Für immer mehr Wissenschaftler ist das Twittern bereits Teil ihres Alltags geworden – ein Teil ihrer Kommunikation mit Kollegen und/oder einer breiteren Öffentlichkeit. Zunehmend beteiligen sich auch Historiker und Kunsthistoriker daran; Mareike König hat dazu im letzten Jahr einen sehr lesenswerten Leitfaden für Historiker/innen verfasst. Auch zur Geschichte von Klöstern und Orden wird bereits von einigen Wissenschaftlern getwittert – und es werden immer mehr; darunter sind auch einige Autoren unseres Blogs. Einige haben sich nun neu angemeldet, einige hatten bereits einen Account und nutzen Twitter [...]
Ö1 zu Pataphysik
"An der Grenze des Lachbaren - Pataphysik und andere fröhliche Wissenschaften"
Gestaltung: Michael Reitz
"Pataphysik" geht zurück auf den französischen Schriftsteller Alfred Jarry, der ihn Anfang des 20. Jahrhunderts einführte. Er meint die Parodierung wissenschaftlicher Theoriebildungen. In bester pataphysischer Gesellschaft befinden sich heute eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich selber nicht so ernst nehmen - aber trotzdem betrieben werden. Dabei ist die Grenze zwischen strenger Wissenschaftlichkeit und gewolltem Jux manchmal nicht so genau auszumachen. Fällt der Toast tatsächlich meistens mit der gebutterten Seite nach unten? Warum stehen wir im Stau immer in der falschen Schlange? Wie viel Benzin wird in Entenhausen verbraucht? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Silvio Berlusconi der Antichrist ist?
Die Rückverzauberung der Welt, Kampf gegen die Lustfeindlichkeit der Wissenschaften - Ziele, die die fröhlichen Wissenschafter interessieren. Wichtig ist die dabei: es handelt sich nicht um Scharlatane, sondern in der Regel um Akademiker, die sich über sich und ihre Disziplinen lustig machen - und dabei streng wissenschaftlich argumentieren.
Li Hongzhang in New York: Meeting the “The Yellow Kid” (1896)
Li Hongzhang 李鴻章 (1823-1901), einer der bedeutensten Staatsmänner der späten Qing-Zeit, nahm 1896 an der Krönung von Zar Nikolaus II. teil und reiste dann durch mehrere europäische Staaten – unter anderem besuchte er Bismarck in Friedrichsruh – und in die USA. Alle Phasen dieser Reise wurde von den Medien genauestens beobachtet, jeder Schritt des Gastes aus China wurde ausführlich beschrieben, manche sonderbar wirkenden Elemente dem Publikum erläutert. Die Zeitungen waren voll mit Berichten und Analysen; und auch in satirischen Blättern und Comic Strips taucht der Besuch aus China immer wieder auf. Auf 井底之蛙 erinnert Alan Baumler in dem Beitrag Yellow Kid an einen Comic von Richard F. Outcault (1863-1928) aus dem Jahr 1896.

Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley (6.9.1896) [Quelle: SFCGA - San Francisco Academy of Comic Art Collection, The Ohio State University Billy Ireland Cartoon Library & Museum]
Der one-pager “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (6.9.1896 | → full size/zoomable image) gehört zu den bekanntesten Yellow-Kid-Seiten [1] und taucht in den unterschiedlichsten Kontexten auf. In Darstellungen zur Comic-Geschichte im Zusammenhang mit Copyright-Fragen. Baumler findet die Qualität der Schrifzeichen beachtenswert. Wolfgang Höhne [2] sieht das Bild als Beispiel für “die Welt vor 1945″ und sieht “eines der vielen ärmlichen Einwandererviertel mit seinen viergeschossigen Backsteinbauten und den offenbar schon damals obligatirischen [sic!] Feuerleitern.” [3]Dabei unterbleibt eine Auseinandersetzung mit dem Entstehungskontext und die sich daraus ergebende Deutung – der Witz geht damit verloren …Li Hongzhang kam Ende August nach New York, er reiste nach Philadelphia und Washington und traf mit dem US-Präsidenten Stephen Grover Cleveland (1837-1908, Präsident 1885-1889 und 1893-1897). Die New York Times berichtete im August 1896 ausführlich über die Vorbereitungen und dann Ende August und Anfang September ausführlich über den Verlauf des Besuchs. Am 28. August 1896 wurde ausführlich über die Vorbereitungen für den Empfang und das Programm des Besuchs in New York berichtet: “Awaiting the Viceroy [...] ‘Chinatown’ to Celebrate with Fireworks. [4] Genauso ausführlich wurde über Lis Besuch am Grab von Gen. Grant (31.8.1896) [5] und Lis andere Aktivitäten berichtet. Der Besuch wurde in mehreren Filmen dokumentiert. [6]
Richard Felton Outcault (1863-1928) gilt mit Hogan’s Alley als ‘Erfinder’ des modernen Comic Strips. Seine Arbeiten erschienen in den Sonntagsbeilagen großer Tageszeitungen The Yellow Kid ist eine Schlüsselfigur in Hogan’s Alley, einer Seire, die zwischen 1895 und 1898 (zunächst in der New York World, später im New York Journal) erschien. Die one-pager greifen in der Regel aktuelle Themen der vergangenen Woche auf und bewegen sich an der Grenze zwischen Comic und Karikatur – so auch “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (New York World, 6. September 1896):
Das Bild zeigt die typische Straßen-Szene der Hogan’s Alley, die – dem Anlass entsprechend – mit zahlreichen chinesischen Lampions geschmückt ist. Die explodierende Feuerwerkskörper erleuchten die Szenerie. Im Zentrum des Bildes sitzt eine männliche, als Chinese markierte Gestalt auf einem etwas merkwürdigen Karren, der von einem Ziegenbock gezogen wird. Der Bock wird vom Yellow Kid am Bart geführt. Wie in jedem Yellow Kid-Comic erzählt der (wie üblich mit zahlreichen orthographischen Fehlern behaftete) Text auf dem gelben Kleid die Geschichte: “Me & LI has made a big hit with each oter. Say! He tinks I’m a Chinaman – don’t say a woid. I’m goin ter give a yellow tea fer him – I know my Q.”
Rechts spielen “The Hogan’s Alley Guards” für den Gast, links und im Hintergrund sieht man zahlreiches Publikum – mit Lampions an Stangen, Klapp- und Faltfächern, mit Stars & Stripes und einer “chinesischen” Fahne [7]- eine eigentlich recht idyllische Szene …
Liest man die Texte auf Plakaten, Fächern, Wimpeln, Transparenten etc., ergibt sich ein ganz anderes Bild.
- Einer der Sänger, die vor der Kapelle marschieren singt nach anderen Noten
- An dem Bretterzaun hängt ein Plakat “The new song / Did you ever get the money that you loaned? / Or / Where are all your Friends? – A Park Row Ballad.”
- Das Mädchen vorne links trägt einen Blattfächer mit der Aufschrift: “HURRAH! FER LIE-HANG-CHUNK.
- Darüber sieht man ein großes Plakat “Quiet Corner Club Picnic fer Li-Hung-Chang in Ryan’s Vacant Lot next Thursday – Gents 50 cents, Ladies 25 [cents], real Ladies free”, in der Ecke das Schriftzeichen 李 [Li].
- Der Hund im Vordergrund rechts balanciert auf seinem Schwanz, am Halsband ein Etikett “I am leading an upright life. We are all at our best Today”
- Links vorne steht ein “gepinseltes” Banner: “Bee Gee!” Nothing so much fun as lots of noise”
- Rechts vorne: “Quit yer kiiddiin.”
Die dargestellte Szene mit all ihren Widersprüchlichkeiten lässt sich durch die Sprechblase bei der kleinen Ziege am Dach des Hauses deuten: “They are giving him some genuine Chinese music.”
