Der Zukunftsstaat und seine Landwirtschaft

Ich lese gerade – zur Vorbereitung auf das kommende Semester – einen Klassiker der Lebensreform: Friedrich Eduard Bilz: Der Zukunftsstaat, aus dem Jahr 1904. Bekannt ist vor allem die Farblithographie, die dem Buch beilag (aber offenbar nur in bestimmten Ausgaben, die von mir benutzte Version nicht illustriert). Dort stellt er das „Volk im heutigen Staat“ dem „Volk im Zukunftsstaat“ gegenüber.

Das Volk im Zukunftsstaat

Farblithographie aus Bilz: Der Zukunftsstaat. By Friedrich Eduard Bilz [Public domain], via Wikimedia Commons.

Das Buch ist ein ganz schöner Schinken, auf 800 Seiten in rund 477 (aber zum Teil doch sehr kurzen) Kapiteln legt Bilz sehr eklektisch und etwas naiv seine Vorstellungen davon dar, wie die Welt verändert werden müsse, um den Menschen wieder in Einklang mit der Natur zu bringen. Das Spektrum der Maßnahmen ist breit – es reicht von der Naturheilkunde (Bilz war ein bekannter Heilpraktiker) über die Abschaffung der Vivisektion bei Tieren und das Verbot von Korsetts bis hin zu Ratschlägen für die Kindererziehung, den Weltfrieden und die Religion. Er setzt dabei vor allem auf ein Umdenken („müssen wir der Menschheit erst eine naturgemäßere Denkweise wieder beibringen“, S. 5), die er allerdings mit einem bunten Strauß staatlicher Interventionen inkl. Verbote kombinieren möchte.

Heute schaue ich mir mal genauer an, was Bilz so über die Landwirtschaft schreibt. Sie spielt keine besonders hervorgehobene Rolle in seinem Text, aber ist durchaus zentral für seine Idee vom „Zukunftsstaat“, also der bis zum Jahr 2000 zu verwirklichenden Gesellschaftsform, die auf das „Naturgesetzes“ gegründet werden soll.

In der utopischen Gesellschaft, die Bilz beschreibt, wird dem „Boden“ wieder seine ursprüngliche Bedeutung zugewiesen: „Der Grund und Boden ist gewissermaßen der Urquell menschlichen Lebens und menschlicher Tätigkeit.“ (S. 92) Sein Ruf „Zurück zur Natur“ bedeutet also – ganz typisch für die Lebensreformer – eine Abwendung von der städtischen Lebensweise. Das will er mit unterschiedlichen Maßnahmen erreichen.
Zum einen soll diejenige Arbeit privilegiert werden, die in seinen Augen nützlich ist – also diejenige, die Naturprodukte gewinnt, vor allem Landwirtschaft und die Herstellung einfacher Gebrauchsgegenstände sowie geistige Arbeit. Alle Mitglieder der Gesellschaft, so Bilz‘ Vorstellung, sollen in der Landwirtschaft tätig sein, zumindest im Sommer. Das habe positive Wirkungen auf die Gesundheit jedes Einzelnen. Mit guten Augen kann man diesen landwirtschaftlichen Pflichtdienst übrigens auf der Lithographie erkennen: ganz rechts, ein kleines Bild mit vergnügten Männern (!) auf dem Feld. Der Untertitel ist beim besten Willen hier nicht lesbar; es soll heißen “3stündige Arbeitszeit”.

Diese Idee eines landwirtschaftlichen Pflichtdienstes koppelt er an zu erwartende Effekte: Zum einen sei die Landbevölkerung gesünder und heiterer als die Stadtbevölkerung. Das ist eine ganz typische Sichtweise dieser Zeit, man findet das in vielen Texten zum Bevölkerungsproblem um 1900. Bilz führt auch die weitverbreitete Vorstellung aus, die Stadtbevölkerung könne sich nicht selbst reproduzieren, sei also ständig auf den Zuzug vom Lande angewiesen (S. 98). Die neue Hinwendung zur Landwirtschaft würde also sicherlich positive biologische Auswirkungen auf die Bevölkerung als Ganze haben.
Zum anderen aber geht Bilz auch davon aus, dass die öffentliche Wertschätzung, die mit dieser Reform einhergehe, eine Image-Kur für die landwirtschaftlichen Berufe sein werde: Die Landwirtschaft werde sich früher oder später vor Bewerbern nicht mehr retten können, und wenn jeder junge Mensch (gemeint: Mann) bereits in jungen Jahren in der Landwirtschaft tätig gewesen sei, dann sei das Arbeiten selbst überhaupt kein Problem: „Unendlich einfacher, ja spielend leicht gestaltet sich dieser ländliche Beruf, wenn die Menschen in der Jugend ihm zugewiesen werden.“ (99) Woher er diese naive Vorstellung von landwirtschaftlicher Arbeit hat, wüsste ich gerne – vor allem, da er selbst in einem landwirtschaftlichen Betrieb (wenn auch einer Gärtnerei) aufgewachsen ist.

Jenseits dieser interessanten Verquickung unterschiedlichster Vorstellungen vom landwirtschaftlichen Arbeiten (absolut einfache Tätigkeit, erhoffte höhere Wertschätzung, biopolitische Effekte) finde ich aber auch spannend, wie sich Bilz konkret (oder: annähernd konkret) die betriebliche Seite der Landwirtschaft vorstellt. Er ist nämlich keineswegs ein Befürworter von einfacher Handarbeit, kleinbäuerlicher Arbeitsweise usw.
Bilz war Anhänger der Bodenbesitzreform und forderte die Verstaatlichung allen Besitzes. Der landwirtschaftliche Boden sollte in seiner Vorstellung von den Gemeinden bewirtschaftet werden. Das sollte nicht nur gemeinschaftlicher und grundsätzlich antikapitalistisch sein, sondern auch dazu dienen, die Landwirtschaft insgesamt effizienter zu gestalten.

„Auch wird man größere Parzellen schaffen, überflüssige Wege, Raine, Hügel und Hecken urbar oder doch nützlicher machen; einmal, um mehr ertragsfähiges Land zu gewinnen, und dann auch, um landwirtschaftliche Maschinen besser anwenden zu können […]. Ferner könnte man auch viele Löcher und Gräben ausfüllen, viele Wege, Flüsse und Bäche gerade legen, schlechte Bodenarten durch Zutat von gutem Boden ergiebiger gestalten usw.“ (S. 83)

Möglichst große Parzellen, rationell-wissenschaftliche Anbaumethoden (138f.) und vor allem der Einsatz von großen Maschinen und effizienten Transporttechnologien schwebte Bilz vor, um die gesamte Menschheit gesund ernähren zu können. Das, was wir heute als Bioland- oder Demeterbetriebe mit lebensreformerischer Tradition kennen, sieht anders aus, oder?

