1914 – Tag für Tag. Multimedialer Rückblick

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Im August vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Niemals zuvor hatte eine Auseinandersetzung so viele Menschenleben gekostet, war ein Krieg so grausam geführt worden. Mehr als 15 Millionen Menschen starben in den Kriegsjahren bis 1918. Wie kam es zu dieser Zäsur in der Geschichte? Wie lebten die Menschen damals, was beschäftigte sie in diesen Wochen und Monaten, worüber schrieben Journalisten? Ein multimedialer Rückblick von ZEIT online und dem TV-Sender Arte dokumentiert den Weg zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs und gibt jeden Tag einen Einblick in das Leben von damals, mit einem besonderen Fokus auf Deutschland und Frankreich – immer genau heute vor 100 Jahren:

1914 – Tag für Tag

Quelle: http://1914lvr.hypotheses.org/944

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Datenbanken zur Militärgeschichte Frankreichs auf “Mémoire des hommes” (Mittwochstipp 26)

Die Website Mémoire des hommes des französischen Verteidigungsministeriums ist ein groß angelegtes Internetprojekt, das Datenbanken und Digitalisate aus den Beständen des Service historique de la défense verfügbar macht, zum Teil in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie den Archives Nationales. Kernstück … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/1936

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Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka

Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).

In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.

So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.

Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.

Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.

Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Meinung, Methodik, Vermittlung

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/01/21/was-bleibt-die-kommunistische-verfolgung-von-kommunistinnen-und-kommunisten-und-der-fall-walter-janka/

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Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka

Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).

In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.

So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.

Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.

Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.

Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Meinung, Methodik, Vermittlung

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VO+SE Visual Surveillance – Bilder der Überwachung

Im kommenden Sommersemester 2014 werde ich am Institut für Soziologie der Universität Wien gemeinsam mit Roswitha Breckner und Robert Rothmann die VO+SE VISUAL SURVEILLANCE – BILDER DER ÜBERWACHUNG lehren. Die VOSE wird im Masterstudium Soziologie angeboten.

Termin: montags 14.15 – 16.45 Uhr, ab 03.03.2014

Ort: Inst. f. Soziologie, Seminarraum 3, Rooseveltplatz 2, 1.Stock, 1090 Wien

Anmeldung zur LV über UNIVIS von 28. Februar 2014, 10:00 Uhr bis 02. März 2014, 10:00 Uhr

Inhalte: Die Lehrveranstaltung verbindet Konzepte der ‘Visual Studies’ mit jenen des interdisziplinären Forschungsfeldes der ‘Surveillance Studies’ und beschäftigt sich mit der fortlaufenden Ko-Produktion von visuellen Überwachungspraktiken und gesellschaftlichen Ordnungen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Phänomen der Videoüberwachung (CCTV) als Zeichen gesellschaftlichen Wandels (Hempel, Metelmann). Die VOSE geht dabei auf historische Vorläufer ebenso ein wie auf jüngste Entwicklungen im Bereich der algorithmusbasierten Bildverarbeitung und automationsunterstützten Ereigniserkennung. Zudem wird die breite gesellschaftliche Akzeptanz von Videoüberwachung im Hinblick auf den grundrechtlichen Anspruch auf Privatsphäre und Datenschutz diskutiert und in Beziehung zu Tendenzen medialer Inszenierungen und “freiwilliger” Selbstüberwachung gesetzt, wobei über Videoüberwachung hinaus auch andere Facetten visueller Repräsentation (TV-Shows, Social Media etc.) ins Auge gefasst werden.

Weitere Informationen im Vorlesungsverzeichnis

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=5621

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Wallensteinische Werbungen in Köln

Im Dezember 1630 wurden dem Rat der Reichsstadt Köln Patente zur Werbung von Söldnern vorgelegt. Dies passierte durchaus häufig, und da es sich um Werbungen für die kaiserliche Armee handelte, hatte der Rat bei seinen Beratungen am 18. Dezember auch keine Bedenken, diese Werbungen zu erlauben. Allerdings ist diese Angelegenheit nur auf den ersten Blick klar; wenn man sich den Passus in den Ratsprotokollen anschaut, fallen doch Besonderheiten, vielleicht auch Ungereimtheiten auf.

Zunächst wird offenbar, daß es sich nicht um die Neuaufstellung einer Einheit handelte. Vielmehr ging es um die Zuwerbung zu einem bereits existierenden Regiment. Es war, wie das Protokoll vermerkt, das Regiment des Obersten Kaspar von Gramb. Dieser war nicht selbst in der Stadt, sondern hatte einen seiner Hauptmänner, Dietrich Grave, als einen Werbeoffizier geschickt. Auffällig ist jedoch, daß ausgerechnet so spät im Jahr, mitten im Winter, das Regiment verstärkt werden sollte. Normalerweise lagen die Einheiten in den Winterquartieren; eigentlich wurden erst im Frühjahr, im unmittelbaren Vorfeld eines neuen Feldzugs, die Einheiten durch Zuwerbungen ergänzt. Eine Erklärung für diesen Zeitpunkt ergibt sich aus den Umständen, in denen sich das Regiment des Obersten Gramb befand.

