#vormärz #forschung Wilhelm Bleek: Vormärz Deutschlands Aufbruch in die Moderne, München 2019

https://www.chbeck.de/26572349

Der Vormärz hat einen schlechten Ruf. Die Jahre zwischen 1815 und 1848 gelten als Zeitalter der Restauration und Repression, als verlorene Übergangsepoche, die auf die Umwälzungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Herrschaft folgte. Doch wurden damals zugleich auf vielen Feldern die Grundlagen für die rasante Modernisierung gelegt, die Deutschland in der zweiten Jahrhunderthälfte durchlief. Wilhelm Bleek holt die Epoche des Vormärz aus ihrem Schattendasein und lässt sie in ihrer faszinierenden Vielfalt und Widersprüchlichkeit wiederaufleben.

Textnachweis: Klappentext

Quelle: https://eindruecke.achmnt.eu/2020/02/10592/

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Der Raum des Glaubens in der modernen Gesellschaft

Von Eva Schlotheuber In der modernen Gesellschaft ist der Glaube keine nennenswerte Größe mehr, daran hat auch das lange Lutherjahr nichts geändert. Für die jungen Semester an den Universitäten ist der christliche Glaube überwiegend ein Buch mit sieben Siegeln, ein überbewertetes Thema, dessen gesellschaftsformende und geschichtsmächtige Wirkungen eher irritieren, jedenfalls Vergangenheit sind. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es natürlich nicht einfach, die Bedeutung von Religion und Glaubensüberzeugungen als Lebensorientierung bei anderen tiefergehend zu verstehen oder aufzugreifen. Wir sind in diesen Fragen ein Gesprächspartner mit … „Der Raum des Glaubens in der modernen Gesellschaft“ weiterlesen

Quelle: https://gts7000.hypotheses.org/397

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Wer Gewalt hegt. Zivilisierungs- und modernisierungstheoretische Überlegungen zu einem sozialwissenschaftlich diffusen Phänomen – von Ole Karnatz

Der Begriff der Gewalt hat eine umfangreiche Karriere in den Sozialwissenschaften durchgemacht. Er gilt als einer der Schwierigsten, unter anderem, weil er mit denen von Macht, Konflikt usw. verwandt ist. Doch nicht immer ist klar wovon genau eigentlich gesprochen wird (vgl. Imbusch 2002). In diesem Beitrag wird eine weitere Facette dieses Begriffs angesprochen: Nähert man sich der Frage nach der Genese von Gewalt, insbesondere physischer und psychischer, also solcher, die sich zumindest halbwegs klarer an Träger_innen zurückbinden lässt, so kann nicht nur gefragt werden wie und warum Gewalt entsteht, sondern wo diese herstammt und was unternommen wird, um sie einzuhegen? Popitz macht das Besondere der Gewalt in der permanent vorhandenen Möglichkeit des Gewalttätig-Seins durch Menschen aus (vgl. 2002: 57ff.). Was aber schränkt sie ein?

[...]

Quelle: https://soziologieblog.hypotheses.org/9950

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Die erfundene Stadt (Teil I)

Wenn ich im Falle Karlsruhes von „Erfindung“ spreche, impliziert das automatisch, dass andere Städte nicht erfunden worden seien. Tatsächlich handelt es sich bei Karlsruhe um eine barocke Planstadt, und zwar einer der letzten ihrer Art. Gerne wurde und wird die mittelalterliche als natürlich gewachsene Stadt gegen die rational geplanten Städte der Moderne ausgespielt. Dagegen lässt sich beispielsweise einwenden, dass auch im Mittelalter stadtplanerische Maßnahmen nachweisbar sind. Allein durch Stadtbefestigungen war letztlich eine Form vorgegeben, auf die reagiert werden musste.

Karlsruhe – ein Modellfall der urbanistischen Moderne

Dennoch stellt der Gründungsakt von Karlsruhe einen Spezialfall dar. Hier entschloss sich ein Fürst an der von ihm bestimmten Stelle, aus dem Nichts heraus eine Stadt zu errichten. In Karlsruhe – so meine These – wird Vieles von dem erprobt, was die moderne Stadtplanung schließlich auszeichnen wird. Anlässlich des diesjährigen 300.

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Quelle: http://artincrisis.hypotheses.org/1132

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Moderne Ahnenverehrung?

