren, welches Ergebnis die gemeinsame Forschung erbracht hat. Daher bedarf jedes Projektdesign einer gut durchdachten Kommunikationsstrategie. Dies ist ein großer Pluspunkt von Citizen Science. Das Prinzip der transparenten Rückkopplung ist ein Schritt in Richtung „Open Science“ und „Open Culture“: Eine Öffnung für den Austausch mit Bürgern, die mit einer Demokratisierung von Wissen, neuen Besuchern und Unterstützern einhergeht und auf das Bedürfnis nach Partizipation und Mitsprache reagiert.
Citizen Science-Beispiele
Citizen Science-Anwendungen beruhen oft auf spielerischen Prinzipien, die darauf abzielen, ein breites Publikum zu erreichen und mit Spaß zum Mithelfen und Mitforschen zu bewegen. Spiele dieser Art bezeichnet man als „games with a purpose” (GWAP). Die meisten gehören in die Rubrik „Kollaboration“, d.h. die Teilnehmer sammeln Daten zu einer Fragestellung, die Wissenschaftler entwickelt haben und in deren Kontext sie die Informationen auswerten. Das Potenzial nutzen international bisher v.a. Museen für ihre hauseigene Forschung, da sie mit der eigenen Sammlung die Basis für entsprechende Projekte quasi schon im Haus haben.
Gerade aufgestanden, Radio an und schon hat sich ein Lied im Kopf festgesetzt. „Ohrwürmer“ sind der Forschungsgegenstand im Projekt #Hookedonmusic der Universität Amsterdam. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Erkenntnisse über unser musikalisches Gedächtnis neue Impulse für die Behandlung von Alzheimer und Demenz liefern können. Dafür haben sie in Kooperation mit dem Manchester Science Festival und dem Museum of Science & Industry Manchester ein Online-Spiel entwickelt, mit dem sie Daten zum Erkennen von Musik unter Beteiligung einer möglichst großen Anzahl an Menschen erheben wollen. Diese sollen dazu motiviert werden, indem sie mit jeder richtigen Antwort Punkte sammeln und sich über eine Bestenliste mit anderen Spielern messen können.
Das Ethnologische Museum Berlin hat gemeinsam mit Fraunhofer Fokus die Open-Source-App „tag.check.score.“ entwickelt, um seine große digitale Bildersammlung zu verschlagworten. Dieser fehlten zusätzliche Informationen darüber, wo die Bilder aufgenommen wurden oder was darauf abgebildet ist. Deshalb entschloss man sich, diese Aufgabe in ein Spiel zu verpacken. Neben banalen Begriffen wurde dabei Fachwissen von interessierten Laien ebenso eingebracht, wie von Mitarbeitern anderer ethnologischer Museen oder Studierenden. Die entstandene Schlagwort-Sammlung von mehreren Millionen Wörtern wird nun zur wissenschaftlichen Weiterverwendung aufbereitet. Damit bedeutet das Projekt für das Museum eine große Zeitersparnis, eine Absicherung durch das programmierte mehr-Augen-Prinzip und einen großen Benefit in puncto Besucherbindung.
Auch das Online-Spiel „ARTigo“ greift auf dieses Prinzip zurück und erweitert die kunsthistorische Analyse von Bildern durch Annotationen nicht-wissenschaftlicher Spieler. Basis ist die Kunstsammlung der Ludwigs-Maximilian-Universität München. Die Qualitätskontrolle besteht auch hier in einem automatisierten Gegencheck, der Begriffe und Beschreibungen nur dann in die Datenbank übernimmt, wenn sie mehrfach genannt wurden. Ziel der Projektinitiatoren war es auch zu schauen, wie Menschen kunsthistorische Bilder verschlagworten. Dieses Wissen soll auf Suchoptionen für Bilddatenbanken im Netz angewandt werden. Der Erfolg des Projektes animierte auch andere Häuser dazu, die eigene Sammlung in ARTigo einzufügen.
