Fünfter sein…

Ernst Jandl [1] beschreibt in seinem gleichnamigen Gedicht [2], das Warten beim Arzt – offen lässt er, inwieweit die Reihenfolge im Wartezimmer bedeutungsvoll ist. Für die Reichsstände war die Sitzordnung auf der Fürstenbank, die Platzierung in der Warteschlange zur Stimmabgabe nicht gleichgültig.Dass Sessionstreitigkeiten mehr als Eitelkeit sind, ist inzwischen in der Forschung anerkannt. Der Platz auf der Bank stand für Prestige, Ansehen und Einfluss. Er zeugte von Rang und Stellung im Reich, im Verhältnis zu den anderen Reichsständen. Unzutreffend ist – um es salopp auszudrücken – die aus dem Schulbus bekannte Regel, dass die Coolsten hinten sitzen.

Wer im Reich etwas zu sagen hatte, saß vorne oder bemühte sich zumindest darum. So verwundert es auch nicht, dass Schweden, als es auf dem Westfälischen Friedenskongress mit Kaiser und Reich über die Reichsstandschaft verhandelte, darauf bestand, möglichst weit vorne auf der weltlichen Bank zu sitzen – erfolgreich: Es durfte Fünfter sein. Zwar behielten Verden und Pommern ihren Platz in der Umfrage, doch für Bremen wurde der Krone Schweden der fünfte Platz zugewiesen [3].

Dadurch saßen die Repräsentanten nicht nur zwischen den vornehmsten Reichsständen, sie hatten auch zu einem frühen Zeitpunkt der Debatte die Möglichkeit, diese in ihrem Sinne zu beeinflußen oder aber den Gang der Abstimmung an späterer Stelle durch eine Wiederaufnahme oder Modifizierung des Bremer Votums im schwedischen Interesse zu steuern.

Fünfter sein ist also ziemlich cool.

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Jandl
[2] http://courseware.nus.edu.sg/e-daf/cwm/la3201gr/e3/jandl.htm
[3] S. Art. X,9 IPO (Text: http://pax-westphalica.de/ipmipo/index.html)

Quelle: http://smdr.hypotheses.org/107

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Eine Beobachtung an der Carta Marina des Olaus Magnus

Carta_Marina

Die Carta Marina in einer späteren verkleinerten und kolorierten Fassung von 1572.
CC-BY James Ford Bell Library, University of Minnesota
Neben der Bayrischen Staatsbibliothek München besitzt die Universitätsbibliothek in Uppsala eines von heute noch zwei erhaltenen Exemplaren der Carta Marina von 1539 und stellt auf ihrer Homepage hochaufgelöste Scans bereit.
http://www.ub.uu.se/en/Collections/Map-collections/Section-for-Maps-and-Pictures-map-collection/Carta-Marina/

 

Die Kopfzeile unseres NordicHistoryBlogs ziert nicht ohne Grund ein Ausschnitt der Carta Marina. Diese 1539 in Venedig erstmals im Druck erschienene Karte zeigt eine Fülle an historischen, ethnografischen sowie phantastischen Details und dazu die erste geographisch annähernd korrekte Darstellung des europäischen Nordens.

Der Schöpfer dieser Karte Olaus Magnus musste seine Karte im italienischen Exil fertigstellen, wohin es ihn mit seinem Bruder Johannes aufgrund der Einführung der Reformation in Schweden 1527 verschlagen hatte. Beide Brüder waren wichtige schwedische Gelehrte, die sich um die Geschichtsschreibung ihrer Heimat verdient gemacht haben.

Geht es um die Vorstellungen, die man im 16. Jahrhundert vom Norden hatte, kommen wir an dieser Karte gar nicht vorbei – als Illustration für die Website des NordicHistoryBlogs verweist sie auf die mannigfaltigen Imaginationen über den Norden durch die Geschichte bis heute.

Ich möchte und kann an dieser Stelle nicht auf die Fülle an Details eingehen, die auf der Carta Marina zu finden sind – es wird im Folgenden nur um ein Detail gehen, das aber mehrfach auf der Karte erscheint.

Bestimmten Orten sind von der jeweiligen Seeseite her kleine Anker zugeordnet. Insgesamt finden sich 14, wovon drei auf dem Druckstock A an der Südküste Islands und die restlichen elf auf dem Druckstock H liegen – jeweils einer an der Nordspitze Dänemarks, bei Varberg, bei Lyckeby, vor Stockholm und bei Gotska Sandön sowie zwei bei Öland und vier um Gotland. Diese Verweise auf Ankerplätze oder schiffbare Naturhäfen sind so ausgewählt platziert, dass sie doch einige Kenntnisse über die jeweiligen geographischen Gegebenheiten vermuten lassen – Naturhäfen und Handelsplätze außerhalb großer Städte fanden sich in der Zeit viel mehr und gerade die südliche Ostseeküste zeigt nicht eines dieser Ankersymbole.

CM Gotland

Gotland, Detail der Carta Marina
CC-BY James Ford Bell Library, University of Minnesota

Ich möchte mich nun v.a. auf die vier Anker um Gotland konzentrieren und versuchen aufzuzeigen, wie Olaus Magnus auf die Orte gekommen sein könnte. Doch zunächst: Welche Landhäfen kann Olaus gemeint haben?

Gotland erscheint vergleichsweise kompakt auf der Carta Marina und in seiner eigentlichen Nord-Süd-Ausdehnung nicht sonderlich gut getroffen – auch wenn Olaus diese in der der Karte beigefügten Beschreibung (Ain kurze Avslegvng) hervorhebt: „Die Insel Gotland, die zum Gotenreich gehört, ist 18 Meilen lang und 8 Meilen breit.“i Die südliche Halbinsel Hoburgen lässt sich z.B. gar nicht erkennen und ist nur namentlich auf Gotland mit Hoborg bezeichnet.

Tryggve Siltberg hat die gotländischen Landhäfen in einem Aufsatz thematisiert und auf verschiedene Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts verwiesen.ii So zählt Hans Nielsson Strelow in seiner Cronica Guthilandorum von 1633 die acht Häfen auf, in denen zu seiner Zeit Hafenvögte als Amtmänner des dänischen Statthalters auf Gotland tätig waren: Burgsvik, Fröjel, Västergarn, Hall, Bunge, Slite, Östergarn, När und erwähnt weiterhin auch Klinte. Diese acht Haupthäfen finden sich ebenso in den Lehnsrechnungen Gotlands ab 1601.iii In einem Bericht an die wendischen Städte von 1524 finden sich Angaben über Verteidigungsanlagen aus Holz in einigen Häfen Gotlands: Dies waren die sechs Häfen von Klinte, Burgsvik, Västergarn, Hoburg, Östergarn und Slite, womit die Bedeutung dieser Häfen schon in dieser Zeit angedeutet wurde.iv

Lässt sich dies nun mit der Carta Marina verbinden?

Eindeutig leider nicht, da Gotland recht schematisch dargestellt ist. Die Wiedergabe der Buchten und auch der beiden Gotland an der Westküste vorgelagerten Großen und Kleinen Karlsinsel lassen jedoch einige Mutmaßungen zu:

Der Anker in der großen Bucht südlich von Visby in der Nähe der Karlsinseln könnte auf Fröjel bzw. Klinte verweisen. Klintehamn ist heute noch ein wichtiger Hafenort auf der Insel; von Fröjel kann man dies nicht behaupten, aber in der Vikingerzeit befand sich hier einer der größten Häfen der Insel.v Der Anker an der Süd-Ost-Küste Gotlands könnte durch seine Nähe zur Bezeichnung Hoborg auf der Karte zu Burgsvik und der südlichen Halbinsel Hoburgen gehören. Der an der Westküste darüber liegende Anker ist wiederum nicht eindeutig zuzuordnen. Als wichtige Häfen aus obiger Aufzählung kommen När und/oder Östergarn in Frage. Der Anker an der Nord-Ost-Küste schließlich scheint über die Bezeichnung Vestragarn eindeutig als Västergarn identifizierbar. Dieses müsste aber natürlich eigentlich an der Westküste liegen, wo heute auch Västergarn nördlich von Klintehamn zu finden ist. Diese nordöstliche Bucht scheint besser zu den Häfen von Slite und/oder Bunge zu passen. Der hier zuerst beschriebene Anker an der Westküste könnte also neben Fröjel und Klinte auch noch Västergarn meinen.

So schematisch Gotland auf der Carta Marina auch erscheint, so läßt die Darstellung des Küstenverlaufs und die Platzierung der Anker doch partiell auf geografische Ortskenntnisse schließen, die Olaus Magnus wohl nicht aus eigener Anschauung gewonnen hat.

Die Gebrüder Magnus wurden beide in Linköping geboren – Johannes 1488 und Olaus 1490. Zum Stift Linköping gehörten damals auch die Inseln Öland und Gotland. Es ist nicht bekannt und wohl eher unwahrscheinlich, dass einer von beiden diese Inseln besucht hat. Olaus gewann seine Kenntnisse der schwedischen Landschaft v.a. durch eine Reise nach Nordschweden und Norwegen, um Ablassbriefe zu verkaufen.vi Daneben führten die Wege der beiden eher in den Süden – einerseits zum Studium an Universitäten im Heiligen Römischen Reich und Flandern und andererseits im Auftrag des schwedischen Reichsvorstehers Sten Sture des Jüngeren oder des späteren Königs Gustav Vasa nach Italien, die Niederlande und Polen.

Die religionspolitischen Veränderungen in Schweden nach 1527 hatten auch auf die Leben der Gebrüder Magnus Einfluss. Johann wurde 1523 zum letzten katholischen Erzbischof von Uppsala gewählt, konnte sein Amt jedoch nicht antreten, da er erst 1533 die päpstliche Bestätigung erhielt und zwischenzeitlich sein Bischofsstuhl durch Gustav Vasa anderweitig besetzt wurde. Olaus wurde 1523 Dompropst in Strängnäs. Zunächst erhielten die Brüder noch offizielle Aufträge von Gustav Vasa, die sie ins Ausland führten. Johannes begab sich 1526 nach Polen und sollte nie nach Schweden zurückkehren, ebenso wie Olaus, der schon seit 1524 außerhalb Schwedens tätig war.

Nach der Einführung der Reformation in Schweden fand sich eine kleine schwedisch-katholische Exilgemeinde in Danzig zu der die Brüder Magnus sowie die Bischöfe Magnus Haraldsson von Skara und Hans Brask von Linköping gehörten.

Gerade letztgenannter kommt als Informationsquelle bezüglich Gotland in Frage. Als Bischof von Linköping bestand eine seiner Aufgaben in regelmäßigen Visitationen in seiner Kirchenprovinz, wobei Gotland nur alle drei Jahre besucht werden sollte. Bei jeder Visitation sollte mindestens die Hälfte der Kirchen Gotlands aufgesucht werden, wodurch die Bischöfe auch einen Großteil der gotländischen Landschaft kennenlernen konnten. Nun hing die Umsetzung dieser Vorgabe stark von der jeweiligen Person des Bischofs sowie von den gerade vorherrschenden politischen Verhältnissen ab. Gotland war seit 1361 ein Streitpunkt zwischen Dänemark und Schweden, so dass die Bischöfe von Linköping sich z.T. auf politisch dünnes Eis begaben, wenn sie ihren Pflichten auf Gotland nachkommen wollten. Für Hans Brask trifft dies ebenso zu, jedoch war er sehr daran interessiert, auch politisch Einfluss auf die Wiedergewinnung Gotlands für Schweden zu nehmen.vii

Seine erste Reise führte Brask 1513, kurz nachdem er Bischof von Linköping wurde, nach Gotland. Neu auf die Agenda kam Gotland für den Bischof 1523/24 als Gustav Vasa einen Feldzug gegen den dänischen Lehnsmann Sören Norby auf Gotland plante und die Insel für Schweden zurückgewinnen wollte. Letztlich scheiterte die schwedische Unternehmung, da die Feste Visborg nicht einzunehmen war und man sich zwischen Dänemark und Schweden auf einen Schiedsspruch seitens Lübecks für das Jahr 1525 einigte. Letztmalig besuchte Hans Brask 1527 Gotland, kurz bevor auch er ins Exil nach Danzig ging.