Bilz, Friedrich Eduard: Der Zukunftsstaat. Staatseinrichtung im Jahre 2000. Neue Weltanschauung. Jedermann wird ein glückliches und sorgenfreies Dasein gesichert, Leipzig o. J. [1904].
Kerbs, Diethart: Die Welt im Jahre 2000. Der Prophet von Oberlößnitz und die Gesellschafts-Utopien der Lebensreform, in: Buchholz, Kai u.a. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Bd. 1, Darmstadt 2001, S. 61-66.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/86

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Wie global ist eigentlich global? Oder: Weltbeziehungen, Region, Peripherie

 

Ich betreibe ja Mikrogeschichte. Vergleichend, immerhin (darüber gibt’s demnächst auch mal was). Aber der Fokus liegt auf sehr kleinen Räumen/sozialen Gruppen, eben auf ländlichen Gemeinden, Dörfern. In meinem Fall: so um 1000 Einwohner. Das ist möglicherweise unmodisch. Denn besonders attraktiv wirken ja die großen Ansätze, am besten direkt Globalgeschichte. Das verkauft sich gut, hat was Exotisches und muss sich garantiert nicht fragen lassen, „wie repräsentativ“ das Ganze denn nun sei.

Nun kann man allerdings fragen, wie weit eigentlich die Ansätze von Globalgeschichte und Mikrogeschichte auseinanderliegen – im Zweifel sehr weit. Aber muss das so sein? Nicht erst seit meiner Rezension zum Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2012: Im Kleinen das Große suchen (erscheint hoffentlich bald in der ZfG) denke ich über das Verhältnis von Mikro- und Makrogeschichte nach. Und da ich das ja nicht komplett alleine machen muss, es ganz im Gegenteil viele andere Menschen gibt, die sich auch so ihre Gedanken dazu machen, werde ich in den nächsten Wochen immer wieder Texte diskutieren, die sich dieses Problems annehmen.

Den Auftakt mache ich heute mit einem aktuellen Aufsatz von Johannes Paulmann, erschienen in der letzten HZ und direkt von mir markiert als „muss ich lesen“ (passiert inzwischen häufiger – wer hat sich verändert, die HZ oder ich?).

Worum geht’s? Paulmann versucht, Ansätze der Regionalgeschichte aufzubrechen und in globale Kontexte zu stellen. Er diskutiert unterschiedliche methodische Ansätze und Diskussionen, vor allem solche, die den Konstruktionscharakter von Regionen herausstellen. Statt also von einem gegebenen Territorium auszugehen, wie es die Landesgeschichte lange gemacht hat, soll der Blick darauf gelenkt werden, wie die verschiedensten Akteure an der Konstruktion und Veränderung von Regionen (Regionsvorstellungen und –bezügen) beteiligt sind.

Bei diesem konstruktivistischen Charakter bleibt er aber nicht stehen, sondern betont abseits der Stabilisierung von Regionen deren Verflechtungen und Grenzüberschreitungen. Er greift das Konzept von Translokalität auf und erweitert es zu einem Werkzeug für die Regionalgeschichte: „Transregionalität“ greift also den grenzüberschreitenden Charakter globaler Bezüge auf, ohne die „Region“ als Ausgangspunkt der Interaktion vorauszusetzen. Region entsteht vielmehr auch in dieser Grenzüberschreitung globaler Art.

Dieses Konzept von Transregionalität erprobt Paulmann nun am Beispiel des Südwestens Deutschlands, also letztlich des heutigen Baden-Württembergs bis ins 19. Jahrhundert zurückprojiziert. Anhand von „Welt-Läufern“ (Reisenden und (Re-)Migrierenden) und Institutionen der globalen Wissenserzeugung und Zirkulation (von Völkerkundemuseen bis hin zu alternativen Informationszentren zur „Dritten Welt“) untersucht er, welche Vorstellungen von Region sich in solchen (hierarchischen!) Beziehungen zur „Welt“ niederschlugen und verfestigten, aber auch aufgebrochen wurden.

Über den Aufsatz kann man insgesamt sicher viel diskutieren – etwa, inwieweit gerade der „Südwesten“ ein geeigneter Untersuchungsraum ist, da die Schwierigkeit doch darin besteht, dass er kaum als „Geschichtsregion“ wahrgenommen wird, als Identitätsraum mit historischer Tiefenwirkung also. Oder warum die Weltbeziehungen in erster Linie solche in die südliche Hemisphäre sind, ob die „Welt“ nicht noch mehr ist.

Da aber Paulmann den Aufsatz vor allem als Forschungsaufriss nutzt, um zu zeigen, in welcher Form regionale Ansätze global eingebettet werden können, sind diese Fragen zwar natürlich wichtig, sollten aber nicht als Fundamentalkritik verstanden werden.

Im Gegenteil, ich glaube, dass diese Form der „Beziehungsforschung“ eine interessante Facette regionalhistorischen Arbeitens (und auch globalhistorischen Arbeitens) umreißt, die meiner Meinung nach noch zu wenig beachtet wird, nämlich die Verknüpfung von lokalen Praktiken und „Welt“. Oder, um mit Bruno Latour zu sprechen: „Auch ein großes Netz bleibt in allen Punkten lokal“ (Latour S. 155). Global ist eine Perspektive, keine Seins-Beschreibung. Bleibt man im Konkreten, sind globale Beziehungen lokale Vernetzungspraktiken.

Diese Perspektive ermöglicht es, sehr unterschiedliche Akteure in ihren Praktiken sichtbar zu machen – nicht nur „die“ Politik, „den“ Imperialismus oder „den“ Kapitalismus. Dabei bleibt es aber meiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe, die Verkettung dieser Praktiken ebenso sichtbar zu machen – nicht nur einfach alles in einer Menge von Kleinstpraktiken aufzulösen, sondern die Netze dahinter zu rekonstruieren (Latour lässt grüßen), die Zusammenhänge und Machtgeflechte,

So interessant ich den Aufsatz finde, so bleiben trotzdem Fragen. Vielleicht ist das aber auch gerade ein Zeichen dafür, wie weiterführend ich die Idee der Weltbeziehungen finde, als Art und Weise, Fragen zu stellen.

Das ist erstens das Problem der Konstituierung von Regionen. Im Aufsatz von Paulmann geht mir das manchmal zu schnell, die Institutionen und Personen werden in einem Raum situiert, als Beispiel für Weltbeziehungen des Südwestens. Nicht in allen Fällen ist nachweisbar, wie sie an der Regionsbildung selbst teilhaben (etwa: beim Freiburger Informationsdienst Dritte Welt). Wie kann man diese Region wirklich in ihrem Konstruktionscharakter verdeutlichen, und wann ist eine Region etwas „relativ“ Verfestigtes?

