“RaderGate” – Was die Debatte um Plagiate aus der Wikipedia übersieht

Fomfr pranger

Pranger im Foltermuseum in Freiburg im Breisgau

 

Vor drei Tagen ging die Nachricht durch die Medien, dass zwei Historiker unter Plagiatsverdacht stehen. Das Buch “Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak” (C.H. Beck Verlag) soll von den Autoren Arne Karsten und Olaf Rader in großen Teilen sogar wörtlich aus der Wikipedia stammen. Näheres zu den Umständen findet man z.B. bei Spreeblick.

Jetzt wird der Fall diskutiert. Vom “Diebstahl geistigen Eigentums” ist die Rede, von Verletzung wissenschaftlicher Standards, man sei “beim Abschreiben aus Wikipedia erwischt worden”. Es ist von einer Rufschädigung der Autoren und des Verlags die Rede. Von “digitaler Denunziation” ist zu lesen. Es geht schon wieder mal wild durcheinander im bürgerlichen Empörungszirkus. Dazu drei Anmerkungen.

1. Man darf von Wikipedia  “abschreiben” – auch zu kommerziellen Zwecken

Arne Karsten und Olaf Rader haben erst einmal nichts Verbotenes gemacht. Die Inhalte der Plattform sind freies Wissen und unterliegen der Creative Commons Lizenz CC-BY-SA 3.0. Diese regelt zwei Dinge: Man darf die Inhalte frei verwenden, wenn man den Namen des Urhebers bzw. Rechteinhabers an entsprechender Stelle in der richtigen Form nennt und die Inhalte unter derselben Lizenz weitergibt. Das bedeutet aber auch, dass die Inhalte verändert, kopiert, in Bücher gepackt und verkauft werden dürfen.

Die Wikimedia Foundation, als Trägerin der Wikipedia, hat diese Lizenz bewusst ausgewählt und eine intensive Debatte der Wikipedia-Community hat vor einigen Jahren noch einmal bestätigt, dass die kommerzielle Nutzung der Wikipedia-Texte nicht ausgeschlossen werden soll. Dafür gibt es eine ganz einfache Begründung: Das Verbot der kommerziellen Nutzung verhindert die Verbreitung freien Wissens, dem Ziel der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekten.

Von “Diebstahl geistigen Eigentums” kann man daher gar nicht so leicht sprechen. Genaugenommen war der Begriff “Diebstahl” im Bereich der Wissensvermittlung immer schon falsch. Aber in jedem Fall – man ahnt es schon – kann man von einem Lizenzverstoß ausgehen. Doch dazu gleich.

2. Die Neuordnung von Wissen ist eine eigene Leistung

Die Scientific Community forciert in der laufenden Diskussion über das Buch “Große Seeschlachten” zwei Fragen: Sind beim “Abschreiben” wissenschaftliche Standards verletzt worden? Und: Hat das vorliegende Werk einen neuen Erkenntniswert?

Die erste Frage ist schnell beantwortet. Es ist zu prüfen, ob die Quellen den allgemeinen Standards entsprechend belegt werden. Ist das nicht geschehen, ist der Fall klar: Standard verletzt. Rüge. Marginalisierung in der Scientific Community. Fertig ist der Lack.

Was die wenigsten wissen: Auch Wikipedia hat über die Jahre sehr strenge Regelungen für Quellenbelege eingeführt. Ihre Einträge sind nicht selten besser belegt als manche Seminararbeit zum selben Thema.

Die zweite Frage,  nach dem Erkenntniswert oder dem Wert generell, ist natürlich komplexer. Ob die “Großen Seeschlachten” von Arne Karsten und Olaf Rader ein großer Wurf sind oder zumindest eine gute Einführung können nur die Leserinnen und Leser entscheiden. Es wäre jedoch fatal, wenn der aktuelle Fall dazu benutzt würde, die Arbeit in und mit der Wikipedia wieder einmal so zu drehen, dass am Ende eine akademische Zweiklassengesellschaft herauskommt.

Diese Sorge kommt nicht von ungefähr, denn in der Welt strukturkonservativer Wissenschaftler und Journalisten gibt es bekanntlich zwei Sorten von Akademikern: Die eigentlichen Fach-Wissenschaftler und Experten einerseits und den ganzen Rest von einfachen Vermittlern, Lehrern, Laien und Populärwissenschaftler andererseits. Alle, die nicht für die Scientific Community schreiben, stehen unter Generalverdacht, doch eigentlich keine eigene und wertige Leistung zu bringen. Dasselbe Verdikt trifft konsequenterweise auch gelungene Kompilationen oder Remixes.

