Gleich drei aktuelle Calls fragen nach Beiträgen zu Pop:
1. Pop im Alter
Die Gleichsetzung von Pop mit Jugendkultur will eine Gesprächsrunde in Frage stellen: Der GAM e.V. (Gesellschaft – Altern – Medien) stellt seine 5. Jahrestagung unter das Thema „Pop im Alter“. Wie der Verein mitteilt, bilde den Mittelpunkt der für den 27.-29. Juni 2014 anberaumten Tunzenberger Kamingespäche “die Entwicklung und die Aneignung der Popkultur im höheren Lebensalter bis hin zu ihren Wurzeln in der Jugend sowie das Wechselverhältnis von Medienaneignung und Identität bezogen auf Popkultur”.
Verfolgt werden laut Call zwei Ziele: Perspektiven, Ansätze und Methoden der Forschung zur Ästhetik und deren Aneignung von Popkultur im Alter sollen nachgezeichnet und aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Außerdem würden Handlungsfelder für eine künftige Alter(n)smedienforschung aufgezeigt. Pop werde dabei nicht auf Musik beschränkt, sondern sei ein Sammelbegriff für Kultur als Alltagspraxis in der Aneignung mit dem Ziel der Identitätsbildung. Identität verstehe man sowohl als “Ausdruck der individuellen Einzigartigkeit als auch als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft”. Schwerpunkt der Tagung sei die Bedeutung von Pop in Bezug zur Lebenswelt der Subjekte. Damit nehme sie keine medien-, sondern eine subjektzentrierte Perspektive ein. Die Bedeutung von Pop werde vielmehr im Rahmen der Identitätsfindung und -bildung als lebenslanger Prozess verstanden.
Die Gespräche auf Schloss Tunzenberg (Niederbayern) sollen “einer ausgewählten Gruppe von Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen, Kulturschaffenden und pädagogisch Handelnden” die Möglichkeit geben, sich “in einer anregenden Umgebung anhand eigener Forschung und Praxis vertieft mit dem Thema Alter(n) und Medien im sozialen Kontext auseinanderzusetzen”.
Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline wurde soeben verlängert bis zum 24. März 2014.
2. Amerika-Euphorie – Amerika-Hysterie. Populäre Musik made in USA in der Wahrnehmung der Deutschen 1914–2014
Das Deutsche Volksliedarchiv Freiburg veranstaltet aus Anlass seines 100. Bestehens eine Geburtstagstagung zur affirmativen und kritischen Rezeption US-amerikanischer Musikkultur in Deutschland von 1914 bis heute. Mit dem Ziel, einen interdisziplinären, multiperspektivischen Zugang zum in Rede stehenden Phänomen zu eröffnen, sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen eingeladen, Themenvorschläge einzureichen. Leitfragen könnten sich auf die teilkulturelle Aneignung der Musik (z.B. in Jugendkulturen), die Thematisierung der USA in deutschsprachiger Musik oder öffentliche/mediale Diskurse (in Ost und West) beziehen. Vier Sektionen widmen sich den Themenfeldern:
- Jazz-Rezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
- Rock’n’Roll und Jugendkultur im Nachkriegsdeutschland
- Vietnam, Flower Power und die „68er“
- Pop-Giganten in Film, Funk und Fernsehen – und Internet
Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline ist der 31.03.2014.
3. Deutsch-französische Schnittstellen in Populärkultur und Medien. Interkulturelle Vermittlungsprozesse und Fremdwahrnehmung
Welche Bilder von Frankreich werden in Deutschland in Medien der Populärkultur vermittelt und umgekehrt? Welche diesbezüglichen Entwicklungen lassen sich diesbezüglich seit den 1950er Jahren feststellen? Diese Fragen will eine Sektion auf dem 9. Kongress des Frankoromanistenverbandes vom 24.bis 27 September 2014 in Münster beantworten.
