(Digital) Humanities Revisited – Challenges and Opportunities in the Digital Age. Oder: Wie man Gräben isst.

 

Konferenz 5.12.–7.12.2013, Hannover Herrenhausen, Volkswagen Stiftung

Die Initiative zur hochkarätig und international besetzten Konferenz ging von der Volkswagen-Stiftung aus, die mit dem eben wiederaufgebauten Schloss Herrenhausen in Hannover einen geradezu splendiden neuen Konferenzort bietet, an dem es sich im Wortsinne königlich tagen, speisen und diskutieren lässt – ganz zu schweigen von der hervorragenden technischen Infrastruktur im Saal, wo kein Device hungrig in den Stand-by gehen muss.

Gute Voraussetzungen, um über Digitales zu sprechen. Ebenso passend zum Thema wirkt die Idee, gezielt Wissenschaftsblogger einzuladen: Wo man früher Vertreter der klassischen Presse hofierte, wurde in Hannover ein „Bloggers‘ Corner“ eingerichtet, der all die, für die bloggen, twittern und kommentieren bereits zum Alltag gehört, in den Pausen mit Gleichgesinnten zusammenführte.

Und damit sind wir schon bei einem tiefen Graben, der sich durch die Konferenz zog: Die einen verstehen das Tagungsthema „Digital Humanities“ im Sinne von „computergestützten Analyseverfahren“, die den klassischen Geisteswissenschaften ganz neue Forschungsfragen und Datenbearbeitungsmethoden eröffnen. Lev Manovich („Looking at one million images:  How Visualization of Big Cultural Data Helps Us to Question Our Cultural Categories“) etwa stellte solche Themen vor, die überhaupt erst durch das Vorhandensein digitaler Analysemethoden entstehen.

Um es pointiert zu formulieren (was das Medium Blog ja durchaus erlaubt): Die andere Seite des Grabens langweilt sich. Denn auch jene Seite versteht sich als Vertreter der „Digital Humanities“, jene, die mehr oder weniger „klassische“ geisteswissenschaftliche Forschung betreibt, aber an digitalen Infrastrukturen, also etwa an neuen Formen der Kommunikation (untereinander und mit der Öffentlichkeit) und an neuen Formen der Publikation interessiert ist, und die all das meist schon munter praktiziert. Selbstverständlich hat auch dieses „Wie“ des Arbeitens weitreichende Folgen auf Methoden, Ergebnisse und Reichweite.

Dennoch verstehen jene auf der ersten Grabenseite, denen das „Was“ der Forschung als Kern der Digital Humanities gilt, dies als alten Wein in neuen Schläuchen und langweilen sich ihrerseits. So oder so ähnlich wird wohl die Rückschau von Michael Schmalenstroer zu verstehen sein.

Die Frage „Was sind die Digital Humanities?“ wurde letztlich – zu Recht – in Hannover nicht oder kaum thematisiert. Darauf gibt es im Augenblick keine Antwort.

Eleanor Selfridge-Field Professor of Music and Symbolic Systems, Felix Zahn für VolkswagenStiftung

Ich versuche es mit einem Schnelldurchlauf durch das Programm ohne Anspruch auf Vollständigkeit: „Digital Humanities – What Kind of Knowledge Can We Expect?“ titelte der erste Tag, der ein klares computerlinguistisches Übergewicht hatte und sich mit Big Data und Anwendungsbeispielen digitaler Analysemethoden beschäftigte, teils von Bild-, teils von Textmaterial.

Horst Bredekamp schloss einen fulminanten Vortrag an, der von einsetzender Ermüdung zeugte, denn natürlich sind digitale Forschungsansätze und -infrastrukturen (by the way könnte man die beiden benannten Grabenseiten mit diesen beiden Begriffen auf den Punkt bringen) inzwischen längst dem Windelalter entwachsen.

Tag zwei, der nach „From Art to Data – What‘s the Impact of Going Digital?” fragte, brachte z.B. den Vortrag von Julia Flanders: Datenmodelle miteinander sprechen zu lassen sei eine der größten Herausforderungen angesichts der bereits breiten Landschaft verschiedener Projekte und Ansätze. Big Data ohne Fragestellungen „einfach anzusehen“ und daraus Forschungsfragen entstehen lassen (nie umgekehrt…), war die Botschaft des schon erwähnten Lev Manovich, der sich damit einmal mehr als Vertreter der oben zuerst geschilderten DH-Grabenseite outete.

Das Format der „Lightning Talks“ mit anschließenden Postersessions durchzog alle drei Konferenztage: Schön war, dass die streng dreiminütigen Vorträge einen Einblick in die Diversität bestehender digitaler Projekte junger Wissenschaftler aus aller Welt ermöglichte. Zugleich war Mitleid mit den von Eile gequälten Rednern wohl ein verbindendes Gefühl im Publikum.

In positiver Erinnerung bleibt zumindest mir der Workshop des zweiten Tages. Zwar waren sicher nicht immer die mehr als 200 angemeldeten Gäste vor Ort, dennoch war es sinnvoll, die Schar für zwei Stunden in kleinere Diskussionsgruppen zu teilen. Diese beschäftigten sich parallel mit denselben (generischen) Fragen zu Entwicklung, Chancen und Bedürfnissen der DH und präsentierten einander anschließend ihre Überlegungen. Eine der Kernbotschaften unserer Arbeitsgruppe auf die Frage, wie man die zwei Welten „Informatiker“ und „Geisteswissenschaftler“ einander näherbringen könnte, fiel simpel und klar aus: gemeinsam essen gehen. Im selben Raum arbeiten.

Die öffentliche Podiumsdiskussion, zu der ich nur vom Hörensagen berichten kann, hat die Gemüter erregt und zumindest die Vertreter des „Bloggers‘ Corner“ kopfschüttelnd zurückgelassen. Von einem Niveauabsturz im Vergleich zu den Workshops und von einem „Katapult zehn Jahre zurück“ war da im Rückblick die Rede. Ein Diskutant fiel aus; es blieben der wohl provokant konservativ auftretende Jürgen Kaube (FAZ), der damit die Linie seines Hauses nahtlos weiterführt, im Verbund mit einem fortschrittskeptischen Moderator, dessen Fragen („Was bleibt von der Kultur im Digitalen Zeitalter?“) die beiden Damen des Podiums (Mercedes Bunz, Bettina Wagner-Bergelt) vor große Aufgaben stellten.

Der letzte Tag schwenkte in weiten Teilen zur zweiten Grabenseite über und fragte nach „Digital Humanities and the Public“. Luis von Ahn stellte seine (beeindruckenden) Projekte vor, die sich die Arbeitskraft der sogenannten Crowd im Win-Win zunutze machen. Kunde und Anbieter verschmelzen, beide Seiten geben und nehmen. Etwa, wenn der Sprachschüler dem Anbieter einer kostenlosen Lernplattform im Gegenzug Stück für Stück Texte übersetzt.

In der Abschlussdiskussion tauchten einige Chimären auf, etwa die Vermutung, dass wir es hinsichtlich der Akzeptanz von Methoden der DH mit einem Generationenproblem zu tun hätten (Christoph Cornelißen, Frankfurt), oder der etwas allgemeine Appell von Gregory Crane, man müsse die „vielen Herausforderungen einfach einmal angehen“ und habe dafür in Deutschland verglichen mit den USA geradezu hervorragende (Förder-)Bedingungen.

Wichtig erschien mir die Äußerung Manfred Nießens (DFG), der sich eindeutig gegen eine eigene Disziplin „Digital Humanities“ aussprach: Es gebe keine „Digitalen Natur- und noch nicht einmal Digitale Sozialwissenschaften“. Die Geisteswissenschaften hätten ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein und offensichtlich Schwierigkeiten, neue Instrumente ebenso nahtlos und selbstverständlich in ihren vorhandenen Werkzeugkasten einzubinden, wie es andere Disziplinen täten.

Immer wieder war von der bestehenden Kluft zwischen „den Fächern“ und den sogenannten „Digital Humanists“ die Rede, und von der damit verbundenen Gefahr einer „Ghettoisierung“. Als Schlusswort mag daher ein Kommentar aus dem Publikum dienen (Fotis Jannidis, Würzburg): Keine Sekunde sei es wert, ins Überzeugen von Zweiflern an den neuen Möglichkeiten der „Digital Humanities“ investiert zu werden. Wenn fachlich überzeugende Arbeiten vorlägen, die nur mit diesen Methoden in dieser Form hätten entstehen können, sei allen Zauderern der Wind aus den Segeln genommen.

Das wird dies- und jenseits des Grabens gelten. Apropos: Möglicherweise sollten nicht nur Informatiker und Forscher regelmäßig gemeinsam essen, sondern auch „Digital Humanists“ der beiden Fraktionen im oben beschriebenen Sinne (Verfechter von aus dem Digitalen generierten Forschungsansätzen vs. Infrastrukturvertreter mit tendenziell klassischen Themen). Das passierte bei der Tagung m.E. wenig – den beeindruckenden Büffets zum Trotz. Was für ein schönes Ziel, am Ende wirklich alle Gräben aufzuessen.

Schloss Herrenhausen Wiederaufbau Eberhard Franke für VolkswagenStiftung

 

 

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/576

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Codices im Netz – Die Digitalisierung mittelalterlicher Handschriften und ihre Konsequenzen

 

Ende November 2013 fand in Wolfenbüttel eine kleine, vom Mittelalter-Komitee der Herzog August Bibliothek organisierte Tagung zum Thema “Konsequenzen der Digitalisierung” statt. Zur Einstimmung in die Tagungsthematik hatten die drei Organisatoren (Stephan Müller/Wien, Felix Heinzer/Freiburg und ich) kurze Statements vorbereitet, die aus der jeweils eigenen Perspektive inhaltliche und methodische Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung von mittelalterlichen Bibliotheksbeständen und Konsequenzen für deren Erforschung reflektieren. Meine Eingangsüberlegungen können hier in leicht überarbeiteter Form nachgelesen werden. Auf der Tagung hielten ferner Erik Kwakkel (Leiden), Björn Ommer (Heidelberg), Manuel Braun (Stuttgart), Sonja Glauch und Florian Kragl (Erlangen) Vorträge zu laufenden Digital-Humanities-Projekten im Bereich der Analyse, Paläographie, Edition und Auswertung mittelalterlicher Handschriften. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem gemeinsamen Konzeptpapier zusammengefasst und als Blogbeitrag auf de.hypotheses publiziert werden.

Noch ein Turn

Von all den intellektuellen und technischen turns, die die Geistes- und Sozialwissenschaften im letzten Jahrhundert durchgeführt haben, ist der digitale zweifellos von einer anderen Natur und einer breiteren Wirkung, auch wenn nicht jeder in der akademischen Welt von uneingeschränkter Euphorie erfüllt ist. Die Entwicklung von Digitalität (digitality), im Sinne der Konzeptualisierung durch Nicholas Negroponte als ‘the condition of being digital’, ist nicht nur von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz, vielmehr birgt sie auch bedeutende Konsequenzen für die akademische Welt und die Art und Weise, wie wir forschen. Hierbei stellt sich, insbesondere auch bei dem Thema der Wolfenbütteler Veranstaltung die grundlegende Frage: Digitalität verändert zweifellos unseren akademischen Alltag, aber wie sind diese Veränderungen methodologisch, und wenn man es so formulieren will, epistemologisch zu begleiten?

Vor allem die Sicherung, Dokumentierung und Bereitstellung des kulturellen Erbes in seiner materiellen Vielfältigkeit und Heterogenität stellen uns vor neue Herausforderungen. Hier sind grundlegende methodische Konzepte nicht nur für die so genannten Digital Humanities, sondern für alle geisteswissenschaftlichen, insbesondere auch die historisch arbeitenden Disziplinen insgesamt zu entwickeln. Die Frage ist also eindeutig nicht mehr die Frage nach dem ob der Digitalität und der digitalen Wissensbestände, sondern die nach dem wie. Der Bogen an Möglichkeiten spannt sich von mittlerweile anerkannten Parametern wie der Entwicklung und Anwendung von internationalen Standards, der prinzipiellen Verfügbarkeit des digitalisierten Materials über den Open Access Gedanken und der langfristigen Sicherung dieses Materials über die systematische Dokumentation der digitalen Erschließungstools bis hin zur Herausbildung und Akzeptanz neuer Publikations-, Evaluations- und Anerkennungskulturen im Rahmen digital-gestützter, geisteswissenschaftlicher Forschungsprozesse.

