Petition: Schleift die Festung Europa

Nicht dass ich glaube, dass derlei Unterschriftenaktionen an den von europäischer Politik betriebenen und von uns geduldeten Morden viel ändern werden, aber zumindest einen zutiefst opportunistischen Grund möchte ich für die Unterzeichnung einer solchen Petition anführen: Dass darauf in ein paar Jahren oder Jahrzehnten als Entschuldigung verweisen kann, wer bei einem Tribunal gegen die Morde an Flüchtlingen angeklagt wird:

http://www.change.org/de/Petitionen/schleift-die-festung-europa

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/498223531/

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13. Der Erzengel Michael oder die Erlösung der Geschichte

Mont St Michel IIBaguette mit „Pommes rot-weiß“

Es ist August. Urlaubsmonat. Die Touristenströme strömen. Ich ströme mit.

Im Urlaub steht Geschichte hoch im Kurs. Die Reise in andere Weltgegenden wird preisbewusst mit einer Reise in die Vergangenheit verbunden. Der Tourismus erfasst nicht nur sämtliche zur Verfügung stehenden Räume, sondern dringt auch in alle vermarktbaren Zeiten vor. In diesen Wochen werden die geschichtsträchtigen Orte in noch größerem Maße heimgesucht als sonst schon.

Diesmal trifft es den Mont Saint Michel. Er wird von mir besucht, betrachtet, bestiegen, fotografiert. Eigentlich wird er von mir erobert. Von mir und Millionen anderen. Die Massen, die sich dort zusammenfinden, sind beeindruckend. Hat sich aber auch tatsächlich ein hervorragendes Plätzchen ausgesucht, der Mont Saint Michel. Inmitten einer Bucht, die ebenfalls nach ihm benannt ist, hat man den Felsen ständig im Blick, wenn man auf das Meer sieht. Malerisch ragt er gen Himmel. Ein kompakter Felsen, der sich mit zunehmender Höhe in Stadtmauern, Häuser, das Kloster und schließlich die Statue des Erzengels Michael an der Spitze verwandelt. Kein Tourismusmanager hätte einen besseren Ort für eine publikumswirksame Attraktion aussuchen können. Und das hat er nun davon, der heilige Felsen. Einmaliger Ort, einmalige Lage, einmalige Architektur, einmalig erhalten. Da muss man doch mindestens einmal gewesen sein. Denken sich viele.

Jedes Jahr besuchen etwa 3,5 Millionen Menschen den Mont Saint Michel. Wenn man dort ist, könnte man meinen, sie kommen alle an einem Tag. Es ist voll. Alles ist voll. Ist auch kein Wunder, denn erstmals besiedelt wurde der Berg im 8. Jahrhundert, in den folgenden Jahrhunderten wurde umgebaut und erweitert. Aber ausgelegt auf mittelalterliche Lebensverhältnisse, muss der Berg unter Bedingungen des Massentourismus aus allen Nähten platzen. Bis man zur Felseninsel durchgedrungen ist, dominiert allerdings unübersehbar das 21. Jahrhundert. Die Abfertigung der Besucherströme ist vorbildlich. Vom riesigen Parkplatz, der die Fläche einer Dorfs einnimmt, wird man umgeleitet in einen niemals abreißenden Strom von Bussen, die im Minutentakt die Besucher zum Berg fahren. Auf dem Weg dorthin durchquert man ein weiteres dorfgroßes Areal mit Supermärkten, Hotels, Gift-Shops und vielen anderen Angeboten, die man nicht braucht, auf jeden Fall nicht an einem Ort wie diesem. Ist man endlich angekommen und hat sich mit tausenden anderen durch das Stadttor gequält, können einen Zweifel überkommen, ob das hier wirklich altes Gemäuer oder nicht doch eine Dependance des Pariser Disney-Parks ist. Hinter all den sonnencremebedeckten Menschen, den Crêperien, den Eisläden und Imbissbuden, in denen – Höhepunkt der Widerwärtigkeit – tatsächlich Baguette mit einer Füllung „Pommes rot-weiß“ verkauft werden, verschwimmt der Ort zu einer gräulichen Hintergrundkulisse. Man kann gar nichts mehr sehen, weil man so viel gucken muss. Und ich mache mit, mittendrin.

