99 Jahre Russische Revolution – Deutungen der Macht und Wahrnehmung in der Gesellschaft

Von Ekaterina Makhotina und Philipp Bürger

img_4164Lenin-Statue in Arkhangelsk – Foto: © Ekaterina Makhotina

Heute jährt sich zum 99. Mal die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“ des Jahres 1917.[1] Das Gedenken dieses Tages und an diesem Tag ist komplex: Wie zu Zeiten der Sowjetunion wird auch heute wieder eine große Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau stattfinden. Doch anders als bis zum 7. November 1990 – als die letzte Parade zu Ehren der Oktoberrevolution stattfand und in einem versuchten Attentat auf Michail Gorbačev gipfelte – begeht man heute den „Feierlichen Marsch zu Ehren des 75. Jahrestages der Parade am 7. November 1941“. Man erinnert also nicht an die Okoberrevolution, sondern an die Parade, die vor 75 Jahren zu Ehren der Revolution abgehalten wurde.

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Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/973

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Olivenöldiplomatie? Zur Moskaureise Konrads Adenauers 1955

Bundesarchiv, B 145 Bild-P000669 / CC-BY-SA 3.0

Konrad Adenauer – Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-P000669 / CC-BY-SA 3.0

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion im September 1955 sowie die Freilassung von etwa 10.000 noch in sowjetischen Lagern inhaftierten deutschen Kriegsgefangenen soll nicht zuletzt das Verdienst von Olivenöl gewesen sein. Dieses auf den ersten Blick verblüffende Detail der bundesdeutschen Diplomatiegeschichte wird seit Jahren, seit es als Coup und geglückter Schachzug des “listigen” Staatssekretärs des Bundeskanzleramts Hans Globke publik wurde, immer wieder gerne erinnert – gerade auch in der medialen Berichterstattung zum 70. Jubiläum der Moskaureise und ihrer Folgeereignisse in diesem Jahr.

Der Hintergrund: Um den vermeintlich besonders trinkfesten – und diese Potenz gegenüber weinger robusten Gesprächspartnern angeblich diplomatisch auch ausnutzenden – Machthabern im Kreml halbwegs Paroli bieten beziehungsweise selbst Eindruck schinden zu können, verordnete Globke den Mitgliedern der bundesdeutschen Delegation in Moskau vor dem Konsum hochprozentiger Alkoholika bei anstehenden Empfängen und Dinners jeweils einen Löffel Olivenöl.



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Quelle: https://erinnerung.hypotheses.org/572

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Das zweite Ende des Zweiten Weltkriegs: Hiroshima 1945-2015

Der Kenotaph als zentrale Gedenkstätte im Peace Memorial Park von Hiroshima. Foto: A. Renner, August 2015

Der Kenotaph im Peace Memorial Park von Hiroshima: Die in die Gedenkstätte integrierte Flamme soll erst dann erlöschen, wenn die letzte Atombombe auf der Welt verschrottet ist. Foto: Andreas Renner, 6. August 2015

Aus europäischer Sicht wird die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland immer das Ende des Zweiten Weltkriegs markieren. Doch für die meisten Kriegsteilnehmer war der Mai 1945 nur ein Wende- und kein Endpunkt. Während sich in Europa Kriegserfahrung in Kriegserinnerung verwandelte, gingen die Kämpfe und das Sterben in Ostasien und im Pazifikraum weiter.

Wenige Wochen nach den Feiern zum Tag des Sieges im Westen Eurasiens trat die UdSSR im Fernen Osten erneut in den Krieg ein (am 8. August 1945) und beendete ihn ein zweites Mal an der Seite der Alliierten. Japan gab sich am 15.

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Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/553

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Zwangsarbeit als Beitrag zum Sieg: Aktuelle Versuche zur Umdeutung des Gulag-Systems

Perm 36, Foto: Wulfstan (Own Work), September 2008, “Gulag Perm-36 (Russia, Kuchino near Chusovoi)”, Public domain via Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Perm-36-10.JPG

Im ehemaligen sowjetischen Straflager “Perm 36″ im Ural geschieht seit einigen Jahren Erstaunliches: Das Museum des einst zum Gulag-System gehörenden Arbeitslagers ist insbesondere im Zuge des Ukraine-Konflikts zum Gegenstand revisionistischer Geschichtspolitik geworden – einer Politik, die nun offenbar obsiegt hat.

