Die Christianisierung der Stadt im frühen Christentum (I)

Setzt man die beiden Begriffe „Stadt“ und „Christianisierung“ in Beziehung zueinander, stellt sich unumgänglich die Frage, was genau unter „Christianisierung der Stadt“ zu verstehen ist. Ausgehend von städtebaulichen Gesichtspunkten geht es bei dem Prozess der Christianisierung einer Stadt darum, christliche Akzente im Erscheinungsbild der Stadt zu setzen bzw. eine Stadt christlich zu prägen oder gar christlich „zu machen“. Dieser Prozess der Christianisierung braucht also immer Bezugspunkte, nämlich Gebäude und sämtliche Flächen des Stadtbildes, die christianisiert werden können.

Bei weiterer Klärung des Begriffs „Christianisierung“ fällt auf, dass dieser in sinnverwandtem Zusammenhang mit der christlichen Mission steht, in der es darum geht, den christlichen Glauben gezielt auszubreiten und Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen.1 Die Mission bzw. die Christianisierung der städtischen Gesellschaft geht der Christianisierung der Stadt jedoch voraus, weil die Christianisierung einer Stadt nur dann erfolgen kann, wenn auch Glaubensanhänger in der jeweiligen Stadt vertreten sind.2

Kein „christliches“ Stadtkonzept in der frühen Kirchengeschichte



[...]

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2015/03/die-christianisierung-der-stadt-im-fruhen-christentum-i/

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Medizingeschichte I: Beschneidung, Kastration und Klitorisentfernungen im Mittelalter

Sich Operationen an der Vorhaut, an Penis, Hoden, Vulva oder der Klitoris unter vormodernen Hygienebedingungen vorzustellen, ist vermutlich für keinen Mensch einfach, der irgendwelche dieser Körperteile besitzt. Genau darum wird es (in dieser Reihenfolge) im folgenden Post gehen, wer das nicht lesen mag, sollte also nicht auf “weiter lesen” klicken – allerdings auch besser nicht zu viel über Intersexualität in der Gegenwart nachdenken. Worum geht es? Kosmetische Genitaloperationen im 20. und leider auch im 21. Jahrhundert basieren auf modernen (aus Sicht des Mittelalter-Historikers: historisch […]

Quelle: http://intersex.hypotheses.org/157

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Rekonstruktion: Sehhilfe oder Dogmatisierung?

Gedankenexperiment: Nachdem Mainz 2018 von Wiesbaden übernommen und zerstört worden ist, verfällt es in einen 2000 Jahre dauernden Schlaf und hüllt sich in eine Decke aus Schutt und Sedimenten. Aufgrund alter Quellen fangen Archäologen 4018 an, an dieser Stelle nach der “antiken” Stadt Mainz zu graben und finden unsere Universität auf dem Siedlungshügel Saarstraße. Was geblieben ist, sind einige Fundamente, die auf rechteckig angelegte Gebäude hindeuten und eventuell ein paar Tassen und Teller des Studentenwerks. Wie wird man diese Daten nun deuten? Stand auf diesem Hügel eine Herrscherresidenz, worauf die Größe der Gebäude schließen lassen würde? War es eine Kaserne, wie in einigen Quellen angedeutet? Oder vielleicht doch eine Universität – obwohl sich im Bereich des Forums keine echten Seminarräume finden lassen?

In einer ähnlichen Situation befinden sich heute auch die Archäologen in Israel und Palästina. Wir haben viele ihrer Ausgrabungen besucht und vor Ort vor allem Rohdaten gefunden, nämlich Mauerreste. Die Aufgabe von Archäologie und Geschichtsschreibung ist es, zu diesen Daten eine plausible Geschichte zu erzählen, also eine Deutung zu finden. Dabei helfen auch die Funde, die wir nicht vor Ort besichtigen konnten, weil sie etwa wie Keramikscherben längst weggebracht worden sind oder wie besonders wertvolle Funde im Museum ausgestellt werden.
Wir als Besucher sind darauf angewiesen, dass man uns diese Geschichten weitererzählt, weil es uns an Erfahrung, Daten und vielleicht auch an Vorstellungskraft fehlt, um das, was wir sehen, zu deuten.

