Köln im Spätmittelalter 1288–1512/13 (Geschichte der Stadt Köln, Band 4)

Die Bedeutung der Stadt Köln, die im Spätmittelalter eine der wichtigsten Städte nördlich der Alpen gewesen ist, spiegelt sich in ihren zahlreichen Quellen wider, die ohne eine entsprechende geschichtswissenschaftliche Aufbereitung und allgemeinverständliche Präsentation für die Öffentlichkeit oft nur schwer verständlich sind. Innerhalb der monumentalen, von Werner Eck herausgegebenen, 13-bändigen Reihe der „Geschichte der Stadt Köln“ liegt nun mit Band 4 „Köln im Spätmittelalter 1288–1512/13“ ein weiterer wichtiger Teil dieser Präsentation vor, der die ferne spätmittelalterliche Epoche mit ihren vielen Eigenheiten für heutige Menschen begreifbar macht. Grundsätzlich gilt, dass jede Gesamtdarstellung – und es überrascht, dass es zu dieser, der vielleicht bedeutsamsten, Zeit der Kölner Geschichte, bisher keine Gesamtdarstellung gab – immer nur so gut sein kann, wie die Summe ihre Vorstudien.

Mit Wolfgang Herborn vom früheren Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn war für den thematischen Zuschnitt des Bandes sicherlich der am besten eingelesene und aufgrund seiner zahlreichen Aufsätze und Monographien erfahrenste Autor gefunden worden. Allein über die Vorarbeiten konnten dessen Tätigkeiten aufgrund seines Todes 2015 nicht hinausgehen. Das der Band trotzdem eine druckfähige Form erreicht hat, was gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist dem Engagement von Carl Dietmar unter der Leitung von Werner Eck zu verdanken. Sie haben Herborns Vorarbeiten zu einem erfolgreichen Abschluss geführt.

Der auf die Berichtszeit 1288–1512/13 ausgelegte Band präsentiert, unterteilt in zwölf große Abschnitte in insgesamt 31 Kapiteln, die wichtigsten Aspekte der Kölner Geschichte im Spätmittelalter.

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Quelle: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/03/rezension-koeln-im-spaetmittelalter-wozniak/

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Nach dem „Kopftuchurteil“ des Bundesverfassungsgerichts – Staat, Gesellschaft, Religion und die Vielfalt im 21. Jahrhundert

Wolfgang Schmale stellt das jüngste "Kopftuchurteil" des Bundesverfassungsgerichts vom 14.1.2020 in den historischen Kontext von Vielfalt in Staat , Gesellschaft und Religion.

Der Beitrag Nach dem „Kopftuchurteil“ des Bundesverfassungsgerichts – Staat, Gesellschaft, Religion und die Vielfalt im 21. Jahrhundert erschien zuerst auf Wolfgang Schmale.

Quelle: https://wolfgangschmale.eu/kopftuchurteil-bverfg-januar-2020/

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Der vermeintliche „Märtyrer“ Werner von Oberwesel

Wernerkapelle in Bacharach, Foto: Annika Zöll

„Die Geschichte der Kultentstehung um den sogenannten „guten Werner“ […] ist geradezu das Paradeexempel dafür, wie im 13. Jahrhundert am Mittelrhein ein Heiliger ganz gezielt kreiert werden konnte – ein Heiliger zumal, der […] keinerlei besonderen persönliche Verdienste aufzuweisen hatte, sondern […] lediglich Gegenstand einer durchaus unheiligen, aber sehr erfolgreichen Inszenierung durch interessierte Zeitgenossen wurde.“[1]– meinen wie Matthias Schmandt auch Annika Zöll und Hannah Judith. Im Folgenden zeichnen sie die mittelrheinische Heiligenlegende im Spannungsfeld von Kult, Politik, Rheinromantik und Erinnerungskultur nach.

1. Die Genese der Werner-Legende im 13. Jahrhundert und ihre Textgeschichte

Die Legende um den Heiligen Werner von Oberwesel ist eine klassische antijudaistische Ritualmordlegende des Mittelalters.

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Quelle: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2019/07/werner-von-oberwesel/

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(9) Ohne jüdische Akteure kein Preußen

Die brandenburgisch-preußische Judenpolitik war seit dem Edikt von 1671 auf Wandel und Handel ausgerichtet. Neben anderen Einwanderungsgruppen wurden insbesondere jüdische Familien, wegen ihrer Handelserfahrungen und ihres Kapitals angeworben. Brandenburg-Preußen zwang seine jüdischen Familien durch eine vielfältige Steuern- und Abgabenpolitik dazu. Dazu wurden jüdische Familien statistisch erfasst, sozial kategorisiert und kontinuierlich durch Edikte, erneuerte Privilegien und Ordnungen um weitere oder höhere Sonderabgaben belangt, die dann letztmalig 1750 unter Friedrich II. allgemein gültig und detailliert festgeschrieben wurden. Diese Bestimmungen und Forderungen führten zu großen finanziellen Belastungen, sozialen Krisen und Existenzängsten der jüdischen Familien. So bedeuteten die nach dem 7-jährigen Krieg (1756-1763) geforderten Zwangsbeiträge und Zwangsexporte für viele jüdische Familien den sozialen Abstieg und somit auch die Aufhebung ihres Schutzes in Preußen.

Die Verarmung vieler jüdischer Gemeinden zum Ende der Regierungszeit Friedrich II. soll allerdings um Schenk zu widersprechen nicht zum Anlass genommen werden die gesamt-wirtschaftliche Bedeutung durch die jüdische Einwanderung zu unterschätzen (vgl.

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Quelle: http://germanjews.hypotheses.org/102

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(8) Manufakturen für den preußischen Bedarf und Export

Schon in der Regierungszeit Friedrich I. gab es zahlreiche Versuche, Manufakturen zu gründen, allerdings noch ohne großen Erfolg. Wahrscheinlich fehlte es zu dieser Zeit an Verlegern, die für Rohmaterialien und effiziente Geräte sorgten, oder an Händlern und Zwischenhändlern, die die Produkte im In- und Ausland verkaufen konnten. Erst unter Friedrich II. war Preußen ökonomisch so stabilisiert, dass es durch jüdische Familien ein großes Netz an Gewerbetreibenden und  Unternehmern mit dem nötigen Kapital besaß. Zudem war für Friedrich II. die Industrie die Quelle von Handel, Exporten und staatlicher Wohlfahrt insgesamt. (Vgl. Stern 1971a, S. 182).

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Quelle: http://germanjews.hypotheses.org/99

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(7) Handel auf dem Land

Bevor die Bedeutung der Versorgung von Städten und Dörfern durch jüdische Händlerfamilien beleuchtet wird, sei auf die unterschiedlichen ökonomischen Traditionen und Schichtungen der jüdischen Gemeinden in den Landesteilen Preußens hingewiesen: Während in der Neu- und Kurmark, in Pommern, Ostpreußen und in Magdeburg längerfristige Wiederansiedlungen erst während der Regierungszeit des „Großen Kurfürsten“ zu verzeichnen waren, teilten in den Provinzen Preußen, Mark, Kleve und Halberstadt jüdische Familien bereits seit Jahrhunderten das wirtschaftliche Leben der Christen. Im hinzugewonnen Schlesien konnten jüdische Familien unter den milden piastischen Regierungen sogar Grundstücke und Landgüter erwerben und besaßen viele Freiheiten und Rechte ähnlich wie in Polen und Ungarn. Die jüdischen Gemeinden waren dort in ihrem politischen und kulturellen Leben in einem sehr hohen Grad autonom. (Vgl. Stern 1971a, S. 27ff.)

Grundsätzlich problematisch in der Erforschung ländlicher Siedlungen ist zum einen die geringe Quellenlage, zum anderen die willkürliche begriffliche Unterscheidung zwischen Dörfern und Städten, da Städte agrarisch geprägt und Dörfer oder Flecken größer als Städte sein konnten (vgl. Jersch-Wenzel 1997, S. 81).

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Quelle: http://germanjews.hypotheses.org/97

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Das Projekt „Stolpertonsteine“ Hamburg

von Marek Schossek -

Auf den kleinen Messingplatten stehen Namen und Daten: Elizabeth Lange, geb. 7.7.1900, gestorben am 28.1.1944 im KZ Fuhlsbüttel; Jonny Rummel, geb. 15.12.1924, erschossen am 8.2.1945 in Königsberg. Die Gedenksteine begegnen uns überall in Hamburg vor den Häusern, in denen diese Menschen einst gewohnt haben.

Sie zeugen von den Verbrechen, die an ihnen verübt wurden. Gemeint sind die Stolpersteine. Wir nehmen sie sicherlich an den meisten unserer täglichen Wege gar nicht mehr wahr. Und doch wird wohl jeder von uns hin und wieder über die Steine geistig stolpern und sich fragen:  “Was für Geschichten haben diese Menschen wohl gehabt?”

Die Vertonung der Stolpersteine

Seit 1995 erinnert der Kölner Künstler Günter Demnig mit den Stolpersteinen an die Opfer des Nationalsozialismus. Eine seiner Intentionen ist es, den ,in den Konzentrationslagern zu Nummern degradierten Opfern, ihre Namen zurückzugeben. Dass heute noch etwas mehr möglich ist, zeigen aktuell die beiden Studentinnen Marta Werner und Sarah Dannhäuser. Mit ihrem Projekt der „Stolpertonsteine“ haben sie die Biographien von 20 Opfern vertont. Die Idee kam den beiden angehenden Medienwissenschaftlerinnen, während eines Seminars. In neun Monaten und in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung, sowie dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. sind die „Stolpertonsteine“ entstanden.