Kulturelle Artefakte und Forschungsobjekte im Wandel

Insbesondere wird nicht nur das Verhältnis zwischen Objekt bzw. Artefakt und wissenschaftlichem Beobachter neu ausgerichtet, sondern auch die prinzipielle Daseinsform dieser beiden Akteure im wissenschaftlichen Prozess, der unter Umständen entkörpert, entzeitlicht und enträumlicht werden kann. Es geht auch darum, das Verhältnis auszuloten zwischen dem historischen (analogen) Objekt und dessen digitalen Repräsentanten bzw. Abstraktionen, oder wie es unsere Oxforder Kollegin Ségolène Tarte formuliert, deren digitalen Avataren, die durchaus ihre eigene Existenzformen haben und auch eigene Gefahren im wissenschaftlichen Umgang mit ihnen bergen. Ferner gibt es auch die so genannten “digital born objects”, die so intendiert, gezielt produziert und ausschließlich digital existieren, wie etwa die nur virtuell vorhandene 3D-Rekonstruktion einer Handschriftenseite aus einem heute völlig verkohlten Fragment oder die Rekonstruktion eines Artefakts, das nie existierte, dessen Planung jedoch aus schriftlichen Quellen bekannt ist. Und schließlich gibt es Formen der Hybridität, der unterschiedliche Existenzformen vereinen.

In diesem Spannungsfeld der Objektvielfalt sind Forschungsprojekte im Rahmen der digitalen Erschließung und Analyse von Handschriftenbeständen angesiedelt, welche entsprechende Erkenntnismöglichkeiten eben nur durch die Existenz der Digitalisate ermöglichen. Dies betrifft sowohl das Digitalisat im Sinne der Einzelüberlieferung (etwa die Analyse einer Handschrift bzw. kleinerer Quellengruppen) als auch der Möglichkeit der Analyse und Auswertung von sehr großem Datenmaterial, das nur mit computergestützten Methoden zu bewältigen ist (hierzu hat Björn Ommer einen spannenden Vortrag zur Computer Vision gehalten). Die Herausforderung im Bereich der Digitalisierung ist es aber auch, wie bereits vielfach und auch auf der Wolfenbütteler Veranstaltung unterstrichen wurde, nicht nur Antworten auf die Fragen von heute (die wir ja kennen und formulieren können) zu finden, sondern auch zukünftige Fragen, die wir unter Umständen heute noch gar nicht fassen können, zu ermöglichen. Dies erfordert eine teilweise unübliche, noch zu erlernende methodologische Offenheit, und eine über die Perspektiven der Einzelfächer hinausgehende grundlegende Bereitschaft zur Interdisziplinarität.

Im Hinblick auf historische Bibliotheksbestände ist die Ausgangslage eine auf den ersten Blick Erfreuliche: Früh hat sich das “digitale” Augenmerk auf diese einmaligen Kulturbestände gerichtet, so dass inzwischen solide Erfahrungswerte vorhanden sind, und vielfach auch entsprechende Digitalisierungsstandards entwickelt werden konnten. Die Anzahl der Digitalisierungsprojekte oder der virtuellen Rekonstruktionsprojekte zu mittelalterlichen Bibliotheken ist etwa bereits für den europäischen Raum kaum zu überschauen, ganz zu schweigen von Vorhaben zu nicht-europäischen Schriftkulturen. Teilweise entstehen – auch durch besondere Umstände bedingt und abhängig von der jeweiligen Fragstellung oder Schwerpunktsetzung – so genannte Insellösungen, die nicht immer mit gängigen Digitalisierungs- und Kodierungsstandards kompatibel sind, und die somit auch eine Vergleichbarkeit und eine Interoperabilität der unterschiedlichen Digitalisierungsprojekte bereits auf nationaler Ebene erschweren. Hier wird eine der wichtigen Herausforderungen der nächsten Zeit sein, Brücken zu schlagen und Austauschmöglichkeiten der Formate zu ermöglichen, um übergreifende Untersuchungsszenarien zu ermöglichen.

Verlässt man die reine Digitalisierungsebene der Bestände in Richtung wissenschaftliche Erschließung, so können einerseits ausgehend von bereits vorhandenen, digitalisierten und entsprechend annotierten Beständen weiterführende Forschungsprojekte angeschlossen werden. Aus dem Trierer DFG-Projekt „Virtuelles Scriptorium St. Matthias“, das die heute dislozierte, mittelalterlich Bibliothek von St. Matthias in Trier virtuell rekonstruiert, ist zum Beispiel das größere, vom BMBF geförderte Kooperationsprojekt „eCodicology“ entstanden, in dem u. a. Philologen, Buchwissenschaftler und Informatiker aus Darmstadt, Karlsruhe und Trier Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften entwickeln, die Makro- und Mikro-Strukturelemente einer Handschriftenseite im Hinblick auf Layout und Aufmachung automatisch erkennen und diese Informationen in die Metadaten zu jedem Image einpflegen. Das geht so weit gut, weil wir uns quasi ins gemachte Bett legen, sprich eigene, homogene Daten zu 500 mittelalterlichen Handschriften zu forschungsfragengetriebenen Analysen verwenden können.

Hybridität der Angebote in den digitalen Wissensräumen und Hürden im Forschungsalltag

Anders sieht es bezüglich der Quellengrundlage bei Vorhaben bzw. forschungsgetriebenen Einzelfragen aus, die man gerne als “traditionelle” Vorgehensweise bezeichnet (aber nicht ganz zutreffend, da diese doch eine zeitlose Daseinsform geisteswissenschaftlicher Forschung darstellt), und die auch nicht mit einem vorhandenen, homogenen digitalen Korpus etwa einer Bibliothek bzw. einem bereits fertigen Digitalisierungsprojekts zu einem bestimmten Thema zu bewältigen ist (bzw. es zur Zeit noch nicht ist). Ich möchte hier von einem eigenen Beispiel ausgehen: Im Rahmen einer Untersuchung zur Kulturgeschichte der Annotation habe ich an einer kleineren interdisziplinären Fallstudie, bei der der Ausgangsgedanke war, die Textgeschichte (und auch Texterfindung) des berühmten Architekturtraktates des antiken Autors Vitruvius durch die Überlieferung annotierter Exemplare vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit zu erforschen. Eine erste Stichprobe ergab, (u.a. auch dank der Existenz einer Online-Vitruv-Datenbank, die zumindest einen Teil der Zeitstrecke abdeckte), dass offenbar genügend Digitalisate entsprechender zentraler Handschriften, Inkunabeln und frühen Drucke für diese Fallstudie zugänglich sein müssten. Soweit die Theorie, die Praxis sah jedoch etwas anders aus: Viele Digitalisate, auch aus bekannten Bibliotheken bzw. auf der Europeana-Plattform, waren qualitativ so heterogen, dass zum Teil im schwarz-weißen Avatar der Buchrand selber und auch die eigentlich im Ausgangsobjekt vorhandenen Marginalien nicht mehr erkennbar waren. Ferner gab es regelmäßig Fehlverknüpfungen bzw. ungenaue Zuweisungen der Digitalisate einerseits innerhalb der Bibliothekskataloge selber und andererseits (wenn auch in geringerer Anzahl) in die vorhandene Vitruvdatenbank. Was hier unter Umständen für eine wissenschafts- oder architekturhistorische Fragestellung zu verschmerzen gewesen wäre (aber wahrscheinlich auch dort nicht), war aus philologischer Sicht methodisch deprimierend. Das Resultat war, dass ich die im Netz gewonnenen Daten zwar genauestens im Sinne einer Quellenkritik und auf dem Hintergrund eines Gesamtkorpus geprüft habe, aber dann entschieden habe, das digitale Angebot eher als Zusatzmöglichkeit zu nutzen und sonst gezielt wiederum das Original in der Bibliothek aufzusuchen. Trotz des vermeintlich überlieferungsgeschichtlich gut dokumentierten Vitruv, hat also das zur Zeit vorhandene, recht üppige digitale Angebot nicht gereicht, um (bereits jetzt) eine digital indizierte Einzelstudie durchzuführen, unter anderem eben wegen der unterschiedlichen Qualität der Digitalisate und deren Erschließung. In diesem Zusammenhang kommen die Historizität und Heterogenität der Bestandsdigitalisierung selber zum Vorschein, die im Laufe der letzten fünfzehn Jahre entsprechende Variabilitäten erzeugt hat. Insgesamt wäre es bestimmt interessant für Vitruv-Forschergemeinschaft, auf eine auch eine unkomplizierte, kollaborative Forschungsplattform zurückzugreifen, in der eigene zusätzliche Digitalisate und Erkenntnisse hätten eingepflegt werden können, und so langsam aus dem vorhandenen digitalen Angebot zu schöpfen bzw. diesen gezielt zu ergänzen.

Als Zwischenfazit bleibt im Bereich der einzelnen forschungsfragengetriebenen Analysen (die man auch als bottom-up-Prozesse verstehen kann) der Befund eines qualitativ hybriden Angebots im Bereich der Digitalisierung und der digitalen Erschließung mittelalterlicher Quellen, bei dem wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr genau darauf achten müssen, womit wir es zu tun haben (bzw. in anderen Worten: Prüfe, bevor du dich bindest). Dies sollte jedoch kein Grund sein, digitale Quellen nicht zu nutzen, sondern auch als Ermutigung verstanden werden, sich für eine Verbesserung des Angebots und dessen transparente Dokumentation zu engagieren, und sich auch konsequent für eine entsprechende heuristische Quellenkritik (“critique des sources”) einzusetzen, wie wir es ja sonst auch bei der “traditionellen” Quellenarbeit mit historischem Material tun.

Brainstorming für eine übergreifende Dokumentation einer bestands- und forschungsorientierte Digitalisierung

Die Frage ist ferner, wie man internationale Standards, offene Schnittstellen und Best Practice-Verfahren für die Digitalisierung und Erschließung dieser Bestände nicht nur entwickeln kann (denn die gibt es ja vielfach schon), sondern auch so propagieren kann, dass Insellösungen eher vermieden bzw. mit ihren Besonderheiten anknüpffähig werden, sowie Anforderungen der disziplinenindizierten Grundlagenforschung (wie etwa mit dem Vitruvbeispiel) aufgefangen werden können.

In dieser Hinsicht wäre der Gedanke eines internationalen Digital Documentation Platform of Manuscript Collections  überlegenswert (hier könnte dann Erik Kwakkel zum Beispiel nach allen digitalisierten, westeuropäischen Handschriften des 12. Jahrhunderts sammlungsübergreifend suchen, wie er es sich in seinem Wolfenbütteler Vortrag gewünscht hat). Sinnvoll wären in diesem Sinne auch grenzüberschreitende Zusammenschlüsse versierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als interdisziplinär aufgestelltes Gremium auch methodologisch-infrastrukturell operieren und das Verhältnis von Digitalisat und analoger Vorlage sowie das Verhältnis zwischen digitalisiertem historischem Objekt und Wissenschaftlern theoretisch ausloten (im Sinne kollaborativer Zusammenarbeit, ohne top-down-Vorgehen). Dabei wären Synergien mit anderen Initiativen zu digitalen Forschungsinfrastrukturen (etwa Nedimah, Dariah u. a.) und Census-Vorhaben zur mittelalterlichen Überlieferung auszuloten und anzustreben.

Auch die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs oder “Qualitätssigels” zur wissenschaftlichen Bewertung der digital zur Verfügung stehenden Handschriften bzw. Sammlungen sollte überlegt werden, anhand dessen die Benutzerin auf der jeweiligen Homepage übersichtlich und transparent über das Datenmaterial und dessen Aufbereitung informiert wird, und ihr auch die Möglichkeit eines direkten Feedbacks gegeben wird (etwas was ich mir schon lange für das VD16 und VD17 zum Beispiel wünsche). Notwendig sind ferner die Entwicklung und Auslotung von konkreten Benutzerszenarien und Benutzerstudien, mit deren Hilfe dokumentiert werden kann, welche Anforderungen an Digitalisate sowohl disziplinenorientiert als auch in übergreifender Sicht gestellt werden können und müssen.

Und schließlich sollten Studierende und der wissenschaftliche Nachwuchs frühzeitig für die Gesamtproblematik der Digitalisierung, dem Umgang mit dieser sowie ihrer Konsequenzen sensibilisiert und entsprechend ausgebildet werden – dies nicht nur in den neuen Studiengängen der Digital Humanities, sondern allgemein in den Einzeldisziplinen im Sinne einer traditionellen Heuristik und Quellenkunde im Umgang mit digitalisiertem Kulturgut.

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Für die Diskussion über und Anregungen zu meinem Eingangsstatement danke ich den Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern sowie Vera Hildenbrandt (Trier Center for Digital Humanities), Falko Klaes (Universität Trier, Ältere Deutsche Philologie) und Georg Schelbert (Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Kunstgeschichte).

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Literatur (Auswahl)

Claudine Moulin, Multiples vies paratextuelles: Vitruve, De Architectura, 2013 (abrufbar unter: http://annotatio.hypotheses.org/222)

Nicholas Negroponte, Being Digital, New York 1996

Ségolène Tarte, Interpreting Ancient Documents: Of Avatars, Uncertainty and Knowldege Creation, ESF exploratory workshop on Digital Palaeography, Würzburg, Germany, http://tinyurl.com/esfDPwkshp, Talk given on 22d July 2011(http://oxford.academia.edu/SegoleneTarte/Talks/49627/Interpreting_Ancient_Documents_Of_Avatars_Uncertainty_and_Knowldege_Creation)

Virtuelles Skirptorium St. Matthias: http://www.stmatthias.uni-trier.de/ (DFG-Projekt

ECodicology:  Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften: http://www.digitalhumanities.tu-darmstadt.de/index.php?id=ecodicology (BMBF-Projekt)

 

 

Quelle: http://annotatio.hypotheses.org/353

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13. Sechs Tricks für eine gelingende Promotion

 

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an Ihrer Doktorarbeit. Sie haben vor sich folgende Komponenten: Drei Jahre Zeit, ein Thema, einen Laptop, schon etwas Ahnung von der Primär- und Sekundärliteratur, ein gutes Verhältnis zu Ihrem Doktorvater oder zu Ihrer Doktormutter, völlige Freiheit in der Gesteltung Ihrer Zeit.

