Das Jubiläumsjahr 2015

Zum Jahresanfang tauchen überall Listen von Jahrestagen, Jubiläen, Gedenktagen auf, die 2015 auf uns zukommen. Dabei kommt China nur selten vor - ein Anlass hier einige viertel-, halb- und ganz runde Jahrestage zur Geschichte Chinas in Erinnerung zu rufen ...

Vor 1900 Jahren (115) wurde Liù Bǎo 劉保 geboren, der als Hàn Shùn Dì 漢順帝 von 125 bis zu seinem Tod 144 regierte.

Vor 1750 Jahren (265) starb Zhū Huánghòu  朱皇后[1], die Witwe nach Sūn Xiū 孫休,[2], dem  3. Kaiser von Wu [Dōng Wú東吳].
Und 265 starb wohl auch der Erfinder und Ingenieur Mǎ Jün 馬鈞 , der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts unter anderem einen stark verbesserten Webstuhl, den zhǐ nán jū 指南車 [Kompasswagen, wörtl. "nach Süden weisender Wagen"] (mit dem ersten mechanisch angetriebenen Differentialgetriebe), ein hydraulisch angetriebenes mechanisches Puppentheater[3].

Vor 1725 Jahren (290) starb der erste Kaiser der Jìn 晋-Dynastie. Kaiser Wǔ [Jìn Wǔ Dì 晉武帝] (236-290) hatte 265 die Jìn-Dynastie begründet, die 420 unterging.

Vor 1650 Jahren (365) starb der Kalligraph Wáng Xīzhī 王羲之 (307-365), dessen wohl berühmtestes Werk der Orchideenpavillon [Lántíngjí Xù 蘭亭集序 oder Lántíng xù 蘭亭序] aus dem Jahr 353 war.

Vor 1275 Jahren (740) starb der Dichter Mèng Hàorán 孟浩然 (geboren 689 oder 691).

Vor 1250 Jahren (765) starben die Dichter Gāo Shì 高適 (um 704-765) und Wáng Chānglíng 王昌齡 (698-765).
In diesem Jahr wurde die Stadt Tuódōng 拓東 gegründet, das 1276 als Kūnmíng 昆明 zur Hauptstadt der Provinz Yúnnán 雲南wurde.

Vor 950 Jahren  (1065) begann Sīmǎ Guāng 司馬光 (1019-1086) mit seinem Team die Arbeiten am Zīzhì Tōngjiàn 資治通鑑, einer Universalgeschichte Chinas, die 1084 in vorgelegt wurde.

Vor 700 Jahren (1315) wurden die kējǔ 科舉, die Beamtenprüfungen, wiedereingeführt, die seit der Etablierung der mongolischen Herrschaft 1279 ausgesetzt waren.

Vor 600 Jahren (1415) wurde der seit 1411 umfassend erneuerte Kaiserkanal [Dà Yùnhé 大運河] wieder eröffnet.[4]

Vor 400 Jahren (1615) erschien De christiana expeditione apud Sinas. [5]

Vor 300 Jahren (1715) starb der Schriftsteller Pú Sōnglíng 蒲松齡 (1640-1715), der Verfasser des  Liáozhāi Zhìyì 聊齋誌異 [Seltsame Geschichten aus einem Gelehrtenzimmer].

Vor 200 Jahren (1815) erschien die erste Nummer des Chinese Monthly Magazine 察世俗每月統記傳, dasvom Missionar William Milne (1785-1822) in Malacca herausgegeben wurde und als erste die erste 'moderne' Zeitschrift in chinesischer Sprache gilt.[6]

Vor 150 Jahren (1865) wurde The Hongkong and Shanghai Banking Corporation Limited begründet.[7]
In diesem Jahr wurde Tán Sìtóng 譚嗣同 (1865-1898), einer der „Sechs Märtyrer der 100-Tage-Reform“ [  戊戌六君子] geboren.

Vor 100 Jahren (1915) wurde die Zeitschrift Xīn Qīngnián 新青年 ["Neue Jugend"] gegründet, die bis 1926 erschien.

Vor 60 Jahren hatte Dōngfāng hóng 東方紅 ("Der Osten ist rot"), der erste chinesische Farbfilm, Premiere.

Und so weiter ...

