Gottvertrauen zwischen Fronterfahrung und Kriegsalltag.


Der Glaube unter dem Einfluss des Ersten Weltkrieges

Sarah Hinrichsmeyer

Feldpostbriefe eröffnen uns Einblicke in die persönlichsten Gedanken der Soldaten, so auch in ihren Glauben. Sie berichten immer wieder von Besuchen des Feldgottesdienstes, der Aufforderung zum Gebet oder der Hoffnung auf Gottes Wirken, das ein Ende des Krieges herbeibringen soll. Denn der Glaube des Einzelnen wurde durch diesen stark herausgefordert: Manch einer entfernte sich, bei anderen intensivierte er sich. Der Historiker Gerd-Walter Fritsche, der sich intensiv mit dem Thema Religiosität in Feldpostbriefen auseinandergesetzt hat, schildert beispielsweise eine Marienerscheinung eines Soldaten, der sich daraufhin in seinem religiösen Verhalten grundlegend veränderte.[1] Er erlangte eine Ausgeglichenheit, die in einem deutlichen Kontrast zu der zuvor dominierenden Kriegsangst stehe. Auch in den Feldpostbriefen August Jaspers an seine Frau finden sich Formulierungen, die den Erkenntnissen Fritsches entsprechen. Jasper selbst wird Zeuge, wie sehr der Krieg den Glauben des Einzelnen verändern kann:

„Er [Gott] ist doch bisher unser Schutz und Schirm gewesen, und darum werden wir ihn auch ferner bitten. Liebes Herz, wie mancher ist hier im Kriege doch schon zu einem kindlichen Gottvertrauen gekommen, der vorher an nichts glauben wollte.

[...]

Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/418

Weiterlesen

36. Das Romantische oder: Geschichte wiederholt sich doch nicht

Alles schon mal dagewesenRomantik

Vor kurzem wieder so ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt: Das kennst du doch irgendwoher, hätte ich mir denken können, wenn ich in dem Moment einen vollständigen Satz gedacht hätte. Aber wahrscheinlich kam nur so etwas heraus wie: Ach! Und wenn ich statt Ach! schon einen vollständigen Satz hätte denken können, dann hätte er weniger lauten sollen, dass ich das da irgendwoher kenne, sondern eher, dass ich es irgendwannher kenne. Aber für solche Verstiegenheiten war die Zeit zu knapp. Da war das Ach! einfach schneller.

Unangenehm ist vor allem, dass ich gar nicht mehr genau sagen kann, was mir da so bekannt vorkam. Liegt wohl daran, dass es seit geraumer Zeit so viele Gelegenheiten gibt, Altbekanntem oder vermeintlich längst Vergangenem wieder zu begegnen. Da war man sich zum Beispiel mal im späten 20. Jahrhundert sicher, dass man die ganze Sache mit dem Nationalismus überwunden hätte, bis genau dieser Nationalismus seit den 1990er Jahren wieder fröhliche Urständ feiert und in den letzten 25 Jahren auch keine Anstalten gemacht hat, wieder zu verschwinden. Dabei geht es nicht nur um nationalistisch motivierte, kriegerische Auseinandersetzungen, sondern viel eher noch um die offensichtliche Hoffähigkeit und Veralltäglichung nationalistischer Positionen auf verschiedenen Ebenen der politischen Meinungsbildung. Ob man sich den Aufstieg nationalpopulistischer Parteien in den Niederlanden, in Skandinavien, Ungarn, Frankreich, Deutschland und sonstwo ansieht oder die eingeforderte Selbstverständlichkeit betrachtet, mit der nicht wenige fordern, gegen so genannte Migranten und so genannte Ausländer hetzen zu dürfen („Wir sind keine Nazis, wir sind Bürger“!) – mulmig muss einem werden, wenn es nicht einmal mehr einer gehörigen Wirtschaftskrise bedarf, um solche Emotionen zu schüren.

Die Religion wird gleich mitgenommen. Auch wenn sich die Pegida-Bewegung in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft in einem doppelten Sinn müde gelaufen haben sollte, wird es ersatzweise sicherlich andere Komplexitätsreduzierer geben, denen die Dinge gar nicht einfach genug sein können. Und ‚das Abendland‘, das auch dann wieder verteidigt werden soll, muss natürlich ein irgendwie – also eher diffus – christliches sein, so dass man weiterhin den Krieg der Religionen und Konfessionen ausrufen kann, weil man ja auch in diesen Religionen eine irgendwie geartete Identitäts- und Stabilitätsgarantie zu entdecken vermag.

Aber es sind eben nicht nur die offensichtlichen Beispiele von Nation und Religion, die einem im vergangenen Vierteljahrhundert temporale Schwindelgefühle verursachen konnten, weil das alles schon mal dagewesen ist und eigentlich schon längst abgehakt war. Auch in anderen, politisch gänzlich unverfänglichen Zusammenhängen kann einem das eine oder andere bekannt vorkommen. So können aufmerksame Beobachter kulturwissenschaftlicher Diskussionen zum Beispiel feststellen, wie in den vergangenen Jahren zunehmend versucht wird, den überbordenden Verunsicherungen und Unwägbarkeiten neue/alte Grundlagen entgegenzusetzen. Da gerät die Frage nach dem Sein und der Ontologie unversehens zu einer neuen Blüte, da wird gegen alle möglichen Spielarten von Konstruktivismus die Unmittelbarkeit einer Präsenz hervorgehoben oder da wird gegen nervende Relativierungen ein „Neuer Realismus“ ausgerufen. [1] Generell war das Geschimpfe gegen alles, was man als „postmodern“ bezeichnen konnte, ja schon immer groß, nun kommt es aber zunehmend auch aus den Reihen derjenigen, von denen man bisher immer denken durfte, dass sie eigentlich zu diesen „Postmodernen“ dazu gehören. Das scheint nach dem Motto zu laufen, dass dieses ganze theoretische Herumexperimentieren ja ganz nett war, nun aber mal Schluss mit dem Quatsch sei, weil es jetzt wieder ernst werde: Kriege, Krisen, Katastrophen! [2]