Leitfragen sind: Inwiefern sind Bilder des Anderen von stereotypen Darstellungsweisen geprägt? Stellen sie auch einen Raum für die interkulturelle Vermittlung von differenzierteren Wissensbeständen dar? Wie verhalten sich die zumeist populären Diskurse der „nicht intentionalen“ Mittlerinstanzen zu traditionellen Mittlerfiguren und –institutionen, die implizit oder explizit eine Diskurshoheit beanspruchen? Welche Wechselbeziehungen gibt es zwischen Selbstbild und Fremdbild bei Figuren oder Medien, die in beiden Ländern präsent sind?
Konkret benannt werden folgende Felder:
- Populäre Musik wie Chanson oder Schlager: Hier werden in zumeist suggestiver Form Sehnsuchtsorte beschworen, aber vielleicht auch Wissensbestände über die andere Kultur geschaffen. Beispielsweise könnten Sängerinnen und Sänger in den Blick genommen werden, die wie France Gall, Frédéric Mey / Reinhard Mey oder auch Georges Moustaki beidseits des Rheins tätig waren und durch ihr – bisweilen sehr genau an das jeweilige Publikum angepasstes – Œuvre kulturvermittelnd tätig waren.
- Fernsehen: Bilder des Anderen entstehen auch fernab der Nachrichten und dokumentarischer Genres, etwa durch die Darstellung Angela Merkels in den „Guignols de l’info“ und allgemein in Variété-Sendungen oder Unterhaltungsshows.
- Populärer Spielfilm: Wie im Bereich des Chansons / Schlagers können auch hier Figuren in den Mittelpunkt rücken (Romy Schneider, Pierre Brice) oder aber einzelne Spielfilme näher betrachtet werden.
- Populärkulturelle Manifestationen des Anderen in Sachbüchern (Reiseführer, Kochbücher, Ratgeberliteratur etc.). Neben der eigentlichen journalistischen Tätigkeit entfalten z.B. viele Auslandskorrespondenten eine rege publizistische Aktivität, die – unabhängig von Einzelereignissen – Bilder des Anderen generiert, festigt und tradiert (U. Wickert, C. Calla, P. Hugues u.v.a.).
- Weitere potenzielle Gegenstände von Beiträgen könnten Werbung, Jugendmagazine, „bandes dessinées“ oder Musicals sein; ebenso willkommen sind Vorschläge aus dem Bereich der Populärliteratur.
Der vollständige Call findet sich hier. Deadline war der 31.1.2014.
Vom Lastwagenfahrer zum Welt-Star, vom Punk zur Modezarin, vom Ghetto-Kid zum Plattenproduzenten: Die Popgeschichte hat viele Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Der Star ist der geradezu emblematische Akteur einer massenkulturellen Aufmerksamkeitsökonomie des 20. Jahrhunderts, denn wo die Bestätigung einer institutionalisierten Kultur fehlt, haben Siegergeschichten legitimatorische Funktion. Als moralisches Korrektiv dienen Verlierergeschichten: vom raschen Abstieg, frühen Drogentod oder dem Niedergang ganzer Branchen, etwa der Musikindustrie. Derartige Narrative spiegeln individuelle Auffassungen vom richtigen Leben und legitimen Streben wider und konstituieren auf überindividueller Ebene gesellschaftliche und wirtschaftliche moral economies.

Tatsächlich gehörte die Pose schon länger zum Pop. Der Sex Pistols-Musiker Johnny Rotten hatte sie als typische Handbewegung des Punk 




Daniel Craig als James Bond in “Skyfall”.
(Foto: Sony Pictures 2012)
Mit dem Erfolg des jüngsten James-Bond-Film “Skyfall” scheint die “Bonditis” wieder ausgebrochen, die vor 50 Jahren mit dem ersten Bond-Film begann. In den Sixties kämpften auf den Leinwänden auch deutsche Spionagehelden – gegen fiktive Superschurken, aber auch gegen höchst reale Zensoren auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Ein unbekanntes Kapitel deutscher Popgeschichte.