Wohl in fast jedem (bildungsbürgerlichen) Haushalt wird man beim Durchstöbern der Bücherregale auf mindestens ein bis zwei Bücher zur lokalen Geschichte stoßen. Die Geschichte einer Heimatstadt ist zwar oft kein alltäglich präsentes Thema, doch viele Menschen wissen etwas, einige etwas mehr, über den Ort, an dem sie leben, und dessen Geschichte.
Woher kommt das Interesse daran, die Geschichte des Wohnortes zu kennen, das Bedürfnis, etwas über frühere Bewohner der Stadt zu erfahren? Vielleicht ist es bloßes Geschichtsbewusstsein, Interesse an Faktenwissen, oder das diffuse Gefühl, man müsse dem nächsten Besucher von auswärts doch zumindest ein paar Dinge über die Geschichte der Stadt erzählen können. Ich möchte hier einen etwas anderen Gedankengang ausprobieren und vorschlagen, im lokalen Geschichtsbewusstsein des modernen Bildungsbürgers ein Beispiel für die Existenz des ‚Vormodernen‘ im ‚Modernen‘ zu sehen.

Weshalb ist das so? In ‚vormodernen‘ oder ‚traditionellen‘ Gesellschaften spielen die Beziehungen zu den verstorbenen Ahnen eine wichtige Rolle, viel mehr als es in ‚modernen‘ Gesellschaften der Fall ist bzw. der Fall zu sein scheint. In Südostasien beispielsweise ist die rituelle Ahnenverehrung ein Bestandteil des alltäglichen Lebens, wie unter anderem die Forschungen von Josephus Platenkamp in Indonesien und Laos gezeigt haben.1 Und schon 1907 hat einer der ‚Vorväter‘ der Religionswissenschaft, Robert Hertz, in seinem heute klassischen Aufsatz zur Totenverehrung auf Borneo demonstriert, welch zentrale Rolle die Toten im Leben der Menschen dort spielen.2
Für das Fortbestehen und die Existenz von Familie und Dorfgemeinschaft, so verdeutlichen diese ethnologischen Arbeiten, ist es zentral, dass die Beziehungen zu den Toten gepflegt werden. Dies geschieht durch Rituale. Die Toten ‚leben weiter‘, in gewissem Sinne, wenn sie exhumiert und unter dem Dachgiebel aufbewahrt werden oder wenn ihnen im Ahnenschrein Opfer gebracht werden. Krankheiten und Unglücke werden darauf zurückgeführt, dass man die Beziehung zu den Ahnen nicht entsprechend gepflegt hat.
Und selbst wenn man sich nicht mehr namentlich an seine Vorfahren erinnern kann, sind diese immer noch Teil des sozialen Ganzen, so in der Kosmologie der Tobelo (Nord-Halmahera, Indonesien), wo die Vorfahren, die im kollektiven Gedächtnis aufgehen, mit den Plejaden gleichgesetzt werden, einem Sternbild, dass ungefähr ein halbes Jahr am Nachthimmel sichtbar ist und dessen Verschwinden den Termin für die Reisaussaat setzt.3

Eine solche ‚direkte‘ Beziehung zu den Ahnen ist hierzulande und in vielen anderen ‚modernen‘ Gesellschaften undenkbar. Die Toten werden bestattet, man erinnert sich ihrer, aber eine beeinflussbare und wirksame Beziehung zu ihnen mag es – abgesehen von alternativ-spirituellen Bereichen – nur in Einzelfällen geben.
Als Ersatzhandlung sozusagen – und hier folgt nun meine Idee der Existenz des ‚Vormodernen‘ in der ‚Moderne‘ – stellen Einzelne eine Beziehung zu abstrakten Vorfahren her, indem sie die Geschichte ihres Wohnortes kennenlernen; indem sie ‚Wurzeln schlagen‘ durch Stadtführungen und Lektüre der Lokalgeschichte.
Auch der moderne Mensch ‚braucht‘, so dürfte man weiter vermuten, eine wie auch immer geartete Beziehung zur Vergangenheit, um sich ‚heimisch‘ zu fühlen – daher vielleicht auch der unvergängliche Bezug auf ‚Tradition‘ in sämtlichen wertbehafteten Diskursen, von der Werbung bis hin zur leidvollen Leitkulturdebatte.