In Danzig traf Brask nicht nur auf die Brüder Magnus – mit Johannes stand er schon seit Jahren in Briefkontakt – sondern auch auf eine sehr lebhafte humanistisch geprägte Kartografenszene.viii Auch Brask hatte Interesse an der Kartografie und stellte 1533 eine Karte des nördlichen Bereichs der Ostsee fertig, die jedoch aufgrund seiner fehlenden mathematischen und kartografischen Ausbildung ihren kulturhistorischen Wert v.a. in der Darstellung des schwedischen Königreichs und von Handelsrouten in der Ostsee zeigt.ix

Auch wenn es nicht mit Sicherheit zu sagen ist, so liegt es doch nahe, dass Hans Brask als Vermittler des Wissens um Naturhäfen und Ankerplätze bei Gotland und Öland an Olaus Magnus anzunehmen ist – 1525 unternahm Brask auch eine Visitationsreise nach Öland. Eventuell war er nicht die einzige Quelle, da Olaus und Johannes Magnus auf ihren Reisen in Kontakt mit vielen Schiffsleuten gekommen sein dürften – aber zumindest könnte er als versierter Gesprächspartner, der die karthografischen Neuerungen seiner Zeit kannte und verfolgte, doch wichtige Anregungen gegeben haben.

i Balzamo, Elena/Kaiser, Reinhard (Hgg.): Olaus Magnus – Die Wunder des Nordens. Frankfurt a.M. 2006, S. 77.

ii Siltberg, Tryggve: Lanthamnar på Gotland och hamnordningar i Sverige, Danmark och på Gotland, in: Stobaeus, Per: Kust och kyrka på Gotland. Historiska uppsatser. Värnamo 2010, S. 299-364. Englisch auch ders: Country Harbours on Gotland and Harbour Statutes (hamnordningar) in Sweden, Denmark and on Gotland, in: Auns, Muntis (Hg.): Lübeck style? Novgorod style? Baltic Rim Central Places as Arenas for Cultural Encounters and Urbanisation 1100-1400 AD. Riga 2001, S. 109-152.

iii Vgl. ebd. S. 301.

iv Vgl. HR II, 8, Nr. 692, Anm 1 S. 599f.

v Siltberg 2010, S. 327.

vi Vgl. Ehrensvärd, Ulla: Nordiska Kartans Historia. Från Myter till Verkligheten. Helsingfors 2006, S. 57.

vii Vgl. allg. Stobaeus, Per: Biskop Hans Brask och Gotland, in: Ders (Hg.): Kust och kyrka på Gotland. Historiska uppsatser. Värnamo 2010, S. 133-172.

viii Vgl. Ehrensvärd 2006, S. 58.

ix Vgl. ebd. S. 56.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1923

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Webressourcen aus Nordeuropa – Fundstücke Oktober 2013

Unter der Rubrik „Webressourcen aus Nordeuropa – Fundstücke“ wird das Sondersammelgebiet Skandinavien an der UB Kiel (SSG) zukünftig regelmäßig eine Sammlung aktueller Informationen zu neuen Datenbanken, Entwicklungen in der digitalen Geschichtswissenschaft an Bibliotheken, Museen oder auch Forschungsinstitutionen, Digitalisierungsprojekte und vieles mehr veröffentlichen. Dieses Angebot wird ergänzt durch den aktuellen Kongress-und Terminkalender für Nordeuropa, der in der “Virtuellen Fachbibliothek Nordeuropa und Ostseeraum” vorgehalten wird.

Unser erster Beitrag beschäftigt sich mit den Veröffentlichungsstrategien skandinavischer Museen und Archive für Bilder im Netz, in diesem Fall vor allem mit dänischen Beispielen. Auffällig bei den beispielhaft ausgewählten Seiten ist die Vielfalt der Portale, die genutzt werden, um Bilder und auch andere Quellen zu veröffentlichen – wodurch gleichzeitig deutlich wird, wie breit gestreut sich die Suche nach Quellen mittlerweile gestalten muss.

Dänemark

Ein gutes Beispiel für Vielfalt der Veröffentlichungswege ist das dänische Nationalmuseet. Genannt sei hier der Blog Det Digitale Nationalmuseum, wo die Open-Source-Projekte des Museums, die bereits realisiert oder auch noch in Planung sind, vorgestellt und diskutiert werden.

Im Bereich der Runologie erstellen wissenschaftliche Mitarbeiter des Museums zusammen mit Wikipedia ein Lexikon mit Artikeln und Fotos der dänischen Runensteine. Eine größere Sammlung veröffentlicht das Nationalmuseum auf Wikimedia Commons. Auch auf Flickr hat das Nationalmuseet einen Fotostream mit Bildern aus den eigenen Sammlungen hinterlegt und plant sein digitalisiertes Material weiterhin bzw. zukünftig auf folgenden Kanälen zu veröffentlichen: Social Media (Twitter, Google+, Flickr, Pinterest, Instagram, Youtube), Wikimedia, Europeana (Europäisches Kulturerbeportal), Dansk kulturarv (Dänisches Kulturerbeportal mit Bildern, Videos und Hörbeispielen ) sowie in den Kulturerbeprojekten Historisk Atlas und TING.

Zu den weiteren für die nächste Zukunft geplanten Projekten zählt das Portal Det Digitale Frihedsmuseum, das die digitalisierte Archivsammlung mit 200.000 Dokumenten, 60.000 Fotografien, 2.000 Tonbändern sowie 200 Filmclips aus der Besatzungszeit der Öffentlichkeit zugänglich machen soll.

Neben den Museen planen 600 dänischen Lokalarchive 2014 ihre digitalisierten Archivbestände in dem Portal Arkibas zugänglich zu machen. Darunter befinden sich etwa 50 Millionen Bilder, daneben aber auch Filme und andere Archivalien. Bereits beim für 2014 anvisierten Onlinegang möchten die Lokalarchive “Dänemarks größtes Fotoalbum” präsentieren.

Schweden

In Schweden veröffentlichen die Museen ihre Fotosammlungen ebenfalls auf unterschiedlichen Plattformen. Das Nordiska Museet veröffentlicht auf Wikimedia Commons, während andere Museen wie das Stadtmuseum Göteborg das Datenbanksystem Carlotta bevorzugen. Eine Reihe von schwedischen Museen und Archiven bestücken das Metasuchsystem Kringla, das umfangreiches Informationsmaterial bündelt, darunter auch zahlreiche Bilder beispielsweise aus dem Världskulturmuseet, Tekniska museet, Vasamuseet, Historiska museet und Riksantikvarieämbetet. Derzeit 23 Museen nutzen eine gemeinsame Plattform, das Digitalt Museum. Eine Kooperation von drei Museen, u.a. die Stockholmer Livrustkammer, stellt eine größere Bildsammlung mit insgesamt 40.000 Bildern zum Download bereit. Abschließend sei noch das Jönköpings läns museum erwähnt, auf dessen Internetseite sofort ersichtlich ist, auf wievielen unterschiedlichen Plattformen ein Museum seine Inhalte präsentieren kann.

Norwegen und Finnland

Das Portal “Digitalt Museum”, auf dem Museen ihre Exponate und Bildsammlungen präsentieren, gibt es für Norwegen und Schweden. Dabei wird die norwegische Plattform mit derzeit 135 beteiligten Museen stärker bedient als die schwedische (23 Museen). Ein schönes Beispiel für die Beteiligung einzelner Museen an diesem Portal ist die Fotosammlung aus dem Bereich der Seemannsmission des Norsk Maritimt Museum, die gerade im Digitalt Museum eingestellt worden ist.

In Finnland bündeln zahlreiche Archive, Museen und auch drei große  Bibliotheken ihre Bestände, darunter über 230.000 Bilder, in dem Portal Finna.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1814

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Mit digitalen Quellen Geld verdienen – ein schwedisches Beispiel

Das gängige Muster beim Thema Quellen-Digitalisierung dürfte wohl so aussehen: Staatliche oder andere Institutionen stecken eine Menge Geld in entsprechende Projekte, damit anschließend die digitalisierten Quellen in der Regel ohne direkt damit verbundene Gebühren von den Nutzern verwendet werden können. Es geht aber auch mal andersherum: In Schweden verdient die Firma Arkiv Digital AB Geld mit dem Digitalisieren von Quellen. Wie das geht? Mit dem in Nordeuropa äußerst großen Interesse an Ahnenforschung, das weitaus breitere Kreise als in Deutschland zu Hobbyhistorikern in eigener Sache macht.

Sage und schreibe 43 Millionen (!) Farbbilder in hoher Auflösung bietet Arkiv Digital auf seiner Seite (die auch auf Englisch verfügbar ist) an und die am stärksten vertretenen Quellengattungen weisen auch gleich auf den primär angesprochenen Nutzerkreis hin: Kirchenbücher, Protokolle von Ratsversammlungen, Testamente, Gerichtsakten, militärische Akten und weitere. Es geht also primär darum, interessierten Ahnenforschern Zugang zu umfangreichen, für diese Art  von Nachforschungen einschlägige Akten zu verschaffen, die man eben vom heimischen Bildschirm aus nutzen kann. Ein kleines Vorstellungsvideo (leider nur auf Schwedisch) erklärt die Grundidee und die Zusammensetzung der Sammlungen:

Für die Suche in dem jetzt schon umfangreichen und weiter anwachsenden Material wird eine eigene Software (für alle gängigen Betriebssysteme) angeboten, wahlweise kann man auch eine iPad-App nutzen. Software bzw. App sind kostenlos, Voraussetzung für den tatsächlichen Zugriff auf die Quellen ist ein Abonnement, wobei die Preise von 75,– SEK [~ 9,– €] für eine Woche und 1995,– SEK [~ 231,– €] für zwei Jahre reichen. Mitglieder von Ahnenforschervereinen erhalten Rabatte.

Man kann sich natürlich fragen, ob man solche Summen hinblättern will, wobei die Preise ja durchaus in einem “erträglichen Rahmen” liegen. Die Firma hat eine eigene Seite auf ihrer Homepage (diese auch auf Englisch), auf der sie den Mehrwert ziemlich einleuchtend darstellt und ganz nebenbei eine kurze Geschichte der Bewahrung der Quellen durch Mikroverfilmung liefert. Nicht nur, dass man Reisekosten zu weiter entfernten Archiven spart, die Quellen werden durch Arkiv Digital sämtlich neu in Farbe abfotografiert. Sattsam bekannt wird hier vielen die mühselige Lektüre von alten, abgenutzten Mikrofilmen sein (deren interessante Entstehungsgeschichte mit den amerikanischen Mormonen zusammenhängt!). Diese Filme wurden zwar vor nicht allzu langer Zeit digitalisiert, wurden dadurch aber nicht besser lesbar. Insofern sind die neuen Farbbilder in hoher Auflösung sicherlich für viele Nutzer viel wert, da die Möglichkeit, weit in die Bilder hinein zu zoomen, bei schwer lesbaren Stellen einen erheblichen Vorteil bietet.  Sicherlich hat man mit diesem kostenpflichtigen Angebot die Mehrzahl der Ahnenforscher als Zielgruppe im Blick, die tendenziell eher zur älteren Generation zählen und die bereit sind, für solche Leistungen die entsprechende Summe zu bezahlen. Daneben ist natürlich auch ein weiterer Schritt zur Langzeitarchivierung dieser Quellen getan, die durch häufige und unvorsichtige Nutzung verschleißen und somit dank der Digitalisierung geschont werden.