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Es braucht Erfahrung und Vorstellungsvermögen, um in den ausgegrabenen Grundmauern einen bestimmten Gebäudetyp (hier: Residenz in Banyas) zu identifizieren. (Foto: Benedict Schöning)

Ein Weg, Außenstehenden einen Eindruck von historischen Gegebenheiten zu verschaffen, ist die Rekonstruktion. Oft begegneten uns zum Beispiel Rekonstruktionen des zweiten Tempels, etwa im Israel-Museum. Diese Rekonstruktionen sind in der Regel Zeichnungen oder Modelle – die sich durchaus voneinander unterscheiden können, je nachdem, wie und von wem die vorliegenden Daten gedeutet werden.
Andere Rekonstruktionstypen sind deutlich handgreiflicher, etwa in Tel Arad, wo entscheidende Teile des israelitischen Heiligtums wieder aufgebaut (d.h. re-konstruiert) wurden. Meistens werden solche baulichen Rekonstruktionen gekennzeichnet, etwa mit einer Linie im Mauerwerk. Nicht immer sind solche Linien aber vorhanden. Und wenn in Tel Arad die im Boden vergrabene Mazzebe wieder aufgestellt wird, dann ist das auch nur schwerlich als Rekonstruktion kenntlich zu machen.

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In Masada gut zu erkennen: Die Linie, ab der die Mauer rekonstruiert ist. (Foto: Benedict Schöning)

Diese Art der Rekonstruktion erscheint mir deutlich problematischer. Zum einen überbaut sie die Rohdaten, d.h. das ausgegrabene Mauerwerk wird um neues ergänzt. Das macht bei einer schlecht oder gar nicht dokumentierten Grabung aber die Überprüfung der Funde schwierig und schränkt die Wiederholbarkeit der archäologischen Deutung ein. Zum anderen wird durch diese Wiederaufbauten eine der vielen möglichen Deutungen (zum Glück meistens nur sprichwörtlich) zementiert. Trotzdem sind die wieder aufgebauten Ruinen für den Besucher der archäologischen Ausgrabungen sehr hilfreich. Plastischer lässt sich das Bad des Herodes auf Masada nicht erfahren, als wenn man es selbst durchschreitet. Die baulichen Rekonstruktionen erfüllen so in erster Linie ein museumspädagogisches Anliegen.

Wie ist mit dieser Spannung zwischen wissenschaftlichem Anspruch auf Deutungsoffenheit und dem Bedürfnis nach Vermittlung an Besucher umzugehen? Mit dieser Frage setzt sich die Charta von Venedig auseinander. In ihrem neunten Artikel steht dort “Die Restaurierung [im Sinne dieses Beitrags: die Rekonstruktion; B.S.] ist eine Maßnahme, die Ausnahmecharakter behalten sollte. Ihr Ziel ist es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen. Sie gründet sich auf die Respektierung des überlieferten Bestandes und auf authentische Dokumente. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt. […]”1.

Eine Möglichkeit, um zukünftig dem Bedarf nach physischer Rekonstruktion auszuweichen, sehe ich in den sich etablierenden Techniken von Augmented bzw. Virtual Reality. Endgeräte, die eine solche visuelle Vermittlung zulassen, sind inzwischen sehr weit verbreitet: Mit günstigen Linsen und etwas Pappe kann aus nahezu jedem Smartphone eine Virtual Reality Brille werden, die die vorhandenen Ruinen mit Rekonstruktionen aller Art überlagern könnte – im Idealfall fotorealistisch und begehbar. Einerseits ließe sich dadurch der Unterschied zwischen Fund und wissenschaftlicher Deutung besser herausstellen, andererseits bliebe die jeweilige Deutung der Funde offen für neue Impulse.