Zweitens, davon ausgehend: Warum handelt es sich, so Paulmann, um Transregionalität und nicht um Translokalität? In vielen Fällen sind es sehr punktuelle Praktiken der Raumbeziehung, eine wichtige Rolle spielen konkrete Orte, etwa Stuttgart oder auch die Gemeinde Korntal. Kann man diese Punkte wirklich in einer Fläche aufheben? Wenn ja, wie?

Und schließlich ist die Region hier sehr stark von Punkten, im Zweifel sogar von Zentren her gedacht, noch dazu (häufig, bei den Weltläufern nicht immer) von sozialen Eliten. Das liegt natürlich auf der Hand, weil die Städte und die bürgerlichen Akteure wichtige Ausgangspunkte der offensiven Herstellung von Weltbeziehungen waren. Was aber machen wir eigentlich mit den Orten jenseits der (regionalen) Zentren? Gibt es dort Weltbeziehungen? Rechnen wir einfach die Weltbeziehungen der Städte auf die Regionen hoch? Oder müssen wir von einer punktuellen Globalität des 19. und 20. Jahrhunderts ausgehen, aus denen beispielsweise ländliche Gesellschaften ausgeklammert waren?

Die Perspektive für mich ist natürlich: Welche Formen von Weltbeziehungen bildeten eigentlich ländliche Akteure aus? Welche „Welt“ meinten sie, und wie veränderte sich das? Und: Wie kann ich diese Weltbeziehungen jenseits eigener Migration oder dominanter Institutionen wie Völkerkundemuseen sichtbar machen? Oder muss ich dann bereits die Segel streichen und sagen: Provinz blieb Provinz und der eigene Kirchturm das Zentrum der eng begrenzten dörflichen Welt?

Ich glaube ja, dass die Vernetzung und die Herstellung von Weltbeziehungen analysierbar ist. Die Frage ist nur: Was war die Welt? Möglicherweise endete sie in München. Oder in Rom. Oder in St. Louis (dazu auch bald mehr). Auszuschließen ist das nicht. Ich werde berichten.

Paulmann, Johannes: Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013), S. 660-699.

Latour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Franfurt/Main 2008 [frz. Original 1991].

 

 

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/79

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Elias Khoury: The Spring and the Blood in Syria

Am Mittwoch, 26. Juni 2013, sprach der libanesische Schriftsteller und Intellektuelle Elias Khoury (Beirut/New York University) als Gast des Forschungsprogramms „Europa im Nahen Osten – der Nahe Osten in Europa“ (EUME) am Forum Transregionale Studien in Berlin.

EUME Discussion: Elias Khoury “The Spring and the Blood in Syria” from maxweberstiftung on Vimeo.

Unter dem Titel “The Spring and the Blood in Syria” verband Elias Khoury seine Analyse der aktuellen Situation in Syrien mit einem weiteren Blick auf die Neubestimmung von Politik, Gesellschaft und Kultur im arabischen Nahen Osten und die Rolle der Intellektuellen. Elias Khoury ist Schriftsteller, Dramatiker, Literaturkritiker, Journalist und einer der bedeu-tendsten Intellektuellen der arabischen Welt. Als “globally distinguished professor” unterrichtet er regelmäßig an der New York University. Seine Kolumnen und Kommentare zur zeitgenössischen Politik und Kultur in der arabischen Welt werden weit rezipiert. Seit 1998 hat er an verschiedenen Initiativen und mehreren Sommerakademien von EUME oder seinem Vorgängerprojekt, dem Arbeitskreis Moderne und Islam mitgewirkt. Im akademischen Jahr 2010-11 war er Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Zuletzt hat er im September 2012 an der EUME  Sommerakademie „Aesthetics and Politics“ in Kairo und im Juni 2013 an der Marburger Konferenz „Committment and Dissent in Arabic Literature“  teilgenommen. Daneben hielt er die Keynote Adress bei der Konferenz “Inverted Worlds – Congress on Cultural Motion” des Orient-Instituts Beirut. Khoury hat mehr als zehn Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch erschienen sind u.a.: Das Tor zur Sonne (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004), Yalo (Suhrkamp Verlag, Berlin 2011) und Als schliefe sie (Suhrkamp Verlag, Berlin 2012).

Quelle: http://mws.hypotheses.org/3179

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Natalia Rostislavleva: Konzepte persönlicher Freiheit in der Russlandrezeption Max Webers

Das Bemühen, die originelle große Persönlichkeit Max Webers zu entwirren und seine Welt zu entzaubern, war Impuls für zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen seiner Arbeiten, sowohl im Westen als auch in Russland. Nun soll gezeigt werden, auf welche Weise Webers situationsbedingte Analyse der Ereignisse der Ersten Russischen Revolution mit seiner Aneignung des Erbes des deutschen Liberalismus zusammenhängt.

Max Weber war überzeugt, dass die Wahl des Untersuchungsgegenstandes immer in einer Wertbeziehung steht und eine »objektive« Analyse kultureller und sozialer Erscheinungen, die unabhängig ist von individuellen und wertenden Anschauungen, nicht existiert. Deshalb soll hier die Herausbildung der Persönlichkeit Webers betrachtet und die Aufmerksamkeit auf den Vorrang liberaler und protestantischer Werte in seiner Familie gelenkt werden. Weber war von den Ereignissen der Ersten Russischen Revolution ergriffen. Er lernte innerhalb von zwei Monaten Russisch; in schwierigen Fragen stützte er sich auf die Hilfe B. A. Kistjakowskijs.

In den Jahren 1905–1906 verfasste Weber die Werke: »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« (1905), »Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland« (1906) und »Russlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus« (1906). In der Historiographie existieren verschiedene Versionen, die Webers Behandlung der Ereignisse der Ersten Russischen Revolution erklären. In den Arbeiten A. Kustarevs wird Webers Verständnis von Freiheit im Kontext seiner Analyse »russischer Untersuchungen« politischer Programme und Prozesse dargestellt. J. Davydovs Meinung nach können die Arbeiten von 1906 fruchtbar im Kontext der religiösen Erfahrungen Webers betrachtet werden.

Es soll im Weiteren versucht werden, zu präzisieren, ob das Konzept der Freiheit Grundlage für die Wahrnehmung der Entwicklungen der Ersten Russischen Revolution war und, falls ja, welche Interpretation von Freiheit für den Gelehrten bei der Untersuchung der russischen Ereignisse der Jahre 1905–1906 maßgebend war. W. Mommsen merkt an, dass in den reifen liberalen Anschauungen Webers nationale vor liberalen überwiegen. Weber war sehr beunruhigt über die Zersplitterung des deutschen Liberalismus. Deshalb spielten in seinem politischen Wertesystem die Konzepte »Nation«, »Macht« und »Kultur« eine große Rolle. Aus dieser Position heraus kritisierte er sowohl den Liberalismus des wilhelminischen Deutschlands als auch den klassischen Liberalismus.