Eine zweite Romantik

Natürlich ist klar, woher wir das alles schon kennen, dieses zunächst ironisch-experimentelle Herumspielen, das aber schon recht bald übergeht in die Suche nach dem Eigentlichen, dem Essentiellen, dem Wirklich-Wahren, dem eigentlich Unfassbaren, das so groß ist, dass man sich ihm einfach nur noch hingeben kann. Unabhängig davon, ob dieses Eigentliche, mit dem wir es da zu tun haben und das alles übersteigt, nun Nation, Religion, Geist, Gott, Wirklichkeit, Wahrheit oder sonstwie heißt – es widersetzt sich letztendlich allen Differenzierungen und Theoretisierungen und kann in seiner Großartigkeit nur noch hingenommen werden. Die Romantik hat all das schon einmal ähnlich durchgespielt. Und in der Tat sind die Parallelen fast schon unheimlich: Zunächst haben wir es mit einer theoretischen Bewegung zu tun, die es unternimmt, die Grundlagen der sicher geglaubten Welt zu erschüttern (dort Aufklärung, hier Postmoderne), sodann eine politische Revolution, die mit dieser Erschütterung tatsächlich ernst macht (dort Französische Revolution 1789, hier die europäischen Revolutionen 1989/90), gefolgt von der schwierigen und zähen Aufarbeitung all dessen, was da geschehen ist. In der anschließend entstandenen Verwirrung, ausgelöst durch den Verlust einst sicher geglaubter Wirklichkeitsparameter, wird nicht ausschließlich, aber doch ganz merklich der Versuch beobachtbar, verlorene Gewissheiten wiederzugewinnen. Dann macht es mit einem Mal Sinn, sich wieder auf die Religion zu kaprizieren, die Nation zu vergöttern, die Wahrheit wertzuschätzen oder die Einheit in der Wirklichkeit wieder zu entdecken, weil in all diesen Essentialismen das endlose Differenzieren und Relativieren endlich ein Ende findet.

Diese zeitlichen und inhaltlichen Parallelen sind so frappierend, dass man doch wohl mit Fug und Recht davon sprechen könnte, wir lebten in einer zweiten Romantik (nach der „Zweiten Moderne“ wäre das ja durchaus folgerichtig). Und wäre dem so, hätten wir zwei ganz wichtige Erkenntnisse gewonnen: Erstens hätten wir bestimmte historische Verlaufsformen, wenn nicht sogar eine grundlegende historische Gesetzmäßigkeit ausfindig gemacht. Und zweitens könnten wir dann auf dieser Basis sogar voraussagen, wie sich zumindest in groben Zügen der weitere Verlauf der Entwicklungen vollziehen wird. Heureka!

Alles noch gar nicht dagewesen

Aber nein, so ist es natürlich nicht. War nur ein Scherz. Die Rede von einer zweiten Romantik (oder einem zweiten Wasauchimmer) mag zwar auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, erweist sich aber schnell als Popanz. Also keine Sorge, die Geschichte wiederholt sich nicht. Sie tut es nicht nur nicht, weil es verboten oder argumentativ zu einfach wäre. Auch tut sie es nicht, weil um 1800 einige Aspekte eine eher geringe Rolle gespielt haben, die uns um 2000 wesentlich stärker betreffen, zum Beispiel die globalen Kommunikationszusammenhänge, in die wir eingebunden sind (während die erste Romantik schon ein sehr europäisches Phänomen war), oder die überbordend große Rolle ökonomischer Fragen, die im frühen 19. Jahrhundert bei weitem nicht so bedeutsam waren. Sie tut es vor allem nicht, weil ein solcher Blick, der sich auf die Wiederkehr bestimmter historischer Verlaufsmuster konzentriert, nur das sieht und betont, was er sehen will. Alles Unpassende wird beiseitegeschoben. Und die Verwandtschaft der Jahreszahlen zu betonen (1789-1989) übersieht entweder, dass dazwischen doch zwei Jahrhunderte Differenz liegen, oder hat sich noch nicht wirklich von der Macht kabbalistischer Zahlenmystik befreit. Dem kann man dann möglicherweise historische Prozesse auch dadurch erklären, dass man auf die Namensähnlichkeit von Staatschefs verweist: Lenin-Stalin-Putin!

Aber ein gewisses Muster gibt es natürlich trotzdem. Allerdings liegt das weniger in ‚der Geschichte‘ (was auch immer mit diesem vermeintlich alles erklärenden Gottersatz gemeint sein mag), sondern eher bei uns. In der Art und Weise, wie wir uns auf abwesende Zeiten beziehen, wie wir mit Vergangenheit und Zukunft als Orientierungshorizonten operieren, versuchen wir unsere eigene Gegenwart zu organisieren. Und auf Verunsicherungen, die aus einem empfundenen oder tatsächlichen Übermaß an Veränderungen resultieren, kann man unter anderem reagieren, indem man auf vermeintlich überzeitlich gültige Grundlagen rekurriert. Dann müssen mit einem Mal die seltsamsten Konstrukte herhalten, um den Irritationen des Konstruktivismus zu entgehen. Dann werden Nation und Religion (natürlich die jeweils ‚eigene‘) mit einem Mal ebenso bedeutsam wie die Unbestreitbarkeit der einen Wahrheit oder der einen und einzigen Wirklichkeit. Gab es jemals eine bessere Zeit für postmoderne Dekonstruktionsarbeiter als diese, in der man sich allenthalben nach neuen Konstrukten sehnt?

Damit hätten wir aber kein historisches Grundgesetz formuliert, sondern höchstens Einsichten in die allzu menschlichen Unzulänglichkeiten gewonnen. Dass Verunsicherungen und Turbulenzen nicht angenehm sind, lässt sich schon aus der Genesis lernen. Aus dem Paradies vertrieben zu werden, war offensichtlich nicht besonders angenehm. Und seither suchen zumindest manche Vertreter der Gattung Mensch den Weg dorthin zurück, in die geordneten, sorgenlosen und ewig gültigen Verhältnisse eines Paradieses, in dem irgendeine höhere Instanz dafür sorgt, dass alles bleibt, wie es ist. Aber dieses Paradies wäre die Hölle.

Die Romantik des Historischen

Dummerweise sind von solchen Phänomenen der Re-Romantisierung alle historischen Tätigkeitsfelder ganz besonders betroffen. Insofern ist es kein Zufall, dass man es seit den 1990er Jahren mit einem unübersehbaren Geschichts- und Erinnerungsboom zu tun hat, bei dem nicht nur alles und jedes historisiert wird, sondern bei dem vor allem ‚die Geschichte‘ mal wieder die versichernden Antworten auf all die verunsichernden Fragen zu geben hat. Insofern muss ich mir tatsächlich Sorgen machen über die anhaltende Attraktivität meines eigenen Arbeitsgebiets.

Daher heißt es gegensteuern. Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben sollten: Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat gerade nicht die Funktion, zur Orientierung und Identitätsbildung oder sonstigen Versicherungsmaßnahmen beizutragen. Das kann nur gelingen, wenn man nicht so genau hinsieht und das Gewesene als billiges Argumentationsarsenal missbraucht. Ganz im Gegenteil hat die Beschäftigung mit der Vergangenheit die Aufgabe, uns in unserer selbstverständlichen Bräsigkeit zu verunsichern, Alternativen aufzuzeigen, von denen wir noch nicht einmal wussten, dass sie existieren könnten, und das vermeintlich überzeitlich Gültige als zeitlich recht beschränkt vorzuführen. Und das gilt sowohl für die Suche nach unbezweifelbaren Grundlagen (schließlich muss man laut Wittgenstein an allem zweifeln – nur am Zweifel selbst nicht) wie auch für die Illusion von historischen Gesetzmäßigkeiten.