Seine Armbanduhr verbirgt ein Tonbandgerät, sein Koffer ein Schlauchboot und er verfügt über ein Mini-Tauchgerät. Seine Pistole trifft immer ihr Ziel, aber seine Gegner erledigt er lieber mit einem betäubenden Handkantenschlag, stets lächelnd und im tadellos sitzenden Anzug. Er raucht ausschließlich Zigarillos der Marke Monte Christo mit goldenem Mundstück. Frauen sind ebenso machtlos gegen seinen Charme wie Superschurken gegen seine Fäuste. Sein Spitzname: Mister Dynamit.
Auf den ersten Blick sieht der Mann mit dem explosiven Faustschlag und der ungewöhnlichen Begabung des Bauchredners einem bekannten britischen Spionagefilm-Helden zum Verwechseln ähnlich. Wären da nicht die Details. Etwa die geheime Dienstnummer: Es ist nicht die 007 sondern die 18. Mister Dynamit ist auch nicht in London verbeamtet sondern in Pullach. Und sein Name ist nicht Bond, sondern Urban. Robert Urban.
Der wichtigste Unterschied ist jedoch, dass James Bond ein Weltstar ist, Robert Urban jedoch weitgehend vergessen. Dabei war er einst nichts weniger als der deutsche 007. Mitte der Sechzigerjahre für eine Groschenromanreihe konzipiert, hätte der deutsche Held eine ähnlich erfolgreiche Karriere machen sollen wie sein ungleich bekannterer Kollege vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6.
“Dr. No” (1962)
James Bond feiert dieser Tage sein 50. Leinwandjubiläum. Noch immer ist er ein „Agent des Zeitgeistes“, wie ihn sein Chronist, der bekennende Fan Werner Greve in einer gerade erschienenen analytischen Hommage genannt hat (Werner Greve: James Bond 007. Agent des Zeitgeistes, Vandenhoeck & Ruprecht 2012). Noch immer schreiben lizensierte Nachfolger die Romanabenteuer fort und noch immer entsteht alle paar Jahre ein Kinofilm. Bonds deutsche Kollegen sind unterdessen weitgehend vergessen. Die „Mister Dynamit“-Hefte erscheinen schon seit Jahren nicht mehr und auch andere harte Männer wie „Kommissar X“ oder „Jerry Cotton“ sind in der Krise. Dabei haben deutsche fiktionale Agenten eine mindestens ebenso brisante Geschichte wie ihr weltbekanntes britisches Vorbild. In den sechziger Jahren kämpften sie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs — ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutsch-deutscher Popgeschichte.
Es beginnt in der Zeit des Kalten Krieges, dessen Frontlinie mitten durch das besiegte Deutschland schneidet. Der Kalte Krieg ist eine symbolische Auseinandersetzung, die nicht nur mit dem taktischen Arsenal der Raketen, Panzersperren und dem Marschtritt der Paradestiefel ausgetragen wurde. In weiten Zügen war er ein Konflikt der Kultur, der die Grenzen zwischen „harten“ und „weichen“ Faktoren aufweichte: Als Bedrohung stationierte Raketen waren of nur Theaterkulissen während Filme und Romane als reale Waffen wirken konnten, deren ideologische Botschaften mitten im Feindesland zündeten. Niemand nahm dies so ernst wie die Zensoren.
Die Abenteuer des James Bond waren in der DDR verboten. Im Westen hingegen wurden sie ähnlich populär wie zuvor die aus Großbritannien schwappende Beat-Welle, die so genannte Beatlemania. Die zwischen in den Jahren 1953 bis 1965 erscheinenden Romane des Ex-Spions und Erfolgsschriftstellers Ian Lancaster Fleming verbreiteten sich zunächst in Buchform, dann als täglicher Comicstrip in Zeitungen, schließlich als Filme, die hunderte Millionen Pfund einspielten. Der „Spy Craze“ umfasste bald viel mehr als nur Romane und Kinofilme. Die Modewelle erstreckte sich auf Armbanduhren, Autos, Herrendüfte und Wodkasorten, die in einem bislang einzigartigen product placement mit dem Namen James Bond verbunden waren. Tatsächlich aber war der von Fleming geschaffene Charakter weder der einzige, noch der erste fiktive Spionageheld mit Dienstwaffe und Codenummer.