Bereits bis zum Jahr 1905 schien es Weber klar, dass die Chanсen einer unabhängigen und erfolgreichen liberalen Politik in Deutschland verspielt waren. Und so kann behauptet werden, dass in Webers Vorstellungen von Freiheit ein Widerhall der Ideale des frühdeutschen Liberalismus, der in vielem durch einen doktrinären Charakter gekennzeichnet war, zu finden ist.

Der Zugang Webers zu Russland im Rahmen seines Freiheitsbegriffs, der charakteristisch war für den deutschen Frühliberalismus, ist in diesem Zusammenhang fruchtbar, weil Russland im Jahr 1905, was die politische Entwicklung betrifft, dem Niveau Deutschlands im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entsprach. In dieser Zeit begann in Deutschland die frühe Industrialisierung. (Russland erlebte eine solche Periode erst seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts.)

Der klassische Freiheitsausdruck im »protestantischen Geist« gehört nach Weber in die Epoche des Frühkapitalismus. Der reife Kapitalismus objektiviert diese Freiheit in formalen sowie bürokratischen Strukturen, und so hört der Kapitalismus auf, Art und Weise freier Entscheidung von Individuen zu sein. Aber das Individuum bedarf dennoch einer kreativen Beanspruchung, dank derer der Westen klassische Manifestation der Freiheit der Wahl, unabhängiger selbständiger Handlungen und wahrer demokratischer Ordnung des gesellschaftlichen Lebens darstellt.

Tatsächlich stellt Weber die Realität der Formalisierung und Bürokratisierung der gesellschafts-politischen Beziehungen fest und schreibt in seiner Arbeit »Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland«: »Alle ökonomischen Wetterzeichen weisen nach der Richtung zunehmender ›Unfreiheit‹«. Auf diese Weise sind Freiheit und Kapitalismus, nach Weber, Gegensätze; der Druck des reifen Kapitalismus auf die demokratischen Institutionen sowie das freie Individuum wird erhöht.

Im Werk »Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland« merkt Weber ebenso an, dass in der russischen Gesellschaft importierte neue Kräfte mächtigen Kapitals wirken. Aber diese Gesellschaft basiere noch auf der Grundlage einer archaischen bäuerlichen Form des Kommunismus, und nirgendwo werde der Kampf um Freiheit unter so schweren Bedingungen geführt wie in Russland. Der doktrinäre – von der Industrialisierung unabhängige – Liberalismus Rottecks, Welckers, Dahlmanns und Humboldts wurde zu einer besonders wichtigen Etappe in der Entwicklung der Freiheit in Deutschland.

Dort liegen zwischen der Etablierung der Ideale der Freiheit und dem aktiven Prozess der Industrialisierung mehrere Jahrzehnte. Weber verstand, dass Freiheit für Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts eine Illusion war, während sie zu dieser Zeit im Westen eine Alltagskategorie war, die der Westen in der frühliberalen Phase erworben hatte. Webers Meinung nach war die Entwicklung des Kapitalismus mit einem unentwegten Prozess der Rationalisierung des Lebens und Bürokratisierung verbunden. Bezüglich der Freiheit in Russland klingt Pessimismus an.

A. Kustarev bestätigt, dass die Freiheit in Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts keine Perspektive hat und möglicherweise nur ein wohlwollender Wunsch sei, der jeglicher Grundlage entbehre. Weber suchte kleine Körnchen von Freiheit in Russland und fand sie in der Tätigkeit einer Gruppe von Angehörigen der konstitutionell-demokratischen Bewegung (Souz Oswobozdenija) und Semstwo-Organisation, die sehr aktiv für die Liberalisierung und Ausarbeitung einer Verfassung plädierten. Er verglich die Semstwo-Tagungen mit der Tätigkeit des Vorparlaments und des Frankfurter Parlaments 1848. Eben diese Sitzungen des Frankfurter Parlaments in den Jahren 1848–1849 wurden zur Kulmination in der Entwicklung des Frühliberalismus in Deutschland. Der Idealismus der Souz Oswoboydenija beim Entwurf der Verfassung lässt Parallelen mit der frühliberalen Phase in Deutschland zu.

Wesentliche Schlussfolgerungen:
- Der Orientierungspunkt der Freiheitsvorstellungen Webers ist der »protestantische Geist«.
- Freiheit und Kapitalismus sind nach Weber Gegensätze.
- Die Freiheit behält in der Vorstellung Webers ihre Bedeutung als Freiheit der Wahl und Unabhängigkeit der Handlungen.
- In den Jahren der Ersten Russischen Revolution sah Weber in Russland »ein Drama der Freiheit«. Die Suche nach Freiheit schien nur möglich in Richtung des Idealismus und der Semstwo-Bewegung.
- Die Etablierung der Freiheit in Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts hätte, nach Weber, nur aufgrund einer tiefen Abwendung von der Tradition verwirklicht werden können.

 

Prof. Dr. Natalia Rostislavleva ist Co-Direktorin des Russisch-Deutschen Zentrums der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität Moskau (RGGU).

Der Text basiert auf einem Vortrag, den sie am 27. November 2012 am DHI Moskau gehalten hat.

Quelle: http://maxweber.hypotheses.org/758

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Fachchinesisch?

In einem “Belehrende[n] Stammtischvortrag” eines (imaginären) “Original-Geographen”) im Kikeriki vom 16.11.1911 findet sich eine kurze Passage zur Chinesishcen Schrift:

[… ] Das Allerkurioseste ist die chinesische Schrift. Ein Baum zum Beispiel heißt Tam. Will man das schreiben, zeichnet man einen Baum auf. Zwei Bäume heißen Tam=Tam, da zeichnet man zwei Bäume, und der Wald heißt Tam tatatam tatatam Tam=Tam; da muß man also eine ganze Seite voller Bäume zeichnen. […] (Kikeriki Nr. 92, 16.11.1911, S. 2).

Der “Original-Geograph” kombiniert Fakten-Wissen zur Schrift, das in Büchern über China wiederholt präsentiert wurde, und Phantasien zur Wortbildung in exotischen Sprachen. Das Bedeutungsspektrum Holz – Baum – Wald ergibt sich tatsächlich durch Wiederholung, allerdings nicht in der Aussprache, sondern durch Wiederholung eines Elements im Schriftzeichen: Das Schriftzeichen 木 [shu], das einen stilisierten Baum darstellt, bedeutet „Holz, Baum, hölzern (im Sinne von: aus Holz gemacht)“. Wird dieses Element zweimal nebeneinander gestellt zu  林 [lin], bedeutet das Schriftzeichen „Wald, Hain“ (es gibt im Chinesischen keinen Dual). Wird 木dreimal genommen und zu 森 [sen] arrangiert, bedeutet dieses Zeichen „Wald, Forst“, aber auch „dicht (bewachsen), üppig“.