 

[1] Hans Ulrich Gumbrecht: Präsenz, Berlin 2012; Markus Gabriel (Hg.): Der Neue Realismus, Berlin 2014

[2] Dazu scheint zu passen, dass diese theoretischen Expermientierfelder gerade ihre eigene Historisierung erfahren: Ulrich Raulff: Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens, Stuttgart 2014; Philipp Felsch: Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960-1990, München 2015.


Einsortiert unter:Geschichtskultur, Geschichtspolitik, Zeit und Geschichte Tagged: Nation, Nostalgie, Postmoderne, Religion, Romantik, Wahrheit, Wirklichkeit

Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2015/03/26/36-das-romantische-oder-geschichte-wiederholt-sich-doch-nicht/

Weiterlesen

„‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun.‘ Doch!“ Oder?

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“

„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ zitierte der Focus vor kurzem auf seinem Titelbild. Das Zitat sollte dabei wohl eher eine allgemeine Grundhaltung ausdrücken, der gleichzeitig mit einem fetten roten „Doch!“ widersprochen wurde. Was soll denn nun eigentlich nichts mit dem Islam zu tun haben, oder eben doch? Das beantwortete der Focus anschaulich mit der Abbildung eines Maschinengewehrs: Die Gewalt natürlich, der Krieg und der Terror.

Es ist eine Debatte im Gange, die deutlich größer ist als der provokative Titel des Focus. Norbert Lammert sagt dazu: „Die gutgemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr“. Aber er sagt auch: „… ebenso wenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht und die Hexenverbrennung natürlich auch nicht.“

Das Anliegen, Gewalt und Islam trennen zu wollen, ist erst einmal nachvollziehbar: Wenn Gewalt und Terror mit dem Islam zu tun hätten, wären dann nicht auch die Muslime verdächtig, die sich nicht gewalttätig verhalten? Die Aussage, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, entspringt damit der gleichen Idee, die Islam und Islamismus unterscheidet: Gegen den Islam an sich hat man nichts, nur der Islamismus als politisierter, gewalttätiger Auswuchs des Islam ist ein Problem.

Die Idee ist nachvollziehbar, aber kann ich als Religionswissenschaftler sie unterschreiben? Wenn ich das nicht kann, ihr sogar widerspreche, befeuere ich damit nicht die Positionen derer, die den Islam für inkompatibel mit der westlichen Demokratie halten? Würde ich das wiederum wollen?

Das Problem liegt dabei in dem – häufig unausgesprochenen – „an sich“. Was ist denn der Islam an sich, der mit Gewalt nichts zu tun hat? Oder der Islam an sich, der mit Demokratie unvereinbar ist? Hinter beiden Gedanken steckt die Idee eines unveränderlichen Wesenskerns der unterschiedlichen Religionen. Leider ist diese Idee auch in der Religionswissenschaft nicht unbekannt, wenn man etwa Max Webers Ausführungen zu den Weltreligionen liest, nach denen der Buddhismus die Religion „weltablehnende[r] Bettelmönche“, der Islam aber die Religion „welterobernder Krieger“ war.1

Wenn der Islam also in seinem Wesen kriegerisch wäre, dann könnte  er nur oberflächlich gegen seine Natur befriedet werden. Wenn er aber seinem Wesen nach friedlich wäre – und auch dafür gibt es ja Stimmen –, dann wäre die Gewalt der Islamisten gegen seine Natur, und damit ein Missbrauch der Religion für politische Zwecke.

Nun ist das mit der Natur einer Religion an sich so eine Sache: Clifford Geertz zum Beispiel hat den Islam in Indonesien und Marokko studiert, und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass die Religion zugleich die größte Gemeinsamkeit der beiden Länder ist und ihr größter Unterschied – so verschieden ist der Islam, den er vorgefunden hat.2 Für Geertz ist Religion ein soziales, kulturelles und psychologischen Phänomen.3Den Islam an sich gibt es nicht, es gibt nur das, was Menschen daraus machen. Der Islam ist sowohl gewalttätig als auch friedlich, ebenso wie das Christentum. Das Christentum ist sowohl Jorge Mario Bergoglio als auch Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Hinduismus ist sowohl Lal Krishna Advani als auch Mohandas Karamchand Gandhi.

Aus diesem Grund kann ich als Religionswissenschaftler auch nicht sagen, dass Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dem Islam von Saïd und Chérif Kouachi hat sie schon etwas zu tun. Aber ebenso kann Ahmad Mansour feststellen: „Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger …“4

Als Religionswissenschaftler bringt mich das gelegentlich in eine schwierige Lage. Wenn jemand sagt: „Ich weiß, das hat mit dem Islam nichts zu tun“, dann müsste ich widersprechen. Im besten Falle könnte man zu einer Debatte kommen, welche historischen und sozialen Gründe dazu geführt haben, das in bestimmten Regionen und bestimmten Milieus ein Islam entstanden ist, zu dem Gewalt und Krieg eben doch gehören. Denn es ist ja richtig, dass darüber diskutiert werden muss. Und auch darüber, ob es Traditionen im Islam gibt, die militante Strömungen vielleicht nicht aktiv fördern, aber doch dulden. Im besten Falle würde man darüber ins Gespräch kommen. Aber im schlimmsten Fall bleibt nur der viel einfachere Gedanke zurück, dass die Gewalt eben doch etwas mit dem Islam zu tun hat. Und deshalb schweige ich manchmal.

fe

  1. Weber, Max: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung“, Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 19, Tübingen: Mohr Siebeck 1989, S. 83–127, hier S. 86f.
  2. Geertz, Clifford: Islam Observed: Religious Development in Morocco and Indonesia, University of Chicago Press 1971, S. 4.
  3. Ebd., S. viii.
  4. Mansour, Ahmad: „Jetzt mal unter uns“, Der Spiegel 4 (2015), S. 132–135, hier S. 135.

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/101

Weiterlesen

„‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun.‘ Doch!“ Oder?

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“

„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“

„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ zitierte der Focus vor kurzem auf seinem Titelbild. Das Zitat sollte dabei wohl eher eine allgemeine Grundhaltung ausdrücken, der gleichzeitig mit einem fetten roten „Doch!“ widersprochen wurde. Was soll denn nun eigentlich nichts mit dem Islam zu tun haben, oder eben doch? Das beantwortete der Focus anschaulich mit der Abbildung eines Maschinengewehrs: Die Gewalt natürlich, der Krieg und der Terror.

Es ist eine Debatte im Gange, die deutlich größer ist als der provokative Titel des Focus. Norbert Lammert sagt dazu: „Die gutgemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr“. Aber er sagt auch: „… ebenso wenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht und die Hexenverbrennung natürlich auch nicht.“

Das Anliegen, Gewalt und Islam trennen zu wollen, ist erst einmal nachvollziehbar: Wenn Gewalt und Terror mit dem Islam zu tun hätten, wären dann nicht auch die Muslime verdächtig, die sich nicht gewalttätig verhalten? Die Aussage, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, entspringt damit der gleichen Idee, die Islam und Islamismus unterscheidet: Gegen den Islam an sich hat man nichts, nur der Islamismus als politisierter, gewalttätiger Auswuchs des Islam ist ein Problem.