Literatur zur Rekonstruktion/Restaurierung

Vieweger, Dieter: Archäologie der biblischen Welt, Gütersloh 2012, 366-371.

  1. Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles. “Charta von Venedig”, 1964; zitiert nach http://oehl_br_j2.beepworld.de/charta.htm

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/476

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Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum

Flyer Tagung

Tagung am 27./28. März – Arbeiter | Kultur | Geschichte

In welchem Sinn sind die proletarischen Amateurfotografien der 1920er Jahre geschichtsträchtig? Sind sie „objektive Dokumente“ von Alltag, Armut, Arbeitslosigkeit? Relikte autobiografischer Erzählungen oder des Klassenkampfs? Als Zeugnisse einer Geschichte des Sehens und Zeigens „von unten“ stehen sie zwischen privater Erinnerung und öffentlichem Gebrauch, zwischen „Dokument“ und „Erfindung“.

Zum Abschluss des DFG-Forschungsprojekts zur Geschichte der Arbeiterfotografie der Weimarer Republik am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) findet im Stadtmuseum Dresden am 27. und 28. März 2015 die Tagung “Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum” statt. Sie ist verbunden mit der dritten Station der Ausstellung “Das Auge des Arbeiters”, die 2014 in den Kunstsammlungen Zwickau und dem Käthe Kollwitz Museum Köln zu sehen gewesen war und die in Dresden mit einer wiederum veränderten Konzeption am 20. März eröffnet werden wird.

Die Vorträge stellen Arbeiterfotografien in den Kontext von Alltagskultur und politischer Propaganda und diskutieren ihre Beziehungen zur illustrierten Presse, zu Film und Kunst. Dabei werden auch Methoden anschaulich, Bilder als in einem umfassenden Sinn sozialgeschichtliche Quellen zu verstehen.
Hierzu gehört nicht zuletzt die Frage nach der Wirkung der politischen Verhältnisse in Ost und West zwischen 1945 und 1990 auf die Bestandsbildung in den Museen und damit auch auf das Geschichtsbild über die Weimarer Zeit. Die Tagung richtet sich an Interessierte aus den Bereichen Fotografie- und Mediengeschichte, Industrie- und Alltagskultur, Kunst- und Pressegeschichte sowie an mit der Bewahrung, Erschließung und Ausstellung von Fotografien Beschäftigte in Archiven und Museen.

Veranstalter sind das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. und das Stadtmuseum Dresden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, dem Käthe Kollwitz Museum Köln und den Kunstsammlungen Zwickau.

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen.

 

 

 

Programm

Freitag, 27.3.2015, 12:00 – 20:00
12:00 BEGRÜSSUNG – Ralf Lunau (Beigeordneter für Kultur, Landeshauptstadt Dresden), Erika Eschebach (Stadtmuseum Dresden), Winfried Müller (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde) und Korinna Lorz (Sächsische Landesstelle für Museumswesen)
12:15 EINFÜHRUNG- Holger Starke (Stadtmuseum Dresden): “Dokumente der Zeit”? Arbeiterfotografien im Geschichtsmuseum
12:30 GESCHICHTE- Mike Schmeitzner (Hannah-Arendt-Institut Dresden): Arbeiterkultur in Sachsen. Milieu und Medien
Andreas Ludwig (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam): Gegenwart als Geschichte. Museales Sammeln und Ausstellen in der DDR
14:00 Kaffeepause
14:30 IKONOGRAFIEN- Günter Agde (Berlin): Ein Muskelmann, ein Symbol und die werktätigen Massen. Metamorphosen eines Logos und seiner Bedeutung
Wolfgang Hesse (ISGV Dresden): Öffentlich privat. Arbeiterfotografien im Familienalbum
16:00 Kaffeepause
16:30 MEDIEN – Andreas Krase (Technische Sammlungen Dresden): Professionelle Amateurfotografie. Das Bildertagebuch Hugo Erfurths
Sabine Kriebel ( University College Cork): Bild und Schrift. Fotomontagen
18:00 AUSSTELLUNGSBESUCH
20:00 Abendessen