Perm 36” ist das einzige Gulag-Museum auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR, das sich direkt auf dem Gelände eines ehemaligen Arbeitslagers befindet. Zwischen 1943 beziehungsweise 1946 und 1987 wurden hier politische Gegner der jeweiligen sowjetischen Führung gefangen gehalten und zur Zwangsarbeit herangezogen; zunächst für die Holzproduktion, dann für die Holzverarbeitung und schließlich für die Herstellung von Kleinteilen für Bügeleisen.



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Quelle: https://erinnerung.hypotheses.org/521

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Wenn die Erzählung stoppt: Erinnerung und Gegenwärtigkeit in Filmen zur Leningrader Blockade


Das Unaussprechliche sichtbar machen: „900 Days“ und „Blockade“

Die Blockade von Leningrad durch deutsche und finnische Truppen in den Jahren 1941 bis 1944 forderte schätzungsweise 1,1 Millionen Opfer aus der russischen Zivilbevölkerung. Sie gilt als eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs. Im Rahmen der vom Institut für Slavistik der LMU organisierten internationalen Tagung “Narrating the Siege. The Blockade of Leningrad and its Transmedial Narratives” (18. bis 20. Juni 2015) wurden im Vortragssaal der Münchner Stadtbibliothek die Filme „900 Days“ von Jessica Gorter (2011) und „Blockade“ von Sergej Loznica (2005) gezeigt. Die mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilme bringen auf einzigartige und sehr unterschiedliche Weise die Blockade von Leningrad ins Bewusstsein.

Die Unterschiede in der Darstellung der Blockade beziehen sich vor allem auf die konzeptionelle Grundlage, mit der das Verhältnis von „Gegenwärtigkeit“ und „Erinnerung“ in beiden Filmen verhandelt wird.

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Quelle: https://erinnerung.hypotheses.org/422

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Kurzer Prozess: Die Verfolgung von Jugendkulturen als “Rowdies” hat eine lange Geschichte

Das drakonische Urteil gegen die Musikerinnen der russischen Punk-Band Pussy Riot vom 17. August 2012 hat eine lange Vorgeschichte. Schon im Zarenreich und im Staatssozialismus diente der Vorwurf des “Rowdytums” der Unterdrückung von Jugendkulturen. 


Politische Urteile gibt es viele in Russland. Die Verurteilung der drei jungen Frauen des russischen Punk-Kollektivs Pussy Riot aber erregt weltweit Empörung. Menschen fühlen sich angesprochen, weil die Musik auch ihre eigene ist, das macht das Urteil für viele zu einer höchstpersönlichen Angelegenheit. Das Moskauer Urteil gegen die Musikerinnen wird nicht nur Geschichte machen, es hat auch eine. Die Entscheidung der Richterin steht in einer langen und unrühmlichen rechtshistorischen Tradition autoritären und antiliberalen staatlichen Handelns. Dies belegt schon der Tatbestand des „Rowdytums“, unter dem die Anklage stand. Der Vorwurf des „Chuliganstvo“ hat eine lange Vorgeschichte.

Bereits im Kommunismus spielte er eine wichtige Rolle bei der Verfolgung politischer Gegner, wie der Regensburger Rechtswissenschaftler und Osteuropa-Experte Friedrich-Christian Schroeder schon in den sechziger Jahren herausarbeitete. Schroeder fand Ursprünge in revolutionärer Zeit, etwa im Aufruf „An die Bevölkerung“ vom November 1917: „Errichtet strengste, revolutionäre Ordnung, unterdrückt gnadenlos die Versuche zur Anarchie von Seiten der Säufer, Rowdys, konterrevolutionären Junker, Kornilow-Leute und dergleichen“, hieß es da in revolutionärem Duktus. Der Autor des Manifestes war Wladimir Iljitsch Lenin.

Ein Mittel zur Rechtfertigung juristischer Willkür

Dass Lenins Formulierungen nicht nur Revolutionsrhetorik waren, bewies er zwei Monate darauf, als er sie in einer Schrift über den Wettbewerb wiederholte. Dort gelten die „Rowdys“ gemeinsam mit den Reichen, Gaunern und Schmarotzern als „Auswurf der Menschheit“, als „rettungslos verfaulte und verkommene Elemente“. Die „Seuche, diese Pest, diese Eiterbeule“ sei eine Hinterlassenschaft des Kapitalismus, die beseitigt werden müsse.

