Digitalisierung als Schutz vor Archiv-Diebstählen? Erörterungen im Nachgang zum dänischen Aktenklau-Skandal

Kollege Zimmermann drüben auf dem Umstrittenen Gedächtnis hat kürzlich die im letzten Herbst aufgeflogene Diebstahlserie im dänischen Reichsarchiv pointiert zusammengefasst. Die Lektüre hat mich nochmal selbst zum Nachlesen und -denken gebracht und ich bin auf einige Aspekte gestoßen, die von dem konkreten Fall auf die größere Thematik “Digitalisierung von Archivmaterial” verweisen. Eine interessante Facette der in Dänemark geführten und durch den Archivklau ausgelösten Debatte verweist auf die Digitalisierung der Akten als einen möglichen Schutz vor solchen Diebstählen. Tatsächlich haben mehrere Politiker die Frage aufgeworfen, ob nicht eine weitgehende Digitalisierung der Bestände eine Lösung sein könnte. In die gleiche Richtung argumentiert ein dänischer IBM-Vertreter in einem YouTube-Video, der fordert, die “wichtigen Teile” des Archivs als Reaktion auf den Diebstahl zu digitalisieren (das Video ist nur für des Dänischen Kundige zu verstehen…):

Ausgehend von der Idee der Digitalisierung als Diebstahlschutz lässt sich der IT-Experte auch über die allgemein zu konstatierenden Vorteile der elektronischen Verfügbarkeit im Netz aus – die Argumente sind sattsam bekannt (Nutzung am heimischen Bildschirm durch den Otto-Normal-User, Aktivieren der Schwarmintelligenz mittel social tagging etc.). Allerdings scheint dem guten Mann nicht bewusst zu sein, dass die Digitalisierung der Bestände schon längst im Gang ist und seit gut 20 Jahren schon läuft. Nun gut – die Frage wäre aber auch, was denn “wichtige Teile” eines Archivs sein sollen. Selbstverständlich werden Prioritäten verschiedener Art festgelegt, wobei eine nicht zu unterschätzende materieller Art ist: Abnutzung durch Gebrauch und sonstiger Verschleiss sind Argumente, die neben inhaltliche treten. Generell lässt sich natürlich sagen: Was viel genutzt wird, ist am frühesten angegriffen, und sollte geschützt werden. Die Vorstellung, dass die Originale in Zukunft nie wieder oder nur in seltenen Ausnahmefällen die Magazine verlassen, ist indes abwegig.

Reichsarchivar Asbjørn Hellum hat die Forderungen nach einer Totaldigitalisierung als unrealisierbar zurückgewiesen, zumindest wenn es bei den bisherigen Mittelzuweisungen und Personalkapazitäten bliebe. Nachdem die von Robert Zimmermann bereits beschriebenen neuen Sicherheits- und Überwachungsregularien nicht auf Vorliebe stießen, kam dennoch die als naiv zu bezeichnende Idee, den Diebstahlschutz mithilfe des Dokumenten- und Buchscanners zu lösen, auf. Das Reichsarchiv sah hat nach dem Diebstahlskandal immer wieder die Frage “warum digitalisiert man nicht einfach die Sammlungen?” erhalten. Daher sah man sich zur Produktion eines kleinen Videos auf seinem YouTube-Kanal veranlasst, in dem man die Forderungen als Ausgangspunkt nahm, um die Digitalisierungsstrategien und -möglichkeiten des wichtigsten dänischen Archivs zu erläutern (leider wiederum nur auf Dänisch, aber es ist ganz hübsch anzusehen, wie der PR-Chef da durch das Magazin fährt!):

Der Chef für die Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit Jeppe Bjørn geht hier auf die seit 20 Jahren währenden Bemühungen zur Bewahrung der Archivbestände durch Digitalisierung ein und meint, in der besten aller Welten würde man den Inhalt aller Aktenkartons mit dem Scanner einlesen, doch bei einer Zahl von drei Millionen solcher Kartons (die ja zudem ständig weiterwächst) stellt sich die Frage nicht. Dennoch setzt man seit längerem darauf, die auf Dänisch als “e-arkivalier” bezeichneten Quellen dem Publikum im Netz leicht zugänglich zu machen. Es gibt eine eigene Seiten für das digitale Material, unter arkivalieronline.dk finden sich über 18,85 Millionen Einzelbilder von den verschiedensten Akten. Stolz wird auf der Nachrichtenseite des Archivs über die Fortschritte bei der Arbeit an dieser Online-Quellenpräsenz berichtet.

Indes kann man nicht übersehen, dass eine so einfach klingende Forderung wie “digitalisiert die Archive!” (wie oben im ersten YouTube-Video) nicht nur die inhaltlichen, materiellen und monetären Probleme gewärtigen muss. Bei aller Offenheit für Neuerungen sind Archivarinnen und Archivare durch die umfassenden Änderungen ihres Arbeitsumfeldes stark gefordert. Viele Fragen, die sich der forschenden Benutzerseite stellen, stellen sich ihnen aus anderer Perspektive. Das Anforderungsprofil an den Archivarberuf ändert sich rasant und bringt bei allen Chancen auch Unsicherheiten mit sich. Auf einem dänischen Archivar-Gruppenblog werden diese Fragen aufgegriffen und offen auf Fragezeichen, die in Zusammenhang mit der Digitalisierungsdebatte auftauchen, eingegangen.