Das Projekt „micropasts“, unterstützt vom Council for British Archaeology (CBA) und dem Archaeology Data Service (ADS), wird vom British Museum und dem Portable Antiquities Scheme gemeinsam verwaltet. Dabei steht im Mittelpunkt, neue Daten über die Vergangenheit der Insel mithilfe aktiver Teilnehmer zu sammeln – beispielsweise die genaue Lage archäologischer Fundorte anhand von Grobinformationen auf Fundkarten oder Fotos, aber auch Informationen zu unbekannten Stücken aus den Archiven. In einem anderen Projekt bittet das Museum die Teilnehmer, alte Handschriften anhand hochauflösender Bilder zu transkribieren oder eigene Fotografien von historischen Stätten oder Objekten einzureichen. Das Ziel ist es dabei in erster Hinsicht, die Menschen für die Bedeutung historischer Orte und Funde, aber auch für das immaterielle Kulturerbe zu sensibilisieren, indem man sie selbst damit arbeiten lässt. In ähnlicher Weise lässt der neben Wissenschaftlern auch von Laien befüllen, die sich mit privat mit archäologischen Funde beschäftigen. Alle Kooperationsprojekte der beiden Einrichtungen sind dabei wissenschaftlich äußerst erfolgreich und erfreuen sich zugleich großer Beliebtheit – nicht zuletzt, weil das British Museum und das Scheme auch hervorragende kreative und für den archäologischen Bereich wirklich vorbildliche Social Media-Arbeit leisten.
Auch die Dissertation von Sascha Förster zu Nachkriegskindern, ist ein schönes Beispiel für Forschung auf Basis von “Big Data”, die ohne Crowdsourcing bzw. Citizen Science in diesem Umfang kaum von einem Forscher allein hätten generiert werden können. Alles dazu kann man hier nachlesen.
Und zu guter Letzt hab ich selbst ein kleines Projekt ins Leben gerufen, dabei geht es darum, Links und Infos zur Social Media-Nutzung in der Archäologie in Deutschland zu sammeln. Aber auch über Ideen oder Hinweise zu Projekten aus dem Ausland oder aus anderen Bereichen freue ich mich.
WIEBKE RETTBERG beschäftigte sich mit dem Thema Partizipation seit ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg. Als Projektmanagerin ist sie derzeit bei Wissenschaft im Dialog (WiD) tätig und setzt sich in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Museum für Naturkunde Berlin mit dem Thema Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft auseinander.
Wollen Archive (mehr) Nutzer?
„Neue Wege ins Archiv. Nutzer, Nutzung, Nutzen“, das war der schöne Titel, unter dem im September 2014 der 84. Deutsche Archivtag in Magdeburg stattfand. Den Nutzer einmal in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken, war eine gelungene Idee, denn eigentlich spielt er eine seltsame Rolle im Archivwesen: Er steht am Ende aller archivischen Arbeitsprozesse, und erst wenn wir Archivarinnen und Archivare alle Bewertungs-, alle Erschließungs-, alle Ordnungsarbeiten geleistet haben, dann kommt er ins Spiel, zu einem Zeitpunkt also, an dem wir die konkrete Arbeit mit dem Archivgut abgeschlossen haben. Und eigentlich spielt es für uns auch nur eine zweitrangige Rolle, ob der Nutzer kommt oder nicht; die archivische Arbeit wird davon nicht beeinflusst, wir bewerten oder erschließen auch völlig ohne irgendwelche Nutzer.
Angesichts dieser nachgeordneten Rolle durfte es allerdings nicht verwundern, dass der Nutzer auf dem Archivtag – trotz des Themas! – nur eine geringe Rolle spielte. Tatsächlich wurde nämlich weniger über den Nutzer gesprochen als vielmehr über die Nutzung. Ist das Wortklauberei? Keineswegs, denn das, was vorgetragen wurde, das war meistens eine archivische Binnenperspektive: Aus organisationsinterner Sicht wurde die Nutzung als Element der archivischen Arbeit wahrgenommen und diskutiert. Nutzung erschien als Prozess, den Archive in unterschiedlicher Form ausgestalten und reglementieren, bevor Nutzer dann innerhalb der geschaffenen Infrastrukturen (z.B. Archivportale) aktiv werden können. Kurz gesagt: Archive sprachen über ihre internen Arbeitsabläufe. Wie die Außenperspektive aber aussehen mag, mit welchen Erwartungen und Interessen der Nutzer an ein Archiv herantritt, welche Rolle dem Nutzer im Archiv zukommen könnte oder sollte, solche Fragen wurden kaum einmal thematisiert. Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, dass der Nutzer auch gar nicht auf dem Archivtag präsent war, seine Perspektive also gar nicht in die Diskussion eingebracht werden konnte. Es wurde über den Nutzer gesprochen, nicht aber mit ihm. Vermutlich wissen Archive nicht genau, was ihre Nutzer wollen. Wie sollten sie auch, wenn der Nutzerkontakt sich in der traditionellen Bereitstellung erschöpft, alle weiteren Kommunikationsmöglichkeiten – etwa über Soziale Medien – aber weithin ungenutzt bleiben. Gegenwärtig machen Archive weitgehend unberührt von Nutzermeinungen bestimmte Nutzungsangebote, die vorwiegend dahin tendieren, die klassischen Einsichtsmöglichkeiten des Lesesaals in den virtuellen Raum zu spiegeln (und im Wesentlichen noch auf die Findmittel beschränkt sind). Eine maßgebliche Nutzerorientierung bedeuten solche Nutzungsangebote jedoch nicht.