Die Idee ist nachvollziehbar, aber kann ich als Religionswissenschaftler sie unterschreiben? Wenn ich das nicht kann, ihr sogar widerspreche, befeuere ich damit nicht die Positionen derer, die den Islam für inkompatibel mit der westlichen Demokratie halten? Würde ich das wiederum wollen?

Das Problem liegt dabei in dem – häufig unausgesprochenen – „an sich“. Was ist denn der Islam an sich, der mit Gewalt nichts zu tun hat? Oder der Islam an sich, der mit Demokratie unvereinbar ist? Hinter beiden Gedanken steckt die Idee eines unveränderlichen Wesenskerns der unterschiedlichen Religionen. Leider ist diese Idee auch in der Religionswissenschaft nicht unbekannt, wenn man etwa Max Webers Ausführungen zu den Weltreligionen liest, nach denen der Buddhismus die Religion „weltablehnende[r] Bettelmönche“, der Islam aber die Religion „welterobernder Krieger“ war.1

Wenn der Islam also in seinem Wesen kriegerisch wäre, dann könnte  er nur oberflächlich gegen seine Natur befriedet werden. Wenn er aber seinem Wesen nach friedlich wäre – und auch dafür gibt es ja Stimmen –, dann wäre die Gewalt der Islamisten gegen seine Natur, und damit ein Missbrauch der Religion für politische Zwecke.

Nun ist das mit der Natur einer Religion an sich so eine Sache: Clifford Geertz zum Beispiel hat den Islam in Indonesien und Marokko studiert, und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass die Religion zugleich die größte Gemeinsamkeit der beiden Länder ist und ihr größter Unterschied – so verschieden ist der Islam, den er vorgefunden hat.2 Für Geertz ist Religion ein soziales, kulturelles und psychologischen Phänomen.3Den Islam an sich gibt es nicht, es gibt nur das, was Menschen daraus machen. Der Islam ist sowohl gewalttätig als auch friedlich, ebenso wie das Christentum. Das Christentum ist sowohl Jorge Mario Bergoglio als auch Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Hinduismus ist sowohl Lal Krishna Advani als auch Mohandas Karamchand Gandhi.

Aus diesem Grund kann ich als Religionswissenschaftler auch nicht sagen, dass Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dem Islam von Saïd und Chérif Kouachi hat sie schon etwas zu tun. Aber ebenso kann Ahmad Mansour feststellen: „Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger …“4

Als Religionswissenschaftler bringt mich das gelegentlich in eine schwierige Lage. Wenn jemand sagt: „Ich weiß, das hat mit dem Islam nichts zu tun“, dann müsste ich widersprechen. Im besten Falle könnte man zu einer Debatte kommen, welche historischen und sozialen Gründe dazu geführt haben, das in bestimmten Regionen und bestimmten Milieus ein Islam entstanden ist, zu dem Gewalt und Krieg eben doch gehören. Denn es ist ja richtig, dass darüber diskutiert werden muss. Und auch darüber, ob es Traditionen im Islam gibt, die militante Strömungen vielleicht nicht aktiv fördern, aber doch dulden. Im besten Falle würde man darüber ins Gespräch kommen. Aber im schlimmsten Fall bleibt nur der viel einfachere Gedanke zurück, dass die Gewalt eben doch etwas mit dem Islam zu tun hat. Und deshalb schweige ich manchmal.

fe

  1. Weber, Max: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung“, Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 19, Tübingen: Mohr Siebeck 1989, S. 83–127, hier S. 86f.
  2. Geertz, Clifford: Islam Observed: Religious Development in Morocco and Indonesia, University of Chicago Press 1971, S. 4.
  3. Ebd., S. viii.
  4. Mansour, Ahmad: „Jetzt mal unter uns“, Der Spiegel 4 (2015), S. 132–135, hier S. 135.

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/101

Weiterlesen

Religionen, Vorurteile und Gewalt

Die empirische Religionsforschung hat bereits einen umfangreichen Wissenskanon zusammengetragen, mit dem sie die Zusammenhänge zwischen Religionen und diskriminierendem Verhalten beschreibt. Das zeigen die folgenden Schlaglichter.

  • Gewalt ist ein wesentliches Element in den Inhalten aller Religionen, so lautet eine provokante These von Hans G. Kippenberg, die er kenntnisreich empirisch begründet. Sie zeigt eine andere Facette an Religionen auf als Hans Küngs Projekt Weltethos, das das Potential für ein friedliches Miteinander gerade in den Religionen sucht.
  • Religiöser Fundamentalismus sei in einer patriarchalen Protestbewegung der Mittelschicht begründet, die sich von gesellschaftlichen Umbrüchen bedroht sieht, ist Martin Riesebrodts Erklärung für Phänomene wie die Iranische Revolution in den 1970er Jahren aber auch den christlichen Evangelikalismus weltweit.
  • Die umfangreiche Vorurteilsforschung in Soziologie und Sozialpsychologie findet soziale Ursachen, die zum Teil spezifische Zusammenhänge aufzeigen. So konnten John Duckitt und Chris G. Sibley zeigen, dass sich Islamophobie (oder anti-muslimische Einstellungen) und Antisemitismus (oder anti-jüdische Haltungen) unterschiedlich begründen lassen: Während Muslime eher von Menschen mit mehr Autoritätshörigkeit, Aggressivität und konservativen Einstellungen (rechtsgerichteter Autoritarismus) diskriminiert werden, begründet sich eine negative Einstellung gegenüber Juden eher in der Vorstellung, dass es in Gesellschaften überlegene und unterlegene Gruppen geben müsse (Soziale Dominanzorientierung).
    Diese mehr psychologisch-individuelle Perspektive lässt sich ergänzen um die soziologische Perspektive im Projekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer. Hier wird vor allem im Zusammenhang mit der Theorie der Sozialen Identität (Social Identity Theory von Henri Tajfel und John Turner) argumentiert, dass die eigene Gruppe bevorzugt und die als fremd wahrgenommene Gruppe negativ bewertet und diskriminiert wird – insbesondere in Situationen oder Zeiten, die als bedrohlich oder krisenhaft erlebt werden.

Damit sind zumindest notwendige Bedingungen bekannt, die die Grundlage für Vorurteile und diskriminierendes Verhalten bis hin zu tödlichen Eskalationen in interreligiösen Konflikten bilden. Leider bieten sie nicht für den Einzelfall oder extreme Ausnahmen wie terroristische Anschläge eine hinreichende Erklärung. Dennoch können Wissenschaftler dazu Vorschläge machen, wie die gesellschaftlichen und individuellen Voraussetzungen für Vorurteile und diskriminierendes Verhalten verringert werden können.