Um nicht plötzlich in eine Sinnkrise zu verfallen und zu merken, dass dreiviertel ihrer Zeit schon vorbei ist, Sie plötzlich perfekt Spanisch und Lettisch können, alle Cafés und alle Bedienungen der Stadt kennen, einen noch neueren Laptop und ein Tablet besitzen, nichts von Weckern halten, aber noch keine Seite geschrieben haben, müssen Sie sich selbst austricksen. Mir fallen sechs Beispiels ein, wie ich mich ausgetrickst habe:

Trick 1: Melden Sie sich so häufig es geht für ein Doktorandenkolloquium an, um etwas vorzutragen. Sie werden sehen, dass Sie daran den Puls Ihrer Arbeit messen können werden. Es hat sich einiges getan seit dem letzten Referat im Studium, für das Sie maximal eine halbe Stunde Vorbereitungszeit aufgewendet haben, denn jetzt geht es nicht mehr um irgendeine von vielen Noten, sondern um Ihr Kunstwerk. Sie stellen nicht nur Ergebnisse dar, sondern auch sich selbst und Ihre Leistungen. Das baut so viel Druck auf, dass Sie ganz sicher den einen oder anderen Kaffee sausen lassen, um eine gute Präsentation vor Ihren Kommilitonen und Ihrem Professor zu halten. Und ehe Sie sich versehen, steht ein Kapitel oder ein Teil eines Kapitels Ihrer Diss.

Trick 2: Siehe Trick 1 und tausche “ein Doktorandenkolloquium” durch “eine Konferenz”.

Trick 3: Bilden Sie mit Ihren Freunden Präsentationskreise, in denen Sie Ergebnisse informell diskutieren können, die aber einen festen und regelmäßigen Rahmen bilden. – Achtung: Dies klassifiziert Sie als Streber. Aber das ist Ihnen egal, denn diese Auszeichnung haben Sie bereits durch den Wunsch zu promovieren ergattert.

Trick 4: Kaufen Sie sich keinen neuen Laptop. Um ein Schreibprogramm oder ein Literaturverwaltungsprogramm sowie Emails benutzen zu können, reicht Ihr alter Laptop. Wenn Sie einen neuen kaufen wollen, hängt das sicher damit zusammen, dass Sie zocken. Zocken ungleich Dissertation.

Trick 5: Reden Sie mit Ihren Freunden immer so über die Dissertation, als sei es eine feste Arbeitsstelle, wie Sie andere Menschen auch haben, mit Verwaltungsproblemen, Deadlines und Telefonaten. Die Sache mit den Telefonaten müssen Sie eben erfinden.

Trick 6: Ist mir leider entfallen. Es war der beste. Wissen Sie ihn noch?

Jedenfalls: wenn Sie sich an mindestens diese Tricks halten, ist es sicher, dass Sie mit Ihrer Arbeit vorankommen.

Genau.

Und was sagt es über ich aus, dass ich diesen Blogeintrag um etwa 13.00 Uhr poste? Hmmmm.

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/177

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Mehr Europa wagen? Willy Brandt, die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) und der Nahe Osten

Spätestens seit den Ereignissen in der arabischen Welt in den vergangenen Jahren wird der Ruf nach einem gemeinsamen Auftreten der Europäischen Union in internationalen Angelegenheiten immer lauter, auch wenn er nicht neu ist: Mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) etablierten … Continue reading

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/1883

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Die Regierungspolitik des Königreiches Bayern gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt von 1848/49: Forschungsprojekt Sabine Thielitz

 

Sabine Thielitz studierte seit dem Wintersemester 2005/06 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Deutsch, Geschichte und Sozialkunde für das Gymnasiallehramt. Im Winter 2011/12 legte sie in diesen Fächern das 1. Staatsexamen ab. Seit 2010 war sie am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte als studentische Hilfskraft und Tutorin tätig. Nach dem Abschluss ihres Studiums arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem DFG-Projekt „Edition der Akten der Provisorischen Zentralgewalt von 1848/49“. In diesem Rahmen beschäftigt sie sich mit der Regierungspolitik Bayerns gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt. Darüber hinaus ist sie seit 2012 als Lehrbeauftragte für Neuere und Neueste Geschichte an der KU tätig.

Als die Provisorische Zentralgewalt im Juni 1848 per Gesetz durch das Frankfurter Parlament dazu berufen wurde, in dem staatsrechtlichen Interim der Revolutionszeit die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und für den Vollzug der von der Nationalversammlung erlassenen Gesetze zu sorgen, stellte der für die Regierungstätigkeit notwendige Umgang mit den fürstlichen Partikulargewalten eine grundlegende Voraussetzung dar. Dieser Aspekt soll im Rahmen des Forschungsprojektes im Hinblick auf das Königreich Bayern genauer untersucht werden.

König Maximilian II. von BayernKönig Maximilian II. von Bayern. Photographie von Franz Hanfstaengl, ca. 1860

Ein Blick auf die vielfältige Forschungsliteratur zur Revolution 1848/49 verdeutlicht die Forschungsrelevanz des Themas. Bei der regional- und lokalgeschichtlichen Aufarbeitung der Revolutionsjahre zeigt sich ein starkes Süd-Nord- und West-Ost-Gefälle. Der Revolution in Baden und Württemberg wurde vergleichsweise verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, während die Untersuchungen über andere Staaten und Regionen des Deutschen Bundes überschaubar sind1. Hinsichtlich der bayerischen Regierungspolitik liefern für diese Zeit wenige ältere Forschungen einen ersten Einblick2. Das Verhältnis der Münchner Regierung zu der Provisorischen Zentralgewalt wurde dabei nur peripher behandelt. Demnach liegt für diesen Themenkomplex bisher keine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung vor. Das Forschungsprojekt versucht diese Forschungslücke zu schließen.

Mit der Politik des Königreiches Bayern wird das Vorgehen eines Bundesstaates untersucht, welcher sich besonders durch seine ablehnende Haltung in der Reichsverfassungsfrage auszeichnete und sich damit letztlich den revolutionären gesamtdeutschen Gewalten dezidiert und offen entgegenstellte. Es wird versucht, auf reziproker Basis, die Entwicklung der politischen Strategie der bayerischen Regierung gegenüber den revolutionären Institutionen von dem Ausbruch der Februarrevolution des Jahres 1848 in Frankreich bis zu dem Scheitern der Nationalversammlung und der Provisorischen Zentralgewalt im Jahre 1849 zu erhellen: In welchen Bereichen und unter welchen Umständen kooperierte Bayern mit den Frankfurter Institutionen und welchen Aspekten der Politik der Reichsregierung begegnete die bayerische Regierung mit Kritik und Ablehnung? Welche Motive und Ziele verfolgte die bayerische Staatsführung dabei mit ihrer jeweiligen Haltung und mit welchen Mitteln versuchte sie diese Ziele gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt und der Paulskirchenversammlung durchzusetzen? Schließlich bleibt die Frage nach dem Erfolg der bayerischen Bemühungen und deren Folgen für das Scheitern der Revolution.

Neben der Erforschung des Verhältnisses der königlich-bayerischen Regierung zu den revolutionären Institutionen sollen auch die diplomatischen Beziehungen zu den anderen Bundesstaaten, vor allem zu den Königreichen Hannover, Sachsen und Württemberg sowie zu den Vormächten Österreich und Preußen, berücksichtigt werden. Dabei stehen besonders die Versuche Bayerns, in dieser revolutionären politischen Situation etwaige Bündnisse und Koalitionen im Sinne der eigenen Politik zu schließen, im Zentrum des Forschungsprozesses.

Das Forschungsvorhaben eröffnet neue Erkenntnisse im Hinblick auf die politischen Wechselbeziehungen der revolutionären gesamtdeutschen Institutionen in Frankfurt mit dem bayerischen Königreich. Den Einzelregierungen kam bei der etwaigen Umsetzung der auf der Gesamtreichsebene durch die Nationalversammlung beschlossenen und durch die Provisorische Zentralgewalt angeordneten Maßnahmen generell eine zentrale Funktion zu. Zudem war die Zentralgewalt in Frankfurt auf die Berichte aus den Einzelstaaten angewiesen, um die politische, wirtschaftliche und soziale Lage vor Ort beurteilen zu können. Daher stellten die bundesstaatlichen Exekutiven eine Schaltstelle zwischen National- und Regionalpolitik dar. Die Untersuchung der politischen Strategie der bayerischen Regierung gegenüber den Frankfurter gesamtdeutschen Institutionen und der Wahl der politischen Mittel zur Durchsetzung der einzelstaatlichen Interessen kann demnach wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Effektivität der Tätigkeit der Gesamtreichsregierung liefern. Auf diese Weise dient eine solche Untersuchung auch der differenzierteren Herausstellung möglicher Gründe für das Scheitern der Revolution von 1848/49. Zudem ist mit weiteren Einsichten in die Bündnispolitik des Königreiches Bayern sowohl zu den deutschen Vormächten Preußen und Österreich als auch zu den übrigen Mittelstaaten zu rechnen.

Im ersten Jahr des Forschungsvorhabens stand zunächst die Erfassung der für die bayerische Regierungspolitik relevanten Quellensammlungen und der Darstellungsliteratur im Vordergrund. Zudem erfolgte die Recherche der privaten und offiziellen Aufzeichnungen der maßgeblichen politischen Akteure. Dabei standen besonders die bayerischen Bevollmächtigten bei der Provisorischen Zentralgewalt sowie die bayerischen Außenminister und Monarchen dieser Zeit im Fokus des Interesses. Derzeit nimmt die Recherche und Aufarbeitung der in München lagernden Gesandtenberichte und Ministerialakten der königlich-bayerischen Regierung breiten Raum ein.

 

  1. An diesem von Rüdiger Hachtmann Ende der 1990er Jahre festgestellten Befund hat sich bis heute kaum etwas geändert: HACHTMANN, Rüdiger: 150 Jahre Revolution von 1848: Festschriften und Forschungserträge, in: Archiv für Sozialgeschichte 39 (1999) 447–493; 40 (2000) 337–401, hier Bd. 39, 465.
  2. DOEBERL, Michael: Bayern und Deutschland, Bd. 1: Bayern und die Deutsche Frage in der Epoche des Frankfurter Parlaments, München – Berlin 1922; DEUERLEIN, Ernst: Bayern in der Paulskirche. Reden und Tätigkeiten der bayerischen Abgeordneten in der ersten Deutschen Nationalversammlung 1848/49, Altötting 1948.

 

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/340

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„Creating Rurality from Below“

 

Ich hatte es vor einiger Zeit schon mal erwähnt: Am vergangenen Wochenende fand in Bamberg eine interdisziplinäre und internationale Tagung statt, organisiert von Marc Redepenning, Julia Rössel und Christoph Baumann, alle drei Sozial- und KulturgeographInnen.

Tagungsposter; http://www.blogs.uni-mainz.de/fb09cultural-geography/events-and-conferences/rurality-new-perspectives-and-themes/; alle Rechte dort.http://www.blogs.uni-mainz.de/fb09cultural-geography/events-and-conferences/rurality-new-perspectives-and-themes/

Diskutiert wurde, wie man mit einem relationalen Verständnis von Ländlichkeit diese diskutieren und analysieren kann. Ich war eingeladen und durfte netterweise erste Überlegungen zu einem Kapitel meiner Habilitation zu den „Übergangsgesellschaften“ vorstellen.

Die Tagung war für mich sehr interessant und in vielerlei Hinsicht anregend. Nicht nur, dass ich sehr nette Menschen kennengelernt und interessante Gespräche geführt habe, ich habe auch einen ganzen Haufen methodischer und theoretischer Anregungen bekommen und war ganz überrascht von dem Werkzeugkoffer, mit dem manche Geograph/innen so unterwegs sind – sehr beeindruckend! Dass darüber hinaus mein Vortrag gut angekommen ist, ist natürlich ganz besonders toll und gibt mir einen kräftigen Motivationsschub!

Im Folgenden gebe ich nun eine Kurzfassung meines Vortrages wieder; wer an einer ausführlicheren Fassung interessiert ist: Ich bin dabei, einen Aufsatz daraus zu machen und werde selbstverständlich Bescheid geben, wenn er irgendwo erscheint.