Die Seite auch auf Englisch anzubieten, ist schlüssig, da aufgrund der massenhaften Auswanderung aus Schweden nach Nordamerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele schwedischstämmige Amerikaner an der Erforschung ihrer schwedischen Herkunft interessiert sind. Die Software wird daher auch in einer englischen Variante angeboten. Eine Demo-Version in beiden Sprachen zu Anschauungszwecken ist  als Download verfügbar.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1680

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Das unbekannte trojanische Pferd: Schweden und die DDR im Kalten Krieg

 

Ein Gastbeitrag von Charlotta Seiler Brylla. Das Interesse für die Beziehungen zwischen der DDR und Schweden während des Kalten Krieges scheint nicht nachzulassen. Besonders die Aktivitäten des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) im Königreich Schweden erregen nach wie vor die Aufmerksamkeit von LeserInnen und Medien, was die auch hier auf dem NordicHistoryBlog bereits behandelte letztjährige Debatte über Birgitta Almgrens Buch Inte bara spioner… Stasi-infiltration i Sverige under kalla kriget [Nicht nur Spione…Stasi-Infiltration in Schweden während des Kalten Krieges] zeigte. Schweden war ein Schwerpunktland für die DDR-Außenpolitik und für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der Staatssicherheit. Zu keinem anderen nordischen Land wurden so viele Stasi-Berichte generiert wie über Schweden.

Der schwedische Journalist Christoph Andersson, der sich seit Jahrzehnten mit der DDR beschäftigt, hat in einem kürzlich erschienenen Buch neue Fallstudien über den Wirkungsbereich der Stasi in Schweden vorgelegt. Einer der Fälle – Operation Nordlicht – enthüllt, wie das MfS eine Propagandakampagne gegen Schweden plante. Leiter der Operation war eine Abteilung X, eine Sondereinheit der HVA. Ihr spezieller Auftrag galt der Desinformation, im Stasijargon ausgestattet mit der euphemistischen Bezeichnung Aktive Maßnahmen. Ziel der Operation war es, die schwedische Neutralitätspolitik zu demontieren, indem man versuchte, eine langjährige Tradition politischen Doppelspiels nachzuweisen. Es sollte aufgezeigt werden, wie der schwedische Staat und vor allem das schwedische Königshaus mit Nazideutschland kooperiert hätten, obwohl man sich offiziell als „neutral“ darstellte. Dieselbe Doppelmoral präge Schweden im Kalten Krieg: Unter vorgegaukelter Neutralität unterstütze es nun die westliche Nato-Allianz. Der Plan der Abteilung X war, ein Buch über die Aktivitäten Schwedens im Krieg herauszugeben, das im Rahmen der KSZE-Konferenz in Helsinki wie eine Bombe einschlagen und das schwedische Doppelspiel irreversibel diskreditieren sollte.

Die Abteilung X hatte dafür eine geeignete und zwangsläufig zuverlässige Person gefunden: Kurt Vieweg, Professor für Agrarwissenschaft, der in den Kriegsjahren im schwedischen Exil gewesen war. Vieweg hatte nach seiner Rückkehr als Exilkommunist einen guten Stand und konnte Karriere im SED-Regime machen. Relativ schnell geriet er aber in Ungnade, weil er die Zwangskollektivierung kritisierte. In Schweden hatte Vieweg Landwirtschaft studiert und das schwedische Modell kennengelernt, das eine Mischung aus Kooperation und eigenem Besitz favorisierte. Seine Reformideen hatten keinen Erfolg, die Stasi unterstellte ihm stattdessen „Revisionismus“ und „kontrarevolutionäre“ Tätigkeit. Seine Kontakte zu Herbert Wehner, den er ebenfalls in Schweden kennengelernt hatte, sowie ein Versuch, die DDR zu verlassen, führten dazu, dass Vieweg 1958 zu 12 Jahren Zuchthaus wegen Spionage und Republikflucht verurteilt wurde.

1964 kam Vieweg auf Bewährung frei, allerdings unter der Bedingung, fortan für das MfS tätig zu sein. Anfang der 1970er Jahre wurde er für die Operation Nordlicht eingeteilt. Als Schweden-Kenner und mit persönlichen Erfahrungen als Exilant im Krieg schien er für die anstehende Aufgabe perfekt geeignet. Mithilfe unzähliger Akten sollte Vieweg das Buch über Schwedens Rolle im Krieg als eine Art Ghostwriter verfassen. Dann sollten ein schwedischer Autor und ein Verlag gefunden werden, die bereit gewesen wären, ihren Namen für das Buch zu geben.

Aber dazu kam es nicht. Das Manuskript mit dem Arbeitstitel Das unbekannte trojanische Pferd, der Bezug nimmt auf den antifaschistischen Kabarettisten Karl Gerhard, blieb in einer Schublade der Abteilung X. Die DDR-Führung hatte beschlossen, den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme für zuverlässig zu halten. Im Rahmen der Helsinki-Konferenz hatte Palme sich für den Vertrag, der unter anderem die Grenzen der DDR anerkannte, außerordentlich eingesetzt.

Palme Honecker SvD

 

Die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter
über Palmes DDR-Besuch 1984

Die Beziehungen zwischen Erich Honecker und Olof Palme blieben auch nach der Helsinki-Konferenz gut. Christoph Anderssons zeigt auf seinem Cover ein Foto der Begegnung beider Regierungschefs in Stralsund 1984. Sowohl die DDR-Presse als auch die schwedischen Medien berichteten von gemeinsamen Bestrebungen für Frieden und Abrüstung in Europa. Beinahe zynisch wirkt in diesem Kontext die Tatsache, dass Schweden und die DDR gerade zu diesem Zeitpunkt den Iran-Irak-Krieg durch Waffen-Exporte am Laufen hielten. Mithilfe der vom MfS kontrollierten Außenhandelsabteilung „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) konnte der schwedische Rüstungshersteller Bofors große Mengen an Schießpulver in den Iran exportieren. Gleichzeitig lieferte ein anderes DDR-Unternehmen Waffen an den Irak. Anderssons Recherchen im BStU-Archiv zeigen, dass finanziellen Interessen sowohl in Schweden als auch in der DDR letzten Endes eine höhere Priorität als der Friedensfrage zukam

Während die Unterlagen der BStU die Geschäfte zwischen Bofors und dem KoKo-Unternehmen IMES bis ins Detail dokumentieren, konnte (durfte?) Birgitta Almgren bei ihrer Akteneinsicht des schwedischen Nachrichtendienstes (Säpo) hingegen keine einzige Akte zu diesen Embargo-Geschäften finden. Wie die Debatte vom letzten Jahr zeigte, ist der Zugang zu den Säpo-Akten willkürlich und in vielen Fällen nicht möglich. Christoph Anderssons Buch macht noch einmal deutlich, dass diese Debatte weiterhin geführt werden muss.

Charlotta Seiler Brylla ist Kultur- und Sprachwissenschaftlerin und ist seit 2009 Universitätslektorin für Deutsch/Linguistik an der Universität Stockholm. Sie arbeitet zum politischen Gebrauch von Sprache, zu begriffsgeschichtlichen Fragestellungen und hat sich bereits in mehreren Projekten ausgiebig mit den Beziehungen zwischen Schweden und der DDR beschäftigt. Derzeit forscht sie zu den rhetorischen und diskursiven Mitteln, welche bei der politischen “Vermarktung” der DDR gegenüber Schweden eingesetzt wurden.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1561

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Nach dem Einsturz folgt der Wiederaufbau

Nur in wenigen europäischen Städten hat sich bis heute eine geschlossene Ringmauer um den mittelalterlichen Stadtkern erhalten. Die Stadtmauer von Visby auf Gotland stellt hierbei mehrfach eine Besonderheit dar: Zunächst war es im skandinavischen Raum im Mittelalter nicht üblich, Städte mit einer Mauer zu befestigen. Stadtmauern gab es daher abgesehen von in Visby nur in wichtigen Niederlassungen wie Malmö, Kalmar oder Stockholm. Einmalig in Skandinavien kann der heutige Visbybesucher also eine mittelalterliche Befestigungsanlage mit all ihren Toren und Verteidigungswerken umrunden und studieren sowie zusätzlich, wie kaum an einem anderen Ort, die Stadtmauer als Grenze zwischen Stadt und Land erfahren – zur Landseite hin blieb der Bereich vor der Mauer großflächig unbebaut.

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Die Ostseite der Visbyer Stadtmauer, zwischen dem links zu sehenden Feldturm und dem rechts folgenden Sattelturm jene Stelle, die am 24.02.12 einstürzte.
Fotos: CC-BY Michael Meichsner

Dieser Raumeindruck zusammen mit dem mittelalterlichen Straßennetz, über 200 Häusern mit weitestgehend mittelalterlichen Bauelementen und die beeindruckenden Kirchenruinen (in Visby gab es 15 Kirchen innerhalb der Stadtmauer und zwei außerhalb) sind Gründe für den Status als UNESCO-Weltkulturerbe, der Visby 1995 verliehen wurde. Der Erhalt dieses einmaligen Bauensembles verlangt viel Einsatz und dennoch gelingt es nicht immer, dem Zahn der Zeit zu trotzen: Vor etwas mehr als einem Jahr, am Abend des 24. Februar 2012, löste sich ein ca. 70 qm großer Abschnitt der äußeren, zum Ostgraben zeigenden Mauerschale direkt nördlich des Osttores – in Anbetracht der Steinmasse war es Glück, dass dabei niemand zu Schaden kam. Der zur Einsturzstelle gehörende Mauerabschnitt hat eine maximale Höhe von 9 Metern und wurde weiträumig abgesperrt.

ursprünglicher Einsturz

Zustand der Stadtmauer nach dem Einsturz am 24.02.2012 (Foto vom 26.02.2012)
Flickr, CC-BY-SA Bochum1805

Wie kam es zu diesem Unfall?

Der betroffene Mauerabschnitt wurde an der Außenseite zuletzt in den 1940er und 1950er Jahren restauriert und die Innenseite in den 1970er Jahren. Sicher ist, dass, wie es seit den 1940er Jahren üblich war, ein zementbasierter Fugenmörtel für die letzte Restaurierung verwendet wurde. Das im Mörtel gebundene Wasser schädigte über die Jahre das Baumaterial und löste bei Frost im vorletzten Februar quasi die finale Sprengung aus. Lars Sjösvärd, der Leiter des Museums Gotlands Fornsal in Visby, machte den Wetterumschwung und die gegeneinander arbeitenden Materialien an der Mauer für den Unfall verantwortlich. An der Stadtmauer Visbys finden sich mehrere solcher Stellen, wobei nach einer Begutachtung im April 2012 nur die direkte Umgebung der Einsturzstelle ein ähnliches Risikoniveau wie diese erhielt.

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Kruttornet
Foto: CC-BY Michael Meichsner

Die Visbyer Stadtmauer und ihre Geschichte

Die Stadtmauer Visbys ist in verschiedenen Etappen entstanden. Ursprünglich schützten der „Pulverturm“ („Kruttornet“) – heute der älteste Bestandteil der Stadtbefestigung aus den Jahren 1158-61 – und ein heute nicht mehr erhaltener Wehrturm die Einfahrt des Hafens an der nördlichen und südlichen Einfahrt. Die zum Hafen orientierte Seemauer ist folgend der älteste Teil der Stadtmauer, der um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert entstand und die beiden erwähnten Kastelle miteinander verband. Neben der Schutzfunktion wurde damit auch die Zollgrenze zur Stadt markiert.