  • Die Analyse des Ethnologen Günther Schlee zur Entstehung interreligiöser (und interethnischer) Konflikte legt allerdings den Schwerpunkt darauf, dass es immer auch sogenannte „Ausweichstellen“ gibt, die nach dem Höhepunkt eines Konfliktes deeskalierend wirken. In diesem Sinne beschreibt auch Peter Schalk, dass für konkrete ideologische aber auch ethische Konfliktfälle in den jeweiligen Religionen Argumente für die Position des anderen entdeckt werden können und gleichzeitig der eigene Wahrheitsexklusivismus aufrecht erhalten werden kann.

Ein mehr praxisbezogenes Forschungsfeld der Religionsforschung wird vor allem von der sogenannten Praktischen Religionswissenschaft im Zusammenhang mit theologischen Debatten um einen interreligiösen Dialog bearbeitet. Allerdings wäre es auch möglich, nicht nur von der Innenperspektive sondern auch von religiös-distanzierter Perspektive Vorschläge zu machen. Diese würden sich dann weniger auf innerreligiöse inhaltliche und theologische Themen beziehen.

  • So gäbe es herauszufinden, wie die Offenheit gegenüber anderen Religionen gelernt werden kann, ohne dass jemand notwendig interreligiöse Haltungen vertreten oder überhaupt religiös sein muss.
  • Wie können positive Erfahrungen mit Menschen anderer religiöser Gruppen organisiert und gefördert werden – vielleicht nicht unbedingt in religiösen Zusammenhängen?
  • Was muss man über die (anderen) Religionen wissen, um einander respektvoll und trotzdem gern kritisch begegnen zu können?

Besonders fruchtbar scheint mir ein Ansatz, der sowohl die kritische religionswissenschaftliche Perspektive zulässt, aber auch offen für inhaltliche Aspekte des Religiösen ist.
Dem umfangreichen Forschungsstand zur Erklärung von negativen Vorurteilen steht fast gar keine Forschung zu positiven Vorurteilen oder fruchtbaren Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Religionen gegenüber. Wie insbesondere Xenosophie (positive Vorurteile und konstruktive Begegnungen) neben Xenophobie gefördert werden kann, erforschen wir gerade in einem Projekt in der Arbeitsgemeinschaft Empirische Religionsforschung (AGER) in Bern.
Ob mit praxisorientierten Forschungsfragen religiös begründete und extreme Gewalt verhindert wird, bleibt offen. Doch sie können Anstöße dafür geben, wie die alltäglichen Feindseligkeiten und Ängste, die der Nährboden für Schlimmeres sind, gemildert werden können.

aks

Literatur
John Duckitt und Chris G. Sibley (2007).Right wing authoritarianism, social dominance orientation and the dimensions of generalized prejudice. European Journal of Personality 21 (2), 113-130.
Wilhelm Heitmeyer (Hg.) (2002) Deutsche Zustände. Folge 1. Berlin: Suhrkamp. (erschienen sind jährlich Sammelbände unter dem Titel „Deutsche Zustände“ bis Folge 10 im Jahr 2011).
Hans G. Kippenberg (2008). Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Hans Küng (1990). Projekt Weltethos. München: Piper.
Michael Klöcker und Udo Tworuschka (2008). Praktische Religionswissenschaft. Ein Handbuch für Studium und Beruf. Köln: Böhlau.
Martin Riesebrodt (2001). Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der "Kampf der Kulturen".München: C.H. Beck.
Peter Schalk (2009). Ist Konvivenz zwischen Religionen möglich? In Thomas Hase, Johannes Graul, Katharina Neef und Judith Zimmermann (Hg.): Mauss, Buddhismus, Devianz. Festschrift für Heinz Mürmel zum 65. Geburtstag. Marburg: Diagonal Verlag, 451-467.
Günther Schlee (2006). Wie Feindbilder entstehen. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte. München: C.H. Beck.
Zu Tajfel & Turner und weiteren sozialpsychologischen Studie siehe für einen Überblick hier: Dominic Abrams und Michael A. Hogg (2010). Social Identity and Social-Categorization. In John F. Dovidio, Miles Hewstone, Peter Glick and Victoria M. Esses (Hg.) The SAGE handbook of prejudice, stereotyping and discrimination. London: SAGE, 179-193.

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/89

Weiterlesen

God-Porn oder: Vom Jesuskind im Trikot und übermenschlichem Muskelspiel

Die Diffusion religiöser Elemente in die Populärkultur ist in den letzten Jahren bereits thematisiert worden (vgl. Knoblauch 2009). Religiöse Events werden medial überformt, religiöse Narrative in populärkultureller Gestalt an anderer Stelle aufgegriffen – in Diskussionen über Leben und Tod, aber auch materiell manifestiert. Wir kennen Buddha-Statuen in Einrichtungshäusern, Yin-und-Yang-Symbole in Wellness-Anstalten und Engelsflügel als Kettenanhänger.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

Ganz allgemein lassen sich diese Übernahmen vielleicht als Verweis auf das Faszinosum Religion deuten. Letztere ist noch präsent im kulturellen Gedächtnis, ihre Bilder und Begriffe rufen Assoziationen hervor – aber sie hat für viele ihre Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit verloren. Religiöse Symbole taugen deshalb als faszinierendes, geheimnisvolles, und damit oft attraktives und schmückendes Lifestyle-Accessoire für Einrichtung, Kleidung, Körperschmuck. (Damit ist übrigens, erstens, kein dystopischer Unterton verbunden. Zweitens ist damit nicht impliziert, dass es sich hier um einen Transfer von genuin religiöser Gedankenwelt in eine genuin nicht-religiöse Umwelt handele: Hier soll beides als stetig untrennbar verbunden begriffen werden und zudem das, was hier als „religiös“ benannt wird, nur als diskursiv im Feld der Religion verortbar verstanden.)

Trotzdem ist dieses Thema noch erstaunlich wenig systematisch unerforscht. Vielleicht auch, weil es umfangreiche Kautelen – wie in der vorangegangenen Klammerbemerkung nur kurz angerissen – mit sich bringt. Ich werde dennoch später darauf eingehen, warum es eine fruchtbare Perspektive kulturwissenschaftlicher Religionsforschung sein kann. Zunächst möchte ich dafür aber ein einschlägiges Beispiel vorstellen.

Über 5 Minuten ist der Werbespot „The Game before the Game“ lang, der für die Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer produziert wurde, mit einem riesigen Staraufgebot (von Neymar Jr. über Schweinsteiger zu Suarez und van Persie, aber auch VIPs anderer Provenienz wie LeBron James, Serena Williams, Lil' Wayne oder Nicky Minaj) aufwartet und, das nur am Rande, für Kopfhörer der Marke „Beats by Dr. Dre“ wirbt. Der Clip ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Und: Fußball wird in ihm ganz fest mit Religion vernäht. (Das ist auch insofern spannend, als dass er die üblichen „Fußball-als-Religion“-Debatten deutlich in den Hintergrund verweist, indem er klare visuelle und narrative Referenzen auch auf „traditionelle Religionen“ bietet.) Schaut euch den Clip hier an:

Meines Erachtens spielen religiöse Elemente hier auf drei Ebenen eine eminente Rolle: In einer christlich geprägten Rahmenerzählung, in einer ritualgeprägten Visualität, und in der Stilisierung der Fußballspieler zu einem neuen griechischen Götterpantheon.

