Ein Dokumentationsprofil für ein Universitätsarchiv – Teil 1: Grundlegung

von Karsten Kühnel

Der folgende Beitrag soll die Anwendbarkeit und mögliche Ausrichtung eines Archivierungs- und Dokumentationsprofils für das Universitätsarchiv Bayreuth reflektieren. Der Autor würde sich über eine rege Diskussion und konstruktive Kommentare in diesem Blog freuen.

„Hochschularchive sind wesentlich mehr als nur Materialsammlungen für die Öffentlichkeitsarbeit ihrer Träger. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Bildung der von einer zivilisierten Gesellschaft benötigten historischen Überlieferung.“ So beginnt die Einleitung zum 2009 von einem Autorenteam vorgelegten und von der Universität des Saarlandes herausgegebenen „Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulen“.[1] Und Bezug nehmend auf die typische Situation der Personen, die die Überlieferung tatsächlich formieren, findet sich wenige Zeilen weiter der Satz, dass typischerweise unter anderem der Umstand die Situation im Hochschularchiv charakterisiere, dass die „Archivarin oder der Archivar […] sehr weitgehend eigenverantwortlich“ arbeite. Einer der Autoren schreibt kurz darauf in einer ausführlichen Kommentierung des Profils in der Zeitschrift „Der Archivar“ darüber: „Das Dokumentationsprofil versteht sich […] als Handreichung, nicht als Vorschrift, und es ist an vielen Stellen offen für individuelle Lösungen.“[2]

Das Ziel eines Dokumentationsprofils für ein Archiv ist es, ein Profil vorzugeben, an dem sich die Auswahl und der Erwerb von Archivgut messen lassen können. Die Kriterien, auf denen das Profil beruht, können unterschiedlicher Art sein. Ihm können inhaltliche Aspekte und formale Aspekte aus wiederum unterschiedlichen Sichtweisen zugrunde liegen. Ein Dokumentationsprofil zu akzeptieren ist eine Entscheidung für bestimmte zu erwartende und gegen bestimmte ebenfalls zu erwartende Informationen, deren Erhalt einerseits gewünscht und deren Verlust andererseits akzeptiert wird. Das Dokumentationsprofil ist die Grundlage für die Bewertung, das heißt für die Entscheidung über Archivierung oder Vernichtung von Unterlagen.

Ein Dokumentationsprofil bestimmt nicht nur das Profil des materiellen Archivs, das auf seiner Grundlage anwächst. Es spiegelt auch das Profil des Archivs als Institution. Dem Selbstverständnis einer Institution „Archiv“ entfließt ganz wesentlich dessen Auffassung darüber, was zu archivieren ist und wie das Profil der Überlieferungsbildung aussehen soll. Nicht ohne Grund ist die erste Stufe der archivischen Erschließung die eigene Beschreibung des Archivs als archivischer Institution. Die überblicksartige Beschreibung der Archivbestände ist bereits die zweite Erschließungsstufe. Denn das Profil des Archivs als Institution lässt bereits entscheidende Rückschlüsse auf die Inhalte seiner Bestände zu, und seine Beschreibung gibt dem potentiellen Nutzer den ersten Anhaltspunkt, ob dieses Archiv für seine Forschung überhaupt von Bedeutung sein kann.

„Archivalien konservieren Spuren und Überreste vergangener Zeit.“ So schreibt Alf Lüdtke in seinem Nachwort zur deutschen Übersetzung von Arlette Farge’s Le goût de l’archive.[3] Die Autorin selbst schreibt an einer Stelle über das Archiv: „Unter dem Archiv organisiert sich das Relief, man muss es nur zu lesen wissen – und sehen, dass es an eben diesem Ort eine Produktion von Sinn gibt, an einem Ort, an dem die Leben, ohne es sich ausgesucht zu haben, auf die Macht stoßen.“[4] Farge schreibt diesen Satz angesichts von Archivalien aus dem 18. Jahrhundert. Und doch ist die reliefartige Überlieferungsbildung ein Thema, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in der sich allmählich bildenden Archivwissenschaft bis heute eine bedeutende Rolle spielt. Heinrich Otto Meisners „Schutz und Pflege des staatlichen Archivguts mit besonderer Berücksichtigung des Kassationsproblems“ von 1939 wird noch heute als Meilenstein in der Bewertungsdiskussion zitiert.[5] Im Jahr 1965 legte die Staatliche Archivverwaltung der Deutschen Demokratischen Republik unter dem Titel „Grundsätze der Wertermittlung ein ausführliches schriftliches Profil für die archivische Überlieferungsbildung unter marxistisch-leninistischen Leitlinien vor, das sie 1984 noch einmal überarbeitete.[6]

In Westdeutschland war es Hans Booms, der 1972 die Überlieferungsbildung auf der Grundlage eines Dokumentationsprofils vorschlug und damit auf großen Widerstand und Ablehnung im Kreis seiner Kollegen stieß.[7] Angelika Menne-Haritz beleuchtete in ihrem Vortrag auf dem ersten Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg, das am 28. und 29. Juni 1994 unter dem Leitthema „Bilanz und Perspektiven archivischer Bewertung“ stand, terminologische Unschärfen im Zusammenhang mit der Bewertung. Dabei analysiert sie die Verwendung der Begriffe des „Archivierens“ und des „Dokumentierens“ im Rahmen der Überlieferungsbildung und kommt zu der bemerkenswerten Aussage: „Dokumentation gesellschaftlicher Phänomene interessiert sich nicht für Evidenz. Sie läuft Gefahr, Kontexte zu zerstören, ohne zu wissen, was sie tut, da sie nur ihre subjektiven Inhaltsfragen sieht. Dann wird Geschichte zerstört, weil Evidenz vernichtet wird und die Interpretationskontexte für Fakten fehlen.“ Und sie gipfelt in der Warnung vor einem Paradigmenwechsel in der Kultur der Geschichte tradierenden Institutionen: „Wenn Archive sich als Dokumentationsstellen verstehen, besteht die Gefahr, daß sie sich zu rückwärtsgewandten Dokumentenmuseen entwickeln und vom lebendigen, zukunftsorientierten Zusammenspiel mit der Exekutive abgeschnitten werden.“[8]

Die Gegner von Dokumentationsprofilen stellten ihnen den Anspruch an die Bewertung gegenüber, eine nicht auf bestimmte, inhaltlich orientierte und somit vorhersehbare Fragestellungen ausgerichtete, sondern eine nach Möglichkeit für alle Fragestellungen offene Überlieferung zu bilden, die die Kontexte ihrer ursprünglichen Entstehung bewahrt. Infolge dieser Ausrichtung machte sich die Bewertung an Maßgaben wie Zuständigkeiten, Federführung, Verwaltungshierarchie und Aktenplänen fest und mündete in Bewertungsmodelle, die den Grat zwischen horizontalen und vertikalen Bezügen unter Überlieferungsbildnern gangbar machte. Retrospektiv kann man von einer Etablierung einer anderen Art von Dokumentationsprofilen sprechen, die mehr auf formale Bezüge ausgerichtet waren und noch sind, die aber die inhaltlichen Aspekte auch nicht außer Acht ließen.

