Post Neujahr! Zwei Jahre Mittelalterblog

Wir wünschen ein rauschendes Fest mit dem Kalenderblatt für Januar aus den Très Riches Heures des Duc de Berry (Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Vorgestern wurde das Mittelalterblog zwei Jahre alt – am 29.12.2012 veröffentlichten wir mit dem Rezensionsüberblick Dezember 2012 unseren ersten Beitrag. Vom Säugling, den man liebevoll hegt und pflegt, ist es zum Kleinkind herangewachsen, das erste unsichere Schritte schon hinter sich hat, dabei vielleicht auch manchmal auf den Hosenboden gelandet ist – doch die Entwicklung ist nicht zu leugnen. Inzwischen aber kommuniziert dieses Kleinkind kontinuierlich, und es findet das, was auf unterschiedlichem Niveau viele Menschen – vom Säugling bis zum Lehrstuhlinhaber – erst zur Hochform auflaufen lässt: Aufmerksamkeit.

Schauen wir darauf zurück, wie sich unser „Baby“ entwickelt hat, so stellen wir fest, dass sich gerade in dem vergangenen Jahr viel verändert hat. Was vormals als Experiment mit vorläufiger Versuchsanordnung und ungewissem Ausgang begann, hat sich mittlerweile zu einem der führenden Blogs der deutschsprachigen Mediävistik entwickelt. Wir haben das vielleicht ganz versteckt erhofft, doch zu erwarten war es nicht. Der 3. Platz beim de.hypotheses Blogaward 2014 (Jurywahl) und die aktuelle Nominierung für das Wissenschaftsblog des Jahres 2014 (bis zum 1. Januar, 24 Uhr kann noch abgestimmt werden!) sind nicht nur eine wunderbare Wertschätzung unseres bisherigen Engagements, sondern auch unser Motor, 2015 nicht nachzulassen. Über die kontinuierliche Aufnahme unserer wissenschaftlichen Artikel in den RI-Opac und, nach ISSN-Vergabe und Zuteilung einer ZDB-ID schon 2013, unsere kürzlich erfolgte Aufnahme in die Elektronische Zeitschriftenbibliothek, erreichen wir dankenswerterweise ein größeres Fachpublikum. Auch die besondere Unterstützung durch de.hypotheses ist eine schöne Anerkennung unserer Arbeit. Deren unermüdliches Rühren der Werbetrommel für uns wie überhaupt für alle Blogs des Portals ist sicherlich ein Grund, warum unser Blog sich zunehmend etabliert. Und dass immer wieder einige unserer Beiträge für den Slider ausgewählt werden, spornt uns an, den gewohnten Standard nicht zu unterschreiten.

Was hat sich verändert? Über das Jahr hat sich ein kleiner, aber feiner Stamm von Autorinnen und Autoren gebildet, die nun öfter längere Beiträge posten und zusammen mit unseren beliebten Serien Calenda, Jacques de Vitry, IMC Leeds und den Rezensionsüberblicken ein abwechslungsreiches Leseangebot unterbreiten. Zugegebenermaßen haben wir insgesamt noch etwas „Historikerüberschuss“ , doch gab es gleich zu Beginn des Jahres einen Beitrag aus der altskandinavistischen Literaturwissenschaft in unseren 1000 Worten Forschung, dem nicht lange danach eine philosophiegeschichtliche und eine kunsthistorische Projektvorstellung folgten. Die erwähnte Vitry-Übersetzung leistet mit Christina Franke wiederum eine Theologin.

Auch haben wir dieses Jahr zum ersten Mal ein laufendes Habilitationsprojekt den bisher gut vertretenen Dissertationsvorhaben hinzugesellen können. Besonders erfreulich ist die immer größere Beteiligung aus „altehrwürdigen“ Instituten. So haben Andreas Kuczera von den Regesta Imperii sowie Christian Lohmer und Nikola Becker von den Monumenta Germaniae Historica bereits zwei oder mehrere Beiträge für uns verfasst; hinzu kam Andrea Rzihacek von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die ihr Leeds-Paper bei uns veröffentlicht hat. Martin Bertram (DHI Rom) hat erstmals eine rechtsgeschichtliche Teiledition als Beitrag beigesteuert, die von höchster fachlicher Qualität ist. Auf Jan Keupps (WWU Münster) Vorschläge warten wir mittlerweile fast schon ungeduldig. Daneben haben aber auch manche das erste Mal zur Tastatur gegriffen und unseren Autorenkreis vor allem auch international erweitert. Zweimal französischsprachige 1000 Worte, ein Opusculum eines spanischen Forschers und die häufiger werdenden englischsprachigen Beiträge sind nur einige Beispiele dafür.