Leider ist diese Tatsache nichts Neues. Auch auf diesem Archivtag habe ich dafür plädiert, den virtuellen Nutzerkontakt doch interaktiv und kommunikativ auszugestalten, den Nutzer als Aspekt archivischer Arbeit zu sehen, der mehr verdient hat, als am Ende einen Lesezugriff auf Archivgut zu erhalten. Auch andere Kolleginnen und Kollegen versuchten zu zeigen, wie man Nutzer – zu beiderseitigem Gewinn! – in die archivische Arbeit integrieren kann. Genannt seien etwa Joachim Kemper vom Stadtarchiv Speyer und Jochen Hermel vom Historischen Archiv der Stadt Köln, die funktionierende Konzepte ihrer eigenen Häuser vorstellten, wie ein Miteinander von Archiven und Nutzern aussehen kann. Dort funktioniert der virtuelle Nutzerkontakt schon in anderen Dimensionen als der bloßen Bereitstellung, etwa durch die alltägliche Vermittlung archivischer Anliegen und Arbeiten, das proaktive Zugehen auf die Nutzer und ihre Interessen oder das Angebot zur Arbeit mit dem Archivgut (z.B. Kommentierungen, Transkriptionen). Leider handelt es sich hierbei um Ausnahmefälle im deutschen Archivwesen, vergleichbare Ideen und Konzepte sind nicht ansatzweise flächendeckend vertreten oder auch nur angedacht.
Warum ist das so? Warum bleibt der Nutzer auf die traditionelle Rolle als mäßig umsorgtes Subjekt am Ende der archivischen Arbeitsprozesse beschränkt? Warum werden interaktive, kommunikative oder kollaborative Elemente von den deutschen Archiven nur so schwach rezipiert (in einem spürbaren Gegensatz zur internationalen fachlichen Entwicklung, von vielen anderen Alltagsbereichen ganz zu schweigen)? Offen ausgesprochen werden Gründe für eine solche Ablehnung kaum einmal, zumal ebendiese meist auch gar nicht sonderlich reflektiert erscheint, sondern sich aus Desinteresse, Unwissen und/oder Unverständnis speist. Argumentiert wird in diesen Fällen gerne mit dem erhöhten Arbeitsaufwand, der hierfür geleistet werden müsse, oder mit einer grundsätzlichen Diskussion, die überhaupt erst einmal geführt werden müsse. Selbstverständlich spricht vieles für einen durchdachten Umgang mit Ressourcen und Zielvorstellungen, aber mittlerweile glaube ich, dass diese Fragen eher sekundärer Natur sind. Schlimmer noch: Möglicherweise verstellen sie den Blick auf das Wesentliche. Die Frage scheint mir nämlich grundsätzlicher gestellt werden zu müssen. Wenn viele Archive sich den mannigfaltigen Möglichkeiten des virtuellen Nutzerkontakts verweigern, dann muss die Frage nämlich lauten: Wollen Archive einen veränderten Nutzerkontakt? Wollen Archive einen intensiveren Nutzerkontakt? Oder auch: Wollen Archive überhaupt (mehr) Nutzer?
Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass Nutzer für Archive nicht den Stellenwert haben, den etwa Kunden für Unternehmen genießen. Archive hängen nicht mit ihrer Existenz an der Zahl ihrer Nutzer. Wenn ein Unternehmen keine Kunden mehr hat, dann geht es pleite. Wenn ein Archiv keine Nutzer mehr hat, dann bleibt mehr Zeit für Erschließungs- oder gar Forschungsarbeiten. Gut, das ist etwas zugespitzt formuliert, dürfte aber den Kern der Sache treffen. Daraus resultiert natürlich eine mindestens unterschwellige Mentalität, andere Dinge als den Nutzer in den Mittelpunkt der archivischen Arbeit zu stellen. Bestandserhaltung, Ordnungsarbeiten, Überlieferungsbildung und vieles andere mehr hat für Archivarinnen und Archivare eine ähnliche oder höhere Priorität. Die logische Folge sind die Defizite im Nutzerkontakt, die wir gegenwärtig sehen (und über die auf dem Archivtag bemerkenswert wenig gesprochen wurde): Das gilt für den analogen Nutzerverkehr mit mancherlei Gängelungen (Fotografierverbote, Öffnungszeiten, Lesesaalausstattungen etc.), das gilt insbesondere aber für die mangelnde Präsenz der Archive in der virtuellen Welt. Archive müssen erst einmal nicht auf ihre Nutzer zugehen, sie müssen nicht offensiv um ihre Nutzer werben, sie müssen keine Nutzungsangebote schaffen, sie müssen keine Serviceleistungen anbieten, sie müssen keine Kundenbindungen aufbauen. Allein Zugänglichkeit müssen sie sicherstellen und dieses Kriterium kann auch mit dem Aufschließen des Lesesaals an ein paar Stunden in der Woche und der Vorlage einiger maschinengeschriebener Findbücher erfüllt werden. Nur vor diesem Hintergrund kann man verstehen, warum das Engagement der Archive im digitalen Bereich so zurückhaltend ist, gerade auch im Vergleich zu den benachbarten Kulturinstitutionen wie Bibliotheken und Museen. Nur vor diesem Hintergrund kann man verstehen, warum große Teile des Plenums applaudieren, wenn bei der Magdeburger Podiumsdiskussion ein Unverständnis über die Nutzung von Twitter geäußert wird, warum ein Kollege offensiv vertreten kann, für nur 500 Interessenten würde er doch keinen Facebook-Account betreiben, oder auch warum ein großes deutsches Archiv eine Kooperation mit Wikimedia nicht fortsetzt, obwohl die entsprechende Bildernutzung massiv zugenommen hat. Der Nutzer ist nur ein Faktor der archivischen Arbeit und er genießt wohl nicht die höchste Priorität im archivischen Denken und Handeln. Wenn der virtuelle Nutzerkontakt momentan eher schleppend anläuft, dann aus dem einen Grund, dass Nutzerorientierung kein existentielles Anliegen der Archive ist. Die strategische Frage, ob Archive Nutzer wollen oder genauer, ob Archive mehr Nutzer wollen, dürfte gegenwärtig kaum mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Auf eine Bejahung dieser Frage würde aber nahezu jede intensivierte Aktivität im virtuellen Raum hinauslaufen. Da diese Frage aber eben nicht grundsätzlich bejaht werden dürfte, bleibt auch das virtuelle Engagement nur schwach ausgeprägt.
Es bleibt die abschließende Frage, ob diese Haltung sinnvoll ist. Natürlich vertrauen Archive gegenwärtig darauf, dass sie ein Monopol auf das von ihnen verwahrte Kulturgut haben. Wer Archivgut nutzen will, muss ins Archiv kommen, so lautet das Kalkül. Aber schon viele Branchen mussten erleben, dass das digitale Zeitalter neue Rahmenbedingungen setzt – und Archive dürften davor nicht gefeit sein. Spürbar sind diese neuen Rahmenbedingungen bereits jetzt, z.B. in den deutlich umfangreicher digitalisierten Bibliotheksbeständen oder auch in den vielfältig online vorliegenden audiovisuellen Medien (auch und gerade aus dem nicht originär archivischen Umfeld). Dort liegt ein erhebliches Reservoir von digitalem Kulturgut vor, das manche Archivnutzung substituieren kann, zumal nicht wenige dieser Angebote hochgradig nutzerzentriert angelegt sind: neben der bloßen Ansicht gehören Funktionalitäten zur Weiternutzung hier zur Normalität. Das sollte uns zu denken geben, denn eine vergleichbar ernst genommene Nutzerorientierung dürfte ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsfähigkeit von Archiven sein. Die Fachdiskussion andernorts ist hier schon weiter, stellvertretend – und gleichzeitig auch abschließend – sei die amerikanische Kollegin Kate Theimer zitiert, die für ein neues Geschäftsmodell der Archive plädiert: Nicht der Umgang mit dem historischen Material müsse das Kernanliegen der Archive sein, sondern der Umgang mit den Nutzern: „Archives add value to people’s lives by increasing their understanding and appreciation of the past.“ Viel deutlicher ist die Nutzerorientierung von Archiven nicht zu denken.