Der Oberst fungierte damals als Stadtkommandant in der Hansestadt Wismar; sein Regiment lag dort in Garnison. Die Situation im Herbst 1630 wurde zunehmend kritisch: Die Versorgung der Soldaten war miserabel, viele waren krank, angeblich starben täglich 10-15 Mann. Bedenklich war zudem die feindselige Haltung der Bewohner von Wismar, denen der Oberst nicht mehr traute. Er forderte daher dringende Verstärkungen an und drohte, falls diese nicht bewilligt würden, mit seiner Resignation (siehe die Angaben in den Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia, Bd. 5, hrsg. v. Miroslav Toegel, Prag 1977, S. 21 u. 30). Vor dem Hintergrund wird zumindest klar, warum Gramb mit Werbungen nicht mehr bis zum Frühjahr warten konnte.

Auffällig bleibt ein anderes Detail. Im Ratsprotokoll ist explizit von „patenten des Hertzogen zu Friedtlandt“ die Rede (Historisches Archiv der Stadt Köln, Ratsprotokolle Bd. 76, fol. 493‘). Abgesehen davon, daß Wallenstein selbst lieber als Herzog von Mecklenburg tituliert worden wäre, verwundert dies insofern, weil er seit seiner Entlassung im August des Jahres 1630 nicht mehr als Feldherr des Kaisers agierte. Auf welcher Rechtsgrundlage konnte er also noch Patente ausgeben, mit denen er Söldner anwerben ließ? Eine Erklärung wäre, daß dieses Patent noch vor August 1630 datiert war, doch selbst in dem Fall bliebe die Frage, ob es dann noch gültig wäre.

Über die Frage der Legitimität hinaus ist aber zu klären, welches Interesse Wallenstein überhaupt noch hatte, Werbepatente auszustellen, falls er doch zum Zeitpunkt der Ausstellung gar nicht mehr für die Armee zuständig war. Hier bleibt – zumindest sehe ich derzeit keine andere Erklärung – nur der Hinweis auf die Geographie: Die Hansestadt lag im Herzogtum Mecklenburg, und wenn Wallenstein auch das Amt als Feldherr verloren hatte, wollte er definitiv nicht auf das ihm übertragene Herzogtum verzichten. Wismar war ein Einfallstor nach Mecklenburg, das es zu schützen galt. Grund genug also, die kaiserlichen Truppen in der Stadt zu verstärken, unabhängig von der Rechtsgrundlage. Interessant ist allerdings zu sehen, dass diese Bemühungen sogar die Reichsstadt Köln erreichten, die ansonsten mit Wallenstein und dem Krieg im Nordosten des Reiches nicht viel zu tun hatte.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/377

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Piraterie: Der Mythos Klaus Störtebeker

Die Legende des furchtlosen Seeräubers, des Schreckens der Hanse und ihrer Pfeffersäcke ist wohl die beliebteste und bekannteste Geschichte der deutschen Piraterie. Ihr Ende soll sie in Hamburg gefunden haben. Betrachten wir das Legendengespinst einmal genauer, sieben wir Fiktion und dramaturgische Zusätze heraus – was bleibt übrig von der norddeutschen Heldengestalt Klaus Störtebeker?

von Dennis Störtebecker

Der historische Kontext

Klaus, Nicolaus oder Clawes Störtebeker hat als historische Figur eine Präsenz in unserer Gesellschaft, welche auf eine reichhaltige Quellenlage hindeutet. Betrachten wir die tatsächlich vorhandenen Dokumente über ihn, wird schnell klar: Die Gestalt des Piraten, wie wir sie heute kennen, ist historisch nicht fassbar. Zu wenige Quellen überliefern Informationen zur Person Klaus Störtebeker. Die jüngere Forschung zu seiner Biografie ist eng mit dem Wandel im Forschungsfeld der Piraterie verbunden. Sie konzentriert sich auf die Sozialgeschichte; auf das soziale Elend, das Piraterie hervorbringt und ihre Auswirklungen. Das vorrangige Problem, welches sich dem Historiker daher stellt, ist das Herausfiltern der wenigen Fakten über Störtebeker, von denen mit größtmöglicher Sicherheit gesagt werden kann, dass sie wahrscheinlich sind. Die konkrete Aufgabe lautet nun, die Sagengestalt des Klaus Störtebeker mit Hilfe der historischen Quellen zu entwirren und die wahre Person (soweit möglich) zu rekonstruieren. Die Trennung von Legende und historischer Person fällt nach über 600 Jahren Zeitspanne schwer, auch durch den Einfluss des Bildes von Störtebeker, welches sich (unabhängig von der Quellenlage) schon in der Gesellschaft verfestigt hat.