Die meistfotografierte Scheune

All das kennt man dem Grundsatz nach zur Genüge. Die Tourismuskritik ist nahezu so alt wie der Tourismus selbst. Das kann keinen mehr hinterm Ofen hervorlocken. Hans Magnus Enzensberger hat in seiner immer noch lesenswerten „Theorie des Tourismus“ aus dem Jahr 1958 das Wesentliche dazu gesagt: das Elitäre an der Tourismuskritik und das Vergebliche an der touristischen Flucht, die aus Industrialisierung und Moderne herausführen soll, tatsächlich aber nur immer tiefer hineinführt – diese Thesen dürfen auch heute noch Gültigkeit beanspruchen. [1]

Das enthebt uns aber nicht der Frage: Warum macht man so etwas? Warum fahre ich zum Mont Saint Michel? Weil alle dort hinfahren? Weil das ungeschriebene Gesetz des Tourismus besagt, dass man selbst noch gesehen haben muss, was alle anderen bereits gesehen haben? Weil die touristische Praxis einem tautologischen Prinzip unterliegt – man macht es eben, weil man es macht?

In dem Roman „Weißes Rauschen“ von Don DeLillo gibt es die Episode von der meistfotografierten Scheune Amerikas, die nur deswegen so oft fotografiert wird, weil sie so oft fotografiert wird. Das ist alles. Aber aus eben diesem Nichts gelingt es dem Tourismus, etwas zu machen: „Wir sind nicht hier, um ein Bild einzufangen, wir sind hier, um eines aufrechtzuerhalten. […] Wir haben eingewilligt, Teil einer kollektiven Wahrnehmung zu sein. […] Eine religiöse Erfahrung gewissermaßen, wie aller Tourismus.“ Denn was die Besucher der Scheune machen, ist nicht die Scheune selbst zu fotografieren: „Sie fotografieren das Fotografieren.“ [2]

Und was hat das nun mit unserem Umgang mit Geschichte zu tun? Valentin Groebner hat vor kurzem ein Plädoyer veröffentlicht, das den Tourismus als eine enorm wirkmächtige Form der Geschichtsproduktion ernst nehmen will. [3] Ich würde ihm in dieser Einschätzung grundsätzlich folgen, nicht zuletzt aufgrund geschichtstheoretischer Erwägungen. Allein wegen der eindrücklichen Zahlen, welche die Branche für den Besuch historischer Stätten vorlegen kann, muss man den Tourismus als eine unübersehbar wichtige Form ansehen, wie Kulturen der Gegenwart sich ihre Geschichte machen. Aber selbst unter Absehung seiner quantitativen und ökonomischen Bedeutung ist der Tourismus eine zentrale Art und Weise, Relationen zwischen einer Gegenwart und ihren Vergangenheiten herzustellen.

Touristische Vergangenheitszerstörung

Aber Tourismus ist nicht gleich Tourismus. Denn wie jede kapitalistische Aneignungsform im Rahmen einer expansiven Moderne nimmt auch der Tourismus unübersehbar destruktive Formen an. Die Zerstörung kann sich auf sehr konkrete, physische Weise äußern, wie im Fall Venedigs oder beim Schutz von Gemälden in völlig überfüllten Museen wie dem Pariser Louvre: Orte und Objekte, die vor den Zudringlichkeiten ihrer Besucher geschützt werden müssen. Es kann aber auch zu einer Form der Vergangenheitszerstörung kommen, die dem Ort oder dem Objekt jede Form der zeitlichen Distanz entzieht. Touristische (und mithin wirtschaftliche) Interessen überformen Orte wie den Mont Saint Michel derart, dass vom Historischen nichts mehr übrig bleibt. Ist das Gemäuer wirklich alt, oder ist es nur gut gemachte Kulisse? Diese Frage interessiert gar nicht mehr, denn in beiden Fällen geht es darum, einerseits etwas zu verkaufen, andererseits das Häkchen anzubringen an der unvermeidlichen Liste der Dinge, die man unbedingt gesehen haben muss.