Der eingestürzte Mauerteil gehört zur ca. 2000 Meter langen Landmauer, die in den 1270er und 1280er Jahren errichtet wurde. Zunächst war die Landmauer fünf bis sechs Meter hoch mit einem Wächtergang an der Krone und sechs bis sieben Toren ohne Turmüberbauung. Zu Anfang gab es wenige Feldtürme als weitere Verteidigungsanlagen – ursprünglich aber bereits den mächtigen „Kaiser(turm)“ im Ostabschnitt und noch zwei oder drei Türme entlang der Südmauer.

Die Errichtung der Mauer war ursächlicher Grund für den Ausbruch eines Bürgerkrieges im Jahre 1288 zwischen der Stadtbevölkerung Visbys und der Landbevölkerung Gotlands. Nach Errichtung des geschlossenen Mauerrings war es der Landbevölkerung nicht mehr möglich, zollfrei ihre Waren in die Stadt zu bringen. Zusätzlich emanzipierte sich die Stadtbevölkerung vom Ting der Insel Gotland – der Selbstverwaltung der gotländischen Landbevölkerung, dem Visby ursprünglich mit unterstand.

Die Stadt ging siegreich aus dem Konflikt hervor. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurde die Mauer darauf folgend erhöht und mit Tortürmen sowie weiteren Feldtürmen versehen – letztendlich 29, von denen heute noch 27 erhalten sind. Der Torturm des Osttores kann dabei schon frühestens 1286 begonnen worden sein. Als letztes wurden auf der Mauerkrone zwischen den Tor- und Feldtürmen 22 Satteltürme errichtet, von denen heute noch neun zu finden sind.

Schon Anfang des 18. Jahrhunderts verlor die Stadtmauer Visbys ihren Charakter als Verteidigungsanlage und wurde seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem beginnenden 19. Jahrhundert zunehmend auch aus touristischen Gründen als erhaltenswert angesehen. Das romantische Interesse an Ruinen und ihrer Geschichte hat so auch dem einmaligen Bauensembles Visbys das Überleben gesichert, gab es doch seitens staatlicher Stellen in den 1730er Jahren sogar den Vorschlag alle Ruinen inklusive der Mauer in Visby zu verkaufen. Die Intervention des Visbyer Stadtrates hatte keinen Erfolg, so dass 1785 die Ruinen tatsächlich auf einer öffentlichen Auktion zum Verkauf standen – nur, es fand sich kein Käufer.

Visbys Stadtmauer hat über die Jahrhunderte verschiedene Veränderungen und Restaurierungen erfahren. Die verschiedenen Bauetappen im Spätmittelalter verweisen auf die ursprüngliche Funktion als Verteidigungsanlage. Mit einem zunehmenden Ausgreifen der Bebauung über die alte Mauer hinweg, wurde diese an die jeweils zeittypische Verbindung von Stadt und Land angepasst: Zur Landseite wurden v.a. in der Neuzeit weitere Öffnungen der Mauer hinzugefügt (z.B. das Schultor), Brücken über die alten Wallanlagen errichtet (am Dalmanstor) oder die alten Stadttore an das Nebeneinander von Autoverkehr und Fußgängern angepasst (Südtor). Der mittelalterliche Hafen Visbys versandete schon am Ende des Mittelalters und befand sich dort wo heute die Grünanlage „Almedalen“ zu finden ist. Die alten Tore in der Seemauer verloren somit weitestgehend ihre Funktion.

Was wird nun aus dem eingestürzten Mauerstück?

Geld spielte zunächst einmal – wie so oft – eine entscheidende Rolle. Bereits 2002 wurde an das Riksantikvarieämbetet (die schwedische Behörde für Denkmalschutz) gemeldet, dass die Innenseite der Mauer an der Stelle, die nun zum Problem wurde, gefährdet sei. Die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel zum Erhalt der Mauer betrugen bis letztes Jahr 100.000 schwedische Kronen (ca. 12.000 €). Jörgen Renström, zuständig für die Baudenkmäler am Museum Gotlands Fornsal, betonte, dass für 2012 keine Mittel mehr zur Verfügung standen, um die Mauerpartie wiederherzustellen.

Wetterschutz

Der Wetterschutz von außen
Flickr, CC-BY-SA Bochum1805

Von Seiten des Riksantikvarieämbetet heißt es hingegen, dass die Restaurierung von Anfang an für das Jahr 2013 geplant war und 2012 als Planungsphase dienen sollte: so wurde Ende August 2012 in Visby eine Tagung abgehalten, die neben Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland auch Vertreter der Baubranche versammelte, um auch die praktische Seite der gegenwärtig nutzbaren Materialien beleuchten zu können. Das schwedische Riksantikvarieämbetet stellte für die Planungsphase mittlerweile 400.000 schwedische Kronen (ca. 48.000 €) bereit. Nach Informationen des Riksantikvarieämbetet wird die Wiederaufrichtung des Mauerabschnitts unter Beteiligung verschiedener Partner wie der Högskolan på Gotland im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms geschehen. Dabei sollen auch Erkenntnisse für zukünftige Mauerrestaurierungen gewonnen werden.

Wetterschutz innen

Der Wetterschutz von innen
Flickr, CC-BY-SA Bochum1805

Verschiedene Zuständigkeiten für die Mauer waren neben dem Faktor Geld von Bedeutung. Die Mauer gehört bis auf drei Türme der Region Gotland. Verwaltet wird sie wiederum vom Riksantikvarieämbetet, welches das Museum Gotlands Fornsal die anfallenden Aufgaben ausführen lässt. Das kleine Wirrwarr führte dazu, dass zunächst unklar war, welche Institution die Kosten übernimmt – mittlerweile erfolgt die Finanzierung durch das Riksantikvarieämbetet und Spenden von Privatpersonen. Die Kampagne „Rädda Ringmuren“ wurde bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre initiiert, als der Erhalt der Stadtmauer ebenfalls gefährdet war. Das Spendenkonto wurde nie geschlossen, so dass „Rädda Ringmuren“ in die nächste Runde gehen konnte. Bisher sind dabei 110.000 schwedische Kronen zusammengekommen.

Im Dezember 2012 wurde die eingestürzte Mauerpartie mit einem Wetterschutz versehen, der seit Sommer 2012 geplant war. Dieser soll technisch nicht mit der Mauer verbunden sein, aber gleichzeitig die Partie schützen und die Wiederherstellungsarbeiten gewährleisten. Im Frühling sollen die Arbeiten nun beginnen und, nach Aussage der Leiterin der Abteilung für Bauwerke und Sehenswürdigkeiten Anna Klint Habbe, auch auf jeden Fall noch in diesem Jahr beendet werden.

In einem Schreiben vom 19. März 2012 wurde zusätzlich die UNESCO über den Vorfall und das weitere Vorgehen informiert: Der Weltkulturerbe-Status steht im Fokus der Arbeit des Riksantikvarieämbetet und dieser ist laut Antwort der UNESCO für Visby nicht in Gefahr.

Das Riksantikvarieämbetet informiert regelmäßig auf seiner Homepage über den Fortschritt der Restaurierungen, demnächst auf einer eigenen Seite zum Thema. Zusätzlich wurde Henrik Löwenhamn als Sprecher des Projektes eingesetzt, der selbst auf einem Blog über die Arbeiten berichtet.

Informationen zu Spendenmöglichkeiten sind auf der Homepage von Gotlands Fornsal erhältlich (http://www.gotlandsmuseum.se/radda-ringmuren). Spenden aus dem Ausland können unter folgender Bankverbindung geleistet werden:

Kontoinhaber: Föreningen Gotlands Fornvänner

IBAN: SE27 8000 0848 0618 3631 4185

Swift-Adresse: SWEDSESS

Betreff: ”Rädda Visby ringmur”

 

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1507

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Filmpremiere heute: Schwedische Hacker am Werk – und vor Gericht

Heute hat ein Film Weltpremiere, der die Geschichte um den Prozess gegen die Macher hinter der umstrittenen schwedischen BitTorrent-Seite The Pirate Bay erzählt: The Pirate Bay – Away From Keyboard. Der Film wird – ganz im Sinne der Hackerethik (oder doch der Open-Access-Bewegung?) – nicht nur im Kino zu sehen sein, sondern auch im Internet frei zugänglich sein. Der Trailer fordert am Ende auf “download it in spring 2013″. Gedreht hat den Film der schwedische Filmemachers Simon Klose, der bisher vor allem Musikvideos und -Documentaries sowie kurz-Dokumentationen produziert hat. Dieses Debüt im Langformat ist absolut überzeugend geraten und rollt den kontroversen Gerichtsprozess gegen die Hacker-Truppe auf. Der Film hat heute am 8. Februar auf der Berlinale und eben auch im Internet Premiere. Der Trailer verweist schon auf ein zentrales Problem, nämlich, dass die Justiz und die Hacker-Aktivisten nicht dieselbe Sprache sprechen…

Es hat schon seine eigene Komik, wenn der Staatsanwalt vor Gericht mit dem Web-Slang (IRL = in real life) um sich wirft, der Richter aber erstmal nachfragen muss, was gemeint ist. Dass zudem die Pirate-Bay-Macher finden, dass das Internet durchaus sehr real sei, und man daher eher den Begriff AFK = Away From Keyboard verwende, zeigt einen Wahrnehmungsunterschied auf, der sich durch die verschiedenen Etappen des Prozesses zieht, die der Film dokumentiert. Die beiden Seiten sprechen ganz augenscheinlich nicht dieselbe Sprache, ein Unverständnis, das gerade die angeklagten Hacker immer wieder benennen.


Filmplakat zu TPB AFK
CC-BY Simon Klose

Klose versucht sich nicht an einer Verteidigung der Pirate-Bay-Hacker, er nimmt allenfalls subtil Stellung. Es gibt keinen Erzähler, der die Vorgänge aus dem Off kommentiert, einige kurze Zwischentitel ordnen das Geschehen kurz ein oder fungieren als Kapitelüberschriften. Die sich politisch und in Urheberrechtsfragen naiv gerierenden Nerds werfen den Institutionen und Akteuren der Strafverfolgung vor, vom wahren Charakter des WWW und seiner Offenheit keine Ahnung zu haben. Doch lassen sie sich auf eine Diskussion über die Sensibilität, die man beim Schutz geistigen Eigentums walten lassen müsste, nicht wirklich ein. Insofern gibt es nicht nur gegenseitiges Unverständnis, sondern zudem eine gewaltige Kommunikationslücke.

Ich habe den Film im vergangenen Dezember kennengelernt, als ich die Übersetzungsarbeiten für eine deutsche Fassung übernommen habe, eine sporadische Nebentätigkeit, die aber immer wieder zum Kontakt mit aktuellen gesellschaftlichen Prozessen und Diskussionen in Nordeuropa führt. Das tut als Historiker sowieso mal gut, dieser Film passte nun perfekt zu meinen jüngsten Forschungsinteressen, die sich zwar mit Geschichte, aber eben in der digitalen Welt, auseinandersetzen.

Mit dem Film wird ein wichtiges und problematisches Stück jüngster Internetgeschichte aufgerollt. Der Film stößt eigentlich mehr Fragen an als dass er welche beantwortet, für mich ein absolutes Qualitätsmerkmal. Absolut sehenswert und weiterzuempfehlen!