Die beiden betonen, dass es ihnen wichtig ist, neben dem neuen Zugang zu den Biographien auch die verschiedenen Schicksale zu zeigen. Die 20 Biographien, die momentan über die Internetseite www.stolpersteine-hamburg.de und der Smartphone App (“Stolpersteine in Hamburg”) abrufbar sind, wurden mit ehrenamtlichen Sprechern aufgenommen. Unter ihnen Persönlichkeiten wie der Moderator Carlo von Tidemann oder der Schauspieler Tim Kreuer. Gelesen werden dabei nicht nur die Lebensläufe, sondern auch persönliche Aufzeichnungen der Opfer und ihrer Familien. Durch die Untermalung mit passenden Umgebungsgeräuschen werden die gelesenen Passagen zu kleinen Hörspielen. So hört man z.B. bei einer in einer Bar spielenden Szene die passenden Hintergrundgeräusche. Durch den Hörspielcharakter gewinnen die Stolpertonsteine eine Dimension, die die erwähnte Intention Demnigs übertrifft. Die Opfer gewinnen nicht mehr nur ihre Namen, sie bekommen einen Teil ihrer Geschichte zurück.

Es braucht nur Zeit und ein Smartphone

Im Augenblick ruht das Projekt der Studentinnen, die beiden arbeiten gerade an ihren Master-Abschlüssen. Es soll aber nach Möglichkeit weiter geführt werden. Material gibt es noch mehr als genug. Seit 2002 wurden in Hamburg 4326 privat finanzierte Stolpersteine verlegt. Es liegen noch gut 250 weitere Anträge auf Patenschaften vor. Und seit dem Herbst 2006 haben Forscher des Projektes “Biographische Spurensuche”, mehr als 1000 Biografien zu den in der Stadt gesetzten Stolpersteinen, erarbeitet. Dieses von den begleitenden Instituten geleitete Projekt, liefert die Grundlage für die von Marta Werner und Sarah Dannhäuser bisher produzierten „Stolpertonsteine“.

Die Frage nach der Geschichte der Opfer auf den Stolpersteinen, lässt sich jetzt einfacher beantworten. Wir brauchen nur noch ein Smartphone und etwas Zeit, Zeit um uns die Geschichten von diesen Menschen anzuhören. Menschen wie: Josef Schupp, geb. 11.3.1893, hingerichtet am 11.10.1944 im KZ Sachsenhausen, Heinrich Habitz GEN.“ Liddy Barcroff“ geb. 19.8.1908, gestorben am 6.1.1943 KZ Mauthausen.

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=666

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GcjZ: 60 Jahre in Hamburg

von Carina Seebur - 

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Hamburg feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass findet vom 13. bis 24. November eine kostenlose Ausstellung in der Rathausdiele des Hamburger Rathauses statt. Die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ wurde von Studierenden der Universität Hamburg entwickelt und realisiert. Im Zuge dieses Ausstellungsprojekts entstand eine enge Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Weitere Unterstützer der Ausstellung sind das Erzbistum Hamburg, die jüdische Gemeinde Hamburg, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, die Evangelisch-Reformierte Kirche in Hamburg, die Liberale Jüdische Gemeinde sowie der Lions-Club Hamburg-Walddörfer.

Ein Blick in die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ in der Rathausdiele
des Hamburger Rathauses / Foto: Carina Seeburg
 
 

In mehreren Monaten der Vorbereitung erarbeiteten die Studierenden alle Bereiche der Ausstellung – von der Recherche über die Konzeption bis hin zur Gestaltung. Alle Texte wurden zudem auch  ins Englische und ins Russische übertragen. Die Ausstellung begleitende Audioguides wurden ebenfalls in drei Sprachen eingesprochen.

Das Arbeitsergebnis ist eine 42 Tafeln umfassende Ausstellung, die seit Dienstag zu besichtigen ist. Der Senat der Stadt Hamburg würdigte die Eröffnung der Ausstellung mit einem Empfang im Bürgermeistersaal des Rathauses. Dabei wurden mehrere Reden und Ansprachen gehalten.

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Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz hielt anlässlich der Ausstellungseröffnung eine Rede vor den rund 150 geladenen
Gästen / Foto: Carina Seeburg
 
 

Bürgermeister Olaf Scholz betonte: „Was sich so schnörkellos christlich-jüdische Zusammenarbeit nennt, bezeichnet einen Grundgedanken, dessen gesellschaftlicher Wert nicht hoch genug einzuschätzen ist: das Zusammenwirken von Angehörigen beider Religionen im Geist des Respekts und der Toleranz. […] Trotzdem ist der Alltag der jüdischen Gemeinden in Deutschland noch längst kein ganz normaler – solange unsere Synagogen Polizeischutz und Videokameras brauchen. Dessen sollten sich alle hier Lebenden stets bewusst sein und, wo immer es angebracht ist, aufstehen gegen den rechten Ungeist.“ Weiter erinnerte Olaf Scholz daran, die gegenseitige Toleranz nicht nur auf die christliche und die jüdische Religion zu beziehen: „Mehr als hundert Religionsgemeinschaften gibt es in Hamburg. Wir tolerieren es nicht, wenn unter dem Deckmantel politischer oder religiöser Bekenntnisse Hass geschürt wird – weder gegen Juden noch gegen Christen oder Andersgläubige.“ Die Ausstellung – 60 Jahre in Hamburg – zeige, dass eine tolerante Gesellschaft nicht von alleine entstehe, sondern erarbeitet werden wolle: „durch Dialog und Aufklärung, den unverstellten Blick auf die gemeinsame Geschichte, durch die Bereitschaft zum offenen aufeinander Zugehen.“

Grußworte des Projektteams an die Gäste

Neben Olaf Scholz richteten auch zwei Studenten des Projektteams, Daniela Göbel und Jonas Stier, im Namen der Studierenden ein Grußwort an die geladenen Gäste und gaben den Anwesenden einen Einblick in den Arbeitsprozess der vergangenen Monate: „Zu Beginn des Projekts herrschte bei uns große Unklarheit darüber, was von uns verlangt werden würde. Was sollte gezeigt werden? Welchen Umfang würden wir liefern? Wie würde das Projekt finanziert? Welches sind unsere eigenen Erwartungen und welche Erwartungen würden an uns gestellt werden? […] Nach einem ersten Treffen mit dem Projektausschuss der GCJZ wurden unsere Fragen in soweit geklärt, als dass wir keine Einschränkungen zu erwarten hatten. […] Der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit möchten wir daher dafür danken, dass sie uns in unserer wissenschaftlichen Arbeit nicht nur freie Hand gelassen, sondern vielmehr dazu ermutigt hat, sowohl eigene inhaltliche als auch gestalterische Schwerpunkte zu setzen.“

„Dieses Projekt sprengte den durchstrukturierten Stundenplan von uns Bachelorstudierenden […] nun sind wir sehr stolz, dass wir Ihnen ein so umfangreiches Projekt präsentieren können“, so Daniela Göbel in ihrer Ansprache.

Rien van der Vegt, geschäftsführender Vorsitzender der GCJZ, beschrieb das Arbeitsergebnis des studentischen Projektteams mit den Worten: „Das ist eine sehr schöne Ausstellung geworden, zu einem wichtigen Thema Hamburger Zeitgeschichte. Alle, denen das Zusammenleben verschiedener Menschen in Hamburg wichtig ist, lade ich herzlich ein, sich diese Ausstellung anzuschauen.“

GCJZ – 60 Jahre in Hamburg aktiv für gegenseitigen Respekt und Toleranz

Ausstellungslogo

Am 12. Mai 1952 wurde die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Hamburg gegründet. Von Beginn an machte es sich die Hamburger GCJZ zur Aufgabe, „Christen und Juden im Dialog zusammenzuführen und sich aktiv und entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Art der Diskriminierung zu positionieren.“

Seither kommen in der GCJZ und in von ihr initiierten Veranstaltungen regelmäßig Menschen jüdischen und christlichen Glaubens zusammen. Die Arbeit der GCJZ reicht von zahlreichen Veranstaltungen wie Tagungen, Reisen, Gesprächsrunden und Debatten bis hin zur aktiven Integrationsarbeit jüdischer Zuwanderer.

Die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ blickt auf sechs Jahrzehnte GCJZ in Hamburg zurück. Die Geschichte der Hamburger GCJZ wurde in der Arbeit des Projektteams aufmerksam und kritisch betrachtet.

Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm, das eine Synagogenbesichtigung sowie den Vortrag „Der bedrohte Friede – Nach 60 Jahren der Annäherung von Christen und Juden“ von Dr. Siegfried von Kortzfleisch, mit einschließt.

Projektteam: v.l. oben: Patrick Grabowski, Marcel Anders, Matis Schick, Josephine Lesniak, Amelie Berking, Annika Linsner,
Maximilian Thinnes, Lisbeth Dorothee Cordes, Miriam Braun, Jonas Stier. V.l. unten: Anna Krystyna Kienitz, Carina Seeburg,
Anna Baade, Daniela Göbel, Filiz Kaba, Kathrin Klein
 

AUSSTELLUNG

60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

13. bis 24. November 2012

Rathausdiele, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg

Mo.-Fr. 7 – 19 Uhr, Sa. 10-17 Uhr

Nähere Informationen sowie mp3-Dateien der Audioguides zur Ausstellung finden Sie unter:

www.zusammen-in-hamburg.de

Ausstellungsplakat

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=533

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Hh 001: Der deutsche Widerstand im Dritten Reich

Auf den deutschen Widerstand beriefen sich, während der Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten, sowohl die Bundeswehr als auch die NVA – wenn auch auf andere Akteure des Widerstands. Es gab nicht den deutschen Widerstand, es gab viele einzelne Akteure die aus sehr unterschiedlichen Motiven kämpften. Allen gemein war, dass sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen das Regime der Nationalsozialisten wandten.

Mein erster Gesprächspartner im Homo historicus ist Peter Steinbach. Er ist Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Professor für Neuere und Neuste Geschichte in Mannheim. Leider kam es bei der Aufnahme zu einem ziemlichen Missgeschick. Ich habe mit meinem Computer die falsche Spur und damit fälschlicherweise das interne Mikrofon aufgezeichnet. Dadurch ist die Aufnahme leider sehr verrauscht geworden. Amy hat lieberweise in mühevoller Arbeit das gesamte Gespräch transkribiert (An dieser Stellte nochmals vielen vielen Dank!). Ihr könnt das Gespräch also auch wahlweise nachlesen. Ich freue mich über Kritik und Anregungen. Viel Spaß beim Anhören des Podcast.