Daher ein gänzlich utopischer, aber ernst gemeinter Vorschlag: Erlösen wir diese Orte von den Zumutungen einer touristisch expansiven Moderne. Überlassen wir sie sich selbst. Verhindern wir, dass sich diese Moderne – die wir selbst sind – in ihrer unglaublichen Fressgier eines bestimmten, nämlich des touristisch verwertbaren Teils der Vergangenheit bemächtigt und diesen bis zur Unkenntlichkeit aussaugt. Retten wir eine Vergangenheit, der in diesem Spiel kaum noch eine Rolle zukommt, die vor allem als Kulisse dient, um mehr unappetitliche Baguettes zu verkaufen.

Ich habe den Mont Saint Michel in den folgenden Tagen noch oft gesehen. Immer aus der Ferne. Mit einigen Kilometern Abstand konnte ich mich der Illusion hingeben, die Utopie sei schon Wirklichkeit geworden. Der Erzengel Michael schien den endzeitlichen Kampf gegen den Satan namens Massentourismus gewonnen zu haben. Sah sehr schön aus, wie der Fels dort in der Bucht lag, mal im Watt, mal vom Wasser umspült. Denn Menschen konnte man auf die Distanz gar nicht mehr erkennen.

[1] Hans Magnus Enzensberger: Theorie des Tourismus (1958), in: ders.: Einzelheiten I & II, Hamburg 2006, 177-202

[2] Don DeLillo: Weißes Rauschen, Reinbek bei Hamburg 1997, 24.

[3] Valentin Groebner: Touristischer Geschichtsgebrauch. Über einige Merkmale neuer Vergangenheiten im 20. und 21. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013) 408-428


Einsortiert unter:Geschichtskultur, Geschichtsmedien Tagged: Mont Saint Michel, Tourismus

Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/10/11/13-der-erzengel-michael-oder-die-erlosung-der-geschichte/

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aventinus academica Nr. 3 [10.10.2013]: Einblicke in die Redaktionsgeschäfte “Studentischen Publizierens”. Das Blog der Mainzer Skriptum-Redaktion

Das Blog der Redaktion des studentischen Magazins für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Universität Mainz gibt Einblicke in das Redaktions­geschäft “Studentischen Publizierens” und bietet darüber hinaus eine Liste thematisch interessanter Links. #studpubl http://bit.ly/igZv1u

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/10/4725/

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Historyblogosphere auf Papier

historyblogosphereLiegt nun auch in Papierform in meinen Händen:

HABER, Peter/PFANZELTER, Eva (Hg.): historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften. München: Oldenbourg, 2013.

Open Access hier: http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/216968

Kann man sich natürlich die Frage stellen, wie lange noch die Papierwerdung wissenschaftlicher Inhalte notwendig sein wird, um die nötige Aufmerksamkeit zu erzielen.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/498223389/

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1 Jahr MinusEinsEbene auf de.hypotheses

Mein Doktorandenblog MinusEinsEbene ist vor einem Jahr „umgezogen“ zu der geisteswissenschaftlichen Plattform de.hypotheses.

Alles in allem ist zu sagen: Ich fühle mich dort sprichwörtlich „sauwohl“. Das Blog lief bei blogger.com nicht besonders gut und mir fehlten Ideen und der Antrieb weiterzumachen. De.hypotheses zeigte sich dann als Alternative und ich dachte: Warum eigentlich nicht? Und füllte den Antrag aus.

Das Blog sollte und soll meine Dissertation begleiten, wurde aber mit den Monaten auch eine Art Spielwiese. Ich konnte mal Sachen veröffentlichen, die ich NIEMALS bei einer Zeitschrift eingereicht hätte. Ich denke da an meine drei Posts zu StarTrek und Archäologie, die bis heute die meist gelesenen Beiträge sind.

Es war zudem möglich Teilaspekte meiner Dissertation vorzuformulieren, die dann später in einem gedruckten Vorbericht Verwendung fanden. So geschehen mit dem Post „Historische Überlieferung und ihre archäologische Glaubwürdigkeit“ und meinem neuesten Vorbericht mit dem sperrigen Titel: „Der Einfluss des franziskanischen Armutsgedankens auf die Interpretation der Befunde in und um die Elisabethkirche in Marburg an der Lahn“, der erst vor wenigen Wochen erschienen ist und auch online vorliegt.