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1353

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Kulturelles Erbe online: Suchdienste und soziale Foren des Zentralamts für Denkmalpflege in Schweden

Ausgrabung bei Gödåker in Uppland, Schweden Flickr Commons, Swedish National Heritage Board Mal Hand aufs Herz: Was geht Ihnen bei dem Schlagwort “Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter” und dem Nachdenken über online verfügbare Quellen als erstes durch den Kopf? Haben Sie zuerst an digitalisierte Textquellen gedacht wie ich auch? Das tun vermutlich die meisten Historikerinnen und Historiker – wir sind nun mal durch Studium und die eigene Forschung oft dahingehend geprägt worden. “Als Historiker arbeitet man mit Textquellen.” So oder ähnlich monolithisch werden viele das mal als Aussage mal gehört haben. Ich erinnere mich an einen Kurs im Geschichtsstudium, der sich dezidiert dem Bild als historische Quelle (und eben nicht als reine Illustration!) widmete. Das heißt nicht, dass Historiker für Artefakte blind sind, aber es gilt nicht unbedingt als kanonisiertes Verhalten, sich als Historiker/in mit materiellen Hinterlassenschaften hauptamtlich zu beschäftigen… Könnte sich das dadurch ändern, dass es uns immer leichter gemacht wird, Bilder und zwar nicht nur digitalisierte Fotografien, sondern auch Abbildungen von dreidimensionalen Artefakten im Netz aufzufinden? Zunehmend werden auch historische Stätten, Denkmäler, Gebäude, Ausgrabungsfunde, aber auch in Museen verwahrte Objekte in Datenbanken eingespeist. Hier soll exemplarisch ein Blick auf einige solche Suchdienste in Schweden geworfen werden. Das Riksantikvarieämbetet (wörtlich übersetzt: Reichsantiquarenamt), das schwedische Zentralamt für Denkmalpflege also, ist gleich mit einer ganzen Reihe von verschiedenen Suchdiensten und Foren im Netz präsent.  Aus der Vielzahl von Datenbanken sollen hier einige exemplarisch vorgestellt werden. Da ist zum einen die Bilddatenbank Kulturmiljöbild (das versteht man wohl auch ohne Übersetzung), die über 100.000 Aufnahmen von Gebäuden, archäologischen Fundstätten und Kulturlandschaften verzeichnet, die man frei herunterladen und unter Nutzung einer Creative Commons-Lizenz bzw. wenn das Urheberrecht abgelaufen ist, dennoch unter Nennung der Quelle verwenden darf. Die Nutzung ist allerdings nur zu privaten und nichtkommerziellen (non-profit) Zwecken erlaubt. Der Hinweis, es handele sich bei den am Bildschirm einzusehenden und herunterladbaren Fotos um Versionen in niedriger Auflösung, erwies sich nach einer Stichprobe als nicht ganz korrekt: Vor allem Fotos neueren Datums sind tatsächlich mit niedrigeren Auflösungen (96 dpi) vorhanden, aber gerade historische Aufnahmen wie das  hier eingebundene Bild (s.u.) sind hier mit 1100 dpi in druckfähigen Auflösungen vorhanden – nicht schlecht! Wo man es doch braucht, kann man für hochauflösende Versionen einen kostenpflichtigen Bestellservice nutzen und die Fotos als Abzüge oder in Dateiform erhalten.   “Mirakelspel”. Historienspiel in Gamla Uppsala, Schweden Aufnahme: Berit Wallenberg, 25.5.1931 (PD/gemeinfrei) Aus der Sammlung “Kulturmiljöbild”, Riksantikvarieämbetet Die Bildunterschrift enthält bereits sämtliche in die Datenbank eingepflegten Informationen, die – einigermaßen unbefriedigend, muss man sagen – spärlich sind. Welchen Anlass das Historienspiel hatte, wer die Akteure dieser Re-Enactment-Aktion waren, wie lange das Ganze dauerte etc. – das muss man auf anderen Wegen herausfinden. Eine Sammlung von 100 000 und bald wahrscheinlich noch mehr Bildern zu annotieren, wäre allerdings auch kaum leistbar. Die Suche kann als Volltextsuche, nach Objekten (über eine alphabetische Liste) und mit einer fortgeschrittenen Suchfunktion mit verschiedenen Filtern durchgeführt werden. Die Bildsammlung enthält nicht nur Fotografien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute, sondern auch Postkarten, Zeichnungen und Druckerzeugnisse. Eine sehr umfangreiche Datenbank ist Fornsök, in der Informationen über 1,7 Millionen (!) archäologische Fundstätten an nahezu  600 000 Orten vorliegen. Man kann sich hier über alles Mögliche vom Runenstein über Felszeichnungen, Hinrichtungsstätten, Schiffswracks und Grabstätten informieren. Beispiel für eine Fornsök-Objektmaske Eine Eingabe im Suchfenster führt zu einer Karte, auf der die für den jeweiligen Ort oder die gewählte Region in der Datenbank aufgeführten Fundorte eingezeichnet und anklickbar sind. Ausführliche Informationen zum jeweiligen Fund und der Geschichte seiner Entdeckung sind ebenso vorhanden wie Begleitmaterial, etwa ein Scan aus dem Arbeitsjournal des Grabungsleiters als PDF-Datei oder historische Fotografien oder Kunstwerke wie im Fall des hier abgebildeten Teils der mittelalterlichen Stadtmauer von Visby. Solche Abbildungen stammen dann oft aus der oben schon erwähnten Sammlung Kulturmiljöbild. Mit der Datenbank Kringlawird ein kombinierter Suchdienst angeboten, der Informationen einer Vielzahl schwedischer Museen, Archive und Register enthält. Verzeichnet sind Angaben über historische Objekte und Fotografien aus den Sammlungen dieser Institutionen sowie über Gebäude und Fundstätten von kulturhistorischer Bedeutung. Die Kategorien für einen Sucheinstieg sind Objekte (derzeit knapp 1,87 Millionen an der Zahl), Fotografien (derzeit knapp 792 000), Orte (Baudenkmäler, Monumente, Kulturlandschaften, knapp 900 000), Dokumente (archivalische Quellen und Kataloge, knapp 432 000), Printmaterial (etwa 22 800) und Sammlungen verschiedener Provenienz (an die 42 900). Einstiegsseite von Kringla Umfangreiche Filter erlauben eine detaillierte Suche nach Materialart, thematischer Zuordnung, Lizenzarten, man kann in einzelnen Regionen Schwedens suchen, in bestimmten Jahrhunderten sowie nach der Institution, aus der die Objekte stammen. Natürlich kann man die Filter auch weglassen und in der gesamten Datenbank suchen. Neben der klassischen Freitextsuche kann man eine detaillierte Suchfunktion nutzen, entscheiden, ob nur Ergebnisse mit Bildern angezeigt werden und man kann sich die Treffer auf einer Karte anschauen. Die Menge an Einträgen ist beeindruckend, gerade auch die Vielfalt verschiedenartiger Gegenstände. Seit Anfang 2012 hat man zudem begonnen, die Nutzer stärker in den Ausbau der Datenbank einzubinden. Allerdings beschränkt sich dies auf die Möglichkeit, Objekte miteinander zu verknüpfen und Links auf Wikipedia-Artikel zu setzen. Deutlich mehr Web 2.0 gibt es hingegen bei Platsr, dessen Schreibweise ja schon mal etwas an Flickr erinnert. Eigentlich müsste es Platser heißen, also Plätze oder Orte. Diese deutlich an andere social media angelehnte Seite soll von den Nutzern mit ihren Berichten und Erinnerungen an historische Orte und Ereignisse bestückt werden. Man bedient sich hier der Puzzle-Metapher, nach der ‘ganz gewöhnliche Menschen’ weitere Stücke zu dem großen Puzzle der gemeinsamen Geschichte hinzufügen. Dies geschieht in Form persönlicher Erzählungen, welche hier als gleichberechtigte Stimmen verstanden werden: Subjektive oder alternative Fassungen von Geschichte in Form von ‘kleinen Geschichten’ könnten das von der professionellen Forschung gezeichnete Bild bereichern. In einem einleitenden Video (leider nur auf Schwedisch vorhanden) wird diese Puzzle-Metapher graphisch umgesetzt und auch auf den Unterschied zu früheren Zeiten verwiesen (hier durch die Jahreszahl 1898 vertreten), in denen man eine entsprechende Ausbildung sowie Anstellung (und obendrein einen Schnurrbart!) brauchte, um mitzubestimmen, was über Geschichte niedergeschrieben wird. Heute könne jeder mitmachen, so eine Kernaussage.   Da auf Platsr aber auch etablierte Organisationen für die Pflege des kulturellen Erbes (Museen, Archive etc.) aktiv sein dürfen, können wir ein weiteres Mal eine Egalisierung zwischen ‘professionellen Akteuren’ und ‘Amateuren’ beobachten, wie dies auf diesem Blog schon einmal für ein norwegisches Projekt festgestellt wurde. Sowohl für Platsr als auch für Kringla liegen im Übrigen Anwendungen für Smartphones vor, bisher nur für das Android-Betriebssystem. So wird dann die Möglichkeit, die reichhaltigen Informationen der Datenbanken am jeweiligen historischen Ort selbst abzurufen, eröffnet. Fazit: Die schwedischen Denkmalpfleger haben eine beeindruckende Vielfalt an Online-Aktivitäten entwickelt und bieten ein für jedermann frei zugängliches Informationsportal mit verschiedensten Suchzugriffen an. Allein die Zahl der verfügbaren Objekte erschlägt einen – in der Praxis hier den Überblick zu behalten, ist gar nicht so einfach, aber wie immer gilt: Wer weiß, wonach er sucht, kann hier fündig werden, ohne in der Informationsflut zu ertrinken. Von dem Engagement, dass hier für online verfügbare archäologische und historische Informationen betrieben wird, könnte man sich andernorts so manches Byte abschneiden…

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/639

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Zorneszeichen und Endzeiterfahrungen: Die frühneuzeitliche Wahrnehmung von Naturphänomenen


Venustransit im Juni 2012, Aufnahme des Sonnenbeobachtungs-Satelliten SDO
Flickr, CC-BY NASA/SDO, AIA

Himmelserscheinungen haben schon immer eine gewisse Faszination auf Menschen ausgeübt. Eines der jüngsten Beispiele ist der am 6. Juni erfolgte Venustransit, der, wie im norwegischen Tromsø, bei idealem Wetter ein Massenpublikum anlockte. Mithilfe von Fernrohr oder gar mit bloßem Auge ließ sich beobachten, wie der Planet Venus vor der Sonne vorbeizog. Naturphänomene dieser Art lassen sich heutzutage bequem innerhalb der eigenen vier Wände verfolgen; schließlich erreichen derlei Medienereignisse via Fernsehen, Zeitung oder Internet ohne weiteres ein räumlich und zeitlich disperses Publikum. Der Zusammenhang zwischen Naturphänomen, Medium und Öffentlichkeit hat, mit Einschränkungen, auch für die Frühe Neuzeit seine Geltung: Zwar sind rational naturwissenschaftliche Deutungsmuster Produkte der Aufklärung und den frühneuzeitlichen Prophetien fremd. Neben vermeintlichem Blutregen, Geistererscheinungen usw. wurden Himmelszeichen als Zorneszeichen Gottes, als Zeichen für das nahende Weltende aufgefasst.  Aus diesem Grund fanden diese Themen auch ihren Niederschlag in den frühneuzeitlichen Massenmedien Flugblatt und Flugschrift im Zeitalter der Gutenberg-Galaxis. Bezeichnenderweise beinhaltet das erste nachgewiesene Flugblatt in schwedischer Sprache von 1573 einen Holzschnitt über einen Kometen. Eine weitere Druckschrift, die Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597, thematisiert einen Blut- und Schwefelregen, der sich in Stralsund ereignet haben soll.