So sehr die chinesische Schrift die ‘Außenwelt’ fasziniert hat, so sehr stellte und stellt der Druck nichtlateinischer Schriften im allgemeinen und chinesischer Zeichen im Speziellen Buchgestalter und Buchdrucker vor immer neue Herausforderungen. Auch vielfältige technische Neuerungen scheinen daran nur wenig geändert zu haben …

Wie es begann

Einer der ersten China-Bestseller war die Historia de las cosas mas notables, ritos y costumbres del gran reyno de la China… des Juan González de Mendoza (um 1540–1617) , die 1585 in Rom bei Grassi erschien. Mendozas Beschreibung des Landes und seiner Bewohner verbreitete sich durch Übersetzungen ins Italienische, Deutsche, Französische, Englische und Lateinische innerhab weniger Jahre in ganz Europa [1] In den Ausgaben, die bei Andrea Muschio (fl. nach 1560) [2] gedruckt wurden, finden sich auf den Seiten 114 und 115 – in den Fließtext eingefügt – drei Zeichen:

Das dürften die wohl ersten in Europa gedruckten chinesischen Schriftzeichen sein [3]. In den Jahrhunderten danach wetteiferten europäische Druckereien um die ‘schönsten’ (d.h. ästhetisch ansprechendsten) Schriftzeichen, die Leistungsfähigkeit der Druckereien erreichte – wie Georg Lehner (2004) gezeigt hat, ein sehr hohes Niveau.

Neue Anläufe (?)

Die Beschäftigung mit chinesischen Typen und der Typographie des Chinesischen blieb ein Randthema der Typographie, der Satz chinesischer Zeichen ein ewiger Knackpunkt … bis sich Susanne Zippel 2011 des Themas annahm.[4] – als Hilfsmittel, den boomenden Markt China zu erobern [Rückentext]. Das Buch soll die modernen Klassikern der Typographie im Verlagsprogramm ergänzen: Die Lesetypografie von Willberg/Forssman [5] und die Detailtypografie von Forssman/De Jong [6]. Der Anspruch, der erhoben wird, ist hoch:

“Eine solide Einführung in die Welt der chinesischen (sowie der japanischen und koreanischen) Schriftsysteme, eine analytische Gegenüberstellung des lateinischen und des CJK-Schriftsystems” [Zippel (2011) Rückentext].

Der Titel wurde in Typografie- und Grafik-Kreisen bejubelt [7] und in eine Reihe mit Anatomie der Buchstaben von Karen Chang [8] und Decode Unicode [9] gestellt. Das passt vielleicht für die Ausstattung, die – Halbleineneinband, Folienprägung, zwei Lesebändchen. zahlreiche Abbildungen, amgenehme Haptik – so ist, wie vom Hermann-Schmidt-Verlag erwartet werden darf. Inhalt und Buchgestaltung kommen da nicht heran.

Am Beginn steht ein “Auftakt” (S. 1-17), der vier Beispiele multilingualer Unternehmenskommunikation vorstellt und so einen Problemaufriss gibt. Die ersten drei Kapitel sind eine tour de force durch die Geschichte der chinesischen Schrift (“Funktion und Geschichte”, S. 18-97), die Unterschiede zwischen (lateinischem) Alphabet und Schriftzeichen (“Buchstaben und Schrifzeichen”, S. 98-133) und Anforderungen an Zeichensätze und Fonts, Schriftfamilien und Schriftgeschichte (“Zeichensatz und Font”, S. 134-177).  Diese Abschnitte sind quasi Vorbereitung zum umfangreichsten Kapitel, das Empfehlungen zur CJK-Typografie und zur multilinguale Typografie gibt (“Typografie – aber wie?”, S. 178-277).

Die erste Karte – “Die chinesischen Sprachen oder Dialektbünde und ihre Ausdehnung in China” (S. 28 f.) nährt erste Bedenken. Auf einer Karte mit vegleichsweise wenig Text finden sich zahlreiche Transkriptionsfehler bei chinesischen Toponymen, u.a. “Shaangxi” [i.e. Shǎnxī 陕西 bzw. Shaanxi], “Shangxi” [i.e. Shānxī  山西],”Shangdong”  [i.e. Shāndōng 山東], “Jiling” [i.e. Jílín 吉林], “Tianjing” [i.e. Tiānjīn 天津]; Peking, Hongkong und Macao sind nicht der Pinyin-Transkription angepasst, für koreanische und japanische Toponyme wird keines der üblichen Transkriptionssysteme verwendet.

Beim ersten Reinlesen stößt der mit dem Chinesischen vertraute Leser auf einige irritierende Eigenheiten und vermeintliche Kleinigkeiten, die sich schnell summieren: Schriftzeichen im Fließtext sind rot gesetzt – wohl damit sie sich vom Rest schön abheben und ihre Exotik unterstrichen wird. Zu jedem Schrifzeichen wird die Transkription (die konsequent als “Umschreibung” bezeichnet wird) angegeben, die Regeln für die Pinyin-Transkription [10] werden nicht eingehalten: Transkribierten Wörter sind in Kapitälchen oder kursiven Kapitälchen gesetzt.

Ziel der ersten beiden Kapitel dürfte es sein, dem mit dem Chinesischen (und – in kleinerem Umfang – dem Japanischen und dem Koreanischen) nicht vertrauten Publikum dessen Mysterien näherzubringen. Im Text gibt es keine Angaben, woher Informationen bezogen wurden – die Auflistung im Quellenverzeichnis (S. 280 f.) wirkt eher beliebig. Mitunter scheinen Informationen einfach aus Wikipedia übernommen zu sein, so u.a. “Die Völker der Volksrepublik China” (S. 30), die die “Liste der 70 als Nationalitäten anerkannten Völker der VR China” mit der Auflistung “List of ethnic groups inChina” oder die Aufstellung “Die Dialekte der ethnischen Han-Chinesen” (S. 31), die die “Liste der chinesischen Dialekte” übernimmt (weshalb hier die Markierung der Töne fehlt, deren (ansonsten außer in Lehrbüchern übliches) Fehlen die Autorin als “Manko” empfindet [S.7]). Die verwendete (?) Literatur ist eher älteren Datums, einschlägige aktuelle Titel zur chinesischen Schrift fehlen.