  1. Formell: Jǐng Huánghòu 景皇后.
  2. Jǐng Dì 景帝 (235-264) regierte 258-264.
  3. Eine Beschreibung dieses Theaters findet sich im  Sānguó Zhì 三國志 [Chroniken der Drei Reiche], vgl. dazu Joseph Needham/Wang Ling: Science and Civilisation in China: Volume 4, Physics and Physical Technology, Part 2, Mechanical Engineering (Cambridge: Cambridge University Press 1965) S. 158.
  4. Zum Kanal vgl. den Beitrag von Georg Lehner bei De rebus sinicis.
  5. Nicolas Trigault: De christiana Expeditione apud Sinas suscepta ab Societate Jesu, ex P. Matthaei Riccii ... Commentariis: libri V ; in quibus Sinensis regni mores, leges atque instituta & novae illius ecclesiae difficillima primordia accurate & summa fide describuntur (Augusta Vind[elicorum]: Mang 1615)- Digitalisate (inkl. anderer Ausgaben und Übersetzungen: Bibliotheca Sinica 2.0.
  6. Die Zeitschrift, die in Malacca produziert wurde, erschien bis 1821.
  7. Zur Geschichte s. Frank H. H. King: The history of the Hongkong and Shanghai Banking Corporation  (= Hongkong Bank Group history series; 4; Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press 1987-1991).

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1979

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Hallo Nervensäg_innen! – Unterstrich in Analyse & Kritik

Während zurückgebliebene Maskulinisten und bösartige Antifeministen ob des Binnen-I immer noch den Untergang des Abendlands dräuen sehen, verabschiedet sich die auch sonst sehr empfehlenswerte linke Monatszeitung Analyse & Kritik von ebendiesem und führt den Unterstrich ein, im Wissen darum, dass es für ein soziales Problem bzw. für einen politischen Kampf keine sprachlichen Lösungen gibt und mit dem löblichen Ziel zu nerven; schon der Titel für den redaktionellen Beitrag, in dem dieser Schritt begründet wird - eben Hallo Nervensäg_innen! - ist wunderbar gewählt, und wer sich noch weiter kundig machen will, dem oder der sei das bereits in der November-Ausgabe 2012 erschienene Interview mit Lann Hornscheidt - Profx für Gender Studies und Sprachanalyse an der HU Berlin - ans Herz bzw. Hirn gelegt.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022384006/

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Über die Dialektik der Kennzeichnung quantifizierten Leserhandelns

"kindle dictionary entry for literacy" by Jimmie (flickr-CC BY 2.0)

Es begab sich relativ zufällig, dass ich an das Kindle-Reader-Programm geraten bin. Auf dem Weg in die Weihnachtsferien stellte sich natürlich die Frage, welche Bücher mir die langen Zug- und Autofahrten in die Heimat und den Urlaub versüßen sollten; und wie immer stellt man nach ein paar Seiten und stolpernd über den ein oder anderen Literaturhinweis fest, dass man doch noch ein weiteres Buch aus dem Regal hätte mitnehmen können oder sollen. In meinem Fall handelte es sich um Hegels Phänomenologie des Geistes. Nun gut, es gibt auch genügend gute Gründe Hegel nicht mit in die Weihnachtsferien zu nehmen; die dicke des Buches wäre schon mal einer von ihnen. Wie dem auch sei; ich hätte ihn jetzt gern zur Hand gehabt. Ideal ist aber, dass Hegel schon ausreichend lange tot ist, um seine großen Schriften – kostenlos – als Kindle-E-Book herunterladen zu können. Und das sogar ohne Kindle-E-Book-Reader, denn den gibt es auch als Programm für PCs bzw. Notebooks. Um Hegel soll es hier aber gar nicht gehen.

Als ich nämlich die Phänomenologie des Geistes und – weil es ja kostenlos ist – beide Bände der Wissenschaft der Logik heruntergeladen und den ersten Ärger über die schlechte Orientierbarkeit in so einem E-Book überwunden hatte, fielen mir beim Reinlesen Markierungen im Text auf. Unter Sätze wie bspw.

„Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen./Noch weniger muß diese Genügsamkeit, die auf die Wissenschaft Verzicht tut, darauf Anspruch machen, daß solche Begeisterung und Trübheit etwas höheres sei, als die Wissenschaft.“ (Hegel: Phänomenologie des Geistes, Position 108; ja, E-Books haben keine Seitenzahlen)

ist da eine dünne, gestrichelte Linie gezogen, an deren Beginn der Vermerk steht: „4 Textmarker“. Ohne es bisher überprüft haben zu können (ich bin ja im glücklicherweise webstinenten Ostsee-Urlaub; sitze aber soeben mit meinem Laptop auf dem Schoß auf der Rückbank eines VW-Busses), nehme ich an, dass es sich bei diesen Markierungen um getrackte Quantifizierungen von Lese- oder besser Markierungshandeln von Lesern handelt.1 Mehr oder weniger subtil wird einem damit also vermittelt, dass – wie im obigen schöngeistigen Beispielsatz – 4 andere Leser der E-Book-Ausgabe von Hegels Phänomenologie des Geistes diese Stelle als zumindest markierenswert erachtet haben. Es ist ein bisschen so, als würde man in ein antiquarisch erstandenem Klassiker die Lesespuren des oder der Vorbesitzer/s entdecken; eine Angelegenheit, die ich aufgrund ihrer Individualität immer als äußerst spannend empfunden habe. Hier nun aber ist diesen Spuren aufgrund ihrer Quantifizierung jegliche Individualität und Situiertheit genommen.