Samstag, 28.3.2015, 9:00 – 16:00
9:00 MEDIEN – Anton Holzer (Zeitschrift Fotogeschichte, Wien): Erzählende Bilder. Fotoreportagen in der bürgerlichen und proletarischen Presse um 1930
Klaus Kreimeier (Berlin): “Erobert den Film!” Dokumentarisches Kino und Arbeiterbewegung vor 1933
10:30 Kaffeepause
11:00 KUNST – Johannes Schmidt (Städtische Galerie Dresden): “Den Kampfwillen versinnbildlichen”. Otto Griebel und die Kunst der Agitation
Mathias Wagner (Galerie Neue Meister, SKD Dresden): Die Internationale. Über Massendarstellungen in Fotografie und Kunst
12:30 Mittagspause
13:30 PRAXIS – Jens Bove (Deutsche Fotothek Dresden): Erschließungsfragen. Bilder und Texte
Karl Klemm (TU Bergakademie Freiberg)/ Markus Walz (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig): Ein Forschungsprojekt, drei Ausstellungsplanungs-Prozesse. Erkenntnistransfer im museologischen Rückblick
15:00 PERSPEKTIVEN – Manfred Seifert (Philipps-Universität Marburg): Arbeitskulturen, Mentalitäten, Industriekultur
15:30 SCHLUSSDISKUSSION
16:00 Ende der Tagung

 

Die Tagung findet statt im Festsaal des Stadtmuseums Dresden, Wilsdruffer Straße 2, 01067 Dresden, Eingang: Landhausstraße.

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/03/23/arbeiter-kultur-geschichte-arbeiterfotografie-der-weimarer-republik-im-museum/

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Fundstücke

Von Stefan Sasse

- In den USA werden wieder ideologische Grabenkämpfe über den Geschichtslehrplan geführt (Englisch). Dagegen ist das hier blanke Wissenschaft.

- Das Interessante an dieser WWI-Propaganda ist, dass sie tatsächlich einen wunden Punkt ansprach

- Neue Theorie über Pestepidemien: Schuld war das Klima

- Falls noch jemand Argumente braucht warum der Vietnamkrieg ein Fehler war, dieser Artikel liefert sie (Englisch)


Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2015/03/fundstucke_23.html

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18. Der Durchkreuzer Darwin – Ideenlehre läuft bei dir (nicht)

Es könnte alles so einfach sein. Es war alles so einfach, bis 1809, dem Geburtsjahr des Traumschiff-Superstars und Forschers Charles Robert Darwin, dem unangepasstesten Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, dem Kopernikus der Biologie. Robert entwickelte nämlich eine Theorie, die die gesamte Wissenschaft auf den Kopf stellten sollte, auch die Philosophie (ja, Philosophie ist eine Wissenschaft (ja, sie ist die Wissenschaft schlechthin)). Aber was hat er angestellt, um in die Geschichtsbücher einzugehen? Warum waren seine Beobachtungen so wichtig, dass Sie sie leicht verändert auch heute noch lehren? Wie konnten Tagebücher über Korallenriffe und Forschungen an Tieren am anderen Ende der Welt zu den bedeutendsten Werken der Wissenschaft führen?

Die Antwort ist: „The survival of the fittest“. Das müsste Ihnen ein Begriff sein. Und hier trennt sich nun die Spreu vom Weizen: Sind Sie nämlich im Investmentbanking oder im Finanzsektor tätig, dann verstehen Sie unter fittest „Bester“. Nur die Besten kommen weiter. Und Sie gehören zu den Besten, weil Sie besonders durchsetzungsstark sind. Keine Teilnehmerurkunde, eine Siegerurkunde oder gar nichts ist die Lehre, die Sie aus der Natur schöpfen können. “Du bes ne ganz welde Tiger”. Sind Sie hingegen Absolvent eines Englischstudiums oder besitzen ein Wörterbuch, wissen Sie, fittest bedeutet Angepasstester. Die Angepasstesten überleben also. Ein Hurra auf die kommende Generation!