Insgesamt hinterlassen die ersten beiden Kapitel einen zwiespältigen Eindruck.Die gegebenen Erklärungen reichen nicht aus, dem Laien das jeweils beschriebene Phänomen der chinesischen Sprache oder der chinesischen Schrift verständlich zu machen – trotz vieler Abbildungen, Übersichten und Tabellen. Diese bringen für den, der sich mit der chinesischen Sprache beschäftigt hat, wenig Neues.Es darf bezweifelt werden, ob mit der Anleiung (S. 132 f.) ein unbekanntes Schriftzeichen in einem Wörterbuch gefunden werden kann. Die Beispiele, die das Chinesische charakterisieren sollen, geistern zum Teil seit Jahrhunderten durch die Literatur. Schon Athanasius Kircher brachte in China monumentis illustrata(S. 233 f.) die Reihe [一] 十 土 王 玉 als Beispiel dafür, dass es auf jeden Strich ankommt – ohne das ins Lächerliche zu ziehen (“Pünktchen, Pünktchen, Komma …” [Zippel, S. 116]).

Die Kapitel zur Typographie wiederholen zunächst in Kurzfassung die Grundgesetze der Typographie, die in den oben angeführten Werken wesentlich ausführlicher und präziser abgehandelt werden. Sie scheinen dann den Versuch zu machen, Chinesisches an europäische Seh- und Lesegewohnheiten anzupassen – anders sind manche Vorschläge/Regeln nicht zu verstehen. Die Kritik, die an chinesischen typographischen Konventionen geübt wird, zeugt von wenig Verständnis für Kulturspezifisches  (Beispiel: Zwei-Geviert-Einzug am Beginn eines Absatzes (S. 239)). Viele der technischen Angaben zu bestimmten Software-Produkten sind für den, der damit arbeitet, vermutlich selbstverständlich. Als Referenz zum schnellen Nachschlagen ist Fachchinesisch wohl nicht gedacht, die spärlichen Praxistipps sind gut versteckt.

Wozu also das Ganze? Ist es ein Katalog mehr oder weniger ‘schöner’ oder ‘brauchbarer’ CJK-Fonts (die Satzmuster ziehen sich durch den ganzen Band)? Eine bebilderte Einführung ins Chinesische? Oder doch eher gut platzierte Self-PR? Dass sich ein renommierter Verlag für diese wenig verschleierte Marketing-Aktion hergibt, wirkt denn doch befremdlich.


[1] Vgl. den Beitrag zur Historia des González de Mendoza in der Bibliotheca Sinica 2.0.

[2] Ennio Sandal: MUSCHIO, Andrea. In: Dizionario Biografico degli Italiani – Volume 77 (2012) | (Online-Version)

[3] Georg Lehner: Der Druck chinesischer Zeichen in Europa. Entwicklungen im 19. Jahrhundert (Wiesbaden Harrassowitz 2004) 13.

[4] Susanne Zippel: 中日韩字体编排指南 Fachchinesisch Typografie. Chinesische Schrift verstehen und anwenden. Grundlagen multilingualen Erfolges in den Märkten des Fernen Ostens. Mit einem Vorwort von Frank Sieren (Mainz: Verlag Hermann Schmidt Mainz 2011)

[5] Hans Peter Willberg/Friedrich Forssman: Lesetypografie (5., revidierte Aufl.; Mainz. Verlag Hermann Schmidt Mainz 2010)

[6] Friedrich Forssman/Ralf De Jong: Detailtypografie. Nachschlagewerk für alle Fragen zu Schrift und Satz. Vierte, wiederum verb. Auflage (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2008)

[7] Rezensionen u.a.: Fontblog (Sabine Gruppe, 6.9.2011), Linotype Blog (6.10.2011), DesignerBusiness (Joachim Kobus, Mai 2012), Margrit Manz: “Chinesich – Magic Cube der Sprachen” (2012) [auch über typografie.de].

[8] Karen Cheng/Hennig Krause (Übers.): Anatomie der Buchstaben. Basiswissen für Schriftgestalter. Designing Type. (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2006)

[9] Johannes Bergerhausen/Siri Poarangan: Decodeunicode (Mainz: Hermann Schmidt Verlag 2012).

[10] GB/T 16159-1996 – National Standard of the People’s Republic of China (ICS 01.140.10). Approved and issued by the State Technology Supervision Bureau on January 22, 1996; effective on July 1, 1996.|《中文拼音正词法基本规则》 中华人民共和国国家标准GB/T 16159—1996 中文拼音正词法基本规则 1996-01-22发布 1996-07-01实施 国家技术监督局发布 (pinyin.info)

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/159

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Anzac Day und Centenary des Ersten Weltkriegs – Australien zelebriert seinen Gründungsmythos