Zugriffe-2014

Zugriffe aufs Mittelalterblog im Lauf des Jahres 2014 - die Grenzen des Wachstums sind noch nicht erreicht... Quelle: openedition.org

Und auch die Leserschaft wächst beständig. Schauen wir im analogen tête-à-tête nun schon viel seltener  in verständnislose Gesichter und treffen immer häufiger auf „Ja wir lesen auch fleißig mit!“, wenn wir über das Blog berichten, so zeigt sich das auch in der Blogstatistik:  Hatten wir im Januar 2014 noch etwas mehr als 4100 unique visitors, so schauten gut  7700 Leser  im November vorbei; und für Dezember nähern wir uns der Zahl 9000.

Die größere Bekanntheit hat auch zu einer Auffächerung des Beitragsspektrums geführt, so dass wir nach der  Sommerpause mit  neuer, verbesserter Navigationsstruktur an den Start gegangen sind. Wissenschaftliche Artikel sind nun getrennt von anderen Beitragsformen, Berichte und Rezensionsüberblicke haben jeweils einen eigenen Platz bekommen;  im Forum gibt es verschiedene Möglichkeiten in den wissenschaftlichen Austausch zu kommen, wofür auch die Kommentarfunktion tatsächlich intensiver genutzt wird. Hier darf wohl Werner Paravicini zitiert werden, der in unserer "Digitalen Kaffeepause" um Mithilfe bei der Identifikation eines "nicht identifizierten Gesellschaftszeichens auf dem Grabstein des Konrad von Kraig" bat und den prompt zwei Kollegen mit äußerst zielführenden Hinweisen unterstützen konnten : „So ein Blog ist wirklich effizient!“ (mail an M.B.vom 17.11.2014)

Ein Highlight war natürlich unser Blogworkshop (#bsmm14) im Juni am DHI in Rom. Abgesehen davon, dass das DHI Rom damit seiner Kooperationszusage postwendend hat Taten folgen lassen und uns die Max-Weber-Stiftung technisch größte Unterstützung gewährt hat, war der Workshop ein wichtiger Schritt, um den Status quo des Wissenschaftsbloggings in der Mediävistik abzuklopfen. Die Ergebnisse wurden zum einen in unserer donnerstäglichen Videoserie  – das letzte Video kam kurz vor Weihnachten -, mit Hilfe der Max-Weber-Stiftung verfügbar gemacht. Das geplante „Römische Manifest“ zu Blogs und Social Media für Mediävisten steht in den Startlöchern.

Wie immer wollen wir uns aber nicht auf Jubelarien und Selbstlob beschränken. Wäre das Blog wirklich ein Kind, könnten wir es getrost noch ein paar Jahre auf seiner Spielwiese belassen, ohne es mit Zwangsjacken frühkindlicher Bildung zu traktieren. Doch als mediävistische Kommunikationsplattform stellen sich uns Fragen nach der Entwicklungsperspektive für das neue Jahr: Wir sind bewusst als Gemischtwarenladen gestartet – aber ist das noch das, was unsere Leser wollen (und was uns Spaß macht)? Ganz konkret: Können wir uns CFPs und Veranstaltungsankündigungen künftig sparen oder doch zumindest in komprimierter Form abhandeln? Dann käme zum Rezensionsdigest der CFP- und Veranstaltungsdigest, sozusagen ‚Calenda für alle‘. Wir wollten weder Rezensionsorgan noch herkömmliches Onlinejournal sein: Verschiedentlich haben wir aber Ausstellungen rezensiert und einige Beiträge der Opuscula - und gerade die neuste Edition - gehen doch in eine Richtung „ausgewachsene Publikation“. Und natürlich die Gretchenfrage allen wissenschaftlichen Bloggens: Warum lesen uns so viele Kolleginnen und Kollegen, aber warum ist die Kommunikation über die Kommentarfunktion immer noch relativ eingeschränkt? Ein wenig wie im Proseminar: Es gehen immer die gleichen vier Hände hoch,  obwohl man als Dozent genau weiß, dass Student A in der zweiten Reihe und Studentin B außen rechts intensiv mitdenken und auch etwas zu sagen hätten. Wie also diese Seminarsituation aufbrechen? Direkte Ansprache ist ja schwierig; vielleicht mit einem anonymen Evaluationsinstrument?

Wie immer bitten wir um Rückmeldungen, die für uns unverzichtbar sind. Und wir danken unseren institutionellen Unterstützern, dem DHI Rom und dem Fachgebiet Mittelalterliche Geschichte an der TU Darmstadt, die uns erst die Freiräume ermöglichen, dieses Blog zu betreiben, und natürlich all unseren Besuchern und Autoren fürs treue Anklicken, Mitlesen und noch mehr für Beiträge und Kommentare im vergangenen Jahr. Wir freuen uns auf 2015 auch auf dem Mittelalterblog.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5014

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Jahresrückblick 2014: Museum, Erinnerung, Medien, Kultur in anderen Blogs