Wo wurden derlei Schriften in Schweden gedruckt und publiziert? In beiden Fällen lassen sich Stockholmer Offizine als Druckorte nachweisen. Hierbei handelt es sich um die königliche Druckerei, die einzige auf schwedischsprachigem Territorium verbliebene zu jener Zeit, als Reichsgründer Gustav I. Vasa (1521/23–1560) im Zuge territorialstaatlicher Herrschaftsverdichtung und Reformation eine Monopolisierung der Informationskanäle betrieb und andere Druckereien daraufhin den Betrieb einstellen mussten. Zwar vollzogen Karl IX. (1604–1611) und Gustav II. Adolf (1611–1632) eine Kehrtwende in der Medienpolitik, “liberalisierten” und dezentralisierten den Buchdruck, was in kurzer Zeit zur Gründung mehrerer Druckereien im Lande führen sollte, Stockholm verblieb aber das publizistische Zentrum im Schwedischen Reich.

Wer waren die Rezipienten solcher Nachrichten bzw. waren diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich? Damit verbunden ist die Frage, auf welchem Wege die Übermittlung der Informationen vonstatten ging. Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss zunächst der Begriff “Öffentlichkeit” genauer bestimmt werden: Unter Öffentlichkeit wird heutzutage alles verstanden, was allgemein zugänglich ist, also öffentliche Plätze, Institutionen und Nachrichtenmedien, weshalb an diesen Orten und mittels dieser Informationskanäle entstehende Meinungen, Debatten und Diskurse ebenfalls der Öffentlichkeitssphäre angehören und sich von der staatlichen Gewalt abgrenzen. Paradoxerweise, so könnte man meinen, verdient eben jene staatlich-institutionelle Verfügungsgewalt die Zuschreibung “öffentlich”, da sie Dinge und Vorgänge beschreibt, die mit der Ausübung von Macht über eine größere Gruppe von Menschen in Zusammenhang steht. Um es zu verdeutlichen: Unter diesem Gesichtspunkt sind heutige demokratisch legitimierte, aber auch autokratische Entscheidungsträger wie auch vormoderne Herrscher als “öffentliche” Personen zu bezeichnen.

Heutige Erscheinungsformen von Öffentlichkeit uneingeschränkt auf vor- oder frühmoderne Zeiten zu projizieren, hieße jedoch, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So waren die Akteure der Macht- und Bildungsöffentlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert einem religiös-erzieherischen Ideal verpflichtet, das mit den Kommunikationsprozessen und -formen zu jener Zeit bei heutigen Betrachtern ein Stirnrunzeln hervorrufen würde. Ähnlich verhält es sich mit der  frühneuzeitlichen Informations-Öffentlichkeit. Zwar sind Informationen – damals wie heute – nicht per se öffentlich, sie müssen erst öffentlich gemacht werden, weshalb sich “der Grad an Öffentlichkeit einer Information [...] nach der Zahl der potentiellen Empfänger, nach dem Umfang des ‘Publikums’” richtet. Doch im Unterschied zur Gegenwart waren die Kommunikationskreise frühneuzeitlicher Herrschaftsräume aufgrund mangelnder bzw. ungleich verteilter Bildungsvoraussetzungen oder auch unterschiedlicher Ethnien der am Kommunikationsprozess Teilnehmenden völlig anders strukturiert.

Mittlerweile hat sich in der Geschichtswissenschaft zur Frühen Neuzeit die Verwendung des Plurals von Öffentlichkeit etabliert. In ihrer Studie zu den Öffentlichkeiten und zur öffentlichen Kommunikation im frühneuzeitlichen Herzogtum Preußen differenziert Esther Beate Körber die verschiedenen Öffentlichkeitsgrade von Informationen anhand eines Dreischichtenmodells. Sie trennt dabei analytisch zwischen “alles Volk”, “Sprachgemeinschaft” und “Lesewelt”. Den höchsten Öffentlichkeitsgrad erlangten demnach Informationen, die nicht sprachlich verschlüsselt waren, zu deren Verständnis einfache Erklärungen, Zeichen oder Bilder genügten und zu denen, in Anlehnung an Martin Luther, “alles Volk” Zugang hatte. Anders als es m.E. in den meisten modernen Nationalstaaten der Fall ist, waren Sprachgemeinschaft und Bevölkerung der frühneuzeitlichen, “zusammengewürfelten” Staaten nicht deckungsgleich. So existierten im eigentlichen Schweden (“egentliga Sverige”) neben den schwedisch- und finnischsprachigen Bevölkerungsteilen die im nördlichen Raum siedelnden indigenen Stämme der Samen; darüber hinaus zählten zum Schwedischen Reich die seit 1561 eroberten Territorien und mit ihnen die deutsch-, dänisch-, norwegisch-, russisch-, karelisch-, estnisch- und lettischsprachigen Einwohner. Der frühneuzeitliche Herrschaftsraum der schwedischen Krone war also von einer Sprachenvielfalt geprägt. Eine “Sprachgemeinschaft”, innerhalb derer mündliche und schriftliche Informationen in schwedischer Sprache und durch aktive Teilnahme auch von nicht Lesekundigen verbreitet werden konnte, existierte allenfalls in den traditionellen schwedischen Landschaften Götaland, Svealand und in den dünner besiedelten Gebieten Norrlands und Österlands. Diese Sprachgemeinschaft zeichnete sich durch öffentliche, i.d.R. mündliche Informationsvorgänge aus, wie sie sich auf allgemein zugänglichen Plätzen und öffentlichen Räumen, so auf dem Markt, in der Kirche, im Wirtshaus oder vor dem Rathaus oder der Amtsstube einer Gemeinde, ereigneten. Den geringsten Öffentlichkeitsgrad besaßen hingegen Informationen, die an die “Lesewelt” adressiert waren. Damit bezeichnet Körber ein Publikum aus Lesekundigen, vor allem aus regelmäßigen Lesern, die sich von Empfängern nichtsprachlicher und mündlicher Informationen durch Lektüre im “privaten” Umfeld abgrenzten und deren Teilnahme an “öffentlicher” Kommunikation räumlich weiter reichte als das unmittelbare soziale Umfeld. Die Herausbildung einer solchen “Lesewelt” war an zwei Bedingungen geknüpft: Zum einen setzt sie den Buchdruck voraus, auf dessen Grundlage sich Strukturen entwickelten, die regelmäßiges Lesen erst ermöglichten. Zum anderen brauchte es eine allgemeine Lesefähigkeit, die angesichts der Schul- und Bildungsverhältnisse in der Frühen Neuzeit allerdings mehr als fraglich erscheint und dieses Publikum auf die kleinste, am wenigsten öffentliche Schicht der Informations-Öffentlichkeit beschränkt.

Zwar war die Lesefähigkeit innerhalb der schwedischen Bevölkerung im europäischen Vergleich ausgesprochen verbreitet – sie soll bei Männern und Frauen um 1700 bei etwa 90 Prozent gelegen haben. Sie war das Resultat einer im Kirchengesetz von 1686 verankerten und von staatlicher Seite betriebenen, alle sozialen Schichten erfassenden Bildungskampagne, die darauf abzielte und den gemeinen Mann in die Pflicht nahm, Katechismus, Bibel und Psalmbuch im eigenen Haushalt zu rezipieren. Diese “Bildungsoffensive” vermittelte jedoch ein eher rudimentäres Leseverständnis. Komplexere politische und ökonomische Sachverhalte, wie sie etwa aus Zeitungen oder Messrelationen zu entnehmen waren, ließen sich unter diesen Gegebenheiten wohl nicht erschließen. Dies setzte einen höheren Bildungsgrad eines zahlungskräftigeren Publikums voraus, das sich auf einen Kreis aus adligen oder bürgerlichen Bediensteten und kirchlichen Würdenträgern auf zentralstaatlicher wie auch lokaler Ebene, ebenso Kaufleute und Gelehrte beschränkte.

In Schweden wurde die Kunst des Buchdrucks spätestens 1483 eingeführt, als die aus Magdeburg bzw. Hannover stammenden Typographen Bartholomeus Gothan († um 1494) und Johann Snell (* vor 1476; † nach 1519) in Stockholm erstmals kirchendienstliche Drucke publizierten. In der Folge entwickelte sich eine rege Drucktätigkeit. Ob der frühneuzeitliche Buchdruck als “Massenmedium” bezeichnet werden kann oder gar den Sehsinn stimulierte und diesen gegenüber den anderen Sinnen aufwertete, wie es in einigen Abhandlungen zur Kulturgeschichte postuliert wird, bleibt fraglich. Denn Lesen bedeutete bis ins 18. Jahrhundert vor allem lautes Vorsprechen, Hör- und Sehsinn wurden bei dieser Tätigkeit gleichermaßen beansprucht. Auch ist nicht der Buchdruck, vielmehr die Kirchenkanzel als das eigentliche “Massenmedium” dieser Epoche zu bezeichnen, was den Distributionsgrad von Informationen an ein Publikum via mündlicher Verlautbarung anbelangt. Es waren nicht nur religiöse Botschaften, die die Pastoren ihren Gemeinden während des sonn- und feiertäglichen Kirchgangs von der Kanzel abkündigten; die Predigten enthielten darüberhinaus obrigkeitliche Verordnungen und Mitteilungen über gegenwärtige Kriegs- und Friedensläufte wie auch das Herrscherhaus betreffend.

Nach diesem Exkurs kehre ich zurück zur Frage nach den Rezipienten dieser Flugbätter und wie die darin enthaltenen Informationen übermittelt wurden. Informationen konnten sowohl bildlich als auch schriftlich weitergegeben werden. Informationen aus Bildflugblättern ohne Text oder allenfalls mit schriftlichen Erläuterungen waren ohne besondere Bildungsvoraussetzungen erschließbar und erreichten ein Publikum, das über die Grenzen einer Sprachgemeinschaft hinausreichte. Auch als “illustriertes Flugblatt”, ein Flugblatt mit ausführlichem Text, diente das Bild den Analphabeten als vorrangige Informationsquelle. Hier verband der Text das illustrierte Flugblatt mit stärker schriftlich orientierten Informationsformen. Je stärker der Textteil aber die Aussage eines illustrierten Flugblattes dominierte, desto weniger richtete sich das Flugblatt an “alles Volk”, sondern an eine Sprachgemeinschaft oder “Lesewelt”. Unter diesem Gesichtspunkt besaßen textorientierte Flugblätter einen geringeren Öffentlichkeitsgrad als Bildflugblätter. Dennoch konnten die Rezipienten den Text aus illustrierten Flugblättern interessierten Zuhörern vorlesen, die schriftlich fixierten Informationen als Vorlage für die mündliche Weitergabe verwendet werden. Damit gestaltet sich eine klare Trennung zwischen  mündlicher und schriftlicher Weitergabe aber als äußerst schwierig. Denn mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Entfernung konnten Nachrichteninhalte mitunter so stark variieren, dass sie alsbald als Gerücht nicht mehr ihrem Ursprung zuzuordnen waren – eine effektive Methode des gemeinen Mannes, sich sozialer Kontrolle zu entziehen. Dies führte bisweilen soweit, dass diese Gerüchte an anderen Orten zu anderen Zeiten nach dem Hörensagen womöglich erneut aufgeschrieben oder gar gedruckt wurden.