In Frankreich etwa veröffentlichte seit 1949 der Autor Jean Bruce die Abenteuer des Geheimagenten OSS 117, erst kürzlich parodistisch neuverfilmt mit Jean Dujardin. Sammler zählen mehr als 200 Agentenfilme allein im Verlaufe der Sechzigerjahre. Die meisten von ihnen zeigten starke Ähnlichkeit mit der Fleming’schen Welt. So entkam 1965 Geheimagent 505 der „Todesfalle Beirut“ und auch die Amerikaner zog es in „Geheimauftrag CIA – Istanbul 777“ in die Türkei. Dazu kamen Fernsehserien wie „Get Smart“, „I Spy“, „The Saint“ oder „Amos Burke – Secret Agent“.
Kommisar X – der bundesdeutsche James Bond ist ein Versicherungsagent.
Tom Walker alias Kommissar X kämpft darin gegen geheime Killerorganisationen wie die „Gelben Katzen“, die ihre Opfer mit Karateschlägen töten, doch ist der Titelheld kein Geheimagent, sondern als Versicherungsdetektiv tätig: eine sehr deutsche Variante. Produzent T.M. Werner zufolge unterschieden sich Bond und Walker „beruflich wie ein Sprengmeister von einem Jagdflieger.“ Zuerst noch im Einsatz gegen die weltbedrohende Laserwaffe eines Atomphysikers, zeigt sich Kommissar X auf seinen weiteren Missionen dem Zeitgeist gegenüber äußerst anpassungsfähig und kämpft in den psychedelischen Sixties gegen die Modedroge LSD. Mit der experimentierten nach eigenen Angaben auch seine Schöpfer – was man den Filmen gelegentlich anmerkt.
Einen der aussichtsreichsten Versuche zum internationalisierten Genre aufzuschließen unternimmt eine europäische Co-Produktion, die den Deutschen Horst Buchholz in geheimer Mission nach Istanbul entsendet um dort einen Atom-Physiker aus den Händen einer verbrecherischen Organisation zu befreien. Der ehemalige Halbstarke bewegt sich stilsicher zwischen Spielcasinos, türkischen Bädern und Hafenschlägereien, doch trotz Star-Besetzung mit etablierten deutschen Bösewichten wie Klaus Kinski und Mario Adorf und malerischen Drehorten ist „Estambul 65“ („Unser Mann aus Istanbul“) keine Fortsetzung vergönnt.
“Tpoas” (1969)
Den westdeutschen Beiträgen zum „Spy Craze“ ist mit ihrem Vorbild gemeinsam, dass der Kalte Krieg in der Handlung nur mittelbar eine Rolle spielt. Während Filme von Alfred Hitchcock („The Torn Curtain“, “Topas”) oder John Frankenheimer (“Seven Days in May”) auf den Realismus setzten, der später zum Markenzeichen der spy novels eines John Le Carré werden wird, setzt die popkulturelle Ausgestaltung der „Bonditis“ auf grellbunten Konsum. Mehr noch als Kalte Krieger sind die Geheimagenten, die aus der Popkultur kamen, Snobs und Playboys, die dem Hedonismus weit stärker anhängen als einem platten Antikommunismus.
Für den Ostblock macht sie das umso gefährlicher. Die Angriffe der westlichen Popkultur spürt niemand so deutlich wie die Kulturbehörden der DDR. Die Freie Deutschen Jugend leitet immer wieder Dokumente an die Staatssicherheit weiter, in denen Jugendliche anonym die Vorführung westlicher Agentenfilme fordern. Schließlich entschließt man sich zum cineastischen Gegenschlag. Im Jahr 1963, zwei Jahre nach Bau der Berliner Mauer, kreiert die ostdeutsche Filmproduktion DEFA ein neues Genre: den so genannten Kundschafter-Film. In dem sozialistischen Beitrag zum Spionagegenre tritt der Kundschafter als ideologisch gefestigter Agent des Sozialismus auf. Seine Mission: die Demontage des dekadenten Westens.