MusErMeKu hat keine Blogroll – aber dafür einen praktischen Jahresrückblick mit empfehlenswerten Blogbeiträgen zu den Themen Museum, Erinnerung, Medien und Kultur in anderen Blogs: Februar Sascha Foerster (@Sascha_Foerster): Wissenschafts-Crowdfunding für die „Deutsche Nachkriegskinder“-Studie. Mehr Wissenschaft wagen! Sascha Foerster ist etwas gelungen, was nicht viele von sich behaupten können: Er hat mit seinem wissenschaftlichen Crowdfunding-Projekt bei Sciencestarter erfolgreich sein Finanzierungsziel erreicht. Für seine „Suche nach den Nachkriegskindern“ hat er zwei Monate lang kräftig die Werbetrommel gerührt und so 99 Unterstützer von seinem Forschungsprojekt überzeugen können. […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/2239

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Aktenstücke gut zitieren

Historiker, die im Archiv forschen, sind sich oft unsicher, wie sie Aktenschriftstücke zitiert werden sollen. Jedenfalls wurde ich mehrfach darauf angesprochen, seit ich dieses Blog betreibe. Hier also Faustregeln eines Historiker-Archivars zum guten Zitieren:

  1. Nenne den Typ des Schriftstücks!
  2. Gib Entstehungsstufe und Überlieferungsform an, wenn sie von der Norm abweichen.
  3. Übergehe kanzleitechnisches Beiwerk.

Was ist darunter zu verstehen?

Das Problem

Ich schreibe bewusst "gut" statt "richtig zitieren", denn den einzig wahren Weg gibt es meiner Auffassung nach nicht. Was anzugeben ist und was nicht, sollte sich nach den Eigenheiten des zitierten Schriftstücks und dem Argumentationszusammenhang in der zitierenden Arbeit richten. Eine Zitation würde ich als gut bezeichnen, wenn ihr Informationsgehalt in diesen beiden Bezügen angemessen ist.

Normalerweise wird zu Zitaten aus Archivalien nur die Fundstelle angegeben, also eine mehr oder weniger komplizierte Sigle, die es erlaubt, den zitierten Text im Archiv exakt wiederzufinden. Dazu braucht es neben der meist dreiteiligen Archivaliensignatur (Archiv, Bestand, Bestellnummer) die Blattzahl (fol. oder Bl.). Manche Zeitschriften untersagen in ihren Manuskriptrichtlinien sogar weitergehende Beschreibungen als zur Wiederauffindung unnötig. Kostet im Druck eben Platz.

Das ist etwa so, als würde man eine Online-Veröffentlichung nur mit ihrem URN zitieren.

Und man kommt schon in Schwierigkeiten, wenn die Archivalien-Einheit, aus der zitiert wird, nicht foliiert ist. Das Schriftstück dann durch das Datum näher zu bezeichnen, wie ich das in meinem Erstling auch getan habe (Berwinkel 1999 - um mit schlechtem Beispiel voranzugehen), hilft nur bei weniger dichten Serien, bei denen dies ein eindeutiges Merkmal ist, und setzt für die nicht triviale Datierung unübersichtlicher Entwürfe selbst aktenkundliche Expertise voraus. Weit kommt man damit also nicht.

Der Schriftstücktyp

Es liegt nahe und ist verbreitet, Verfasser und Adressat plus Datum zu nennen: X an Y, 1. 1. 1900 (oder 1900 Januar 1 oder wie auch immer). Aber was tun, wenn es sich nicht um Korrespondenz mit Y handelt, sondern um Aufzeichnungen für die eigenen Akten des X? In diesem Fall führt schon rein sprachlich kein Weg daran vorbei, das Schriftstück näher zu charakterisieren.

Aus dieser praktischen Not sollte man eine methodische Tugend machen. Durch die Suche nach der treffenden Bezeichnung für ein Schriftstück vergewissert man sich des richtigen Verständnisses von dessen Form und Funktion, die als Kontext der Textinformation für die Quellenkritik entscheidend sind, und gibt seinen Lesern ein Hilfsmittel zur Falsifizierung der eigenen Schlüsse an die Hand. Gutes Zitieren zwingt zur Stellungnahme.

Bei der Benennung des Typs geht es um die Identifizierung des Zwecks einer verschriftlichten Information (Mitteilungen an Entfernte, Stütze des eigenen Gedächtnisses usw. - siehe Papritz 1959) und, bei Korrespondenzen, der aktenkundlich so genannten Schreibrichtung. Die Schreibrichtung ist ein elementares quellenkritisches Merkmal. Aktenstücke in öffentlichen Archiven stammen zumeist aus hierarchischen Institutionen, die das Verhältnis der korrespondierenden Personen bestimmten. Es wird von unten nach oben berichtet, von oben nach unten verfügt oder auf gleicher Ebene mitgeteilt.

X schreibt an Y mit einem bestimmten Inhalt - gut. Aber berichtet er seinem Vorgesetzten Y oder weist er seinen Untergebenen Y an? Die Bedeutung dieses Kontexts für die Interpretation des Texts liegt auf der Hand. Also zitiert man besser:

X an Y, Bericht, 1. 1. 1900, oder:
Behördenreskript der Kriegs- und Domänenkammer X an den Bergbaubeflissenen Y, 31. 12. 1770.