Über das Potenzial dieser Quantifizierung von Markierungshandeln kam mir nun ein kleiner Gedanke, den ich im Folgenden kurz ausführen möchte. Vollkommen unkommentiert bleibt dabei die Frage, welchen ökonomischen Mehrwert eine solche Quantifizierung für Kindle (also Amazon) hat. Vermutlich ist es eine weitere Quelle, äußerst individuelle Profile ihrer Käuferschaft zu modellieren.2

Aber übertragen aus meinen Selbstbeobachtungen, wie ich mit Texten umgehe, die von anderen bereits gelesen, markiert und kommentiert wurden, habe ich mich gefragt, was für ein Potenzial die quantifizierte Sichtbarkeit solchen Markierungshandelns für die Rezeption haben kann. Immerhin handelt es sich bei Markierungen – mögen sie nun auf einer Papierseite, in einer PDF-Datei oder in einem Kindle-E-Book gemacht sein – minimal immer um eine Zuschreibung einer gewissen Wichtigkeit. Der Individualität dieser Zuschreibung wird nun mit der Quantifizierung versucht zu begegnen und vermittels des Quantors (im obigen Beispiel ganze 4!) für den Leser einschätzbar zu machen: Wie viele Leser erachteten betreffende Stelle als wichtig? Der Schwellenwert jedoch für die Sichtbarmachung dieser Zuschreibung scheint dabei offenbar nicht sehr hoch zu sein. Das obige Beispiel scheint deswegen vielleicht nicht das idealste zu sein. Aber allein in der Vorrede gibt es auch eine  Stelle, die z. B. 41 Mal identisch oder zumindest ähnlich3 markiert wurden. Andere Werke mögen andere Zahlenwerte erreichen. Und auch erst über größere Zahlenwerte können solche Quantifizierungen wohl wirkliche Wirkungspotenziale entfalten. Man müsste sich mal anschauen, welche Zahlenwerte bspw. zeitgenössische Werke erreichen und ob dort signifikante Unterschiede zu verzeichnen sind.

Welcher Art könnte dieses Wirkpotenzial nun sein? Liest man ein – z. B. wissenschaftliches oder philosophisches – E-Book und bekommt kontinuierlich die Stellen angezeigt, die eine gewisse Menge anderer, anonymer Leser mit einer unbestimmten Wichtigkeit versehen haben, zeigt sich schon im Buch selbst also eine Art ausgemittelter Common-Sense über die wichtigsten Sätze oder besser Propositionen, die nicht der Autor selbst also solche erachtete, sondern die gesammelte also quantifizierte Leserschaft. Es wird also die Nachgeschichte eines Werkes, der Diskurs über das Werk, verschränkt mit dem Werk selbst. Auf äußerst rudimentäre, reduzierte, ja verdinglichte Weise wird also die herrschende Meinung über die Un-/Wichtigkeit einzelner Passagen zur Darstellung gebracht.

Im Unterschied zum einzelnen antiquarisch gekauften Buch, das vielleicht die Spuren von ein, zwei oder drei Lesern versammeln kann, bevor es vollkommen unlesbar wird, kann sich im E-Book – auf oben beschriebene Weise und d.h. ausschließlich quantitativ – der gesamte Diskurs abbilden. Und mögen Markierungen in einzelnen Büchern nur von Wichtigkeit sein, wenn man bspw. Foucaults Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft in die Hände kriegt (und man gleichzeitig Foucault-Exeget ist), so ermöglicht die Quantifizierung den koinzidierenden Unterstreichungen die beschriebene abbildende Qualität und somit eine ganz andere wirkmächtige Wichtigkeit zukommen zu lassen.

