Verwaschene Texte

Artikel zum Voynich-Manuskript (VMS) ziehen meist auch Kommentare an, in denen sich die Kommentarist|inn|en darüber äußern, welche Theorie sie sich mal so überlegt haben, was das VMS sein könnte und wie der Text interpretiert werden kann. In den allermeisten Fällen muss man die Ausführungen nicht ganz ernst nehmen, da sich ein fundiertes Gespräch zu diesem mehr oder weniger komplexen Thema schlecht in Kommentaren führen lässt. Die Darstellung eigener Hypothesen benötigt mehr Platz, einen gegliederten Text und eventuell Abbildungen. Das alles können Kommentarspalten nicht so recht bieten. Es besteht natürlich die Möglichkeit, auf externe Seiten zu verlinken. Ich sehe mir diese dann auch meist an und gebe ein kurzes Feedback. Eine wirklich ausgearbeitete und nachvollziehbare Theorie ist mir dabei allerdings noch nicht untergekommen. Beispiele gefällig? Voilà: [1] [2] [3] [4] [5]

Ein Kommentar in der Nacht

Für einen Kommentar, der in der Nacht zum Sonntag unter meinem Gast-Post bei den Ruhrbaronen landete, muss ich allerdings eine Ausnahme machen, ist der Absender doch Thomas Ernst (wenn er denn wirklich dahinter steckt und mir nicht jemand einen Streich spielen möchte. Es fällt mir aber niemand ein, der Ernsts Stil so gut nachzuahmen verstünde). Traurigerweise werden sich jetzt nicht wenige der Leserinnen und Leser hier fragen, wer denn dieser Thomas Ernst sei. Seine Heldensage ist leider noch immer weithin unbekannt, das hat wohl auch mein Blogpost über dieses Husarenstück nicht wirklich geändert. Mit der Entschlüsselung der Steganographia III hat er sich unsterblich gemacht, seine Darlegung zum Thema ist mehr als lesenswert und sei jedem zur Lektüre empfohlen. Es ist ein Krimi, verborgen im Pelz einer vor amüsant vorgetragener Gelehrsamkeit strotzenden wissenschaftlichen Abhandlung. Mir fehlen die Worte, um hier festzuhalten, wie sehr ich Ernst dafür bewundere. Wenigstens einen New-York-Times-Artikel hat er dafür bekommen.

Die geheimnisumwitterte Steganographia von Johannes Trithemius.

Und nun äußert dieser Thomas Ernst – wenn ich das richtig verfolgt habe – zum ersten Mal seine Hypothese zum VMS, was ich allein für sich genommen schon ziemlich sensationell finde. Gewissermaßen vermutet auch er, beim VMS sei ein Kopist am Werke gewesen. Dieser sei jedoch kein Autokopist, der immer wieder Zeichenketten von sich selbst abschreibt und verfremdet, sondern ein Fremdkopist, der ein Werk abschreibt, dessen Zeichen ihm nicht geläufig sind und dessen Inhalt er dementsprechend nicht versteht. So sehr ich ihn sonst bewundere – hier liegt Ernst meiner Meinung nach falsch. Der Text des VMS weist einfach zu viele Eigenschaften auf, die mit dieser Hypothese nicht in Deckung gebracht werden können. Ich greife mir hier zwei dieser seltsamen Merkmale heraus, die sich in der gegebenen Kürze erklären lassen.

Entropie: Zuwenig Information an Bord

Über das Maß der Entropie lassen sich Aussagen über den Informationsgehalt einer Nachricht machen, und das, ohne den Inhalt (die Semantik) der Nachricht zu kennen. Dafür muss man lediglich die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Zeichen kennen (um die Zeichenentropie – H0 – zu errechnen) sowie die Häufigkeit, mit der bestimmte Zeichen auf bestimmte andere folgen (um die Verbundentropie – H1 – zu errechnen). Da H1 abhängig ist vom Umfang des zugrundeliegenden Alphabets, sollte man – um Texte mit unterschiedlich vielen verschiedenen Zeichen zu vergleichen – die Differenz zwischen H0 und H1 heranziehen. Dies tut z.B. Dennis Stallings in seiner Analyse zum VMS und kann damit aufzeigen, dass sich der Text des VMS hinsichtlich dieses Differenzwertes signifikant von allen bekannten natürlichen Schriftsprachsystemen unterscheidet. Das VMS scheint viel weniger Information (d.h. mehr Redundanzen) zu enthalten, als alle vergleichbar langen natürlichsprachlichen Texte, die man bisher untersucht hat. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um Zeichen-, Silben- oder Alphabetschriften handelt.

Wortlängen: Zeilen als funktionale Einheit

Zeilen scheinen im VMS so etwas wie funktionale Einheiten zu bilden, d.h. sie scheinen auf irgend eine Weise gleich zu funktionieren. Bei natürlichen Sprachen ist dies auch zu beobachten, z.B. in der Lyrik oder bei Spruchsammlungen. Ein Text, bei dem auf 200 Seiten die Zeilen so aufgebaut sind, dass ihr jeweils erstes Wort – im Vergleich zur durchschnittlichen Wortlänge – signifikant länger, das jeweils zweite Wort aber signifikant kürzer ist, ist mir allerdings (abgesehen vom VMS, was Elmar Vogt schön ausführt) nicht untergekommen. Dazu wirken die Zeilen wie in Blocksatz gesetzt, ohne dass etwas darauf hindeutet, dass Wörter am Zeilenende getrennt worden wären oder dass der Abstand zwischen den Wörtern merklich differieren würde. Stattdessen scheint der Schreiber bzw. die Schreiberin einfach am Ende der Zeile ein Wort eingefügt zu haben, das längenmäßig passte. Ein solches Gebahren lässt sich meiner Ansicht nach nicht mit der Abschrift eines natürlichsprachlichen Textes in Deckung bringen.

Bloß ein starker Waschgang?

Die beiden kurz ausgeführten Indizien sind nicht die einzigen, die gegen die Hypothese sprechen, dem Text liege ein unverschlüsselter, natürlichsprachlicher zugrunde. Auch wenn man annimmt, der Text sei durch eine verständnislose, fehlerhafte Abschrift unter Zeitnot quasi einem Waschgang unterzogen worden, der ihn nahezu unkenntlich gemacht hat, kann das meiner Meinung nach diese Eigenschaften nicht erklären. Vielmehr deuten die Entropiewerte darauf hin, dass – wenn der Text des VMS eine Botschaft enthält – diese ein gutes Stück kürzer ist, als das die Länge des Textes suggeriert. Das heißt, dass die kleinsten Informationseinheiten des VMS länger sind als unsere Schriftzeichen. Das seltsame positionsabhängige Wortlängengebahren scheint mir auf einen Auswahlprozess irgendeiner Art hinzudeuten. Insofern denke ich, dass die Hypothesen, die

  1. von Gordon Rugg (Text ist ohne Inhalt und mithilfe eines Cardangitters und einer Morphemtabelle hergestellt)
  2. von Torsten Timm (Text ist wahrscheinlich ohne Inhalt und durch Kopie und Abwandlung einiger initialer Zeichenketten entstanden)
  3. von mir (Text ist das Resultat einer Verschlüsselung, bei der einzelne Buchstaben durch ganze, in Verschlüsselungstabellen aufgeführte Wörtern substituiert wurden)

aufgestellt wurden, in Vergleich zu der Ernst’schen die vorzuziehenden sind. Wie man sie gegeneinander evaluieren kann, darüber denke ich demnächst mal nach. Aber vielleicht nimmt mir das ja jemand ab.

 

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1155

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Infografik zum Thema: Wozu brauchen Kulturinstitutionen eigentlich Infografiken?

Infografiken sind anstrengend – für denjenigen, der sie seinem Publikum zur Verfügung stellen möchte. Die Erstellung einer Infografik braucht Zeit, muss gut durchdacht sein und ist damit oft aufwändiger als das Verfassen eines Textes. Aber: Infografiken kommen gut an – bei demjenigen, der sich als Rezipient nicht durch lange Texte quälen möchte. Das „Lesen“ einer Infografik fällt im Idealfall leicht, schließlich wird der Inhalt direkt visualisiert und kann so schneller aufgenommen und verstanden werden. Es gibt also gute Gründe, manchmal auf einen schwer verdaulichen […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/1659

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Gesellschaftliche Innovationen: Wissenstransfer Universität – Gesellschaft

Wissenschaft hat strenge Regeln und die unterscheiden sich auch noch von Disziplin zu Disziplin. Zumeist werden die Ergebnisse in Fachzeitschriften veröffentlicht und diskutiert. Ob und wie sie im konkreten gesellschaftlichen Umfeld realisiert werden, welchen Einfluss sie auf Entwicklung und Veränderung haben – das zeigt sich in den meisten Fällen nur in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Anwendungen. Gentechnik und Nanotechnologie, Elektromobilität oder Laseranwendungen – das sind Themenfelder, die z.T. als Fortschritt bejubelt, z.T. aber auch verteufelt und bekämpft werden.

Was aber ist mit sozial- und geisteswissenschaftlicher Forschung? Wie finden deren Ergebnisse ihren Weg in die Gesellschaft? Kann man von “sozialen Innovationen” sprechen? Ist solch ein Wandel wissenschaftlich induziert oder untersucht umgekehrt die Wissenschaft Ursachen, Hintergründe und Folgen von sozialen Veränderungen?

In der LMU werden diese und andere Fragen am 14. und 15. Juli diskutiert. Nicht nur interessante Vorträge und Präsentationen, auch Workshops werden angeboten und erlauben es, die eigenen Fragen und Überzeugungen im kleineren Kreise einzubringen.