Download: AAC/MP3/Ogg (Abonnieren in iTunes/Miro), der Podcast steht unter Creative Commons Lizenz: by-nc


Shownotes:

Und zum Schluss die interessante Frage „Was wäre wenn der Widerstand Erfolg gehabt hätte?” vom Geschichtsblog


Transkript:

Frank:
Hallo, willkommen zur ersten Ausgabe des Homo historicus, schön dass ihr zuhört!

Leider ist mir direkt zur ersten Aufnahme ein ziemliches Malheur passiert. Mein Computer hat die falsche Spur aufgezeichnet, und deswegen nur mit dem internen Mikrofon gearbeitet. Dadurch ist die Aufnahme leider ziemlich verrauscht geworden. Amy hat netter weise das gesamte Gespräch transkribiert. Ihr könnt es also auch auf der Homepage lesen, falls es wirklich zu schlimm sein sollte.

Trotz alle dem fand ich das Gespräch sehr interessant mit Herrn Steinbach und wünsche euch viel Spaß beim Zuhören. Danke! #00:00:36#

[Intro Musik] #00:01:16.2#

Frank: Herzlich Willkommen zur ersten Episode des Homo historicus! Ich sitze heute hier in Mannheim mit Herrn Steinbach. Das ist der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Professor hier an der Universität. Schönen Guten Tag #00:01:31.3#

Steinbach: Ich grüße Sie! #00:01:36.1#

Frank: Am besten Sie stellen sich erst einmal selbst kurz vor und warum Sie überhaupt Geschichte studiert haben, letztendlich oder Politikwissenschaft und dann Geschichte sich spezialisiert haben, damit man erstmal einen Eindruck bekommt. #00:01:47.4#

Steinbach: Ja, ich heiße Peter Steinbach. ich bin Jahrgang 1948 und ich habe von 1968/69 bis 1972 in Marburg Geschichte und Politikwissenschaft studiert, bei bedeutenden, wunderbaren, sehr sehr guten akademischen Lehrern wie Gerhard Oestreich, Karl Christ, Wolfgang Abendroth, dem Ökonomen [Karl Paul] Hensel, Ernst-Otto Czempiel, Walter Schlesinger… Also das war damals in Marburg ein unglaublich anregendes intellektuelles Klima. Eigentlich ganz anders als das dann vor kurzem Ulrich Traut in der FAZ beschrieben hat. Denn es war ein Klima des Austausches, der Nachdenklichkeit, des Engagements, vielleicht auch manchmal der Erprobung Grenzen. Aber wir hatten eigentlich immer Hochschullehrer, die uns erst nahmen als Studierende und uns im Grunde auch als Partner sahen. Also die Gemeinsamkeit von Forschung und Lehre war immer zu spüren. Wichtig war natürlich die Begegnung mit Wolfgang Abendroth, dem wir als Studierende sehr bewunderten, weil wir wussten, er ist ein absolut unabhängiger Intellektueller, der sich auch durch irgendwelche politischen Vorgaben nicht einengen lässt. Da konnte Ernest Mandel ein Redeverbot in Deutschland haben. Wolfgang Abendroth lud ihn ein und diskutierte mit ihm hinreißend. Da konnte es ihm auch passieren, dass er Partei für diejenigen nahm, die die politischen Studierenden damals eher für Rechte hielten, weil er sagte auch für die Redefreiheit dieser Menschen setze er sich ein. Wichtig war für ihn Berechenbarkeit. Und dann wurde uns zunehmend eigentlich bewusst, dass Wolfgang Abendroth diese klare Haltung eigentlich Zeit seines Lebens gezeigt hatte. Also er wurde bewundert von uns, weil er sogar im britischen Kriegsgefangenenlager noch einmal eingesperrt worden war. Einfach aus Unabhängigkeit er öffnete eigentlich den Blick für die Breite des Widerstandes, für die Breite des Faches […] und vermittelte so etwas was mich eigentlich immer am Widerstand fasziniert hat; dass er nicht immer nur Unterstützung seines Gleichen suchte, sondern ja dadurch zu charakterisieren war, dass er auf den Austausch mit anderen mit gegenteiligen Meinungen angelegt war. Und so erfuhr ich eigentlich in der Auseinandersetzung mit dem Widerstand was eigentlich Pluralität bedeutete, nämlich Respekt vor der Meinung anderer, die man nicht diffamiert, sondern die man versucht zu verstehen und die man als Herausforderung an sich selbst begreift. Und das war eigentlich dann nach der Schulzeit, wo ich mich auch schon sehr intensiv mit zeitgeschichtlichen Fragestellungen beschäftigt habe, der Augenblick wo man in einem thematischen Kreis trat, der einen dann nicht wieder losließ. Insofern ist also die Beschäftigung mit dem Widerstand ein guter Teil meines wissenschaftlichen Lebens geworden. #00:05:44.1#

Frank: Gut, dann sind wir auch schon direkt beim Thema. Das Thema der aktuellen Ausgabe ist „Akteure und Arten des deutschen Widerstandes” Ich denke dafür ist es sinnvoll wenn zuerst einmal das Wort Widerstand definieren, was Widerstand ist und dann wie sich das im Verhältnis zum Staat überhaupt verhält. #00:06:04.7#

Steinbach: Wenn Sie mir diese Frage als erstes stellen, zeigt das, dass Sie ein sehr politologisch denkender Mensch sind. Wir versuchen natürlich zunächst einmal zu definieren und wir machen uns häufig gar nicht klar, dass Definieren auch bedeutet Aus[zu]grenzen. Das hat man in der Widerstandsgeschichte sehr oft getan. Ich versuchte einen anderen Weg zu gehen. Ich versuchte ein integrales Widerstandsverständnis zu entwickeln, d.h. nicht immer nach politischen Richtungen, nach politischen Sympathien zu fragen, sondern in den Blick zu nehmen, welches Risiko Menschen eingegangen sind, in dem Moment in als sie sich gegen den nationalsozialistischen Staat gewandt haben. Also Risiko, die Bereitschaft ein Risiko einzugehen, gehört dazu. Dann habe ich irgendwie in der Auseinandersetzung mit der Faschismustheorie gelernt, dass es vielleicht gar nicht so wichtig sei, theoretisch einen Gegenstand zu definieren, sondern zunächst einmal es darauf ankomme, ihn möglichst differenziert in seiner ganzen Breite, Vielfältigkeit, auch Widersprüchlichkeit zu beschreiben. Die beste Theorie, auch das hat Wolfgang Abendroth mal gesagt, ist eigentlich die Beschreibung eines Phänomens und daraus leiten wir dann Abstraktionen und Definitionen ab. Ich glaube zum Widerstand gehört die Fähigkeit die Realität, die einen umgibt, zu erkennen, sie sich nicht schön zu reden, sondern sie zu versuchen zu erkennen wie sie ist, auch mit dem ganzen Unrecht, das in der Realität verborgen ist. Der zweite Schritt ist, dass ein Regimegegner, ein Widerstandskämpfer, die Fähigkeit haben muss, sich über das was er sieht, gegebenenfalls auch zu empören. Empörungsfähigkeit ist eine ganz wichtige Vorraussetzung für Widerständigkeit. Und die dritte Ebene, das berührt dann im Grunde das Verhalten der Menschen, d.h. aus der Empörung über Unrecht, das man beobachtet hat, muss im Grunde auch eine Verhaltenskonsequenz gezogen werden. Man muss sich gegen denjenigen wenden, der Unrecht begeht, der Menschenrechte verletzt und das kann man nur machen, indem man nicht nach seiner eigenen Person fragt. #00:08:44.1#

Frank: Was meinen Sie jetzt „nicht nach seiner eigenen Person fragt”?
#00:08:46.1#

Steinbach: Dass man nicht nach den Folgen fragt, die für einen selbst aus dieser Auflehnung resultieren und dann sind wir natürlich bei einer Radikalität des Schauens, des Bewertens, des Denkens und des Verhaltens. Bei einer Radikalität, die von der eigenen Person, ich sage das noch einmal, absieht und dabei im Grunde auch keine Rücksicht mehr auf das unmittelbare Umfeld nimmt – auf die Eltern, auf die Ehefrau, auf die Kinder. Man handelt ganz konsequent und weil idR dieses Handeln schiefgeht, fragt man auch nicht nach den Chancen dieses Handelns. Sondern: man muss sich eigentlich beweisen, man will sich beweisen in der Auflehnung über die Tat […] und damit stößt man natürlich zusammen mit einem Staat, der durch seine Definitionsmacht und durch sein Gewaltmonopol, das er beansprucht, auch die Sanktionsmacht hat, dieses Abweichende Verhalten zu kriminialisieren und zu bestrafen. Und dann sind wir im Grunde mitten in einem Kräftefeld, das besteht aus Staat, aus Gesellschaft und aus Individuen. Also aus einem Dreiecksverhältnis als einem Kräfteverhältnis, das sich permanent verschiebt. Mal ist der Staat wichtiger, mal ist die Gesellschaft mächtiger, und manchmal ist das Individuum viel stärker als beide anderen zusammen weil es die beiden anderen Faktoren in die Schranken weisen kann. Das ist ein spannendes Thema, das weit über die Bedeutung der Widerstandsgeschichte hinausgeht und eigentlich unser Verhältnis zur Welt heute in einem ganz erheblichen Maß mit beschreibt. #00:10:51.9#

Frank: Nun stelle ich es mir aber relativ schwer vor, jetzt im Nachhinein die Widerstandskämpfer & –kämpferinnen zu betrachten, weil dieses Spannungsverhältnis lässt sich ja sehr schwer nur analysieren bzw. nicht wiedererleben, aber mit einbeziehen in die Betrachtung davon [lässt]. #00:11:08.7#