  • Zur Rahmenerzählung: Neymar Jr., einer der Helden dieses Clips (und tragischer Held der folgenden WM) telefoniert vor dem Eröffnungsspiel mit seinem Vater. Dieser ermahnt ihn, zu rennen wie niemals zuvor, glücklich zu sein, sich nicht zurückzuhalten, keine Hemmungen zu haben. Am Ende des Clips folgt den Ratschlägen die Ermutigung, während Neymar als dunkle Gestalt auf einen hellen Durchgang zusteuert: „Put God's army in front of you. Wear Gods armour from the helmet to the sandals. Go with God. God bless you.“ - Vermutlich ein Verweis auf Epheser 6.11-18: Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr zu bestehen vermöget wider die Listen des Teufels. […] beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens [...] Nehmet auch den Helm des Heils“. Wie auch immer, die Einbettung in christliche Tradition ist deutlich und passt zu Neymars eigenen Überzeugungen, soweit sie der Öffentlichkeit bekannt sind.
  • Zur ritualgeprägten Visualität: „The Game before the Game“ lautet der Titel des Clips, und es geht demzufolge um die Vorbereitung aller Beteiligten – Spieler, Fans, Reporter – auf das Fußballspiel. Diese Vorbereitungen bestehen geradezu ausschließlich darin, Rituale durchzuführen und Glücksbringer zu aktivieren. Neben einigen Bezügen auf die Nation – Fahnen schwenken und schminken, die Unterwäsche oder den Nagellack in Landesfarben wählen – finden sich eine Vielzahl religiöser Referenzen: ein Hausaltar mit Jesuskind in Fußballtrikot, ein Ritual mit möglicherweise amazonas-indianischen Bezügen (Hinweise werden gern genommen, gemeint ist die Sequenz bei 3:50), das Versenken im Gebet und viele kleinere beschwörende und rituelle Handlungen wie das Anbringen von Glücksbringern bei Fans ebenso wie Fußballern. Stetiger Bezugspunkt ist auch hier, dem Titel des Clips gemäß, die optimale Vorbereitung auf das Spiel: Alle Register werden gezogen, um Gott und Glück auf die jeweils eigene Seite zu schlagen.
"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY_NC_SA.

"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY-NC-SA.

  • Zur Stilisierung der Fußballer: Im Gegensatz zu den anderen Ebenen ist diese deutlich weniger explizit, sie drängt sich nur bei einem Blick auf abstrakterer Inszenierungsstrategien auf. Markant ist aber gleich der Beginn – ein Schelm, wer Böses (d.h. hier: Riefenstahlsches) dabei denkt: Mit Neymar Jr. fliegen wir über Meer und Land, durch die Wolken herab in die Niederungen der jubelnden Menge, die uns frenetisch begrüßt. Und im Folgenden ist körperbetonende Heldenhaftigkeit die Leitlinie der Darstellung: Die Beherrschung des Balles, lässige Gänge durch die Flure, von hinten betrachtet, vor allem aber Körperlichkeit bis hin zu deutlicher Erotisierung durchziehen das Video. Viel Nacktheit, Muskelspiel, Tattoos, Schweiß und die rituell-feiernde Pflege des männlichen Körpers, all dies macht den Fußballer zu einem sexualisiertem Helden. Die einsame Inszenierung – nie geht es um eine Mannschaft, nie sind mehrere Fußballer gleichzeitig zu sehen – das Kämpfen, das Beherrschen besonderer Fähigkeiten, das frenetische Gefeiertwerden, die Verehrung durch die (auch weiblichen) Fans, die Bilder ihrer Helden austauschen, sich am Körperbefestigen, für sie ihren Körper verändern (bis hin zur Tätowierung), es macht sie zu angebeteten, übermenschlichen, halbgotthaften Gestalten und Heilsträgern.

Zum Clip könnte noch viel mehr gesagt werden. Etwa zur Musik, die immer wieder die Zeile „Ain't no God in these streets/in the heart of the jungle“ wiederholt. Zum Bezug zum Titel, „The Game before the Game“, oder zu den fast vergessenen Kopfhörern. Hier aber stattdessen zurück zu religiösen Elementen in populärer Kultur: Die sind im geschilderten Beispiel auf verschiedenen Ebenen zu finden, und greifen dort jeweils auf unterschiedlichste Traditionsbestände zurück. Diese Bricolage begünstigt auch die Freiheit, gleichermaßen visuelle Marker wie Rollen- und weitere Referenzen zu verbinden und macht die Vielfalt möglicher Verweise nachdrücklich deutlich.

Warum nun diese Betrachtung? Sicher lässt sich nichts über die Wirkung sagen – ob durchschnittliche Betrachter*innen angesichts des Clips religiös musikalisch werden, ist zweifelhaft. Ebenso lässt sich über produzentenseitige Intentionen nur spekulieren. Einzig möglich ist daher so etwas wie eine Diskursanalyse religiöser Narrative. Was nutzt dies, über den unterhaltsamen Einzelfall hinaus? Der Aufgriff und die Adaption religiöser Narrative jenseits dessen, was gemeinhin als das eigentliche religiöse Feld verstanden wird, lässt Rückschlüsse zu auf das, was an Religion mit Blick auf breite gesellschaftliche Schichten als attraktiv verstanden wird. Oder besser: auf die Schnittmenge von Religion und gegenwärtig Interessantem, Reizvollem, Erstrebenswertem. Das individuell ermutigende traditioneller religiöser Botschaften und die magischen Werkzeuge, mit denen sich ein Geschick steuern lässt, so lässt sich dem Clip entnehmen, sind populärkulturell anschlussfähige Faszinosi. Religion als Werkzeug und als Entlastung, das könnten demnach zwei größere Themen sein, die sich weiterverfolgen ließen, wenn es um den Aufgriff religiöser Narrative in Narrationen der Populärkultur geht. Ein weitere Thema ist die Attraktivität übermenschlicher Lichtgestalten, die das leisten, was wir nicht können – attraktiv in doppeltem Wortsinne, denn angesichts der Figuren wird deutlich, wie sehr die Halbgötter menschlichen Schönheits- und Sexualitätsvorstellungen unterworfen sind. All dies gibt zunächst Aufschluss über Gesellschaft, nicht über religiöse Traditionen im klassischen Sinne. Eine Sprachfähigkeit hierzu steht aber auch Religionswissenschaftler*innen nicht schlecht zu Gesicht. Und davon ausgehend, dass wechselseitige Beeinflussungen an der Tagesordnung sind, oder aber sich Gesellschaft und Religion überhaupt nicht voneinander scheiden lassen, ist die Untersuchung solcher Adaptionsprozesse umso wichtiger für gegenwärtige Religionsforschung.