 

Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/177

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10 Thesen zur guten Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien #zehnthesen

Zur Vorbereitung auf den Workshop Wissenschaftskommunikation “Image statt Inhalt?”, organisiert von der VolkswagenStiftung, haben Tobias Wulf, Gesche Schifferdecker und Sascha Foerster zehn Thesen zur guten Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien aufgestellt. Diese Thesen sollten eigentlich der internen Vorbereitung auf den Workshop dienen, wir möchten diese aber heute als Beitrag zur Diskussion um die Standards qualitätsvoller Wissenschaftskommunikation veröffentlichen und diskutieren, ja sogar bearbeiten lassen. Mit sozialen Medien meinen wir Twitter, Facebook, Google+ und andere Dienste, aber besonders Blogs in ihren verschiedenen Formen. Grundlage der Thesen ist die Annahme, dass Wissenschaftskommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und sogar Wissenschaftspraxis in den sozialen Medien nicht mehr einfach auseinander zu halten sind.
Diese 10 Thesen befinden sich auch in diesem Etherpad, in dem sie kollaborativ von jedem ergänzt, verändert und korrigiert werden können.

https://etherpad.mozilla.org/06nDt3TJy7

  1. In den sozialen Medien gelten einerseits die gleichen Regeln für gute wissenschaftliche Praxis wie in allen anderen Publikationsorganen. Andererseits können sich aus Rezipientenperspektive hier private, dienstliche und wissenschaftliche Kanäle vermischen. Dies kann ein Vorteil sein, muss aber bedacht bzw. strategisch geplant werden.
  2. In den sozialen Medien macht es Sinn, die Persönlichkeit des Autors in den Vordergrund zu stellen – vor allem, wenn diese einen Zusammenhang zu den Inhalten herstellt. In der Ansprache der Zielgruppe(n) ist ein persönlicher Ton durchaus erwünscht und angemessen. Dies impliziert jedoch keine Abwertung der wissenschaftlichen Inhalte.
  3. Statistiken können die Reichweite der verschiedenen Postings deutlich machen, aber Reichweite allein ist kein Kriterium für die Qualität eines Postings. Andererseits bedeutet ein Posting ohne Reichweite verfehlte Kommunikation.
  4. Die Stärke der sozialen Medien ist, dass Wissenschaftler selbst ohne weitere Zwischenschritte (wie institutionalisierte Fach- oder Publikumsmedien) zum Sprachrohr werden und so ihre Inhalte direkt kommunizieren können.
  5. Soziale Medien sind niedrigschwellig und können schon zu einem frühen Zeitpunkt im Wissenschaftsprozess genutzt werden. So wird der gesamte Prozess abgebildet und nicht nur das wissenschaftliche Ergebnis.
  6. Soziale Medien sind eine neue (nachgelagerte) Form der Filterung – die die alten Formen wissenschaftlicher Qualitätssicherung nicht ersetzen will, aber als zusätzliches Instrument angesichts immer unüberschaubarer werdender Massen von Inhalten im Netz für diesen Bereich neben sie tritt.
  7. Soziale Medien intensivieren im besten Fall die Kommunikation von Wissenschaftlern untereinander und mit der interessierten Öffentlichkeit. Dafür ist aber eine interaktive Nutzung nötig anstelle von einseitigem Senden.
  8. Gute Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien arbeitet Hand in Hand mit den klassischen Medien, denn jedes Medium hat seine Stärken und Schwächen, die sich im Idealfall ergänzen.
  9. Soziale Medien bedeuten Kommunikation auf Augenhöhe, sie sind mehr Dialog als Monolog. Diese Arbeitsweise verändert auch Prozesse in Organisationen.
  10. Die sozialen Medien und die Kommunikation in denselben verändern sich ständig, deswegen sollte man aktuelle Trends und Entwicklungen verfolgen und auf diese eingehen.

Weiterführende Links:

Nach #woem und #siggeneraufruf: Redet miteinander! Über gute Wissenschaftskommunikation, Mein tumblr: http://t.co/kgeETiV1be

— Jens Rehländer (@Jens_Rehlaender) June 18, 2014

Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien. Empfehlungen vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen
http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2014_06_Stellungnahme_WOeM.pdf

Siggener Aufruf
http://www.wissenschaft-im-dialog.de/wissenschaftskommunikation/weiterentwicklung/siggener-aufruf.html

Quelle: http://gab.hypotheses.org/1336

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Weitergedacht

Die Podiumsdiskussion “Nachwuchswissenschaftler, Verlage, Bibliotheken & Open Access: Zeitgemäßes Publizieren in den Geisteswissenschaften” ist auf reichlich Interesse gestoßen und fand viel Nachhall, z.B. hierda, dort.

Für die Zeitschrift Bibliothek. Forschung und Praxis haben Herr Ceynowa und ich das Thema weiter gedacht:
Neuer Wein in neuen Schläuchen. Von Wissenschaftlern, die nicht nur anders publizieren, sondern auch anders schreiben werden, erscheint 2014.
Der Artikel ist als Preprint online verfügbar (leider nur bis zur Printpublikation im Juli 2014).

Abstract
Open Access bewirkt tiefgreifende Systemverschiebungen. Nicht nur äußerlich, indem sich besonders in den Geisteswissenschaften die Rollen von Verlagen, Bibliotheken und Forschungsförderern verändern, sondern auch methodisch: Wie wird wissenschaftliches Schreiben morgen aussehen, wenn das Netz nicht mehr Spiegelbild Gutenbergscher Publikationstradition ist, sondern seine tatsächlichen Potenziale genutzt werden? Wenn sich im Digitalen der traditionelle Publikationsbegriff zugunsten des Konzepts eines entgrenzten, sich immer neu vernetzenden, dynamischen Wissensstromes auflöst? Ausgehend von einer Münchener Open-Access-Veranstaltung werden Aspekte wissenschaftlichen Publizierens der Zukunft beleuchtet.

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/685

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Neuer Wein in neuen Schläuchen

Ausnahmsweise Werbung in eigener Sache an dieser Stelle – weil das behandelte Thema im Interessen- und Aktionsradius des Arbeitskreises liegt:

Klaus Ceynowa / Lilian Landes: Neuer Wein in neuen Schläuchen. Von Wissenschaftlern, die nicht nur anders publizieren, sondern auch anders schreiben werden”, erscheint in: Bibliothek. Forschung und Praxis, 2014. Als Preprint online verfügbar (leider nur bis zur Printpublikation im Juli 2014).

Vielleicht wäre das dhmuc.-Blog ja der geeignete Ort, um die Thesen des Artikels zu diskutieren?

Quelle: http://dhmuc.hypotheses.org/121

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“Sir, To perform my late promise to you, I shall without further ceremony acquaint you, that …”

… schreibt Isaac Newton 1671 in den Philosophical Transactions of the Royal Society. Nein! Eigentlich ist das falsch. In diesem Zusammenhang kann man noch gar nicht von ‘jmd. schreibt etw. in” sprechen. Wir befinden uns vielmehr gerade auf dem Weg dorthin und sehen im Zitat ein Interim.

Nein, Newton schrieb nicht in den Transactions, er schrieb vielmehr an den Herausgeber Henry Oldenburg. Wir befinden uns am Beginn der Entstehung des wissenschaftlichen Artikels und es zeigt sich, dass diese Entstehung eng damit verknüpft ist, dass sich ein Bewusstsein für eine neue Kommunikationsform herausbildet. Die Überreste der alten Kommunikationsform, dem Brief an den Herausgeber nämlich, zeigen sich noch in reduzierter Form. Und vielleicht lässt sich hier eine Parallele ziehen zum Kommentar im (wissenschaftlichen) Weblog?

newton_new theory about light and colors

Aus: Philosophical Transactions 6 (80), 1671, S. 3075.

Die oben beschriebene Konstellation zwischen Newton, Oldenburg, den Transactions und der Royal Society, sowie der lesenden Community wird im Absatz vor Beginn des ‘Papers’ von Oldenburg noch sichtbar gemacht.1 Es wird von einem “Letter” gesprochen, “containing his New Theory“, der dem Herausgeber am 6. Februar geschickt wurde, “in order to be communicated to the R. Society“.

Sprachlich schlägt sich das Kommunikationsformenwissen und die Sprechsituation des Briefes noch in der reduzierten Anrede nieder. Aber dass diese nur noch formal eine Rolle spielt, zeigt sich im unmittelbar angestrebten Beginn der Ausführungen “without further ceremony”. Newton ist sich sehr bewusst, dass es dieser Brief ist, der abgedruckt werden wird. Das zeigt auch der Verweis auf die Vorgeschichte: “To perform my late promise to you”. Interessant ist, dass er als Prädikat “acquaint” nutzt. Newton setzt Oldenburg in Kenntnis, informiert ihn. Ob darin die Umwegskonstellation zum Ausdruck kommt, in der Newton durch Oldenburg zur Community spricht oder ob es Teil der rhetorischen Strategie Newtons ist, wie sie Bazerman (1988, 90) herausarbeitet als Strategie

“to give an account of his findings so that they appear as concrete fact, as real as an earthquake or ore found in Germany, even though the events that made these facts visible to Newton occured in a private laboratory as the result of speculative ponderings and active experimental manipulations.”

Das Spannungsverhältnis zwischen der zunehmenden Privatheit der Erkenntnisproduktion und der In-Kenntnis-Setzung der Community stand ganz am Anfang der Herausbildung der Transactions und bringt mit der Zeit die wissenschaftliche Öffentlichkeit als solche erst hervor.

Die Frage, die sich mir gerade aufdrängte, als ich den Bazerman (1988) las, war die nach der sprachlichen Gestalt von Kommentaren in (wissenschaftlichen) Weblogs. Bisher bin ich noch nicht über Untersuchungen gestolpert, die das genauer im Blick haben, aber es findet sich von Zeit zu Zeit eine Musterhaftigkeit in Blogkommentaren wieder, die sich von Briefen über E-Mails, Newsletter und Mailinglisten auch in Kommentaren in Weblogs durchhält. Es ist die simple Reihe ‘Anrede-Hauptteil-Grußformel’, um die es hier geht. Aus meinem persönlichen Eindruck heraus finde ich es durchaus ungewöhnlich, diese Struktur in einem Kommentar zu verwenden, aber da treffen vielleicht einfach unterschiedliche Generationen Kommunikationsformenwissen (bzw. -konvention) aufeinander. Günther/Wyss (1996, 66) sprechen von den “konstitutiven Elementen, die funktional die Kontaktaufnahme, den Abbruch des Kontaktes und die Übermittlung der Information regeln: Anrede + Text + Gruss“.