Die Komposition der oben genannten und hier abgebildeten schwedischen Flugblätter gibt Auskunft über den Grad der Informations-Öffentlichkeit. In ihren Titeln werden explizit Übermittlungswege und Adressaten der Nachrichten genannt: ”Om then nyia stierno och cometa, som syntes Anno Domini 1572 i Novembris månat / scriffuit aff Georgio Busch Norinbergense på tydsko, boendes i Erfurt, och nu uthsatt på swensko” – ”Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender… Allom Christrognom vthi Swerige til warning och rättelse / aff Tydskone afffatt.” In beiden Fällen handelt es sich um Übersetzungen aus dem Deutschen. Die Flugblätter gelangten im Original nach Stockholm, wo sie ins Schwedische übersetzt und, nach erfolgter Imprimatur, von den königlichen Buchdruckern Amund Laurentzson 1573 bzw. von Andreas Gutterwitz im Jahr 1597 publiziert wurden. Sie waren an „christgläubige Leser“ bzw. an „alle christgläubigen Schweden“, wie es in dem illustrierten Flugblatt von 1597 heißt, gerichtet, ein nach damaligem reichskirchlichem Verständnis ausnahmslos orthodox protestantisches Publikum. Beide Flugblätter sind in erster Linie an ein Lesepublikum adressiert. In beiden Fällen handelt es sich um textorientierte Flugblätter. Bilder, wie sie allenfalls im Flugblatt von 1597 vorkommen, treten gegenüber der textlichen Gestaltung in den Hintergrund und spielen als Informationsträger eine marginale Rolle. Da die segmentären Botensysteme des 16. Jahrhunderts noch keine regelmäßige Übermittlung handschriftlicher und gedruckter Nachrichten zu leisten im Stande waren – ein staatlich organisiertes Postsystem in Schweden war erst seit 1636 im Aufbau begriffen –, zudem die Verbreitung von Flugblättern durch Buchhändler und Reisende okkasionell und punktuell erfolgte, ist davon auszugehen, dass der Informationsgehalt dieser Druckmedien größtenteils mündlich weiter verbreitet, der Öffentlichkeitsgrad dieser Medien von der Lesewelt auf die schwedische Sprachgemeinschaft erweitert wurde.

Wie aber ist zu erklären, dass bestimmte Nachrichtenmeldungen verbreitet wurden, andere aber nicht? Wie heutige Journalisten mussten auch die Nachrichtenspezialisten des 16. und 17. Jahrhunderts, also Buchdrucker, Buchhändler und Postmeister, eine Auswahl an Meldungen vornehmen. Allerdings herrschte damals kein Überfluss, eher ein Mangel an Informationen, worauf der begrenzte Umfang an Nachrichten in den Flugblättern schließen lässt. Die Nachrichtenspezialisten mussten sich daher in weitaus stärkerem Maße am Erwartungshorizont des Publikums orientieren als dies heute der Fall ist. Dies lässt sich am Nachrichtendruck selbst ablesen, wodurch er für die Leser interessant wurde. Die Auswahl- bzw. Bewertungskriterien der Nachrichten kommen für gewöhnlich schon im Flugblatttitel vor, etwa in den Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597 – “Wahrheit”, “Schrecken” und “Neuheit”. Es sind spezifisch werbende Eigenschaften einer Nachricht, die in der modernen Kommunikationswissenschaft als Nachrichtenfaktoren bezeichnet werden. Durch diese Nachrichtenfaktoren erhält die Meldung einen Nachrichtenwert, der die Wahrscheinlichkeit ihrer Verbreitung vergrößert.

Allerdings ist auch hier erneut davor zu warnen, moderne Vorstellungen über Nachrichtenfaktoren auf frühere Epochen zu übertragen. Um mit dem Bewertungskriterium “Neuheit” zu beginnen, bleibt festzuhalten, dass der Anspruch auf Aktualität einer Nachricht nur mit Einschränkung für das 16. und auch noch für 17. Jahrhundert gültig ist. Die “Neuheit” der Nachrichten ist zu relativieren, da zwischen dem berichteten Ereignis und seiner Veröffentlichung ein längerer Zeitraum liegen konnte. So wurde das Flugblatt, das in deutscher Sprache über einen Kometen im November 1572 berichtet, erst im folgenden Jahr ins Schwedische übersetzt und gedruckt. Zeitlich noch weiter zurück liegt ein Bericht über das Stockhomer Blutbad von 1520. Gustav Vasa ließ den Bericht mit dem Titel “Von der graüsamen Tyranieschen Myssehandelung, so Künig Christiern, des namens der ander von Dennmarck, jm Reich zu Sweden begangen hat” erst vier Jahre später im Druck veröffentlichen. Und bei dem Flugblatt von 1597 handelt es sich offenbar um einen Nachdruck von 1577. Daraus ließe sich thesenartig formulieren, dass der Nachdruck offenbar ein lohnenswertes Zusatzgeschäft für die Buchdrucker darstellte, mögliche Leser der Flugblätter offenbar keine hohen Ansprüche an die Schnelligkeit der Information stellten, die Nachricht an sich für den Leser offenbar wichtiger war als die Aktualität der Meldung. Dass solche Information eher als Wiedererinnerung an ein jüngst vergangenes Geschehen zu interpretieren sind, die Mitteilungen also über längere Zeit oder auch zeitlos gültig sein konnten, wird mit der Überlieferungssituation bzw. der Aufbewahrungsfrage der Druckschriften in Verbindung gebracht. So wurden Flugschriften mit voraussichtlich zeitloser Gültigkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit aufbewahrt und gesammelt, z.B. als Wandschmuck verwendet, weil “zeitlose” Nachrichten interessanter oder wichtiger erschienen als beispielsweise Sensations-Flugblätter. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die mystische Publizistik in Schweden im 17. Jahrhundert gegenüber politischen Flugblättern nicht so richtig in Erscheinung trat.

“Wahrheit” als Nachrichtenfaktor erscheint aus der heutigen Perspektive als selbstverständlich. Dagegen war es in der Frühen Neuzeit wohl keine Selbstverständlichkeit, “wahre” Nachrichten zu erhalten, da diese Tatsache explizit im Titel der Flugblätter hervorgehoben wurde. “Wahrheit” hieß zudem nicht in erster Linie ein mittels Zeugenschaft verbürgter Seinszustand, sondern war vor allem an kirchliche oder weltliche Obrigkeiten, deren Werte und Traditionen gebunden. In Zeiten unsicherer Kommunikationswege und Informationsübermittlung galt “Wahrheit” bzw. Authentizität als ein hohes Gut in der Informations-Öffentlichkeit, und dies schon lange vor Einführung des Buchdrucks, etwa in handgeschriebenen Nachrichtenbriefen der Diplomaten an ihre Auftraggeber. Der Buchdruck trug lediglich dazu bei, dass Informationen, die dem Wahrheitskriterium des Augenscheins verpflichtet waren, in großer Menge verbreitet und längere Zeit aufbewahrt werden konnten. Das gilt offenbar weniger für illustrierte Druckerzeugnisse. In ihnen ist kein besonderer Zwang zur genauen Darstellung optischer Sinneseindrücke festzustellen, im Gegenteil: Als Beispiel kann wiederum das Flugblatt von 1597 angeführt werden. Im Vordergrund des linken Bildes führen zwei Gestalten, vermutlich Frau und Mann, in ihren weiten Gewändern und gestenreicher Haltung einen Dialog. Die Person zur linken Seite zeigt dabei mit erhobenem Zeigefinger auf das Firmament mit seinen Himmelskörpern Sonne, Sterne und Halbmond. Im rechten Bild recken die beiden Personen nun auf der Erde kniend flehentlich ihre Hände empor. Über ihnen auf einem Bogen sitzend ist eine weitere irdische Gestalt abgebildet, flankiert von einer himmlischen Gestalt zur Linken mit ausgestrecktem Arm eine Trompete in ihrer Hand haltend. Hierbei handelt es sich wohl um Fama, Göttin des Gerüchts. Zur Rechten ist eine weitere himmlische Gestalt, ein Engel, abgebildet. Zwar zeigen die beiden Illustrationen gut erkennbare Vorgänge, deren prophetische-religiöse Botschaften mit ihren allegorischen und metaphorischen Andeutungen aber erst in Verbindung mit dem textlichen Inhalt nachvollziehbar werden.

Dagegen ist die Botschaft der in diesem Beispiel angeführten bildlichen Darstellung mit ihrer textlichen Beschreibung nahezu identisch: “Warschau / vom 1. Junii Man hat 14 Tage vor Ihr. Königl. Maj. von Schweden Ankunfft / zu Mitternacht 3 Lichter an dem Himmel gesehen / wie drey Sonnen (wie vorstehende Figur außweiset) Durch den mittelsten Circul haben sich 2 Ruhten präsentiret / in dem untersten 3 Creutze / welche 3 Creutze aber sich zuletzt gantz geleget haben / der oberste Circul ist nur halb gewesen. GOtt gebe daß es was Gutes bedeuten”. Hierbei handelt es sich um eine Nachricht der 51. Ausgabe der Revalschen Post-Zeitung vom 26. Juni 1702. Wie unschwer zu erkennen, erschien diese Zeitung in deutscher Sprache. Ihre Leser sind der (städtischen) Oberschicht der Deutsch-Balten der unter schwedischer Herrschaft stehenden Provinz Estland zuzuordnen, weshalb die Revalsche Post-Zeitung neben weiteren deutschsprachigen Avisen aus den Ostseeprovinzen als Teil der frühneuzeitlichen schwedischen Medienlandschaft hinzuzurechnen sind und als solcher in der schwedischen Pressegeschichte behandelt werden. Im Gegensatz zu den illustrierten oder auch textorientierten Flugblättern besaßen die Nachrichten der ersten periodisch erscheinenden Avisen m.E. “tagesaktuellen” Nachrichtenwert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen die Zeitungen einmal die Woche, seit der zweiten Jahrhunderthälfte durchschnittlich zweimal pro Woche und in Ausnahmefällen sogar täglich, je nach Schlagzahl der Postkurse. Das universale, die einzelnen staatlichen Postsysteme verbindende europäische Nachrichten- und Informationsnetzwerk bildete die strukturelle Grundlage insbesondere der “Post-Zeitungen”. Handschriftliche Korrespondenzen und Nachrichtenbriefe der Agenten, Spione und Diplomaten trafen bei den Postmeistern ein, wurden dort gesammelt, sortiert und nach Einsicht der entsprechenden Zensurbehörden für den Druck freigegeben. Aus diesem Grund war das Wahrheitskriterium der Nachrichten in den Avisen besonders ausgeprägt, galt doch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Korrespondenten und Auftraggebern in der Macht-Öffentlichkeit als notwendiges Kapital im Dienste der Krone. Folglich war der Ton der Nachrichten in den Avisen betont sachlich, auch wenn in der Kriegsberichterstattung, etwa bei der Beschreibung des Feindes bisweilen propagandistische Konturen sichtbar wurden.

Der Nachrichtenfaktor “Schrecken” blieb somit im Informationsmedium Zeitung unterbelichtet, Berichte über Himmelsphänomene die Ausnahme. Diese blieben den Flugblättern vorbehalten, womit ein Zusammenhang zwischen Periodizität der Nachrichtenmedien und Häufigkeit von Katastrophenmeldungen verneint werden muss. Zwar war der Zwang zur Aktualität bereits in den Frühformen der modernen Zeitung gegeben, die “aufregende” Präsentation der Meldungen insbesondere  die der Regenbogenpresse gründet historisch auf dem Erscheinungsbild der Flugblätter.

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/338

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Geschichtstourismus in Schweden – die Mittelalterwoche auf Gotland


Das Mittelalter als bzw. im Spiegel unserer Zeit...Flickr, CC-BY-NC-SA arkland_swe

Jedes Jahr im August, immer in der Kalenderwoche 32, machen sich zehntausende von Besuchern auf den Weg zur schwedischen Insel Gotland und – ins Mittelalter. Ein regelrechter Mittelalterwahn:  Hier treffen sich Eskapismus und Geschichtsverklärung, weidlich ausgeschlachtet von der Tourismusbranche.