Dabei ist die Sicherung, Aufarbeitung und Verbreitung von Wissen eine Kunst, die nicht weniger wichtig ist, als die dann doch oft sehr handwerklich zu bewältigende Forschungsarbeit von Fachwissenschaftlern. Und das gilt nicht zuletzt sondern auch für die Wikipedia. Das kollektive Zusammenstellen von Wissen in über 280 Sprachen und Kulturen ist ein ungeheurer Lern- und Gestaltungsprozess. Ausgeführt von Menschen, die oft selbst einen sehr hohen Bildungsstand haben.

Und wenn jemand aus dem gesammelten Weltwissen Einzelfragen herausgreift und beispielsweise  Seeschlachten darstellen und besprechen will, kann das eine eigene Leistung sein. Ob sie das in dem konkreten Fall ist, bleibt zu untersuchen. Doch ohne den Inhalt zu kennen, wird pauschal davon gesprochen, dass Karsten und Rader beim “Abschreiben von der Wikipedia erwischt worden”. Wie ein kleiner Schulbub beim Unterschleif. “Das macht man nicht!”

Doch das kann sehr sinnvoll sein, wenn man es richtig macht und nicht gegen geltendes Recht verstößt.

3. Das Buch ist mangelhaft, weil es einen Rechtsmangel hat

Die Kunden des C.H. Beck Verlags haben ein Buch gekauft. Die Inhalte dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen also nicht ohne Genehmigung des Verlags kopiert, verändert, verbreitet werden.

Sobald die Inhalte des Buches zu großen Teilen aus Inhalten mit einer freien Lizenz bestehen, sieht die Sache anders aus. Diskutiert wird bislang nur, inwieweit Quellen aus wissenschaftlicher Sicht nachgewiesen werden müssen – zum Zweck der Überprüfbarkeit oder zum Nachweise der intellektuellen Eigenleistung. Der Hammer hängt für die Wikipedia aber beim Umgang mit ihren freien Lizenzen.

Es ist legitim, aus Wikipedia in einem kleineren Umfang zu zitieren. Wenn aber größere Teile  übernommen werden, muss klar dargestellt werden, welche Teile aus der Wikipedia kommen und demnach frei verwendet werden können. In diesem Fall: Welche Teile stehen unter der Creative Commons CC-BY-SA 3.0? Auf gar keinen Fall, darf der Urheber (in dem Fall die Rechteinhaberin Wikimedia Foundation ) verschwiegen und der Inhalt unter eine andere Lizenz gestellt werden. Der Verlag hat damit ein Produkt mit Rechtsmängeln verkauft und einen klaren Rechtsbruch begangen.

Normalerweise sichern sich hier Verlage über die Autorenverträge ab. Dort ist meist formuliert, dass alle Rechte an den Verlag übergehen und die Autoren bei der Übergabe diese Rechte auch besitzen müssen. Deswegen wird C. H. Beck nun auch Arne Karsten und Olaf Rader mit seinen Anwälten bearbeiten. Das Problem ist damit aber nicht gelöst. Das Werk muss vom Markt. Die Wikimedia Foundation kann abmahnen und klagen. Vielleicht sollte sie das in diesem Fall endlich mal machen, um am Ende die Stellung freier Lizenzen zu stärken.

Und für die Zukunft gilt: Es wird immer weniger Bücher geben, die zu großen Teilen aus Inhalten mit freien Lizenzen bestehen oder noch schlimmer, der Anteil an Büchern, von denen man nicht sagen kann, inwieweit sie aus freien Inhalten bestehen, wird größer. Das hat schlicht mit der Tatsache zu tun, wie sich mit dem Web unsere Arbeitsweise ändert. Und das Risiko für Verlage wird unvermeidlich steigen. Und so wäre es viel einfacher, wenn der C. H. Beck-Verlag seine Buchinhalte generell unter eine freie Lizenz stellen würde. Das wäre auch kein Problem. Man könnte das Seeschlachten-Buch einfach unter die Creative Commons Lizenz stellen und die Welt wäre in Ordnung. Man würde auch keinen Cent weniger verdienen und die Wikipedia-Community hätte nichts dagegen. Doch das wäre zu einfach. Und zu revolutionär.