Interessant ist nun, wann und warum es zum Wegfall dieser funktionalen Elemente kommt? Bei den Transactions ist das recht einfach zu erklären: Die Kommunikationsform Zeitschrift wurde für Zwecke der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse funktionalisiert, die spezifische institutionelle Abwicklung (samt Peer Review) muss erst noch entstehen, die Rolle des Herausgebers ist noch viel präsenter, seine medialisierende Rolle ist noch wenig eingeschränkt – er ist noch einer der gewichtigen obligatorischen Passagepunkte (vgl. Star/Griesemer 1989), die zur wissenschaftlichen Öffentlichkeit führen. Im Zuge der Formierung dieser Öffentlichkeit entwickelt sich die eigenständige Gattung des wissenschaftlichen Artikels, der den Zwecken der Briefform entwächst. Mit der Formierung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ergibt sich also eine ganz andere zu bearbeitende Konstellation, die anderer sprachliche Mittel bedarf (vgl. Graefen/Thielmann 2007).

Warum aber, gibt es Kommentare auf Weblogs mit und ohne diese Elemente der Kontaktbearbeitung? Entgegen der Beteiligungsstruktur der Einträge, die man durchaus als massenmedial (1:n) charakterisieren kann, sind die Kommentare oft primär von einem 1:1 eingeprägt: der Kommentator spricht den Blogger an. Das ermöglicht es erst, dass eine ‘Anrede-Text-Gruß’-Form gewählt werden kann, um eine Kontaktsituation explizit zu etablieren.

Hat sich nun unter Bloggern ein Kommunikationsformenwissen ausgebildet, dass solche funktionalen Elemente obsolet macht? Ich denke nicht, dass sie obsolet geworden sind. Ich denke aber, dass sie gewissermaßen abgegeben oder besser delegiert wurden. Kommentatoren, die selber Bloggen, geben sich über die Kommentareingabemaske oft mit ihrem Blogaccount zu erkennen. Bild und Name (als Link) erscheinen dann über dem Kommentar und weisen die sprechende Person aus. Bei hypotheses.org wird das zum Beispiel so artikuliert “H says: [Datum, Uhrzeit] KOMMENTAR [Antwort-Button]“. In der verdauerten Textoberfläche wird der Kommentator auf diese Weise präsentisch als Diskurspartner vorgehalten (vgl. zu Charakteristika des Diskursiven in Weblogs: Schlobinski/Siever Hg. 2007). Interessanterweise anders als der Autor des Eintrags, der in typischer Schriftlichkeitsmanier unter dem Titel mit “Posted on [Datum] by S” genannt wird. Hier scheint auch eine genauere Datierung nicht notwendig zu sein (zumindest bei hypotheses.org).

Was man also vielleicht sagen könnte, ist, dass die kommentatorenseitige Adresse, die Origo des Kommentierenden schon durch die Metadaten des Kommentars zur Darstellung kommen, dass sie nicht eigens, sprachlich hergestellt werden müssen. Das erklärte zumindest die fehlende Grußformel. Das Fehlen der Anrede könnte (gerade bei wiss. Weblogs) als Sachbezogenheit interpretiert werden: Beziehungspflege ist nicht derart vordergründig, als das sie explizit konturiert werden müsste. Aber dazu braucht es noch aussagekräftige Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang unterstützten. Intuitiv würde ich das nicht auf sachbezogene Blogs reduzieren. Vielmehr habe ich den Eindruck, als würde die Kommunikationsform Weblog sich durch eine gewisse Vororientiertheit von Adressanten-Adresse und Adressaten-Adresse (Meiler 2013) auszeichnen. Die Identitäten der Kommunizierenden sind entweder nicht von Belang oder hinreichend ans Hypertextgeflecht angebunden, in dem sie als solche auch immer präsent, gewissermaßen immer erreichbar sind. Der verdauerte Diskurs der Kommentare braucht u.U. eine präzise Temporalisierung2 und ist deswegen nicht nur von präzisen Zeitangaben, sondern mittlerweile auch von hierarchischen Zuordnungen gekennzeichnet.3 Das scheint der wichtigere, zu bearbeitende Zweckbereich zu sein, der der diskutierten Sache gewissermaßen mehr Priorität einräumt, wenn die Kontaktpflege mehr oder weniger automatisiert ist.

Die vorsichtige These, die seit einiger Zeit in meinem Kopf steckt, wäre also, dass es Kommunikationsformen gibt, wie bspw. Weblogs, bei denen die funktionalen Elemente der Kontaktbearbeitung sich wesentlich aus dem Verbund der Soziotechnik ergeben, an sie delegiert werden und dann nicht mehr sprachlich expliziert werden müssen. Es ist dies vornehmlich eine Frage der Adressenkonstitution.4 Der Übergang, den wir darin also heute beobachten können, könnte dem Interim vergleichbar sein, das wir oben bei Newton sahen…

Bazerman, Charles (1988): Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experi­mental Research Article in Science. Madison: The University of Wisconsin Press.

Graefen, Gabriele/Thielmann, Winfried (2007): Der Wissenschaftliche Artikel. In: Auer, P./Baßler, H. (Hg.): Reden und Schreiben in der Wissenschaft.Frankfurt/New York: Campus, S. 67-98.

Günther, Ulla/Wyss, Eva Lia (1996): E-Mail-Briefe – eine neue Textsorte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Hess-Lüttich, Ernest W. B. (Hg.): Textstrukturen im Medienwandel. Frankfurt/Main etc.: Lang, S. 61-86.

Meiler, Matthias (2013): Kommunikationsformenadressen oder: Prozeduren des Situationsvollzugs am Beispiel von Weblogs. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 59/2. S. 51-106.

Schlobinski, Peter/Siever, Torsten (Hg.) (2007): Sprachliche und textuelle Merkmale von Weblogs: ein internationales Projekt. In: Networx 46.

Star, Susan Leigh/Griesemer, James R. (1989): Institutional Ecology, ‘Translations’ and Boundary Objects: Amateurs and Professionals in Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology, 1907–1939. In: Social Studies of Science 19. S. 387–420.

Wichter, Sigurd (1991): Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache. Elemente der vertikalen Sprachgeschichte einer Sache. Frankfurt/Main: Lang.

  1. Was ich hier beschreibe, ist keine Neuigkeit, sondern schon wunderbar herausgearbeitet von Bazerman (1988) und z.B. auch Graefen/Thielmann (2007).
  2. Und eigentlich braucht es keinerlei Lokalisierung, als vielleicht nur die im Hypertext – was schon eine spezifische vor allem zeitbezogene Adressenordnung darstellt; vgl. Meiler (2013).
  3. Insofern wird das sog. “Mühlen-Prinzip” (Wichter 1991, 78) noch thematisch ergänzt.
  4. Die Vorstellungen oder besser: das gemeinschaftliche Wissen, das die Kommunizierenden von diesen Adressen haben und die Frage, wie sie diese im Verhältnis zum Kommunizierten einschätzen, ist natürlich nicht vollständig von Gattungs- und Domänencharakteristiken zu trennen.

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/516

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Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zwischen Digitalisierung und Urheberrecht

http://idw-online.de/pages/de/event45553 Der Philosophischer Fakultätentag vom 28. bis 30. November an der Fernuniversität befasst sich intensiv mit den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zwischen Digitalisierung und Urheberrecht. Die Plenarversammlung des Philosophischen Fakultätentages findet vom 28. bis 30. November an der FernUniversität in Hagen statt. Am ersten Abend steht ab 18 Uhr eine Podiumsdiskussion auf dem Programm, bei […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4804/

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Was ist eigentlich (alles) Eristik? oder: Weblogs as Academic Communication Practices

Am 18.07.2013 habe ich im Rahmen der internationalen Summer School Situating Media. Ethnographic Inquiries into Mediation (15.-19. Juli 2013) von Locating Media mein Dissertationsprojekt vorgestellt (Vortragstext und PPP auf Seite 2). Die anschließende Diskussion stieß einige Überlegungen zu meinem zentralen Untersuchungsgegenstand, den eristischen Kommunikationshandlungen, an. Die grundlegende Frage ist: Was ist eigentlich (alles) Eristik?

Schaut man in die funktional-pragmatische Literatur hinein, findet man da – so weit ich das zur Zeit überblicken kann – nur bedingt die Präzision, die man sonst gewohnt ist. Die konzeptuelle Gründungsurkunde zur ‘Eristik’ wissenschaftlicher Kommunikation wurde 1993 von Konrad Ehlich vorgelegt: Was er darin in ersten wenngleich fundamentalen Überlegungen durchsichtig macht, ist die Komplexität wissenschaftlicher Text, die nicht als bloße Assertionsverkettungen verstanden werden können. Zwei Aspekte sind dabei wesentlich: (1) – und das gilt nicht nur für wissenschaftliche Texte – sind Texte in ihrer Abgeleitetheit von Gesprächen zu rekonstruieren. (2) sind wissenschaftliche Texte von spezifischen Gesprächen abgeleitet, die ihr Gepräge vom – wenn man so sagen will – Funktionssystem der Wissenschaft bekommen und damit zu spezifischem verdauerndem/tem Kommunikationshandeln  führen.