Aktueller Nachtrag: Am 21. Oktober 2014 fand die zweite Nutzerkonferenz des Historischen Archivs der Stadt Köln statt (soweit ich sehe, die einzige Veranstaltung dieser Art in der deutschen Archivlandschaft). Dort diskutierten Vertreter unterschiedlicher Nutzergruppen über Angebote und Arbeit des Archivs. Wenig verwunderlich zielten die Nutzerinteressen auf einen guten Online-Zugang zum Archivgut, auf eine attraktive Online-Aufbereitung von bestimmten Themengebieten der (Stadt-)Geschichte, auf eine lebendige digitale Kommunikation von Archiv und Nutzern (auch und gerade über Soziale Medien) und ganz grundsätzlich auf eine Willkommenskultur, die dem Nutzer signalisiert, er ist im Archiv gerne gesehen und wird als wichtiger Bestandteil der archivischen Arbeit wertgeschätzt.
#wbgavie | Esther-Julia Howell: AMUC – Das Gemeinschaftsblog der Münchener Archive
Gastbeitrag von Esther-Julia Howell (Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München) anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattfindet.
Schon vor mehreren Jahren haben sich die Münchener Archive zu einem lockeren Arbeitskreis zusammengeschlossen, um ihre Aktivitäten und die Öffentlichkeitsarbeit rund um den alle zwei Jahre stattfindenden bundesweiten Tag der Archive zu koordinieren. Dabei entstand unter dem Namen „Archive in München“ auch ein gemeinsamer Internetauftritt, auf dem die zahlreichen kleinen und großen Archive und archivähnlichen Einrichtungen der bayerischen Landeshauptstadt sich und ihre Bestände vorstellen konnten.
Diese Website war ein erster richtiger und wichtiger Schritt des Arbeitskreises in die digitale Welt. Die Weiterentwicklung des Internets zum dynamischen und interaktiven Web 2.0 ließ den Auftritt jedoch innerhalb weniger Jahre statisch und veraltet wirken. Das lag auch daran, dass Veränderungen jeweils von einer Agentur vorgenommen werden mussten; Informationen zu Ansprechpartnern, Öffnungszeiten und Ähnlichem wurden daher nur selten auf den aktuellen Stand gebracht. Wegen des relativ hohen organisatorischen und finanziellen Pflegeaufwands wurde die Seite bald nur noch alle zwei Jahre als Werbeplattform für die Veranstaltungen zum Tag der Archive genutzt. Entsprechend gering war die Zahl der Seitenaufrufe.
Der Arbeitskreis entschloss sich daher im Frühsommer 2014, die Gestaltung des gemeinsamen Internetauftritts zu überdenken. Die dafür eingerichtete Arbeitsgruppe entschied sich sehr schnell, mit der Zeit zu gehen und statt einer aufwändigen und womöglich kostenintensiven Überarbeitung der klassischen Website, auf ein Gemeinschaftsblog umzusteigen.
Die Vorteile eines Gemeinschaftsblogs lagen für die Arbeitsgruppe auf der Hand: Es ist in der Regel kostenlos und kann auch ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse relativ einfach selbst gestaltet und gepflegt werden. Statt Änderungen mühsam koordinieren zu müssen, kann jede Einrichtung ihre Informationen über einen Autorenzugang selbst aktuell halten. Auch thematische Beiträge, Veranstaltungs- und Publikationshinweise können die Institutionen selbständig erstellen und veröffentlichen. Da das Blog von vielen Beiträgern befüllt wird, ist der Arbeitsaufwand für die einzelnen Institutionen weitaus geringer, als wenn sie ein eigenes Blog betreiben würden. Die Pflege des Blogs insgesamt, also die Erstellung neuer Seiten oder Kategorien und die Verwaltung der Autorenzugänge, kann mit überschaubarem Arbeitsaufwand durch ein mehrköpfiges Redaktionsteam erfolgen.