Doch wenn ich vermute, die Beschäftigung mit der Lokalgeschichte sei eine ‚quasi-prämoderne‘ Handlung, die dem modernen Menschen eine Verbindung zu abstrakten Ahnen ermöglicht, folgt ein nicht zu unterschätzendes erkenntnistheoretisches Problem. Denn allzu schnell kann die Argumentation darauf hinauslaufen, dass hinter den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Ausdrucksformen universale Muster stünden, die sich durch die Menschheitsgeschichte hinweg immer wieder in vielfältigen Formen zeigen.
Es ist jedoch empirisch schwer nachzuweisen, dass zum Menschsein immer und überall eine wie auch immer geartete Beziehung zu den Ahnen gehört. Mein Versuch ist hier eher vergleichend als verallgemeinernd zu verstehen. Eine haltbare These nach aktuellen religionswissenschaftlichen Maßstäben lässt sich aber (noch) nicht entwickeln. Doch die Idee, das Geschichtsbewusstsein heutiger Bildungsbürger als ‚moderne Ahnenverehrung‘ zu betrachten, durchbricht gängige Dichotomien von ‚modern‘ und ‚traditionell‘ oder ‚wir‘ und die ‚anderen‘ und zeigt vielmehr, dass ‚vormoderne‘ Charakteristika auch in der ‚modernen‘ Gesellschaft aufscheinen.

mr

  1. Platenkamp, Josephus (2000), Temporality and Male-Female Distinctions in the Tobelo Vocabulary of Relationships. In: Alés, C.: Sexe relatif ou sexe absolu?, 241–262; Platenkamp, Josephus (2010), Becoming a Lao Person. In: Berger, P. L. et al.: The Anthropology of Values, 180–200.
  2. Hertz, Robert (1907), Contribution à une étude de la représentation collective de la mort. Année Sociologique, Vol. X, 48–137.
  3. Platenkamp, Josephus (2015), On the Confrontation Between Perennial Models in 19th Century Halmahera (Indonesia). In: Hartmann, A., Murawska, O.: Repräsentationen der Zukunft – Representing the Future, 61–98.

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/45

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Moderne Ahnenverehrung?

Wohl in fast jedem (bildungsbürgerlichen) Haushalt wird man beim Durchstöbern der Bücherregale auf mindestens ein bis zwei Bücher zur lokalen Geschichte stoßen. Die Geschichte einer Heimatstadt ist zwar oft kein alltäglich präsentes Thema, doch viele Menschen wissen etwas, einige etwas mehr, über den Ort, an dem sie leben, und dessen Geschichte.
Woher kommt das Interesse daran, die Geschichte des Wohnortes zu kennen, das Bedürfnis, etwas über frühere Bewohner der Stadt zu erfahren? Vielleicht ist es bloßes Geschichtsbewusstsein, Interesse an Faktenwissen, oder das diffuse Gefühl, man müsse dem nächsten Besucher von auswärts doch zumindest ein paar Dinge über die Geschichte der Stadt erzählen können. Ich möchte hier einen etwas anderen Gedankengang ausprobieren und vorschlagen, im lokalen Geschichtsbewusstsein des modernen Bildungsbürgers ein Beispiel für die Existenz des ‚Vormodernen‘ im ‚Modernen‘ zu sehen.