Ehlichs Beobachtungen gehen dabei aus von einer Auffälligkeit sprachlicher Mittel in wissenschaftlichen Texten und er bindet diese Auffälligkeit zurück an eine allgemeine Zweckbestimmung wissenschaftlicher Kommunikation nämlich der Einbringung eines (neuen) Wissens in den wissenschaftlichen Diskurs (im Foucaultschen Sinne). Ausgehend von der damals vorherrschenden Auffassung, Wissenschaftskommunikation sei aufgrund der “Weltwiedergabe-Funktion” von Assertionen/Aussagen (in Form von Aussagesätzen) durch Assertionsverkettung gekennzeichnet, die eine “Weitergabe von Wissen bzw. [...] dessen Expansion zu neuem Wissen” ermöglichten (Ehlich 1993, 24), macht er in exemplarischen wissenschaftlichen Texten eine Reihe von sprachlichen Mitteln aus, die die vermeintlichen Aussagesätze illokutiv modifizieren. Eines seiner Beispiele ist folgendes:

“Die Oberrheinische Tiefebene ist streng genommen nur teilweise eine Ebene.” (aus: Semmel, Arno: Geomorphologie der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Steiner 1972, 38; zitiert nach Ehlich 1993, 36; Typografie von mir)

“Dieses ‘strenggenommen’ ist [...] kein Teil einer einfachen Assertion, die dadurch illokutiv einen ganz anderen Stellenwert erhält, eine andere Charakterisierung bekommt.” (ebd., 26) Es handelt sich vielmehr um eine Modalisierung, deren Funktionalität nicht im Rahmen einer ‘bloßen’ Aussage erklärt werden kann, da diese Modalisierung ein spezifisches Wissen des wissenschaftlichen Diskurses und damit Auffassungen anderer Wissenschaftler der entsprechenden Provenienz fokussiert und eine differenziertere Haltung dazu einnimmt bzw. ankündigt, als das bisher offenbar der Fall war.

Und selbst für die Assertion im Allgemeinen stellt sich schon die Frage, wie sie in Texten – und das heißt für Ehlich (z.B. 1984) in verdauerter/gespeicherter, Raum und Zeit überwindender Kommunikation – prozessiert werden kann. Ist die Assertion doch aufs engste mit dem Handlungsmuster Frage-Antwort verknüpft.

“Aufgrund der engen Verknüpfung von A s s e r t i o n und F r a g e als über ihre Zwecke miteinander wesentlich verkoppelten Sprechhandlungen stellt sich für die illokutive Qualifizierung von Wissenschaftstexten die Frage nach dem interaktionalen Verbleib dieser F r a g e n.” (Ehlich 1993, 24)

Ein anderes Beispiel aus dem oben schon zitierten geomorphologischen Fachbuch:

“Die Rheinaue soll vom holozänen Rhein in das Hochgestade eingeschnitten worden sein (so z.B. STÄBLEIN 1968, 11).” (zitiert nach Ehlich 1993, 36; Typografie von mir)

Auch hier wieder eine Modalisierung und eine direkte Adressierung/Adresse dieser Modalisierung. Die sprachlichen Mittel, die hier an der kommunikativen Oberfläche sichtbar werden, sind

“Teil eines komplexen Prozesses, der in der sprachlichen Formulierung aufscheint, und zwar eines Komplexes der Urteilsbildung in bezug auf Gewährsleute, die aber sozusagen gerade keine Authentizität und Verläßlichkeit haben.” (ebd., 26)

“Es finden sich immer wieder Passagen, in denen der Autor in einen imaginären Diskurs [= Gespräch; MM.] eintritt mit anderen Autoren, also zum Beispiel in der Qualifizierung als ‘zunächst’, in der Bestimmung des ‘gilt nur’ oder des ‘bietet sich dazu an’.” (ebd., 28)

Ehlich resümiert aus den oben angedeuteten und anderen Beobachtungen wie folgt:

“Wir finden also als illokutive Qualität neben der a s s e r t i v e n Struktur eine weitere Grundstruktur, nämlich eine Struktur der E r i s t i k.” (ebd., 29)

Um die Frage nocheinmal zu stellen: Was ist nun eigentlich (alles) Eristik? Das letzte Zitat fährt wie folgt fort (für das Verständnis sind die hervorgehobenen Passagen ausreichend):

Wenn dem aber so ist, dann sind wissenschaftliche Texte selbst gleichsam immer auch Ausdruck einer Streitkultur. Ich verwende den Ausdruck ‘Streit’ dabei in einem durchaus positiven Sinn. Streit hat nichts mit Gezänk zu tun, sondern Streit ist, wie es in verschiedenen wissenschaftstheoretischen Positionen, etwa bei Popper, sehr explizit ausgearbeitet wurde, für den Wissenschaftsbetrieb als eine wissenschaftssoziologisch erfaßbare Größe insgesamt gekennzeichnet. Dies gilt bereits für die Wissenschaft vor der neuzeitlichen, wenn auch dort in einer ganz anderen Weise hinsichtlich dessen, was die Entscheidungsgründe für den Streit ausmachte. Diese Streitkultur als diskursive Struktur findet sich keineswegs nur in Texten, die den sozialen Wissenschaften nahestehen, sie findet sich ganz genauso in Texten der Naturwissenschaften oder der Mathematik. [...]

Wenn wissenschaftliche Texte also in diesem Sinne Kombinationen von einerseits Sachverhaltswiedergaben in der Familie der a s s e r t i v e n illokutiven Typen, andererseits ein Niederschlag von jeweils wissenschaftshistorisch und wissenschaftstheoretisch spezifisch geprägten und ausgeprägten Streitkulturen sind, dann, denke ich, erweisen sich diese Texte als außerordentlich komplexe Einheiten, Einheiten, die praktisch das schwierige Verhältnis von Diskurs [= Gespräch; MM.] und Text in der textuellen Oberfläche abbilden [...].

Wir sehen in diesen Texten also weit mehr als das einfache ‘mapping’ von Wirklichkeit über mentale Verarbeitung hinein in ein Stück Sprache. Wir erleben in den sprachlichen Formen den Prozeß der Diskussion der Wissenschaft selbst. In den Texten ist die diskursive Qualität des Wissenschaftsprozesses als eines Prozesses der streitenden Auseinandersetzung eingeschrieben. Mit anderen Worten: Der Wissenschaftsprozeß schlägt sich in der Textstruktur in einer illokutiven Vielfalt nieder, die eine Einschränkung auf Assertionsqualität illokutiv weder sinnvoll noch möglich macht. Vielmehr tragen die wissenschaftlichen Texte als ein wesentliches Strukturkennzeichen in sich ihren diskursiven Charakter, der durch die Textualität verfremdet worden ist. Die wissenschaftlichen Texte sind sozusagen Residuen und Petrefakte von diskursiven, insbesondere von eristischen Strukturen, die in den textuellen Strukturen aufgehoben sind.” (ebd. 29f.; Herv. als fett von mir)

Diese doch etwas redundanten Passagen können pointiert zu den zwei Aspekten vom Anfang zusammengefasst werden: (1) die illokutive Qualität von Texten ist ein Schlüssel zum Verhältnis von Gespräch und Text im Allgemeinen und (2) für das Verhältnis von wissenschaftlichem Gespräch und wissenschaftlichem Text im Besonderen. Die sprachhandlungsorientierte Rekonstruktion von Ehlich, die hier referiert wurde, legt es nahe, ein Verhältnis des Abgeleitet-Seins oder des Hineinwirkens des Einen vom Anderen oder des Einen ins Andere anzunehmen. Für dieses Verhältnis von Gespräch und Text zueinander als Grundformen menschlicher Kommunikation verwendet Ehlich die folgenden Ausdrücke und Prädikationen:

Ausdruck sein, findet sich, Niederschlag, Verhältnis abbilden, eingeschrieben sein, schlägt sich nieder, tragen in sich, verfremdet sein, Residuen und Petrefakte sein, aufgehoben sein (dem letzten Zitat entnommen)

Wenngleich ich die Annahme des phylo- und ontogenetischen Primäts der gesprochenen Sprache für sinnvoll halte, stellt sich hier doch die Frage des präzisen Verhältnisses zwischen diesen Grundformen und damit unmittelbar die Frage, welchen Einfluss bei diesem Transpositionsprozess die spezifische Medialität von flüchtiger und verdauerter Kommunikation haben. Was die beiden Aspekte (1) und (2) unmittelbar miteinander verknüpft. Ich werde auf diesen Komplex unten zurückkommen.

Zuvor soll die Frage der Extension und Intension des Eristikbegriffs angesprochen werden, womit wir wieder beim Ausgangsimpuls zu diesem Blogeintrag ankommen, der auf der eingangs erwähnten Summer School angestoßen wurde.

Zusammenfassend gesagt (und da ist die Wortbildung ‘Eristik’ irreführend) sind eristische Strukturen eine Menge von sprachlichen oder allgemeiner kommunikativen Mitteln, die für den Zweck gesellschaftlich erarbeitet wurden bzw. sich herausgebildet haben, ein (neues) Wissen in den bestehenden und aktuellen Diskurs (Foucault) einzubringen. Entsprechend dieser (sehr) allgemeinen und übergreifenden Zweckbestimmung wissenschaftlicher Kommunikation ist auch die Menge der Mittel, die diesen Zweck bearbeiten quasi (noch) nicht eingegrenzt, wie da Silva (2010)1 mit ihrem Konzeptualisierung eristischer Strukturen zeigt. Sie hat quasi (fast) alle  genuin linguistische Analyseebenen im Blick (Morphem, Wort- und Phrasenebene, Satz und Satzfolge, Textabschnitte, Kapitel, ganze Texte, nicht aber Textverbünde), wenn sie die Funktionalität sprachlicher Mittel im Hinblick auf den ‘eristischen Zweck’2 mit den Faktoren “Gradualität”3 und vor allem “Komulativität” charakterisiert (ebd., 130ff.). Beim ersten Faktor geht es kurz gesagt um Perspikuität vs. Opazität, also um die “Erkennbarkeit auf der sprachlichen Oberfläche” von eristischen Handlungen (ebd., 130). Beim zweiten Faktor geht es um die Kombinatorik einzelner Mittel im ‘Verlauf’ der wissenschaftlichen Texte und wie diese den ‘eristischen Zweck’ zusammen/im Zusammenwirken/im Verbund: eben kombinatorisch und komulativ bearbeiten (vgl. ebd., 133f.). Die Sprachhandlungsqualität, also die Vermittelung zwischen Sprecher und Hörer/zwischen Produzent und Rezipient kommunikativer Handlungen ist in dieser Konzeptualisierung bzw. diesem Konzeptausbau nicht bzw. nur indirekt fokussiert. Die Differenzierung des Ehlichschen Begriffes trifft eher seinen strukturellen und weniger seinen pragmatischen Anteil.