Das Blog wurde damit so was wie ein Online-Notizbuch. Es ist schlicht etwas anderes, wenn man für sich selbst Notizen macht, oder wenn man einen Aspekt für die Öffentlichkeit ausformuliert. Ich denke auch, dass das die Zukunft von Wissenschaftler-Blogs ist. Die Website stellt den Wissenschaftler in seiner jeweiligen akademischen Station als Studierenden, Doktoranden, Postdoc usw. vor und dient gleichzeitig als Notizbuch.  Zumindest würde ich mir das so wünschen.

MinusEinsEbene ist kein Nachrichtenportal. Das kann ich als Einzelperson nicht leisten und habe dazu auch gar keine Lust. Da draußen gibt es Scharen von jungen Journalisten, die das Internet nutzen, um sich zu profilieren. Was mich nicht davon abhält, meinen Senf zu aktuellen Ereignissen abzugeben, wofür ich dann und wann auch unfreundliche Kommentare bekam.

Ein letzter Teilaspekt, der unter jungen Bloggern heiß diskutiert wird, ist: Ist Bloggen schädlich für meine wissenschaftliche Zukunft? Ich kann das nicht beantworten. Ich weiß nur: Die Situation für junge Geisteswissenschaftler in der Forschung ist so schlecht, dass es auch schon egal ist. Die Arbeitssituation an Universitäten, Dankmalpflege-Behörden und Museen ist so, dass Forschung und Publizieren nur einen ganz geringen Teil der Arbeitszeit ausmachen. Forschen und Publizieren ist in Deutschland zu einem Hobby geworden und da ist es auch fast nebensächlich, womit man sein Geld verdient.  Am Ende kann man mit seinem eigenen Blog in einer Bewerbung „Einschlägige Erfahrungen in den Neuen Medien und Sozialen Netzwerken“ angeben.  Wichtig ist nur, sich von Ewig-Gestrigen nicht erzählen zu lassen, dass Online-Publizieren schädlich ist. Das Ende einer Karriere beginnt nur nämlich dann, wenn man aufhört, nach vorne zu blicken.

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/849

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Landesgeschichtliches Kolloquium an der Uni Freiburg

Das traditionsreiche „Landesgeschichtliche Kolloquium“ ist das wissenschaftliche Forum des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte I und der Abteilung Landesgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Kooperationspartner von Archivum Rhenanum). Die Spannbreite der Themen ergibt sich aus den Schwerpunktsetzungen in Forschung und Lehre am Lehrstuhl (Politische Geschichte des Früh- und Hochmittelalters in europäischer Perspektive) und an der Abteilung Landesgeschichte (Raumbezogene Studien für den Oberrhein und den deutschsprachigen Südwesten – gesamtes Mittelalter mit Ausblicken auf die Neuzeit). Die sachbezogene Interdisziplinarität und methodische Vielfalt der ausgewählten Beiträger soll nicht nur die wissenschaftlichen Diskussionen am Lehrstuhl vorantreiben, sondern ist bewusst auch als sinnvolle Ergänzung zu den Lehrveranstaltungen konzipiert. Studierende sind deshalb vom ersten Semester an herzlich willkommen!
Das ausführliche Semesterprogramm finden sie hier.

Quelle: http://archives.hypotheses.org/533

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Alte Religion, alte Rechte. Die “katholische Gemeindereformation” in den 1530er Jahren – eine Hypothese