Wo und wann Störtebeker genau geboren wurde, ob er als einfacher Sohn eines Landarbeiters oder als Erbe eines Adelsgeschlechtes das Licht der Welt erblickte, wurde uns nicht überliefert. Seine Existenz kann erstmalig auf das Jahr 1380 datiert werden, in der Stadt Wismar, welche vermutlich seine Geburtsstadt war (wobei noch um die 20 weitere Städte dieses von sich behaupten).  Im liber proscriptorum1 der Stadt, dem Verfestigungsbuch, taucht der Name Nicolao Störtebeker als Opfer einer Schlägerei auf. Die Schläger werden aus der Stadt verbannt; mehr sagt uns die Quelle nicht. Bei einem Abgleich derartiger Überlieferungen mit dem angeblichen Wissen, welches wir heute über Störtebeker besitzen, zeigt sich eine tiefe Kluft.

Die Entstehung der Vitalienbrüder

Viele Jahre lang deutet nichts auf eine Karriere Störtebekers als Freibeuter hin, bis 1389 Königin Margarete von Dänemark zunächst Norwegen ihrem Reich zufügt und dann Schweden erobert, den schwedischen König gefangen nimmt und Stockholm belagert, welches sich der dänischen Belagerung allerdings widersetzen kann. In dem durch Familienbande mit dem König von Schweden verbundenen Mecklenburg, in den Städten Wismar und Rostock, werden alle Leute willkommen geheißen, die der Dänenkönigin schaden wollen und können, so auch „omnes malefici, omnes profugi, sive proscripti“. Zwielichtigen Seeleuten, Übeltätern und Geächteten wird eine sichere Zuflucht und Reichtum versprochen. Der versprochene Reichtum und die Aussicht auf einen sicheren Aufenthaltsort lockt große Gruppe von Menschen an, die sich einen Vorteil aus dem laufenden Konflikt versprechen. Sie sollen das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln versorgen und werden mit herzöglichen Kaperbriefen ausgestattet, um Seeraub zu betreiben. Ausgerufenes Ziel der Piraterie waren dänische Schiffe und jene, die mit Margarete verbündet sind. Die Seeräuber lassen diese feine Unterscheidung jedoch schon bald über Bord gehen und rauben, plündern und entern jedes Schiff, das ihnen auf der Ostsee in die Hände fällt, ungeachtet der Herkunft und Nationalität.

Diese Gruppe von Seemännern wird schon bald unter dem Namen „Vitalienbrüder“ (die Lebensmittelbeschaffer) bekannt und mit ihr einer ihrer Hauptmänner, Klaus Störtebeker. Klaus Störtebeker selbst wird, wie bereits beschrieben, nur in wenigen Quellen direkt erwähnt. Informationen über die so genannten Vitalienbrüder, jene Söldner- und Kapergruppe, die im 14. Jahrhundert die Nord-und Ostsee unsicher machte, finden sich in Dokumenten, Verträgen und Briefen dagegen vielfach.

In einem Auszug aus der Lübecker Stadtchronik, der sogenannten Detmar-Chronik, ist die Gründung der Vitalienbrüder beschrieben: „In deme sulven iare warp sik tosamende en sturlos volk…unde heten sik vitalienbroder. Se spreken, se wolden tenn up de koninghinnen van Denemarken to hulpe deme koninghe von Sweden…” (In dem Jahr bildete sich eine nicht kontrollierbare Gruppe von Menschen… diese nannten sich Vitalienbrüder. Sie sagten, sie wollen wollten Krieg führen gegen die Königin von Dänemark, um dem König von Schweden zu helfen…).2

Das organisierte Treiben der Vitalienbrüder und der rege Schiffsverkehr auf der Ostsee machte sie, besonders aus dem Blickwinkel der Hanse, zur größeren Gefahr als der Krieg selbst. Ein Zoll wird von den Hansestädten erhoben, um Frieden erzwingende Schiffe auszurüsten, die sogenannten Vredeschepen. Auch lassen die Herren der Hanse verkünden, dass jeder, der den Seeräubern in irgendeiner Weise helfen sollte, das – beinhaltet die Ausrüstung mit Lebensmitteln, Waffen, Unterkünften oder auch einfach den Handel mit ihnen – mit Strafen bis hin zum Tode rechnen müsse.