Schon bei der individuellen Lektüre gebrauchter Bücher mit individuellen Unterstreichungen und Kommentaren habe ich immer wieder bemerkt, wie solch unscheinbare Marginalien die mentale Verarbeitung des Gelesenen beeinflussen:

Vormaliger Leser fand diese Stelle wichtig. Vormaliger Leser fand offenbar diese Stelle wichtig? Vormaliger Leser fand ausgerechnet diese Stelle wichtig!? Warum das denn? Ach so, ja leuchtet ein. Oder? Nein, was für ein Quatsch!

Die Spanne der möglichen Reaktionen auf solcherart Markierungen ist denkbar breit, was offensichtlich mit ihrer umfangreichen Individualität, Situiertheit und – in ihrer Spurqualität für den Anderen – folglich unglaublichen Vagheit zu begründen ist, die ein Verstehen bis aufs Äußerste erschweren. Die Hoffnung der Quantifizierung oder besser: die Hoffnung der Quantifizierer ist nun, dass sich all diese Idiosynchrasien verrechneten und somit eine Form von Eindeutigkeit sich ergäbe, die ein Verstehen von etwas ermöglichte. Wie bewusst sich die Quantifizierer darüber sind, wie äußerst Begrenzt das zu Verstehende durch die Verrechnung nur noch ist, ist eine Frage, die sicherlich von den offenen und verdeckten Zielen und Zwecken der Verrechnung her gedacht und problematisiert werden müsste. Hier interessiert ja aber erst einmal die Wirkung auf den durchschnittlichen Leser, der mit solcherart Verrechnung konfrontiert wird. Ich bin ja Hermeneut.

Ermöglicht die Verrechnung und Kennzeichnung dem Leser einen einfacheren Einstieg in den Diskurs, indem er weiß oder zu wissen glaubt, was die wichtigen Stellen sind, die zu beachten und zu besprechen wären; und welche unwichtigen Stellen nur überflogen, ja vielleicht sogar übersprungen werden können, um sich mit nur wenig Aufwand im Diskurs zurecht zu finden, eine Meinung zu haben und mitsprechen zu können? Das wäre die eine Seite, die gewissermaßen die Common-Sense-Lesart solcher Markierungen ist. Sie birgt die offensichtliche Gefahr oberflächlicher Lektüre, die einen Mehrwert, eine innovative Lesart geradezu verhindert.

Es gibt aber auch eine andere Seite, eine Möglichkeit, die die Dialektik solcherart Markierungen entbirgt. Diese Möglichkeit besteht darin, auf die Lücken zwischen den quantifizierten Markierungen acht zu geben. Die herrschende Zuschreibung von Wichtigkeit zu hinterfragen und ein E-Book auf die scheinbar unwichtigen Stellen hin zu lesen und sie in Relation zu den vermeintlich tragenden Passagen wechselseitig zu perspektivieren. Damit wird nicht nur eine tiefere Lektüre und begründetere Argumentation, sondern auch die innovative Kraft abweichender Lesarten und (mithin) die Erhellung blinder Flecken im Diskurs, ja in ganzen Paradigmen ermöglicht.4

Die devolutionierende Tendenz dieser Markierungen wird also aufgehoben durch die innovationierende Lesart derselben. Beides wiederum ist aufgehoben im Potenzial des Umgangs mit solchen Quantifizierungen von Wichtigkeitszuschreibungen.

DSC_0562[1]

  1. Dazu Amazon: "Neben Ihren eigenen Markierungen können Sie in manchen Kindle eBooks auch Beliebte Markierungen aufrufen. Beliebte Markierungen zeigen Ihnen, welche Textstellen in einem eBook am häufigsten von anderen Kindle-Lesern markiert wurden."
  2. Zum "gläsernen Leser" und möglichen Folgen siehe Pleimling (02.10.2012) in diesem bpb-Artikel.
  3. Die Frage, wie groß die Abweichung oder wie klein die Übereinstimmung einzelner Markierungen sein muss, um als „identische“ Markierung gezählt zu werden, ist eine weitere Frage, die interessant wäre zu klären. Bestimmt sie doch den Grad der für die Quantifizierung nötigen Desituierung der einzelnen Markierungen.
  4. Beide Aspekte für den Deutschunterricht zu nutzen, bespricht dieser Artikel.