Entsprechend bei immobilem Memorienschreibwerk, wie man es aktenkundlich nennt:

X, Aktenvermerk, 30. 9. 1965, oder:
Abrechnung des Amtmanns X, 12. 12. 1701.

Ich bevorzuge die Stichwortform ohne Genitive. Man muss die Umständlichkeit der Quellensprache nicht emulieren.

Zweck und Form haben im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedliche Typen von Schriftstücken hervorgebracht. Die Aktenkunde hat die zeitgenössischen Bezeichnungen vereinheitlicht und systematisiert. Im Ergebnis liegt ein sehr fein differenziertes Instrumentarium vor, das für die "klassische" Zeit bis 1918 bei Kloosterhuis (1999) mustergültig und handhabbar zusammengestellt ist. Dieser Begriffsapparat kann beim Erstkontakt abschreckend wirken. Am Gebrauch der aktenkundlichen Verabredungsbegriffe führt aber kein Weg vorbei, weil nur über diese eine wissenschaftliche Verständigung möglich ist. Man sollte sich nicht, wie es oft geschieht, eine private Terminologie aus zeitgenössischen Selbstbezeichnungen der Stücke und heutiger Umgangssprache stricken.

Die Bestimmung des Schriftstücktyps (Klassifizierung im Sinne der Systematischen Aktenkunde) betrachte ich als unverzichtbar, um ein Schriftstück als physischen Informationsträger angemessen zu zitieren.

Entstehungsstufe und Überlieferungsform

Bei Entstehungsstufe und Überlieferungsform halte ich es aber für ausreichend, Abweichungen von der Norm anzugeben. Dazu muss man diese beiden Kriterien aber zunächst vom Schriftstücktyp unterscheiden. Zur Illustration des Problems hier einige Beispiele aus der inhaltlich vorzüglichen Arbeit von Simone Derix (2009), die ich zufällig in den Händen hatte:

"Abschrift BM Lehr an StS BKAmt" (40 Anm. 63) - eine Abschrift wovon? Doch wohl von einem Mitteilungsschreiben unter praktisch gleich Gestellten (Bundesminister - Amtschef des Bundeskanzlers).
"Paper prepared in the Department oft State, Washington" (259 Anm. 240) - das ist ein Zitat aus dem Inhalt (Überschrift?), aber keine Charakterisierung.
"Funkübermittlung, BKA" (293 Anm. 49) - Was wird übermittelt, ein Bericht? Und in welcher Form liegt das Stück in den Akten vor? Schließlich musste die drahtlose Übermittlung verschriftlicht werden.

Korrespondenz liegt in Behördenakten in der Regel in zwei Entstehungsstufen vor:

  1. Eigene ausgehende Schreiben im Entwurf, der von allen zuständigen Instanzen genehmigt wurde und infolge dessen eine Reihe von Vermerken zum Urtext trägt.
  2. Fremde eingehende Schreiben als Ausfertigung, wie sie in der Kanzlei des Absenders als Reinschrift von dessen Entwurf hergestellt wurde.

Wenn nun in den Akten einer Behörde ein Bericht an das Ministerium als Entwurf vorliegt und dessen darauf folgender Erlass als Ausfertigung, dann ist das normal und muss beim Zitieren nicht beachtet werden.

Hoch relevant sind dagegen die Abweichungen von der Norm: Warum ist die Ausfertigung des eigenen Berichts bei den Akten? Ist er niemals abgegangen, wurde er im letzten Moment kassiert? Warum zeigt der Entwurf keine Spuren des Genehmigungsverfahrens? Im Zitat kann dies so ausgedrückt werden:

X an Y, Bericht, nicht genehmigter Entwurf, 15. 5. 1925.
Kabinettsordre Herzog Xs an den Amtmann zu Y in nicht vollzogener Ausfertigung, 1781 März 18.

Die Überlieferungsform ist etwas anderes. Ihre Kategorien sind Original - Abschrift/Kopie - Durchschlag usw. Hier findet man sich am ehesten instinktiv zurecht, dennoch drohen schwere Fehler: Ausfertigung und Original sind nicht identisch; auch von einem Entwurf gibt es ein Original (und beliebig viele Doppelstücke als Durchschläge oder Kopien). Auch "Abschrift" sagt nichts über den Typ des Schriftstücks aus.

Gleichwohl ist die Angabe der Überlieferungsform essentiell, sofern es sich nicht um das Original handelt. Es ist leicht einzusehen, dass es einen Unterschied macht, ob z. B. ein Schreiben des späten Mittelalters vom Original (der Ausfertigung oder des Entwurfs) oder von der Abschrift in einem Briefbuch zitiert wird.