Beutezug in der Nordsee

Eine weitere Nennung Störtebekers können wir auf den 15. August 1400 datieren, da sein Name in einem Vertrag zwischen dem Herzog von Holland und den Vitalienbrüdern genannt wird. Der Herzog befindet sich im Streit mit der Hanse, und die Vitalienbrüder sollen diesen Streit für ihn ausfechten. Der Herzog heuert die Vitalienbrüder als Söldner an, um die Hanse an ihrer fundamentalsten Stelle zu schädigen, dem Handel. In dem Vertrag werden Störtebeker und weitere Hauptleute erwähnt: „…dat wii een voerwarde ende gemacct heben mit…Stortebeker…van hore gemeenre vitaelgebroedere wegen tot honderte ende 114 manne toe“3 (…das wir einen Vertrag gemacht habenmit…Störtebeker…wegen der gemeinen Vitalienbrüder genannt, insgesamt 114 Mann…)

 

Mittelalterliche Karte des Nord- und Ostseeraums / Grafik: University of Texas Libraries

Mittelalterliche Karte von Nord- und Ostsee – Störtebeker war auf beiden Meeren zuhause / Grafik: University of Texas Libraries
 
 
 

Im Gegenzug für das Plündern der Schiffe der Hanse bietet der Herzog den Vitalienbrüdern einen Rückzugsorts und sichere Häfen an, in welchen sie ihr Beutegut verkaufen können. Die Vitalienbrüder sind wie elf Jahre zuvor mit herzoglichen Kaperbriefen und einem sicheren Rückzugsgebiet ausgestattet und bedrohen die Hanse erneut: „dat wii se tot onser vriensscap nehmen ende gheven him ludden goet, vry, vaste ende zeker geleide…”4 (Wir sie in unser Freundschaft aufnehmen und ihren Leuten ein gutes freies Geleit geben).

Die Aktionen der Vitalienbrüder ab dem Jahr 1400 führen auf Seiten der Hanse, insbesondere der Englandfahrer, welche von den Machenschaften der Seeräuber besonders schwer getroffen werden, zu der Entscheidung, eine Flotte auszurüsten, welche das Treiben der Piraten endgültig beenden soll. Auf Helgoland enden die Aktivitäten der Vitalienbrüder – und damit Störtebekers – mit der Niederlage gegen die hanseatische Flotte. Ob wirklich Klaus Störtebeker gefangen genommen wurde, kann nicht mit historisch genauer Sicherheit gesagt werden, aber da den Historikern aus der nachfolgenden Zeit keine größeren Piratenaktivitäten überliefert sind, können wir annehmen, dass wir das Ende des Seeräubers Störtebeker und den Beginn der Legendenbildung erreicht haben.

Historie und Legendenbildung

Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts erfuhr die Legende (beziehungsweise war es zu jener Zeit noch eine Erzählung oder Geschichte) relativ wenig Veränderung; der historische Störtebeker und die Vitalienbrüder dürften noch im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung verblieben sein. Ab dem 16. Jahrhundert verfestigten sich jedoch die Geschichten, die sich mehr oder weniger von realen Geschehnissen unterschieden und sich mit den Ausschmückungen der Erzähler und deren Phantasie vermischten. Die Legende unterlag einer Um- und Überarbeitung, welche die Erfindung neuer und angeblich wahrer Tatsachen zur Folge hatte, die oft von aktuellen, zeitgenössischen Ereignissen beeinflusst wurden. Da die karge Quellenlage viel Interpretationsspielraum gelassen hatte (und immer noch lässt), konnte die Geschichte des Freibeuters immer so angepasst und umgedichtet werden, dass sie auf zeitgenössische Ereignisse anwendbar war.

Störtebeker wurde im Laufe der Zeit zum Ideal der einfachen Leute stilisiert, seine Piratenbande zu einer Gruppe von Sympathieträgern erhoben, welche den reichen Pfeffersäcken der Hanse zusetzten. Störtebeker wurde als Heldengestalt wahrgenommen, so wie es mit Piraten oft geschieht. Das Freibeutertum besitzt ein leicht als heldenhaft zu klassifizierendes Attribut: Freiheit. Piraten erscheinen uns als freiheitsliebende Romantiker, den Kampf gegen die Mächtigen suchend und niemandem als sich selbst verpflichtet. Dieses Attribut prägt das Bild Störtebekers noch im 21. Jahrhundert.

Historisch gesehen wurde der Seehandel durch die Piraterie Störtebekers und seiner Kumpane stark beeinträchtigt. Im Jahr 1392 stellte ein Beschluss auf dem Hansetag den gesamten Schonenverkehr der westlichen Ostsee für drei Jahre ein. Chroniken aus jener Zeit sowie Überlieferungen der Hanse berichten von enormen Preissteigerungen in Bezug auf die Güter, welche per Seeweg gehandelt wurden. Auch Lebensmittel, wie etwa Hering, wurden teurer. Sogar zu Hungersnöten soll das Treiben der Vitalienbrüder geführt haben. Aus einem Eintrag der Magdeburger Schöppenchronik wird die Situation deutlich: „…starben viele Leute und vor allem ungezählte Kinder. In diesen vier Jahren gab es einen großen Mangel an Korn, Nahrung, an Heringen und vielen Arten von Waren…“5 Als Held dürfte Störtebeker somit nicht auf alle seiner Zeitgenossen gewirkt haben.

Wer nach Bildern von Störtebeker sucht, trifft in der Regel auf einen Irrtum, welcher sich fest in der Geschichte Störtebekers verankert hat.