an

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/53

Weiterlesen

Kulturgeschichte und chinesische Medizin


"Die Tradition der Chinesen dürfte in der ganzen Welt ohne Beispiel sein, den berühmtesten Ärzten in den größeren Städten des Landes überall Tempel zu erbauen, um die Erinnerung an sie wachzuhalten und sie zu verehren. In diesen "Tempeln der Medizinkönige" sind ihre Namen auf Tafeln verzeichnet, und die Menschen gingen bis zu Anfang dieses [d.i., des 20.] Jahrhunderts in die Hallen und brachten den Geistern der Ärzte Opfergaben." (yaowangmiao [藥王廟])[1]

Dieser Satz aus Manfred Porkerts Die chinesische Medizin regt dazu an, sich mit den kulturgeschichtlichen Aspekten der traditionellen chinesischen Medizin zu beschäftigen[2].

Vor allem die Verehrung des angeblich von 581 bis 682 lebenden Arztes Sun Simiao 孫思邈[3] scheint alle Dynastiewechsel des kaiserlichen China sowie alle Umbrüche des 20. Jahrhunderts überdauert zu haben.  Während der Qing-Dynastie (1644-1912) wurde Suns angebliche Heimatstadt in Yaowang Shan 藥王山 (d. i. "Medizinkönig-Berg") umbenannt [4]  Nach wie vor wird Sun Simiao beispielsweise in dem im Süden Beijings liegenden Baiyun Si  白雲寺 ("Tempel der Weißen Wolke") verehrt.[5]

Neben dem hier exemplarisch genannten (volks)religiösen Aspekt bieten sich für weitere Betrachtungen von "Wechselwirkungen" zwischen Medizin und Kulturgeschichte in erster Linie wohl die Bereiche Bildung/Buchdruck und Ernährung an. Da man von einer einführenden Darstellung zur Kulturgeschichte Chinas nicht unbedingt ein Kapitel über die traditionelle Medizin erwarten sollte, werden die "medizinischen" Aspekte wohl bei den genannten Bereichen in die Darstellung einfließen.

 

  1. Manfred Porkert: Die chinesische Medizin (Düsseldorf, 2. Aufl. 1989) 287.
  2. Zu berühmten chinesischen Ärzten vgl. die sehr kurzen biographischen Angaben unter "Famous Chinese Physicians of the Past" auf den Seiten des Institute for Traditional Medicine, Portland, Oregon
  3. Zu Leben und "Nachleben" Suns vgl. Paul U. Unschuld: "Der chinesische "Arzneikönig" Sun Simiao. Geschichte - Legende - Ikonographie. Zur Plausibilität naturkundlicher und übernatürlicher Erklärungsmodelle." In: Monumenta Serica 42 (1994) 217-257.
  4. Vgl. dazu Iiyama Tomoyasu, Macabe Keliher (trans.): "Maintaining Gods in Medieval China: Temple Worship and Local Governance in North China under the Jin and Yuan" In: Journal of Song-Yuan Studies 40 (2010) 79 Anm. 11. Anm. d. Übers.
  5. Vgl. etwa Volker Scheid: Chinese Medicine in Contemporary China. Plurality and Synthesis (Durham 2002) 17.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1512

Weiterlesen

Kulturgeschichte Chinas im Netz (VIII): Tradition and Transformation of China

Die Seite Tradition and transformation of China, die im Herbst 2007 einen gleichnamigen Kurs[1]  an der Harvard University begleitete, bietet im Bereich “educational tools” neben einer allgemeinen Zeittafel zur Geschichte Chinas (Zeitraum: 5000 v. Chr.  bis 1989) auch Karten zur Topographie, zu den Verwaltungseinheiten, zur historischen Entwicklung Chinas und zu den “cultural regions” des Landes.

Zu Informationen über die einzelnen “cultural regions” gelangt man über den Menüpunkt “Cultural China”. Unter “Tutorials” finden sich dann mehrere Module zu ausgewählten Aspekten der chinesischen Kultur(geschichte), so etwa zu Architektur, Musik, Schrift und Chinoiserie, aber auch zum Leben der Gelehrten im kaiserlichen China (u.a. mit Kurzinformationen zur Geschichte des Schachspiels).

Die “Slide Shows (themed collections of images)” bieten eine Fülle von Bildmaterial zu den früh- und spätneolitischen Kulturen auf dem Gebiet des heutigen China. Einblicke in die verschiedenen Bronzegefäß-Typen des vorkaiserlichen China werden ebenso geboten wie auch Eindrücke von den Terrakotta-Figuren aus der Grabanlage des Ersten Kaisers. Auf einen zeitlich übergreifenden Abschnitt “Rituale” folgt eine Slide-Show zum Buddhismus in der Oase Dunhuang und zum Lotus-Sutra. – Darstellungen von Frauen aus der Zeit der Tang-Dynastie, eine Bildrolle aus der Yuan-Dynastie, Marionetten eines Schattentheaters, die “Schlachtenbilder” über Eroberung innerasiatischer Gebiete durch die Qing-Kaiser, städtisches Leben im frühen 20. Jahrhundert und Propagandakunst spannen den Bogen bis in die jüngere Vergangenheit.

Die ersten sieben Teile dieser Serie:

Kulturgeschichte Chinas im Netz (I)
Kulturgeschichte Chinas im Netz (II)
Kulturgeschichte Chinas im Netz (III)
Kulturgeschichte Chinas im Netz (IV): Vier Jahre “Bibliotheca Sinica 2.0.”
Kulturgeschichte Chinas im Netz (V): Die “Stanford Encyclopaedia of Philosophy”
Kulturgeschichte Chinas im Netz (VI): Das China Online Museum
Kulturgeschichte Chinas im Netz (VII): The Chinese Experience

  1. Peter Bol, Henrietta Harrison: Tradition and Transformation in China. – Für ein ähnliches Beispiel

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1434

Weiterlesen

Buddhas Fußsohlen

An zahlreichen buddhistischen Stätten finden sich Darstellungen der Fußsohlen Buddhas (fozushi 佛足石1 beziehungsweise foji 佛跡, i.e. “Buddha-Spur”).2

Im indisch beeinflußten Kulturraum ist die Spur oder der Abdruck von Buddhas Fuß seit alter Zeit ein wichtiges Symbol, das stellvertretend für Buddha selbst steht. In seiner Fußspur bleibt Buddha den Gläubigen wie in einer Reliquie gegenwärtig, während er ansonsten in das Nirwana, in das “Erlöschen”, eingegangen ist. In diesem kann er nicht mehr angerufen werden. Eine ähnliche Ikonographie des zurückbleibenden Fußabdruckes findet sich auch in der mittelalterlichen, christlichen Kunst bei der Darstellung der Himmelfahrt Christi.3