In die Neugierde, mit der man dem seltenen Gast begegnete, mischen sich gängige Klischees und Vorurteile und Anspielungen auf die aktuelle politische Lage – u.a. die schwierige finanzielle Lage Chinas, der Umgang mit chinesischen MigrantInnen in den USA (der Chinese Exclusion Act von 1882, der 1892 erneuert worden war, beschränkte deren Einwanderung) massiv. Lampions, Feuerwerke und (dissonante) Musik evozieren das Leben in den Chinatowns – obwohl auf dem Bild außer Li niemand als Chinese oder Chinesin markiert ist.
Li Hongzhang (der durch die Überschrift und den Text auf dem gelben Kleid zusätzlich identifiziert wird) selbst ist eine Mischung aus Fakt und Phantasie, aber durchaus erkennbar, wie ein Vergleich mit einer Photographie aus dem Jahr 1896 zeigt. Zwei Elemente erscheinen merkwürdig: die gelbe Kleidung – die im Qing-zeitlichen China den Angehörigen des Kaiserhauses vorbehalten war – und die Pfauenfedern, die an Lis Hut steil hochstehen. Diese Pfauenfedern sind ein Element, das in Karikaturen mit China-Bezug häufig auftaucht, aber nur selten so, wie sie tatsächlich getragen wurden: Die Federn – Auszeichnungen, die Beamten für ihre Verdienste verliehen werden konnten (lingzhi 翎枝) – wurden tatsächlich mit einer Öse am Rangsknopf befestigt und hingen nach unten. [8]
Yellow Kid gilt zwar als Urform des modernen Comic Stips, steht aber in Form und Inhalt an William Hogarths Beer Street and Gin Lane (1751) [9], wo sich hinter einer vordergründig heiteren Szene beißende Ironie und Satire verbergen, die dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleiben …
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[1] Zu “The Yellow Kid” vgl. Mary Wood: The Yellow Kid on the Paper Stage. ↑
[2] So u.a. bei Wolfgang Höhne: Technikdarstellung im Comic. Der Comic als Spiegel technischer Wünsche und Utopien der modernen Industriegesellschaft [online] (Diss, Univ. Karlsruhe 2003). ↑
[3] Wolfgang Höhne: Technikdarstellungen im Comic (2003) – Bildteil online: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/html-1/3-welt/fr-w-02.html. ↑
[4] U.a.: The Arrival of Li Huang Chang (imdb), Li Hung Chang Driving Through 4th St. and Broadway(imdb), und Li Hung Chang at Grants Tomb (imdb). ↑
[5] New York Times, 28. Augst 1896. ↑
[6] New York Times, 31. August 1896. ↑
[7] Die “chinesische” Fahne ist hier dreieckig mit gezacktem/geflammtem Rand. Sie zeigt eine art von Drachen oder Fabelwesen und erinnert an die dreieckige Variante der “Gelbe-Drachen-Flagge” [huanglongqi 黃龍旗], die zwischen 1862 und 1889 von der Marine und von “offiziellen” Schiffen verwendet worden war, bevor die viereckige Form in Gebrauch kam. ↑
[8] Zu den Abstufungen: Present day political organization of China. By H.S. Brunnert and V.V. Hagelstrom; rev. by N. Th. Kolessoff ; tr. from the Russian by A. Beltchenko and E.E. Moran (New York : Paragon [s. d., Foreword dated Foochow, 1911] Nr. 950 (p. 498). ↑
[9] William Hogarth, Beer Street and Gin Lane (1751) – Kurzbeschreibung und kurze Erläuterung → The British Museum. ↑
Stimmen der Kulturwissenschaften: Interview mit Nacim Ghanbari
Der Begriff des sozialen Netzwerks taucht lange vor Facebook in soziologischen Studien der 1950er Jahre auf. Es war der Versuch, soziale Beziehungen jenseits von Klassen- oder Gruppendynamiken zu beschreiben. Die Kulturwissenschaftlerin Nacim Ghanbari untersucht Netzwerktheorien und wendet sie an für die Zeit der Aufklärung. In dieser Episode spricht sie über die Anwendung von Netzwerktheorien in den Kulturwissenschaften, über Patronage als (soziales) Netzwerk im 18. Jahrhundert und über den fast vergessenen Sebaldus Nothankar.