Auf der Suche nach einem geeigneten Anbieter wurde die Arbeitsgruppe dank eines Kontaktes zu Maria Rottler schnell fündig: de.hypotheses.org ist ein seriöses und nicht-kommerzielles Blogportal, das ausschließlich geistes- und sozialwissenschaftliche Blogs versammelt und sogar einen wissenschaftlichen Beirat unterhält – alles wichtige Argumente, um die dem Web 2.0 teilweise zurückhaltend gegenüberstehenden Archivträger von der Idee eines Blogs zu überzeugen.
Das Redaktionsteam hat in den letzten Monaten die Grundstruktur für das Blog erarbeitet und es mit ersten Inhalten befüllt. Das Blog soll dazu dienen, einen Einblick in die reiche Münchener Archivlandschaft zu geben. Ein wichtiges Anliegen ist dabei, den kleineren, finanziell und personell weniger gut aufgestellten Archiven und solchen ohne eigenen Internetauftritt die Möglichkeit zu bieten, sich und ihre Arbeit ohne unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand einem breiteren Interessentenkreis zu präsentieren. Über die Kommunikation mit den Nutzerinnen und Nutzern hinaus soll das Blog auch dem fachlichen Austausch zwischen den Münchener Archiveinrichtungen dienen. Zur Mitarbeit eingeladen sind daher Archivare und Archivarinnen, Historiker und Historikerinnen, Studierende, Archivnutzer und Archivnutzerinnen sowie alle historisch und stadtgeschichtlich Interessierten. Seit Kurzem ist das Blog nun online und wird dank der zahlreichen Kollegen, die sich bereits für ihre Institution als Autor oder Autorin angemeldet haben, in den nächsten Wochen hoffentlich weiter mit Leben erfüllt werden.
Blog: http://amuc.hypotheses.org
Facebook-Seite: https://www.facebook.com/pages/Archive-in-M%C3%BCnchen/254315181287132?fref=ts
Twitter: @amucblog
Dr. Esther-Julia Howell ist seit 2014 stellvertretende Archivleiterin am Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München.
Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/468
Interview mit Udo Thiedeke (JGU Mainz)- Über das Leben und Werk des Soziologen Rainer Lepsius
Die Redaktion des Soziologiemagazins hat als Nachruf zum Tode des Soziologen Prof. Dr. Dr. hc. Rainer Lepsius ein Interview mit Prof. Dr. Udo Thiedeke geführt, der während seiner Studienzeit und Promotion einer der bedeutendsten deutschsprachigen Soziologen der Gegenwart kennengelernt … Continue reading
Weiße Creative Commons/Public Domain-Flecken im kollektiven Bildgedächtnis zur Zeitgeschichte | Wer kann sie füllen?
Vor allem dank Wikimedia gibt es für den Geschichtsunterricht inzwischen eine Fülle von Bildmedien – sowohl Zeichnungen, Gemälde oder Fotos – die unter CC (Creative Commons-Lizenz) stehen oder gemeinfrei (Public Domain, PD) sind. Solche Bildmedien können mit entsprechendem Bildnachweis auf Internetseiten urheberrechtlich problemlos veröffentlicht werden und sind für die Erstellung von Lernmaterialien z.B. als Open Educational Resources von großer Bedeutung.
Ein besonderes Problem sind Fotos (auch Karikaturen, Werbung, Portraits etc.) zur Zeitgeschichte. Zwar gibt es – beispielsweise im Bildbestand des Bundesarchivs, das der Wikimedia über 80.000 Fotos unter CC-Lizenz zur Verfügung gestellt hat - einen großen Fundus fotografischer Quellen zur Geschichte von Bundesrepublik und DDR. Zu einer Vielzahl bedeutender zeitgeschichtlicher Ereignisse finden sich aber keine Bildmedien unter CC-Lizenz oder PD. Es handelt sich dabei insbesondere um Pressefotos, bei denen die Urheberrechte i.d.R. beim jeweiligen Fotografen oder den jeweiligen (Zeitungs-) Verlagen oder Medienanstalten liegen.