Das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe, Photo Michael Reeve, 29. Januar 2004 2011 präsentierte die National Commission on the Commemoration of the Anzac Centenary das Ergebnis der dreijährigen Ausarbeitung eines Programms zum „Centenary“ des Ersten Weltkriegs, das hier einzusehen ist. Das Centenary ist zugleich  der hundertste Jahrestag des Anzac, des Australian and New Zealand Army Corps, welches in der politisch-historischen Erinnerungskultur Australiens einen zentralen Platz als Gründungsmythos der heutigen australischen Gesellschaft und als Quelle der „national values“ einnimmt. Dementsprechend finden beispielsweise alljährlich am Anzac-Day, dem 25. April, zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, die besonders in den letzten Jahren von einer wachsenden Zahl von Teilnehmern besucht werden. Von daher kann es nicht überraschen, dass für die Jahre 2014-2018 ein umfangreiches Programm mit zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlicher Reichweite geplant ist, für das die australische Bundesregierung ein Budget von 83 Mio. Dollar bereitstellt.   Der Erste Weltkrieg als nationaler Gründungsmythos …   Der erste Weltkrieg hat für das australische Selbstverständnis eine vergleichbare Bedeutung wie für die französische V. Republik: Es wurzelt im Ersten Weltkrieg – der moderne australische Gründungsmythos fußt auf dem Engagement des Anzac in Gallipoli und an der Westfront. Seine zwei Kernpunkte sind eng mit dem Anzac verbunden: Erstens – der offiziellen Lesart zufolge – trat hier Australien zum ersten Mal als geschlossene Nation und souveräner Faktor auf – und zwar von Anfang an an der Seite Neuseelands. Damit verbunden ist zweitens der „Anzac spirit“, die Gesamtheit der „national values“ Australiens, die sozusagen im Treibhaus des Krieges entstanden und für die australische Gesellschaft ein „ideal to strive for“ bilden. Das Erlebnis einer gesamtaustralischen Leidensgemeinschaft im Krieg trug  zur nationalen Integration bei. Im Centenary 2014-18 soll dieser Gründungsmythos beschworen werden. In dem vielseitigen Programm werden daher alle nationalen Akteure mobilisiert. Vor allem auf Bildungs- und Forschungsprogramme an Schulen und Universitäten wird ein Schwerpunkt gelegt. Ziel dabei ist es, nicht nur die Geschichte des Anzac und des Ersten Weltkriegs, sondern auch australische und Weltgeschichte zu thematisieren, im Sinne einer der Hauptaussagen des Reports: „It is antizipated that this will help australians understand who we are as a nation.“1 Das Programm sieht in diesem Sinne die Mobilisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens vor: Im Report findet sich ein breites Angebot nationaler geschichtspolitischer Symbole und Initiativen, die die Bevölkerung zur Teilnahme aufrufen – auf lokaler Ebene von der Benennung von Plätzen und Straßen nach Kriegshelden, kulturellen Veranstaltungen wie Tanz- und Theateraufführungen oder dem Prägen von Münzen bis hin zu Projekten auf bundesstaatlicher Ebene wie dem Renovieren und Zusammenstellen von Museen und Ausstellungen, Re-enactments und der besonderen Würdigung und Akzentuierung von „commemorative dates“ wie dem 4. August 2014 (Beginn des Krieges), 25. April 2015, dem Nationalfeiertag und Anzac-Day, dem Jahrestag der Gallipoli-Landung und dem 25. April 2018, Jahrestag der Schlacht von Villers-Bretonneux. Eine Spezifität der australischen Planung ist es, im Vorfeld die Bevölkerung weitestmöglich einzubeziehen. Durch einen veritablen “Call for Submissions” wurden bereits im Jahr 2010 die Australier aufgefordert, ihre Ideen zu den Gedenkfeierlichkeitend des Centenary einzusenden. Dass tatsächlich 1500 Vorschläge in 600 Einsendungen eingingen, zeigt, dass dieses Angebot auf reges Interesse stieß. Nicht zu Unrecht nennt der Rapport Zimet das australische Programm ein „ambitieux document“ und würdigt die Australischen Vorbereitungen ausdrücklich als am weitesten gediehen. … und internationales Integrationsangebot Die geografische Lage der für Australien relevanten Gedenkorte (Gallipoli, Nordfrankreich) bettet die australischen Initiativen zwangsläufig in die europa- beziehungsweise weltweit geplanten Gedenkfeierlichkeiten ein. Schon in den ersten Vorbereitungsphasen fanden daher internationale Treffen zwischen Botschaftern und Wissenschaftlern statt, um die Gedenkinitiativen international zu koordinieren. Es sind zahlreiche Forschungsprojekte und Kooperationen geplant. Obwohl das Gedenken an einen Weltkrieg kaum in einem nationalen Rahmen bleiben kann und eigentlich jedes bisher vorgestellte Programm großen Wert auf Internationalität und Vernetzung legt, gibt es eine „mémoire partagée“ der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nur bedingt – wie besonders am Beispiel Frankreich-Deutschland deutlich wird, die dem Ersten Weltkrieg eine sehr unterschiedliche Bedeutung beimessen. Auch Australien richtet seine Identifikations- und Integrationsangebote viel eher nach innen, auf die eigene Nation und ihren Platz in der Welt. Trotzdem ist das Anzac-Centenary-Programm auch als internationales Integrationsangebot zu lesen, denn es legt – wenn auch vordergründig mit Blick auf das eigene Land – einen starken Fokus auf die Leidensgemeinschaft der Opfer und die aus dem Krieg zu ziehenden pazifistischen Lehren. In diesem Punkt gibt es einen weitgehenden Konsens, der den Weg zu gemeinsamen Gedenkinitiativen öffnen kann. Dem scheinen kaum Schranken zu stehen, verzichten doch alle Staaten auf die Thematisierung politisch sensibler Bereiche wie etwa der Kriegsschuldfrage. Außerdem kann aus einem der Kernelemente des Anzac-Mythos – die Schicksalsgemeinschaft mit einem anderen Land, Neuseeland – eine internationale Perspektive abgeleitet werden. Es wird interessant sein zu sehen, welche Teile des Programms umgesetzt werden und wie beziehungsweise ob durch den fortschreitenden internationalen Austausch die in nationalen Narrativen wurzelnden Denkinitiativen modifiziert werden. 1 Australian Government Department of Veterans’ Affairs (Hg.): How Australia may commemorate the Anzac Centenary. The National Commission on the Commemoration of the Anzac Centenary, 2011, vii.    

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/656

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Richtige Zeichnung und edler Stil

In dem zweiten Band des “Baierischen Künstler-Lexikons” von 1810 schrieb Felix Joseph Freiherr von Lipowsky (1764-1844) über Joseph Vivien einen sehr kurzen Artikel (S. 150-151), der sich aus heutiger Perspektive fast wie ein Stück Literatur liest: “Vivien (Joseph), geb. zu … Weiterlesen

Quelle: http://vivien.hypotheses.org/283

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Planned Obsolescence: Kathleen Fitzpatrick über wissenschaftliches Bloggen

Ende 2011 ist Kathleen Fitzpatricks neues Buch über die Gegenwart und Zukunft des akademischen und insbesondere geisteswissenschaftlichen Publikationswesens im Zeitalter der digitalen Medien erschienen, mit dem Titel Planned Obsolescence: Publishing, Technology, and the Future of the Academy (NYU Press, 2011). Da die Autorin zu den aktivsten Vertretern von neuen, offenen, Publikationsformen in den Geisteswissenschaften gehört, und weil es in dem Buch unter anderem um die Rolle und Bedeutung des wissenschaftlichen Bloggens geht, möchte ich hier zunächst eine kleinen Überblick über das Buch geben und mich dann der Frage widmen, was Fitzpatrick über das wissenschaftliche Bloggen sagt.

Das Buch ist die überarbeitete, gedruckte Version eines Publikationsprojekts und Experiments mit offenem, kommunikativem wissenschaftlichen Schreiben, das Fitzpatrick auf der Plattform CommentPress des Institute for the Future of the Book in den vergangenen Jahren durchgeführt hat (Planned Obscolescence). Dort hat sie das in Arbeit befindliche Manuskripts kapitelweise veröffentlicht: Leser konnten Kommentare hinterlassen, die Autorin konnte darauf antworten und das Ergebnis dieser Diskussionen in eine neue Version des Kapitels einfließen lassen.