Ein Dekret vom Februar 1918 setzte die expressive Prosa in konkrete Handlungsanweisungen um: Danach waren Rowdys ebenso wie feindliche Agenten und deutsche Spione „am Ort des Verbrechens zu erschießen“. Worin genau das Rowdytum bestand, definierten immer neue Erlasse immer wieder neu. Dabei ging es nicht nur um den Kampf gegen Zerstörungen und Schlägereien unter Alkoholeinfluss, die traditionell als Problem galten. „Chuliganen“ waren nicht nur Gewalttäter. Eine Verordnung von 1923 definierte als Rowdytum jene „Handlungen, die von einer offensichtlichen Missachtung der Gesellschaft begleitet sind, insbesondere Unfug jeder Art, Ausschreitungen, grobes Schimpfen“. Für die Revolutionstribunale der jungen Sowjetmacht hatten derart dehnbare Definitionen die wichtige Funktion, kurzen Prozess mit all jenen machen zu können, die nicht ins gängige Raster staatlicher Verfolgung passten.

Schon Lenin verstand „Rowdys“ als „Auswurf der Menschheit“Auch in der postrevolutionären Phase der Stabilisierung des Sowjetsystems blieb der Rowdy-Paragraph ein wirksames Mittel zur Rechtfertigung juristischer Willkür. Zwar wurden tatsächliche oder vermeintliche Rowdys nun nicht mehr erschossen, sondern mit Geld- und Freiheitsstrafen oder mit Verbannung bestraft. Doch sieht der Sowjetrechtsexperte Schroeder in der unter Stalin vollzogenen Konsolidierung eine „frostige Erstarrung unter Beibehaltung fast aller kriegsbedingten Verschärfungen der Repression“. Nach Stalins Tod wurde 1956 unter Chruschtschow das Rowdytum in schwere und minderschwere Delikte unterteilt und letztere mit leichten Strafen, etwa kurzer Haft, belegt. Was wie eine Entschärfung aussah, war tatsächlich ein Mittel für massenhafte Einschüchterung.

„Liquidierung des Rowdytums“

Wie der Historiker Brian Lapierre vor einigen Jahren in den „Cahiers du Monde Russe“ analysierte, war die Kampagne gegen Rowdys nun nicht mehr ein Instrument, um vermeintliche Staatsfeinde mit schweren Strafen aus dem Verkehr zu ziehen. Nun konnten Menschen wegen minderschwerer Vergehen mit kurzen Strafen belegt werden, dies aber in großem Ausmaß. Die Verurteilungen überschritten in den fünfziger Jahren die Millionengrenze. Eine „minderschwere Strafe“ konnte etwa in zwei Wochen Arbeitslager bestehen. Die vage Beschreibung des Rowdytums umfasste auch Verstöße gegen Ruhe und Ordnung, „respektloses Verhalten gegenüber anderen Bürgern“ sowie „Obszönitäten und Ungehörigkeiten“ aller Art.

Diese Gummiparagraphen waren keineswegs neu. Zwar betonten die Gesetzgeber der Sowjetunion gern den radikalen Bruch zur Justiz des Zarenreiches, doch kannte bereits das zaristische Recht „Vergehen wider die Wohlanständigkeit, Ordnung und Ruhe“, das sich allerdings vom sowjetischen Recht durch minder drastische Strafen unterschied. Der Rowdyparagraph war nicht auf die Sowjetunion allein beschränkt. Jüngere Wissenschaftler wie der Prager Historiker Matej Kotalik erforschen derzeit, inwieweit sowjetisches Strafrecht auch die Bestimmungen anderer sozialistischer Staaten prägte.

In der DDR etwa galten die Anstrengungen der Volkspolizei um 1960 ebenfalls verstärkt der „Liquidierung des Rowdytums“ und der „Zersetzung“ jugendlicher Gruppen mit nachrichtendienstlichen Methoden. Gemeint waren damit jugendliche Fans amerikanischer Musik, die sich zu Clubs und Bands zusammengeschlossen hatten. Brigaden des SED-Zentralkomitees, zu denen lokale Partei- und FDJ-Funktionäre gehörten, gingen seit 1960 gegen Fanclubs und „halbstarke Verhaltensweisen“ vor, zu denen auch das Praktizieren westlicher Tänze oder Verstöße gegen die Bestuhlungsvorschriften auf Konzerten gehören konnten. Einen Höhepunkt hatten diese Restriktionen in der Zwangsauflösung von Gitarrenbands 1965, gegen die Jugendliche in Leipzig demonstrierten und darum zu teils drakonischen Strafen verurteilt wurden. Als Tatbestand ging das Rowdytum 1968 in das Strafgesetzbuch der DDR ein. Der Paragraph 215 ahndete Vergehen wie nächtliche Ruhestörung, Verstoß gegen die Veranstaltungsordnung und „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Er wurde als sogenannter Rowdy-Paragraph berüchtigt.