Anders als lange vermutet, stellt es nicht den berühmten Seeräuber dar, sondern Kunz von der Rosen, einen Berater des deutschen Kaisers Maximilian I. Dennoch zeigt die Abbildung das Bild Störtebekers, das die Menschen lange Zeit von ihm gehabt haben mögen: Ein wilder, zugleich edler Kumpane – natürlich mit verwegenem Barte.

Störtebekers Ende?

Besonders um die letzten Ereignisse im Leben des berühmten Seeräubers hat sich der legendenhafte Aspekt der Geschichte Störtebekers gerankt. Die Legende berichtet von einem heimtückischen Akt der Feinde Störtebekers, welche flüssiges Blei in die Ruderösen seines Schiffes gossen und die Seeräuber somit hilflos den hanseatischen Feinden auslieferten. Die historisch korrekte Version klingt allemal nüchterner: Störtebeker lag vor Helgoland im Schutz der Bucht (damals bestand noch eine Verbindung zwischen dem Inselfelsen und der östlich gelegenen Düne, welche einen nur von Nordwesten befahrbaren Naturhafen bildete) und ein starker Ostwind machte es seinem Schiff schlicht unmöglich, vor der aus Hamburg heraneilenden Flotte der Hanse zu fliehen. Dass Klaus Störtebeker wirklich am 22. April bei Helgoland von der Hanse gefangen wurde, wird durch einen Auszug aus der Chronik des Rufus (die Chronik der Hansestadt Lübeck im 12. und 13. Jahrhundert) bekräftigt, in dem es heißt : „Desser vytalien vovetlude weren genomet Wichman unde Clawes Störtebeker.“6 (Die Hauptleute der Vitalienbrüder Wichman und Klaus Störtebeker wurden gefangen genommen.) Dafür spricht zudem, dass der Name Klaus Störtebeker nach diesem Datum nicht mehr in den Berichten über Piraterie zu finden ist.

Auf dem Grasbrook im Süden Hamburgs sollen Störtebeker und seine Kumpanen schließlich ihr Ende gefunden haben. Und auch hier ist die Legendenbildung zu erahnen. Um seine Mannschaft vor dem Henker zu retten, schlägt Störtebeker einen Handel vor: Jeder seiner Leute, an welchen er nach seiner Enthauptung noch vorbeischreiten kann, soll begnadigt werden. Somit findet sich in nahezu jeder Geschichte über Störtebeker – sei es in Büchern, bei Festspielen oder in Filmen – die augenscheinliche Bestätigung dafür, dass der Geköpfte an elf seiner Kumpanen vorbeigeschritten sei und so ihr Leben gerettet hätte, wenn die anwesenden Offiziellen der Hanse die Abmachung nicht gebrochen hätten und daher alle Vitalienbrüder hinrichten ließen.

Eine historische Quelle, die dieses belegt, gibt es nicht. Von der Hinrichtung Störtebekers wissen wir nicht viel, nicht einmal, ob sie tatsächlich auf dem Grasbrook stattfand. Als 1887 auf dem Grasbrook zwei Schädel gefunden wurden, war schnell klar, dass einer der Schädel von Störtebeker sein müsse und man entschied sich, dass es der besser erhaltende von beiden sei.

Im Museum für Hamburgische Geschichte ist eine Rekonstruktion zu besichtigen, die nach diesem Schädel angefertigt wurde; eine wissenschaftliche Zusicherung, dass es sich bei dem erschaffenen Abbild wirklich um den Schädel des Piraten handelt, gibt es nicht.

Dem Quellenmangel zum Trotze

Das Interesse an der Geschichte des verwegenen Piraten führte über die Jahrhunderte dazu, dass die Lücken und leeren Seiten der Geschichte Störtebekers von den Menschen gefüllt wurden. Der Mythos hat ein Eigenleben entwickelt. Wir wissen heute so gut wie nichts über Störtebeker. Wer er wirklich war, ist nicht belegbar. Die Quellen schweigen beharrlich, oder sie sind uns nicht erhalten geblieben. Doch gerade das lückenhafte Wissen und das Verlangen der Menschen, der Geschichte ein Gesicht zu geben, beflügelt die Fantasie seit Jahrhunderten. Die wenigen Daten und Fakten, die wir aus dem Umfeld Störtebekers haben, werden dabei fest in die Legende eingebunden. Gut verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel des Schiffes Bunte Kuh: Mal taucht es als das Schiff Störtebekers auf, mal als hanseatisches Schiff, auf welchem Störtebeker nach Hamburg gebracht wurde. Ein anderes Mal wird es zum Flaggschiff der hanseatischen Flotte, die gegen die Vitalienbrüder kämpft. Dabei wissen wir lediglich, dass die Bunte Kuh ein Schiff ist, das an der Aktion gegen die Vitalienbrüder teilgenommen hat. Allein der Name wurde, dank einer Rechnung über die Reparatur von Kampfschäden, in diesem Zusammenhang überliefert. Weder wurde es von Störtebeker kommandiert, noch war es das Schiff von Simon von Utrecht, dem Ratsherren, welchem fälschlicherweise der Sieg über die Vitalienbrüder zugesprochen wurde.