Steinbach: Naja, in dem Moment wo ich frage „Wie sieht eigentlich der Freundeskreis aus, wie sieht der Kreis der Gleichgesinnten aus, wie sieht der Kreis der Kollegen, Kameraden oder der Familie aus”, entwickel ich ja ein Gespür für das Risiko, das der Einzelne einging, und dieses Risiko muss ich zunächst einmal positiv bewerten an sich. D.h. ich frage nicht „Tritt der für die richtigen Ziele ein? Tritt der für die falschen Ziele ein? Ist es ein Anarchist? Ist das ein Kommunist? Ist das ein Sozialist? Ist das ein Anarchist?” Sondern: Ich sehe eigentlich das Individuum in der Konfrontation mit einer kollektiven Macht. Versinnbildlichen lässt sich das, worum es mir geht, etwa an dem berühmten Photo, in dem Carl von Ossietzky, der […] Chefredakteur der Weltbühne, vor seinem Peiniger steht im Konzentrationslager Esterwegen und man spürt, der Herr der Situation, auch wenn er ausgeliefert ist, ist Ossietzky. Ossietzky hat ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht und gibt dadurch zu verstehen, dass er eigentlich über seinem Peiniger steht. #00:12:33.1#

Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R70579

Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R70579

Frank: Würden Sie dann so klassische Einteilungen nach Arten des Widerstands, im Sinne von der Motivation — also, ich habe häufig die Einteilung gesehen, z.B. kommunistischer Widerstand, religiöser Widerstand usw. — würden Sie das eigentlich eher ablehnen? #00:12:51.6#

Steinbach: Das dumme ist, man kommt in ein Dilemma. Diese Einteilung dient ja auch der Legitimation von Gruppen, die sich heute in die Tradition dieser Bewegung stellen. Das Problem ist, wir benutzen diese fast Linné-hafte Einteilung in Kategorien um Tradition zu stiften. Wir schneiden durch diese Einteilung eigentlich die Entwicklungsfähigkeit von Regimegegnern ab. Wir tun so, als ob der kommunistische Regimegegner immer kommunistisch gewesen sei und immer geblieben wäre.

Wir tun so, als ob der protestantische Regimegegner immer protestantischer Aufmüpfiger war und nie die Gefährdungen der Anpassung aus Überlebenswillen an sich gespürt hätte. Deshalb möchte ich eigentlich Lebensgeschichten beschreiben, weil ich fest davon überzeugt bin, dass selbst der härteste, der unbeirrbarste Regimegegner niemals gewackelt hat, immer sich auch gefragt hat wie kommt er aus dieser lebensbedrohlichen Situation heraus, immer wieder konfrontiert worden ist mit der Herausforderung an sich, ob er nicht doch mal einen Kompromiss eingehen kann. Ob er nicht doch mal etwas mehr in einem Verhör sagt. Und so werden wir eigentlich in der Widerstandsgeschichte konfrontiert mit existentiellen Situationen, die ganz absehen können vom politischen Ziel, nicht absehen dürfen von politischen Prägungen durch Wertesysteme.

Ein kommunistischer Regimegegner hat ein klares Wertesystem. Dieses Wertesystem setzt ihn genau wie etwa den gläubigen Katholiken oder dem überzeugten Protestanten in die Lage sich der Sogströmung derjenigen, die über ihn herrschen wollen, zu widersetzen. Er beruft sich auf Tradition, er schafft es sich mit diesen Traditionen von den Sogströmungen seiner Zeit zu distanzieren. In Alternativen zu denken. #00:15:12.6#

Frank: Sozusagen als Ankerpunkt seines Widerstands? #00:15:16.2#

Steinbach: Ich würde nicht nicht nur sagen als Ankerpunkt, sondern eigentlich sogar als Ausgangspunkt. Wer diese Fähigkeit einer eigenen Werteorientierung nicht hat, wird nach 1933 den Nationalsozialisten immer ausgeliefert sein, wird leicht deren Wertvorstellungen übernehmen können. Aber wer alternative Wertvorstellungen hat, der weiß es gibt eine Differenz, eine Differenz der Überzeugung. Und aus dieser Differenz da kann dann genau der Wille zum klaren Blick, zum klaren Urteil erwachsen. Darauf kommt es mir an. Und deshalb finde ich dieses Einteilen in Kategorien vielleicht unverzichtbar, […] weil wir Menschen halt so denken, dass wir immer alles in Schubladen packen. #00:16:13.7#

Frank: Das macht es ja auch überschaubarer… #00:16:15.3#

Steinbach: Es macht sie überschaubarer, es macht sie handhabbarer, es macht sie leicht handhabbar für die Traditionsbildung. Aber wenn wir es ganz ernst nehmen, dann betrachten wir den Menschen herausgefordert durch Verhältnisse, die ihn aufregen, die ihn krank machen, die ihn töten, die andere töten… […] und beobachten ihn in seiner inneren Verpflichtung zur Auflehnung. Wenn ich diese Dimension nicht hätte, dann würde ich mich als Widerstandshistoriker mit einem Gegenstand beschäftigen, wie 1000 anderen. Dann könnte ich auch die Geschichte der Bienenzucht beschreiben, oder des Schmetterlingsammelns oder des Pfeiferauchens. Das wäre ein Gegenstand den ich zwei, drei Jahre erforsche und dann wende ich mich einem anderen zu. Nein, die Beschäftigung mit der existentiellen Situation, die Herausforderung des Einzelnen gegenüber einem kriminellen Staat, das ist eine Lebensgrundlage, glaube ich, für die Orientierung in der Gegenwart selbst. Weil wir ja permanent Zumutung beobachten, permanent zur Entscheidung aufgefordert sind.
Insofern bin ich wirklich Abendroth-Schüler bis heute geblieben. […] Permanent vor Entscheidung stehen. Das ist das, was mich als junger Student an der Politologie, die ich mit derselben Leidenschaft studiert habe wie die Neuere Geschichte. Ich wollte beides zusammenbringen und dieser Schnittpunkt, der war dann der Bereich in dem es um Moralität, um Ethik, um Ordnungsdenken, um Entscheidungsbereitschaft, um Mitmenschlichkeit, um Selbstbehauptung, ging. Also der Bereich des Widerstandes. Jetzt habe ich erst relativ spät Ihre Eingangsfrage beantwortet. #00:18:24.9#

Frank: Dafür aber sehr ausführlich, das fand ich schonmal ziemlich gut. Denken Sie denn, dass sich die Art der Betrachtung des Widerstandes in den letzten 50 Jahren verändert hat, entwickelt hat? #00:18:36.4#

Steinbach: Erheblich. Einmal haben die Nationalsozialisten das Bild des Widerstandes bestimmt und die deutsche Nachkriegsgesellschaft, vor allen Dingen die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft, hat dieses Bild sehr häufig übernommen. Man sprach von Verrätern, ja, von Verrätern. Diejenigen, die treu zur Fahne standen, die das Hakenkreuz trug, machten aus ihrer Passivität, aus ihrem Kadavergehorsam gleichsam eine Tugend, und mussten sich natürlich über den Regimegegner aufregen, weil der Regimegegner ja deutlich machte, es gab eine Alternative zur Anpassung, nämlich die Auflehnung. Und das hält ein Mensch schlecht aus der sich permanent einredet „wir hatten doch gar nichts anderes” nötig! Wir konnten doch keine Befehle verweigern! Die hätten uns doch sofort an die Wand gestellt! Wir berufen uns auf den Befehlsnotstand und wenn das nicht gelingt, dann werden wir sagen wir hätten nichts gesehen, wir hätten nichts gewusst, wir wären eigentlich erst nach 1946/47 richtig mit geöffneten Augen durch die Gegend gegangen.” Was ja auch nicht stimmt, denn sonst hätte man ja nicht solange die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen minimieren oder gar leugnen können. D.h. ein Regimegegner ist ein Stachel im Fleisch der eigenen Person, denn er zeigt alle die Lebenslügen, die funktionieren ja gar nicht. #00:20:10.2#

Frank: Und wie lange hat dieses Gefühl angehalten in der deutschen Gesellschaft? #00:20:14.0#

Steinbach: Ich glaube das ist ein sehr, sehr schwieriger und langfristiger Prozess und da wird man auch überhaupt […] kein fixes Datum nennen können. Denn wenn Sie etwa sich vergegenwärtigen wie vor nicht einmal einer Woche über die Erklärung der Vertriebenen diskutiert worden sind, dann entzieht sich mir eigentlich die Möglichkeit zu sagen eine Zäsur [habe stattgefunden]. Es gibt Wandlung. Es gibt Wandlung, die wir erklären können. Ein ganz wichtiger Erklärungsfaktor ist, das mag überraschend klingen, die Tatsache der deutschen Teilung. Beide deutschen Staaten berufen sich auf jeweils unterschiedliche Traditionen der Widerständigkeit und konfrontierten den jeweils anderen Staat mit der eigenen Tradition. Also die DDR bezog sich auf den kommunistischen Widerstand… #00:21:07.5#