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/825

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Das Portal „Deutsche Inschriften Online“ als Hilfsmittel für die heraldische Forschung

Mit über 2000 Wappendarstellungen für die Zeit bis 1650 stellt die Datenbank Deutsche Inschriften Online (DIO) eine wertvolle Hilfe für die heraldische Forschung zur Verfügung. Bei der Verwendung gilt es jedoch einiges zu beachten. So stellt die Online-Version des Editionsprojekts Deutsche Inschriften bislang nur etwa ein Drittel der ca. 90 gedruckten Editionsbände zur Verfügung. Außerdem werden die besonderen Interessen der heraldischen Forschung nur begrenzt berücksichtigt. Hier soll die Plattform speziell für die Forschung zu Wappen vorgestellt werden: In diesem ersten Blogbeitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie man das Angebot für heraldische Fragestellungen nutzen kann und wo dessen Grenzen liegen. In einem weiteren Beitrag soll dann exemplarisch dargestellt werden, welche  Informations- und Anschlussmöglichkeiten die DIO im konkreten Anwendungsfall bieten. Inschriften in der heraldischen Forschung Inschriften spielen als Traditionsquellen in vielen Bereichen der historischen Forschung eine bedeutende Rolle. Dies gilt auch für die Heraldik und die Arbeit mit heraldischen Quellen: Neben Wappenbüchern und Siegeln bilden sie eine der wichtigsten Quellengruppen der heraldischen Forschung. Dies scheint seinen Grund hauptsächlich in der Funktion von Inschriften zu haben: Als repräsentative Zeichen können sie etwa auf Stifter verweisen oder an Verstorbene erinnern. Dabei ist die Abbildung der zugehörigen Wappen für die mittelalterliche Gesellschaft von großer […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/2354

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32. Lepanto oder Der fortgesetzte Missbrauch der Vergangenheit

Es war einmal in Rompizzeria lepanto

Konrad Adam war in Rom. Ist wohl schon ein paar Jahre her, aber aus halbwegs aktuellem Anlass scheint ihm diese Reise wieder in Erinnerung gerufen worden zu sein. Bei dieser Romreise besuchte er den Palazzo eines namentlich nicht genannten Marchese an der Piazza Navona. Der Palazzo beherbergt die Fahne, die Don Juan d’Austria während der Schlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 auf seinem Schiff mit sich führte. Lepanto! Welch‘ Triumph der Christenheit über die ‚ungläubigen Erzfeinde‘ aus dem Osmanischen Reich! Und die Fahne, die als Zeuge für diesen unübertrefflichen Sieg bürgt, hängt immer noch in einem römischen Palazzo! Und Konrad Adam hat sie gesehen! (Sie zu berühren wagte er nicht, der weinrote Brokat schien ihm zu brüchig.) All das weckte in ihm die Erinnerung an dieses große Ereignis, an die Seeschlacht am Golf von Patras, als sich das Osmanische Reich und die „Heilige Liga“ (Papst, Spanien, Venedig, Genua, Malteser, einige italienische Fürstentümer) ein blutiges Gemetzel lieferten. Dabei versuchte, wie Konrad Adam es beschreibt, die „türkische Flotte die Schiffe der Liga zu umfahren und ihnen in den Rücken zu kommen“ (wie hinterhältig!). Aber: „Das Manöver misslang, die christlichen Streitkräfte erwiesen sich als disziplinierter und stärker.“ (Hatten wir auch nicht anders erwartet.) „Die Türken verloren an die 180 Schiffe, die Liga nur zwölf.“ (Dem Herrn sei‘s getrommelt!) „Und sie befreite an die 12.000 christliche Galeerensklaven, die für die Türken hatten rudern müssen.“ (Gloria! Victoria!)

Verfehlter Geschichtsunterricht

Weder der Besuch in einem römischen Palazzo noch die Erinnerung an Lepanto würde irgendjemanden interessieren – wenn es nicht zufällig als Artikel auf Seite 2 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stünde und wenn der Verfasser nicht zufällig Bundessprecher der Partei „Alternative für Deutschland“ wäre. [1] Eben jener Konrad Adam erinnert uns am christlichen Sonntag in einer Sonntagszeitung daran, welche Bedeutung Lepanto doch einst für die Christenheit besessen hat. Fragt sich nur, warum diese Erinnerung ausgerechnet in dieser Zeit?

Vielleicht geht es um ein wenig Geschichtsunterricht? Der Frühneuzeitler in mir freut sich natürlich, wenn ein Ereignis aus dem 16. Jahrhundert einen prominenten Platz im Politikteil einer großen Sonntagszeitung bekommt. Derselbe Frühneuzeitler in mir ärgert sich aber maßlos, wenn dieses Ereignis in derart verkürzender bis verfälschender Weise für propagandistische Zwecke missbraucht wird, so als seien seither nicht über vier Jahrhunderte ins Land gezogen. Was historisch gesehen an Lepanto wirklich wichtig war, sind zwei Dinge: Erstens verlor das Osmanische Reich (und nicht „die Türken“, wie Adam unkorrekt immer wieder schreibt) seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit. Das hat den europäischen Mächten damals sichtlich gut getan. Zweitens löste Lepanto in ganz Europa einen nachhaltigen Propagandakrieg gegen die Osmanen aus, der sich in zahlreichen Gemälden, Kapellen, Festen, Flugblättern usw. niederschlug. Darin wurden die göttliche Fügung des Geschehens und die Bedeutung des militärischen Schlags gegen den ‚ungläubigen Erzfeind‘ gebührend gefeiert. Es scheint fast so, als wollte Adam hier nahtlos anschließen.