So viele Möglichkeiten die neuen Technologien also bieten – sie arbeiten nicht von selbst und der Umgang mit ihnen erfordert einiges an Umdenken und an Planung. Bei der Setzung der Prioritäten folgt man sicherlich gewissen Prämissen (nicht immer ist klar, welchen), doch werden diese aus der Sicht  vieler unbefriedigend sein oder unpassend gewählt sein. Angesichts der Masse an Quellenmaterial und der Menge an Fragestellungen wird man, etwas binsenweise gesprochen, nie allen gerecht werden. Aber die Frage ist: Wer oder was gibt letztendlich den Ausschlag bei der Benennung solcher Prioritäten?

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1316

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Peter Haber: Zeitgeschichte und Digital Humanities

Der Schweizer Historiker Peter Haber hat im September auf der Docupedia-Zeitgeschichte seinen Beitrag Zeitgeschichte und Digital Humanities, Version: 1.0,  publiziert.

Der Anreisser lautet: “Ist Facebook eine zeithistorische Quelle, und wer archiviert die Tweets der Politiker? Wie nutzt man digitale Quellen, und wie verändert sich die Quellenkritik, wenn die Kopie sich vom Original nicht mehr unterscheiden lässt? Seit Beginn der 2010er-Jahre wird unter dem Stichwort “Digital Humanities” insbesondere im angelsächsischen Raum eine intensive Debatte über neue Potenziale für die Geisteswissenschaften geführt: Peter Haber zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung der Digital Humanities nach und fragt, ob sich mit der Digitalisierung nicht nur die Qualität und Quantität der Quellen, sondern auch der gesamte Arbeitsprozess von Zeithistoriker/innen verändert hat.”

Aus der docupedia ist auch das Buch Frank Bösch/Jürgen Danyel (Hg.): Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2012, 464 S., entstanden, das u.a. hier auf der Website der RLS kritisch rezensiert wird.


Einsortiert unter:Archive, Geschichtspolitik, Historiker, Medien, Methodik, Vermittlung

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/12/18/peter-haber-zeitgeschichte-und-digital-humanities/

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Archivreport live: Stadtarchiv Stralsund – Gutachten zum Verkauf der Gymnasialbibliothek liegt vor

http://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_ E4331380388565DBC1257ABC005239CA Nach dem Eingang und der Weitergabe des Gutachtens an die Aufsichtsbehörden teilte die Stadt Stralsund das Ergebnis heute nachmittag der Öffentlichkeit mit. So wurden mit der Klärung des Sachverhaltes Prof. Dr. Nigel Palmer von der Universität Oxford und Prof. Jürgen Wolf von der Universität Marburg beauftragt. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass die […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/11/3602/

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Archivreport extra: Stadtarchiv Stralsund

http://www.stralsund.de/stadtarchiv Die traditionsreiche Hansestadt Stralsund, deren Altstadt zum UNESCO-Welterbe gehört, hat im Sommer 2012 einen Teil ihrer historischen Archivbibliothek – diese gehört in Mecklenburg-Vorpommern zu den vier größten Altbestandsbibliotheken – an einen Antiquar zu einem nicht genannten Betrag veräussert. Dies betraf nach Angaben der Stadt den Großteil der historischen Gymnasialbibliothek, deren Umfang im “Handbuch der […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/11/3559/

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Vortrag: Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession

Am 29. Juni 2012 wurde am Historicum der LMU München der Sammelband „Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession“ präsentiert. Eingeladen hatten zu dieser Veranstaltung das am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für österreichische Geschichtsforschung angesiedelte FWF-Start-Projekt „Monastische Aufklärung und die Benediktinische Gelehrtenrepublik“, der Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte mit dem Schwerpunkt Spätmittelalter an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Monumenta Germaniae Historica sowie der Verlag De Gruyter. Es sprachen für den einladenden Lehrstuhl Prof. Dr. Claudia Märtl, für den Verlag Julia Brauch sowie zur [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/644

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Sammelband: Europäische Geschichtskulturen um 1700

Anfang 2012 erschien beim Verlag De Gruyter der Band mit den Beiträgen einer 2010 in Wien gehaltenen Tagung zu Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung in verschiedenen Ländern Europas in den Jahrzehnten um 1700, an der sowohl junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch namhafte Größen der Gelehrsamkeits- und der Ordensgeschichte aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und den USA teilnahmen (Tagungsbericht). Nicht nur weil das Forschungsprojekt Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik (angesiedelt am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung) die Veranstaltung ausrichtete, sondern [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/665