Frank: Rote Kapelle usw.…? #00:21:08.9#

Steinbach: Auf die Rote Kapelle, auf Einzelne… und hinderte deshalb die BRD daran, diese Bereiche zu vernachlässigen. Das wäre aufgefallen. Die wichtige kommunistische Widerstandsforschung fand hier in Mannheim statt durch Hermann Weber […], der die ersten Bücher zum Widerstand schrieb. Die wichtige Widerstandsforschung, die sich auf die kleinen sozialistischen Brückenparteien bezog, hängt unwiderruflich am Namen von Marburg. Das sind Arbeiten die Wolfgang Abendroth angestoßen hat. Also er suchte ja immer nach einem dritten Weg zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus und kam dann auf die SDAP und auf [???] Müslisozialisten und die Gruppe Neu Beginnen und was weiß ich alles… so und umgekehrt konnte die DDR auch den bürgerlichen, den kirchlichen Widerstand nicht von vorne herein verdammen. Sie musste sich stellen. Und unterm Strich – und das ist jetzt nicht die Hegel’sche List der Vernunft, die ich da beschwöre – kam im Grunde aus dem Gegeneinander der beiden deutschen Widerstandstraditionen, Ost und West, dann so etwas heraus wie die Bereitschaft, die Gesamtwürdigung des Widerstandes zu nehmen. Das griff nicht immer. Es gibt wirklich schwer diffamierte Gruppen, z.B. Gruppe der Regimegegner, die in der sowjetischen Kriegsgefangenenschaft sich gegen den Nationalsozialismus wanden, die nicht in die Bundeswehr aufgenommen werden dürften, die als NKFD, Anhänger Nationalkomitee Freies Deutschland, Anhänger oder als Mitglieder des Bundes deutscher Offiziere gewissermaßen außerhalb des […] Konsenses standen. Man unterstellte ihnen, sie hätten eigentlich nur den Teufel Hitler mit dem Belzebub Stalin ausrotten wollen und übersahen natürlich ganz fleißig, dass die ganze Welt zu diesem Zeitpunkt auf den Belzebub Stalin setzte. Churchill war mit ihm verbündet, Roosevelt war mit ihm verbündet und alle erhofften sich einen tödlichen Schlag für die deutsche Front im Osten durch Widerstandsmacht und –kraft der Roten Armee. #00:23:36.1#

Also was solls?! Wir lügen uns gewissermaßen häufig etwas in die Tasche, wenn wir diese ideologische Prägung des Kalten Krieges immer wieder in die Geschichte rück[???]verlängern. Und vor diesem Hintergrund, ich sage es immer wieder, ist es für mich unverzichtbar, ein integrales Widerstandsverständnis zu entwickeln, das den Widerstand aus den Grenzen und Horizonten seiner eigenen Zeit interpretiert und nicht nur nach unserer gegenwärtigen politischen Opportunität. #00:24:10.6#

Frank: Könnten Sie auf die Widerstandsgruppe noch einmal kurz zurückkommen, weil die war mir noch nicht bekannt. Also die auf Seiten der russischen Armee gekämpft, oder…? #00:24:20.2#

Steinbach: Es gab […] Kriegsgefangene in der amerikanischen, in der britischen und auch in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, die eindeutig Regimegegner waren und aus der Kriegsgefangenschaft heraus versuchten das Regime zu bekämpfen. Das waren z.B. in amerikanischer Kriegsgefangenschaft die Menschen um Alfred Andersch und andere, die später die Zeitschrift „Der Ruf” gründeten. Die waren so gefährdet in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft, dass die Amerikaner sie selbst wieder in der Kriegsgefangenschaft absondern mussten, um sie vor ihren eigenen deutschen Kameraden zu schützen. #00:25:05.3#

Frank: Aber wo war denn das Aktionsfeld — war das unter den Kriegsgefangenen oder haben die nach Deutschland hineingewirkt? #00:25:10.7#

Steinbach: Einmal […] in der Kriegsgefangenschaft versuchten sie andere Kriegsgefangene zu bewegen und zurechtzurücken. Und zum anderen haben sie auch aus der Kriegsgefangenschaft — und ich sage es noch einmal — aus der amerikanischen, aus der britischen und auch aus der sowjetischen, zum Sturz des Regimes aufgerufen. Sie haben Ziele formuliert, die für die Zeit nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft gelten sollten. Diese Ziele waren wiederum für die politischen Regimegegner im Innern ungemein wichtig, weil sie daraus versuchten abzuleiten die Zielvorstellungen der Alliierten. D.h. auch das was die deutsche Widerstandsdiskussion so lange negativ belastet hat, nämlich der Gegensatz zwischen Immigration, Exil — Kampf von außen — und Widerstand — Kampf von Innen –, der war in diesen Lebensbereichen völlig unerheblich. Ein Risiko gingen die Kriegsgefangenen, die sich von außen gegen das Regime wandten ein, stellvertretend, denn ihre Angehörigen, die wurden häufig von den Nationalsozialisten genauso behandelt, wie später die Angehörigen der Regimegegner des 20. Juli [1944]. Das haben dann wiederum deren Angehörigen, also die Angehörigen der Regimegegner des 20. Juli, überhaupt nicht so gerne gesehen, dass sie da plötzlich in einer Reihe mit Angehörigen standen, deren Väter im Nationalkomitee Freies Deutschland angeblich Deutschland verraten würden. #00:26:59.8#

Also, Sie merken, wir sind hier in einem Knäuel von Ideologien, von Verwicklungen, die wir aufdröseln können, die wir nur kompliziert erklären können und die sich dem leichten, raschen, rechtfertigenden, ideologisierten Urteil entziehen. #00:27:20.4#

Frank: Zu den Kriegsgefangenen noch einmal ganz kurz: War die Anerkennung ihrer Verdienste dann unterschiedlich? Sie hatten vorhin kurz gesagt, dass es auf der sowjetischen Seite die Kriegsgefangenen gab, die im Nachhinein nicht anerkannt wurden. #00:27:36.0#

Steinbach: Im Westen. Im Osten machten diese ostdeutschen Kriegsgefangenen vom BdO und NKFD dann durchaus Karriere, vor allen Dingen nachdem Mitte der 50er Jahre die Bundeswehr im Westen und die Nationale Volksarmee im Osten aufgestellt worden war, versuchten ja beide bewaffneten Mächte hüben und drüben wiederum eine eigene Tradition zu bilden. Die Bundeswehr entdeckte den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die NVA knüpfte an verdiente Kundschafter des Volkes, auch so eine Verzeichnung der Realität. Meinten damit „verdiente Kundschafter” — Spione — des Volkes und diffamierte, nach meiner Meinung, auf diese Weise nicht zuletzt selbst die Rote Kapelle, die nun wirklich aufklären wollte über […] die Realität des Dritten Reiches, aber nicht primär Spionage für die Sowjetunion leisten wollte.
Also, auch da ist einfach die wichtige Aufgabe, den Anfang der Widerständigkeit wirklich zu suchen und nicht immer aus den ideologischen Verkrustungen der Nachkriegsgesellschaft ein Urteil zu fällen, dass sehr sehr viel aussagt über die Nachkriegsgesellschaft aber ganz wenig über den Widerstand. #00:29:09.9#

Frank: Wir haben jetzt schon mehrfach die Rote Kapelle angesprochen, könnten Sie dazu ein paar Worte sagen? Ich habe gehört dass es extrem heterogen gewesen sein soll, bei denen. #00:29:19.2#

Steinbach: Da haben sie richtig gehört! Es ist eine außerordentlich komplexe Gruppe, die sich zunächst einmal von allen anderen Gruppen durch den relativ großen Anteil von weiblichen Regimegegnern auszeichnet. Wir finden viele Stränge — Künstler, Psychoanalytiker, Verwaltungsbeamte, sogar Angehörige der NSDAP, ehemalige Kommunisten, Mitarbeiter der Zeitschrift „Die Tat”, ebenso wie Mitarbeiter der kommunistischen „Roten Fahne” — die in diesem Kreis zusammen finden. Gebildet wurde das Urteil dieses Kreise vor allen Dingen durch Nachkriegsprozesse in Deutschland. [???] Prozess war eine wichtige Weichenstellung. Dort hatte man einen der Hauptverantwortlichen für die Verhaftung und vor allen Dingen für die Verurteilung und Hinrichtung dieser Gruppe vor Gericht gestellt. Und wie verteidigt man sich als Angeklagter? Indem man behauptet, derjenigen über den man ein schandbares Urteil gefällt hat, habe dieses Urteil selbst verdient, denn er sei Landesverräter gewesen und er habe spioniert und er habe letztlich dazu beigetragen, dass die deutsche Wehrmacht im Osten ganz schwere Niederlagen einzustecken hätte. Eine Schutzbehauptung, die aber die Realität überhaupt nicht trifft, denn wir wissen heute, keiner der Funksprüche hat funktioniert. Die Aktivität der Roten Kapelle konzentrierte sich vor allem darauf, auch die deutsche Gesellschaft aufzuklären, über die Verbrechen. Sie hatten Bilder, sie hatten Nachrichten von der Front, von den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und wollten die in die deutsche Gesellschaft transportieren, um diese Gesellschaft zu zwingen Realität zu erkennen, sich zu empören um dann anschließend auch zu handeln, indem man sich gegen das Regime stellte.
Das ist dieselbe Taktik, die wir auch bei der Weißen Rose beobachten können, […] das ist dieselbe Taktik, die wir bei Widerstandsgruppen, bei Gesinnungskreisen feststellen können. Immer diese verzweifelte Hoffnung: Wenn man den Deutschen endlich sagen kann, was nationalsozialistische Herrschaft bedeutet, dann werden die sich schon auflehnen, dann werden die schon Stellung ziehen gegen den Nationalsozialismus. Das war vielleicht eine Illusion. #00:32:06.9#

Frank: Hatten die denn dann auch irgendwie Erfolge? #00:32:09.1#

Steinbach: Ganz sicherlich hatten sie Erfolge, denn sie gewannen Einzelne. Aber keine politischen Erfolge. Wer mir einreden will, der Widerstand gegen die Nationalsozialisten gehörte zu den Bewegungen, die nun wirklich unendlich viel bewirkt hätten, der muss sich eigentlich die Gegenfrage gefallen lassen: Was denn? Wer hat denn Deutschland befreit? Es waren die Alliierten[???] Wer hat denn dazu beigetragen dass weniger Tote im Krieg anfielen? Bestimmt nicht der Widerstand. Sein Blutzoll war höher. Historisch gehört er ganz bestimmt zu den gescheiterten Bewegungen. Nicht moralisch! Denn Regimegegner werden dann nach einem Umschlag des Zivilisationsbruches häufig gewürdigt, geehrt, … ja wie sieht ihre Karriere eigentlich aus? Sie landet bei Straßennamen, bei der Benennung von Plätzen, bei Denkmälern, bei Schulbenennungen, … vielleicht bei Briefmarken. Ein historischer Erfolg ist auch das nicht. Aber der Moralische ist, glaube ich, nicht genügend zu achten, denn wir können uns in der Auseinandersetzung mit der Realität, mit der Lebenswirklichkeit der Regimegegner durchaus unseren Blick schulen, durchaus unser moralisches Urteil schulen, durchaus fragen, was dazu gehört sich aufzulehnen. Welche Größe es geben muss. #00:33:49.3#