Ansonsten ist aber vor allem interessant, was Adam alles auslässt. Er erwähnt zum Beispiel nicht, dass das Heilige (sic!) Römische Reich Deutscher Nation an der Heiligen (sic!) Liga herzlich wenig Interesse hatte, sondern lieber den Separatfrieden mit den Osmanen aufrechterhalten wollte. Er erwähnt auch nicht, dass Frankreich viel eher an einem Bündnis mit den Osmanen als mit dem Papst, mit Spanien oder den italienischen Staaten interessiert war. Er erwähnt auch nicht, dass die Heilige Liga 1573 schon wieder auseinanderbrach und Venedig einen Separatfrieden mit den Osmanen schloss – weil ihnen Geschäfte und Kooperationen wichtiger erschienen als kostspielige Kriegsführung. Er erwähnt auch nicht die zahlreichen Auseinandersetzungen, die das Zustandekommen der Liga im Vorfeld massiv erschwerten. Er erwähnt auch nicht, dass diese Niederlage die Osmanen nur kurz schwächte; die Flotte war im Nu wieder aufgebaut, so dass Voltaire in einer historischen Rückschau die Vermutung äußern konnte, Lepanto mute eher wie ein Sieg der Osmanen an. Und schließlich erwähnt er auch nicht, dass nicht nur in den Galeeren der Osmanen christliche Sklaven als Ruderer schuften mussten. Auch die Galeeren der Spanier, Venezianer, Genuesen, Malteser oder des Papstes bewegten sich überraschenderweise nicht mit Ökostrom vorwärts, sondern mit der (unfreiwilligen) Hilfe – tausender christlicher Galeerensklaven! Nicht selten handelte es sich um Strafgefangene, für die das Verbüßen ihrer Strafe auf einem solchen Schiff einem nahezu sicheren Todesurteil glich. Aber um solche historischen Differenzierungen muss sich Konrad Adam nicht kümmern, denn dadurch könnte die eigentliche Botschaft verwässert werden.

An die Ruderbänke!

Es geht also nicht um Geschichtsunterricht, es geht auch nicht um ein Jubiläum dieser Schlacht, das demnächst anstehen würde – man wird also nicht ganz fehlgehen, dahinter eine (partei-)politische Intention vermuten zu dürfen. Schade, dass sich die FAS für so etwas hergibt. Garniert wird der Artikel zu allem Überfluss auch noch mit einem Gemälde von Vassilacchi, das untertitelt ist als „Untergang des Morgenlandes“. Eine Einladung für die anstehenden Pegida-Demonstrationen, bei denen sich „Lepanto“ vielleicht als neuer Schlachtruf etablieren wird.

Der Artikel firmiert unter dem kaum missverständlichen Titel „Wie die Christen schon einmal die Türken schlugen“. Das ruft doch geradezu nach Wiederholung! Also ab in die Boote, ihr AfD-Wähler und Pegida-Anhänger, schlagt die ‚Ungläubigen‘, wo ihr sie trefft! Aber passt auf, dass ihr nicht unter Deck landet, angekettet an die Ruderbänke, während oben andere das Kommando führen …

Was lernen wir aus diesem ansonsten gänzlich zu vernachlässigenden Beitrag?

  1. Missbrauche nicht die Vergangenheit in vereinfachender und verfälschender Form für billige politische Anliegen der Gegenwart.
  2. Wenn du schon von dieser Vergangenheit erzählst, dann tue es in möglicher komplexer, möglichst zahlreiche Aspekte berücksichtigender Form.
  3. Wenn du schon einen Artikel schreibst, in dem billige Ressentiments gegen Andere bedient werden, dann schreibe wenigstens einen guten Artikel. Üble Beiträge mit üblen Inhalten sind eine doppelte Beleidigung.
  4. Wenn du etwas aus Lepanto lernen willst, dann lerne dies: Es ist wirklich für alle Beteiligten besser, auf gegenseitige Anerkennung und Zusammenarbeit zu setzen als auf gegenseitiges Abschlachten.

Muss man so etwas wirklich noch hinschreiben?