Weshalb ist das so? In ‚vormodernen‘ oder ‚traditionellen‘ Gesellschaften spielen die Beziehungen zu den verstorbenen Ahnen eine wichtige Rolle, viel mehr als es in ‚modernen‘ Gesellschaften der Fall ist bzw. der Fall zu sein scheint. In Südostasien beispielsweise ist die rituelle Ahnenverehrung ein Bestandteil des alltäglichen Lebens, wie unter anderem die Forschungen von Josephus Platenkamp in Indonesien und Laos gezeigt haben.1 Und schon 1907 hat einer der ‚Vorväter‘ der Religionswissenschaft, Robert Hertz, in seinem heute klassischen Aufsatz zur Totenverehrung auf Borneo demonstriert, welch zentrale Rolle die Toten im Leben der Menschen dort spielen.2
Für das Fortbestehen und die Existenz von Familie und Dorfgemeinschaft, so verdeutlichen diese ethnologischen Arbeiten, ist es zentral, dass die Beziehungen zu den Toten gepflegt werden. Dies geschieht durch Rituale. Die Toten ‚leben weiter‘, in gewissem Sinne, wenn sie exhumiert und unter dem Dachgiebel aufbewahrt werden oder wenn ihnen im Ahnenschrein Opfer gebracht werden. Krankheiten und Unglücke werden darauf zurückgeführt, dass man die Beziehung zu den Ahnen nicht entsprechend gepflegt hat.
Und selbst wenn man sich nicht mehr namentlich an seine Vorfahren erinnern kann, sind diese immer noch Teil des sozialen Ganzen, so in der Kosmologie der Tobelo (Nord-Halmahera, Indonesien), wo die Vorfahren, die im kollektiven Gedächtnis aufgehen, mit den Plejaden gleichgesetzt werden, einem Sternbild, dass ungefähr ein halbes Jahr am Nachthimmel sichtbar ist und dessen Verschwinden den Termin für die Reisaussaat setzt.3

Eine solche ‚direkte‘ Beziehung zu den Ahnen ist hierzulande und in vielen anderen ‚modernen‘ Gesellschaften undenkbar. Die Toten werden bestattet, man erinnert sich ihrer, aber eine beeinflussbare und wirksame Beziehung zu ihnen mag es – abgesehen von alternativ-spirituellen Bereichen – nur in Einzelfällen geben.
Als Ersatzhandlung sozusagen – und hier folgt nun meine Idee der Existenz des ‚Vormodernen‘ in der ‚Moderne‘ – stellen Einzelne eine Beziehung zu abstrakten Vorfahren her, indem sie die Geschichte ihres Wohnortes kennenlernen; indem sie ‚Wurzeln schlagen‘ durch Stadtführungen und Lektüre der Lokalgeschichte.
Auch der moderne Mensch ‚braucht‘, so dürfte man weiter vermuten, eine wie auch immer geartete Beziehung zur Vergangenheit, um sich ‚heimisch‘ zu fühlen – daher vielleicht auch der unvergängliche Bezug auf ‚Tradition‘ in sämtlichen wertbehafteten Diskursen, von der Werbung bis hin zur leidvollen Leitkulturdebatte.

Doch wenn ich vermute, die Beschäftigung mit der Lokalgeschichte sei eine ‚quasi-prämoderne‘ Handlung, die dem modernen Menschen eine Verbindung zu abstrakten Ahnen ermöglicht, folgt ein nicht zu unterschätzendes erkenntnistheoretisches Problem. Denn allzu schnell kann die Argumentation darauf hinauslaufen, dass hinter den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Ausdrucksformen universale Muster stünden, die sich durch die Menschheitsgeschichte hinweg immer wieder in vielfältigen Formen zeigen.
Es ist jedoch empirisch schwer nachzuweisen, dass zum Menschsein immer und überall eine wie auch immer geartete Beziehung zu den Ahnen gehört. Mein Versuch ist hier eher vergleichend als verallgemeinernd zu verstehen. Eine haltbare These nach aktuellen religionswissenschaftlichen Maßstäben lässt sich aber (noch) nicht entwickeln. Doch die Idee, das Geschichtsbewusstsein heutiger Bildungsbürger als ‚moderne Ahnenverehrung‘ zu betrachten, durchbricht gängige Dichotomien von ‚modern‘ und ‚traditionell‘ oder ‚wir‘ und die ‚anderen‘ und zeigt vielmehr, dass ‚vormoderne‘ Charakteristika auch in der ‚modernen‘ Gesellschaft aufscheinen.

mr

  1. Platenkamp, Josephus (2000), Temporality and Male-Female Distinctions in the Tobelo Vocabulary of Relationships. In: Alés, C.: Sexe relatif ou sexe absolu?, 241–262; Platenkamp, Josephus (2010), Becoming a Lao Person. In: Berger, P. L. et al.: The Anthropology of Values, 180–200.
  2. Hertz, Robert (1907), Contribution à une étude de la représentation collective de la mort. Année Sociologique, Vol. X, 48–137.
  3. Platenkamp, Josephus (2015), On the Confrontation Between Perennial Models in 19th Century Halmahera (Indonesia). In: Hartmann, A., Murawska, O.: Repräsentationen der Zukunft – Representing the Future, 61–98.

Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/45

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Gern gelesen: Das Konzept der „Moderne“ – L. Raphael

„Die europäische Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert bietet vielfaches Anschauungsmaterial für den unerwarteten, funktionsgerechten Einbau älterer Institutionen, Gewohnheiten oder Statusgruppen in die Dynamik der Moderne. […] Gerade die Geschichtsträchtigkeit der europäischen Gesellschaften […] hat die Kombination von Ordnungsmustern ganz unterschiedlicher zeitlicher Provenienz mit den neuen Elementen Bürokratie, Markt, Nation, Rechtsgleichheit nahegelegt. Die Umcodierung dieser Sozialgebilde hat dazu geführt, dass man ein großes Repertoire nationaltypischer Anpassungen und Aggiornamentos von Institutionen und Traditionen im Europa des 20. Jahrhundert [sic] findet. Die Gesellschaften und Kulturen der europäischen Moderne sind nicht aus einem ‚Guss‘, sondern das Ergebnis paradoxer Koexistenz unterschiedlicher Institutionen und Handlungslogiken.“ (Raphael, Konzept, 2014, S. 104)

Ein weiterer Aufsatz von Lutz Raphael zur historiographischen Brauchbarkeit des Begriffs der Moderne ist vor einigen Monaten in einem Sammelband erschienen. Ich habe ihn gerne gelesen, und ich könnte noch viel mehr zu diesem Text und den darin vertretenen Argumenten sagen. Denn der Begriff der Moderne, wie Raphael (und Christof Dipper) ihn für die geschichtswissenschaftliche Analysearbeit operationalisieren, ist auch für mein Projekt sehr wichtig. Hier aber nur ein paar Gedanken zu der oben zitierten Passage.

Schon die beiden Aufsätze von Achim Landwehr, die sich kritisch mit der Denkfigur der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ auseinandergesetzt haben, habe ich mit großem Interesse gelesen und als sehr anregend empfunden (auch sie empfehle ich ausdrücklich zur Lektüre!). In den Texten geht es vor allem um die Vorstellungen von historischer Zeit(en), die dem Reden von Anachronismen bzw. der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zugrunde liegen, und darum, dass damit explizite und implizite Wertungen verknüpft sind, die häufig der Analyse von „Gleichzeitigkeiten“, die Landwehr ins Zentrum stellen will, eher im Wege stehen.

Raphael bezieht nun die Kritik, die auch Landwehr äußert, eher auf die Frage nach gesellschaftlicher Verfasstheit, also darauf, ob es sich um letztlich soziale/politische Pathologien handelt, wenn solche Koexistenzen vorliegen. Die Antwort ist – das kann man im obigen Textausschnitt klar erkennen – natürlich: nein, keine Pathologie, im Gegenteil. Koexistenzen unterschiedlicher Institutionen und Handlungslogiken mit verschieden langer Geschichte sind in europäischen Gesellschaften eher die Regel als die Ausnahme. Meine Frage ist jetzt nur: Ist die Koexistenz denn tatsächlich „paradox“, wie Raphael schreibt? Oder erscheint sie nur als paradox, wenn man mit der modernisierungstheoretischen Brille auf sie blickt?

Interessant ist es also nicht so sehr sich anzusehen, wo es solche Koexistenzen gibt. Stattdessen könnte man untersuchen, wie die oben angesprochenen „Umcodierungen“ vonstattengehen. Also: Wie funktioniert diese Koexistenz? Welche Anpassungen finden statt? Wie finden sie statt? Werden sie von den ZeitgenossInnen reflektiert und bewertet? Dieser Fragenkatalog lässt sich wohl noch lange weiterführen. Für die ländlichen Übergangsgesellschaften ist der Hinweis auf die Koexistenzen wichtig und hilfreich – nicht nur, um in Gesprächssituationen wie dieser (schon häufiger vorgekommenen) klug antworten zu können:

Und, worüber forschst Du so?

Ländliche Gesellschaften um 1900.

Ach so, ja, klar: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Hach ja.

Literaturhinweise:

Dipper, Christof: Die deutsche Geschichtswissenschaft und die Moderne, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 37 (2012), S. 37—62.

Landwehr, Achim: Von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, in: Historische Zeitschrift 295 (2012), S. 1—34.