 

„Ländlichkeit“ ist ein Konzept, das in der Geschichtswissenschaft in der Regel nur vermittelt eine Rolle spielt. Untersucht die Geschichtswissenschaft agrarische Gesellschaften, wird in der Regel das Charakteristikum „Ländlichkeit“ als Kennzeichen der untersuchten Gesellschaft vorausgesetzt, nicht aber selbst zu einem Gegenstand der Untersuchung gemacht. Untersucht man jedoch – und das ist in der Vergangenheit bereits ausgiebig unternommen worden – die Konstruktion von Ländlichkeit, so rücken vor allem bürgerliche, städtische Akteure in den Blick, etwa die „Agrarromantiker“, von denen Bergmann 1971 schrieb. Ländlichen Gesellschaften selbst schienen von diesen Ländlichkeitskonstruktionen weitestgehend unberührt zu sein; sie existierten quasi in einer anderen Sphäre.

Ich habe im Rahmen des Vortrags diese Forschungen insofern erweitert, als dass ich ländliche Gesellschaften als „Kontaktzonen“ in bestimmten Prozessen sichtbar mache. Kontaktzone – das ist ein Konzept, das vor allem in der post-kolonialen Forschung zu Globalisierungsprozessen eine Rolle spielt und erst langsam, vor allem vermittelt über Emily Rosenberg, seinen Weg in die Geschichtswissenschaft findet. Kontaktzonen sind in diesem Zusammenhang soziale Räume, die durch die Konfrontation und den Kontakt heterogener Interessen bestimmt sind, vor allem aber durch Hierarchien, Machtverhältnisse und die unterschiedliche Verteilung von Handlungsspielräumen gekennzeichnet sind. So kann man auch ländliche Gesellschaften als Kontaktzonen der Konstruktion von Ländlichkeit sichtbar machen.

In zwei Schritten bin ich anschließend diesem Konstruktionsprozess vor Ort, am Beispiel von Bernried, nachgegangen: am Beispiel von Heimatschutz-Gesetzgebung und der Förderung des Tourismus. Bernried eignet sich hervorragend für die Analyse dieser Beispiele – oder andersrum: Die Beispiele sind abgeleitet vom Bernrieder Fall, sicherlich wären auch andere Situationen denkbar, in denen Ländlichkeitskonstruktionen sichtbar gemacht werden könnten. Aber Bernried als früher Sommerfrische-Ort und Sinnbild eines (vermeintlich) unberührten oberbayerischen Dorfes im Voralpenland zeigt genau an diesen Stellen, wo Kontakte über die Dorfgrenzen hinaus bestehen, die exemplarisch analysiert werden können.

1. Zu diesem ersten Abschnitt habe ich bereits einen kurzen Text geschrieben. Wenn man den Maßnahmen zur Pflege heimischer Bauweise genauer nachgeht, stellt man schnell fest, dass diese zunächst (mindestens im Zeitraum bis zum Ersten Weltkrieg) vor Ort keine Relevanz hatten – oder anders gesagt: Es gab keine Baugenehmigungen, die ausgehend von der Heimatschutzgesetzgebung zum Schutz heimischer Bauweise nicht genehmigt oder nur unter Auflagen genehmigt worden wären. Aber sichtbar wird auch: Gebaut haben in Bernried in dieser Periode fast nur Städter – vor allem Angehörige des Bürgertums (vermute ich; fast alle von ihnen trugen Doktortitel), und zwar vor allem repräsentative Sommervillen, die sich ziemlich stark von der örtlichen Bauweise unterschieden. Und in der Regel waren das Entwürfe, die von einem orthodoxen Heimatschützer sofort kassiert worden wären – historizistischer Stilmix aus Folklore und Türmchen und Erkerchen. Es passierte aber nichts. Was kann man daraus schließen?

Entweder geht man davon aus: Okay, Heimatschutzgesetzgebung hat keinen Effekt, sie versandet irgendwo auf dem Weg von oben nach unten. Oder aber man fragt sich: Warum hat denn die Gemeindeverwaltung, die zuständig gewesen wäre für die Einhaltung der ortspolizeilichen Vorschriften, nicht interveniert? Dann wird das Nicht-Intervenieren zu einer aktiven Handlung, die mit bestimmten Motivlagen verknüpft sein könnte: etwa der Abwägung von monetären Interessen der Gemeinde (neue Grundsteuer-Zahler) mit ideellen (Heimatschutz); oder aber auch das bewusste Ignorieren von Heimatschutzvorstellungen, die den eigenen widersprechen (auch hierfür gibt es Hinweise). Wichtig ist also: Anhand der Heimatschutz-Gesetzgebung und ihrer (Nicht-)Umsetzung kann analysiert werden, dass die Möglichkeiten, das architektonische Bild des Dorfes zu beeinflussen, sehr ungleich verteilt waren. Die Heimatschutz-Propheten waren nicht besonders erfolgreich. Wie „erfolgreich“ oder nicht hingegen die örtlichen Akteure waren, findet man nur heraus, wenn man ihre Zielsetzungen kennt. Und es scheint zumindest möglich, dass sie – gemessen etwa an der Zielsetzung, möglichst viele Steuerzahler nach Bernried zu holen und diese nicht etwa mit irgendwelchen Bauordnungen zu verschrecken – durchaus erfolgreich waren.

2. Beinahe gleichzeitig mit der Implementierung der Heimatschutzgesetzgebung begann man in Bernried damit, den Ort für Touristen attraktiver zu machen. Zwar war Bernried auch schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert ein Ort gewesen, an dem der eine oder andere prominente Münchner seine Sommerfrische verbracht hatte, schien es doch den örtlichen Verantwortlichen sinnvoll zu sein, einen Verein zu gründen, um Bernried attraktiver zu machen. Der „Dorfverschönerungsverein“ hatte es sich vor allem zur Aufgabe gemacht, Fußwege im Ortsbereich anzulegen, Baumalleen und schattige Wälder zu pflanzen sowie Parkbänke aufzustellen. Ganz offensichtlich war es also das zentrale Anliegen des Vereins, Bernried zu einem attraktiven Ort für eine zutiefst bürgerliche und touristische Aktivität zu machen: für den Spaziergang. Der erste Ansatz war, eine Promenade am Seeufer anzulegen. Dass dies letztlich am Widerstand des örtlichen Gutsbesitzers scheiterte, ist eine komplizierte Geschichte – offenbar befürchtete dieser, sein ländliches Gut werde an Wert verlieren, wenn ein öffentlicher Spazierweg darüber führte. Auch hier also waren die Chancen zur Gestaltung des Dorfes unterschiedlich verteilt; interessant erscheint darüber hinaus, dass der örtliche Verschönerungsverein nicht das architektonische (oder Kultur-)Bild des Ortes zu konservieren versuchte, sondern vor allem die „natürlichen“ Voraussetzungen des Ortes – die Naturnähe, den Ausblick etc. – durch Baumaßnahmen besonders hervortreten lassen wollte. Ländlichkeit wurde hier also vor allem über Natürlichkeit zu konstruieren versucht.

Es wird klar, dass man auch auf der Mikroebene die Herausbildung von Ländlichkeit beobachten kann – und sollte. Die Herausbildung war aber weder einfach durch städtische Akteure determiniert noch von den ländlichen Akteuren komplett steuerbar. Die Möglichkeiten, Ländlichkeit aktiv zu konstruieren und dauerhaft im Ortsbild zu verankern, waren sehr ungleich verteilt. Eine Analyse der „Kontaktzone Dorf“ nimmt also diese unterschiedlichen Vorstellungen und Verwirklichungschancen in den Blick, ohne bereits davon auszugehen, dass am Ende die „städtischen“, weil mit mehr Machtmitteln ausgestatteten Akteure als „Sieger“ aus der Schlacht hervorgingen. Zudem wurde sichtbar, dass nicht alle Formen der Ländlichkeits-Konstruktion schlichte Romantisierungen des Landlebens waren, sondern dass darüber hinaus auch eine instrumentelle Variante bedacht werden muss. Ein Beispiel ist die „ländliche Natürlichkeit“, die der Dorfverschönerungsverein forcierte, und die zumindest zu einem Gutteil dazu dienen sollte, Touristen nach Bernried zu holen.

 

 

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/227

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Social Media-Werkzeuge für Historiker/innen – Versuch einer Übersicht

 

2114683166_45ce6d7e43_mSeit etwa drei Wochen werden unter dem hashtag #digwerhist auf Twitter digitale Werkzeuge für Historiker/innen gesammelt. Die ursprüngliche Idee war, aus dem riesigen Angebot an Tools gemeinsam diejenigen herauszufiltern, die im wissenschaftlichen Alltag von der Community genutzt werden. Gleichzeitig sollten Anleitungen für den konkreten Einsatz der Werkzeuge gesammelt und aus den Tweets dann ein Blogbeitrag werden – ein viel zu ambitioniertes Vorhaben, wie sich schon nach kurzer Zeit herausstellte: Denn zu digitalen Werkzeugen im weitesten Sinne gehören Web 2.0-Tools genauso wie digitalisierte Quellensammlungen, E-Journals, Datenbanken, Bibliothekskataloge, Forschungsumgebungen, etc.

Daher werden hier mit dem Versuch einer ersten Übersicht und der Beschränkung auf Social-Media-Werkzeuge ausdrücklich kleinere Brötchen gebacken. Dass solche Sammlungen und Übersichten sinnvoll und nützlich sind und vor allem auch gewünscht werden, wird aus den bisherigen Reaktionen in den Sozialen Medien deutlich. Allen Hinweisgebern wird herzlich gedankt für das Teilen der wertvollen Tools. Ein besonderer Dank geht an Jan Hecker-Stampehl und Klaus Graf für Durchsicht und Ergänzungen dieses Beitrags. Das Sammeln digitaler Werkzeuge über den hashtag #digwerhist bei Twitter geht natürlich weiter.

Kommunikation, Kollaboration und Multimedia

Die folgende Übersicht über Social-Media-Tools orientiert sich an der Einteilung dieser Werkzeuge in die drei Bereiche Kommunikation, Kollaboration und Multimedia, wie sie in der Netzpublikation “Social media: A guide for researchers” aus dem Jahr 2011 vorgenommen wurde. Diese Einteilung ist idealtypisch und viele Werkzeuge lassen sich zwei oder drei Bereichen gleichzeitig zuordnen. Ich finde sie dennoch hilfreich, um den hauptsächlichen Sinn hinter den einzelnen Anwendungen zu verstehen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht und wäre auch völlig fehl am Platz. Wichtig erscheint mir außerdem, nicht nur eine Aufzählung zu bieten, sondern auch Beispiele und vor allem Anleitungen oder Erfahrungsberichte dazu aufzulisten. Allzu viele Anleitungen gibt es derzeit allerdings noch nicht (oder ich habe sie nicht gefunden). Der Überblick macht bestehende Lücken deutlich und bietet Anregungen für alle, die gerne eine Anleitung schreiben möchten (z.B. als (Gast)beitrag hier auf diesem Blog). Auch für die Beispielsammlungen mancher Tools werden eigene Artikel benötigt. Diese könnten hier nach und nach aktualisiert werden, so dass mit diesem Beitrag eine zentrale Anlaufstelle entsteht. In diesem Sinne sind Ergänzungen in den Kommentaren sehr erwünscht! Nicht immer bedeutet die bloße Nennung eines Tools auch automatisch eine Empfehlung dafür.

Vorweg werden Übersichten über digitale Tools für den wissenschaftlichen Bereich aufgezählt.

Übersichten und Verzeichnisse digitaler Tools

Bamboo DiRT: Registry of digital research tools for scholarly use
Sehr praktische und umfangreiche Übersichtsseite, die digitale Tools auflistet. Der Zugang erfolgt über die Aufgabenstellung, die man erledigen will, z.B. Analyze Text, Share bookmarks, Manage bibliographic information etc. Die einzelnen Werkzeuge sind auf den Unterseiten kurz erläutert. Schön ist, dass es eine Wunschliste gibt, in die man sein gewünschtes Tool eintragen kann, in der Hoffnung, dass es dann jemand programmiert.

American Historical Association “A Digital Tool Box for Historians”
Schön bunt ist sie, die Pinnwand bei Pinterest der AHA. Und voll auch: 142 Tools sind derzeit im Angebot. Leider sind diese aber nicht nach Sinn und Zweck geordnet und daher ohne systematischen Zugang. Wer bei Pinterest ist, kann der Pinnwand folgen und verpasst damit nicht, wenn ein neues Werkzeug “angeheftet” wird. Dazu müsste uns natürlich noch jemand erklären, wie Pinterest eigentlich funktioniert…

Apps für “digitale Historiker”
Unter diesem Titel gab Pascal Föhr auf seinem Blog Historical Source Criticism einen ersten Überblick über Apps für mobile Geräte speziell für Historiker. Es entspann sich eine rege Diskussion und in den Kommentaren wurden weitere Apps hinzugefügt, die schließlich in eine Tabelle zusammengefasst wurden, getrennt nach Betriebssystemen. Die Liste kann weiter ergänzt werden.

Ausgewählte Tools zur wissenschaftlichen Arbeit mit dem/im Social Web
Hinter diesem Titel befindet sich eine offene Wikimap, die mit mindmeister erstellt wurde. Unterteilt werden die Tools in diesem Mindmap z.B. nach “Kollaboration”, “Content/Recherche”, “Vernetzung, Kommunikation, Organisation” sowie “Web-Präsentation”.