Und warum ist das jetzt eine Revolution? Empedokles (philosophierte von 492 v. Chr. – 432 v. Chr.) hatte doch schon vor 2300 Jahren eine Evolutionstheorie entwickelt. Was hat Darwin also, was Empedokles nicht hatte? – Ich sage es Ihnen. Robert hat die platonisch-aristotelische Philosophie im Hintergrund. Anders als Empedokles hatte er die etablierte Einsicht der platonisch-aristotelsichen Ideen und Formenlehre evolviert (super passendes Wort, ne?).

Trotz der gravierenden Unterschiede der Ontologien (der Lehren vom Sein) unserer beiden zentralen Büsten waren Sie sich in einem Punkt sicher einig. Die Arten, also Mensch, Hund, Pferd, Baum, Gras, Moos waren ewig. Sie manifestierten sich in immer neuen Individuen, waren aber an sich wesentlich unveränderbar und kamen schlichtweg immer wieder auf immer gleiche Weise immer hervor. Die kleinen Unterschiede haben eine andere Erklärung (auf die wir vielleicht im nächsten Eintrag eingehen können). Dafür dass es so ist spricht zwar einiges, Darwin hat aber gezeigt, dass diese Annahmen falsch sind. Und damit hat er eine Einsicht auf den Kopf gestellt, die sich sehr lange Zeit gehalten hat. Diese Leistung kann Empedokles nicht vorweisen. Er war offenbar angepasster an seine Zeit.

Nun, wäre jemand altra-antik eingestellt, könnte er mit zwei Strategien doch noch versuchen die Ideenlehre zu retten. Nein, nicht indem er hirnlos gegen Darwin poltert. Aber wäre es nicht möglich, die Entwicklung einer Art, sagen wir des Menschen aus dem Affen als Realisierung der Idee des Menschen zu begreifen? Die antiken Mittelbüsten meinten, dass jedes Individuum zuerst wachse und dann vergehe. Die Realisierung einer Idee oder Form in einem Individuum geschehe ja nicht plötzlich, sondern bedürfe der Zeit. Wenn jemand diese Ansicht nicht auf das Individuum, sondern auf die Art als Ganze anwendet, könnte er irgendwie die Ideenlehre mit dem Darwinismus zu vereinbaren suchen. Sicherlich ein schwieriges Unterfangen.

Leichter ist der andere Versuch. Denn laut Platon gibt es über den Ideen eine weitere Stufe von „Ideen“. Diese sind die sogenannten höchsten Gattungen (Obacht, auf Griechisch: megista genê). Alle fünf höchsten Gattungen sind notwendige Bedingungen für jede andere Existenz. Es handelt sich dabei um: Sein, Identität, Differenz, Bewegung, Stillstand. Diese höchsten Gattungen (lesen Sie mal den Dialog Sophistês) gehen allem anderen voraus, jeder Existenz, jedem Lebewesen, jedem Naturgesetz. Ohne diese höchsten Gattungen kann man keine Mathematik formulieren, keinen Urknall annehmen, keine Existenz begründen. Sie sind notwendig und plausibler Weise immer da. Könnte man so eine Teilvereinbarung zwischen Darwin und den Antiken bewerkstelligen? Möchten Sie sich nicht dieser Aufgabe annehmen?

Fällt Ihnen noch eine andere Weise ein, die Ideen und Formenlehre mit dem Darwinismus zu vereinigen? Es müsste sicher Tonnen an Literatur geben, oder?

Einen guten Start in die Woche.