[1] Konrad Adam, Wie die Christen schon einmal die Türken schlugen. Die Seeschlacht von Lepanto ist über 400 Jahre her. Der AfD-Politiker Konrad Adam ruft die Erinnerung wach, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4. Januar 2015, S. 2.


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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2015/01/04/33-lepanto-oder-der-fortgesetzte-missbrauch-der-vergangenheit/

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Das Siegel des Klosters St. Aegidii in Münster von 1423

An einer Urkunde des Archivbestand Nordkirchen findet sich ein doppelt bemerkenswertes Siegel aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.1 Das Siegelwachs ist grün gefärbt, was auf einen geistlichen Siegelführer hinweist. Es handelt sich um das Siegel des St. Aegidii-Klosters in Münster. Wenden wir uns zunächst der Beschreibung des runden Siegels zu:

Zu sehen sind zwei Halbfiguren im Perlenkranz. Sie durchbrechen mit ihren Köpfen die Umrandung. Die Halbfiguren sind auf zwei Rundbögen gesetzt. Zu sehen ist im Heiligenschein (heraldisch) rechts die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem linken Arm, in der rechten Hand einen Lilienstengel. Auf der linken Seite-ebenfalls durch einen Heiligenschein deutlich hervorgehoben- ist der heilige Abt Aegidius. In der rechten Hand hält er ein Buch in der linken eine Krummstab. Beide zentrale Figuren sind beschriftet. Unter Maria findet sich auf dem Rundbogen die Aufschrift Virgo Mar[ia], unter der Figur des Abtes die Aufschrift S[anctus] Egidius.

Unter dem rechten Bogen ist deutlich der für Mariendarstellungen typische brennende Dornbusch zu sehen.2

Unter dem linken Bogen schreitet eine Hirschkuh, Sinnbild für Christus3

Die hier bereits nicht mehr so deutliche Umschrift jenseits des das Bild umgebenen Perlenkranzes lautet:Sig[illum] ecclesie beati Marie [San]c[t]iq[ue] Egidii in Monast[erio].

Foto: A. Diener

Das zweite große Siegel des Klosters Sankt Aegidii in Münster 1423

Das Siegel hängt an einer Urkunde von 1423. Es ist das zweite große Siegel des Zisterzienzerklosters St. Aegidii. Das erste Siegel ist von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des 14. Jahrhunderts nachzuweisen.4

Inhaltlich hält die Urkunde vom 7. Februar 1423 fest, dass die Äbtissin Mechthild Cleynhorn die Jüngere5 stellvertretend für das ganze Konvent Johann von Büren, Sohn des Junkers Wilhelm  gestattet eine Rente von 3 Mark mit 50 Mark abzulösen, jeweils an Lichtmess.6

Als Zeugen sind angegeben Arnd der Schreiber und Johann Lobbe, Amtmann zu Sankt Ylien. St. Ylien, wieso St. Ylien? Auch in der Einleitung ist eindeutig von Convent St. Ylien in Münster die Rede. Wieso wurde St. Aegidii so genannt? Der Heilige St. Aegidius ist der französische Heilige St. Gilles, der bereits im 12. Jahrhundert in Münster als Retter in der Not höchste Verehrung genossen hat.7

Foto: A. Diener

Eindeutig wird das Kloster Sunte Ylin genannt.

 

Mit der Übernahme des in Westfalen üblichen Niederdeutschen auch in die Sprache der Urkunden wurde aus St. Gilles, bzw. St. Gillis schließlich sunte Ilien oder Tilien ( aus St. Ilien zusammengezogen)  und schließlich St. Ylijn oder- wie in dieser Urkunde St. Ylien.8

Foto: A. Diener

Die Urkunde Nordkirchen, Nr. 233, 1423 Februar 7

 

Literatur:

Wilhelm Kohl,  Das Zisterzienserinnenkloster, später Benediktinerkloster St. Aegidii zu Münster (= Germania Sacra, Dritte Folge 1), Berlin, New York 2009

Theodor Ilgen, Die westfälischen Siegel des Mittelalters / mit Unterstützung der Landstände der Provinz hrsg. vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens. Bd. III.Die Siegel der geistlichen Corporationen und der Stifts-, Kloster- und Pfarr-Geistlichkeit, Münster 1889

Die zentrale Literaturangabe für die symbolischen Darstellungen auf Siegeln ist: Lexikon der Christlichen Ikonographie.  8 Bände  Hier: Rom, Freiburg, Basel, Wien 1994/2004