Damit einher ging das nur zaghafte Aufgeben der Tradition der engen Bindung an den eigenen Träger bzw. an die Behörden in der Sprengelhoheit eines Archivs. Archive waren dazu da, die Überlieferung derjenigen Einrichtungen zu archivieren, für die sie explizit als zuständig deklariert worden waren. Je mehr sich die historische Forschung der ganzen Breite gesamtgesellschaftlicher Überlieferung und Dokumentation zuwandte, desto mehr wurden die Archive aus dem Mittelpunkt des Interesses der Historiker bei der Suche nach authentischen Quellen verdrängt. Die Bildung von Ergänzungsüberlieferung in Form von Sammlungen und Nachlässen wird heute zu den Kernaufgaben eines Archivs gerechnet, was durchaus nicht immer selbstverständlich gewesen war.[9] Diese Selbstverständlichkeit zeigt aber exemplarisch, wie sich das Selbstverständnis der Archive in den vergangenen Jahrzehnten schrittweise verändert hat. Das Bewusstsein, in einem Archiv immer nur Ausschnitte der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abbilden zu können, rückte wieder die Frage nach den Inhalten in den Vordergrund: Was oder welche Entwicklungsstränge sollen abgebildet werden? „In diesem Szenario kann das Ziel der Bewertung einzelner Überlieferungen nicht darin bestehen, die Tätigkeit einer Provenienzstelle abzubilden, sondern möglichst aussagekräftige Spuren aus der jeweils berührten Lebenswirklichkeit zu bewahren“, ist die Antwort, die Robert Kretzschmar in seiner Einführung in das Positionspapier des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA zur archivischen Überlieferungsbildung gibt.[10] Wie nebenbei wurde der Dokumentationscharakter archivarischer Tätigkeit terminologisch salonfähig. Max Plassmann ging auf das terminologische Unbehagen in seinem 2004 veröffentlichten Aufsatz „Dokumentationsziele als Grundlage der Arbeit von Universitätsarchiven: Bewertung, Erschließung, Bestandserhaltung“ noch ein, wenn er schreibt: „Wer etwa aus standespolitischen Erwägungen heraus Unbehagen verspürt, den Begriff ‚Dokumentation‘ zu nutzen, der mag auch auf ‚Festlegung inhaltlicher Ziele der Überlieferungsbildung‘ oder etwas anderes ausweichen.“[11]

Das Positionspapier des Arbeitskreises Archivische Bewertung von 2004 rät zu Abstimmungen zwischen Archiven unterschiedlicher Träger bei Überschneidungen und Berührungen und empfiehlt die Methode der horizontalen und vertikalen Bewertung zur archivübergreifenden Überlieferungsbildung. Gleichzeitig wird vor dieser Bewertungsmethode gewarnt, sofern keine verlässlich strukturierte Akten- und Registraturführung vorliegt. Somit kommt das Modell für weite Bereiche universitärer Überlieferung nicht in Frage. Das Thema blieb aktuell und mündete in die Forderung, Überlieferung im Verbund zu gestalten. Im Jahr 2011 folgte vom gleichen Arbeitskreis ein Positionspapier zur „Überlieferungsbildung im Verbund“, das an das Papier von 2004 anknüpfte.[12] Was Überlieferung im Verbund ist, definieren die Autoren wie folgt: „Überlieferungsbildung im Verbund bedeutet, dass sich Archive unterschiedlicher Trägerschaft in einem definierten, beide Seiten berührenden Zuständigkeitsbereich bei der Überlieferungsbildung austauschen und abstimmen. Das Ziel des Abstimmungsprozesses zwischen den beteiligten Archiven sind langfristig verlässliche Absprachen, die darauf abzielen, eine qualitätsvolle, sich ergänzende und Redundanzen vermeidende Überlieferung bei gleichzeitiger grundsätzlicher Wahrung des Provenienzprinzips und der Sprengelzuständigkeit zu schaffen.“[13] Berührungspunkte mehrerer Universitätsarchive können sich beispielsweise bei Professorennachlässen ergeben. Hier könnten gemeinsame Richtlinien vereinbart werden, nach denen bestimmte Konstellationen einem bestimmten Universitätsarchiv den Vortritt einräumen. Hinsichtlich der Überlieferung studentischer Initiativen wäre beispielsweise mit dem jeweiligen Stadtarchiv zu klären, wer sich dafür zuständig fühlen soll.

Überlieferungsbildung im Verbund ist aber nach dem Papier des Arbeitskreises deutlich mehr, ja wohl sogar eigentlich etwas anderes als Verabredungen über den besten Verwahrungsort für Bestände. Sie bezieht sich auf Abreden hinsichtlich der zu überliefernden Inhalte und basiert demnach auf gemeinsam vereinbarten Dokumentationsprofilen, Festlegungen inhaltlicher Ziele oder Bewertungsmodellen. Ist bereits die Festlegung inhaltlicher Dokumentationsziele innerhalb eines einzelnen Archivs eine strategische Entscheidung enormer Reichweite, so ist sie es umso mehr im Kreis von Überlieferungsverbünden.

Destruktiv wäre es, die Ergebnisse der Bewertungsdiskussion der 1990er Jahre einfach über Bord zu werfen, und den Informationswert von Unterlagen als das einzig Wahre für die Bestimmung der Ziele einer Überlieferungsbildung und von Bewertungskriterien anzusehen. Man würde dadurch um Jahrzehnte zurückfallen und sich zudem einer historischen Mindermeinung anschließen. Frank M. Bischoff brachte in seinem Vortrag über „Bewertung als Gegenstand der Archivarsausbildung“ auf einem Workshop der Archivschule Marburg im November 2004 im Zusammenhang mit der Vielfalt von Bewertungsansätzen, die die Archivwissenschaft kannte und noch kennt, den in den 1990er Jahren in Deutschland wirkungsvoll von Angelika Menne-Haritz propagierten Schellenbergschen Ansatz erneut ins Bewusstsein der Archivare.[14] Er betonte dabei, dass die Diskussion der 90er Jahre zu einer Polarisierung im Archivarsstand und letztlich zu einer übermäßigen Betonung des Evidenzwertes als Bewertungskriterium geführt habe, dass aber Schellenberg mit dem Evidenzwert auch den Informationswert verknüpft habe. Der Hinweis Bischoffs kann als Aufforderung verstanden werden, Dokumentationsprofile nicht nur inhalts- oder informationswertorientiert auszurichten, sondern auch mit den Elementen der Evidenzdokumentation synergetisch zu verbinden.

Bemerkenswert ist, dass sich das bereits erwähnte Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulen von 2009 nach Aussage Max Plassmanns in seiner ebenfalls bereits genannten Kommentierung im Archivar an den „Hauptaufgaben von Universitäten – Forschung und Lehre“ orientiert, dass in der Einleitung des Dokumentationsproifls selbst aber stets nur von Inhalten die Rede ist, an denen man sich orientiere: „Das Dokumentationsprofil orientiert sich vorrangig an den in Hochschularchiven zur Bewertung anstehenden Inhalten und setzt sich dabei mit typischen Schriftgutsorten auseinander. Die Überlieferungssituation an Hochschulen ist oft so unübersichtlich, dass eine vorrangig nach Organisationsstrukturen gegliederte Darstellung die weniger sinnvolle Alternative wäre.“[15] In beiden Texten ist von Funktionen einer Universität als Orientierungskriterien nicht die Rede, obwohl doch einiges darauf hindeutet, dass die Intention der Autoren in etwa in diese Richtung ging. Es zeigt sich jedoch bei anderen Dokumentationsprofilen der letzten Jahre, dass Funktionsorientierung offenbar insgesamt keine herausragende Rolle spielte. In ihrer „Arbeitshilfe zur Erstellung eines Dokumentationsprofils für Kommunalarchive – Einführung in das Konzept der BKK zur Überlieferungsbildung und Textabdruck“ lässt Irmgard Christa Becker eine sehr starke inhaltsbezogene Orientierung erkennen, die Aufgaben- und Funktionsbezogenheit in den Hintergrund zu stellen scheint.[16]