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/470

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Die SpitzenkandidatInnen von Wien Anders

Gestern fand in Wien-Simmering der Gründungskonvent von Wien Anders statt, einer Wahlallianz aus Mitgliedern der Wiener Piratenpartei, der KPÖ Wien, von EchtGrün und von Wir wollen es anders - Plattform der Unabhängigen. Gewählt wurden dabei die ersten acht KandidatInnen für die Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober 2015, und es ist ein Super-Team geworden, ein Mix aus jungen und erfahrenen AktivistInnen, unabhängigen und parteigebundenen, Frauen und Männern: Auf die ersten vier Plätze wurden Juliana "Juli" Okropiridse von den Jungen Pirat*innen, Dietmar "Didi" Zach von der KPÖ Wien, Ulrike "Ulli" Fuchs von den Unabhängigen sowie Christoph Ulbrich von der Piratenpartei gewählt; auf den Plätzen fünf bis acht: Melina Klaus (KPÖ), Keivan Amiri (unabhängig, Taxifahrer, Organisator des Taxi-Streiks gegen den Akademikerball), Karima Ertl (Junge Linke) und Clemens Wallishauser (unabhängig).

WienAnders

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022409855/

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„JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“, Heft 2015/1

Anzeige_Jahrbuch_90x118-1Der Historiker Andreas Diers schreibt unter der Überschrift “Kriege, Revolutionen und Umbrüche” auf der Website der LINKEN, Landesverband Bremen, über die erste Ausgabe des Jahrgangs 2015 des „JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“. Diese “präsentiere sechs umfangreiche thematische Beiträge, jeweils einen Bericht und einen längeren Diskussionsbeitrag, einen Informationsbeitrag über Archive zur ArbeiterInnenbewegung in den USA sowie zahlreiche Rezensionen.” Den Eintrag hier online lesen.


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Geschichte, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Literatur, Sozialgeschichte, Vermittlung, Zeitschrift

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2015/03/22/jahrbuch-fur-forschungen-zur-geschichte-der-arbeiterbewegung-heft-20151/

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In meinen Dino-Schuhen

DinoschuheDass unsere Markenwelt immer stärker geschlechtsspezifisch konsumierbar geworden ist kann man ebenso als Doing Gender 1oder als Abgrenzungsphänomen2interpretieren. Neu ist das Phänomen nicht. Nervig ist es spätestens dann, wenn man ein Produkt haben möchte und feststellen muss, dass der Hersteller einen selbst nicht als genuine Zielgruppe dafür erachtet.

Dann gibt es mindestens zwei Lösungen: 1) entweder das Produkt dennoch kaufen und als Frau* Männerprodukte oder als Mann* Frauenprodukte verwenden oder 2) den Zustand in Frage stellen und fordern, dass es das spezifische Produkt entweder unisex oder für alle in unterschiedlichen Varianten angeboten wird. Es muss ja nicht gleich eine Petition gestartet werden, die Möglichkeit die eigenen Interessen zu vertreten ist bei vielen Firmen über das formale Instrument des Beschwerdebriefes oder der zeitgemäßen Entsprechung von Social Media-Kanälen gegeben. Dass das dann nicht immer Wirkung zeigt – geschenkt!

Ein 8-jähriges Mädchen und ihre Mutter haben gerade erst eine solche Anfrage an einen international agierenden Schuh-Hersteller gestellt.

@clarksshoes My daughter has written you a letter about your sexist shoes. Not all girls want to be pretty princesses pic.twitter.com/oOHc1xDi1x

— Jane Trow (@jane_trow) 3. März 2015

Die Geschichte dahinter ist schnell erzählt: Sophia brauchte neue Schuhe, doch die Dino-Schuh, die ihr gefielen sind für Jungs gedacht. Was nicht weiter tragisch gewesen wäre, denn anscheinend waren weder Form und blaue Farbgestaltung ein Hindernisgrund. Problematischer scheint die Aussage einer Verkaufskraft im Laden, dass die Schuhe nicht für die weibliche Knochenstruktur geeignet seien.3 Eine Aussage, die sich so nicht in der Beschreibung des Produkts wiederfinden lässt und vermutlich eine Interpretation der Person war, die die Schuhe verkaufen sollte. Allerdings ist es nicht verwunderlich, dass man nach Erklärungen sucht, warum ein Produkt für Jungs oder Mädchen bestimmt ist, aber es wenig Gründe dafür gibt. Wo kein Sinn zu finden ist, wird mitunter eigenmächtig Sinn konstruiert, auch wenn dieser letztendlich nicht zutrifft und vom Hersteller auch nicht intendiert ist.