Framasoft
Die französische Website Framasoft bietet einen Überblick über freie, dh. kostenlose Software, ohne Beschränkung auf den wissenschaftlichen Bereich. Die Übersicht ist in verschiedene Anwendungsbereiche wie Multimedia oder Education grob unterteilt. Allerdings muss man ein bisschen Französisch können, denn andere Sprache exisiteren für die Oberfläche leider nicht.

1. Bereich Kommunikation

Bloggen

Kostenlose Anwendungen zum Bloggen sind z.B.

Wer sein Blog nicht selbst hosten möchte oder kann und sich zudem von Anfang an in der Community vernetzen will, für den bietet die Plattform für geisteswissenschaftliche Blogs im deutschsprachigen Raum de.hypotheses.org eine Alternative.

Eine Übersicht zu Geschichtsblogs gibt es im Beitrag “Forschungsnotizbücher im Netz” mit weiteren Verweisen, sowie in der Liste der Geschichtsblogs im deutschsprachigen Raum. Kürzlich erschienen ist das Buch “Historyblogosphere – Bloggen in den Geschichtswissenschaften“, das frei online zugänglich ist. Ein Aggregator für deutschsprachige Geschichtsblogs, der Planet History, der aktuelle Beiträge aus 142 Geschichtsblogs anzeigt, ist vor kurzem freigeschaltet worden.

Microbloggen

Das bekannteste Beispiel für eine Anwendung im Bereich Microbloggen ist:

“Twitter ist ein hervorragendes Mittel, um einerseits auf dem Laufenden zu bleiben und um andererseits die Fachkollegen/innen über die eigenen Publikationen, Vorträge und Tätigkeiten zu informieren”, so liest man in der Anleitung: Twitter in der Wissenschaft – ein Leitfaden für Historiker/innen (21.8.2012).

Im Blog der Amercian Historical Association gibt es einen Beitrag über Hashtags im Bereich Geschichte: History-Hashtags: Exploring a Visual Network of Twitterstorians. Anstatt eine Liste anzulegen, wurden die hashtags mit der Anwendung Pearltree in Gruppen visuell dargestellt (Seite braucht etwas Zeit beim Laden).

Eine – noch junge – Alternative zu Twitter ist z.B. Quitter.

Social Networking

Neben Facebook, Google+, LinkedIn und vielen anderen gibt es auch Netze speziell für die Wissenschaft wie beispielsweise:

Anleitung von Maria Rottler: Share and follow research – Academia.edu (20.2.2013)

Erläuternder Artikel: Open Science: Facebook für Forscher (6.9.2013)

Auf Facebook gibt es seit kurzem eine eigene und offene Gruppe Digital History. Zu verweisen ist auch auf die offene Gruppe Geschichte & Kulturwissenschaften.

Aggregatoren

Aggregatoren sind Anwendungen, mit denen man Inhalte aus dem Netz (Twitter, Wikis, Zotero, Blogs…) über RSS-Feeds in einer eigenen Seite zusammenführen kann. Anwendungen für diese Dienste sind z.B.

Anleitung in Form eines Wikis: Intro to TagTeam

An dieser Stelle auch ein kurzer Hinweis allgemein auf RSS-Feeds und RSS-Reader: Um auf dem Laufenden zu bleiben, z.B. was Zeitschrifteninhalte, Blogs, Termine, Websites,  Suchanfragen in Bibliographien und Bibliothekskatalogen etc. anbelangt, sind RSS-Feeds ein sehr praktischer Dienst. Es gibt einen französischen Artikel zum Einsatz von RSS-Readern in den Geisteswissenschaften allgemein. Eine deutsche Version eines solchen Beitrags wäre wünschenswert, steht aber noch aus1.

Feeds können direkt im Browser gelesen oder in Mailprogrammen angzeigt werden. Damit sind sie aber nur lokal auf einem Rechner verfügbar. Daneben gibt es RSS-Reader, bei denen man ein Konto anlegt, so dass man die Feeds auf verschiedenen Geräten und u.a. auch mobil lesen kann. Ein RSS-Reader ist neben den bereits oben genannten z.B. Feedly, den ich selbst nutze und empfehlen kann.

2. Bereich Zusammenarbeit

Online-Konferenzen

Um eine kostenlose Videokonferenz abzuhalten bzw. einen Telefonanruf zu tätigen gibt es z.B. die folgenden Anwendungen:

Bei beiden Anbietern muss man vorher ein Konto anlegen. Doch während man bei Google Hangout mit beliebig vielen Teilnehmern gleichzeitig konferieren kann, ist dies bei Skype nur in der kostenpflichtigen Premium-Version zu haben.

Wikis

Mit Wikis können Gruppenarbeiten, Projektkoordinationen und Ergebnisdokumentationen vorgenommen werden, z.B. auch in der Lehre. Wer selbst ein Wiki erstellen möchte, kann das u.a. mit den folgenden Anwendungen tun:

Über Wikis speziell für Historikerinnen und Historiker müsste man einen eigenen Beitrag schreiben. Ein Beispiel ist die Seite Digitalisierte Nachlässe im Rahmen des deutschsprachigen Wikisource-Projekts, das Schwesterprojekt der mit Wikimedia-Software betriebenen Wikipedia. Weitere Wikis mit Geschichtsbezug, auf die mich Klaus Graf dankenswerter Weise hinwies, sind die Seiten Bibliographien, Digitale Sammlungen und Aufsatzrecherche in der Geschichtswissenschaft. Eine sehr nützliche Zusammenstellung von Wikis enthält die Seite Wunderwelt der Bibliotheken.

Social Documents

Gemeinsam im Netz ein Dokument zu schreiben und zu bearbeiten geht u.a. mit den folgenden Anwendungen:

Bei Google-Docs kann man kollaborativ und gleichzeitig an einem Dokument (Text, Tabelle…) arbeiten. Dazu wird begleitend ein Online-Chat angeboten, um sich parallel über die Arbeit austauschen zu können. Bei den EtherPads handelt es sich um Editoren, mit denen man gemeinsam Texte schreiben kann. Dabei haben die Mitwirkenden jeweils unterschiedliche Farben beim Schreiben, so dass eindrucksvolle, bunte Flickenteppich-Texte entstehen, aus denen hervorgeht, wer was geschrieben hat. Auch für die Etherpads gibt es einen begleitenden Chat.

Vor allem EtherPads können sehr gut in der Lehre, für Projekt-Brainstorming, für  gemeinsame Live-Protokolle etc. verwendet werden. Das Manifest der Digital Humanities ist beispielsweise in einer ersten Version auf diesem Framapad entstanden. Weitere Beispiele sind das Paläographie-Lern-Pad von Klaus Graf oder das jüngst eröffnete Pad Programmieren für Historiker von Michael Schmalenstroer.

Dokumente können auch online in der “Cloud” gespeichert werden und von dort aus mit anderen Nutzer/innen geteilt werden. Cloud-Dienste sind z.B. Dropbox aus den USA,  Alternativen aus Europa sind z.B. wuala oder fiabee. Eine Übersicht über die verschiedenen Angebote, die oftmals nur in der Grundausstattung kostenlos sind und bei größerem Speicherbedarf kostenpflichtig werden, gibt es hier.

Social Bookmarking

Social Bookmarking bezeichnet das gemeinsame Anlegen von Internetlesezeichen incl. deren Kommentierung und Ordnung. Das bedeutet, dass man Linklisten von interessanten Websites nicht für sich alleine als Lesezeichen im Browser ablegt, sondern gemeinsam mit Gleichgesinnten Sammlungen anlegt. Damit profitiert man von den Funden anderer und trägt so gemeinsam zu einer umfassenden Sammlung bei. Eine allgemeine Einführung findet sich im Beitrag Sind Social Bookmarking Dienste tatsächlich tot? (27.2.2012).

Der beste Dienst für Social Bookmarking aufgrund erweiterter Funktionalitäten wie die Möglichkeit, Unterstreichungen oder Anmerkungen anzubringen, ist derzeit  aus meiner Sicht:

Anleitung: Diigo – Informationskompetenz (IMB Uni-Augsburg, ohne Datum).

Ein Beispiel für eine offene diigo-Linksammlung ist die von Klaus Graf angelegte Sammlung zu digitalisierten Zeitschriften: https://www.diigo.com/user/klausgraf/Digi_Zeitungen.

Weitere Anwendungen sind z.B.:

Social Bibliographie

Unter Social Bibliographie versteht man das gemeinsame Erstellen von Online-Bibliographien. Dafür kann man beispielsweise die folgenden Dienste verwenden:

Beispiele für kollaborative Zotero-Bibliographien sind die Bibliographie zur Ordensgeschichte sowie die Bibliographie zum Ersten Weltkrieg First World War Studies.

Bei Mendeley gibt es eine gemeinsame Bibliographie zur digitalen Geschichte, angelegt und betreut von der AG Digitale Geschichtswissenschaft. Der Dienst ist jedoch vor kurzem an Elsevier verkauft worden, was in der Community auf Kritik stieß.

3. Bereich Multimedia

Fotografie

Zu den bekanntesten Social-Media-Anwendungen im Bereich der Fotografie zählen:

Beide Anwendungen eignen sich, um eigene Fotos dort hochzuladen und der Community zur Verfügung zu stellen. Auf beiden Foto-Plattformen sind natürlich bereits eine große Anzahl an Forschenden und an wissenschaftlichen Einrichtungen aktiv. Um diese vorzustellen, braucht es (mindestens) einen eigenen Beitrag, eine Aufgabe, der sich Jan Hecker-Stampehl dankenswerter Weise demnächst stellen will. Hier sei nur beispielhaft verwiesen auf die Flickr-Seite Commons, auf der umfangreiche digitale Sammlungen von Archiven, Bibliotheken und Forschungsstätten in public domain versammelt sind. Flickr selbst bietet in der erweiterten Suche einen Filter an, um Bilder, die unter Creative-Commons-Lizenz stehen, zu finden2.

Weitere Beispiele für den Einsatz von Flickr in historischen Projekten ist z.B. Photo Normandie mit einer Sammlung an Fotos von der Landung der Alliierten, die gemeinsam beschrieben werden (crowdsourcing) sowie die Foto Sammlung zum Ersten Weltkrieg der BDIC.

Darüber hinaus gibt es in Frankreich ein offenes Archiv speziell für das Teilen von wissenschaflichen Abbildungen, die alle unter eine CC-Lizenz stehen: MédiHAL.

Video

Für das Teilen von Videos gibt es u.a. die folgenden Portale, die aber nicht auf wissenschaftliche Inhalte beschränkt sind:

Ein unverzichtbarer Anbieter für Videos unter CC-Lizenz (wie auch für Bilder und andere Medien) ist das Internetarchive. Im Beitrag Freie Videos finden von Klaus Graf finden sich wichtige Hinweise zur Suche von rechtefreien Videos im Netz. Eine Suchmaschine speziell für wissenschaftliche Videos ist yovisto.

Präsentationen

Für das Online-Teilen von Präsentationen gibt es z.B. die Anwendung:

Eine Übersicht über weitere Tools sowie eine kurze Erläuterung sind in diesem englischsprachigen Beitrag zusammen gestellt. Anstatt Präsentationen von Vorträgen hinterher per Mail an die Zuhörenden zu verteilen, kann man sie über diese Tools der gesamten akademischen Community (und darüber hinaus) offen zur Verfügung stellen. Dabei kann individuell angegeben werden, ob und wie die Präsentationen nachgenutzt werden dürfen.

Weitere Anleitungen rund um Soziale Medien

In den sozialen Medien präsent zu sein und sich darüber zu vernetzen, zu kommunizieren und zu publizieren ist die eine Sache. Die andere ist, wie man den eigenen Erfolg für dieses Engagement misst. Für ein “Monitoring” im Bereich soziale Medien sei daher auf den sehr guten Beitrag von Wenke Bönisch auf diesem Blog hingewiesen: Social Media Monitoring für Wissenschaflter/innen (1.10.2013), der alles Wesentliche dazu erklärt.

Ausblick: Persönliche Berichte von Historiker/innen und wie sie digitale Werkzeuge nutzen

Bei der Abfassung dieser Übersicht entstand die Idee, praktische Erfahrungen zur Verwendung der digitalen Werkzeuge zu sammeln und darüber in einen Austausch zu geraten. Denn das Sammeln von Werkzeugen alleine ist zwar ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt. Hilfreich ist es aus meiner Sicht, dazu auch die konkrete Anwendung im wissenschaftlichen Alltag zu zeigen. Man könnte daher systematisch anhand eines Fragebogens den Einsatz dieser Tools im wissenschaftlichen Alltag abfragen, um so zu einer möglichst breiten Sammlung an Praktiken zu kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies zahlreiche Anregungen für die Praxis bringt. Da die Kollgen vom französichen Blog “La boite à outil” etwas Ähnliches planen, entstand die Idee, diese Praxisberichte gemeinsam anzugehen. Damit können gleichzeitig die eventuell national unterschiedlichen Handhabungen deutlich werden.