Frank: Ich stelle mir die persönliche Situation von den WiderstandskämpferInnen extrem schwierig vor. Es muss ja ein enormer Druck eigentlich, ein psychischer aber halt auch Angst gewesen sein, jederzeit aufgedeckt zu werden. Gibt es da Untersuchungen wie sie untereinander damit fertig geworden sind und was das für Auswirkungen hat. #00:34:18.8#

Steinbach: Ich muss da nachdenken, denn Sie stellen mir da eigentlich eine Frage, die ich mir so noch nie gestellt habe, weil ich eigentlich den sachlichen Hintergrund für diese Frage bei meiner Beschäftigung mit Regimegegnern nie gespürt habe. Angst? Lebensfreude — ja, Lebenshoffnung — ja, aber dass sie aus Angst in die Passivität ausgewichen wären, nur um zu überleben? Nein. […] Ich vertrete eine ganz andere Situation: Ich glaube, dass jeder, der sich gegen solch ein kriminelles Regime wie gegen den Nationalsozialismus wendet, eigentlich muss der mit seinem Leben abgeschlossen haben. Dietrich Bonhoeffer sagte [???] mal: „Wir sind schon tot. Wir sind schon viele Tode gestorben.” D.h. die fühlten sich wie Todgeweihte.
Und das erklärt vielleicht die Unabhängigkeit, die Frechheit, fast die Heiterkeit, die wir manchmal beobachten, wenn wir diese Regimegegner vor ihren Peinigern sehen. Ossietzky, Dietrich Bonhoeffer’s ähnliches Bild: Er steht zwischen Gefangenen und einem Gefangenenwärter und der der Gefangenenwärter, der macht deutlich „dieser Häftling, dieser Dietrich Bonhoeffer, das ist der eigentliche Herr in unserem Kreis” […] und wir finden Regimegegner, die den Richter auslönz[???]ten. [???], ein Regimegegner aus dem Umkreis des 20. Juli, der auf Freislers Ausruf „Scheren Sie sich zum Teufel”, sagte: „Ich gehe Ihnen nur voraus, Sie kommen nach”… #00:36:09.9#

Oder eine Balletttänzerin aus dem Kreis der Roten Kapelle, die zum Tode verurteilt wird und die in schallendes Gelächter ausbricht, ja? D.h. also […] die Angst, die Sie ansprechen, ist eigentlich unsere kleinbürgerliche, kleinliche Lebensangst, die wir auf Regimegegner übertragen. Da waren die längst darüber hinaus, sonst könnten wir deren Verhalten überhaupt nicht erklären. Diejenigen, die stramm jedem Befehl folgten, die wachsam waren, die sagten „Feind hört mit”, die den Blockwart spielten, das waren die Ängstlichen, das waren die Schisser, die da im Grunde Füllsel waren, nicht die anderen. #00:37:07.0#

Ich hab eigentlich nie gespürt, auch in Gerichtsverhandlungen, dass da einer der angeklagten Regimegegner um sein Leben winselte oder bat. Es gibt mal eine Situation vor Gericht, dass da einer der Angeklagten bittet an die Ostfront zu kommen um sich zu bewähren und da lacht sich Freisler tot. „Glauben Sie das wirklich?” Und da korrigiert der sofort seine Handlung und dann wackelt der nicht mehr. Auch das gehört zum Widerstand dazu: Positionen einzunehmen, Positionen überwinden, manchmal sogar Positionen zu überwinden, die man ursprünglich einmal mit den Nationalsozialisten geteilt hat, weil man vielleicht auch latent antisemitisch war, vielleicht auch den Versailler Vertrag ablehnte, vielleicht auch die Lebenslüge glaubte, dass Arbeitslosigkeit, Massenarbeitslosigkeit die Massen im nationalsozialistischen Sinne radikalisiert hätte. Die KPD zeigte ja, es wäre ja auch anders gegangen, eine ganz andere Radikalisierung… #00:38:18.8#

Frank: Sie haben die KPD angesprochen, das finde ich eigentlich einen ziemlich interessanten Punkt… #00:38:23.3#

Steinbach: Das freut mich… #00:38:26.2#

Frank: Im Nachhinein betrachtet hatte die KPD ja sehr viele Anhänger eigentlich bis ’33, war sehr gut eigentlich organisiert, und es hat mich immer ein bisschen gewundert, dass es keinen wirklich organisierten Widerstand gab, wo dann die Nazis die Macht eigentlich übernommen haben. #00:38:44.2#

Steinbach: Es gab schon organisierten Widerstand, aber nicht in dem effektiven Sinne den Sie vielleicht erwarten. Es gab sogar Orte in denen es einen Generalstreik gab, um die Nationalsozialisten abzuwehren. Aber es waren eben nur einzelne Orte… Wir müssen, glaube ich, auf die Differenzierung der Arbeiterbewegungen schauen, um zu verstehen was da eigentlich passierte. #00:39:11.5#

Da waren die Gewerkschaften. Gewerkschaften sind eigentlich immer Kompromissrollen[???], immer kompromissbereit, und setzen eigentlich auch darauf, dass man auch mit denjenigen, die man eigentlich ja ablehnt, irgendwann einen Kompromiss kommen soll. Also der gewerkschaftliche Widerstand ist nicht so breit wie die große Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern erwarten ließe. Es gibt da einige Gewerkschafter im Widerstand, etwa Leuschner oder Kaiser oder Habermann, also es gibt einen Gewerkschafter, häufig kommen sie sogar aus katholischen Arbeiterbewegung, die wir heute gar nicht mehr primär als Gewerkschaftsbewegung anerkennen wollen, weil es die eigentlich kaum mehr gibt. Das andere sind die Sozialdemokraten, das waren so Sozialdemokraten, treffen sich im kleinen Zirkel und pflegen die Gesinnung und sagen, „das geht irgendwann hier mit dem Nationalsozialist zu ende, und dann müssen wir klar sein, dann müssen wir klar sehen und darauf bereiten wir uns vor, und wir werden ein Netzwerk bilden und wir werden irgendwie zusammenhalten und im allerschlimmsten Fall werden wir halt Kaffee aus dem Bauchladen verkaufen und immer wieder zu Gesinnungsfreunden[…] oder wir machen einen Kohlehandel auf…” also da gibt es viele Möglichkeiten. #00:40:45.5#

Und was machen die Kommunisten? Die setzten eigentlich auf Widerstand, auf massenhaften Widerstand. Gingen auch massenhaft zum Demonstrieren. Es war deren Widerstand der anfänglich die meisten Opfer hatte, die größten Opferzahlen, nur er wurde angeleitet von Funktionären, die sich auf diesen Kampf vor Ort überhaupt nicht einließen. Sondern die ihn versuchten von außen zu steuern und deshalb immer wieder von ihren widerstandsbereiten Genossen hörten: „Ihr seid doch überhaupt nicht in der Lage die Realität des Dritten Reiches auch in der ganzen Gefährlichkeit für uns einzuschätzen. Ihr schickt uns nächtens auf die Marktplätze, ihr veranlasst uns, irgendwo Parolen anzuschreiben und wir verbluten hier.” Der kommunistische Widerstand brach im Grunde Mitte der 30er Jahre zusammen, da rollten die Nationalsozialisten ihn systematisch auf, führten Schauprozesse, die wir nie richtig systematisch untersucht haben. Richtige Schauprozesse, die Terror verursachten.

Naja und dann musste ein anständiger Kommunist eigentlich den aller stärksten Schlag einstecken, den er sich überhaupt vorstellen konnte: Dieser Regime, dieses nationalsozialistische Regime, das Kommunisten verfolgte, weil es Bolschewisten hasste, und Bolschewisten eigentlich für eine „Steigerung des Weltjudentums” hielt — in Anführungsstrichen –, dieses Regime machte plötzlich mit Stalin einen gemeinsamen Pakt am 23. August 1939 und teilten Europa auf. Und teilten Ost– und Mitteleuropa im Grunde auf.

Das war für die Kommunisten ein unglaublicher Schlag, der allerdings eine sehr, sehr positive Folge hatte: Denn nun entstanden kommunistische Widerstandsbewegungen, die nicht mehr auf das Exil hörten, die nicht mehr auf Ulbricht, auf Pieck, andere hörten, sondern die im Grunde so einen national-kommunistischen Widerstand organisierten und der war effizient. Das waren die Gruppen um Uhrig, um Saefkow, um Bästlein, das waren Widerstandsgruppen, die wir dann im Westen, in der der kommunistischen Widerstandsforschung wirklich erst durch Hermann Weber und Wolfgang Abendroth und seine Schüler sehen gelernt haben. Aber das waren eigentlich Gruppen, die sich nicht von außen leiten ließen und die werden dann wiederum für den militärischen Widerstand im Umkreis des 20. Juli ungemein interessant, weil dieser Widerstand ja ein Widerstand ohne Volk war. […] Es war ja eine reine Elite, die da aus der Spitze des Staates heraus den Umsturz probierte. […] Die natürlich mit Kommunisten, mit Sozialdemokraten, mit der katholischer Arbeiterbewegung und mit Gewerkschaften versuchte aus dem Widerstand ohne Volk ein Widerstand aus dem Volk werden zu lassen.