Traditionellen Auffassungen zufolge gelten “kreisförmige Abbilder des ‘Rades der Lehre’” auf den Fußsohlen als eines der 32 Merkmale eines Buddha (sanshi’er (da ren) xiang 三十二(大人) 相).4 Genauer gesagt sind es “die beiden Räder unter den Fußsohlen” (fozu xia er lun 佛足下二輪).5

Buddhas Fußabdrücke - Schautafel im Fünf-Pagoden-Tempel, Beijing - Foto: Georg Lehner

Buddhas Fußabdrücke – Schautafel im Fünf-Pagoden-Tempel, Beijing – Foto: Georg Lehner

Beim Besuch des Pekinger Wuta Si 五塔寺 (d. i. “Fünf-Pagoden-Tempel”) – eigentlich Da Zhenjue Si 大真覺寺 (“Tempel des Großen Erwachens”) – fiel mein Blick im Ausstellungsraum ganz zufällig auf eine  Schautafel mit den Fußabdrücken des Buddha. Das entsprechende Relief an der Südseite der zentralen Pagode konnte ich allerdings nicht ausmachen …

Buddha's feet at Zhenjue Temple

Buddha’s feet at Zhenjue Temple. By Yongxinge (Own work) [CC-BY-SA-3.0 or GFDL)], via Wikimedia Commons

  1. Vgl. dazu den Artikel “Bussokuseki 佛足石” In:  Hôbôgirin. Dictionnaire encyclopédique du Bouddhisme d’après les sources chinoises et japonaises, 2. u. 3. Faszikel (1930, 1937) S. 187-190; zu Beispielen aus China vgl. S. 189. – Vgl. ferner Siegbert Hummel: “Die Fussspur des Gautama-Buddha auf dem Wu-t’ai-shan.” Asiatische Studien 25 (1971) 389-406. [Digitalisat bei retro.seals.ch.
  2. Vgl. dazu Heinrich Hackmann: Erklärendes Wörterbuch des chinesischen Buddhismus. Chinesisch-Sanskrit-Deutsch; aus dem handschriftlichen Nachlass überarbeitet von Johannes Nobel, Leiden, o. J., 4. Lieferung, S. 196, Art. "Fo chi": "'Fusspur [!] des Buddha. Wiedergabe von Skr. śripāda. Name der seit alter Zeit [...] verehrten Darstellung des Fussabdruckes des Buddha, die meistens in 108 Felder (mit allerlei buddhistischen Symbolen eingeteilt ist [...],”
  3. U. Wiesner/T. Nagel: Der Kosmos auf großem Fuß. Museen Köln: Bild der 16. Woche, 19. bis 25. April 2010. Vgl. auch The British Museum: Limestone panel depicting the Buddhapada.
  4. Vgl. Bernhard Scheid: Religion in Japan. Die 32 Merkmale eines Buddha.
  5. Franz Josef Meier: Die Mythologie des chinesischen Buddhismus. In: Egidius Schmalzriedt, Hans Wilhelm Haussig (Hg.): Götter und Mythen Ostasiens (Wörterbuch der Mythologie. 1. Abt., Bd. 6; Stuttgart 1994) 510 f. (Art. “Buddhas Fußsohlen”) und ebd., 611 (Art. “Merkmale, Die 32 (des Großen Menschen)”.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1341

Weiterlesen

Das Opfergelände für die Götter des Bodens und der Feldfrüchte (Shejitan 社稷墰)

Gemeinsam mit den Opfern für Himmel, Erde und die kaiserlichen Ahnen zählten die Opfer für die Götter des Landes und der Feldfrüchte (sheji 社稷, eigentlich: “die Götter des Erdbodens und die der Hirse”)[1] zur Gruppe der “großen Opferrituale” im Rahmen des konfuzianischen “Staatskults”. Auf dem dafür vorgesehenen Opfergelände wurde diesen Göttern zweimal jährlich, einmal im zweiten Frühlingsmonat, das zweite Mal im zweiten Herbstmonat geopfert.[2]

Shejitan - Foto: Georg Lehner

“Altar” auf dem Opfergelände der Götter des Landes und der Feldfrüchte – Foto: Georg Lehner

Eine in diesem Blog schon wiederholt herangezogene Beschreibung Pekings aus dem 19. Jahrhundert geht sehr ausführlich auf dieses Opfergelände ein:

Sche-tsi-tan, der Altar, wo man die Geister Sche und Tsi anbetet, westlich von dem ‘Thor der Grundsätze’ [Duanmen] gelegen. Der Altar ist vierseitig, der Vordertheil sieht nach Norden; er bildet zwei übereinander stehende Carre’s, jedes von fünf Fuß Höhe. Der obere Theil hat 50 Fuß und der untere Theil 53 Fuß im Durchmesser. Die Perrons haben vier Rampen, jede mit 4 Stufen, und das Ganze ist von weißem Marmor. Der Fußboden des Altars besteht aus geschlagener Erde mit fünf Farben, welche die fünf Weltgegenden symbolisch darstellen. Die Mauer, welche die innere Umschließung bildet, hat 764 Fuß Länge, 4 Fuß Höhe und 2 Fuß Stärke. Sie ist mit glasirten Ziegeln mit vier Farben bekleidet, wovon jede an eine besondere Weltgegend erinnert und die Krone ist ebenfalls mit vierfarbigen Dachziegeln gedeckt. Die Umfassungsmauer hat vier zweisäulige Thore. Säulen, Schwellen und Stürze sind von weißem Marmor; die Flügel sind von Holz und zinnoberroth angestrichen. [...].[3]

Seit Herbst 1914 ist das Areal für die Öffentlichkeit zugänglich. In der nördlich des Altars gelegenen Halle des Gebets wurde der als ‘Vater des Landes’ (guofu 國父) verehrte Republiksgründer Sun Yatsen (Sun Zhongshan 孫中山) nach seinem Tod im März 1925 aufgebahrt. 1928 erfolgte schließlich auch die Umbenennung des Geländes in Sun Yatsen-Park (Zhongshan gongyuan 中山公園).[4]

Vgl. auch: Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

  1. Vgl. Charles O. Hucker: Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 416 (no. 5133: “‘she-chi t’an [...] Altar of the Soil and Grain [...].” sowie Frank-Rainer Scheck (Hg.) Volksrepublik China. Kunstreisen durch das Reich der Mitte (Köln, 3., überarb. Aufl., 1988) 213: “Altar der Erdgötter und der Fruchtbarkeit”.
  2. Vgl. dazu H. S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff (Shanghai 1911) 204 sowie J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 223.
  3. “Beschreibung der Stadt Peking”, Allgemeine Bau-Zeitung, Jg. 1859, S. 330. Digitalisat: ANNO. Vgl. auch de Groot: Universismus, 221 f.
  4. Vgl. Scheck (Hg.): China, 213.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1099

Weiterlesen