Die amerikanische Archivarin und Bibliothekarin Helen Willa Samuels veröffentlichte 1998 unter dem Titel „Varsity Letters“ ein Buch über die Dokumentation von Universitäten und ebnete darin den Weg zur Erstellung eines auf Funktionen basierenden Dokumentationsprofils. Sie stellt bereits im einleitenden „Rationale“ prägnant fest, dass Funktionen von Organisationsstrukturen gelöst zu betrachten sind und zitiert dazu David Baerman und Richard Lytle: „Functions are independent of organizational structures, more closely related to the significance of documentation than organizational structures, and both finite in number and linguistically simple.“[17] Die Funktionen, die sie für Hochschulen herausarbeitet, sind gegründet auf eine Analyse dessen, was diese Institution tut. Damit unterscheidet sich ihre Herangehensweise von der Beschreibung zugewiesener Funktionen und blickt stattdessen auf die in Vergangenheit und Gegenwart tatsächlich wahrgenommenen Funktionen. Sie unterscheidet sich damit auch vom Funktionsbegriff des ISDF-Standards des Internationalen Archivrats, der eine Funktion wie folgt definiert: „Any high level purpose, responsibility or task assigned to the accountability agenda of a corporate body by legislation, policy or mandate. Functions may be decomposed into sets of co-ordinated operations such as subfunctions, business processes, activities, tasks or transactions.”[18] Dabei ist es ihr ein Anliegen, von der Betrachtung der einzelnen Akte oder der einzelnen Büros bei der Bewertung loszukommen und den Bewertungsvorgang mit der Analyse des konzeptualen Kontexts der Unterlagen einer Universität vorzubereiten. Mit Terry Cook befürwortet sie einen Perspektivenwechsel von der physischen Einheit zur intellektuellen, „from matter to mind“.[19] Samuels möchte bei der Funktionsanalyse die enge Sichtweise auf die Reflexion administrativer Prozesse aufgeben und in den Funktionen zwar auch die administrativen Aktivitäten, aber ebenso die anderer Akteure wie der Studenten, der Fakultäten, des Personals und von Personen und Körperschaften außerhalb der Universität einbeziehen.

Sie kommt schließlich zu sieben Hauptfunktionen einer modernen Hochschule:

  1. Ausstellen von Zeugnissen: beinhaltet den Prozess des Anwerbens, Auswählens und Zulassens von Studenten, die Vergabe finanzieller Unterstützung und akademischer Beratung sowie die Graduierung der Studierenden.
  2. Transport von Wissen: beinhaltet die Gestaltung der Curricula und die Lernprozesse.
  3. Förderung der Sozialisation: beinhaltet die informellen Lernvorgänge außerhalb der Vorlesungen und Seminare in organisierter und nicht organisierter Form im häuslichen Leben, in extracurricularen Aktivitäten und in persönlicher Beratung.
  4. Forschung und Ermöglichung von Forschung: beinhaltet Maßnahmen und Aktivitäten der Fakultäten und graduierten Studenten bei der Suche nach neuem Wissen und neuer Erkenntnis
  5. Verwaltung der Institution: beinhaltet die Aktivitäten, die für den reibungslosen Betrieb der Institution nötig sind (inkl. Leitung, Finanz- und Personalverwaltung, technische Anlagenverwaltung etc.).
  6. Dienstleistungen für die Öffentlichkeit: beinhaltet die Aktivitäten, die in erster Linie für externe Adressaten(gruppen) erfolgen (inkl. technische Supportdienstleistungen und Weiterbildungsangebote).
  7. Kulturelle Integration: bedeutet die Funktion der Institution als Vermittler von Kultur, z.B. durch die Unterhaltung von Sammlungen, Museen, Bibliotheken und Archiven.

Schwieriger wird es nun bei der Zuordnung von Aktivitäten zu Funktionen, und Samuels räumt selbst ein, dass ein und dieselbe Aktivität durchaus in unterschiedliche oder mehrere Funktionen eingereiht werden könnte. Es sei aber auch von ihr nicht beabsichtigt gewesen, Aktivitäten speziellen Funktionen zuzuordnen, sondern einen Ausgangspunkt für eine weitergehende Funktionsanalyse anzubieten und das Verständnis von Funktionen zu fördern.[20]

Es stehen nun vier Größen sowohl als Bestandsbildungs- als auch als mögliche Ordnungskriterien archivischer Überlieferung im Raum:

  1. Inhalte
  2. Strukturen
  3. Aufgaben
  4. Funktionen

Inhalte zu archivieren ist nichts anderes als das zu archivieren, was das Objekt der Archivierung überhaupt ist: Information. Bei der Überlieferungsbildung bedarf es demnach eines Konsenses darüber, welcher Wert einer Information innewohnen muss, um sie archivwürdig erscheinen zu lassen. Schellenberg nennt für die Analyse des Informationswerts drei Kriterien, die ihm dabei wichtig sind: den Unikatcharakter der Information, ihre Form und ihre Bedeutung für die historische Forschung. Zu finden ist Information in den Unterlagen, die prozessbezogen und ergebnishaft davon zeugen, mit welchen Angelegenheiten ein Schriftgutbildner zu tun hatte.[21] Doch wird man bei der Archivierung von Information letztlich nie um die parallele Evidenzwertermittlung herumkommen, die ebenfalls bereits bei Schellenberg die Informationswertermittlung gleichberechtigt begleitet.[22] Denn nur so lässt sich garantieren, dass Information nicht kontextdefizitär bewahrt wird. Kontexte sind durch Handlungen verursacht, die mit Zwecken und Aufgaben im Zusammenhang stehen. Insofern kann man davon ausgehen, dass eine primäre Konzentration auf kontextverursachende Kriterien eher zu seiner umfassend aussagekräftigen Überlieferung führt als eine primäre Konzentration auf Inhalte.

Strukturen unterliegen häufigen Veränderungen und müssen mit Aufgaben und Funktionen nicht deckungsgleich sein. Die Dokumentation von Organisationsstrukturen und ihrer historischen Entwicklung beinhaltet Aussagen zur Arbeitsweise der Einrichtung und hat einen hohen Wert für die Evidenzüberlieferung. Deshalb kann die Archivierung von Information über Strukturen nicht unterbleiben. Die Nutzung von Archivgut, das den Strukturen einer Einrichtung entsprechend in Findmitteln präsentiert wird, ist für den Nutzer dadurch erschwert, dass er für eine systematische Suche Kenntnisse über die Aufgaben und Funktionen der jeweiligen Organisationseinheiten und über chronologische Schnitte, an denen sich Aufgaben- und Funktionszuweisungen geändert haben, kennen muss. Ein intensives Studium der Schriftgutbildner und ihrer Geschichte muss der effizienten Archivgutrecherche vorausgehen.

Aufgaben werden zugewiesen. Die Zuweisung einer Aufgabe sagt jedoch noch nichts über den Grad und die Art ihrer tatsächlichen Erfüllung aus. Zudem versuchen Aufgabenzuweisungen, den Tätigkeitsrahmen und den Wirkungskreis einer Institution ex ante abzustecken. Das Fortwirken und das Feedback, das sich aus der Erfüllung von Aufgaben ergibt, ist in eine aufgabenbezogene Dokumentation nicht eingebunden. Gleichwohl basiert das Handeln und Funktionieren einer Einrichtung darauf, zugewiesene Aufgaben wahrzunehmen. Für die Recherche nach geeignetem Archivgut ist es für den Forscher wichtig, die Aufgaben eines Bestandsbildners zu kennen, um einschätzen zu können, ob dessen Überlieferung für sein Forschungsthema relevant sein kann. Die Orientierung an Schriftgutbildnern und an deren zugewiesenen Aufgaben ist ein grundlegendes Element des Provenienzprinzips.