Letzte Woche war es wieder soweit, und Tausende hatten sich wieder vor allem in der Inselhauptstadt Visby eingefunden, um sich inmitten der historischen Kulisse, welche die in weiten Teilen erhaltene Altstadt samt ihrer mittelalterlichen Stadtmauer bietet, dieser historischen Inszenierung hinzugeben. Von ihren bescheidenen Anfängen 1984 ist diese Veranstaltung zu einem Massenspektakel und Besuchermagnet mit an die 40.000 Besuchern jährlich geworden. Das in großen Teilen erhaltene mittelalterliche Stadtbild ist das eine, das für viele obligatorische Einkleiden in mittelalterlich anmutende Kleidung (oder was man dafür hält) ist das andere. Die Mittelalterwoche ähnelt in ihrem Programm und den angebotenen Aktivitäten vielem, was man in deutschen Breiten auf entsprechenden Veranstaltungen wiederfindet: angefangen beim Turnier über einen Markt mit Handwerk und Speisen bis hin zu diversen Theater- und Musikaufführungen – ein facettenreiches Enactment-Event und Geschichtsspektakel, und das eine ganze Woche lang, von Sonntag bis Sonntag.

Carl Gustaf Hellquist: Valdemar Atterdag brandskattar Visby (1882)Quelle: Wikimedia Commons

Den historischen Hintergrund bildet die Eroberung der Insel durch den dänischen König Valdemar Atterdag 1361 und die anschließende Brandschatzung Visbys – in gewisser Weise ein Kuriosum, da man sich auf eine für die Insel eher unerfreuliche Begebenheit bezieht. Dieses Ereignis ist für viele Schweden in Form des der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts zuzuordnenden Bildes von Carl Gustaf Hellquist durchaus präsent. Das nachfolgende Filmchen auf Vimeo zeigt eine Amateuraufnahme von 2009 vom alljährlich nachgestellten Einzug Atterdags in die Stadt. Kleine Bemerkung am Rande: Kurios ist das Bemühen, die Aufnahme durch die Nachbearbeitung als historisch anmutenden Schwarzweißfilm aus der Frühzeit des Kinos daherkommen zu lassen, sozusagen um “noch mehr historische Authentizität” zu erreichen.

“Jung und alt begeben sich 1000 Jahre in der Zeit zurück und leben während einer Woche auf Gotland im Mittelalter. Ist das Interesse für diese entlegene Zeit wirklich seriös oder haben wir einen Wunsch, für eine Weile aus unserer eigenen Zeit zu flüchten, uns als jemand Fremdes und Anderes zu verkleiden? Eine andere Person werden zu können und in der Fantasie nachspüren, wie sich das Dasein für Menschen in unterschiedlichen Situationen, Tätigkeiten und sozialen Zusammenhängen gestalten könnte.”

So schreiben die Organisatoren auf der Homepage der Mittelalterwoche und lassen erkennen, dass auch für sie die Inszenierung, die sie betreiben, ihre Grenzen hat. Während des Ereignisses ist man jedenfalls in vielerlei Hinsicht sehr bemüht, eine Illusion von Mittelalter zu kreieren – soweit das in der heutigen Zeit natürlich überhaupt möglich ist. Es gibt ein weitgehendes Autoverbot in der Visbyer Innenstadt, man versucht, Verkehrsschilder und andere moderne Symbole zu verdecken und es werden detaillierte Anweisungen an die mitwirkenden Akteure ausgegeben.

Frauen bitte mit Kopfbedeckung!Flickr, CC-BY-NC-SA jonas_evertsson

So werden für den Markt, den die Organisatoren als Herzstück der Mittelalterwoche begreifen, klare Regeln vorgegeben: Es sollen mittelaltertypische Waren und Mahlzeiten angeboten werden, die Marktstände müssen aus Holz und mittelalterlicher  Bauart  sein. Moderne Ausstattungs- und Gebrauchsgegenstände sollen vermieden oder camoufliert werden. Schilder mit Text sind weniger erwünscht als Symbole, Zunftabzeichen und das mündliche Anpreisen der Waren. Moderne Auszeichnungen der Waren werden vom Organisationsteam nicht zugelassen. Natürlich sind auch hinsichtlich der Kleidung Vorgaben zu beachten: “Verkäufer und andere, die sich am Stand aufhalten, sollen mittelalterlich gekleidet sein. Denk auch an die Schuhe. Ein Sack oder eine Tunika über moderner Kleidung sehen nicht gut aus. Frauen sollen eine Kopfbedeckung tragen. Mädchen dürfen jedoch das Haar offen tragen.”

Die Gesamtheit eines Marktstandes (Verkaufspersonal, Stand und Waren) soll dabei helfen, die Illusion eines mittelalterlichen Marktes zu erwecken. Mit der Unterschrift auf dem Pachtvertrag verpflichtet man sich als Markthändler, die Regeln der Organisatoren verbindlich einzuhalten. Alle Waren und Angebote müssen vom Organisationskomitee genehmigt werden: “Die Mittelalterwoche akzeptiert Produkte und Material, das es im Mittelalter gegeben haben kann, d.h. Produkte, die entweder mittelalterlichen Charakters und Eindrucks sind oder vom Mittelalter inspiriert sind oder aus Material, dass es im Mittelalter gab oder mit mittelalterlicher Technik hergestellt sind.” Auf dem Markt herrscht nicht nur Rauch-, sondern auch Kaffee-, Softdrink- und Mobiltelefonverbot. Wem das alles noch nicht genug ist, der kann sich noch in eines der Mittelalterlager begeben, in dem man seine Reise in die Vergangenheit rund um die Uhr betreiben kann. Sehr aktiv ist dabei eine sog. Gesellschaft für kreativen Anachronismus (das Organisationskomitee sollte vielleicht anfragen, ob man diesen Namen nicht übernehmen könnte…). Man kann also, wenn man möchte, mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen in eine andere Zeit eintauchen. “Bei allem geht es natürlich darum, zu versuchen, lebendig zu machen, wie Menschen im Mittelalter lebten. Das beinhaltet alles, angefangen dabei, wie man sich kleidete, was man aß, was die Kinder spielten, wie man Dinge herstellte, welche Berufe man hatte, wie man hieß, bis hin wie man redete. Das ist es, worum es bei der Mittelalterwoche geht. Sowie Spaß zu haben!”

Mittelalterliche Stadtmauer von Visby (gemeinfrei)Quelle: Wikimedia Commons

Darüber hinaus geht es bei der Mittelalterwoche noch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Gotland ist eine strukturschwache Region, deren Haupterwerbszweige der Tourismus und die Landwirtschaft darstellen. Von den Zeiten früherer Größe als Knotenpunkt im Ostseehandel und als Hansestadt ist wirtschaftlich gesehen nichts mehr übrig. Immerhin kann Schwedens “Sonneninsel” im Sommer beachtliche Zahlen an Touristen empfangen, primär aus Schweden selbst, aber auch aus anderen Ländern. Der Zeitpunkt Anfang August wurde bewusst gewählt, weil das Mittelalterspektakel so einen saisonverlängernden Effekt hat und Touristen auf der Insel hält oder zu einem Zeitpunkt auf die Insel bringt, wenn das Sommergeschäft sich langsam schon dem Ende zuneigt. Die Wahl des Themas ist auch recht vielsagend, fiel die Eroberung durch Valdemar doch in eine Zeit, in der Gotland nur schwache Bindungen an das schwedische Königreich besaß und eher eine Art Inselrepublik darstellte, die allerdings mit der zunehmenden Expansion der dänischen und schwedischen Herrschaftsbereiche und mit den Entwicklungen in der Seefahrt bereits dabei war, an wirtschaftlicher Bedeutung zu verlieren. Jedenfalls verweisen die Begebenheiten von 1361 auf eine Zeit, in der Gotland noch stärkere Distanz zu Schweden hatte – und das passt angesichts der gerne gepflegten regionalen Identität sehr gut.

Das Geschichtsevent trägt allerdings auch zu einer Engführung des gotländischen Geschichtsbildes auf das Mittelalter bei, eine Fixierung, die ohnehin schon stark ist. Über Gotlands Bedeutung als “Horchposten der NATO” in der Ostsee im Kalten Krieg und als strategischer Punkt in militärischen Planungen in den Konflikten und Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts etwas zu erfahren, ist ungleich schwerer, als über Gotlands Blüte in der Hansezeit. Zu Recht ist man auf die Stellung der Visbyer Altstadt als Teil des UNESCO-Welterbes stolz und bezeichnet sich auch als “Hansestadt Visby” [Hansestaden Visby]. Doch steht vieles andere im Schatten, das hat sich mir auch vor gut einem Jahr in Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung (die mit einer einwöchigen Exkursion nach Gotland verbunden war) gezeigt: Die Forschungsliteratur zu Hansezeit und Mittelalter Gotlands ist ungleich reichhaltiger als zu anderen Epochen.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die Medeltidsveckan als geschichtskulturelles Phänomen unter die Lupe genommen haben. Im Zentrum stehen dabei Fragen der Aneignung von Geschichte und Geschichtsbildern, die Authentizität der mittelalterlichen Inszenierung in den Augen der Besucher und ihre Bedeutung als Flucht vor und zugleich Spiegel der Gegenwart. Hinsichtlich der Erwartungen an den authentischen Charakter der Mittelalterwoche – angesichts des weiter oben beschriebenen Aufwandes, der für die Inszenierung betrieben wird – verweist Sandström darauf, dass gerade Besucher mit guter historischer Vorbildung um Brüche und Unzulänglichkeiten in der Inszenierung nur zu gut wissen, sich aber dennoch auf das Spiel mit der Vergangenheit einlassen. Intellekt und Gefühl gingen eben nicht immer Hand in Hand: “Wir sind nicht dort, um mittelalterlich korrekt zu sein, wir sind dort, um Spaß zu haben.” sagen Besucher der Mittelalterwoche. Genau darum gehe es nämlich, auch der Titel des Buchs von Gustafsson verweist auf Spiele mit Zeit, Raum und Identität.

Man könnte gar die These aufstellen, dass man desto weniger im Mittelalter leben möchte, je mehr Wissen man sich über diese Zeit aneignet. Eine Kapitelüberschrift bei Sandström lautet “Das Mittelalter war eine Zeit ohne Zahnpasta”, und es wird anhand Befragungen von Besuchern der Mittelalterwoche deren oft sehr hoher Grad an Bewusstsein darüber aufgezeigt, dass sie sich immer nur in einem Ausschnitt oder in einer bestimmten Vorstellung von Mittelalter bewegen. Abends legt man sich ins Hotelbett oder in eine der Wohnungen, welche die Einwohner Visbys für teures Geld während der Woche vermieten, morgens ist man sein modernes Frühstück und schlüpft dann in die weichgespülte Version von Mittelalter ohne Unrat in den Straßen, ohne Dreck und Krankheiten. Aber kann man den begeisterten Besuchern deswegen Vorwürfe machen? Ist es nicht zu begrüßen, dass sich die Menschen wie bei kaum einer anderen Epoche mit Alltagsgeschichte und dem Leben der einfachen Leute auseinandersetzen? Was nämlich bei aller Kritik an Geschichtskonstruktionen und Eskapismus hinzukommt: Die Mittelalterwoche wird durch zahlreiche Bildungsangebote wie Stadtrundgänge, Vorträge und Museumsführungen bereichert und siedelt diesen Charakter als durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Bildungsveranstaltung relativ hoch an. So kann man das eigene “Nachleben” von Geschichte um fachlich kompetenten Input bereichern und das Ganze auch eher als Bildungsreise in die Vergangenheit mit verschiedenen Facetten auffassen. Von daher wird für einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Besucherschar von den Living-History-Anteilen und dem Reenactment-Charakter der Veranstaltung eine Brücke hin zu historischer Bildung gebaut. Zumindest möchte ich mit der leisen Hoffnung, das dem so ist, diesen Beitrag beschließen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/138

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