Es geht um den Nachweis, die Quelle in ihrer maßgeblichen Form benutzt zu haben. Daran erweist sich auch das handwerkliche Können bei der Archivrecherche: Es war z. B. normal, einen Bericht der vorgesetzten Behörde mit einer bestimmten Zahl von Durchschlägen (der Ausfertigung) einzureichen, die an die zuständigen Stellen im Hause verteilt wurden. Das Original blieb dabei das Arbeitsexemplar, auf dem die Entscheidungsfindung (wie soll auf den Bericht reagiert werden?) durch Vermerke dokumentiert ist. Auf diese Bearbeitungsspuren richtet sich das historische Interesse manchmal mehr als auf den Urtext. Wer zufällig auf einen Durchschlag stößt und es dabei bewenden lässt, zitiert nicht die maßgebliche Überlieferung und begeht damit einen schweren methodischen Fehler.

Wenn nun das Arbeitsexemplar verloren oder nach Ausschöpfung aller Mittel nicht aufzufinden ist, muss ausgewiesen werden, dass ausnahmsweise nach einer sekundären Überlieferungsform zitiert wird:

X an Y, Bericht, Durchschlag, 23. 5. 1949.
Kopie der Ausfertigung des Erlasses des Ministerialrats X an das Finanzamt Y-Innenstadt, 3. 6. 1980.

Konzentration auf das Wesentliche

In der Archivarbeit führt Unsicherheit zum Drang nach Vollständigkeit: Ein normales Behördenschriftstück enthält eine große Menge von Bearbeitungsspuren, vom Eingangsstempel bis zum Grünstift des Chefs. Aus Furcht, etwas wichtiges zu unterschlagen, bringen viele Wissenschaftler eine methodisch unreflektierte Auswahl aus den formalen Merkmalen des Schriftstücks, die das Wesentliche eher verschleiert.

Hier ein Beispiel aus einem ausgezeichneten Aufsatz, dem wegen seiner tagespolitischen Aktualität breite Rezeption zu wünschen ist (Spohr 2010: 30 Anm. 89):

"Drahterlass, Telko Nr. 1374 an BM Delegation, D2, Dr Kastrup; Betr: Gespräch mit AM Schewardnadze (10.2.1990 im Kreml)—Fortsetzung zu Plurez 1373, 11 February 1990"

Hier sind überflüssig:

  1. der Betreff,
  2. der Bezug zum Vorgänger-Erlass,
  3. die fernmeldetechnische Kontrollnummer.

Nicht optimal ist die unverarbeitete Angabe des Adressaten in Form eines Zitat (und das auf Deutsch, mit nicht aufgelösten Abkürzungen, in einem englischen Text).

Als Zitation reicht: Auswärtiges Amt an Kastrup, Drahterlass, 11. 2. 1990.

Rein kanzlei- und registraturtechnische Vermerke, bei modernen Schriftstücken auch Angaben zum Beglaubigungsmittel und dergleichen haben nur in Ausnahmefällen eine Bedeutung. Diese Fälle sind wichtig, aber aktenkundliche Forensik lässt sich in einer Zitation aber nicht mehr unterbringen, sondern verlangt Erläuterungen im Text.

Dass sie in der Zitation übergangen werden können, bedeutet keineswegs, dass diese technischen Spuren als Bestimmungsfaktoren ignoriert werden können! Schließlich ergeben sich der Schriftstücktyp, die Entstehungsstufe und die Überlieferungsform aus ihren Kombinationen. Aber wenn das Haus gebaut ist, soll das Gerüst verschwinden.

Über Kommentare zu zitiertechnischen Spezialproblemen würde ich mich freuen.

Literatur

Berwinkel, Holger 1999. Münzpolizei in geteilter Landesherrschaft. Beobachtungen aus der Ganerbschaft Treffurt 1601-1622. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 49. S. 67-86.

Derix, Simone 2009. Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 184. Göttingen.

Kloosterhuis, Jürgen 1999. Amtliche Aktenkunde der Neuzeit. Ein hilfswissenschaftliches Kompendium. Archiv für Diplomatik 45. S.465–563. (Preprint online)

Papritz, Johannes 1959. Die Motive der Entstehung archivischen Schriftgutes. In: Mélanges offerts par ses confrères étrangers à Charles Braibant. Brüssel. S. 337–448.

Spohr, Kristina 2012. Precluded or Precedent-Setting?: The "NATO Enlargement Question" in the Triangular Bonn-Washington-Moscow Diplomacy of 1990-1991. In: Journal of Cold War Studies 14. S. 4-54.

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/289

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Soundtrack zum Ersten Weltkrieg – Einstürzenden Neubauten und die Vertonung von Geschichte

Die Einstürzenden Neubauten (Album: Lament, 7.11.14, BGM) haben die Geschichte des Ersten Weltkriegs vertont: beeindruckend, verstörend, mitreißend und: eine Erinnerung für HistorikerInnen, an der Sprache und an den Erzählungen kritischer Geschichte zu arbeiten, klar und deutlich zu sein, ohne zu propagieren, damit sie verständlich bleibt und sich versendet…


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/12/30/soundtrack-zum-ersten-weltkrieg-einsturzenden-neubauten-und-die-vertonung-von-geschichte/

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Rückblick, Ausschau

Auch aus Bloggerperspektive ist die Jahresendzeit eine gute Gelegenheit für Rückschauen auf das, was man so produziert hat. Einerseits kann man sich dadurch selbst gut zureden, dass man trotz aller Zweifel an der eigenen Blogfähigkeit doch tatsächlich etwas veröffentlicht bekam. Andererseits hofft man, dass der ein oder andere imaginäre Leser (oder gar tatsächliche Leserin?) einen Post übersehen hat, der im Nachhinein doch noch von Interesse ist. Oder es gelingt sogar, durch einen solchen Rückblick Ideen für mögliche weitere Blogposts zu entwickeln.