DEFA-Presseinformation zu “Eyes Only” (1963)
„For Eyes Only“ wird zum Erfolg. Das Programmheft führte das „außerordentliche Interesse“ bei den Zuschauern auch auf das gewählte Genre zurück: „Der Kundschafterfilm erfreut sich seit jeher besonderer Aufmerksamkeit, vor allem bei einem jugendlichen Publikum.“ Vom westlichen Vorbild man grenzt sich bewusst ab: der Film führe „seinen Helden nicht als einen Supermann vor, wie er bei ähnlichen Filmen aus der bürgerlichen Produktion hinreichend bekannt ist. Die Schwere der Kundschaftertätigkeit wird deutlich, weil er es mit hochqualifizierten Gegnern zu tun hat, die auch über entsprechende technische Möglichkeiten verfügen.
So lösen sich die für ihn auftauchenden Probleme nicht mit einer charmanten Handbewegung, sondern nur durch hohen persönlichen Einsatz, durch entsprechend kluge Reaktionen.“ Dieser Realismus mache ihn zu einem Instrument sozialistischer Erziehung, der „auf hervorragende Weise geeignet ist, an seinem Beispiel über Fragen der patriotischen Erziehung zu sprechen, über die Abwehr imperialistischer Machenschaften gegen die DDR und die sozialistische Staatengemeinschaft“. Die Serie „Das unsichtbare Visier“ beerbt das Genre erfolgreich im DDR-Fernsehen.
Die popkulturellen Waffen des Ostens werden auch im Westen gefürchtet. Eines der dunkelsten Kapitel der Kulturgeschichte des Kalten Krieges ist die Zensur. Nicht nur im Osten, auch im vermeintlich freien Westen werden die fiktionalen Unterhaltungswerke des politischen Gegners unterdrückt. Dafür ist der „Interministeriellen Ausschusses für Ost/West Filmfragen“ zuständig. Die Aufgabe dieser ominösen, im Verborgenen agierenden Kommission war nichts anderes als die Zensur kommunistischer Filme. In dem 1953 auf Initiative des Innenministeriums der Bundesrepublik gegründeten Gremium, das bis 1966 in Kraft war, saßen neben Vertretern der Ministerien auch Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz: Reale Geheimdienstler verhandelten hier die fiktionalen Agenten.
Es ist schwer vorstellbar, dass man die Leinwandabenteuer eines Mister Dynamit, eines Kommissar X oder eines sozialistischen Saubermannes einst so ernst nehmen konnte, dass sich Behörden mit ihrem Verbot befassten. Diese kulturellen Kämpfe aber nur als Nebenschauplätze der politischen Auseinandersetzung zu begreifen, hieße den Kalten Krieg zu verkennen. Ein Konflikt, der auf der Ebene von Symbolen geführt wurde und im Kern ideologisch war, musste Ideen und Kulturprodukte als reale Waffen betrachten. So antiquiert uns heute die Helden aus jenen Jahren vorkommen mögen: Sie haben zeithistorische Bedeutung. Schließlich waren es keine Minikameras, Abhörprotokolle, Überläufer oder Strategieinformationen aus dem Arsenal der geheimen Dienste, die den Kalten Krieg am Ende entschieden. Den realen Sozialismus besiegten vielmehr die hedonistischen Verheißungen des Kapitalismus: Wohlstand, Konsum und grenzenlose Freizügigkeit. Selten dürften diese Verlockungen besser geschüttelt und schöner gerührt worden sein, als in der Popkultur des 20. Jahrhunderts und die hatte mehr Agenten als nur einen James Bond.