Das Ergebnis kann sich lesen lassen. Kathleen Fitzpatrick blickt in jedem der fünf Hauptkapitel des Buches auf einen anderen Aspekt ihres Themas und untersucht jeweils, welchen Veränderungen akademisches Schreiben in diesem Bereich unterworfen ist: sie beginnt mit einem Kapitel zum “peer review”, wo sie für ein Verfahren plädiert, das zugleich “post-publication” und wirklich “peer-to-peer” wäre, und die beiden Funktionen von wissenschaftlichem Schreiben, die Kommunikation und die Reputationsbildung, berücksichtigt. Sie geht dann weiter zu Problematiken rund um das Konzept der Autorschaft und diskutiert unter andere, inwiefern der proklamierte Tod des Autors in den Geisteswissenschaften Realität ist oder sein kann. Anschließend analysiert die Autorin, wie sich der Text selbst im digitalen Medium verändert und geht vor allem der Frage nach, welche Konsequenzen neue Textstrukturen und -repositorien auch für die Interaktionen zwischen Autoren und Lesern haben. Darauf folgt ein Kapitel über die Frage der Langzeitverfügbarkeit digitaler Ressourcen, das vor allem Standards und Metadaten behandelt. Fitzpatrick schließt mit einem Kapitel ab, das sich den Institutionen zuwendet, in denen die drei bis dahin beschriebenen Konzepte und Praktiken funktionieren, insbesondere also der Rolle von “university presses” und wissenschaftlichen Bibliotheken im Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschungspublikation.

Es geht Fitzpatrick dabei weniger (oder zumindest nicht in erster Linie) darum, eine direkte Determination der Schreibpraxis und ihrer Bedingungen durch das Technische zu konstatieren. Vielmehr liegt dem Buch die Einsicht zugrunde, dass einige der etablierten, im Zeitalter des Buchdrucks entstandene Mechanismen nicht mehr zufriedenstellend funktionieren (man denke nur an das Zeitschriftenwesen) und dass digitale Publikationsformen einen möglichen Ausweg für drängende Probleme sein können, unter der Voraussetzung allerdings dass wir sie auch bewußt in sinnvoller und zielgerichteter Weise gestalten und dabei nicht außer Acht lassen, dass es zugleich gilt, unsere Einstellungen und Institutionen zu verändern.

Was hat Kathleen Fitzpatrick nun speziell zum wissenschaftlichen Bloggen zu sagen? Als drei Kernmerkmale von Blogs nennt Fitzpatrick, die für sie die erste und erfolgreichste neue Form wissenschaftlichen Publizierens sind, dass sie “commenting, linking, and versioning” (S. 67) ermöglichen, drei Merkmale die alle den eigentlich immer schon vorhandenen, interaktiven, netzwerkhaften und prozessualen Charakter wissenschaftlichen Schreibens zu realisieren erlauben, der Fitzpatrick besonders wichtig ist (wobei die Versionierung doch vor allem Wikis auszeichnet und nur selten, und recht primitiv, in Blogs realisiert ist). Konkrete Vorteile des Bloggens für Forscher sieht sie außerdem vor allem darin, dass das Bloggen gewissermaßen die Finger lockert für andere Schreibaktivitäten, dass man seine im Blog formulierten Ideen durch das Feedback tatsächlich weiter und tiefer verfolgen kann, und dass man schon während des Forschungsprozesses ein interessiertes Publikum erreicht oder für sich aufbauen kann.

Zentral und grundsätzlich scheint mir an Fitzpatrick Plaidoyer für das Bloggen zu sein, dass sie Wissenschaft als im Kern kommunikativ,  interaktiv und prozesshaft definiert – es geht darum, dass Wissen, Ideen und Texte frei zirkulieren können, diskutiert werden können, dadurch weiterentwickelt werden und zugleich ihr Publikum erreichen (S. 100). In dieser Perspektive ist der Blog natürlich ein ideales Medium, in dem man schnell, unkompliziert, offen und interaktiv publizieren kann. Fitzpatrick gibt selbst gerne zu, dass all dies eher für Kurzformen gilt und dass für die wissenschaftlichen Langformen noch keine vergleichbar elegante digitale Form existiert (S. 109-110).

Und so ist es wohl zumindest aktuell noch nicht nur meinem eigenen Verhaftetbleiben in der Printkultur zuzuschreiben, dass ich Fitzpatricks Ideen nicht auf ihrem Blog, sondern in Buchform und in extenso gelesen habe, wobei es mir allerdings ständig in den Fingern kribbelte, um den vielen Verweisen auf Projekte und Referenzen online weiter nachzugehen. Und die Konversation rund um das Buch findet ja, auch hier zum Beispiel, selbstverständlich wieder im Netz statt, ganz im Sinne Fitzpatricks.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/193

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Vorgänger von Maurice Quentin de La Tour

Rund 20 Jahre nach seinem Tod wurde Vivien von Jacques Lacombe im  “Dictionnaire portatif des Beaux-Arts, ou abregé de ce qui concerne l’Architecture, la Sculpture, la Peinture, la Gravure, la Poésie & la Musique; avec La définition de ces Arts, l’explication … Weiterlesen

Quelle: http://vivien.hypotheses.org/255

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Lecture – d’Almeida/Ressources

L’idée est intéressante : que font les gardien(nes) des camps de concentration et d’extermination dans leur loisir ? Et comment ces loisirs nous renseignent-t-ils sur la nature du national-socialisme et de l’histoire des camps au 20e siècle ? Fabrice d’Almeida s’intéresse ainsi aux livres commandés pour les bibliothèques, aux instruments utilisés par les gardes, aux chansons qu’ils chantaient le soir, à leur manière d’organiser des fêtes que ce soient le solstice d’hiver ou l’enterrement d’un SS… Thématiques que je trouve toutes passionnantes et sûrement révélatrices. Mais l’insatisfaction est réelle après la lecture des 250 pages et ceci à deux niveaux. Premièrement la plupart des sujets sont abordés d’une manière trop superficielle. Ceci me semble entre autres lié à une focalisation sur des archives certes encore inexploitées et donc intéressantes – listes, factures… de fournitures des camps – mais qui auraient nécessité un croisement avec d’autres sources – procès d’après-guerre, témoignages… – pour leur donner l’épaisseur nécessaire. Deuxièmement – et c’est un défaut majeur de la « shoalogie » terme consacré par Jacques Ehrenfreund, shoalogie que l’auteur juge d’une manière bienveillante – l’étude bascule en permanence entre singularité et universalité de son sujet. d’Almeida hésite ainsi en permanence entre deux positions contradictoires. Fil rouge involontaire, ce « non-choix » saute aux yeux dès l’introduction où l’auteur écrit d’une part qu’« [i]l faut définitivement rompre avec une vision où les camps sont conçus comme des organes isolés de la société » pour souligner quelques lignes plus tard que la gestion des camps « est pour les dirigeants nazis l’occasion de mettre en application leurs idées dans un périmètre bien délimité, où nul parasitage de leur pouvoir n’intervient. » (p. 14).

Quelle: http://majerus.hypotheses.org/100

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