Wachsendes Unverständnis

Immer wieder wurde er zur Unterdrückung unerwünschter kultureller Aktivitäten genutzt. In den fünfziger Jahren waren es die Halbstarken, in den Sechzigern und Siebzigern jugendliche „Gammler“, die auch dann als „Arbeitsbummelanten“ verfolgt wurden, wenn sie über ein einträgliches Einkommen etwa als Musiker oder Gelegenheitsarbeiter verfügten. In der Sowjetunion ging man ähnlich vor, in Ungarn und Tschechien war die Jugendpolitik etwas toleranter. Doch auch im Westen erklang der Ruf nach „Arbeitslagern für Langhaarige“ nicht nur aus dem Volksmund der Nachkriegsgesellschaft. Ein Gutachten der Weltgesundheitsorganisation erwog um 1960 militärische Trainingscamps für „antisoziale“ Jugendliche, die rauchen und trinken.

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Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/389

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“Gelobtes Land” – Überleben im stalinistischen Terror

Wolfgang Ruge war begeisterter Kommunist. 1933 flieht er im Alter von 16 Jahren vor den Nazis in die Sowjetunion. Das “gelobte Land” entpuppt sich jedoch als ein Ort der Verbrechen, der Verfolgung und des Terrors. Allmählich erlebt der Emigrant, wie Parteifunktionäre, wie Bekannte und Freunde verhaftet und ermordet werden. Nach dem Angriff des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion 1941 gerät er in die Maschinerie des sowjetischen Lagersystems.

Über seine Zeit in Moskau, im Gulag und in der Verbannung hat Wolfgang Ruge den äußerst lesenswerten Bericht Gelobtes Land – Meine Jahre in Stalins Sowjetunion verfasst, den der Sohn und Autor, Eugen Ruge, nun in einer bearbeiteten Fassung herausgegeben hat. Im MONTAGSRADIO Ausgabe 02/2012 sprechen Kaja Wesner und Jochen Thermann mit Eugen Ruge über die Erinnerungen des Vaters an seine Zeit in der Sowjetunion und darüber, wie der Vater nach seiner Rückkehr in die DDR mit dem Erlebten umgegangen ist.

Eugen Ruge ist im vergangenen Jahr mit seinem Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts bekannt geworden, für den er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Geschichte des Vaters bildet in gewisser Weise die reale Vorgeschichte des fiktiven Romangeschehens. Wolfgang Ruges Bericht “Gelobtes Land” ist ein Erinnerungsbuch, das die schwere Zeit der Säuberungen, der Lagerhaft, der unmenschlichen Arbeit und des Überlebens eindringlich schildert und den Leser durch die dichte, gelungene Darstellung in einen Sog zu ziehen vermag: den Sog historischer Abgründe, die nur ein Menschenleben zurück liegen.

Hier gehts zum schriftlichen Fragebogen von Eugen Ruge.

Und hier ist die Timeline zu dem Gespräch:

1:00 Moskau, Terror

4:00 Deportation ins Lager

6:00 Arbeitsbedingungen

7:30 Kriegsende und Verbannung

8:30 Hunger

9:30 Geschichte des Manuskripts

11:00 Lebensläufe Vergessener

11:30 Sog des Buchs, Spannung

14:00 Scheu der Erinnerung, aber kein Schweigen

16:00 Editionsgeschichte

23:00 warum kehrte Wolfgang Ruge in die DDR zurück?

26:00 ein neues Leben mit 39, Verhältnis zur DDR

28:00 Mauerfall

31:00 Verhältnis des eigenen Romans “In Zeiten des abnehmenden Lichts” zu “Gelobtes Land”

33:00 Bedeutung der Geschichte des Vaters für Eugen Ruge

35:00 das Verschweigen der Verbrechen in der DDR

Hier gehts direkt zum MP3.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/02/06/gelobtes-land-%E2%80%93-uberleben-im-stalinistischen-terror/

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