SdK 49: Nacim Ghanbari über (soziale) Netzwerke und Patronage
Quelle: http://feedproxy.google.com/~r/kulturwissenschaften/~3/tl8Irc0sJA4/sdk49
Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 1
| Arbeitslosenzahlem von 1933 bis 1939 |
| 5 Reichsmark, 1942 |
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| Saalebrücke bei Hirschberg - Man achte auf den regen Verkehr. |
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| Speisung im Obdachlosenasyl 1932 |
Neben den propagandistischen Maßnahmen - vor allem der in Szene gesetzte Autobahnbau und die Einführung des Reichsarbeitsdiensts - fanden im Hintergrund umfrangreiche Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik statt. Diese Richtungswechsel wurden mit großem Aufwand vor der Öffentlichkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands verborgen, denn sie waren alles andere als hasenrein. Letztlich ging es Hitler darum, dass die Wirtschaft möglichst schnell einen akzeptablen Lebensstandard bereitstellte und andererseits in der Lage war, die geplante Aufrüstung zu schultern. Dies konnte nur mit einer expansiven Wirtschaftspolitik erreicht werden, doch diese würde unweigerlich destabilisierend wirken. Eine trabende Inflation aber konnte man sich genausowenig leisten wie eine Aufnahme von größeren Schuldenbeträgen. Letzteres war in der Weltwirtschaftskrise mangels Kreditgebern ohnehin nicht möglich. Der Vorsitzende der Reichsbank, Hjalmar Schacht, brauchte also dringend eine Möglichkeit, die ab 1935 rasch ansteigenden Rüstungsausgaben mit einer Art Schattenwirtschaft zu finanzieren, denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes reichte eigentlich gerade aus, um den Lebensstandard der Deutschen wieder auf das Niveau Ende der 1920er Jahre zu bringen (das übrigens im ganzen Dritten Reich nie wirklich erreicht wurde).
| Funktionsweise der Mefo-Wechsel |
Da hinter den Wechseln keine echten Werte standen, konnte das Reich die damit getätigten Einkäufe natürlich kaum bezahlen. In der Realität wurden daher nur rund 40% der mit den Wechseln getätigten Einkäufe tatsächlich bezahlt. Die restlichen 60% wurden als Anteile auf spätere Einnahmen und Steuernachlässe gutgeschrieben. Dies führte zu zwei Entwicklungen: zum einen gruben die Mefo-Wechsel dem Reich innerhalb kürzester Zeit die Steuerbasis ab, weil ja gewaltige Steuergutschriften aufliefen. Und zum anderen entstand eine kurzfristig in die Zukunft verlagerte Notwendigkeit, neue Einkommensquellen zu erschließen, um die Wechsel zu bedienen. In den Firmen selbst wurde das System natürlich schnell durchschaut. Da mit nur 40% des Warenwerts kaum gewirtschaftet werden konnte, begannen die Firmen in gewaltigem Umfang die Bilanzen zu frisieren und um ein vielfaches höhere Preise abzurechnen. Das ab 1934 von Hermann Göring gesteurte Wirtschaftsministerium konnte dagegen wenig unternehmen - die Mefo-Wechsel hatten eine gegenseitige Symbiose geschaffen. Weder konnte das Wirtschaftsministerium die Bilanzfälschungen anprangern noch die Firmen die Wechsel einlösen. 1938 wurde die Ausgabe der Wechsel gestoppt, ermöglichte bis dahin aber die Aufrüstung auf ein Niveau, das in etwa dem der Nachbarstaaten entsprach.