Tatsächlich habe ich einen solchen Jahresrückblick im letzten Jahr verpasst, da das Jahresende in eine längere Blogpause fiel, aus der ich nur herausgekommen bin, indem ich ein dickes Meta bemühte. Den letzten Rückblick verfasste ich auch nicht als Schau auf das vergangene Jahr, sondern anlässlich der Lieblingsblogwahl meiner Plattform de.hypotheses im Jahr 2013. Aus dem Publikumspreis für den 4. Platz dort wurde im Jahr darauf ein geteilter 5. Platz bei der Jurywahl 2014, was mich selbstredend erfreute, wenngleich auch ein wenig überraschte.

Gleich drei Posts in diesem Jahr beschäftigten sich mit meiner Arbeit als Postdoc an meinem Lehrstuhl: Allgemeines zum Lehrdeputat, Spezielles zur Planung einer Lehrveranstaltung und etwas weiter Ausgeholtes zur Organisation multipler Tasks. Großes Thema in diesem Jahr war auch wieder das Voynich-Manuskript, was auch über diesen Blog hinaus Schatten warf. Ich wurde von Holger Klein für seinen Kanal Wrint interviewt und durfte meinen Post zur Theorie von Torsten Timm für die Online-Zeitung Ruhrbarone ausbauen und und in der Folge verteidigen. Die eingefleischte Garde der Voynich-Forscher wehrt sich zwar noch immer ein wenig gegen Torstens Ansatz - aber ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr (vielleicht in einer Gemeinschaftsarbeit) dazu kommen, die Bedenkenträger durch neue informationstheoretische Belege ein wenig mehr aus der Reserve zu locken.

Komplettiert wurde der Blog in diesem Jahr von Posts, die sich in zwei Schubladen stecken lassen, die ich immer mal wieder bediene: Zum Einen habe ich einen Fetisch für statistisch-kombinatorische Probleme, die ich trotz unzureichendem mathematischen Handwerkszeug zu lösen versuche, wie hier die Wichtelproblematik (auf Twitter hatte ich das etwas großspurig als Problemlösen im 21. Jahrhundert: Googlen, Denken, Programmieren angekündigt).

Ein wenig ernsthafter unternehme ich Versuche, mich bei bestimmten Themen, bei denen ich als Computerlinguist/Sprachwissenschaftler/Informationsverarbeiter/Programmierer über ein mehr oder weniger fundiertes Wissen verfüge, in laufende Diskussionen einzumischen, wie ich das hier zu Algorithmen oder hier zu Programmiersprachen als Teil der Schulbildung getan habe.

Eine Handvoll Ideen sind mir nun tatsächlich während des Schreibens an diesem Blogpost gekommen - insofern hat er sich für mich schon gelohnt. Und so bleibt mir noch, allen (imaginären?) Leserinnen und Leser einen guten Start ins Jahr 2015 zu wünschen!

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1251

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End-Tag-Mysterium in Bleeding Edge

Mit viel Freude habe ich zuletzt Pynchons Bleeding Edge gelesen, was mich ein bisschen fertig macht, ist in Kapitel 20 allerdings dieser Fehler im End-Tag von Erics T-Shirt:

p-end-tag1
(Rowohlt, Epub-Version)

Im Rowohlt-Imagefilm ist das Tag korrekt dargestellt:

p-end-tag2
http://youtu.be/J6I8zNcKra8

Im englischen Original steht ebenfalls korrekt:

p-end-tag3
(GBS)

Ein Versehen? Eine geheime Botschaft des Rowohlt-Lektorats? Des Übersetzers? Was kündigt sich hier an? Eine bewaffnete Befreiungsfront für sauberes HTML etwa?

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022382001/

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God-Porn oder: Vom Jesuskind im Trikot und übermenschlichem Muskelspiel

Die Diffusion religiöser Elemente in die Populärkultur ist in den letzten Jahren bereits thematisiert worden (vgl. Knoblauch 2009). Religiöse Events werden medial überformt, religiöse Narrative in populärkultureller Gestalt an anderer Stelle aufgegriffen – in Diskussionen über Leben und Tod, aber auch materiell manifestiert. Wir kennen Buddha-Statuen in Einrichtungshäusern, Yin-und-Yang-Symbole in Wellness-Anstalten und Engelsflügel als Kettenanhänger.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

"MY GOD IS A DJ" von monsieur haze. CC BY-NC-ND.