In eine ähnliche Richtung geht derzeit auch die Video-Serie “Max meets Lisa” Zwischen Büchern und Bytes. Geisteswissenschaftler, wie arbeitet Ihr heute?“, in der bisher zwei Videos erschienen sind.

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Literaturliste und weitere Hinweise

Wenke Bönisch, Wofür können Wissenschaftler Web 2.0/Internet nutzen?, in: Wissenschaft und neue Medien, 15.2.2011, http://digiwis.de/blog/2011/02/15/wofuer-koennen-wissenschaftler-web-2-0internet-nutzen/.

Wenke Bönisch, Sind Social Bookmarking Dienste tatsächlich tot? in: Digitale Geschichtswissenschaft, 27.2.2012, http://digiwis.de/blog/2012/02/27/sind-social-bookmarking-dienste-tatsaechlich-tot/.

Wenke Bönisch, Übersichtsliste und Eindrücke zur Geschichtsblogosphäre im deutschsprachigen Raum, in: Wissenschaft und neue Medien, 1.9.2012, http://digiwis.de/blog/2012/01/09/uebersichtsliste-und-eindruecke-zur-geschichtsblogosphaere-im-deutschsprachigen-raum/.

Wenke Bönisch, Social Media Monitoring für Wissenschaflter/innen, in: Digitale Geschichtswissenschaft, 1.10.2013, http://digigw.hypotheses.org/205.

Alan Cann, Konstantia Dimitriou, Tristram Hooley, fSocial media: A guide for researchers, Februar 2011 (pdf): http://www.rin.ac.uk/system/files/attachments/social_media_guide_for_screen_0.pdf.

Klaus Graf, Paläographie lernen mit dem Etherpad, in: Archivalia, 6.4.2011, http://archiv.twoday.net/stories/16552609/.

Klaus Graf, Blog & Recht: Wie nutze ich Bilder unter freier Lizenz korrekt?, in: Archivalia, 8.12.2012, http://archiv.twoday.net/stories/219051498/.

Klaus Graf, Freie Videos finden, in: Archivalia, 22.5.2013, http://archiv.twoday.net/stories/410257652/.

Klaus Graf, Mareike König, Forschungsnotizbücher im Netz – Postskript zu einer Veröffentlichung, in: Redaktionsblog, 24.6.2013, http://redaktionsblog.hypotheses.org/1385.

Peter Haber, Eva Pfanzelter (Hg), Historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften, Oldenbourg 2013, http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/216968.

Mareike König, Twitter in der Wissenschaft: Ein Leitfaden für Historiker/innen, in: Digital Humanities am DHIP, 21.08.2012 http://dhdhi.hypotheses.org/1072.

Dave Roos, How Desktop sharing Works, in: How Stuff Works, http://computer.howstuffworks.com/how-desktop-sharing-works3.htm.

Maria Rottler, Share and follow research – Academia.edu, in: Ordensgeschichte, 20.2.2013, http://ordensgeschichte.hypotheses.org/2663.

Annette Schläfer, Organiser sa veille scientifique avec des flux RSS, in: Germano-Fil, 13.1.2012, http://germano-fil.hypotheses.org/756.

Annette Schläfer, Auf dem Laufenden bleiben: Zeitschrifteninhaltsdienste im Blog, in: Franco-fil, 10.9.2013, http://francofil.hypotheses.org/351.

Tim Sherratt, Exploring Digital History With NLA’s Tim Sherratt, in: Inside History, 10.9.2013, http://www.insidehistory.com.au/2013/09/exploring-digital-history-with-nlas-tim-sherratt/.

Michael van den Heuvel, Open Science: Facebook für Forscher, in: DocChec News, 6.9.2013, http://news.doccheck.com/de/24705/open-science-facebook-fur-forscher/.

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Abbildung: wrench rust von HVargas, CC-BY-SA 2.0.

 

  1. Ein Überblick, wie man u.a. mit RSS-Feeds bei Zeitschrifteninhalten auf dem Laufenden bleibt, gibt der Beitrag Auf dem Laufenden bleiben: Zeitschrifteninhaltsdienste im Blog Franco-fil
  2. Zur korrekten Verwendung von Bildern unter freier Lizenz siehe den Beitrag auf von Klaus Graf: Wie nutze ich Bilder unter freier Lizenz korrekt?, in: Archivalia, 8.12.2012.

 

 

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/164

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Internationale Open Access Week: Wie Wissenschaftsblogger Open Access fördern können

Die meisten WissenschaftlerInnen befürworten Open Access. Sie wollen – auch aus eigenem Interesse – einen besseren Zugang zu den Resultaten wissenschaftlicher Forschung, zu Zeitschriftenartikeln, Buchbeiträgen oder Büchern, zu Forschungsdaten und digitalisiertem Kulturgut.Vom 21. bis zum 27. Oktober 2013 findet derzeit wieder die Internationale Open Access Woche statt, in der unzählige Institutionen weltweit auf die Vorzüge von Open Access aufmerksam machen (offizielle Website).  Gefragt sind aber auch die Blogger und diejenigen, die in den Social Media aktiv sind, auf Facebook, Google+ oder Twitter, denn die großen Medien werden voraussichtlich die Open Access Week wie in den vergangenen Jahren weitgehend ignorieren.

Natürlich ist es wichtig, dass Open Access nicht nur in einer von 52 Wochen ein Thema ist. Die folgenden Tipps gelten daher nicht nur für diese Woche.

Open Access immer wieder thematisieren!

Vorbildlich ist die Artikelserie in dem von Maria Rottler in unserem Portal betriebenen Gemeinschaftsblog Ordensgeschichte. Es heißt dort: “In dieser Rubrik werden Bücher und Artikel, die sich mit der Geschichte von Klöstern und Orden beschäftigen und die nun (auch) online – und zwar Open Access – zur Verfügung stehen, aufgeführt. Das soll auch als Anreiz verstanden werden.  Alle hier aufgeführten Titel wurden auch in die kollaborative Bibliographie bei Zotero eingetragen.” Dort findet sich auch ein Link zu einer Darstellung der Rechtsfragen.

Open Access Publikationen zusammenstellen und verlinken!

Es sollte immer wieder auf (neue und alte) Open Access Publikationen aufmerksam gemacht werden. Analog zu den Rezensions-Digests bräuchten wir vergleichbare Zusammenstellungen für neu erschienene Beiträge aus Open Access Zeitschriften (“goldener Weg”) und die einschlägigen Inhalte der Hochschulschriftenserver. Auch wenn hier im deutschsprachigen Raum immer noch vergleichsweise wenige geisteswissenschaftliche Fachaufsätze im Zuge des “grünen Wegs” von Open Access in Repositorien verfügbar sind, so sollte man doch die vielen elektronischen Dissertationen (von anderen Abschlussarbeiten einmal abgesehen) nicht übersehen, die normalerweise in wissenschaftlichen Zeitschriften nicht rezensiert werden.

Man kann die Sichtbarkeit solcher Publikationen ebenfalls erhöhen, indem man sie in der Wikipedia oder gegebenenfalls auch auf Wikisource verlinkt – wenn die Links denn den Kriterien dieser Communities genügen.

Sinnvollerweise sollten bibliographische Nachweise der Open Access Veröffentlichungen in einem Austauschformat z.B. auf Zotero frei nachnutzbar bereitstehen.

Eigene Publikationen Open Access veröffentlichen und dies auch anderen empfehlen!

Da es an passenden renommierten Open-Access-Journals in den Geisteswissenschaften oft fehlt und nach wie vor die Publikation in einer angesehenen Nicht-Open-Access-Zeitschrift gerade von jungen Wissenschaftlern aus Karrieregründen bevorzugt wird, kommt eine Zweitveröffentlichung in einem Repositorium in Betracht. Das demnächst in Kraft tretende (missratene) gesetzliche Zweitveröffentlichungsrecht  in Deutschland war ja von dem Wunsch motiviert, es Wissenschaftlern zu ermöglichen, auch dann Open Access zu publizieren, wenn ihnen dies die vertragliche Vereinbarung mit dem Verlag untersagt.

In welchem Format veröffentlichen? Wenn es rechtlich geht: als Faksimilescan des Originals, vorzugsweise als PDF mit darunterliegendem OCR-Text, sonst eben in der letzten Autorenversion (“final draft”).

Wo veröffentlichen? Mit Blick auf die Langzeitarchivierung und die Sichtbarkeit z.B. in BASE ist ein Repositorium die beste Wahl. Wer an keines angeschlossen ist, kann Qucosa nehmen. Aber auch wer die eigene Homepage, Academia.edu, ResearchGate, Mendeley, Scribd usw. wählt, nützt der Wissenschaft.

Man sollte über diese Möglichkeiten immer wieder im KollegInnenkreis sprechen und auch bei Kontakten mit anderen Wissenschaftlern, wenn es um die Übersendung von Arbeiten geht, einfließen lassen, dass es doch schön wäre, wenn der Beitrag auch Open Access zur Verfügung stünde.  Auch wenn man in vielen Fällen keinen Erfolg damit hat, die erfolgreichen Versuche lohnen den Aufwand!

Blogs für (kleinere) wissenschaftliche Publikationen nutzen!

Ob Miszellen oder Opuscula (“Wiedergeburt der Miszelle im Geist des Open Access”) - langsam beginnen WissenschaftlerInnen wissenschaftliche Inhalte auch in Blogs zu veröffentlichen. Dies sollte weiter ausgebaut werden. Meinen Plan eines Miszellen-Blogs habe ich nicht aufgegeben.

Forschungsdaten zugänglich machen, Digitalisierungen anregen!

“Bei jedem Projekt (z.B. Veröffentlichung, auch Aufsätze) sich fragen: Welche Quellen und Sekundärliteratur kann ich online der Allgemeinheit zugänglich machen?” (Kontext). Forschungsdaten klingt ein wenig hochtrabend für Materialien (Bilder, Texte usw.), die keinen Eingang in einen wissenschaftlichen Beitrag finden, aber trotzdem für andere von Nutzen sind. Ich selbst habe auch schon sehr viele Digitalisate gemeinfreier Literatur (mitunter auch von handschriftlichen Quellen) erfolgreich von Bibliotheken und anderen Institutionen “erbettelt” und diese natürlich im Internet Archive oder Wikimedia Commons zugänglich gemacht, wenn die Bibliothek kein eigenes Angebot unterhielt. Jüngst ließ sich sogar ein Archiv erweichen. Fragen kostet nichts!

Open Access geht uns alle an, und jede/r kann etwas für ihn tun!

Und nun husch, über Open Access bloggen …

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1742

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Buchbesprechung: BACK, Dorf und Revolution

 

BACK, Nikolaus: Dorf und Revolution. Die Ereignisse von 1848/49 im ländlichen Württemberg (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 70), Ostfildern 2010.

Von der Existenz dieses Buches hat der Rezensent mit viel Freude und einer kleinen Beimischung von Ärger erfahren. Die Freude bezieht sich auf das Vorliegen einer neuen substantiellen Forschungsarbeit zu diesem Thema; der Ärger auf den Umstand, von ihr nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten zu haben, um sie vor der Drucklegung der eigenen Dissertation noch berücksichtigen zu können.

Cover: Nikolaus BACK, Dorf und RevolutionCover: Nikolaus BACK, Dorf und Revolution

Freilich ist es heute nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahrzehnten, der Fall, dass wir von den Ereignissen von 1848/49 im ländlichen Raum fast gar nichts wüssten, aber abgesehen von einer regional sehr unterschiedlichen Qualität und Dichte der vorliegenden Erkenntnisse sind auch manche wichtigen Fragestellungen noch kaum systematisch aufgegriffen worden, während andere als verhältnismäßig gut untersucht gelten können. Dies geht auch aus der Einleitung der vorliegenden Monographie deutlich hervor, welche 2009/10 an der Universität Tübingen als Dissertation angenommen wurde1. Eine beträchtliche Menge an Literatur kann der Verfasser insbesondere zu den ländlichen Unruhen des März und April 1848 in verschiedenen deutschen Staaten anführen (S. 3–11); dabei zeigt sich auch, welche Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten bei ihrer Deutung und Einordnung gemacht worden sind. Hatten sie noch vor einem halben Jahrhundert als letzter Ausläufer des Mittelalters, „noch auf der gleichen Stufe“ mit dem Bauernkrieg von 1525, gegolten2, so haben sich seither wesentlich differenziertere Einschätzungen hinsichtlich der Beweggründe, Akteure und Handlungsformen durchgesetzt, etwa mit den Arbeiten von Andreas Düwel, Robert von Friedeburg und Manfred Gailus3.