Literaturhinweise:
Bernhard Chiari - Ökonomie und Expansion
Rolf Walter - Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart
Harold James - Die Deutsche Bank im Dritten Reich
Wolfgang König - Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft
Sabine Groß - Made in Germany
Obdachlosenasyl - Bundesarchiv, Bild 183-R96268 / CC-BY-SA
Mefo-Wechsel - Guido Golla (CC-BY-SA 3.0)
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich.html
aventinus recensio Nr. 35 [31.01.2013]: William E. Metcalf (Hrsg.): The Oxford Handbook of Greek and Roman Coinage, Oxford University Press 2012.
aventinus bavarica Nr. 24 [31.01.2013]: Denkmäler erzählen Geschichte(n)! Die Feldherrnhalle in München Nationale Begeisterung — Instrumentalisierung — Alltagsgeschehen [=Bayernspiegel Nr. 5-6/2012]
Duisburgs Bruch mit seiner Geschichte – Mercator-Haus Duisburg III
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Duisburg stark zerstört. Der Wiederaufbau sollte vielmehr ein vollständiger Neuaufbau werden. Es war ein gewollter Bruch mit der Geschichte und mit der gewachsenen historischen Siedlungsstruktur.
Die Bombenangriffe auf Duisburg begannen bereits 1940. Die Stadt glich nach dem Krieg einem Trümmerfeld, wie fast alle Großstädte Deutschlands auch.
Bei einem Beschädigungsgrad von über 60% gilt ein Gebäude als nicht mehr zu retten. Für Duisburg Mitte betraf das 58,4 % des Bestandes. 1947 waren in der Innenstadt 25,2 % der Häuser bereits wieder instand gesetzt und 15, 6% wurden als wieder aufbaufähig eingestuft. Weitere stark zerstörte Stadtteile waren Beeck mit 54,6 % und Untermeiderich mit 57% nicht instandsatzungsfähigen Gebäuden. Der in den 60er Jahren flächensanierte Stadtteil Ruhrort war „nur“ zu 28% nicht mehr aufbaufähig.[1]
Kohle und Stahl machten das Ruhrgebiet in den 50er Jahren zu einem Motor des Wirtschaftswunderlandes Deutschland. Der Reichtum Duisburgs war einer der Gründe, warum hier eine flächige Neugestaltung der Innenstadt überhaupt möglich wurde. Es wurden straßenzugweise Grundstücke aufgekauft und neu überplant. Bei einer Totalzerstörung von 58, 4% des Gebäudebestandes wären 42% der Häuser wieder zu errichten gewesen. Genug, um an die alte Duisburger Altstadt anzuknüpfen. Das wollten die Stadtväter der fünfziger Jahre nicht. Der Wiederaufbau in Deutschland war von einer starken öffentlichen Debatte begleitet, die sich sehr kontrovers über die verschiedenen Konzepte äußerte.
Ein so radikales Aufräumen, wie in Duisburg, war nämlich nicht die Regel. In anderen Städten wurden andere Konzepte durchgeführt und prägen heute Stadt und Menschen. In den stark zerstörten polnischen Städten Warschau, Breslau und Danzig wurden die Altstädte teilweise bis ins kleinste Detail rekonstruierend wieder aufgebaut. Die Stadtzentren stehen heute da, als wären sie niemals Mittelpunkt von Kampfhandlungen gewesen. Eine ähnliche Wiederaufbauleistung leistete man in Rothenburg ob der Tauber, wo 40% der Bebauung zerstört wurden. Rothenburg gilt als ein Inbegriff des deutschen Mittelalters und die Altstadt von Warschau ist seit 1980 Unesco-Weltkultur-Erbe.
Ein anders Konzept wurde im schwäbischen Freudenstadt und im westfälischen Münster verfolgt. Die zentralen und identitätsstiftenden Bauten, wie die Freudenstädter Kirche und in Münster das Rathaus wurden rekonstruiert, die historische Parzellenstruktur wurde beibehalten. In Münster orientiert sich die Gestaltung der Fassaden an den Originalen, sind aber keine Kopien, sondern vielmehr moderne Interpretationen. Wie in den meisten deutschen Städten wurden auch in Köln die Kirchen rekonstruiert. Neben den Kirchen schmerzte den Kölnern besonders der Verlustes des geliebten Rheinpanoramas. Der berühmte Blickfang ist heute durch eine Rekonstruktion des alten Rathauses wieder hergestellt. Der Gedanke der stilistischen Geschlossenheit eines Stadtbildes hat den Ausschlag für den rekonstruierenden Wiederaufbau der Maximilian-Straße in München gegeben. Wir sehen, der Duisburger Weg, auch in Stuttgart oder Kassel verwirklicht, war nicht der einzige Weg.