Im Jahr 1532 stehen in Geislingen, einer Gemeinde im Landgebiet der Reichsstadt Ulm, Wahlen an. Die Bürger sollen neue Richter und einen Bürgermeister wählen. Doch die Mehrheitsverhältnisse bereiten Schwierigkeiten. Der Ulmer Rat fürchtet, dass erneut nur altgläubige Kandidaten Erfolg haben, die dann weiterhin das evangelische “Wort Gottes” behindern könnten. In der Folge entspinnt sich ein jahrelanger Konflikt um alte Rechte und alten Glauben. Ein Großteil der Geislinger Bürger wehrt sich mit den politischen Mitteln der Gemeindeverfassung und verteidigt diese in einem Atemzug mit den atlgläubigen religiösen Praktiken gegen die Ulmer Obrigkeit. Ulm hat Ende 1530 die Einführung der Reformation befürwortet. Jetzt soll die evangelische Ordnung auch auf dem Land durchgesetzt werden. Manche Gemeinden nehmen die evangelischen Kulturformen und Wissensordnungen schnell an, andere sträuben sich. Mancherorts formiert sich altgläubiger Widerstand – so interpretieren die Protestanten die Präsenz und die durchaus innovative Aktualisierung alter religiöser Praktiken. Zur Durchsetzung der evangelischen Kultur kommt es besonders auf die Haltung der lokalen Regierungen an. Der Ulmer Rat will deshalb in den Gemeinden seines Landterritoriums durchsetzungsfähige, obrigkeitstreue und evangelische Vögte, Pfleger, Pfarrer, Richter und Bürgermeister. Das ist leichter gesagt als getan. In Geislingen werden auf der Grundlage der Gemeindeverfassung von 1396 die Vögte als lokale Exekutivbeamte [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1641

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Neuzugänge zur FWF-E-Book-Library

Kaiserbiographien halte ich ja eigentlich so nötig wie einen Kropf, aber ich möchte milde sein und durchaus zugestehen, dass sie ihre Verdienste darin haben können, historisches Material zu bündeln und den Zugriff darauf zu erleichtern; nun denn, Mark Hengerers Ferdinand III.-Biographie steht Open Access zur Verfügung, und auch sonst gab es ein paar Neuzugänge zur FWF-E-Book-Library, folgendes sei daraus hervorgehoben:

Hengerer, Mark: Kaiser Ferdinand III. (1608-1657). Eine Biographie, (=Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; 107). Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2012.
http://e-book.fwf.ac.at/o:426

Heindl, Waltraud: Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich Bd.2: 1848-1918. (=Studien zu Politik und Verwaltung; 107). Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2013.
http://e-book.fwf.ac.at/o:406

Niederacher, Sonja: Eigentum und Geschlecht. Jüdische Unternehmerfamilien in Wien (1900-1960). (=L'Homme. Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft; 20). Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2012.
http://e-book.fwf.ac.at/o:409

Hruza, Karl (Hg.): Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900-1945. Band 2. Wien: Böhlau, 2012.
http://e-book.fwf.ac.at/o:413

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/498223047/

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Urlaub von der Geschichte? Historisches Denken in der Reisezeit

 

Die Urlaubszeit ist vorbei. Jetzt lohnt sich eine kritische Rückschau auf den Sommer und die Begegnungen mit Geschichte im Urlaub. Ich stolperte im Juli im Hongkong Museum of History in der ur- und frühgeschichtlichen Abteilung auf eine Interpretation, welche mir zwar zugänglich war, mich jedoch zum Nachdenken anregte. Vor einer Vitrine mit Keramikfunden aus dem Neolithikum am südchinesischen Meer wurde von der Museumsführerin erklärt, dass es sich hierbei um einige der ersten Keramikfunde handelt, welche bereits sehr früh auf die spätere große Tradition der weltbekannten chinesischen Keramiken verweisen würden. Ist es auch zulässig, dies für eine bekannte im oberösterreichischen Salzkammergut ansässige Keramikmanufaktur zu behaupten? Funde aus der Eiszeit würden dies auch für den österreichischen Fall dokumentieren. Ein Blick von außen, vielleicht sogar aus einem anderen Kulturkreis, ermöglicht es eben, die Besonderheiten von Erzählungen über die Vergangenheit wahrzunehmen und mit der nötigen Distanz zu hinterfragen.

 

Soll man sich damit beschäftigen?