Dazu brauchten sie aber das [???] dass es andere gab, die sehr, sehr klar waren, zeigt ein Regimegegner wie Johann Georg Elser, ein Schreiner, der zu handeln wusste, der konsequent war, der alles riskierte, ein idealer Regimegegner, […] in durchaus normalen Verhältnissen, nicht akademisch gebildet, vielleicht deshalb gerade prädestiniert zum Widerstand, denn kluge Leute, hat der katholische Theologe Karl Hanerma[???] gesagt, haben es bekanntlich sehr einfach, feige zu sein. Elser war nicht feige […] und verkörperte in seinem Denken ein Konglomerat von Anarchismus, Kommunismus, Pietismus, alles mobilisierte er um den Nationalsozialisten nicht auf den Leim zu kriechen. Da war er viel weiter, als manche der Angehörigen der bürgerlichen Verwaltungseliten, des Militärs, die relativ lange Ziele verfolgten, die sie mit den Nationalsozialisten teilten und erst relativ spät realisierten, dass der nationalsozialistische Krieg den Bestand der Nation wirklich in Frage stellte. #00:45:27.6#

Frank: Sie waren ja auch ziemlich dicht dran, eigentlich, Erfolg zu haben. Also 20 Minuten, glaube ich,… #00:45:33.0#

Steinbach: Nicht mal, Sie rechnen hoch! Es waren nicht einmal zehn Minuten. [???] Es war ein reiner, reiner Zufall. Nein Johann Georg Elser war der erste, der dem Ziel, Hitler zu töten, denkbar nah gekommen war. Etwa fünf Jahre vor Stauffenberg, was dessen Leistung durchaus nicht schmälert. […] Also das war der Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller #00:46:05.2#

Frank: Einen wichtigen Punkt noch: Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass zwar neben dem akademischen Widerstand, wie z.B. bei der Roten Kapelle, oder halt auch wie bei Herrn Elser, das eher so Bewegungen von unten heraus waren und die Bewegung des 20. Juli, war eher so ein Ding von ganz oben. Ich hatte da in der Rezeption immer das Gefühl, dass das noch einmal “ne Rettung auf letzter Sekunde war, von der Führungselite eigentlich. Könnten Sie darauf noch einmal eingehen? #00:46:37.1#

Steinbach: Ja, aber gerne. Darüber hat man auch nach dem Krieg dann lange nachgedacht. […] Man hat gesagt dieser Anschlag von Stauffenberg sei dillettantisch und zu spät erfolgt, darauf spielen Sie an. #00:46:47.6#

Man hat dabei übersehen, dass bereits seit 1938 sich ein wenig ein Netzwerk bildet, von Militärs, von Abwehrleuten, von Verwaltungsbeamten, die fast ähnlich komplex zusammengesetzt sind wie der Kreislauer Kreis. Es sind auch unterschiedliche Strömungen und Richtungen die zusammen kommen. 1938 — da war eigentlich klar, dass Hitlers Herrschaft auf den Krieg zielt. Im November 1937 hatte er [???] das Hoßbach Protokoll, seine Kriegsziele deutlich gemacht, hat er gesagt wir wollen ein Ostimperium haben, wir wollen den Kommunismus endgültig besiegen und wir wollen in Europa herrschen und wir wollen eigentlich auch über Europa hinaus herrschen, Kolonien, usw.… Es war klar das führt zum Krieg und den Militärs war klar, mit dem Rüstungsstand, den Deutschland damals hatte, ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. #00:47:54.3#

Also was macht man? Entweder man versucht die Gegner Hitlers und außenpolitischen Mächte — England, Frankreich, vor allen Dingen England — so zu beeinflussen, dass sie eine ganz, ganz harte Haltung gegenüber Hitler demonstrieren. Ist das schon Widerstand?! Kann man diskutieren, ja? Sie versuchen im Grunde von außen Druck zu machen, um das Risiko des Scheiterns im Innern deutlicher zu machen. Andere spielen in dieser Zeit bereits mit dem Gedanken Hitler auszuschalten. Zu [beachten???] der Kreis um Dohnanyi, um Oster, der Kreis in den auch später Bonhoeffer hineingeriet, das ist der Kreis um die Abwehr. […] Und dann kommt eigentlich die Katastrophe von München, 1938 im September, zwei Monate später brennen in Deutschland die Synagogen… #00:48:54.8#

Frank: Sie meinen das Zugeständnis, dass sie das Sudetendeutschland… #00:48:58.1#

Steinbach: …Sudetenland und im Grunde damit ja auch die Rest-Tschechei dann irgendwann… und Deutsch-Österreich sich einverleiben. D.h. also es kommt zu dieser territorialen Expansion. Und diese Erfolge, das fasziniert die Deutschen und das fasziniert auch den Widerstand, lähmen den Widerstand. Und so kommt es eigentlich immer wieder zu einem ständigen Auf und Ab. Es ist keine Kontinuität in dieser Widerstandsbewegung drin. Erst 1942/43 formiert sich wieder ein militärischer Widerstand, der die militärische Katastrophe kommen sieht. #00:49:51.2#

Frank: Also war das so ein bisschen orientiert einfach daran, wie erfolgreich Hitler letztendlich mit seiner Politik war. Weil nach München hatte er ja Erfolg, dann geht’s wieder runter… #00:50:00.9#

Steinbach: Viele sind fasziniert, nicht alle. Zum Beispiel die Mitglieder des Kreisauer Kreises sagen im Sommer 1940, auf dem Höhepunkt eigentlich von Hitlers Faszination, nach dem Sieg über Frankreich, das geht nicht gut, wir müssen über Alternativen nachdenken — auch das gab es. D.h. […] je tiefer wir eigentlich in diese Widerstandsgeschichte eindringen, umso deutlicher müssen wir uns klar machen: Es gibt keine roten Linien, es gibt keine Kontinuitäten, […] das ist blöd, weil natürlich ein Historiker unheimlich gerne in Kontinuitäten denkt, häufig konstruiert er sie. Und das nun ein Historiker nun im Widerstand sagen muss: „Wieder abgebrochen, wieder Köpfe ausgewechselt, wieder einige ausgeschieden, wieder den Einen oder Anderen gekauft… ” das war so. Und ich kann ja als Historiker die Realität auch nicht schön reden. Damit muss ich werben und komme dann im Grunde 1941/42 auf diese Denkschriften von [???], völlig unabhängig noch von den Überlegungen die dann auf den 20. Juli zu reißen. Eigentlich will man die NS-Führung beeinflussen und den Kurs der Politik bestimmen. Ja, ist das Widerstand oder ist das Denkschriften auf Position?! […] #00:51:33.2#

Aber vielleicht müssen wir ja auch gar nicht immer so bewerten. Vielleicht müssen wir zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Dann kommen wir natürlich darauf, dass die aus den Horizonten ihrer Zeit argumentierten. Ich sagte schon, Antisemitismus war denen nicht fremd. Überheblichkeit gegenüber den osteuropäischen Völkern, gegenüber den Polen, war denen nicht fremd. Damit müssen wir werden. In dem Moment wo wir Bilder der Vergangenheit schönen, nehmen wir eigentlich denjenigen, die sich auflehnten und die diese Position gerade überwandten, ihre Würde und ihre Leistung. #00:52:16.4#

Und das gilt auch für Stauffenberg. Natürlich war er ein Kind seiner Zeit, natürlich war er Nutznießer der Aufrüstung. Es gab unglaubliche militärische Karrieren, die man machen konnte und […] Stauffenberg ist innerhalb weniger Jahre, vom Leutnant zum Oberleutnant, zum Hauptmann, zum Major, zum Oberstleutnant, und dann schließlich zum Oberst geworden. General war er ja nie. Oberst — das ist also ein relativ mäßiger, hoher militärischer Rang, denn darüber gibt es noch einige andere Stufen, Generalsränge, die man vertreten kann. Natürlich schrieb er seiner Frau über die furchtbaren Zustände in Polen und das war nicht Polen-freundlich und natürlich regte er sich überhaupt nicht auf — jedenfalls haben wir keine Hinweise dafür — dass es da eine anti-semitische politische Praxis gab. Irgendwann ja, aber nicht zu dem Zeitpunkt den wir eigentlich erwarten. Denn was würden wir eigentlich heute erwarten? Dass man am 9. November 1938 angesichts der brennenden Synagogen und angesichts der zig Tausend verhafteten Juden zutiefst empört ist und den verbrecherischen Charakter des Regimes genau erkennt. Es war nicht so. Und ich habe keine andere Möglichkeit als einfach das hinzunehmen und zu erklären. #00:54:06.6#

Frank: Sie haben gerade gesagt: Sie waren nicht — oder: das deutsche Volk war nicht — empört. War es denn dann begeistert dazu, oder waren die dann einfach opportun… #00:54:14.8#

Steinbach: Es regte sich – also ich will jetzt mal zynisch meinen –, es regte sich darüber auf, dass so relativ viele Sachwerte vernichtet worden waren. Aber da müssen wir uns jetzt wirklich nichts vormachen… Es tut mir wirklich leid. Es wär schön, es wär aufgeregt gewesen, es wär schön es hätte eine artikulierte Scham gegeben, nicht nur so diese stumme [Scham]. Aber das was wir hier ja wenige — zwei — Jahre später bei der Deportation der Juden aus Baden und aus der Pfalz erleben, macht eigentlich deutlich, dass die zurückgebliebenen Deutschen — die sog. Arier — sich sehr, sehr gerne an dem Besitz der deportierten Juden bereichert haben. Nicht „nur arisiert” haben im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch im alltäglichen Bereich: Mal “ne billige Schürze, mal “nen billigen Tisch, billige Socken, bis hin zu „preiswerten”, für Pfennige ersteigerte Unterhosen. Alles finden wir in den Protokollen. Nein, die Empörung war nicht so groß. #00:55:17.6#

Frank: Mich hat bloß immer irritiert, dass das Reichskristallnacht genannt wurde, obwohl es ja eigentlich ein Pogrom war. Und ich hab irgendwie immer gedacht, dass das vielleicht ein bisschen Ironie war, oder so? #00:55:30.3#