Demgegenüber ist der weitere Verlauf des Geschehens im ländlichen Raum während der Jahre 1848 und 1849 noch verhältnismäßig selten systematisch untersucht worden, in erster Linie deshalb nicht, weil sich eine so aufsehenerregende Welle von Unruhen nicht mehr wiederholte. Die schon bald nach der Niederschlagung der Revolution vor allem von konservativen Beobachtern – großer Einfluß kam hier den Schriften von Wilhelm Heinrich Riehl zu4 – aufgebrachte Deutung, nach einem kurzen rauschhaften Intermezzo in den „tollen Märztagen“ sei die Landbevölkerung rasch und nachhaltig zu einer konservativen, weil im Grunde unpolitischen Haltung zurückgekehrt, hat in der Historiographie sehr lange nachgewirkt und tut dies mitunter sogar bis heute5. Immerhin liegen für einige wenige, besonders aktive Regionen bereits Pionierstudien vor, die nachweisen konnten, dass verschiedene Formen zeittypischer politischer Aktivität auch auf dem Land Platz griffen, vor allem Petitionsbewegungen und das politische Vereinswesen. Als Marksteine erscheinen hier vor allem die Arbeiten von Michael Wettengel zu Hessen-Darmstadt und Nassau6 sowie von Jonathan Sperber zum Rheinland7.

An diese Vorbilder anschließend will der Verfasser des hier gegenständlichen Buches für den Raum des ehemaligen Königreichs Württemberg „untersuchen, ob und wie sich die Politisierung der Landbevölkerung nach den Märzunruhen 1848 fortsetzte“ (S. 15). Er geht dabei vor allem insofern noch einen Schritt weiter als Wettengel und Sperber, als er den ländlichen Raum nicht auch, sondern ausschließlich ins Auge fassen und die Entwicklung in den Städten nur so weit behandeln will, wie dies zum Verständnis und zur Erklärung des in den Dörfern Beobachteten erforderlich ist. Wie sich im Verlauf der Untersuchung erweist, waren die Verflechtungen dicht, der Blick auf die Städte bleibt somit durchgehend notwendig, aber – und dies ist von größter Wichtigkeit – die Entwicklung auf dem Land kann dennoch nicht allein als Folge städtischen Einflusses gedeutet werden, sondern ist als Resultat der Interaktion urbaner Impulse mit autochthonen Initiativen in und aus den Landgemeinden zu verstehen. Das Spektrum der in Betracht kommenden „politischen Äußerungen“ wird erfreulich breit abgesteckt: „Volksversammlungen, Petitionen, der so genannte ‚Rau-Ausmarsch‘ vom September 1848, vor allem aber die Entstehung von politischen Vereinen und schließlich in einzelnen Gebieten Ausmärsche zur Unterstützung der Nationalversammlung im Juni 1849“ (S. 15–16). Daneben werden noch andere Aktivitäten wie Spendensammlungen, öffentliche Feiern oder die Verbreitung und Lektüre von Zeitungen und politischen Broschüren, weiters Institutionen wie Bürgerwehren, Gesangs- und Turnvereine mehr oder weniger detailliert behandelt.

Dass sich die Untersuchung auf das ganze Königreich Württemberg erstreckt, wird in erster Linie mit der schütteren Quellenlage begründet, die einen näheren Fokus unergiebig gemacht hätte (S. 16). In der Tat liegt ein großer Vorzug der Studie in der sehr ausgedehnten und zugleich sorgfältigen Quellenarbeit. Der Verfasser hat neben den Akten der württembergischen Zentralstellen jene der Oberämter und der Gerichte benutzt, zudem kirchliche Archive, das Heilbronner Stadtarchiv sowie in Einzelfällen weitere Gemeindearchive. Darüber hinaus hat er eine Vielzahl regionaler und lokaler Zeitungen – vom Boten von Aalen bis zum Amts- und Unterhaltungsblatt für den Oberamtsbezirk Urach – penibel ausgewertet und ihnen selbst kleinste Erwähnungen und Annoncen im Zusammenhang mit politischer Aktivität abgerungen. Ihm ist dabei stets bewusst, dass in den wenigsten dieser Quellen die zentralen Subjekte seiner Untersuchung, die Dorfbewohner, sich aus eigenem Antrieb äußern. Was Angehörige des urbanen Bürgertums oder der Beamtenschaft zu ihnen oder über sie zu sagen hatten, spiegelt oft mehr die Wahrnehmungen und Intentionen dieser Sprecher, als dass es unmittelbar als Information über das Leben in den Dörfern dienen könnte; und nicht selten handelt es sich dabei um Standpunkte, die der pro-revolutionären politischen Aktivität der Landbewohner ablehnend gegenüberstanden. In einer jener Situationen, in denen die Worte dörflicher Aktivisten am ehesten verschriftlicht wurden, nämlich bei behördlichen Vernehmungen, hatten sie ein markantes Interesse daran, sich unwissend und unpolitisch darzustellen. Der Verfasser ist dem mit einer vorsichtig abwägenden Quellenkritik begegnet und hat auch, wo es möglich war, die Aussagen unterschiedlicher Quellen miteinander abgeglichen. Dies verschafft seinen Befunden ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit.

Ein kurzes erstes Kapitel skizziert die wirtschaftliche und soziale Situation im Vormärz und am Vorabend der Revolution (S. 24–36). Hervorgehoben werden dabei die vielfachen Unterschiede zwischen den alt- und den neuwürttembergischen Gebieten im Hinblick etwa auf das Erbrecht und die dadurch bedingte Sozialstruktur der Dörfer, auf den Stand der Grundentlastung (in den erst im 19. Jh. durch Mediatisierung von Kleinterritorien an Württemberg gekommenen Gebieten war diese viel weniger weit fortgeschritten) sowie auf die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung. Das ländliche Handwerk und das Verlagswesen hatten in Württemberg eine hohe Bedeutung, hingegen gab es wenig fabriksmäßige Industrie; die sozial und politisch stabilisierende Wirkung, die sich Regierungskreise von diesem durchaus erwünschten Zustand versprachen (S. 29), hielt allerdings der Wirtschaftskrise der 1840er Jahre nicht stand.

Den Unruhen im März und April 1848 ist der erste Hauptabschnitt gewidmet. Der Autor hat sie in mehrere Kategorien unterteilt: Proteste gegen Adelsherrschaften (S. 37–68), gegen Schultheißen und Gemeinderäte (S. 68–98), gegen staatliche Amtsträger (S. 98–105) sowie antisemitische und xenophobe Ausschreitungen (S. 106–114). Ein beträchtliches – und bisher nicht vollständig wahrgenommenes – Ausmaß nahmen insbesondere die kommunalen Unruhen an: Zwischen März und August 1848 gab es in 353 von insgesamt 1.919 württembergischen Gemeinden einen Wechsel im Amt des Schultheißen, wovon nur die wenigsten ganz ohne Zusammenhang mit der Revolution gewesen sein dürften (S. 71–73)8. Demgegenüber hielten sich die Widersetzlichkeiten gegen die Staatsbeamten sehr in Grenzen; nennenswert sind in erster Linie Konflikte mit dem staatlichen Forstpersonal um die hier wie in vielen Teilen Europas sehr virulenten Fragen der Nutzungsrechte an öffentlichen Wäldern. Die Darstellungsweise ist in diesem wie in den folgenden Kapiteln vorwiegend systematisch, zu jedem Typ von Unruhen wird der Reihe nach auf die zeitliche und räumliche Verteilung, auf verschiedene Aktionsformen, auf Ziele und Anliegen sowie auf die Identifikation und die Haltungen der verschiedenen Akteursgruppen eingegangen. Dabei ergeben sich interessante und originelle Beobachtungen gerade hinsichtlich der oft komplexen Überschneidungen von Konfliktlinien, wenn etwa gezielt den Fragen nachgegangen wird, wie sich Schultheißen und staatliche Beamte zu Unruhen gegen den Adel stellten, wie Oberamtleute auf Konflikte in den Gemeinden reagierten und so fort.

Im folgenden Abschnitt über den Zeitraum bis Ende 1848 findet sich zunächst eine eher knappe Darstellung der Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung und zum Landtag (S. 115–121), die nicht nur von einer Welle von Volksversammlungen begleitet waren, sondern auch Anlass zu ersten Bemühungen um die Etablierung politischer Vereine im ländlichen Bereich boten. Diese Bezirksvereine des Frühjahrs 1848 blieben allerdings vorerst meist kurzlebig (S. 130–137). Auch zu Gründungen von Vereinen in einzelnen Dörfern kam es in diesem Zeitraum schon, doch waren es wenige, die der Verfasser nahezu einzeln aufzählen und schildern kann (S. 146–172). Die Septemberkrise 1848 löste in Württemberg auch im ländlichen Raum spürbare Resonanzen aus, der auffälligste Vorfall war der von Gottlieb Rau organisierte „Ausmarsch“ im Oberamt Rottweil, an dem sich auch die Bewohner etlicher Dörfer der Umgebung beteiligten. Anhand gerichtlicher Untersuchungsakten lassen sich die dazu führenden Vorgänge in einigen Fällen recht genau nachzeichnen, wobei wiederum systematisch die Positionen und Handlungsweisen verschiedener Akteure herausgearbeitet werden (S. 172–199).

Seine größte Intensität erreichte das ländliche politische Vereinswesen in Württemberg zwischen dem Winter 1848/49 und dem folgenden Sommer, wie im dritten Hauptabschnitt eingehend dargestellt wird. Wichtige Impulse lieferten die Trauer- und Solidaritätskundgebungen nach der Erschießung von Robert Blum in Wien sowie die Veröffentlichung der von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen „Grundrechte des deutschen Volkes“. Die demokratische Vereinsbewegung, die sich in diesem Zeitraum mit dem Centralmärzverein für ganz Deutschland und dem Landesausschuss in Württemberg wirksame Dachorganisationen schuf, profitierte von der Stimmungslage, indem sie durch eine massenhaft verteilte Broschüre – die von Carl Mayer verfasste Ansprache an unsere Mitbürger auf dem Lande – gezielt zu Vereinsgründungen auch in den Landgemeinden aufrief. Die Wirkung im Verlauf der ersten Jahreshälfte war beträchtlich, wie der Verfasser zeigen kann; dabei gelangt er wiederum über bisher vorliegende Ergebnisse hinaus9, die sich zu sehr auf amtliche Berichte gestützt hatten, in denen die Oberamtleute offenbar darauf bedacht waren, die Verbreitung demokratischer Vereine kleinzureden (S. 217–222). Vor allem durch die systematische Auswertung von Zeitungen lassen sich ihre Meldungen wesentlich ergänzen, wobei sich nicht weniger als 453 Vereine in Dörfern und Kleinstädten finden (S. 304); dabei räumt der Verfasser freilich selbst ein, dass auch Einzelnennungen berücksichtigt sind, bei denen es nach der Gründungsversammlung keinen Beleg für eine weitere Aktivität gibt.

Während von den meisten also gerade einmal die Existenz nachweisbar ist, können einige wenige Vereine aufgrund einer besonders günstigen Quellenlage eingehend dargestellt werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Vereinsarchive in die Hände der Behörden fielen – schon deshalb eine seltene Situation, weil es im Interesse der Vereinsvorstände lag, dies zu verhindern, und in den meisten Fällen das Schriftgut vorsorglich vernichtet wurde. Für die demokratischen Vereine in Schrozberg, Neckargartach und Großgartach sind die Vereinsakten auf diesem Weg bis heute überliefert und bieten, in dieser Untersuchung großenteils erstmals ausgewertet, viele wertvolle Einblicke. Dazu gehört das Kommunikationsverhalten der dörflichen Vereine untereinander und mit den Organisationen in den städtischen Zentren ebenso wie ihre soziale Zusammensetzung samt interner Konfliktpotentiale, nicht zuletzt aber auch inhaltliche Angaben über die Diskussionen in den Versammlungen. Das Geheimnis einer erfolgreichen demokratischen Vereinstätigkeit lag sichtlich darin, eine Verbindung zwischen politischen Zielen auf der staatlichen und nationalen Ebene einerseits und lokalen Interessen andererseits herzustellen. In Großgartach etwa beschloss der am 18. Januar 1849 gegründete Volksverein, der sich umgehend dem Centralmärzverein anschloss, bereits wenige Tage nach seiner Entstehung Resolutionen gegen ein deutsches Erbkaisertum und für eine republikanische Staatsspitze, befasste sich aber auch mit dem erwünschten Verbleib des Pfarrers in seinem Amt oder mit der Errichtung einer Vieh-Leihkasse. In ein und derselben Sitzung wurde über die Verminderung der Zivilliste und über die Kosten der Gemeindeschäferei debattiert (S. 236–237).

Hervorzuheben ist weiters, dass zwar überwiegend das demokratische Vereinswesen behandelt wird, aber nicht nur dieses. Einen eigenen Teilabschnitt widmet der Verfasser den konstitutionellen Vaterländischen Vereinen und den katholischen Piusvereinen. Während die Ersteren nur in geringem Maße auf die Dörfer ausgriffen, waren die Letzteren in einigen Gegenden deutlich erfolgreicher (S. 282–300). Dies zeigt, dass Mittel und Methoden der politischen Aktivität sich zwar durchaus zwischen den Gruppierungen unterschieden, grundsätzlich aber auch von konservativer Seite die neu aufkommenden Praktiken mitunter aufgegriffen und mit Erfolg eingesetzt werden konnten. Freilich räumt der Autor ein, dass die Präsenz oder Absenz von Vereinen dieser Richtungen keineswegs indikativ für deren faktische Stärke war; dies zeigen etwa die zahlreichen Solidaritätsadressen von Schultheißen und Gemeinderäten für die konstitutionelle Regierung Römer auf dem Höhepunkt der Reichsverfassungskampagne.