Eine handlungs- bzw. handlungsmusterbezogene Differenzierung dessen was alles Eristik ist, fehlt – soweit ich das momentan überblicken kann, aber noch. Für eine Rekonstruktion des oben angesprochenen Verhältnisses zwischen Gespräch und Text wäre diese Differenzierung aber unerlässlich. Dafür könnte sich die Arbeit von Trautmann (2004) zum Argumentieren als äußerst fruchtbar erweisen. In ihrer Dissertation nimmt sie ausgehend vom Handlungsmuster Begründen (vgl. Ehlich/Rehbein 1986) eine empirisch angeleitete Bestimmung des Musters Argumentieren vor,4 das im Kontrast zum Begründungsmuster nicht von einem Nicht-Verstehen, sondern von einem divergierenden Verstehen konstitutiv abhängt.

Konstitutiv ist dabei für das Argumentieren – und Trautmann (vgl. 2004, 123ff., 187ff.) arbeitet das nicht nur für wissenschaftliche Gespräche heraus5, sondern nimmt auch erste Analysen für wissenschaftliche Texte vor -, dass aufrund eines divergierenden Verständnisses beider systematischer Interaktantenpositionen S und H bezüglich einer Sprechhandlung C von Sprecherseite (S) vorliegt. Dies setzt auf Hörerseite (H) einen mentalen Einschätzungsprozess voraus, der auf Basis hörerseitigem Wissen zu dem Schluss führt, dass eine Divergenz vorliegt, was wiederum H eine Äußerung (Prä-E) tun lässt, die diese Einschätzung verbalisiert, um eine Synchronisierug zwischen dem Wissen von S und H ermöglichen soll. Eine Einschätzung der Prä-E-Äußerung auf Sprecherseite löst dann Äußerungen (D) aus, die diesen Versuch der Wissens(um/neu)strukturierung durch H bearbeitet, indem weitere Wissenselemente von S geliefert werden, um C zu stützen oder auch die Einwände, Vorschläge, Zweifel etc. von H zu bearbeiten, zu bewerten, zu übernehmen und dergleichen mehr. Dies kann wieder zur Prä-E-Äußerungen führen und so weiter. Das Argumentieren in Texten ist durch die spezifische Medialität von verdauerter Distanzkommunikation nun durch spezifische Bedingungen geprägt.

“Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass Texte generell aus dem oben genannten Gründen für das Argumentieren eher schlecht geeignet sind: Es gibt – außer im Brief – meist keinen persönlich bekannten Adressaten; der Text ist eine in sich geschlossene Verkettung von Sprechhandlungen miteinander, in die der Leser nicht eingreifen kann – allenfalls kann er mit einem eigenen Text darauf antworten.” (Graefen 22003, 49)

Als “(protracted) dialogues” oder “quasi-dialogues” (Dascal 1989, 147), die als ”activity” dadurch charakterisiert sind, umgehen zu müssen mit “uncertainty regarding the opponent’s reactions”, machen wissenschaftliche Texte es notwendig “[to] anticipate [these reactions] to some extent” (Dascal 1998, Abs. 16). Und ‘some’ ist dabei noch eine zu schwache Formulierung – basiert doch jede Form zerdehnter Kommunikationssituationen (vgl. Ehlich 1984) konstitutiv auf der Antizipation von depräsenter Hörertätigkeit, um überhaupt eine verstehbare Handlungsverkettung möglich zu machen. Davon ist das wissenschaftliche Argumentieren in seiner dargestellten Musterhaftigkeit im selben Maße geprägt, wenn es “aus dem Bereich des persönlichen Streitens herausgenommen und zu öffentlich beachteten Vorgängen” wird (Graefen 22003, 50).

Hier wird nun auch – wie an manch anderen Stellen andeutungsweise (Ehlich/Graefen 2001, 369; kursiv von mir) – die Verbindung deutlich, die Eristik als “Praxis des wissenschaftlichen Argumentierens” ausweist und somit die Möglichkeit aufscheinen lässt, eristische Kommunikationshandlungen einerseits musterbezogen und illokutionsbezogen zu konzeptualisieren. Gerade durch das Fort- und Hineinwirken dialogischer Kommunikationsformen der Wissenschaft in ihre monologischen Kommunikationsformen, wie es oben mit Bezug auf Ehlich (1993) dargestellt wurde, muss die Annahme aber wohl korrigiert werden, es können zwei Arten des Argumentierens in Texten unterschieden werden (die für Trautmann (2004) analyseleitend gewesen sind): nämlich ein Argumentieren erster Stufe und ein Argumentieren zweiter Stufe (vgl. Graefen 22003, 50).

“Unterscheidungskriterium ist dabei die zugrundeliegende Aktantenstruktur, ob nämlich der Schreiber eine eigene Position bezieht, die er gegenüber einem Leser durchsetzen bzw. plausibel machen will, oder ob er die Position Dritter wiedergibt, die ihrerseits argumentieren.” (Trautmann 2004, 188)

In ihrer Analyse begeht Trautmann (vgl. 2004, 197ff.) dann meines Erachtens aber den Fehler, den Schreiber eines wissenschaftlichen Textes in der Sprecherposition halten zu wollen und somit zu unplausiblen Rekonstruktionen von Musterpositionen im analysierten Text kommt. Wird aber – wie in ihrem analysierten Beispiel auf S. 200 – ein Zitat eines anderen Wissenschaftlers argumentativ bearbeitet, begibt sich der Autor des Textes in Bezug auf das Handlungsmuster Argumentieren in die Hörerrolle und bringt Prä-Es bezüglich C (dem Zitat) vor. So stellt sich das Verhältnis von Gesprächsstrukturen und Textstrukturen im Falle des wissenschaftlichen Schreibens als (noch) komplexer heraus, als die Unterscheidung von Graefen (s.o.) es deutlich macht. Die allgemeine, kommunikationsstrukturelle Verteilung von S als Schreibenden und H als depräsenten Lesenden wird – so ist wohl anzunehmen und empirisch zu prüfen – durch die allgemeine Verfahrensweise kooperativer und gleichsam konkurrenzieller dialogischer Wissensproduktion der neuzeitlichen Wissenschaft überlagert von musterbezogen (stellenweise) vertauschten S-H-Positionen, die “sozusagen Residuen und Petrefakte” des dialogischen Streitprozesses im monologischen Text darstellen.

Wenn eristisches Kommunikationshandeln also vom Muster des Argumentierens wesentlich bestimmt ist, stellt sich die Frage, welche Illokutionen (typischerweise) für die Prä-E- und die D-Äußerungen getätigt werden, um ein (neues) Wissen in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen. Gefragt werden könnte dann, ob diese gruppierbar sind in z.B. offensive und defensive Züge des streitenden Positionierens eines Wissens im Diskurs. Damit könnte die ‘Eristik’ in ihrer Funktionalität und Qualität detaillierter herausgearbeitet werden.

Durch die angesprochene Verschränkung von kommunikationsstruktureller Beteiligungsstruktur (1:n) und musterbezogener Beteiligungsstruktur (S:H) im wissenschaftlichen Text kommt man nun nicht umhin sich differenzierter mit den Medialitäten der Kommunikationsformen (vgl. Holly 2011, Meiler 2013) der Wissenschaft auseinanderzusetzen. Und da scheint mir die einzige von Ehlich (1984) in seinem Textbegriff angelegte Unterscheidungskategorie Ko/Depräsenz als Einfluss nehmend auf den (wissenschaftlichen) Kommunikationsprozess zu kurz zu greifen.

Ebenso wie der Kommunikationsformenbegriff hebt auch Ehlichs (1984) Bestimmung von Text und Diskurs auf die Möglichkeitsbedingungen von Kommunikation ab, wobei sein Erkenntnisinteresse ausschließlich auf sprachliche Kommunikation beschränkt ist. Die Kommunikationsformenkategorie wendet sich dieser Analyseebene umfassender zu (zuerst Ermert 1979, später Holly 1996, aktuell Domke z.B. 2013), indem sie die unterschiedlichen Möglichkeitsbedingungen jeglicher Kommunikation als Kontinua begreift, die für die einzelnen Ausformungen (wie etwa F2f-Gespräch, Veranstaltung (wie Seminar und Vorlesung), Brief, Buch, Zeitschrift, graue Literatur, Weblog, …) in ihrer kommunikationsprägenden Spezifik charakterisierbar sind. Ich habe an anderer Stelle den Versuch unternommen die bisher noch weitgehend statisch und strukturell konzeptualisierte Kategorie pragmatisch/praxeologisch zu rekonzeptualisieren (vgl. Meiler 2013). Dabei habe ich drei Prozedurengruppen (durchaus im funktional-pragmatischen Sinne) unterschieden:

  • semiologische Prozeduren unterschiedlicher kommunikative Zeichenarten (bearbeitende, nennende, zeigende, lenkende, malende Prozeduren),
  • mediale Prozeduren (linien-, flächen-, und raumbezogene Herstellung von Wahrnehmbarkeit der Kommunikation),
  • adressierende Prozeduren (Temporalisierung, Lokalisierung und Identifizierung der Adressanten und Adressaten durch die Origo des Kommunikats).