Anbei nur einige Beispiele weißer Flecken von Ereignissen zur Zeitgeschichte, zu denen es keine Fotos unter CC oder PD gibt. Dazu drei Fragen:
1. Wer kennt eine CC oder PD-Quelle zu guten Fotos dieser Ereignisse? Dann könnten die weißen Flecken ersetzt werden?
2. Welche Institutionen (staatliche, öffentliche Bildungsträger, Verlage, Medienanstalten) könnte man anfragen, die solche Bildmedien unter CC oder PD stellen könnten?
3. Wer kennt andere weiße Creative Commons/Public-Domain-Flecken im kollektiven Bildgedächtnis zur Zeitgeschichte – gerne zu Ereignissen nicht nur der deutschen Geschichte? Sie können hier ergänzt werden.
Schule – Tablet – Wissenschaft: Was bringt die Zukunft? Ein Denkanstoß.
Gestern Abend hörte ich im Institut für Kunstpädagogik an der LMU den Vortrag „Freeware und Apps in kunstpädagogischen Prozessen“ von Andreas Hintermaier, der sowohl am Pädagogischen Institut der Stadt München als auch als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet. Ein Mann der Theorie und Praxis also.
Hintermaier zeigte u.a. den Trend auf, um den es an den Schulen heute geht: weg vom PC hin zum Tablet. Bis ein Schul-PC hochgefahren ist, ist ein guter Teil der Schulstunde vorbei. Tablets zu starten geht einfach schneller. Außerdem sind sie recht robust und die Wartung – wenn erforderlich – im wahrsten Sinne des Wortes, ist kinderleicht. Apps lassen sich in der Regel intuitiv bedienen. Um die Speicherung der Daten braucht sich kein Anwender zu sorgen, die geschieht meist automatisch (aber manchmal weiß man nicht genau wo, was ein Nachteil ist). Die Schüler wertschätzen die teuren Geräte und gehen vorsichtig mit ihnen um. Wer hier genaueres zu Pro und Contra wissen möchte, kann das differenzierter in den Folien des Vortrags nachlesen.
Genau gesagt geht der Trend nicht zum Android Tablet, sondern eindeutig zum iPad. Der Grund liegt darin, dass die Apple-Geräte aus mehreren Gründen für die Schule besser geeignet sind: sehr intuitive Bedienung, deutlich mehr Apps im pädagogischen Bereich als bei Android, Überwachung der Apps von Apple in Sachen Jugendfreiheit. Natürlich gibt es auch Nachteile, wie das Einbinden (verschiedener) mobiler Geräte ins Netzwerk oder der Zugriff auf die von Schülern erstellten Daten innerhalb/außerhalb der Cloud. Trotzdem lässt sich mit einem Satz feststellen:
„Beim digitalen Arbeiten geht der Trend an Schulen hin zum iPad.“
Die folgende Frage schließt sich direkt daran an:
Wenn heutige Schülergenerationen an das Tablet gewöhnt sind, wie sehen dann die zukünfigen Generationen von Wissenschaftlern aus?
Auf der Tagung Rezensieren-Kommentieren-Bloggen, die im Januar 2013 in München stattfand, wurde die Fragmentisierung von Texten – insbesondere im wissenschaftlichen Bereich – thematisiert. Die Fragmentisierung wird nicht allseits begrüßt, macht sie doch vielen “monographieversessenen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern” Angst [1].
–snip–
Eine App ist nichts anderes als ein Fragment. Ein überschaubares Maß an Funktionalität – im Gegensatz zu mächtigen Programmen wie Photoshop, von denen der Anwender häufig nur einen Bruchteil der Funktionen nutzt.
Ein Tablet ist ebenfalls eine Art Fragment. Es ist nicht so mächtig wie ein PC, sondern hat seine eigenen Stärken, die durch Reduktion von Funktionalität (z.B. keine Maus, keine Tastatur) und einer daraus entstandenen Neuschöpfung von Funktionen (z.B. Wischen) erlangt wurde. Und jetzt wiederhole ich die soeben gestellte Frage: Wenn heutige Schülergenerationen an das Tablet gewöhnt sind, wie sehen dann die zukünfigen Generationen von Wissenschaftlern aus?
Und:
Wie wird sich das auf die Forschung auswirken?
Happy thinking!
[1] Peter Haslinger: Block und Kugelschreiber oder Twitterwall? Thesen zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften
Quelle: http://games.hypotheses.org/1832