Als Führungspersonal dörflicher Vereine traten oft Angehöriger lokaler Bildungseliten hervor, wobei vor allem Lehrer und niedere Beamte (Aktuare) häufig aktiv waren. Mitunter waren auch dörfliche Autoritätspersonen wie Schultheißen und Pfarrer selbst in diesen Vereinen in leitender Stellung präsent (S. 249–278). Gewerbetreibende und Wirte scheinen solche Funktionen ebenfalls oft wahrgenommen zu haben, doch sind ihre Aktivitäten meist schlechter dokumentiert als jene der schreibfreudigeren Aktivisten mit höherer Bildung. Bauern als Vorsitzende oder Schriftführer sind verhältnismäßig selten nachzuweisen. In einer besonders interessanten Schlusspassage dieses Hauptabschnitts spürt der Verfasser den Kontinuitäten zwischen den verschiedenen Typen und Phasen der Aktivität auf den Dörfern nach. Er kann dabei zeigen, dass die Lokalisierung von Agrar- und Kommunalunruhen im Frühjahr 1848 zwar keineswegs perfekt, aber doch auffällig mit der späteren Verteilung des demokratischen Vereinswesens übereinstimmt (S. 301–308). Der Umfang und das hohe Maß an Homogenität der von ihm gesammelten Daten hätten freilich durchaus etwas ausgefeiltere statistische Verfahren erlaubt als die bloße Berechnung von Prozentanteilen, was wahrscheinlich zu klareren Aussagen über die Signifikanz bestimmter Korrelationen geführt hätte.

Ein letzter, knapp gehaltener Abschnitt (S. 309–329) ist den in der bisherigen Literatur bereits gut dokumentierten Ereignissen der Monate April bis Juni 1849 im Zusammenhang mit der Reichsverfassungskampagne und der Verlegung der Nationalversammlung nach Stuttgart gewidmet. Der Verfasser bemüht sich hier, das vorhandene Wissen gezielt im Hinblick auf die Vorgänge im dörflichen Bereich zu ergänzen. Wiederum kann er ein beträchtliches, wenn auch regional und lokal sehr unterschiedliches Maß an Mobilisierung nachweisen und bestätigt damit die Einschätzung von Dieter Langewiesche, „wonach in Württemberg nicht die Metropolen, sondern vor allem die Provinz der hauptsächliche Träger der Reichsverfassungskampagne war“ (S. 329). Dass auch die nach dem Juni 1849 einsetzende Repression den Einfluss der demokratischen Vereine nicht sofort brechen konnte, zeigen die großen Erfolge der Demokraten bei den Wahlen zur verfassunggebenden Landesversammlung im folgenden August (S. 329–333).

Die umfangreichen Datensammlungen des Verfassers sind in einem beinahe 100 Seiten starken Anhang dokumentiert (S. 341–423). Hier finden sich taxative Aufstellungen, jeweils mit detaillierten Quellennachweisen, über die Adelsunruhen im Frühjahr 1848, die Schultheißenwechsel, die Gesangsvereine, die Lesevereine sowie schließlich die Volksvereine. Dieses Material ist von außerordentlichem Wert, keineswegs nur für die künftige lokalgeschichtliche Forschung, und die Entscheidung, es in dieser Form zu präsentieren, ist ausdrücklich zu begrüßen. Dadurch ist eine gut lesbare und klar strukturierte systematische und synthetisierende Darstellung im Text der Abhandlung möglich, ohne dass die weiteren Nutzungsmöglichkeiten der zugrundeliegenden Daten den Nutzerinnen und Nutzern des Buches vorenthalten würden. Die bereits eingangs erwähnte, überaus verdienstliche Rechercheleistung wird bei der Durchsicht dieser Seiten höchst augenfällig.

Insgesamt ist dies ein ausgesprochen wertvolles Buch für die Geschichte der Revolution von 1848/49 wie für jene der Veränderungen der Politik im ländlichen Raum im 19. Jahrhundert überhaupt. Es sind nur ganz wenige Vorbehalte anzubringen. Zum einen hätte sich der Rezensent zu manchen zentralen Konzepten etwas eingehendere Begriffs- und Theoriearbeit gewünscht. Es ist angesichts der neueren Entwicklungen in der Politikgeschichte, aber auch in der Geschichtswissenschaft allgemein nicht mehr als ganz unproblematisch zu sehen, dass etwa die Ausdrücke „modern“ und „Modernisierung“ immer wieder wie selbstverständlich gebraucht werden. Ähnliches gilt für „Politik“ und „Politisierung“, die immerhin den deklarierten Forschungsgegenstand bilden; zur Absteckung dessen, was er unter „Politik“ versteht (und was ihm dementsprechend als „unpolitisch“ gilt), hätte sich der Autor durchaus äußern können. Soweit es sich aus dem Gebrauch ableiten lässt, den er von diesen Worten macht, scheint er ein recht konventionelles, unter Umständen schon veraltet zu nennendes Verständnis dieser Begriffe weiterzutragen: „Politisierung“ beginnt offenbar erst, wenn Interesse an verfassungs- und nationalpolitischen Fragen einsetzt; die antifeudalen Proteste, aber auch die lokalen Anliegen – die Vieh-Leihkassen, Waldnutzungsfragen und so fort – wären demnach wohl (was jedoch nie explizit gemacht wird) als unpolitisch oder vorpolitisch einzustufen?

Der zweite Punkt, der leider angesprochen werden muss, ist formaler Natur. Das Buch ist ungewöhnlich rasch, nämlich offenbar innerhalb eines Jahres nach Annahme als Dissertation, in den Druck gegangen. Diesem Umstand ist möglicherweise anzurechnen, dass es nicht das gründliche Lektorat erhalten hat, das eine so wertvolle Arbeit verdient hätte. Im Fließtext treten Kasusfehler10, Anakoluthen11 und andere sprachliche Unebenheiten12 in einer Frequenz auf, die von diesbezüglich sensiblen Lesenden gewiss als störend wahrgenommen werden muss; sie beeinträchtigen aber immerhin kaum jemals die Verständlichkeit und die Benutzbarkeit des Buches. Dasselbe lässt sich vom Umgang mit Literaturzitaten in den Anmerkungen leider nicht uneingeschränkt sagen. Dieser ist von einer verwirrenden Uneinheitlichkeit; Vollzitate – von nicht immer gleicher Bauweise, insbesondere bei Sammelbänden – wechseln anscheinend ohne konsequent gebrauchtes Prinzip mit Kurzbelegen unterschiedlichster Form. Von diesen sind jene, die nur aus Verfassername und Seitenangabe bestehen, spätestens dann als unzureichend zu bezeichnen, wenn mehrere Texte von Verfassern des fraglichen Namens im Literaturverzeichnis stehen13. In diesem fehlt zudem einige Literatur, die in den Anmerkungen zitiert wird. Das ist umso mehr zu bedauern, als gerade hinsichtlich der Auswertung auch sehr entlegener lokalgeschichtlicher Forschung die bibliographische Leistung des Verfassers fast ebenso verdienstlich ist wie die archivalische Quellenarbeit; durch die ungenauen Belege kommt dies nicht in vollem Maße zur Geltung. Eine konsequente Kontrolle und Vereinheitlichung hätte hier Not getan14.

Dessen ungeachtet kann das Fazit nur lauten: Dieses Buch ist ein auf ausgedehnter und gründlicher Recherche beruhender, wesentlicher Beitrag zu einem Forschungsfeld, das noch große Lücken aufweist. Es verdient, neben die erwähnten Arbeiten von Wettengel und Sperber gestellt zu werden, und ergänzt deren Ergebnisse nicht nur in räumlicher Hinsicht für Württemberg, sondern fügt auch neue Perspektiven hinzu. Eine Verfolgung ähnlicher Ansätze wäre für manche anderen Regionen Deutschlands, geschweige denn für Österreich, unbedingt zu wünschen.

  1. Betreuer war Sönke Lorenz, Zweitgutachter mit Dieter Langewiesche einer der profiliertesten deutschen Historiker der Revolution von 1848/49.
  2. FRANZ, Günther: Die agrarische Bewegung im Jahre 1848, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 7 (1959) 176–193, hier 193.
  3. DÜWEL, Andreas: Sozialrevolutionärer Protest und konservative Gesinnung. Die Landbevölkerung des Königreichs Hannover und des Herzogtums Braunschweig in der Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main u. a. 1996; FRIEDEBURG, Robert von: Ländliche Gesellschaft und Obrigkeit. Gemeindeprotest und politische Mobilisierung im 18. und 19. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 117), Göttingen 1997; GAILUS, Manfred: Straße und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berücksichtigung Preußens, 1847–1849 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 96), Göttingen 1990.
  4. Vgl. dazu ROUETTE, Susanne: Der Bürger, der Bauer und die Revolution. Zur Wahrnehmung und Deutung der agrarischen Bewegung 1848/49, in: JANSEN, Christian – MERGEL, Thomas (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49. Erfahrung – Verarbeitung – Deutung, Göttingen 1998, 190–205.
  5. Unangenehm ist beispielsweise, diese Sicht in einem gerade erst erschienenen, sehr um eine avancierte theoretische Position zum Revolutionsbegriff bemühten Artikel wiederzufinden: LEONHARD, Jörn: Über Revolutionen, in: Journal of Modern European History 11 (2013) 170–186, hier 180. Der Verfasser verweist dabei auf mehr als dreißig  Jahre alte Literatur.
  6. WETTENGEL, Michael: Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum. Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 49), Wiesbaden 1989.
  7. SPERBER, Jonathan: Rhineland Radicals. The Democratic Movement and the Revolution of 1848–1849, Princeton 1991. Eine Erfassung sämtlicher politischen Vereine in Stadt und Land für eine weitere Region bietet auch RUPPERT, Karsten: Die politischen Vereine der Pfalz in der Revolution von 1848/49, in: FENSKE, Hans – KERMANN, Joachim – SCHERER, Karl (Hrsg.), Die Pfalz und die Revolution 1848/49, Bd. 1 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 16), Kaiserslautern 2000, 57–242.
  8. Zu diesem Thema liegt zwar bereits eine neuere Arbeit vor, die der Verfasser auch eingehend rezipiert hat, über deren Ergebnisse er jedoch gerade hinsichtlich der quantitativen Auswertung hinausgelangt: BAYER, Birgit: Ich bleibe nicht mehr über Nacht Schultheiß! Die Bewegung gegen die Schultheißen in Württemberg im Frühjahr 1848 (Europäische Hochschulschriften – Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 1033), Frankfurt am Main u. a. 2006.
  9. Vor allem die Untersuchung von BOLDT, Werner: Die württembergischen Volksvereine von 1848 bis 1852 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg – Reihe B 59), Stuttgart 1970.
  10. Beispiele aus einem zufällig gewählten Bereich von wenigen Seiten: „in den fünf zu einfachen Städten ohne Oberamtssitz ‚degradierten‘ Reichsstädte Bopfingen, Buchau [...]“ (S. 147); „das Vorhaben, den ländlichen Raum mittels Bezirksvereine zu politisieren“ (S. 148).
  11. „Stabilisierend für eine Gesellschaft sei [nach W. H. Riehl] ein ‚gesunder Bauernstand‘, die den Unruheherden der Großstadt etwas entgegenzusetzen hat“ (S. 144 Anm. 147).
  12. „Nur eine Woche war Süskind Redner auf einer Versammlung in Suppingen“ (S. 149), gemeint wohl: „Nur eine Woche später“; „Lina Benz sieht denn Grund darin, dass [...]“ (S. 149 Anm. 170).
  13. Etwa „B. Mann, S. 276f.“ (S. 283 Anm. 414). Beide im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten von Bernhard Mann enthalten eine Seite 276, und beide kommen auch inhaltlich in Frage. Keine davon wird in der näheren Umgebung der fraglichen Fußnote mit Vollzitat angeführt. Bei einem vernünftigen Zitiersystem sollten alle diese Formen von Denksport aber gar nicht nötig sein, um den zitierten Text eindeutig zu identifizieren.
  14. Sachliche Irrtümer oder Widersprüche finden sich hingegen kaum – jedenfalls keine, die ohne intime Kenntnis der württembergischen Lokalgeschichte zu erkennen wären. Am Rande sei lediglich darauf hingewiesen, dass auf S. 230 „die in Darmstadt erscheinende demokratische ‚Deutsche Zeitung‘“ erwähnt wird, die ein Volksverein abonnierte. Es muss sich um die Neue Deutsche Zeitung handeln, auf welche die genannten Merkmale zutreffen; die berühmte Deutsche Zeitung von Gervinus, Mathy, Bassermann u. a. wurde dagegen nicht nur nie in Darmstadt herausgegeben, sondern kann auch selbst mit viel Phantasie nicht als demokratisches Blatt eingestuft werden.

 

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/363

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“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

 

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

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