  1. Nordkirchen, Urkunden, Nr. 233, 1423 Februar 7
  2. Anders als Ilgen es formuliert ist hier kein Symbol für die Jungfräulichkeit gemeint, vgl. Ilgen, Westfälische Siegel Bd. 3, S. 54. Zum Symbol des Dornenbusches als Mariensymbolik vgl. auch M.Q. Smith, Dornenbusch, in: Lexikon für christliche Ikonographie, Bd. 1, sp. 510-511.
  3. P. Gerlach, Hirsch, in: Lexikon für christliche Ikonographie, Bd. 2, sp. 286-289. Hier v.a. sp. 286-287.
  4. Ilgen, Westfälische Siegel, Bd. 3, S. 54.
  5. Mechthildis Cleivorn die Jüngere (1417-1430) war 1423 Äbtissin. Sie entstammte einem münsterschen Erbmännergeschlecht. Vgl. Kohl,  S.282.
  6. Nordkirchen, Urkunden, Nr. 233, 1423 Februar 7. Domenica prima post Purificationis B. Mariae virginis
  7. Kohl, S. 36-37, hier S. 37.
  8. Kohl, S. 31.

Quelle: http://siegelblog.hypotheses.org/79

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Tucholsky-Feature auf Ö1

Montag 5.1.2015 21:00-21:40 auf Ö1:

Tonspuren

Das Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders. Kurt Tucholsky zum 125. Geburtstag. Feature von Barbara Zeithammer

"Ein kleiner, dicker Berliner wollte mit einer Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten." So beschrieb Erich Kästner seinen Zeitgenossen Kurt Tucholsky, der sogar im Urlaub in die Tasten schlug und von sich sagte: "Ich schreibe, um die Welt zu verändern". Als "kleiner, aufgehörter Dichter" musste er feststellen, dass er "zwar Erfolg, aber keine Wirkung" gehabt hätte.

Die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat Tucholsky einen unerwarteten Boom im Internet verschafft; europaweit wird er zitiert, auf Websites, auf Twitter - nicht immer stammen die Bonmots von ihm. "Er war ein Seismograph seiner Zeit", sagt der Literaturwissenschafter Peter Böthig vom Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg - einer, dessen Voraussicht teilweise erschüttert und sein Werk andererseits zeitlos macht.

In 20 Jahren - von 1912 bis 1932 - verfasste der promovierte Jurist aus gutbürgerlichem Haus über 3.000 Texte, viele für die Wochenzeitschrift "Weltbühne", aber auch Geschichten, Gedichte, Romane, Chansons und Rezensionen. Kurt Tucholsky konnte die Ereignisse scharfzüngig auf den Punkt bringen; Humor war seine Waffe. "Ich habe das Lachen eines Clowns, aber innen weint es", sagte Tucholsky einmal.

1932 verstummte Tucholsky im schwedischen Exil, vom Ekel über die politischen Ereignisse in Deutschland abgestoßen, die er vorhergesehen, aber - wie viele seiner Zeitgenossen - doch unterschätzt hatte. Am 21. Dezember 1935 starb er in einem Göteborger Krankenhaus an einem Mix aus Schlafmitteln und Alkohol. Bis heute ist nicht geklärt, ob es Suizid war, Mord, oder ein Versehen.
Redaktion: Alfred Koch

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022383839/

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CODE 0: Was soll das hier werden?

Wie sich das gehört, starte ich das Podcastprojekt mit einer Nullnummer, in der ich kurz erläutere, warum ich das hier mache und was ich in nächster Zeit vorhabe. Die Ausgangsfragen sind: Warum sieht Software so aus, wie sie aussieht? Wie hat sich das Programmieren von Software verändert und was für Auswirkungen hat das eigentlich darauf, wie wir Software benutzen? Es geht mir letztlich darum, besser zu verstehen, wie die digitale Welt geworden ist, wie sie ist. In einem kaum beachteten Buch von 1988 heißt es: «Fast täglich liest man Zeitungsberichte über Computereinsatz, EDV-Anwendungen und mikroelektronische Innovationen – und doch ist der Computer ein Automat, über dessen Entwicklung, Einsatzpotential und Folgen die wenigsten hinreichend informiert sind. Angesichts einer weit verbreiteten Fetischisierung und Verdrängung des Computers ist es Computerkonzernen und "Experten" ein leichtes, ihn weiter zu mystifizieren.» (Brödner, Peter/Krüger, Detlef/ Send, Bernd (1988): Der programmierte Kopf. Eine Sozialgeschichte der Datenverarbeitung. Berlin: Klaus Wagenbach, S. 9.

[...]

Quelle: http://codinghistory.com/podcast/code0/

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