Steinbach: Wir wissen bis heute nicht genau, woher dieser Begriff kommt. Ich weiß nur, dass ich ihn nie verwenden würde und vermutlich noch nie verwendet habe. Für mich war es das Novemberpogrom, das Parteipogrom, das Massenpogrom, […] der Synagogensturm. Wir haben ganz viele Begriffe um das zu beschreiben und wir müssen nicht so einen verniedlichten Begriff wie „Reichskristallnacht” verwenden, obwohl es da auch wieder Kollegen gibt, die sagen das ist eigentlich auch nur ein ironisierender Begriff. Ich weiß es nicht. Ich habe mich nur entschieden, diesen Begriff streiche ich aus meinem Argumentationshaushalt. #00:56:12.8#

Frank: Gut. Das hat mich bloß immer ziemlich irritiert. Wie hat der Staat eigentlich auf diese Widerstandskämpfer reagiert und was waren seine Mittel, gegen ihn [den Widerstand] zu kämpfen? #00:56:27.5#

Steinbach: Also er hatte, ich glaube, zwei wichtige Instrumente: Zum einen die Denunziationsbereitschaft der Deutschen. Die deutsche NS-Gesellschaft war eine Denunziationsgesellschaft. Und zum anderen die Gestapo, die nun keineswegs diese flächendeckende Terrororganisation war, als die wir sie uns heute vorstellen. Es war ein relativ kleiner Apparat. Aber, ein Karlsruher Historiker — Michael Stolle — hat das mal nachdrücklich zeigen können: Dieser kleine Apparat der Gestapo war in der Lage den gesamten Polizeiapparat urplötzlich und blitzschnell für seine eigenen Ziele zu mobilisieren. Dadurch kam dieser Eindruck der allmächtigen Terrororganisation auf. Und das weitere Element, dass man ableiten muss, waren die Gefängnisse, die [???] Konzentrationslager, die Konzentrationslager, die Öffentlichkeit des Terrors. Dieser Terror, der ausgeübt wurde, Schaufahrten, die man mit Regimegegnern gemacht hat — man setzte sie in einen Wagen und fuhr sie durch die Stadt, man prügelte sie durch die Stadt, man hängte ihnen ein Schild um, um sie zu diffamieren, wir sprechen von regelrechten Schaufahrten mit 30., 40., 50.000 Zuschauern in den Städten. Dieser Terror lebte natürlich auch und dieser Terror der Nationalsozialisten zielte immer auf Öffentlichkeit und zielte immer auf Produktion von Anpassung und Folgebereitschaft, von Kadavergehorsam. Das macht den Widerstand ja so besonders: Dass er vor dieser Folie der breitesten Anpassung, der breitesten Zurückhaltung, sich entfaltet und auch gesehen und gedacht werden muss. Und ich glaube, Denunziationsbereitschaft ist durchaus eine Übereinstimmung, da sollten wir uns gar nichts vormachen. Die Nationalsozialisten haben in vielem den Zielen der damaligen Menschen entsprochen. #00:58:43.7#

Frank: Inwiefern zum Beispiel? #00:58:47.3#

Steinbach: Partiell entsprochen: Sie haben die Volksgemeinschaft propagiert, sie haben […] Freizeitangebote gemacht, sie haben außenpolitische Erfolge vorgewiesen, […] die Entmilitarisierung des Rheinlandes wurde aufgehoben, die Wehrpflicht wurde eingeführt, die […] Reparationszahlungen wurden eingestellt, es gab Arbeitsprogramme, […] zusätzliche Verhaftungen verknappten das Arbeitsangebot noch mehr. Die Deutschen hatten das Gefühl der Lebensstandard steigt im Vergleich zu der Weimarer Zeit. Also es gibt eigentlich überhaupt keinen Grund zu bezweifeln, dass viele der Deutschen von den Nationalsozialisten fasziniert waren und deren Politik teilten. Es war nicht der Terrorstaat, da hat ein Historiker wie Götz Aly völlig recht, wenn er sagt, eigentlich mobilisierten die Nationalsozialisten auf Zustimmung und Begeisterung. #00:59:56.5#

Frank: Hat sich der Widerstand verändert mit dem Wegfall der SA? Also, nicht der Widerstand des Staates sondern sozusagen die Verfolgung von Widerständlern? #01:00:08.5#

Steinbach: Sie spielen auf den Rückputsch an, den sog. Rückputsch. Der ist eigentlich ganz wichtig, weil man mit dieser Ausschaltung der SA die Wehrmacht […] in den Griff bekommt und eigentlich das vorbereitet, was Hitler dann mit der Übernahme faktisch des Amtes des Kriegsministers übernimmt. Er ist auch der Führer der Wehrmacht geworden. D. h. also er schaltet die einzige Macht, die ihm hätte kritisch werden können, 1938 in einer Krise, aus. […] Und führt im Grunde die Wehrmacht wie eine nachgeordnete Parteiabteilung und macht den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, zu seinem Lakaien. Deshalb sprach man ja auch sehr gerne von „La-Keitel”. #01:01:12.4#

Frank: [lachen] Das hab ich jetzt auch noch nicht gehört. #01:01:16.3#

Steinbach: Na gut man lernt nie aus. #01:01:19.3#

Frank: Gut, zum Abschluss würde ich Sie gern noch fragen, wo Sie Lücken in der Forschung sehen, gerade halt in diesem Bezug auch in der Rezeption von heute? #01:01:28.8#

Steinbach: Ich glaube wir sind heute bei den Themen der politischen Bewertung des Widerstands durch. Wir haben seit 1982 in Berlin mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gegen durchaus heftige Widerstände ein integrales Verständnis von Widerstand etabliert; Widerstandsgeschichte ohne Exil, ohne Kommunisten, ohne Anarchisten, ohne […], ohne Jugendliche Bünde, ohne Nationalkomitee Freies Deutschland, ist seriös nicht mehr zu beschreiben. Ich glaube da haben wir eine ganze Menge bewegt und glauben Sie mir, es waren wirklich zum Teil heftige geschichtspolitische Widerstände die dabei zu überwinden waren. #01:02:19.5#

Aber: Sie fragten mich ja nach den offenen Themen. Und ich glaube wir haben viel zu lange gebraucht um das Thema der Desertion angemessen zu bearbeiten und wir sind noch lange nicht am Ende bei der Bewertung des Alltagswiderstandes, bei der Erforschung der sog. „stillen Helfer”, der unbesungenen Helden, also der Menschen, die situativ bedrohten Mitmenschen, die lebensgefährlich lebten — Juden, Sinti und Roma, die verfolgt wurden –, diese Geschichte haben wir noch nicht aufgearbeitet und die wäre aus historisch, politisch, pädagogischen Gründen so besonders wichtig, weil sich in diesem alltäglichen Widerstand natürlich das greifen lässt, was wir aus historisch-politischen Gründen immer von der Beschäftigung mit dem Widerstand fordern, nämlich Zivilcourage. #01:03:18.3#

Frank: Letztendlich ist dadurch die Forschung aktueller denn je. #01:03:22.8#

Steinbach: Ich glaube diese Forschung bleibt und wenn Sie einfach mal rumschauen, in der Welt, wenn Sie mal Fragen welche Gestalten deutscher Geschichte eigentlich fraglos akzeptiert werden, dann landen Sie sehr, sehr häufig bei Regimegegnern. Ob das Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen von der Roten Kapelle, Dietrich Bonhoeffer, ob das Alfred Delp, der Jesuitenpater, ob das die Geschwister Scholl, ob das ein Johann Georg Elser ist, ob das ein Stauffenberg ist… und da braucht man nicht nur einen Spielfilm mit Tom Cruise um ihn öffentlich bekannt zu machen — das war er schon vorher. Dann verkörpert sich da durchaus ein Geschichtsbild, dass auch andere in der eigenen Einschätzung von Handlungsspielräumen beeinflusst. Mandela ist ohne Bonhoeffer nicht denkbar. […] Die Weiße Rose hat durchaus Widerstandsaktionen in Ost-/Mitteleuropa beeinflusst, den [???]berger Kreis. D.h. eigentlich können wir den Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht mehr interpretieren als ein wichtiges Ereignis des deutschen Nationalstaates, sondern es ist ein Versuch, vielleicht ein geringer Versuch der Deutschen, auch einen Beitrag zur Geschichte des Widerstands und der Menschenrechte zu leisten. Und da strahlt dieses Thema durchaus aus und beeinflusst andere. Und deshalb denke ich hat die Widerstandsgeschichte international auch solch eine hohe Reputation. Und für mich ist das tröstlich, weil ich natürlich weiß, dass viele natürlich konkret aus den Horizonten und Verengungen ihrer Zeit handelten. Stauffenberg war nicht der lupenreine Demokrat, den wir auf dem Boden des Grundgesetzes sehen. Aber: Er verstand es, sich aufzulehnen. Er verstand es Unrecht zu erkennen. Er verstand es ein verbrecherisches Regime zu durchschauen. Das ist ja der allererste Schritt. Und wir haben inzwischen viele Beispiele: Martin Luther King, z.B., ohne Bonhoeffer nicht denkbar, wirklich nicht denkbar… So und ich denke das ist ein weiteres Thema der Widerstandsgeschichte, im Grunde die Rezeption, der Auseinandersetzung mit dem Widerstand in den Blick zu nehmen. Und da bin ich eigentlich ganz froh, dass Sie mir die Möglichkeit geben, ein immer wichtiger werdendes Medium unserer politischen Kommunikation auch zu nutzen um für dieses Anliegen zu werben. #01:06:56.6#

Ich glaube das Podcast eines der wichtigen Kommunikationsmedien wird, die wir haben, ein wichtiger Austausch, der ja auch zu hoffentlich dann Reaktionen und Kommentaren einläd und so eine Diskussion in Gang bringt. #01:07:19.5#

Frank: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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Quelle: http://homohistoricus.podcast-kombinat.de/der-deutsche-widerstand-im-dritten-reich

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