[Autor: Sven Ehlert | Studierender | Universität Duisburg-Essen
Kommentar zum Blogeintrag: Bernhardt, Markus: Erinnerungsorte, Eintracht Braunschweig und der Geschichtsunterricht. In: Public History Weekly 1 (2013) 12, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-751.
In Fanchoreographien wird das Anspruchsdenken, den eigenen Fußballverein als eine über Zeiten hinweg bestehende Konstante zu betrachten, deutlich: „So ist es schon seit Opas Zeit – schwarz-weiß bis in die Ewigkeit“[1]. Diese spezielle Wahrnehmung kann, wie von Markus Bernhardt in seinem Beitrag hervorgehoben wird, hervorragend dazu genutzt werden, im Geschichtsunterricht lokale Gegebenheiten in einen breiteren historischen, über das Lokale hinausgehenden, Kontext zu stellen.
Ein Fußballverein als Erinnerungsort, den man meines Erachtens nach durchaus besuchen kann, sei es durch das Betreten der Heimstätte, dem intensiven Austausch mit Anhängern dieses Erinnerungs-„kultes“, dem simplen Auseinandersetzen mit einem Fußballverein und seiner Geschichte oder durch den Besuch eines historisch aufbereiteten Fußball- beziehungsweise Vereinsmuseums, kann dazu dienen, die kollektivstiftende Wirkung eines Fußballclubs zu erfassen und „subjektiv aufzuladen.“
An dieser Stelle kann im Geschichtsunterricht angesetzt werden. Über die eigenen Eindrücke als Bezugspunkt kann vom eigenen Verein des Schülers her eine Brücke geschlagen werden zu (über-)regionalen und anderen lokalen Phänomenen und im Zuge dessen ein historisches Sujet abgehandelt werden. So könnte von einer lokalen Institution (wie es in Markus Bernhardts Beitrag etwa Eintracht Braunschweig ist) auf ein europäisches Spannungsfeld verwiesen werden, um in eine Thematik des Blocks „Das ‘kurze’ 20. Jahrhundert“ einzuführen.
Im Rahmen deutsch-spanisch bilingualen Geschichtsunterrichts soll laut Kerncurriculum in NRW „Der spanische Bürgerkrieg und Spanien nach 1945“ durchgenommen werden[2], somit könnte einer Unterrichtseinheit durchaus explizit die Rolle der katalanischen Nation innerhalb der Franco-Diktatur gewidmet werden. Das besondere Verhältnis der katalanischen Metropole Barcelona und der Zentralregierung Spaniens in Madrid spiegelt sich im Fußball zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid während der Franco-Diktatur wider und sorgt auch heutzutage im Zuge des diesjährigen Referendums zur Abstimmung eines unabhängigen Kataloniens noch für Gesprächsstoff. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die besondere Rolle der Spielstätte des FC Barcelona: während des Francoregimes fungierte das Camp Nou als Forum für die katalanische Gesellschaft, hier konnte die eigene Sprache gesprochen werden, die zu dieser Zeit verboten war, die katalanische Flagge gezeigt und auch politisch kontrovers diskutiert werden, ohne Sanktionen durch den Staatsapparat zu fürchten.
Auf diese Art und Weise wird ein spezieller Ort, nämlich das Stadion Camp Nou, zu einem signifikanten Erinnerungsort einer Nation. Die Erzählungen über den eigene Widerstand zu Zeiten der Diktatur und die erlittene Repression der eigenen Sprache wird zentraler Gegenstand der eigenen Identität. Der Erinnerungs-„Ort“ ist hier nicht mehr nur metaphorisch zu verstehen. An dieser Stelle wird die Rolle eines Fußballvereins als Brennglas einer Nation hervorgehoben, dessen Bedeutung überregional Gehör findet und über die lokale Identitätsstiftung hinaus geht. Genau derartige Anekdoten können dem Geschichtsunterricht ein breiteres Spektrum ermöglichen, die Geschichte eines Landes „von einer anderen Seite“ aufzugreifen. Die Eigenzuschreibung „Més que un club“ (Mehr als ein Klub) zu sein verdeutlicht einerseits die Bedeutung des Vereins für die katalanische Nationalbewegung, andererseits können diese Worte im Zuge der voranschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs eher als schlichter Slogan verstanden werden.
Ein erster Blick auf die Inhaltsfelder für die gymnasiale Oberstufe des Landes NRW und deren Umsetzung in den ersten Konzepten diverser Schulbuchverlage verdeutlicht, dass der Fußball im modernen Geschichtsunterricht angekommen ist. Für das Inhaltsfeld I „Fremdsein, Vielfalt und Integration – Migration am Beispiel des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert“ wird unter dem Schlagwort „Erinnern“ ein Schwerpunkt gelegt auf die Entwicklung des Fußballs im Ruhrgebiet im Zuge der Zuwanderung polnischsprachiger Flüchtlinge im Laufe des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Ein (weiteres) Indiz für das steigende Interesse an der eigenen lokalen Vergangenheit und der Bewusstwerdung der Bedeutung des eigenen Fußballvereins ist sicherlich die seit dem Ende der 1990er Jahre in Deutschland entstandene und mittlerweile weit verbreitete Ultrà-Kultur, die es Jugendlichen ermöglicht, aktiv am Vereinsleben teilzuhaben und somit dessen eigene Motivation hervorhebt, an geschichtsträchtigen Momenten und neuen Episoden des Erinnerungsortes zu partizipieren und Geschichte „mitzuschreiben“.
[1]Fankurve von Borussia Mönchengladbach im ersten Spiel der Bundesliga-Saison 2010/11 gegen den 1.FC Nürnberg, online einsehbar unter: http://nordkurvenfotos.de/?p=69.
[2]Vorgaben zu den unterrichtlichen Voraussetzungen für die schriftlichen Prüfungen im Abitur in der gymnasialen Oberstufe im Jahr 2014, online einsehbar unter:
https://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/abitur-gost/getfile.php?file=3116, S.4.