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Österreichisches Klosterportal

Eigentlich müsste es ja “Ordensportal” heißen, weil das Österreichische Klosterportal wesentlich mehr bietet als einen Wegweiser nur zu den “Klöstern” in Österreich. Vielmehr beinhaltet es Informationen zur Geschichte und den Kulturgütern aller in Österreich niedergelassenen Ordensgemeinschaften. Das Portal ist ein Service des Referats für die Kulturgüter der Orden. Dieses Referat ist von der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs (SK) und der Vereinigung der Frauenorden Österreichs (VFÖ) damit beauftragt, die Kulturgüterpflege in den Ordensgemeinschaften zu unterstützen: durch Vernetzung der Ordensleute, die in ihren Gemeinschaften Archivalien, [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/193

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Rostock-Lichtenhagen ist noch kein “Erinnerungsort”

Ein paar Gedanken zum Erinnern. Bundespräsident Gauck hat am Wochenende in Rostock-Lichtenhagen eine Rede gehalten. Er hat an die Taten eines gewalttätigen, mordwilligen Mobs vom 22.-26.8.1992, das Leid der Opfer in einem Asylbewerberheim und einem Wohnheim für Vietnam-Deutsche, das Versagen der staatlichen Sicherheitsorgane und die Pflicht zum Gedenken erinnert. Meiner Ansicht nach besteht eine Gefahr im allzu schnellen Gedenken, Erinnern und Historisieren. In der deutschen Erinnerungskultur gibt es mittlerweile anscheinend eine Erinnerungsroutine, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus speist und nun auf jüngst vergangene Ereignisse übertragen wird. Dass eine bestimmte Form des Erinnerns einer Verschiebung vom “Arbeitsspeicher” in das “Archiv” des kollektiven Gedächtnisses gleicht – ja sogar eine natürlich Funktion sei, wurde verschiedentlich angemerkt (siehe z.B. WerkstattGeschichte 52/2009 “archive vergessen”). Lebendige Geschichte droht, wenn man nicht aufpasst, zur vergangenen, abgeschlossenen, erfolgreich überwundenen Geschichte zu werden. Genau die Gefahr sehe ich, wenn nun zum 20. Jahrestag R-Lichtenhagen zum Erinnerungsort gemacht wird. Diese Vergangenheit ist nicht vorbei! Sie ist ummittelbar wirksam, beispielsweise im Asylrecht: Im Anschluss oder in Reaktion auf die Gewalt gegen vermeintlich Fremde in Lichtenhagen, Mölln, Hoyerswerda oder Solingen verschärfte Deutschland seine Asylgesetzgebung (u.a. mit der Drittstaaten-Regelung) – dieses Asylverhinderungsrecht ist immer noch in Kraft.

Nur ein Zitat aus den Bundestagsdebatten im Vorfeld des sog. Asylkompromisses vom 26. Mai 1993, Norbert Geis am 4.11.1992 (auch heute noch CSU-Abgeordneter):

„Nun können wir uns leicht ausrechnen, wann wir, weil dieser Asylstrom überhaupt nicht enden wird […] die Kapazitäten nicht mehr haben, um diese Menschen aufnehmen zu können. Wir können uns doch auch leicht ausrechnen, wann es zur Katastrophe kommt. […] Es geht doch letztlich darum, dass wir Wortklauberei betreiben und der eigentlichen Tatsache nicht ins Gesicht sehen. Diese unsere Haltung bewirkt draußen, daß wir eine zunehmende Radikalisierung der Bevölkerung, zumindest ein starke Sympathie gegenüber radikalen Parteien erleben. Dieser Radikalimus ist die Ursache für Exzesse.“ (BT - Aktuelle Stunde Plenarprotokoll 12/116 04.11.1992 S. 9892-9893.)

Von vielen in den Regierungsparteien und der SPD wurde die einfache Gleichung, „Asylstrom“ führt zu „Exzessen“, unterschrieben; die Asylrechtsänderung von 1993 war auch eine Konsequenz aus dieser Wahrnehmung der Gewalt gegen vermeintlich Fremde.

20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen ist nicht die Zeit der deutschen Geschichte einen weiteren Erinnerungsort hinzuzufügen, es ist Zeit für eine Entradikalisierung des Asylrechts.

Herr Gauck, das wäre Ihre Gelegenheit gewesen zu handeln. Ergreifen Sie die nächste !


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/08/27/rostock-lichtenhagen-ist-noch-kein-erinnerungsort/

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Why (Would Activists) Archive?


Thomas Wolf von Archivalia hat dieses Video von Activist Archivist gefunden. Die denken schon an morgen. Und auch hier stellt sich die Frage, wie man mit den digitalen Quellen archivalisch umgehen soll. Das betrifft ja nicht nur Videomaterial, sondern alle möglichen Dokumentarten bis hin zu Google-Maps zum Beispiel. Und wie finanziert man digitale Archive auf Dauer?


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/05/02/why-would-activists-archive/

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