Funktionen, verstanden als Zusammenfassung von Aufgaben, Handeln und Wirken einer Stelle, betrachten das Leben einer Einrichtung, ohne dabei eine fremdbestimmte Sichtweise einnehmen zu müssen. So ist es beispielsweise nicht mehr die Sicht des Aufgaben zuweisenden Staats auf eine seiner Behörden, die der Archivar für die Dokumentation, Archivierung oder Bewertung einnehmen muss, vielmehr ermöglicht die Bestandsbildung auf der Grundlage von Funktionen eine objektivere oder neutralere Sicht auf den Bestandsbildner. Funktionsorientierung vermeidet zudem eine Fragestellungen an das Archivgut vorwegnehmende inhaltsorientierte Bestandsbildung, weil sie keine Inhalte definiert, sondern neben Funktionen, die sich durch Aktivitätsbezeichnungen darstellen lassen und dann mit Aufgaben zusammenfallen, den Ausfluss des Handelns einer Stelle durch die beobachtete Wirkung als Funktionsbenennung kennt. Will man Funktionen nach diesem Verständnis als Bestandsbildungskriterien heranziehen, so steht man freilich vor der Situation, dass ihre Bezeichnung hinsichtlich des Zeitraums des Handelns einer Stelle erst ex post geschehen kann, weil erst dann eine Funktionsanalyse im Sinne einer Wirkungsanalyse möglich wird. Hier könnte ein Konfliktpotential mit den Grundsätzen des Provenienzprinzips bestehen, das sich aber als ein nur scheinbares erweist, wenn man auf die Ursache von Verwaltungshandeln als aus der Not, das Chaos im menschlichen Zusammenleben zu verhindern, geborene Tätigkeit sieht. Dann nämlich sind auch Aufgabenzuweisungen an öffentliche Stellen als Resultate der Erkenntnis über ein Handlungsvakuum zu verstehen und somit ebenfalls ex post definiert. Die Funktionsanalyse geht insofern weiter, als sie auf das täglich neu von einer öffentlichen Stelle zu erkennende und auszufüllende Handlungsvakuum rekurriert, das die Realität ihres Wirkens in all seiner Breite bestimmt. Sie nimmt insofern Bezug sowohl auf die Ursache als auch auf die Wirkung von Handlungen.

Der Standard ISDF sieht in der Beschreibung von Funktionen eine Möglichkeit, Archivgut mit höherer Sorgfalt in seinen Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen zu präsentieren und Beziehungen zu anderen Teilen des Archivguts herauszuarbeiten.[23] Funktionsanalyse wird in ihm als mögliche Grundlage für die Ordnung, Klassifikation und Beschreibung, für die Bewertung und für die Recherche und Auswertung von Archivgut bezeichnet.[24] Außerdem ist die Beziehung zwischen Archivgut und den seine Entstehung verursachenden Funktionen eine mögliche Definition des Begriffs der Provenienz.[25]

Das Dokumentationsprofil des Universitätsarchivs Bayreuth ist die Grundlage seiner Bestandsbildung. Es orientiert sich an den Funktionen der Universität in ihrem Handeln und gesamtgesellschaftlichen Wirken und greift somit über die amtliche Überlieferung der Universität hinaus und bezieht externe und private Stellen in die Bestandsbildung mit ein. Dabei bleibt es dem Provenienzprinzip treu, indem es Funktionen als Ursachen für Entstehungsprozesse auffasst, beschreibt und bei der Bewertung der Archivwürdigkeit als maßgebende Kriterien mitwirken lässt.

[1] Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulen / von Thomas Becker, Werner Moritz, Wolfgang Müller, Klaus Nippert und Max Plassmann, hg. v. d. Universität des Saarlandes, Saarbrücken, 2009; hier: S. 7-8.

[2] Max Plassmann, Das Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulen. In: Der Archivar 62 (2009), S. 132-137; hier: S. 133.

[3] Arlette Farge, Der Geschmack des Archivs, aus dem Französischen von Jörn Etzold in Zusammenarbeit mit Alf Lüdtke, Göttingen, Wallstein Verlag, 2011; Nachwort von Alf Lüdtke, S. 115.

[4] Farge, aaO, S. 28.

[5] In: Archivalische Zeitschrift, 45 (1939), S. 34-51.

[6] Grundsätze der Wertermittlung für die Aufbewahrung und Kassation von Schriftgut der sozialistischen Epoche in der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. v. d. Staatlichen Archivverwaltung im Ministerium des Innern der Deutschen Demokratischen Republik, 1965, S. 14.

[7] Hans Booms, Gesellschaftsordnung und Überlieferungsbildung – zur Theorie archivarischer Quellenbewertung. In: Archivalische Zeitschrift, 68 (1972), S. 3-40. Der Beitrag wurde 1987 ins Englische übersetzt und in der kanadischen Zeitschrift „Archivaria“ (24) unter der Überschrift „Society and the Formation of a Documentary Heritage: Issues in the Appraisal of Archival Sources“ veröffentlicht. Booms nimmt erneut Bezug darauf in einer Neubetrachtung unter dem Titel „Überlieferungsbildung: Keeping Archives as a Social and Political Activity“ in Archivaria 33 (1991/92, S. 25-33), die erst 1999 in Deutschland unter „Überlieferungsbildung als eine soziale und politische Tätigkeit“ verbreiteter zugänglich wird (Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds. Hrsg. von Friedrich Beck, Wolfgang Hempel, Eckard Henning (Potsdamer Studien 9). Potsdam 1999. S. 77-89).

[8] Angelika Menne-Haritz, Archivierung oder Dokumentation – Terminologische Fallen in der archivischen Bewertung. In: Bilanz und Perpektiven archivischer Bewertung – Beiträge eines Archivwissenschaftlichen Kolloquiums, hg. v. Andrea Wettmann, Marburg, 1994 (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 21), S. 232.

[9] Noch im März 2013 sah der Bayerische Archivtag die Notwendigkeit, dieses Selbstverständnis zu propagieren, indem er sein Motto in eine rhetorische Frage kleidete: Pflicht oder Kür? Nachlässe, Sammlungen, Verbandsschriftgut“.

[10] Robert Kretzschmar, Positionen des Arbeitskreises Archivische Bewertung im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare zur archivischen Überlieferungsbildung. In: Der Archivar 58 (2005), S. 88-94; hier: S. 90. Im Internet wurde das Positionspapier bereits im November 2004.

[11] Max Plassmann, Dokumentationsziele als Grundlage der Arbeit von Universitätsarchiven: Bewertung, Erschließung, Bestandserhaltung. In: Dokumentationsziele und Aspekte der Bewertung in Hochschularchiven und Archiven wissenschaftlicher Institutionen – Beiträge zur Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 – Archivare an Hochschularchiven und Archiven wissenschaftlicher Insitutionen – des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare am 23. und 24. März 2006, hg. v. d. Universität des Saarlandes, Saarbrücken, 2007 (= Universitätsreden, Bd. 73), S. 33-45; hier: S. 34.

[12] Abgedruckt in: Der Archivar 65 (2012), S. 6-11.

[13] aaO, S. 7.

[14] Frank M. Bischoff, Bewertung als Gegenstand der Archivarsausbildung – Fragen aus Sicht der Archivschule Marburg. In: Neue Perspektiven archivischer Bewertung, hg. v. Frank M. Bischoff u. Robert Kretzschmar, Marburg, 2005, S. 119-144; hier v.a.: S. 140-141; Theodore R. Schellenberg, Die Bewertung modernen Verwaltungsschriftguts, übers. und hrsg. v. Angelika Menne-Haritz, Marburg 1990 (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, 7).

[15] Dokumentationsprofil, S. 12.

[16] In: Der Archivar 62. 2009, S. 122-131.

[17] David Bearman und Richard Lytle, The Power of the Principle of Provenance. In: Archivaria 21 (Winter 1985-86), S. 22; zitiert aus: Helen Willa Samuels, Varsity Letters – Documenting Modern Colleges and Universities, Lanham, Md., und London, 1998, S. 4. Die gleiche Auffassung vertreten die Autoren des Standards ISDF: “Functions are recognised as generally being more stable than administrative structures, which are often amalgamated or devolved when restructuring takes place.“ (ISDF, Kap. 1.3).

[18] ISDF – International Standard for Describing Functions, First Edition, hg. v. International Council on Archives (ICA), 2007

[19] Samuels zitiert hier Terry Cook, Mind or Matter – Towards a New Theory of Archival Appraisal. In: Festschrift für Hugo Taylor, hg. v. d. Association of Canadian Archivists, 1992.; bei Samuels auf Seite 3.

[20] Samuels, Varsity Letters, S. 22-23.

[21] Theodore R. Schellenberg, Die Bewertung modernen Verwaltungsschriftguts, übers. u. hg. v. Angelika Menne-Haritz, Marburg 1990 (= Veröfffentlichungen der Archivschule Marburg, 17), S. 58-59.