Dieser Essay ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Vortrages, den Bodo Mrozek auf der Konferenz „Cold War Culture. The Global Conflict and its Legacies in Germany since 1945“ der School of History des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und der University of Cambridge am 20. September 2012 hielt. Er wurde gedruckt in der Literaturbeilage der Wochenzeitung Die Zeit (Nr. 45, November 2012, S. 16-17) und erscheint hier erstmals online.

Sie begannen aus heiterem Himmel. Niemand hatte sie heraufziehen sehen. Und doch sollten diese fünf Tage im Juni das Verhältnis zwischen Ordnungskräften und Bürgerschaft tief greifend verändern. Die “Schwabinger Krawalle”, die heute vor fünfzig Jahren in München ausbrachen, gelten als rätselhaftes Ereignis, das sich lange Zeit der Deutung sperrte. Mal wurden sie als “halbstarke Zerstörungswut” heruntergespielt, mal zum heimlichen Beginn der Studentenproteste hochpolitisiert. Tatsächlich waren sie Ausdruck eines tief greifenden Kulturbruchs. Um ihn zu verstehen, muss man sich ins München des Jahres 1962 begeben.
Der 21. Juni ist ein ungewöhnlich heißer Sommerabend. Mit hochgekrempelten Ärmeln sitzen die Münchner vor ihren Biergläsern. Die Straßencafés sind bis auf den letzten Klappstuhl besetzt. Im Englischen Garten singen ein paar Jugendliche zur Klampfe: russische Volkslieder. Als eine Polizeistreife die Musikanten vertreibt, ahnt noch niemand die Konsequenzen.
Die Jugendlichen setzen ihr Spiel am Monopteros fort. Als abermals Polizei anrückt und die Musiker diesmal festnehmen will, regt sich spontaner Widerstand unter den etwa vierzig Zuhörern. Es kommt zu Wortgefechten, dann zu Rangeleien. Die Beamten werden als “Verbrecher in Uniform” und “Vopos in Blau” beschimpft, und auch der Abtransport der gefangenen Ruhestörer gestaltet sich schwierig, da dem Streifenwagen plötzlich ein Ventil fehlt. Als Verstärkung eintrifft, sind die paar Dutzend Musikfreunde bereits auf eine bedrohliche Menge von 400 Protestierern angewachsen.
Über das, was danach geschieht, gehen die Interpretationen auseinander. Einigkeit herrscht unter den Zeugen jedoch darüber, dass die Polizisten ungewöhnlich hart vorgingen: “Zuerst ungeschickt, dann kopflos und schließlich sogar brutal”, wie ein Student später der “Welt am Sonntag” sagt. Kaum ist die Polizei abgerückt, da laufen immer mehr Protestierer zusammen. Auf der Leopoldstraße setzen sie sich mit ihren Gläsern auf den Asphalt.
Aus den umliegenden Cafés und Biergärten tragen Passanten Stühle auf die Straßen, der Verkehr kommt zum Erliegen. Schaulustige sammeln sich auf den Gehwegen, Zeitungsberichten zufolge sind es Tausende. Anwohner treten im Nachthemd auf ihre Balkone. Auf den Fotos herbeigeeilter Pressefotografen sieht man lachende Menschen in dünnen Sommerkleidchen und gelockerten Krawatten. Gewaltbereite Randalierer sehen anders aus.
Zeitzeugen beschreiben die Stimmung als ausgelassen. Es kommt zu Handgemengen. Der Polizeibericht vermerkt mehrere Würfe mit Gegenständen; aus den Gaststätten “Café Europa” und “Schwabinger Nest” werden Glühbirnen auf Polizeiwagen geworfen. Einige Papierkörbe stehen in Brand. Zweimal rücken die Räumketten der Polizei vor. Erst um 1.40 Uhr ist die Ordnung wieder hergestellt. Die erste Bilanz: 41 vorläufige Festnahmen, drei beschädigte Polizeiwagen. Ein Wachtmeister wird von einem Stuhl am Fuß getroffen, ein Oberinspektor erleidet durch einen Schlag gegen die Hand einen Bruch des kleinen Fingers.