Betrachten wir diese Art der Legendenbildung, liegt der Schluss nahe, dass Klaus Störtebeker – der Quellenlage zum Trotze – nicht aus den Köpfen der Menschen verschwinden wird. Der Pirat, der Vitalienbruder, der einfache Mann Klaus Störtebeker mag uns zwar nicht überliefert sein, doch die Legende um die norddeutsche Heldengestalt wird nichts von ihrer Bedeutung einbüßen, denn ihre Hauptfigur, der Seeräuber Störtebeker, verkörpert das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit.

 

Quellen:

1 Wismarisches Verfestigungsbuch, Wismar, 1380.

2 MUB (Mecklenburgisches Urkundenbuch)XXII12442, Anm.

3+4HR (Hanserezesse) I 4, 605, Vertrag Herzog Albrecht –Vitalienbrüder.

5 Magdeburger Schöppenchronik, Magdeburg 1350.

6 Chronik des franciscaner Lesemeisters Detmar.

Literatur:

  • Bents, Harms: Störtebeker. Dichtung und Wahrheit. Norden, 2003.
  • Puhle, Matthias: Die Vitalienbrüder. Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit. Frankfurt a. M., 1992.

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1147

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Reemtsma: Ein Stück frühe Werbegeschichte

von Merle Strunk – Als der Erfurter Zigarettenhersteller Reemtsma in den 1920er-Jahren seinen Sitz nach Altona verlegte, revolutionierte das Unternehmen mit seinem neuen und professionellen Auftreten erst den Hamburger und schließlich den gesamtdeutschen Zigarettenmarkt.  Damit legte der Konzern den Grundstein  für die Herausbildung vieler prominenter Marken, die der Firma langjährigen Erfolg bescherten: 2010 konnte das Traditionsunternehmen 100-jähriges Bestehen feiern.

Die Firmengeschichte des Zigarettenherstellers Reemtsma beginnt 1910, als der Kaufmann Bernhard Reemtsma die Erfurter Zigarettenfabrik Dixi aufkauft, die lediglich sechs Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen schafft es den Ersten Weltkrieg finanziell zu überleben. Alle Söhne Bernhard Reemtsmas steigen nach dem Krieg in das Unternehmen ein und ermöglichen so einen Neuanfang, begünstigt durch das Marktvakuum, welches durch das Fehlen von qualitativem Rohtabak während des Krieges entstand.

1923 zog das Familienunternehmen, inzwischen geführt von den Brüdern Alwin, Hermann und Philipp Reemtsma, auf ein ungenutztes Kasernengelände in Altona-Bahrenfeld um. Die Firma hatte viele Neuerungen mit im Gepäck: ein neues Logo, ein professionelles und einheitliches Auftreten des Unternehmens sowie die Möglichkeit zur industriellen Massenfertigung. Damit  unterschied sich Reemtsma deutlich von den meisten anderen Hamburger Zigarettenherstellern, die zum großen Teil noch in Handarbeit in Hinterhoffabriken und ohne die Absicht eines markenbewussten Auftretens produzierten.

 

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Leinwand mit dem Firmenlogo, entworfen von Wilhelm Deffke, 1920                      / Grafik: MdA ReeA MA.D 2012/001.17

 

Domizlaff und Deffke, zwei Ikonen der modernen Werbung

Schlüsselereignis für den Innovationsschub bei Reemtsma war die Bekanntschaft der Unternehmer mit dem Grafiker und Werbefachmann Hans Domizlaff im Jahr 1921. Dieser galt zwar als erfindungsreicher Visionär, aber auch als schwieriger und exzentrischer Charakter. Dennoch wurde Domizlaff Reemtsmas Werbeberater und bleib bis 1958 für das Unternehmen tätig. Seine Ideen formten Reemtsmas Bild nach außen und innen nachhaltig. Bereits durch dieses Anstellungsverhältnis bewies das Unternehmen ein Gespür dafür, Trends in der Konsumindustrie- und gesellschaft frühzeitig zu erkennen. Gezielte Werbung war in den 1920er-Jahren in vielen Branchen noch ein Novum, ebenso eigens Personal zum Entwickeln von Werbestrategien und Unternehmenskommunikation anzustellen.

Domizlaff erschuf ein homogenes und einprägsames Auftreten der Firma in allen Bereichen und war immer um einen Wiedererkennungswert Reemtsmas bemüht. Mit solchen Ansätzen, die Vorläufer der heutigen Corporate Identity[1] waren, kann er als einer der Begründer der modernen Markentechnik gesehen werden.