[22] Vgl Schellenberg, aaO, S. 38 ff.

[23] ISDF, Kap. 1.4.

[24] ISDF, Kap. 1.3.

[25] ISDF, Kap. 3 „Glossary of Terms and Definitions“, s.v. “Provenance. […] Provenance is also the relationship between records and the functions which generated the need of the records.”

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/693

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Pommersche Gravamina, Teil VI – politische Destabilisierung

Ein letztes Mal zu der Flugschrift, in der die Gesandtschaft des Herzogtums Pommern auf dem Regensburger Kurfürstentag auf die unerträglichen Zustände in ihrem Land hinwies. Jenseits der Gravamina über die Ausschreitungen der in Pommern einquartierten Truppen ist ein Aspekt festzuhalten, der meist unausgesprochen mitschwingt, in wenigen Passagen dieser Beschwerdeschrift dann auch explizit benannt wird. So heißt es an einer Stelle: „Vnd lassen sich zum 30. theils der Officirer noch wol verlauten / daß sie / vnd nicht der Landsfürst vber die Vnterthanen im Lande zu gebiethen haben.“ (S. 9, Nr. 30) Was hier formuliert wird, ist nichts weniger als der Anspruch des Militärs, die landesherrliche Souveränität völlig an die Seite zu drücken und die obrigkeitlichen Kompetenzen für sich selbst zu reklamieren.

An der Machtlosigkeit des Herzogs von Pommern war gar nicht zu zweifeln. Wer konnte der kaiserlichen Armee widerstehen, die in den vergangenen Jahren jeden Gegner im Feld besiegt hatte (die unglückliche Belagerung vor Stralsund lassen wir hier mal außen vor) und allein durch ihre schiere Masse jeden Widerstand zu erdrücken schien? Am Ende der Flugschrift findet sich eine Beilage, die ein Verzeichnis der in Pommern stationierten Truppen enthält: Dort ist von 19 Regimentern Infanterie und Kavallerie mit insgesamt 163 Kompagnien die Rede. Natürlich waren dies erst einmal Einheiten, über deren Ist-Stärke kaum Klarheit zu erzielen war. Doch auch wenn Abgänge durch Krankheit und Desertion die Truppenstärke reduziert hatte, blieb eine gewaltige Militärmacht im Lande. Auch dies gehörte zum Prinzip Wallensteinscher Kriegführung: Es wurden so viele Einheiten in ein Territorium gelegt, daß Widerstand zwecklos war – und mit der militärischen Dominanz ließen sich auch politische Ziele erreichen.

Pommern selbst befand sich in einer besonders schwierigen Situation. Herzog Bogislaw XIV. war der letzte Vertreter des Greifenhauses, seine Ehe kinderlos: Das Herzogtum stand also vor einer offenen Nachfolge, und die Prätendenten begannen bereits, sich in Position zu bringen – kein Wunder, war das Territorium an der Ostseeküste mitsamt der Odermündung auch von besonderem strategischen Wert: für den südlichen Nachbarn Brandenburg, für das von einem dominium maris Baltici träumende Schweden wie auch für eine kaiserliche Politik, die ihren Feldherrn zum „Admiral der baltischen und ozeanischen Meere“ bestimmte. Angesichts dieser Machtinteressen war Wallensteins Urteil über Bogislaw fatal: Der Herzog von Pommern sei ein einfältiger Herr, ja einen armen Tropf nannte er ihn ein anderes Mal (Golo Mann, S. 361).

So besehen erschien die massive Truppenpräsenz des kaiserlichen Heeres in Pommern durchaus sinnvoll. Und doch wird man über den speziellen Fall Pommerns hinaus sehen müssen, daß es viele Maßnahmen gab, die unabhängig von einem übergeordneten Machtkalkül das Herzogtum erschütterten: Wenn kaiserliche Offiziere Zölle erhoben und neue Zölle einführten, den pommerschen Untertanen eigene Pässe ausstellten und über sie auch „in causis ciuilibus“ Gerichtsurteile verhängten (S. 9 f., Nr. 27, 30-32) – von den Eingriffen in die konfessionellen Verhältnisse des Landes gar nicht zu reden (vgl. Pommersche Gravamina, Teil II) –, dann wird deutlich, daß eine Einquartierung immer auch eine potentielle politische Destabilisierung bedeutete. Jede Landesobrigkeit sah sich nun einer konkurrierenden Herrschaftsinstanz gegenüber, die die Macht hatte, die landesherrliche Souveränität auszuhöhlen und Kompetenzen an sich zu ziehen.

Wenn also Feldmarschall Torquato Conti, der Kommandeur über die kaiserlichen Truppen in Pommern, von einer pommerschen Delegation ultimativ die Zahlung der Ausstände für seine Truppen forderte, und „solten sie sich auch biß auffs Hembde außziehen müssen“ (so wurde er in der Flugschrift zitiert: S. 16), so war dies nicht nur eine brüske Drohung, sondern auch der klare Verweis darauf, daß der Herzog in diesem Land nicht mehr viel zu sagen hatte.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/159

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Pop jenseits des Westens: Die Geschichte des Massenphänomens Menudo

Pop-Phänomene werden sehr oft als musikalische Erscheinungsformen des Westens verhandelt. Vor allem die englischsprachigen Musiken gelten durchaus als Pop. Erweitert man jedoch den Blick über die westliche Welt hinaus, so findet man eine Vielfalt von Phänomenen, die sich auch als Pop klassifizieren lassen aber noch nicht in die Popgeschichtsbücher eingegangen sind. Jüngste musikethnologische Forschungen im Bereich Popmusik weisen darauf hin, wie vielversprechend diese Aufgeschlossenheit gegenüber nicht-westlicher populärer Musik für eine Geschichtsschreibung des Pops sein kann. Dies lässt sich beispielhaft an der Laufbahn der Boyband Menudo zeigen, deren Geschichte noch immer nahezu unbekannt ist.

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Während britische und amerikanische Jugendliche 1977 den Punk begründeten, entstand die berühmteste Boyband der spanischsprachigen Welt. Mit fünf Jungs zwischen neun und zwölf Jahren organisierte der puerto-ricanische Manager Egdargo Díaz Meléndez eine Band für das vorpubertäre Publikum. Díaz hatte Anfang der 70er Jahre Regie und Produktion für Kino und Fernseher in Spanien studiert. Nebenbei produzierte er die Kinderband La Pantilla. Dabei erprobte er ein bestimmtes Arbeitsverfahren: Die Bandmitglieder konnten wechseln, ohne dass der Name der Band sich änderte. Diese Erfahrung bewog ihn zur Gründung einer eigenen Band. Zurück in Puerto Rico gewann er seine drei Neffe und zwei Söhne eines Freunds als Mitglieder für Menudo. Sie mussten singen und tanzen. Den Rest übernahm Díaz. November1977 war die Uraufführung der Band in einem Patronatsfest in Puerto Rico.

Menudo funktionierte von Anfang an als ein Unternehmen. Díaz registrierte die Marke Menudo, gründete das Label Padosa und stellte einen Choreographen, einen Produktionsleiter, zwei Komponisten und künstlerische Leiter, einen Fotografen und einen Gesanglehrer an. In den ersten zwei Jahren trat die Band ausschließlich an Wochenenden auf, damit die Jungs die Schule besuchen konnten. 1978 nahm Menudo zum ersten Mal an einer Fernsehsendung – “Noche de Gala”– teil. Daraus entstand ihre eigene Sendung “La gente jovem de Menudo” [Die Jugendliche von Menudo], die samstags um 18 Uhr für halbe Stunde zu sehen war. Damit gelangte die Band in Puerto Rico zu nationaler Berühmtheit. Als eines der Bandmitglieder 15 Jahre alt wurde, musste es aufgrund der Veränderung seiner Stimme und seines Körpers die Band verlassen. Díaz organisierte ein öffentliches Casting um neue Mitglieder zu werben. Dieses Verfahren wurde zur Regel.