Ders.: Über den Anachronismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61 (2013), S. 5—29.

Raphael, Lutz: Das Konzept der „Moderne“. Neue Vergleichsperspektiven für die deutsch-italienische Zeitgeschichte?, in: Großbölting, Thomas/Livi, Massimiliano/Spagnolo, Carlo (Hg.), Jenseits der Moderne? Die Siebziger Jahre als Gegenstand der deutschen und der italienischen Geschichtswissenschaft, Berlin 2014, S. 97—109.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/275

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Der soziologische Blick der Weltbeobachtung im „Soziologischen Duett“- Ein Beitrag von Nicole Kleindienst

Zwei Wissenschaftler. Ein hochspannender Austausch über aktuelle Forschungsthemen. Und die digitale Aufzeichnung dieses Austausches. So sieht das Konzept des Blogs von Prof. Dr. Udo Thiedecke aus. Der Professor der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz lässt in seiner Audiopodcast-Reihe „Das soziologische Duett“ Wissenschaftler ihre … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6930

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Links zur Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts (3): Wieder zwei Blogs. Und was für welche!

Nicht direkt zu 1848 diesmal, aber es muss ja der Titel vom letzten Mal nicht wörtlich wiederholt werden, um die „3“ in der Klammer zu rechtfertigen. Ganz neu sind sie auch beide nicht, sondern feiern im Mai 2014 jeweils ihr einjähriges Bestehen. Das sei als – wenn auch etwas fadenscheiniger – Anlass genommen, gerade jetzt auf zwei erfreuliche und wichtige Blogs hinzuweisen:

Aktenkunde

Unter diesem so schlichten wie aussagekräftigen Titel begleitet Holger Berwinkel (tätig im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes) seine Arbeit an einer Monographie zum Thema, na was wohl, Aktenkunde. Wer meint, das müsse spröde und langweilig sein, hat es noch nicht gesehen. Der Autor bietet unter anderem bibliographische Hinweise zu einschlägigen Standardwerken und neu erschienenen Aufsätzen; daneben Berichte dazu, wo Aktenkunde im politischen und medialen Tagesgeschehen wichtig ist – oder wäre, wenn die Beteiligten denn etwas davon wüssten; nicht zuletzt auch eingehende Beispielanalysen zu einzelnen Schriftstücken. Einige Aufmerksamkeit erhielt er vor kurzem mit seiner Diskussion der als Beweis für eine offenbar beliebte Verschwörungstheorie gehandelten „Kanzlerakte“ (Spoiler: nicht nur ist es eine Fälschung, sondern nicht einmal eine halbwegs kompetente). Eine persönliche Empfehlung vom Verfasser dieser Zeilen ist aber dieser Beitrag, in dem Berwinkel zeigt, was auch einem auf den ersten Blick eher zum Schmunzeln verleitenden Schriftstück abzugewinnen ist.

Ganz im Ernst aber: Dass Aktenkunde selbst unter den ohnehin immer weiter zurückgedrängten historischen Grund- (nicht: Hilfs-) wissenschaften meistens eher einen Platz in der zweiten Reihe bekommt, ist umso weniger zu rechtfertigen, als Akten zu den wichtigsten Quellen der neueren und neuesten Geschichte zählen und von weit mehr HistorikerInnen regelmäßig benutzt werden als nahezu jeder andere Quellentyp. Dass es sich nicht von selbst versteht, wie mit ihnen umzugehen ist, ist das Allererste, was Lesende aus Holger Berwinkels Blog mitnehmen sollten. Das klassische discrimen veri ac falsi ist für einen (angeblichen) maschingeschriebenen Bericht von 1992 mitunter ebenso notwendig wie für eine (vorgebliche) Urkunde Ludwigs des Frommen und erfordert ebenso spezialisierte Kenntnisse1. Darüber hinaus kann und sollte eine vertiefte Erforschung amtlichen Schriftguts auch für die Kulturgeschichte des Politischen fruchtbar gemacht werden, die inzwischen schon länger weiß, dass Verwaltung auf allen Ebenen zu ihren unverzichtbaren Untersuchungsgebieten gehört. Und natürlich ist sie auch für die Edition der Akten der Provisorischen Zentralgewalt eine conditio sine qua non. Wenn diese Edition später einmal Kopfregesten hat, über die die Verfasser der Schriftstücke nicht gequält lachen müssten, wovon kann das nur kommen? Richtig: von der Aktenkunde.