Man könnte sich an dieser Stelle fragen, ob diese Umstände von geschichtsdidaktischer Relevanz sind. Sind es nicht ganz andere Probleme, die im Rahmen des schulischen historischen Lernens zu erörtern wären? Wozu sollten SchülerInnen mit unausgewogenen, einseitigen historischen Interpretationen, noch dazu vielleicht aus der Hand der Tourismusbranche oder Werbefachleuten konfrontiert werden? Die Antwort ist aus geschichtsdidaktischer Perspektive schnell zur Hand. Es handelt sich dabei eben um einen besonderen Bereich der Geschichtskultur, auf den Kinder und Jugendliche auch noch als Erwachsene stoßen werden. Es sind lebensweltlich relevante, im Morgen und bereits im Heute auftretende Aspekte eines Umgangs mit der Vergangenheit. Die Potenziale dieser Begegnungen mit Geschichte, wie sie im Umfeld touristischer Angebote auftreten, finden jedoch derzeit im schulischen Lernen erst wenig Beachtung. Anregungen wie jene von Bodo von Borries aus dem Jahr 2006, nämlich Schulbuchkapitel neu zu strukturieren (z.B. „Geschichte im Tourismus“ am Beispiel Altägypten), fanden bis dato keinen wirklichen Widerhall.1

Urlaub als Ausnahmesituation

„Geschichte im Urlaub“ meint eine besondere Situation, in die sich viele SchülerInnen und andere Reisende begeben. Dabei wird die Darstellung der Vergangenheit eben oft in einer uns fremden Kultur offenbar. Dies bietet den besonderen Blick auf das Andere und seine historische Positionierung zwischen urlaubsbedingter Flüchtigkeit und entspannter Wahrnehmung. Es könnte sich daher lohnen, die eigene Region oder typische Urlaubsregionen über touristische Materialien zu erforschen, um sie auf historische Sinnbildungsmuster, die Verwendung von historischen Mythen und Legenden, Werbestrategien unter Einbeziehung von historischen Aspekten etc. hin zu untersuchen. So könnte man etwa danach fragen, warum eine slowenische Hotelkette auf die römische Antike setzt, um neue Gäste anzusprechen2 oder warum in Wien in einem Kellergewölbe eine 5D-Zeitreise durch die Stadtgeschichte TouristInnen anzieht.3 Die Gemachtheit von solchen touristischen Angeboten führt dabei tief in die jeweilige Geschichtskultur, aber auch in die Vergangenheit der Orte. Ziel sollte es jedoch sein, historisches Denken und interkulturelle Haltungen zu schulen, welche auf andere Beispiele transferierbar bleiben.

Urlaub zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Auf einer methodischen Ebene würde dies bedeuten, die sich „im Urlaub“ auftuende Distanz zum Fremden und zum Eigenen produktiv zu nutzen. Es gilt dabei, gattungsspezifische Reflexionen zu tätigen, welche danach fragen, wer uns in einem bestimmten Fall was und warum über die Vergangenheit erzählt, wie die verfügbaren historischen Quellen im Sinn der Multiperspektivität auch legitim anders gedeutet werden könnten und welche ästhetischen Überformungen den Blick auf die Vergangenheit lenken uvm. Besonders spannend werden derartige Analysen vermutlich dann, wenn man touristisch inszenierte Darstellungen anderen historischen Narrationen zum gleichen Sachverhalt gegenüberstellt und sich dadurch Fragwürdigkeiten auftun.

Das Leben der Anderen … und der Vergangenen

In der interkulturellen Begegnung geht es darüber hinaus um ein Einordnen der getätigten Aussagen über die Vergangenheit, um mit Mitgliedern anderer Kulturen in eine kritische Diskussion darüber eintreten zu können. Die eigene Perspektive auf das Problem gilt es stets zu berücksichtigen. Damit sollte eben auch ein historisch-politisches Lernen verstärkt berücksichtigt werden, um die hinter den Beispielen liegenden politischen und gesellschaftlichen Perspektiven der jeweiligen Gegenwart miteinzubeziehen. Man könnte etwa danach fragen, wem eine bestimmte Art der Darstellung der Vergangenheit einen Vorteil bringt. Dabei sind wirtschaftliche Interessen einer Region oder historische Identitätsmuster ebenso in den Blick zu nehmen wie die Reisenden selbst. Letztere möchten nicht selten mit vorgefertigten trivialen bis naiven Vorstellungen an bestimmten Orten unreflektiert bestimmte Inszenierungen konsumieren. Realitätsverschiebungen, Vorurteile, Auslassungen, Umdeutungen, Maskeraden etc. sind dabei mancherorts zentrale Magneten eines Umgangs mit Geschichte, um vor allem das Erwartete aus einer mit dem Ort assoziierten historischen Epoche zu bieten. Kulturspezifische Darbietungsmodi und Interpretationen bilden dazu überraschende Ergänzungen.