Die neue Besetzung der Band hatte internationalen Erfolg. 1980 gaben Menudo ihre ersten Konzerte in Venezuela. Ein Jahr später verkaufte sich ihre Schallplatte in ganz Lateinamerika, was eine internationale Tournee ermöglichte. In Argentinien und Peru sangen die fünf Jungs vor 15.000 Zuschauern. Danach flogen sie nach Uruguay und Mexiko, um an Radio- und Fernsehsendungen teilzunehmen. Die Anzahl der Fans stieg beträchtlich in diesen Ländern. Díaz begann diverse nicht-musikalische Produkte unter der Marke Menudo herzustellen: Fernsehserien, Filme, Poster, Zeitschriften, Schlüsselanhänger, Ketten, Ohrringe, Gürtel und anderes mehr. Menudos Fernsehsendung wurde in “Menudo Mania” umbenannt und sieben Jahre lang in Puerto Rico übertragen.

Die Tourneen in Lateinamerika entwickelten sich zu Massenveranstaltungen. In Bolivien, Panama, Kolumbien, Honduras, Guatemala und El Salvador gaben Menudo Konzerte in bis auf den letzten Platz besetzten Fußballstadien. 1983 sammelten sich mehr als 100.000 Menschen in Mexiko-Stadt und Belo Horizonte (Brasilien), in Rio de Janeiro 130.000 und 200.000 Fans in São Paulo. Aufgrund der erfolgreichen Tournee in zwanzig brasilianischen Städten nahmen Menudo eine Schallplatte auf Portugiesisch auf und flogen Monate später in die USA. Die Konzerte im Madison Square Garden in New York sorgten ebenfalls für Furore. Ermutigt durch Medienberichte nahmen Menudo drei Schallplatten auf Englisch auf. Der Song “If you’re not here” wurde zum Radio-Schlager. Mitglieder von Menudo waren bei der Grammy-Verleihung zu sehen. Sie wurden als Botschafter der Jugend von UNICEF nominiert, um sich an Kampagnen gegen Drogen und Abwanderung der Schüler zu beteiligen. Nach einer Japan-Tournee erhielt die Band die goldene Auszeichnung des Tokio-Music-Festivals. Anschließend tourte sie in Taiwan und den Philippinen, worauf die Goldene Schallplatte für das Album “Reaching Out” folgte.

Angesichts des unkontrollierbaren, massiven Konzertpublikums, das in dem Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren die Mehrheit stellten, kam es zu einigen Unfällen. Deswegen wechselte der Manager Díaz seine Strategie: Menudo sollten nun in kleineren Spielstätten auftreten. Daraus folgten einige Veränderung im Arbeitsverhältnis der Band. Die Jungs mussten ihre Schulen verlassen. Privatlehrer reisten mit ihnen, um in den Pausen unterrichten zu können. Die Eltern durften aus Kosten- und Organisationsgründe nicht mehr mit ihren Kindern auf die nun häufigeren Tourneen gehen. Auch die Gagen veränderten sich. Bis 1984 erhielten die Jungs zusammen 70 Prozent der Gewinne während der Produzent 30 Prozent behielt. Nun arbeiteten die Jungs als Angestellter des Unternehmens Menudo mit einem festen Gehalt. Alle anderen Kosten wurden aus der Produktion gedeckt. Sie durften bis zu ihrem 18. Lebensjahr Bandmitglieder sein. Daraus entstanden familiäre Probleme um den neuen “Reichtum” der Söhne. Außerdem zog die Band nach Miami um, wo sie gemeinsam in einem als “Menudosschloß” bekannten Haus wohnte.

Diese Veränderungen prägten auch die Musik der Band. Nach der Teilnahme an der argentinischen Fernsehserie “Por siempre amigos” [Freunde für immer] im Jahr 1987 entschied Díaz aus Menudo eine Rockband zu machen. Obwohl die Mitglieder immer noch keine Musikinstrumente spielten, trugen sie nun Lederjacken, Stiefel und zerrissene Jeans. Unter den Fans waren nun mehr Jungs zu finden. Die Fernsehserie “Los últimos héroes” [Die letzten Helden] zeigte diese neue Haltung der Band. Nachrichten zufolge wollten Hotels sie nicht mehr beherbergen, da die Fans gewalttätig geworden waren. Zwei Bandmitglieder wurden 1990 wegen Drogenbesitz auf dem Flughafen von Miami festgenommen. Unterdessen verloren Menudo an Popularität. Das Image der Naivität und Unschuld bekam Risse. Díaz wechselte die beiden straffälligen Bandmitglieder sofort aus und bemühte sich um einen eher lateinamerikanischen Stil. Die neue Besetzung war jedoch erfolglos. 1991 traten vier Bandmitglieder vor die Medien und beschuldigten ihren Manager der Ausbeutung und der körperlichen und sexuellen Misshandlungen. Obwohl sie den Manager nicht verklagten, war Menudo damit am Ende.

In 14 Jahren waren mehr als 30 Jungs Mitglieder von Menudo gewesen. Viele sagen, dass Díaz eine Erfolgsformel erfunden hat, um die Band immer “jung” zu halten und zugleich viele neue Interessierte anzuziehen. Der erfolgreichste Menudo war Ricky Martin, der danach eine Karriere als Sänger und Schauspieler in den USA machte. Unter dem Einfluss von Menudo bildeten sich aber neue Boybands in Lateinamerika (wie z.B. Dominó in Brasilien) und den USA (z.B. New Kids on the Block), die ohne das historische Vorbild von Menudo so nicht denkbar gewesen wären.

Menudo sind trotz ihres weltweiten Erfolges und ihres bahnbrechenden Geschäftsmodells noch immer völlig unbekannt in der westlichen Popforschung. Eine historische Analyse des Phänomens Menudo trägt aber nicht nur dazu bei die Konsolidierung einer bestimmten Art von Boyband in der internationalen Musikindustrie zu erklären. Sie würde auch die wirtschaftshistorische Analyse von Musikbands als Firmen erlauben und die ökonomische Prinzipien der Musikindustrie offenlegen. Hinter den Mythen um die Band und den Produzenten Edgardo Díaz Meléndez kann man die sozialen Mechanismen finden, die Entstehung und Verbreitung des Phänomens Boybands erklären helfen können. Pop, so heißt es oft, sei ein westliches Phänomen, das maßgeblich in den USA und in Großbritannien entstand. Ein kurzer Blick auf Massenphänomene wie Menudo reicht eigentlich schon aus, um die Beschränktheit dieser Sichtweise zu entlarven.

Abbildung: Menudo 1983 von ~YuRiKoSaMa4820: CC BY-NC-ND 3.0.

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/713

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Veranstaltung in Regensburg: Geschichtswissenschaft und Web 2.0

„Zum Frühstück lese ich die Posts meiner Kollegen“1, so Mareike König vom Deutschen Historischen Institut Paris (@Mareike2405) in einem Interview im Sommer 2011 über ihren Alltag als Historikerin, die intensiv Soziale Medien nutzt. „Wir haben uns an kollaboratives Arbeiten im Netz gewöhnt“, so Gudrun Gersmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln (@GGersmann) im März 2012 in ihrer Rede bei der Tagung „Weblogs in den Geisteswissenschaften Oder: Vom Entstehen einer neuen Forschungskultur“ anlässlich der Eröffnung des neuen Blogportals [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4772

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Ein Buch mit an- und aufregender Wirkung: „Digitale Bildwissenschaft“ von Hubertus Kohle

Das Buch beschreibt, wie in der Kunstgeschichte bereits digital gearbeitet wird und zwar von der Recherche bis zur Publikation. Es zeigt außerdem, was noch möglich wäre, würden diese Möglichkeiten erkannt, was sich für die wissenschaftliche Arbeit ändert und warum es so wichtig ist, auf das Digitale in angemessener Weise zu reagieren.