Ganz allgemein lassen sich diese Übernahmen vielleicht als Verweis auf das Faszinosum Religion deuten. Letztere ist noch präsent im kulturellen Gedächtnis, ihre Bilder und Begriffe rufen Assoziationen hervor – aber sie hat für viele ihre Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit verloren. Religiöse Symbole taugen deshalb als faszinierendes, geheimnisvolles, und damit oft attraktives und schmückendes Lifestyle-Accessoire für Einrichtung, Kleidung, Körperschmuck. (Damit ist übrigens, erstens, kein dystopischer Unterton verbunden. Zweitens ist damit nicht impliziert, dass es sich hier um einen Transfer von genuin religiöser Gedankenwelt in eine genuin nicht-religiöse Umwelt handele: Hier soll beides als stetig untrennbar verbunden begriffen werden und zudem das, was hier als „religiös“ benannt wird, nur als diskursiv im Feld der Religion verortbar verstanden.)

Trotzdem ist dieses Thema noch erstaunlich wenig systematisch unerforscht. Vielleicht auch, weil es umfangreiche Kautelen – wie in der vorangegangenen Klammerbemerkung nur kurz angerissen – mit sich bringt. Ich werde dennoch später darauf eingehen, warum es eine fruchtbare Perspektive kulturwissenschaftlicher Religionsforschung sein kann. Zunächst möchte ich dafür aber ein einschlägiges Beispiel vorstellen.

Über 5 Minuten ist der Werbespot „The Game before the Game“ lang, der für die Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer produziert wurde, mit einem riesigen Staraufgebot (von Neymar Jr. über Schweinsteiger zu Suarez und van Persie, aber auch VIPs anderer Provenienz wie LeBron James, Serena Williams, Lil' Wayne oder Nicky Minaj) aufwartet und, das nur am Rande, für Kopfhörer der Marke „Beats by Dr. Dre“ wirbt. Der Clip ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Und: Fußball wird in ihm ganz fest mit Religion vernäht. (Das ist auch insofern spannend, als dass er die üblichen „Fußball-als-Religion“-Debatten deutlich in den Hintergrund verweist, indem er klare visuelle und narrative Referenzen auch auf „traditionelle Religionen“ bietet.) Schaut euch den Clip hier an:

Meines Erachtens spielen religiöse Elemente hier auf drei Ebenen eine eminente Rolle: In einer christlich geprägten Rahmenerzählung, in einer ritualgeprägten Visualität, und in der Stilisierung der Fußballspieler zu einem neuen griechischen Götterpantheon.

  • Zur Rahmenerzählung: Neymar Jr., einer der Helden dieses Clips (und tragischer Held der folgenden WM) telefoniert vor dem Eröffnungsspiel mit seinem Vater. Dieser ermahnt ihn, zu rennen wie niemals zuvor, glücklich zu sein, sich nicht zurückzuhalten, keine Hemmungen zu haben. Am Ende des Clips folgt den Ratschlägen die Ermutigung, während Neymar als dunkle Gestalt auf einen hellen Durchgang zusteuert: „Put God's army in front of you. Wear Gods armour from the helmet to the sandals. Go with God. God bless you.“ - Vermutlich ein Verweis auf Epheser 6.11-18: Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr zu bestehen vermöget wider die Listen des Teufels. […] beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens [...] Nehmet auch den Helm des Heils“. Wie auch immer, die Einbettung in christliche Tradition ist deutlich und passt zu Neymars eigenen Überzeugungen, soweit sie der Öffentlichkeit bekannt sind.
  • Zur ritualgeprägten Visualität: „The Game before the Game“ lautet der Titel des Clips, und es geht demzufolge um die Vorbereitung aller Beteiligten – Spieler, Fans, Reporter – auf das Fußballspiel. Diese Vorbereitungen bestehen geradezu ausschließlich darin, Rituale durchzuführen und Glücksbringer zu aktivieren. Neben einigen Bezügen auf die Nation – Fahnen schwenken und schminken, die Unterwäsche oder den Nagellack in Landesfarben wählen – finden sich eine Vielzahl religiöser Referenzen: ein Hausaltar mit Jesuskind in Fußballtrikot, ein Ritual mit möglicherweise amazonas-indianischen Bezügen (Hinweise werden gern genommen, gemeint ist die Sequenz bei 3:50), das Versenken im Gebet und viele kleinere beschwörende und rituelle Handlungen wie das Anbringen von Glücksbringern bei Fans ebenso wie Fußballern. Stetiger Bezugspunkt ist auch hier, dem Titel des Clips gemäß, die optimale Vorbereitung auf das Spiel: Alle Register werden gezogen, um Gott und Glück auf die jeweils eigene Seite zu schlagen.
"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY_NC_SA.

"Aztec Gods" von Andrew Becraft. CC-BY-NC-SA.