Unsere Städte haben sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt. Auch Duisburg, am Zufluss der Ruhr in den Rhein gelegen, war seit der Seßhaftwerdung des Menschen Siedlungsplatz. Die Stadt taucht in den Schriftquellen im 9. Jahrhundert das erste Mal auf. Im 10. Jahrhundert wurde Duisburg Königspfalz. Königspfalz zu sein bedeutet, zu den wichtigsten Orten des Deutschen Reiches und zugleich zu den Regierungssitzen des Kaisers zu gehören: wie Aachen, Paderborn, Werla, Tilleda, Grone und Trebur. Duisburg ist zudem westlicher Ausgangspunkt des Hellweges, des wichtigsten Landhandelsweges zwischen Rhein und Elbe. Der Zielort Magdeburg an der Elbe definiert sich heute durch „seinen“ Kaiser Otto I. Es ist die große Zeit Duisburgs und Ausgangspunkt einer städtebaulichen Entwicklung. Die Pfalz ging wiederum auf einen Königshof zurück, aber das soll hier nicht Thema sein.
Ich habe einmal Duisburger Stadtansichten aus den unterschiedlichen Jahrhunderten untereinander gestellt. Sie sind alle ungefähr aus der gleichen Perspektive aufgenommen und zeigen die Entwicklung der Stadt in den letzten tausend Jahren. Die Google-Earth-Screenshots habe ich von 3D-Modellen gemacht, die von der Uni-Bochum im Netz-Projekt RuhrZeiten erstellt worden sind. Näheres zum Projekt hier.
Besonders eindrücklich zeigt das Luftbild aus den fünfziger Jahren, was ein Bruch mit seiner Geschichte bedeutet. Ein Loblied auf den Wiederaufbau Duisburgs singt heute niemand mehr.
[1] Die Zahlen stammen aus: G. Schörken, Wiederaufbau in Duisburg nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1960 (maschinenschriftliches Manuskript 1993) S. 32

Ansicht einer 3D-Rekonstruktion der Kaiserpfalz Duisburg um 1000 Screenshot von www.RuhrZeiten.de für Google-Earth

Ansicht einer 3D-Rekonstruktion der Stadt Duisburg um 1200 Screenshot von www.RuhrZeiten.de für Google-Earth

Ansicht einer 3D-Rekonstruktion der Stadt Duisburg um 1566 Screenshot von www.RuhrZeiten.de für Google-Earth

Luftbild der Duisburger Innenstadt von 1924 (Stadtarchiv Duisburg)

Luftbild der Duisburger Innenstadt in den späten 50er Jahren (Stadtarchiv Duisburg)
Literatur:
A. Assmann, Geschichte im öffentlichen Raum: Architektur als Erinnerungsträger, in: A. Assmann, Geschichte im Gedächtnis (München 2007) 96-135
G. Binding, Deutsche Königspfalzen. Von Karl dem Großen bis Friedrich II. (765-1240) (Darmstadt 1996)
A. Blank (Hrsg.) J.H. Withof, Chronik der Stadt Duisburg von den Anfängen bis zum Jahre 1742 (Norderstedt 2008)
L. Heid-, H.-G. Kraume-, K. Lerch-, J. Milz-, H. Pietsch-, G. Tromnau-, K.-D. Vinschen, Kleine Geschichte der Stadt Duisburg (Duisburg 1996)
G. Krause (Hrsg.), Stadtarchäologie in Duisburg 1980-1990, Duisburger Forschungen 38 (Duisburg 1992)
J. Milz, Neue Erkenntnisse zur Geschichte Duisburgs, Duisburger Forschungen 55 (Duisburg 2008)
G. Schörken, Wiederaufbau in Duisburg nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1960 (maschinenschriftliches Manuskript 1993) liegt auch gedruckt vor
Zeitzeugenbörse Duisburg e.V. (Hrsg.), Bomben auf Duisburg (Erfurt 2012)