Der Autor spricht u.a. die „Tendenz zur Kurztextproduktion“ an. In diesem Sinne möchte ich – quick and dirty – ein paar Gedanken zum Buch zu äußern:

  • Die Ausrede: „Das ist mir zu kompliziert. Das verstehe ich sowieso nicht“ gilt bei diesem Buch nicht. Verklausulierte und verschwurbelte Sätze werden Sie hier nicht finden. Es ist so verständlich geschrieben, dass Sie kaum einen Satz zweimal lesen müssen.
  • Und wenn Sie meinen, dass sei kein Qualitätsbeweis für ein wissenschaftliches Buch, dann muss ich Sie enttäuschen: Das ist es absolut! Gerade weil man jedem Gedanken des Autors folgen kann und nicht noch großartig interpretieren muss, führt das dazu, dass man nahtlos über den Inhalt nachdenken kann. Zwangsläufig. Das geht gar nicht anders.
  • Lesen Sie das Buch mit einem Computer in Reichweite. Der Autor nennt Beispiele und Links, die man unmittelbar ausprobieren möchte.
  • Museumsmenschen sollten nur die ersten drei Kapitel „Suchen“, „Analysieren“ und „Schreiben/Publizieren/Bewerten“ lesen. Was danach kommt, ist nichts für schwache Nerven, wenn Sie die Aktivität des Publikums ausschließlich in zurückgelegter Strecke durch Ihr Haus bemessen. Denn im Kapitel „Präsentieren / Rekonstruieren“ erfahren Sie, was Aktivität noch bedeuten und wozu sie führen kann, wo sie bereits wie praktiziert wird und vor allem werden hier Gründe aufgezeigt, warum die Zuwendung zum Digitalen zwingend nötig ist.
  • Aus welchen Gründen das Buch auch für Informatiker interessant sein kann, beschreibt François Bry hier.
  • Erzkonservativen Kunsthistorikern sei das Buch ebenfalls ans Herz gelegt. Ganz im Ernst: Wenn Sie sich wirklich auf die Thematik einlassen und mal mit klarem Kopf nachdenken, können Sie doch schon aus der Wissenschaftsgeschichte ableiten, dass es in der Kunstgeschichte nicht immer so weitergehen kann wie bisher. Außerdem sind die Dinosaurier schließlich auch irgendwann ausgestorben. Hier können Sie sich – was die neuen Technologien angeht – auf den neuesten Stand bringen lassen und erfahren, was und wie bereits geforscht wird. Stellen Sie sich vor, Sie wären 30 oder 40 Jahre jünger: was wären das für Möglichkeiten für Sie selbst!
  • Wenn Sie jünger und/oder nicht erzkonservativ sind und meinen, das Digitale in der Kunstgeschichte ginge Sie nichts an, sollten Sie über den vorigen Punkt mit den Dinosauriern erst recht nachdenken.
  • Open Access und Peer Review sind ebenfalls Themen, zu denen der Autor deutlich Stellung nimmt. Hier dürfte es ebenfalls Leser geben, die vorher besser eine Beruhigungspille nehmen.

So, das ist lang genug. Wer genaueres zu seinem Inhalt wissen möchte, muss das Buch selbst lesen. Und verstehen werden Sie es, wie bereits gesagt, auf jeden Fall.

Quelle: http://games.hypotheses.org/1102

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Statistik: Trau keiner!

<tl;dr> Ich kann mit einfachsten Verfahren phantastische Ergebnisse erzielen – wenn ich diese nur richtig überprüfe. 

Nach langer Zeit, in der ich vor allem an Dingen gearbeitet habe, die zu geheim, noch nicht spruchreif genug oder einfach zu langweilig für einen Blogpost waren, habe ich in dieser Woche endlich wieder ein lohnendes Thema gefunden. Es geht mal wieder um Statistik, diesmal allerdings mit konkretem Bezug zu einem Projekt, an dem ich gerade arbeite, aber auch zum letzten Post, den ich über das Thema verfasst habe (den über die Facebook-Likes-Studie).

Zur Zeit läuft bei uns das Nachfolgeprojekt zur Digitalen Rätoromansichen Chrestomathie, bei dem vorhandene lexikalische Ressourcen für die Annotation von bündnerromanischen Sprachdaten eingebunden werden sollen. Ich wurde mit der Evaluation beauftragt, inwieweit sich morphosyntaktische Informationen (bei Verben etwa Tempus, Numerus etc.) aus flektierten Wortformen ablesen lassen, deren Stammform sich eventuell gar nicht im Lexikon befindet. Zur Verfügung stehen mir dafür Listen über mehrere tausend Verben, die auf acht verschiedene Konjugationsklassen aufgeteilt sind. Auf Basis dieser Information sollte ich jetzt eine Art Ratespiel entwickeln, das für möglichst viele Verben die richtige Konjugationsklasse ermittelt.

Jetzt kann man sich vielerlei ausdenken, wie man die zur Verfügung stehende Information nutzt – spielt der erste Vokal, die Endung des Verbes, evtl. sogar seine Länge eine Rolle dafür, wie es konjugiert wird? Mein erster Gedanke war, genau solche Merkmale für die vorsortierten Verben zu ermitteln, um damit ein Modell zu trainieren, welches mir unbekannte Verben klassifiziert.

Zunächst wollte ich aber eine vernünftige Baseline haben – welche Ergebnisse liefert ein Verfahren, das nicht eigens entwickelt werden muss, sondern das ich direkt anwenden kann? Dafür bot sich ein n-Gramm-Rang-Modell an, das auch eingesetzt wird, um bei kurzen Texten zu erraten, in welcher Sprache sie verfasst sind. Dabei werden für möglichst viele Sprachen die Buchstabenfolgen bestimmter Länge (n-Gramme – bei Bigrammen zwei Buchstaben, bei Trigrammen drei usw.) nach ihrer Häufigkeit in Trainingstexten sortiert. Man spricht hier auch davon, dass ein Modell für die Sprache gebaut wird (auch wenn das hier ein sehr einfaches Modell ist). Das gleiche wird dann für den zuzuordnenden Text gemacht. Schießlich werden die Ränge der n-Gramme aus dem Testtext mit den Rängen aller Sprachmodelle verglichen  - es gewinnt die Sprache, bei der der geringste Unterschied besteht, was auch erstaunlich gut funktioniert.

Dieses Verfahren habe ich nun auf mein Rateproblem bezogen. Dabei habe ich aus 90% der Verbformen in meinen Listen n-Gramm-Modelle für die acht Konjugationsklassen gebaut und versucht die restlichen 10% diesen Klassen zuzuordnen. Eigentlich hatte ich keine großen Erwartungen an das Verfahren, da mir die Daten als zu kurz (meist <12 Zeichen) und zu wenig (einige Klassen enthalten weniger als 100 Einträge) erschienen, um verwendbare Modelle zu bauen. Um statistisch valide zu arbeiten, habe ich die Daten der einzelnen Klassen gescrambelt und das Leave-One-Out-Kreuzvalidierungsverfahren eingesetzt.

Die Ergebnisse dieses einfachen Modells erstaunten mich dann doch, auch die Tatsache, dass sie umso besser wurden, je größer ich das n der n-Gramme werden ließ. Nach der Kreuzvalidierung lag bereits das Unigrammmodell (also einfaches Buchstabenzählen) in über 50% der Zuteilungen richtig, das Bigrammmodell in über 70%, das Trigrammmodell in über 75%, ab dem Tetragrammmodell pendelt sich der Wert bei über 80% ein (der Erwartungswert wäre jeweils 12,5% gewesen). Ich konnte die Ergebnisse noch verbessern, indem ich die Daten vorsortierte:  Jeweils zwei der Klassen enden ihre Infinitivform auf -er bzw. -ir; drei der Klassen auf -ar. Wenn ich etwa für -er-Verben nur die betreffenden Klassen zur Auswahl stelle (also ausgehend von einem Erwartungswert 50%), habe ich bereits bei Trigrammen eine fast perfekte Zuordnung (99%), die dann ab Tetragrammen tatsächlich perfekt ist (100%). Bei -ar-Verben gilt das leider nicht in dem Umfang – mehr als 79% richtige Zuordnungen habe ich dabei nicht erreicht (Erwartungswert 33%). Naja, es sollte ja sowieso nur eine Baseline für ein elaborierteres Modell sein.