Dabei sind es nicht unbedingt nur die Medialitätsspezifika im engeren Sinne

  • technische Medien mit ihrer speichernden, übertragenden, verstärkenden Funktionsweise
  • sowie Kommunikationsrichtung und Beteiligungsstruktur,
  • Wahrnehmungsmodalität, Materialität, Zeichen- und Transkriptionspotenzial,
  • Raum-, Zeit- und Ortsgebundenheit (vgl. Domke 2010),

die systematischen Einfluss auf das Sprachhandeln in diesen Kommunikationsformen haben, sondern gerade die Aspekte

  • des sozialen Status (öffentlich vs. nicht-öffentlich) und
  • der Institutionalisierung und Organisation (Infrastrukturen) der Kommunikationsformen in einzelnen Domänen wie der Wissenschaft,

die von prägendem Einfluss auf die Spezifik der darin vollzogenen Kommunikationshandlungen, Handlungsmuster und Gattungen haben.6 

Nimmt man nun das oben angesprochenen Verhältnis der Kommunikationsformen Gespräch und Text im Hinblick auf die Verschiebungen in den Blick, die vom (phylo- und ontogenetischen) Wechsel des Sprachhandelns von einer in die andere Kommunikationsform wirksam werden, darf die Frage nach diesem Verhältnis nicht mehr dichotomisch (im Ehlichschen Sinne Diskurs vs. Text) gestellt werden, sondern im Hinblick auf die Vielfalt von Kommunikationsformen entsprechend der verfestigten Ausprägungen der Kontinua von Möglichkeitsbedingungen für Kommunikation.

Wissenschaftliche Weblogs, wie ich sie untersuche, scheinen wesentlich davon bestimmt zu sein, noch keine feste institutionalisierte und organisationale Position im Wissenschaftsbetrieb gefunden zu haben. Andererseits stehen sie aufgrund der Internetmedialität dem Open-Access-Paradigma nahe und erleben dadurch einen gewissen Aufschwung nicht nur in den Natur-, sondern auch den Kulturwissenschaften. Als Kommunikationsform der internen Wissenschaftskommunikation erfreuen sie sich einer gewissen Popularität (nicht nur) unter den Nachwuchswissenschaftlern, die sich auch versprechen mit einer solchen Internetpräsenz größere Aufmerksamkeit im wissenschaftlichen Diskurs zu erlangen. Der Interimszustand, in dem sich (wissenschaftliche) Weblogs und die Gattungen, die in ihnen kommuniziert werden, zweifelsfrei noch befinden, zieht – so ist zu erwarten – eine veränderte Art innerwissenschaftlich zu kommunizieren nach sich.

Welche Maßstäbe gelten für Blogs? Wie präzise muss zitiert werden? Sollten wissenschaftliche Weblogs zitierfähig sein? Welches Wissen kann bei den Lesern vorausgesetzt werden? Wie ‘fertig’ sollten die Texte sein? Wird es als Work-in-progress-Plattform verwendet? Als Arbeits- und Schreibwerkzeug? Für wissenschaftliche Kleinformen? Als Diskussionsplattform?

Diese und andere Fragen, die sich unweigerlich – auch aus meiner eigenen Perspektive – stellen und die Tatsache, das das doch nicht zeitunaufwändige Bloggen quasi neben dem ‘normalen’ Wissenschaftsbetrieb unternommen wird, wirken direkt hinein in das eristische Handeln also in die Art und Weise, wie mit anderen und dem eigenen Standpunkt und dem darauf bezogenen (neuem) Wissen in den Weblogtexten umgegangen wird.

Neben der breiteren und erleichterten Sichtbarkeit und Findbarkeit und den kurzen Zeiträumen, die zur Publikation führen (per Klick), stellt die viel beschworene Kommentarmöglichkeit ebenso einen interessanten Untersuchungsapekt dar, der eristisches Argumentieren in einen ‘neuen’ kommunikativen Aggregatzustand überführt, der als Hybrid zwischen Text und Gespräch nur unzureichend charakterisiert ist.

Allgemeiner sollten folgende Fragen für die empirische Untersuchung vorgehalten werden: Wie wird – entsprechend der dargestellten Musterpositionen des Argumentierens – mit C-, Prä-E- und D-Äußerungen umgegangen? Wie sind sie positioniert? Was für eine propositionale Reichweite haben sie? Welche Illokutionen realisieren diese Musterpositionen? Wie verschiebt oder verändert sich das Muster in verdauerter Dialogizität unbestimmter zeitlicher Zerdehnung (wie sie in der Kommentarfunktion gegeben ist)?

In diesem Licht bekommen Ehlichs (1993, 31; kursiv von mir) Ausführungen noch eine weitere Ebene, die als vinculum alle anderen Ebenen zusammenhält…

“Der Zusammenhang zwischen Wissenschaftstext, wissenschaftlichem Diskurs [= Gespräch?; MM.], Wissenschaftssprache und den Grundlagen des wissenschaftlichen Handelns als einer spezifischen Form gesellschaftlicher Praxis ist intensiver und deutlicher miteinander vermittelt, als üblicherweise angenommen wird.”

… die Ebene der kommunikationsermöglichenden Medialität.

Dascal, Marcelo (1989): Controversies as Quasi-Dialogues. In: Weigand, Edda/Hundsnurscher, Franz (Hg.): Dialoganalyse II, Bd 1. Tübingen: Niemeyer. S. 147-159.
Dascal, Marcelo (1998): Types of Polemics and Types of Polemical Moves. In: Cmejrkova, S./Hoffmannova, J./Mullerova, O. /Svetla, J. (eds.): Dialogue Analysis VI, Bd. 1. Tubingen: Niemeyer, S. 15-33. (zitiert nach der Online-Fassung, gezählt nach Absätzen)
Domke, Christine (2010): Texte im öffentlichen Raum: Formen medienvermittelter Kommunikation auf Bahnhöfen. In: Bucher, Hans-Jürgen/Gloning, Thomas/Lehnen, Katrin (Hg.): Neue Medien – neue Formate. Ausdifferenzierung und Konvergenz in der Medienkommunikation. Frankfurt a.M., New York: Campus. S. 256–281.
Domke, Christine (2013): Ortsgebundenheit als distinktives Merkmal in der Textanalyse. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 41/1, S. 102-126.
Ehlich, Konrad (1984): Zum Textbegriff. In: Rothkegel, Annely/Sandig, Barbara (Hg.): Text – Textsorten – Semantik. Hamburg: Buske. S. 9–25.
Ehlich, Konrad (1993): Deutsch als fremde Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 19. S. 13–42.
Ehlich, Konrad/Graefen, Gabriele (2001): Sprachliches Handeln als Medium diskursiven Denkens. Überlegungen zur sukkursiven Einübung in die deutsche Wissenschaftskommunikation. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 27, S. 351-378.
Ehlich, Konrad/Rehbein, Jochen (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr.
Ermert, Karl (1979): Briefsorten. Untersuchungen zu Theorie und Empirie der Textklassifikation. Tübingen: Niemeyer.
Graefen, Gabriele (22003): Schreiben und Argumentieren. Konnektoren als Spuren des Denkens. In: Perrin, Daniel/Böttcher, Ingrid/Kruse, Otto/Worbel, Arne (Hg.): Schreiben. Von intuitiven zu professionellen Schreibstrategien. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S. 47-62.
Holly, Werner (1996): Alte und neue Medien. Zur inneren Logik der Mediengeschichte. In: Rüschoff, Bernd/Schmitz, Ulrich (Hg.): Kommunikation und Lernen mit alten und neuen Medien. Beiträge zum Rahmenthema „Schlagwort Kommunikationsgesellschaft“ der 26. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. Frankfurt a. M. et al.: Lang. S. 9–16.
Holly, Werner (2011): Medien, Kommunikationsformen, Textsortenfamilien. In: Habscheid, Stephan (Hg.): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen. Linguistische Typologien der Kommunikation. Berlin, New York: de Gruyter. S. 144–163.
Meiler, Matthias (2013): Kommunikationsformenadressen oder: Prozeduren des Situationsvollzugs am Beispiel von Weblogs. In: Zeitschrift für Angewandt Linguistik 59/2. S. 51-106.
da Silva, Ana (2010): Überlegungen zum Stellenwert und zur Konzeptualisierung eristischer Strukturen in wissenschaftlichen Texten. In: Heller, Dorothee (Hg.): Deutsch, Italienisch und andere Wissenschaftssprachen – Schnittstellen ihrer Analyse. Frankfurt a.M. et al.: Peter Lang. S. 125–136.
Trautmann, Caroline (2004): Argumentieren. Funktional-pragmatische Analysen praktischer und wissenschaftlicher Diskurse. Frankfurt a.M. et al.: Lang.

  1. Ich freue mich sehr auch ihre hoffentlich bald erscheinende Dissertation.
  2. Hier ad hoc gebildete Phrase, die den gesellschaftlichen Zweck komprimiert benennen soll, ein (neues) Wissen in den bestehenden und aktuellen Diskurs (Foucault) einzubringen.
  3. An einer Stelle ‚übersetzt‘ sie Gradualität als „Körnigkeit“ (da Silva 2010, 132), was Granularität besser getroffen hätte. Für die Beschreibung, dass eristische Strukturen „unterschiedlich deutlich erkennbar“ seien, trifft eine Terminologie, die auf Grade und graduelle Abstufungen abhebt freilich schon.
  4. Ob Argumentieren aufgrund häufiger Musterdurchläufe und -rekursionen aber systematisch nicht als Muster sondern als Verfahren zu bezeichnen ist, bin ich mir nicht sicher.
  5. Bezüglich der gesprochenen Sprache untersucht Trautmann (vgl. 2004, 65ff.) auch nicht-wissenschaftliche Kommunikation.
  6. Auf prozeduraler Ebene ist scheinen vor allem, was Weblogs betrifft, die Digitalität und die Hypertextualität unmittelbare Verschiebungen der semiologischen Prozeduren vorzunehmen, was z.B. Phorik und Textdeixis betrifft (am Beispiel des Links Meiler 2013, 77).

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/166

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re:publica 2013 – Nerds im Elfenbeinturm


Vom 6.-8. Mai waren Charlotte Jahnz und Sascha Foerster für die Max Weber Stiftung in Berlin bei der Konferenz re:publica 2013. Sie begann vor 7 Jahren als Blogger-Treffen und hat sich mittlerweile zur wichtigsten europäischen Internet-Konferenzen mit über 5000 Teilnehmern und mehreren hundert Rednern entwickelt. 