Deswegen wird weiter rummoralisiert, es werden Qualitätsdebatten geführt und Handlungen kriminalisiert, die es nicht sind. Über relevante Rechtsverstöße bei der kommerziellen Nutzung freien Wissens dagegen wird in den Medien auffällig geschwiegen. Weil alle betroffen sind.

Für Historikerinnen und Historiker bleibt da nur, künftig die richtigen Gewichte zu setzen und einen klaren Blick zu behalten. Sie brauchen ein Umfeld, das gelernt hat, mit freiem Wissen und freien Lizenzen offen und ehrlich umzugehen.
Und sie müssen selbst ihre Lage angesichts der Medienrevolution neu bestimmen und flexibel darauf reagieren. Die Berufe und Arbeitsweisen in den Sozialwissenschaften werden durch das Web verändert.  Wir werden zunehmend im Web Wissen zur Verfügung stellen und besprechen um ab und zu ein gedrucktes Buch daraus machen. Hier drehen sich die Verhältnisse zwischen Print- und Digitalmedien um.
Und auch das zeigt “RaderGate” (Klaus Graf): Fachwissenschaftler sind zwar weiterhin nötig, die Qualitätssicherung wird aber künftig in der Weböffentlichkeit organisiert.

Auch lesenswert:


Einsortiert unter:Medien

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/04/26/radergate-was-die-debatte-um-plagiate-aus-der-wikipedia-ubersieht/

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Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zwischen Digitalisierung und Urheberrecht

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Über einen kleinen Unterschied, den Umgang mit dem Fernmeldegeheimnis sowie die Frage, wann das Landgericht Köln im 21. Jahrhundert ankommt

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Der Nachrichtendienst für Historiker stellt aufgrund des Leistungsschutzrechts für Verlage seinen Betrieb ein

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Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/03/3909/

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Eine Kultur des Wandels? Über Systeme und Gesetze

Was bedeutet die Digitalisierung für die Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken? Wie wird und sollte der Zugang zu unserem “kulturellen Erbe” in den kommenden Jahren gestaltet sein? Und welche Rolle spielen künftig die Urheber und professionelle “Rechteverwalter”?

Anlässlich der kürzlich veranstalteten Tagung “Zugang gestalten! Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe” war das MONTAGSRADIO “Vor Ort” im Jüdischen Museum Berlin. Jochen Thermann und Kaja Wesner sprachen mit dem geschäftsführenden Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Börries von Notz, über das konservative Selbstverständnis heutiger Kulturinstitutionen, die Notwendigkeit, eine gesellschaftspolitische Debatte über die Neugestaltung des Urheberrechts zu führen und über die Sonderrolle der Bewahrung jüdischer Kulturzeugnisse.

Und hier die Timeline zum Gespräch

0:32 Bedeutung der Digitalisierung der Museen

2:01 Die Bestände sollten über das Internet auffindbar sein

4:34 Die Sonderrolle des Jüdischen Museums

06:35 Besteht die Gefahr eines Archivierungsexzesses?

08:29 Ist ein kostenloser Zugang zu Kulturgütern wünschenswert?

10:34 Die Bedeutung des Urheberrechts: Kulturschaffende sollten angemessen entlohnt werden

14:03 Die Neugestaltung des Urheberrechts sollte diskutiert werden

14:08 Wer sind die Rechteinhaber?

16:49 Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit?

19:00 Kommen EU-Regelungen vor nationalen Regelungen?

21:00 Umgestaltung des Urheberrechts

24:03 Montagsradio-Fragebogen

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/10/25/eine-kultur-des-wandels-uber-systeme-und-rechte/

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Zwischen Verantwortung, Wunsch und Urheberrechtsschutz

Museen, Archive und Bibliotheken beherbergen das kulturelle Erbe einer Gesellschaft. Welche Akteure bestimmen über der Zugang zu unserem kulturellen Erbe und was sind die Hindernisse im heutigen Informationszeitalter, die es für einen “freien” Zugang zu überwinden gilt? Anlässlich der Tagung “Zugang gestalten! Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe”, die am 22. und 23. Oktober im Jüdischen Museum Berlin stattfand, sprechen wir im kommenden MONTAGSRADIO “Vor Ort” mit dem geschäftsführenden Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Börries von Notz.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/10/25/zwischen-verantwortung-und-urheberrechtsschutz/