An dem Punkt erinnerte ich mich aber an die Studie, die behauptete, aus Facebook-Likes von Personen deren sexuelle Orientierung und noch einiges mehr ermitteln zu können. So sollten bspw. Personen mit homosexueller Orientierung vom System mit 88%iger Sicherheit erkannt werden. Allerdings wurde das in meinen Augen über eine etwas seltsame Methode evaluiert (ich schrieb drüber) – nämlich indem dem Algorithmus je eine Person mit homo- bzw. heterosexueller Orientierung präsentiert wurde und der dann nur noch entscheiden musste, welche Person zu welcher Gruppe gehört.

Ich habe jetzt diese Evaluation auch mal bei mir eingebaut, also jeweils Pärchen von Verben aus unterschiedlichen Klassen auf genau diese Klassen verteilen lassen. Auf einmal hatte ich jetzt nicht mehr knapp 80%, sondern über 99,9% Erfolgsquote bei der Zuteilung (33.748.628 korrekte Zuteilungen stehen 22722 falsche gegenüber). Aber halt – in der Facebook-Studie waren, wenn ich das richtig sehe, noch nicht einmal Trainings- und Testdaten getrennt (d.h. das Modell wurde mit den gleichen Daten trainiert, die hernach klassifiziert werden sollten). Dann hab ich mir die Kreuzvalidierung auch mal gespart – das Ergebnis: 3.377.132 richtige Zuteilungen, 3 falsche. Erfolgsquote 99,9999%. Dass diese Zahl so gut wie nichts mit Real-World-Anwendungen zu tun hat – geschenkt. Ich sollte wohl wirklich mal meine Skepsis zu fadenscheinigen Vorgehensweisen bei der Verwendung von Evaluationsmaßen über Bord werfen und  ein paar Papers schreiben.

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/911

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Museumsverband Mecklenburg-Vorpommern: Kulturgüter müssen dem Markt entzogen werden

Neulich meldeten wir einen Beschluss des Museumsverbands Mecklenburg-Vorpommern, der den Schutz der Kulturgüter in den Museen und musealen Einrichtungen des Landes anmahnte. Unser Dank gilt dem Vorsitzenden des Museumsbunds für den folgenden Gastbeitrag.

Der Museumsverband in Mecklenburg-Vorpommern e.V. beobachtet im Rahmen seiner Qualitätsanalysen zur Museumslandschaft in Mecklenburg-Vorpommern als Fachverband für die Museen und musealen Einrichtungen seit Jahren den Umgang mit den in den Sammlungen der Museen und musealen Einrichtungen enthaltenen Kulturgüter. Dabei geht der Verband von der Prämisse aus, dass Kulturgüter in jedem Falle als außergewöhnlich schutzwürdig und dem Markt entzogen gewertet werden müssen.

Im Jahr 2007 hat der Museumsverband auf seiner Jahrestagung einen offenen Brief zur Lage der Museen verabschiedet. Leider müssen wir bei der heutigen Durchsicht des Papiers feststellen, dass er nicht nur unverminderte, sondern fortschreitende Gültigkeit hat. Ein jüngster Präzendenzfall ist der Verkauf von Beständen aus dem Stralsunder Stadtarchiv. Der Museumsverband hat sich deshalb mit einem offenen Brief unter dem Titel “Kulturerbe und der Vertrag der Generationen” erneut an die Öffentlichkeit gewandt.
Zugleich empfiehlt und mahnt der Museumsverband seine Mitglieder zu einem sorgfältigen und fachlich korrekten Umgang mit den in den musealen Sammlungen bewahrten Kulturgütern. Zum Schutz der Objekte in ihren Sammlungen empfahl der Vorstand des Museumsverbandes deshalb in diesem Jahr seinen Mitgliedern, eindeutige Regelungen zur Abgabe von Kulturgut, zur Entinventarisierung oder Deakzession in ihren Satzungen und Sammlungskonzeptionen zu verankern.

Wir mahnen als Verband seit einiger Zeit den Schutz der Sammlungen an, da es im Denkmalschutzgesetz des Landes (http://www.landesrecht-mv.de/jportal/portal/page/bsmvprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-DSchGMVrahmen&doc.part=X&doc.origin=bs&st=lr) heißt: “Werden bewegliche Denkmale in einer öffentlichen Sammlung betreut, so bedürfen sie nicht der Eintragung in die Denkmalliste.“ Es wird im Gesetz also vernünftigerweise davon ausgegangen, dass in öffentlichen Sammlungen ein entsprechender Schutz besteht. Genau dieser besteht aber aus unserer Sicht nicht.

Darum auch die eigene Richtlinie, die sozusagen eine niederschwellige Empfehlung an die Museen im Land ist, einen Schutz des Museumsgutes, bei fehlendem gesetzlichen Schutz, in den Museumssatzungen zu verankern.

Insofern ist die Causa Stralsund Anlass für den Museumsverband in Mecklenburg-Vorpommern gewesen, erneut auch den Schutz der Objekte in Museumssammlungen zu thematisieren. Unsere Empfehlung (http://www.museumsverband-mv.de/fileadmin/user_upload/Deaczession.pdf) nimmt ausdrücklich Bezug auf den Leitfaden des Museumsbundes. Dieser behandelt den empfohlenen Umgang der mit den Sammlungen Betrauten mit diesen.

Dr. Steffen Stuth
Vorsitzender

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/239

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(3) Foucault: Die Macht und Herrschaft bestehender Diskurse – Von Susanne Weiß

Im dritten Teil ihrer Blogreihe gibt Susanne Weiß Einblicke in die von Michel Foucault (1926-1984) begründete Diskursanalyse. Der französische Philosoph verdeutlicht in dem Text Die Ordnung des Diskurses, erschienen in seinem Gesamtwerk Die Ordnung der Dinge (1966), auf welche Weise … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4844

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Geschichte von Klöstern und Orden #OpenAccess (5)

In dieser Rubrik werden Bücher und Artikel, die sich mit der Geschichte von Klöstern und Orden beschäftigen und die nun (auch) online – und zwar Open Access – zur Verfügung stehen, aufgeführt. Das soll auch als Anreiz verstanden werden.    Alle hier aufgeführten Titel wurden auch in die kollaborative Bibliographie bei Zotero eingetragen.  (Mehr Informationen zur Ordensgeschichte bei Zotero: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4479)  Der Link zum Ordner “OpenAccess”: https://www.zotero.org/groups/ordensgeschichte/items/collectionKey/N8MKDN8J Der RSS-Feed des Ordners “OpenAccess”:  https://api.zotero.org/groups/148107/collections/N8MKDN8J/items/top?start=0&limit=25     Binder, G.: Geschichte der bayerischen Birgitten-Klöster, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4741

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Geschichte von Klöstern und Orden #OpenAccess (5)

In dieser Rubrik werden Bücher und Artikel, die sich mit der Geschichte von Klöstern und Orden beschäftigen und die nun (auch) online – und zwar Open Access – zur Verfügung stehen, aufgeführt. Das soll auch als Anreiz verstanden werden.    Alle hier aufgeführten Titel wurden auch in die kollaborative Bibliographie bei Zotero eingetragen.  (Mehr Informationen zur Ordensgeschichte bei Zotero: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4479)  Der Link zum Ordner “OpenAccess”: https://www.zotero.org/groups/ordensgeschichte/items/collectionKey/N8MKDN8J Der RSS-Feed des Ordners “OpenAccess”:  https://api.zotero.org/groups/148107/collections/N8MKDN8J/items/top?start=0&limit=25     Binder, G.: Geschichte der bayerischen Birgitten-Klöster, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4741

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