Session "Geschichte des Computers" (CC-BY 3.0 Sascha Foerster)

Session “Geschichte des Computers” (CC-BY 3.0 Sascha Foerster)

Aus der Fülle des Programms möchte ich einige interessante Vorträge, Projekte und Themen der Konferenz vorstellen und persönlich kommentieren, besonders in Hinblick darauf, wie die digitalen Entwicklungen Wissenschaft verändern. Falls entsprechende Aufzeichnungen vorhanden sind, werden diese verlinkt. Weitere Themen, Thesen und Zusammenfassungen von Vorträgen können gerne in den Kommentaren ergänzt werden. Mehr Informationen zur Konferenz gibt es unter http://re-publica.de. Dies ist natürlich eine persönliche Auswahl aus der Vielzahl der Themen, die bei der Konferenz behandelt wurden. Wer Konferenzmitschnitte anschauen möchte, findet hier eine Übersichtsseite mit den Sessions und den entsprechenden Videos zum Anschauen.

Open Data, Open Access und Digital Humanities

Nicht nur in der Verwaltung sondern auch in der Forschung fallen viele Daten an, die oft nach Abschluss des Projekts verloren gehen. Im Vortrag “Die maschinenlesbare Regierung” wurde gefordert solche Daten, die bei öffentlich geförderten Projekten anfallen, unter einer verbreiteten freien Lizenz, zum Beispiel “CreativeCommons” (bzw. ähnliche) und maschinenlesbar zugänglich zu machen. Zum einen ermögliche dies die genauere Replikation und Überprüfung von Studien, zum anderen könnten diese Daten für weitere innovative und gesellschaftsdienliche Zwecke genutzt werden. Persönliche Daten sollen dabei geschützt bleiben und nicht veröffentlicht werden.

Nach Möglichkeit sollen bekannte und verbreitete freie Lizenzen für die Datenveröffentlichung verwendet werden. Maschinenlesbar bedeutet, dass diese Daten nicht als PDF “ausgedruckt” (Zitat: “Schnarchdaten”), sondern in Rohformaten veröffentlicht werden, die automatisiert gelesen und weiterverarbeitet werden können. PDF-Dateien sind für solche Zwecke denkbar schlecht geeignet, da die Rohinformationen dort erst wieder aufwendig extrahiert werden müssen.

Es wurden Forderungen gestellt, die Veröffentlichung von Verwaltungs- und Forschungsdaten gesetzlich verpflichtend zu machen. Entsprechende Gesetze sollen baldmöglichst “installiert werden”.

Links:

re:publica 2013 Session: Die maschinenlesbare Regierung – Eine kritische Analyse zur Gegenwart von Open Data und Open Goverment in Deutschland

Definition von “Offenes Wissen”
http://opendefinition.org/okd/deutsch/

http://de.wikipedia.org/wiki/Open_Data

re:publica 2013 Aufzeichnung: How radical are Open Access and the Digital Humanities?
http://www.youtube.com/watch?v=-9d0KM1I0aw

re:publica 2013 Aufzeichnung: OpenData, was hat das mit mir zu tun?
http://www.youtube.com/watch?v=QBSNr6UXIJg

re:publica 2013 Aufzeichnung: Datenbeifreiung, selbst gemacht. (Tools für Open Data)
http://www.youtube.com/watch?v=vWerZQFj4Xc

Crowdfounding, Crowdsourcing und Wissenschaftskommunikation

Ein Beispiel für gute Wissenschaftskommunikation war die Session zur Grundlagenforschung des CERN. Im Vortrag zeigten Henning Krause (Helmholtz-Gemeinschaft) und seine Kolleginnen und Kollegen vom CERN, wie es zur Entdeckung des Higgs-Teilchens kam. Fast alle Institute nutzen die Kanäle Blogs, Facebook, Twitter, teils auch Podcasts oder öffentliche Google Hangouts zur Wissenschaftskommunikation. In der Diskussion wurde später kritisch nachgehakt, ob die Entdeckung des Higgs-Teilchens den enormen finanziellen Aufwand von 6 Milliarden Euro für den Teilchenbeschleuniger LHC rechtfertige. Gerade wegen des hohen finanziellen Aufwands spiele es eine wichtige Rolle, der Öffentlichkeit die Forschungsergebnisse zu vermitteln und so weiter für die Notwendigkeit der Grundlagenforschung zu werben, wurde erwidert. Da am CERN durch Tim Berners-Lee auch die Grundlagen für das WWW geschaffen wurden, konnte man mit Verständnis unter den technikbegeisterten Zuschauern rechnen. Die enorme Datenverarbeitungskapazität, die nur durch ein weltweites Cluster von Rechner bereit gestellt werden können, zeigten auch, dass durch Grundlagenforschung aktuelle technische Entwicklungen voran gebracht werden können.

Zwischen den Sessions gab es immer wieder Gelegenheit persönlich mit Kollegen zu sprechen, unter anderem habe ich mit Thorsten Witt gesprochen, der für “Wissenschaft im Dialog” das Projekt www.sciencestarter.de leitet. Crowdfounding fordert Wissenschaftler/innen dazu auf, sich und ihre Forschung aktiv zu präsentieren, um so Forschungsgelder von einer interessierten Öffentlichkeit zu sammeln. Einerseits gibt es Befürchtungen der Popularisierung von Forschung, andererseits wird so von Anfang an die Wissenschaftskommunikation gefördert. Auch kleinere Projekte bekommen so eine Chance auf Förderung. Neue Projektvorschläge werden gesucht, besonders auch aus den Geistes- und Sozialwissenschaften.

Eine weitere Möglichkeit, die Crowd für die Forschung zu nutzen, besteht darin, ähnlich wie bei der Wikipedia, Forscher/innen dazu zu animieren, sich gegenseitig bei der Lösung von Forschungsproblemen zu unterstützen bzw. Freiwillige zu animieren bei einem interessanten Projekt zu helfen. Ein vergleichsweise einfacher Weg dazu kann eine offene wissenschaftliche Frage in einem Blogbeitrag sein (siehe z.B. die offene Frage und folgende Diskussion im dk-blog), die von anderen Lesern beantwortet wird. Es kann sich aber auch im Großprojekte wie die Digitalisierung historischer Werke handeln, die auch von Nicht-Experten unterstützt wird. Auch hier sind noch Experimente nötig um die entsprechenden Möglichkeiten und Risiken auszuloten.

Thorsten Witt organisiert übrigens ein SciCamp zum Thema “Wissenschaft im Netz”, das am 1. und 2. Juni 2013 in Berlin stattfinden wird.

Links:

re:publica 2013 Aufzeichnung: Faszination Grundlagenforschung: Higgs, Big Data und Teilchenphysik
http://www.youtube.com/watch?v=ceARb5FRy8A

http://www.sciencestarter.de

Passend zum Thema Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation:
www.hellojed.de: “Public History: Mehr Öffentlichkeit? Bessere Öffentlichkeit?”

Ähnliche Themen:

re:publica 2013 Aufzeichnung: In, Side, Out of Science (Partizipation in der Wissenschaft)
http://www.youtube.com/watch?v=JZI3peYWGUU

re:publica 2013 Aufzeichnung: Horst Zuse, Die Geschichte des Computers
http://www.youtube.com/watch?v=YAh4Jr5dJcQ

Wikipedia und WikiData

Der Vortrag zu Wikipedia und besonders die kritischen Nachfragen aus dem Publikum zeigen, welche Schwachstellen die Wikipedia momentan hat. Einerseits besteht aus Sicht der Administratoren ein Großteil der Arbeit aus Löschung von unsinnigen Beiträgen, Rückgängigmachung von Vandalismus und Entfernung von Fehlern, die besonders gefährlich sind, da viele, besonders Medien aber auch Wissenschaftler, diese Fehler gegenseitig abschreiben und weiterverbreiteten. Dies wurde an verschiedenen Beispielen gezeigt, u.a. an einem Zahlendreher bei der Länge des Rheins oder einem Eintrag zur Berliner Karl-Marx-Allee. Andererseits werden so auch oft Beiträge und Änderungen gelöscht, die korrekt sind, was zu enormen Frust bei den Nutzern und Autoren führt. Gerade Wissenschaftler, die Spezialisten in ihrem Gebiet sind und Spezial-Artikel durch ihre Expertise auf ein höheres Niveau heben könnten, wenden sich aufgrund der langwierigen Diskussionen mit Administratoren um kleine Anpassungen wieder ab. Dabei sind sich prinzipiell alle Seiten einig, wie wichtig das Projekt Wikipedia ist.

Meiner Meinung nach ist es nicht einfach beide Fehlerarten (falsche Informationen, falsche Löschungen) gleichermaßen zu reduzieren, doch das wird die Aufgabe sein, die die Wikipedia zu lösen hat, um weder (freiwillig arbeitende) Administratoren noch qualitativ hochwertige (ebenfalls freiwillig arbeitend) Beiträger/innen  zu verlieren.

Eine interessante Neuentwicklung ist das Projekt “WikiData“, dass eine Datenbank-Infrastruktur für die Wikipedia bereitstellt. Vielverspechend ist die Möglichkeit, Daten über verschiedene Artikel hinweg an einer zentralen Stelle aktualisieren zu können. Welchen Nutzen dies für Wissenschaftler/innen hat und welche Fragen sich mit diesen Datensätzen beantworten lassen, wird sich erst zeigen, wenn mehr Daten zur Verfügung stehen und einige Forscher damit experimentiert haben. Wer sich für WikiData interessiert, kann schon mal die API testen. Beispielsweise lassen sich auch historische Daten und Fakten in der Datenbank festhalten.

Links:

re:publica 2013 Aufzeichnung: Wikipedia: wo User geblockt, Artikel gelöscht und Reputationen zerstört werden
http://www.youtube.com/watch?v=5iSAl_krauA

http://www.wikidata.org/w/api.php

Digitalisierung und Langzeitarchivierung

Unter dem provokativen aber ernst gemeinten Titel “Das Buch muss überwunden werden – Digitales Utopia oder eher El Dorado?” stand der Vortrag über die “nächste Evolutionsstufe des Buches” und den gegenwärtigen Stand der Digitalisierung. Die Vortragenden vertraten eine klare Position für eine Digitalisierung bis hin zur Abschaffung des Buches in seiner physischen Form. Es wurden Projekte wie die “Deutsche Digitale Bibliothek” und “Europeana.eu“ vorgestellt und die urheberrechtlichen Hintergründe und Probleme erklärt.