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Handyverbot oder “Wie ich trotz Jeans in die Gemäldealerie Alte Meister gelassen wurde”

Versucht man in der Galerie Alte Meister  sich mit Hilfe eines Telefons Notizen zu machen, wird man schnell aber bestimmt darauf hingewiesen, dass die Benutzung von Telefonen oder Tablets dort nicht gestattet ist. Wiederkehrendes Argument ist: “Das ist wie eine Kirche hier.” Was ist damit gemeint und wieso das Verbot?

Bringen  Telefone oder Rechner Aktivitäten in die heiligen Hallen des Museums, die ohne technische Unterstützung nicht möglich wären? Fotografieren:  ist ohnehin verboten. Lautes Sprechen: wäre auch analog möglich und verbietet sich durch die Etikette. Übersetzen von Wörtern: können nicht-deutschsprachige Besucher mit mitgebrachten Wörterbuchern erledigen. Einholen von Informationen: geschieht, wie vielfach zu beobachten ist, qua Audioguide, Reiseführer in Buchform oder freundliche Mitarbeiter des Museums.

Wenn also all diese Aktivitäten keineswegs durch die Technik in das Museum gebracht werden, sondern dort schon praktiziert werden, wo ist dann das Problem mit den Geräten? Schäden an den Bildern oder Irritationen der Überwachungstechnik  durch Strahlung oder Elektrosmog sind schließlich nicht zu befürchten, das bestätigt sogar das Museumspersonal.

Nein, der Grund ist, “es ist wie eine Kirche hier.” Das Museum wird zu einem sakralen Ort erklärt, dessen besonderer Status gewahrt bleiben soll. Von Telefonen und Tablets wird vermutet, dass sie per se mit dieser quasi-Transzendenz unvereinbar sind. Die Angst ist, dass die bloße Anwesenheit von Technik die Außeralltäglichkeit der Galerie zerstört: “Wenn einer anfängt, dann benutzen das hier alle.” Dieser Auffassung wiird allerdings nicht konsequent gefolgt, da für die Ausstellung Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500 eine App angeboten wurde.

Eine weitere Befürchtung sind Verstöße gegen das Urheberrecht. “Nicht alle Besucher”, so erfährt man, “wissen, dass sie Fotos nicht einfach ins Internet stellen können, ohne Rechte zu verletzen.” Da das Fotografieren allerdings ohnehin verboten ist und die Rechtsverstöße ja in der individuellen Verantwortung der Besucher liegen, ist das vorbeugende Verbot bestimmter Geräte wenig nachvollziehbar.

Grundlegend für das Technik- und Selbstverständnis der Alten Meister scheint jedoch der Einwand, die Technik würde die Konzentration auf die Kunst vermindern. Anders als Audio-Guides (die bei Maximallautstärke eine erhebliche Lärmbelästigung darstellen können) und Führungen, deren Teilnehmer dem nichts ahnenden Betrachter der Werke unvermittelt den Blick verstellen können, würden Telefone und Tablets auch nicht-kunstbezogene Beschäftigungen erlauben. Ganz anderer Fall als das Gespräch eines Pärchens, dass sich von den Bildunterschriften der Renaissance-Gemälde Inspiration für die Namensgebung ihres Nachwuchses inspirieren lassen wollte–

Was in der Gemäldegalerie Alte Meister zur Zeit mit Strenge durchgesetzt wird, ist eine Einschränkung der Freiheit, mit Hilfe von Technik auf Informationen zuzugreifen, die  nicht von den Ausstellungsmachern bedacht und ausgewählt wurden. Das wenig überzeungende Argument ist eine Störung der Sakralität dieses “Heiligthumes der Kunst”. Da von den Besuchern  analoge (d.h. gedruckte oder menschliche) Informations- und Störquellen durchaus in Verwendung genommen dürfen, bleibt nach dem Besuch des Museums der Eindruck, dass es sich um eine rein ästhetische Entscheidung handelt.

Beim Hinausgehen auf die Straße war ich daher nachträglich verwundert, dass ich mit Jeans bekleidet überhaupt in die heiligen Hallen vorgelassen worden war.

 

Quelle: http://dss.hypotheses.org/659

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