Warum berichte ich nun über ein Phänomen des Doing Gender im Mobilvideo-Blog? Es ist die folgende virale Reaktion von Wissenschaftlerinnen unter dem Hashtag #inmyshoes, die auf Twitter erfolgte:

c’mon – #WomenInScience, i think @jane_trow needs some inspirational #InMyShoes pics for #SophieTrow. Show the shoes you #science in!

— trowelblazers (@trowelblazers) 6. März 2015

My field shoes, still caked in mud from Dinosaur Provincial Park in Canada! #InMyShoes http://t.co/Ohw2KxGUX3 pic.twitter.com/jdv4DhFs2c

— Sarah Z. Gibson (@gombessagirl) 10. März 2015

Another #InMyShoes contribution from me, three geology ladies in Utah circa 2006. #tbt @trowelblazers @jane_trow pic.twitter.com/DT6BaCpTog

— Sarah Z. Gibson (@gombessagirl) 20. März 2015

#InMyShoes @clarksshoes PHDs wear badass boots, write books and change minds. That’s women’s work. pic.twitter.com/3ecOEFcRBc

— Nicole G. Van Cleve (@nvancleve) 20. März 2015

With PhD in medieval literature I’m always on a Quest for knowledge, sometimes in red shoes #rubyslippers #InMyShoes pic.twitter.com/ZV8gPfJnDw

— Annabelle Hornung (@AB_Hornung) 22. März 2015

Man kann natürlich argumentieren, dass das eine emotionalisierende Selbstvegewisserungsaktion ist, die nach 15 Minuten Ruhm konsequenzlos verpufft. Ich muss gestehen, ich lasse mich gerne mal be-/rühren und scrolle mit Neugier durch die Vielfalt der Fotos. Als Wissenschaftlerin habe ich im Alltag wenig mit Dinosauriern zu tun. In der Lehre beschäftige ich mich eher mit Themen des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien insbesondere in der Schule (obwohl auch hier gibt es mitunter anschlussfähige Artefakte: https://www.youtube.com/watch?v=d4is36b0yfQ). Und in meiner Forschung untersuche ich die Mobilvideopraxen von Jugendlichen.
Aus dieser Forschungsperspektive heraus habe ich mich dann auch geäussert, denn digitale Medien haben das Potenzial Ermöglichungsräume für Wünsche und alternative Realitäten zu sein. Ob roter Ballerina oder schwere Schnürschuh, jeder Schuh kann so zum Dino-Schuh werden:

  1. Sulmowaski, Jedrzei (2012): …zum Beispiel wegen des Geschenkpapiers – Ein grafisches Essay zu Undoing Gender, S. 6-11. In: Soziologie Magazin 1/2013. Online verfügbar (2015):  http://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/718/files/2013/04/zum-Beispiel-wegen-des-Geschenkpapiers-Ein-grafisches-Essay-zu-Undoing-Gender-Jedrzej-Sulmowski.pdf
  2. Schrupp, Antje (2012): Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen.  Online verfügbar (2015): http://antjeschrupp.com/2012/08/23/beim-pinken-uberraschungsei-geht-es-nicht-um-madchen-sondern-um-jungen/
  3. Das People Magazin schreibt am 18.03.2015: “However, the salesclerk told Sophie and her mother that these shoes were for boys’ feet and not for the ‘female bone structure’.”

Quelle: http://mobilvideo.hypotheses.org/470

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DHI London: Frauenbildung in den (ehemaligen) britischen Kolonien


Den diesjährigen “Women’s History Month“ möchte die Max Weber Stiftung zum Anlass nehmen aktuelle Forschungsprojekte zur Frauengeschichte aus den Instituten der Stiftung vorzustellen.