Besonders Bücher zwischen 1850 bis 1950 seien vom Papierzerfall bedroht. Die Probleme der digitalen Langzeitarchivierung seien viel besser lösbar bzw. bereits gelöst. Alle Bücher zu digitalisieren, würde nach Schätzungen der Vortragenden 120 Millionen Euro kosten. Selbst wenn es viermal so teuer wäre, so wurde argumentiert, würde es immer noch durch die öffentliche Hand zu stemmen sein.

Zwei Nutzungsszenarien böten sich nach der Digitalisierung an: Zum Ersten könne man die Bücher einfach lesen. Zum Zweiten ließe sich erst nach Digitalisierung eine Volltextsuche durchführen, wie sie beispielsweise bereits von Google ngram angeboten wird.

Auch die Langzeitarchivierung von Blogs ist ein bisher nicht wirklich gelöstes Problem. Zwar gibt es die “Wayback Machine” des “Internet Archives”, doch geht dabei der dynamische Charakter der Blogs verloren, da diese ja meist auf ein Datenbanksystem zurückgreifen. Bereits 45% der Blogs aus der Zeit des Irakkriegs seien verloren gegangen – trotz des bestehenden “Internet Archives”. Das EU-geförderte Projekt “Blogforever” soll hier Abhilfe schaffen, indem es die dynamischen erstellten Blogs archivieren hilft. Es soll in Zukunft als OpenSource-Paket und als Webdienst verfügbar sein.

Ein digitales Archiv des analogen Alltags wird im Projekt “digIT – Graben, Retten, Teilen” beim WDR erstellt. Die Mitarbeiter/innen sammeln vor Ort analoge Videos und Fotos ein, digitalisieren diese und stellen eine Kopie auf ihrer Webseite. Als Beispiel wurde ein Video der Brückenverschiebung 1976 in Düsseldorf gezeigt. Im Workshop suchten die Mitarbeiter nach Ideen für ein besseres Tagging des Materials der Offliner, gegebenenfalls mit Hilfe von Onlinern.

Als Nachteil habe ich auch hier empfunden, dass keine freien Lizenzen verwendet werden, sondern eine Eigenentwicklung des WDR, bei der nur nicht-kommerzielle Archive und Bildungsträger das Material nutzen dürfen. Nicht allen Zuhörern war klar, was CC-Lizenzen sind, wie ein nachfragender Nebenmann mir bewies. Bei einer Nutzung von freien Lizenzen könnten die Digitalisate beispielsweise auch in der Wikipedia eingebunden werden. Bei Beendigung des Projekts werden so die Daten vermutlich nur noch für die eigene Mitarbeiter im WDR-Archiv zu finden sein.

Links:

re:publica 2013 Aufzeichnung: Das Buch muss überwunden werden – Digitales Utopia oder eher El Dorado?
http://www.youtube.com/watch?v=oOcOTE2IP34

re:publica 2013 Session: Blogforever

re:publica 2013 Session: digit.WDR.de – Graben, retten, teilen

Nestor : Digitale Langzeitarchivierung

Internet Archive: Wayback Machine

Best of Blogs, reclaim.fm und Owncloud

Dass Blogs schon lange mehr sind als Online-Tagebücher von Teenager, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Die Best-of-Blog-Awards, vergeben von der Deutschen Welle, zeigen, welche Bedeutung Blogs mittlerweile für die freie Meinungsäußerung weltweit haben. Auch die wissenschaftliche Blogplattform Hypotheses.org, deren deutschen Ableger de.hypotheses.org wir bei der Max Weber Stiftung managen, war nominiert.

Verweisen möchte ich auch auf den Überraschungsvortrag von Sascha Lobo, in dem das Tool reclaim.fm vorgestellt wurde. Es ist noch in der Entwicklung, soll aber dabei helfen die eigenen Daten aus Facebook, Twitter und anderen kommerziellen Diensten zurück in das selbstkontrollierte WordPress-Blog zu bringen, eine Entwicklung, die ich persönlich begrüße. Insgesamt wird immer wieder der Wunsch geäußert aus den kommerziell orientierten sozialen Medien zurück in die Blogosphäre zu kehren. Dort hat man Kontrolle über die eigenen Daten und wird nicht von Großkonzernen für bessere Werbeplatzierungen ausspioniert. Doch vermutlich wird diese Henne-Ei-Diskussion weitergehen, so lange die meisten Kontakte sich in kommerziellen Netzwerken befinden.

Eine freie Alternative zu Dropbox und Co. ist Owncloud. Man kann damit Dateien auf den eigenen Rechnern belassen und trotzdem über verschiedene Geräte synchronisieren, bzw. im Internet teilen. Es ist also eine selbstkontrollierte Datenwolke, bei der man keine “Allgemeinen Geschäftsbedingungen” zum eigenen Nachteil bestätigen muss, ohne dabei irgendeinen funktionellen Nachteil zu haben.

Links:

re:publica 2013 Aufzeichnung: The Bobs Six Winners
http://www.youtube.com/watch?v=EcsaUnQgvhM

re:publica 2013 Aufzeichnung: Sascha Lobo: Überraschungsvortrag II
http://www.youtube.com/watch?v=Raas1BhSIbs

Passend dazu:
http://schmalenstroer.net/blog/2013/05/reclaim-fm-die-eigene-social-media-sicherung/

re:publica 2013 Aufzeichnung: crushing data silos with Owncloud
http://www.youtube.com/watch?v=CwhKl0qvcfA

Workshops: Content, SocialCRM, Social Media

Im Rahmen der re:publica 2013 wurde auch die Konferenz re:campaign abgehalten, die einen Schwerpunkt auf NGOs legt, aber auch für Stiftungen und anderen Organisationen im Internet waren interessante Anregungen dabei.

Die Erstellung einer Content-Strategie für NGO’s wurde im entsprechenden Workshop mit folgenden Schritten beschrieben: Zuerst muss man die bestehenden eigenen Inhalte der Organisationen kennen lernen. Danach sollten Benutzerprofile der Rezipienten erstellt werden, zum Beispiel durch Interviews oder Umfragen. Die Fragen “Was wollen und was brauchen die Nutzer?” sollen so beantwortet werden. Anhand der Organisationsziele lässt sich dann bestimmen, welche konkreten Botschaften gesendet werden sollen. Damit Inhalte (Content) in Organisationen produziert und verteilt werden können, müssen Prozesse und Arbeitsabläufe geplant und strukturiert werden. Dazu gehören auch Kontrollmechanismen und festgelegte Verantwortlichkeiten. Schließlich wird entschieden, auf welchen Plattformen und wie die Inhalte verbreitet werden. Welche Medienformate eignen sich für welche Plattform? Insgesamt sollte es nicht zu textlastig werden. Einstiegsvideos helfen, Emotionen zu wecken, Storytelling macht die Inhalte interessant.

Im Workshop “Von SocialMedia zu SocialCRM” wurden Anregungen und Ideen gesammelt, wie Organisation besser mit ihrem Umfeld interagieren können. Klassische Instrumente der Kundenpflege greifen oft zu kurz, da sie die Sozialen Medien außer Acht lassen. Schwierigkeiten sind unter anderem, dass sich Organisationsziele nicht eins zu eins in die Sozialen Medien übertragen lassen, dass Soziale Medien heterogene Systeme sind, dass die Erfolgsmessung bei Sozialen Medien schwierig zu definieren ist und dass die Folgen nur schwer messbar sind. Es wurde angeregt, dass Mitarbeiter stärker als Menschen hervortreten und die Impulse aus der Community besser aufgegriffen werden sollen.

Die Folien des Workshops “10 Fehler die wir alle machen!” finden sich zum Nachlesen bei Slideshare. Auch hier waren interessante Anregungen für die Social-Media-Strategie von Organisationen dabei.

Links:

re:publica 2013 Workshop: Content Strategy für NGOs – Webinhalte erst strategisch planen, dann publizieren

re:publica 2013 Workshop: Von Social Media Management zu Social CRM

re:publica 2013 Workshop: 10 Fehler die wir alle machen! – Nonprofits und Social Media Stand 2013

Fazit

Insgesamt meinte ich bei den technologiebegeisterten Vortragenden Ungeduld und Frustrationen zu spüren. Vermutlich kämpfen sie schon lange mit den Widerständen und erreichen doch nur geringe  Fortschritte, sowohl in Forschung als auch in Verwaltung. Deren Vertreter verwiesen in der Diskussion wiederum auf Schwierigkeiten bei der Umstellung, Sorgen über die Folgen oder kritisierten und blockierten insgesamt die digitalen Projekte.

Immer, wenn ich mit Menschen außerhalb der re:publica sprach, merkte ich meist schnell, dass die Themen und Stichwörter der Konferenz nur den Wenigsten etwas sagen. Nicht alle wissen, was eine CC-Lizenz ist, und vielen “Nerds” fehlt das Verständnis dafür, das andere nicht genau so gut Bescheid wissen, wie sie selbst, die sie mit mindestens zwei Bildschirmen parallel einem Vortrag folgen. Andererseits gibt es immer noch Vorurteile, wie “Blogs sind doch nur Meinungen von Teenagern” und es wird abgetan, dass dort mittlerweile auch wissenschaftliche Ergebnisse publiziert werden (siehe de.hypotheses.org). Dabei darf man Meinungen keinesfalls gering schätzen, wie man an Beispielen von eingeschränkter Meinungsfreiheit sieht und von Menschen, die sich diese Meinungsfreiheit im Netz, auch gerade durch Blogs, wieder erkämpft haben.

tl;dr: Es bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Nerds, kommt raus aus eurem Elfenbeinturm!

Quelle: http://mws.hypotheses.org/2838

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