Bereits vor dem Engagement mit Domizlaff unternahm Reemtsma einen wichtigen Schritt in Richtung eines professionellen Erscheinungsbildes. 1920 führte das Unternehmen ein neues Signet ein, gestaltet vom Gebrauchsgrafiker Wilhelm Deffke. So wie Hans Domizlaff als Begründer der Markentechnik bezeichnet werden kann, so wird Deffke oftmals als Vater des modernen Logos  gehandelt. Deffke, vom Bauhaus inspiriert, entwarf für Reemtsma ein stark reduziertes, fast strenges Logo. Es zeigt einen stilisierten Bug eines Wikingerschiffes vor einer roten Sonne.

 

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Werbeplakat Eugen Schmidt mit Wikingerschiff und Reemtsma-Logo, ca. 1921    / Grafik: MdA ReeA MA.D 2012/001.14 

 

Ab diesem Zeitpunkt war auf allen Reemtsma-Produkten das neue Logo in angepasster Form zu finden. Dieses Vorgehen bezog sich nicht nur direkt auf die Produkte, also die Zigarettenpackungen, sondern setzte sich auch in Anzeigen und Plakaten fort. Dies war einer der Verdienste Domizlaffs. Mit seiner neuartigen Auffassung von Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbraucher war er darauf bedacht, dass alle Marken des Hauses, auch wenn sie unterschiedliche Kundentypen ansprechen sollten, die gleiche Linie verfolgten. In Reemtsmas Fall hieß diese Linie hohe Qualität für den anspruchsvollen Kunden, da das Unternehmen überwiegend höherpreisige Marken für den gehobenen Bedarf herstellte. Domizlaff, der schnell in der Unternehmenshierarchie Reemtsmas aufstieg, war daher besonders darauf aus, ein breites Angebot an Marken zu schaffen, die jedoch den gleichen verlässlichen Standard beibehielten. Das Reemtsma-Logo sollte dies als eine Art Versprechen an den Verbraucher garantieren. Dieses Versprechen gewinnt an Bedeutung, wenn berücksichtigt wird, dass die Qualität von Tabakprodukten während der Kriegsjahre stark abgenommen hatte.

Auch war diese Art der Vermarktung für die Zigarette als einem Produkt ohne oder mit sehr wenigen Eigenschaften bedeutsam; sie ermöglichte es dem Produkt, sich von seiner Konkurrenz abzuheben. So entstanden in den zwanziger Jahren unter der Ägide von Hans Domizlaff beispielsweise Marken wie R6 und Ernte 23, beide in einer schlichten Aufmachung, die für technische Überlegenheit und ausgewählte Qualität stehen soll. Sie zählen auch heute noch zur Reemtsma Produktpalette.[2]

 

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Zigarettenpackung Marke Dreiersachsen, 1925 – Steht für die alte Symbolstruktur / Grafik: MdA ReeA MA.O 2007/003.3224
 
 

Trotz der Strategie, für jeden Kunden die passende Marke anbieten zu wollen, beschränkt sich Reemtsma auf die Herstellung einiger weniger, dafür aber stark charakteristischer Marken. Auch damit hebt sich das Unternehmen von der Masse der Zigarettenproduzenten ab. Anders als heute waren in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrere hundert verschiedene Zigarettenmarken auf dem Markt. Viele von ihnen jeweils nur für sehr  kurze Zeit. Erreichte eine Marke nicht den gewünschten Umsatz, wurde sie ohne langes Zögern vom Markt genommen. Reemtsma hingegen war eine der ersten Firmen, die bewusst Markenkonzepte entwickelte und diese umsetzte.

Kampf gegen alte Symbolwelten

Das strenge Design Deffkes und die autoritäre Art Domizlaffs schienen als treibende Kräfte des noch jungen Unternehmens gut zu korrespondieren. Die Entscheidung, gleich zwei so visionäre Köpfe zu beschäftigen, mag den Reemtsma-Brüdern dennoch nicht leicht gefallen sein. Obwohl sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Abkehr von der wilhelminischen Wert- und Weltvorstellung vollzog, und damit auch in den Bereichen Konsum, Design und Werbung die Türen für einen Neuanfang offen standen, hielten viele Unternehmen noch lange Zeit an der traditionellen Symbolik des Kaiserreiches fest. Reemtsmas Entscheidung, sich der Strömung der Moderne und Erneuerung anzuschließen, war also mit einem gewissen Risiko verbunden.

 

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 Zigarettenpackung der Marke Reemtsma Gold, 1920                                             / Grafik: MdA ReeA MA.O 2007/003.4179

 

Die Gestaltung typischer Zigarettenpackungen der Vorkriegs- und Kriegsjahre war geprägt von Ornamentreichtum und heraldischen Zeichen wie Wappen, Adler und Flaggen, mit denen Bezug auf das Kaiserreich genommen wurde. Aus heutiger Sicht wirken diese dadurch oft mit Symbolen „überladen“ und standen im Kontrast zu den im Verhältnis schlichten Verpackungen der Reemtsma-Produkte. Das Gleiche gilt auch für die Markennamen. Eine große Anzahl der frühen Marken wie „The Kaiser“, „General Goeben“, „Unsere Marine“ und „v. Hindenburg“, trugen Bezeichnungen, die ganz offen eine Loyalität zur Monarchie sowie einen gewissen Nationalismus bekundeten. Die Reemtsma-Produkte der 1920er-Jahre waren weitgehend frei von solchen Botschaften. Nach dem Ersten Weltkrieg änderten Firmen die Namen ihrer Marken und ähnelten in diesem Punkt dem Reemtsma-Sortiment, doch ihre klassische Vorkriegsoptik blieb zunächst bestehen. Vermutlich auch, um die traditionelle Käuferschaft nicht zu verlieren.