Übergangsgesellschaften

Der Untertitel dieses Blogs lautet „Ländliche Politik in der europäischen Moderne – ein Forschungsprojekt“, womit im Grunde schon klar sein sollte, warum es einen Link von „Achtundvierzig“ nach dort braucht. Autorin ist Anette Schlimm, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig ist. Ihr Projekt selbst heißt „Übergangsgesellschaften. Zur Politik und Politisierung ländlicher Gesellschaften in Mitteleuropa, ca. 1850–1950“ und wird von ihr in diesem Beitrag besser beschrieben, als das hier geschehen könnte. Nur ein paar Eckpunkte: mit dem „Übergang“ ist jener von der Agrar- zur Industriegesellschaft gemeint, der „längst nicht nur die Wirtschaftsweise“ betraf, sondern „alle Bereiche des Lebens“ – allerdings „im politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, was zu Ungleichzeitigkeiten, Spannungen und Konflikten führte“. Das Projekt fragt nach der Mikroebene ländlicher Gesellschaften im Verhältnis zu dieser Makroebene der gesamtgesellschaftlichen Transition, und insbesondere nach der Politik ländlicher Gemeinden. Diese werden sowohl als Akteure als auch als Räume des Politischen begriffen – gleichzeitig. Das ist für den Berichterstatter besonders faszinierend, zumal er selbst schon einmal (ohne Kenntnis dieses Projekts und wohl etwas naiv) auf die Idee gekommen ist, dass sich Gemeinden im Zuge des Übergangs von der ständisch-vormodernen Gesellschaft in die moderne Staatlichkeit tendenziell von Akteuren zu Räumen gewandelt hätten2. Das war natürlich überspitzt …

Die drei Ziele des Projekts lauten:

1. Den „Einfluss von Selbstverwaltungstraditionen und -formen auf Politisierungsprozesse“ untersuchen (gespannt ist Berichterstatter darauf, wie Politisierung definiert wird!);

2. „ländliche Gemeinden als wichtige[n] Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Mobilisierungsprozesse sichtbar“ machen (dringend nötig: Die Annahme, dass Stadt und Moderne deckungsgleich sind, ist so ubiquitär und so forschungsleitend, dass sie zu Einseitigkeiten und Ausblendungen aller Art geführt hat und es weiterhin tut);

3. Methoden der global studies auf eine europäische Region anwenden (auch das höchst lobenswert; in der Kulturgeschichte des Politischen heißt das Modewort dafür „ethnologischer Blick“, und das sollte nicht bloß immer wieder beschworen, sondern methodologisch ernst genommen werden).

Das Blog bringt unter anderem Lektüren, Veranstaltungshinweise (eine eigene Tagung „Herrschaft vor Ort3  hat auch schon stattgefunden), nicht zuletzt Berichte über Rechercheergebnisse und Rechercheerlebnisse (Kategorien „Fundstücke“, „Exkursionen“), stets in einer ansprechenden, lebendigen Schreibweise. Einen persönlichen Lieblingsbeitrag hat der Schreiber dieser Zeilen auch auf diesem Blog. Die Präferenz dürfte sich von selbst erklären.

  1. Nota bene: Es ist vermutlich kein Zufall, dass Holger Berwinkel selbst ausgebildeter Mediävist ist. Dissertiert hat er noch zu einem Thema, das ihm eher keinen Link von unserem Blog verschafft hätte: BERWINKEL, Holger: Verwüsten und Belagern. Friedrich Barbarossas Krieg gegen Mailand  (1158–1162) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 114), Tübingen 2007.
  2. STOCKINGER, Thomas: Dörfer und Deputierte. Die Wahlen zu den konstituierenden Parlamenten von 1848 in Niederösterreich und im Pariser Umland (Seine-et-Oise) (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 57), Wien – München 2012, 358.
  3. Zwischendurch mal ein winziger Kritikpunkt: Die inflationäre Verwendung des Ausdrucks „vor Ort“ ärgert den Schreiber dieses schon seit geraumer Zeit, und er würde Lokalgeschichte zu gern einmal anders beworben sehen.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/560

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