Urlaub in den Schulalltag integrieren

Diese sicherlich wichtigen Aspekte sollte man jedoch für den konkreten Unterricht ausreichend wenden. Der Lebensweltbezug für die SchülerInnen sollte dabei nicht aus dem Auge verloren werden. Ist es ein Ziel, dass SchülerInnen sich ein kritisches historisches Denken aneignen, dann wird es darauf ankommen, geschichtskulturelle Produkte auch tatsächlich zu durchdenken und zu hinterfragen. Dabei steht etwa das Störtebekerdenkmal in Hamburg, an dem TouristInnen im Hafen vorbeigeschleust werden, ebenso im Programm, wie Werbekataloge für Schlösser oder andere touristische Inszenierungen der Vergangenheit, wie man auf sie etwa in Funparks trifft. Dazu zählen sicherlich auch gedruckte oder digitale Reiseführer, welche neben geografischen und kulturellen Zusammenhängen Geschichte präsentieren. Gerade dort findet man oft seltsame Ausprägungen an tradierter Einseitigkeit, welche gerade dazu einladen, durch kritisches Denken Grundprinzipien eines reflektierten Geschichtsbewusstseins zu erwerben.

Ein Hoch auf die Globalisierung

„Geschichte im Urlaub“ als Anwendungsgebiet für den Erwerb eines kritischen historischen Denkens zu nutzen, bedeutet den bisherigen geschichtskulturellen Blick des schulischen Lernens zu weiten. Unzählige neue Beispiele, die je situationsabhängig in den Unterricht integrierbar sind, drängen sich dabei auf. Die sich globalisierende Welt und ihre Digitalisierung erleichtern dabei die reale und virtuelle interkulturelle Begegnung mit Geschichte: ein Labor an zu durchdenkenden Beispielen von ganz anderen Orten des Globus, an denen sich die Menschen ganz andere Geschichten über die Vergangenheit erzählen als zu Hause. Es gilt daher, die SchülerInnen auf ein Leben vorzubereiten, das vielleicht ganz abseits vom traditionellen Kanon des Geschichtsunterrichtes mit touristischen Darstellungen der Vergangenheit konfrontiert wird. Dies geschieht dann vermutlich ganz heimlich, oft dicht und unerwartet, nämlich auf Urlaub.

 

Literatur

  • Frank, Sybille: Der Mauer um die Wette gedenken. In: Kühberger, Christoph / Pudlat, Andreas (Hrsg.): Vergangenheitsbewirtschaftung. Public History zwischen Wirtschaft und Wissenschaft,  Innsbruck u. a. 2012, S. 159-172.
  • Isenberg, Wolfgang (Hrsg.): Lernen auf Reisen? Reisepädagogik als neue Aufgabe für Reiseveranstalter, Erziehungswissenschaft und Tourismuspolitik, Bensberg 1991 (Bensberger Protokolle 65).
  • Mütter, Bernd: Historisches Reisen und Emotionen. Chance und Gefahr für die geschichtliche und politische Erwachsenenbildung. In: Mütter, Bernd / Uffelmann, Uwe (Hrsg.): Emotionen und historisches Lernen: Forschung, Vermittlung, Rezeption, Frankfurt a.M. 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 76).

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Christoph Kühberger, Ur- und frühgeschichtliche Abteilung des Hongkong Museum of History, im Juli 2013.

Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Urlaub von der Geschichte? Historisches Denken in der Reisezeit. In: Public History Weekly 1 (2013) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-338.

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Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/1-2013-6/urlaub-von-geschichte-historisches-denken-in-reisezeit/

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