Wie sehr diese noch in den alten Symbolstrukturen und Bildwelten verwurzelt war, zeigen die Reaktionen auf die Veröffentlichung des umgestalteten Reemtsma-Logos. 1920 wurde das Logo erstmals plakatiert –  insgesamt 6000-mal entlang wichtiger Bahnstrecken Deutschlands. Viele Käufer zeigten sich empört über dieses als aggresiv[3] empfundene Zeichen. Sogar das Entfernen dieser Reklame wurde mehrfach  verlangt. Das Unternehmen hielt jedoch an der Kampagne fest und ließ sich vom Reichkunstwart Edwin Redslob die Funktionalität und damit die Existenzberechtigung für das Logo bestätigen.

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Zigarettenpackung der Marke R6, entwickelt von Hans Domizlaff, ca. 1921    / Grafik:  MdA ReeA MA.O 2007/003.4438

 

„Der volkswirtschaftlich so wichtigen Hinwendung zum Markenartikel“, so Redslob, „entspricht hierbei die Notwendigkeit, alle Markenartikel durch Warenzeichen zu kennzeichnen, die sich leicht einprägen. Hierfür bietet das Reemtsma-Warenzeichen eines der besten Beispiele, die mir bisher bekannt geworden sind.“[4]

Diese Einschätzung bestärkte Reemtsma in seinem Kurs und nach den ersten anfänglichen Schwierigkeiten setzte sich das Reemtsma-Logo auch bei den Käufern durch.

Diese Kombination aus einem offen zur Schau gestellten Bekenntnis zu Moderne, Technik und Fortschritt und einer Produktpalette, die dem Käufer suggerierte, für jeden ganz persönlichen Geschmack die perfekte Marke bieten zu können, bescherte den Reemtsma Cigarettenfabriken nachhaltigen Erfolg. Das gezielte Bewerben ihrer Produkte und das Wahren eines hohen Qualitätsanspruchs ermöglichte es dem Unternehmen, das Stigma einer Kleinfirma nach und nach zu überwinden. Gegen Ende der 1920er-Jahre stieg Reemtsma, noch vor seinem 20-jährigen Bestehen, zum Marktführer[5] auf.



[1] Gries, Rainer; Ilgen, Volker, Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen!“ Werbung und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 1995, S. 47.

[2] Böllert, Susanne: 100 Jahre Deutsche Industriegeschichte. 1910-2010. Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Hamburg 2010, S. 34.

[3] Jacobs, Tino: Zwischen Institution und Experiment. Hans Domizlaff und der Aufstieg Reemtsmas, 1921 bis 1932, S. 148-178. In: Berghoff, Hartmut (Hrsg.): Marketinggeschichte. Genese einer modernen Sozialtechnik. Frankfurt a.M., 2007, S. 153.

[4] Jacobs: S. 153.

[5] Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen“ Die Erfindung der Markentechnik als Herrschaftsinstrument, in: Forum Schulstiftung (Nr. 45, 12/2006), S. 85.

 

Literaturhinweise

  • Böllert, Susanne: 100 Jahre Deutsche Industriegeschichte. 1910-2010. Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Hamburg 2010.
  • Gries, Rainer; Ilgen, Volker, Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse krichen!“ Werbung und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 1995.
  • Jacobs, Tino: Zwischen Institution und Experiment. Hans Domizlaff und der Aufstieg Reemtsmas, 1921 bis 1932, S. 148-178. In: Berghoff, Hartmut (Hrsg.): Marketinggeschichte. Genese einer modernen Sozialtechnik. Frankfurt a.M. 2007.
  • Lindner, Erik: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie. München 2008.
  • Rahner, Stefan; Museum der Arbeit (Hrsg.): Werbewelten made in Hamburg. 100 Jahre Reemtsma. Hamburg 2010.
  • Schindelbeck, Dirk: „Ins Gehirn der Masse kriechen“ Die Erfindung der Markentechnik als Herrschaftsinstrument, in: Forum Schulstiftung (Nr. 45, 12/2006), S. 80-92,
  • URL: http://www.schulstiftung-freiburg.de/de/forum/pdf/pdf_218.pdf.
  • Weisser, Michael: Cigaretten-Reclame. Über die Kunst, blauen Dunst zu verkaufen. Münster 1980.
  • Writes, Houston: Reemtsma. Von der Feldzigarette zur Anti-Wehrmachtsausstellung. Selent 2002.

 

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1238

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