  • Zur Stilisierung der Fußballer: Im Gegensatz zu den anderen Ebenen ist diese deutlich weniger explizit, sie drängt sich nur bei einem Blick auf abstrakterer Inszenierungsstrategien auf. Markant ist aber gleich der Beginn – ein Schelm, wer Böses (d.h. hier: Riefenstahlsches) dabei denkt: Mit Neymar Jr. fliegen wir über Meer und Land, durch die Wolken herab in die Niederungen der jubelnden Menge, die uns frenetisch begrüßt. Und im Folgenden ist körperbetonende Heldenhaftigkeit die Leitlinie der Darstellung: Die Beherrschung des Balles, lässige Gänge durch die Flure, von hinten betrachtet, vor allem aber Körperlichkeit bis hin zu deutlicher Erotisierung durchziehen das Video. Viel Nacktheit, Muskelspiel, Tattoos, Schweiß und die rituell-feiernde Pflege des männlichen Körpers, all dies macht den Fußballer zu einem sexualisiertem Helden. Die einsame Inszenierung – nie geht es um eine Mannschaft, nie sind mehrere Fußballer gleichzeitig zu sehen – das Kämpfen, das Beherrschen besonderer Fähigkeiten, das frenetische Gefeiertwerden, die Verehrung durch die (auch weiblichen) Fans, die Bilder ihrer Helden austauschen, sich am Körperbefestigen, für sie ihren Körper verändern (bis hin zur Tätowierung), es macht sie zu angebeteten, übermenschlichen, halbgotthaften Gestalten und Heilsträgern.

Zum Clip könnte noch viel mehr gesagt werden. Etwa zur Musik, die immer wieder die Zeile „Ain't no God in these streets/in the heart of the jungle“ wiederholt. Zum Bezug zum Titel, „The Game before the Game“, oder zu den fast vergessenen Kopfhörern. Hier aber stattdessen zurück zu religiösen Elementen in populärer Kultur: Die sind im geschilderten Beispiel auf verschiedenen Ebenen zu finden, und greifen dort jeweils auf unterschiedlichste Traditionsbestände zurück. Diese Bricolage begünstigt auch die Freiheit, gleichermaßen visuelle Marker wie Rollen- und weitere Referenzen zu verbinden und macht die Vielfalt möglicher Verweise nachdrücklich deutlich.

Warum nun diese Betrachtung? Sicher lässt sich nichts über die Wirkung sagen – ob durchschnittliche Betrachter*innen angesichts des Clips religiös musikalisch werden, ist zweifelhaft. Ebenso lässt sich über produzentenseitige Intentionen nur spekulieren. Einzig möglich ist daher so etwas wie eine Diskursanalyse religiöser Narrative. Was nutzt dies, über den unterhaltsamen Einzelfall hinaus? Der Aufgriff und die Adaption religiöser Narrative jenseits dessen, was gemeinhin als das eigentliche religiöse Feld verstanden wird, lässt Rückschlüsse zu auf das, was an Religion mit Blick auf breite gesellschaftliche Schichten als attraktiv verstanden wird. Oder besser: auf die Schnittmenge von Religion und gegenwärtig Interessantem, Reizvollem, Erstrebenswertem. Das individuell ermutigende traditioneller religiöser Botschaften und die magischen Werkzeuge, mit denen sich ein Geschick steuern lässt, so lässt sich dem Clip entnehmen, sind populärkulturell anschlussfähige Faszinosi. Religion als Werkzeug und als Entlastung, das könnten demnach zwei größere Themen sein, die sich weiterverfolgen ließen, wenn es um den Aufgriff religiöser Narrative in Narrationen der Populärkultur geht. Ein weitere Thema ist die Attraktivität übermenschlicher Lichtgestalten, die das leisten, was wir nicht können – attraktiv in doppeltem Wortsinne, denn angesichts der Figuren wird deutlich, wie sehr die Halbgötter menschlichen Schönheits- und Sexualitätsvorstellungen unterworfen sind. All dies gibt zunächst Aufschluss über Gesellschaft, nicht über religiöse Traditionen im klassischen Sinne. Eine Sprachfähigkeit hierzu steht aber auch Religionswissenschaftler*innen nicht schlecht zu Gesicht. Und davon ausgehend, dass wechselseitige Beeinflussungen an der Tagesordnung sind, oder aber sich Gesellschaft und Religion überhaupt nicht voneinander scheiden lassen, ist die Untersuchung solcher Adaptionsprozesse umso wichtiger für gegenwärtige Religionsforschung.

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Quelle: http://marginalie.hypotheses.org/53

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Das widersprüchliche Erbe Karl Polanyis – von Florian Finkbeiner

Karl Polanyi gilt als Mitbegründer der Wirtschaftssoziologie. Mit The Great Transformation liefert er einen Hauptbeitrag zur Soziologie der Märkte. Darin beschäftigt er sich mit der Geschichte des Kampfes zwischen Gesellschaft und Markt vor allem ab dem 19. Jahrhundert. Seine Kernforderung … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/7640

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