Am DHI London forscht vor allem die Transnational Research Group – India (TRG) zur Frauengeschichte. Neben Themen wie Kastenwesen, Armut, und gesellschaftlichen Wandel ist vor allem die Bildung von Frauen und Mädchen in den ehemaligen britischen Kolonien aus historischer Perspektive.

Bild: Women Education | Tony.saji | CC BY-SA 3.0

Bild: Women Education | Tony.saji | CC BY-SA 3.0

Die Bildungsdebatte in den United Provinces von British India (1854-1920)

Preeti beschäftigt sich in ihrem Projekt mit der Schulbildung von Frauen, insbesondere der weiblicher Mitglieder ärmerer und unterprivilegierter Bevölkerungsschichten von Hindus und Muslimen. Die Entwicklung der Bildungsansätze sowie die treibenden Gründe für das allgemeine Interesse in der Bildung von Mädchen und jungen Frauen, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, steht dabei besonders Vordergrund. Einige der Fragen, denen das Projekt nachgeht sind, inwiefern Frauenbildung durch den sozialen und wirtschaftlichen Wandel der Region in diesem Zeitraum notwendig wurde, welche sozialen Klassen und Schichten von dieser Entwicklung profitierten und aus welchen Gründen eine Vielzahl von Frauen von den Neuerungen profitierten, obwohl sich das Programm ursprünglich nur an eine kleine Randgruppe marginalisierter Frauen richtete. Methodisch geht die Studie komparativ vor, indem sie Jungen- und Mädchenbildung (Lehrpläne, Finanzierung, Schulpflicht, Koedukation, Privilegierung) der Zeit miteinander vergleicht.

Moralerziehung, weibliche Handlungsmacht und Biopolitik im spätkolonialen Indien

In dem Projekt von Jana Tschurenev geht es um die Analyse der Bildungsreform in Indien im Kontext des globalen Bildungsreformtrends zwischen 1882 und der Zwischenkriegszeit. Zunächst untersucht Tschurenev die Scientific-Temperance-Instruction-Mehtode (STI), die im Rahmen der Reformkampagne erstmals in reguläre Lehrpläne aufgenommen wurde. Der zweite Teil der Studie beschäftigt sich mit den historischen Bemühungen, Schulbildung systematisch auch auf Vorschulkinder auszuweiten. Beide Bildungsreformen profitierten stark auf Frauen als öffentliche Befürworterinnen und professionelle Erzieher, und griffen hierbei auf weit verbreitete Vorstellungen von der weiblichen Begabung für Kinderbetreuung und ihr Pflichtgefühl als “Mütter der Menschheit”. Beides, die Verbreitung von STI und die Bestrebungen Kindergartenerziehung zu reformieren und auszubauen, basierten auf den Grundannahmen, dass sozialer Fortschritt durch die moralische Erziehung von Kindern erreicht werden kann. Diese Erziehung sollte durch wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Gesundheits-, Hygiene- und Reproduktionsforschung gestärkt werden. Zunehmend verließ man sich auch auf systematisch angelegte, kinderpsychologische Studien. Diese und neuere Entwicklungen sollten dabei helfen pädagogische Ansätze hervorzubringen, die Kinder bewusstes und moralisches handeln beibringen konnten. Tschurenevs Projekt versucht eine neue Perspektive auf die Entwicklung von Erziehungsansätzen im spätkolonialen Indien zu entwickeln, in dem sie die oben erwähnten,  globalen Strömungen analysiert, für die weibliche Selbstbestimmung, Ideen von Weiblichkeit und Mutterschaft eine wichtige Rolle spielten. Darüber hinaus zeigt ihre Schwerpunktsetzung auf biopolitisch motivierte Bemühungen den Bildungsinhalt, die Pädagogik und die Konzentration auf Grundschulen und Kindergärten, wie generative Reproduktion ein Eckpfeiler für Sozialreform und Gesellschaftspolitik werden kann.

Mehr zu diesen beiden Projekten und genaueres über die Arbeit der TRG India kann man zurzeit auf der Hompage des DHI London nachlesen.

 

Quelle: http://mws.hypotheses.org/26101

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