Ausstellung zu 20 Jahre Monochrom im MUSA, Wien 29.1.-27.4.2013

Das geschätzte Kunst-, Theorie- und Bastelkollektiv monochrom wird 20 und schenkt sich sowie uns allen die Ausstellung Die waren früher auch mal besser. monochrom (1993-2013). Gezeigt wird diese bis zum 27.4.2013 im MUSA, dem Museum auf Abruf, Felderstraße 6-8, 1010 Wien und nur gut, dass die mediale Resonanz (ORF ON, FM4, Standard, ...) so erfreulich ist.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/235546735/

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Arabische Revolution 2011: Wie viel Veränderung ist möglich?

  Vor fast genau zwei Jahren begannen die Ägypter mit ihrer Protestbewegung, die schließlich in der Revolution und im Sturz ihres ehemaligen Präsidenten Mubarak münden sollte. Auch mich haben die Bilder der standhaften Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz beeindruckt. Sie waren so entschlossen, wirklich etwas zu verändern. Und ich habe dabei auch oftmals an die erfolgreiche Friedliche Revolution 1989 in der DDR gedacht, die vorher auch kaum jemand für möglich gehalten hätte. War der so genannte „arabische Frühling“ für die Menschen dort wirklich so eine Befreiung wie der 1989 durch die Revolution ermöglichte Mauerfall für die Menschen in der DDR? Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, die die kulturellen Hintergründe dieser Region einbezieht. Historische Hintergründe In den Tagen der arabischen Revolution 2011 war viel davon die Rede, dass die Araber erst die Aufklärung nachholen müssen, bevor eine Demokratisierung stattfinden kann. Doch der tunesische Literaturwissenschaftler Sarhan Dhouib betonte bei seiner Ringvorlesung an der Leuphana Universität Lüneburg am 18. Januar 2013 mit dem Titel „Europa von außen gesehen: Eine arabisch-islamische Perspektive“, dass es seit dem 19. Jh. aufklärerische und säkulare Tendenzen in der arabischen Welt gegeben habe. Bereits in dieser Zeit, so Dhouib, hätten arabische Intellektuelle nach europäischem Vorbild Ideen für säkulare, auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufbauende Verfassungen entwickelt. Es hat also Ansätze der Aufklärung gegeben, sie konnten sich nur nicht durchsetzen. Der heute für so viel Konfliktstoff sorgende Islamismus entstand erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um eine politische Bewegung, die die religiösen Gefühle der Menschen gezielt instrumentalisiert. Von Anfang an verstand sich der Islamismus als Gegenbewegung zu diversen Reformen Anfang des 20. Jahrhunderts – er wandte sich insbesondere gegen die umfassende politische Neuordnung nach der Säkularisierung und der Abschaffung des Sultanats in der Türkei. Abgesehen von den technischen Errungenschaften lehnten die Islamisten alle modernen Werte und die daraus resultierenden politischen Perspektiven ab. Einen Aufschwung erlebt der Islamismus vor allem am Ende des 20. Jahrhunderts infolge der fortschreitenden Unzufriedenheit und Desorientierung vieler Menschen in den arabischen Ländern: Migration und Digitalisierung bieten zudem noch nie da gewesene Kommunikationsmöglichkeiten an. Mit der Islamischen Revolution im Iran von 1979 gelang es den Islamisten erstmals, in Regierungsverantwortung zu gelangen. Spätestens seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 dominierten diese Eindrücke das Bild von den Arabern und vom Islam in der westlichen Welt. Die säkulare Gegenbewegung entwickelte sich allerdings ebenfalls in eine totalitäre, die Menschen unterdrückende Richtung. Ebenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der so genannte Panarabismus. Diese Ideologie strebte nach der Vereinigung aller arabischen Länder. Wichtig war hier nicht die Religion, sondern der Nationalismus. Infolge des Panarabismus entstanden in vielen Ländern – unter anderem in Tunesien, in Ägypten, in Libyen, in Syrien oder im Jemen – totalitäre Regime, die jahrzehntelang das eigene Volk terrorisierten. Viele von ihnen wurden durch die Revolutionen von 2011 zu Fall gebracht. Die Welle der Revolution schwappt über die arabischen Länder Was das Fass schließlich zum Überlaufen brachte Jahrzehntelang hatten sich die Menschen in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien eher aus Pragmatismus, denn aus Begeisterung den Verhältnissen in ihren Ländern angepasst. Von den einst vollmundig propagierten Visionen des Sozialismus und der arabischen Einheit war schon längst nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen herrschten Korruption und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Mächtige Geheimdienst-Apparate schüchterten die Menschen ein und versuchten, jede Kritik im Keim zu ersticken. Doch auf einmal spielten die Menschen dieses ganze Spiel nicht mehr mit. Anzeichen dafür, dass etwas ins Rollen kam, hatte es bereits im Sommer 2010 gegeben, als die Ägypter die in ihrem Land herrschende Polizei-Willkür nicht mehr hinnehmen wollten. Es kam verstärkt zu Solidaritätsbekundungen für deren Opfer. Als der 28-jährige Khaled Said auf offener Straße zu Tode geprügelt wurde, bekundeten zahlreiche Menschen via Internet ihre Anteilnahme. Der offene Protest nahm im Dezember 2010 in Tunesien seinen Anfang. Ein junger Gemüsehändler, der die andauernden staatlichen Schikanen in seinem Berufsalltag nicht mehr ertrug, verbrannte sich am 26. Dezember 2010 selbst. Dieser öffentliche Selbstmord war die Initialzündung für landesweite Demonstrationen gegen die schlechten Zukunftsperspektiven. Offen entlud sich der Unmut über die Korruption und die desolate Wirtschaftslage. Protest-Aufrufe verbreiteten sich in Windeseile auf Web 2.0-Plattformen wie Facebook und Twitter. Die Protest-Lawine war ins Rollen gekommen und sie war kaum noch aufzuhalten. Initialzündung aus Tunesien Die Umwälzung der politischen Verhältnisse vollzog sich in den Tagen um den Jahreswechsel 2010/2011 herum praktisch unbemerkt von der internationalen Gemeinschaft. Demonstrationen weiteten sich zu Volksaufstand aus und erfassten schließlich das ganze Land. Am 14. Januar 2011 überschlugen sich die Ereignisse. In einer eigens anberaumten Rede kündigte Ben Ali seinen Rücktritt bis 2014 an. Doch damit wollten sich die Demonstranten nicht mehr abfinden. Noch am selben Tag reist Präsident Ben Ali unter dem Druck der Straße in sein ausländisches Exil ab. Am 17. Januar wird eine Übergangsregierung gebildet. Damit war die Ära Ben Ali nach mehr als 30 Jahren zu Ende. Alles in allem lässt sich sagen, dass sowohl die Regierung als auch die ihr unterstellten Sicherheitsorgane von den Vorgängen vollkommen überrumpelt wurden. Darauf, dass alles so schnell ging, war es wohl auch zurückzuführen, dass Tunesien das einzige Beispiel einer wirklich friedlichen Revolution in der arabischen Welt darstellte. Mit den neuen, im Internet organisierten Protestformen war das Regime offensichtlich überfordert. Die Revolution in Tunesien zeigte auf, wie schnell es möglich war, die politischen Verhältnisse für immer zu verändern. Ägypten setzt ein Ausrufezeichen Der Funke, der aus Tunesien nach Ägypten übersprang, entflammte auch dort die revolutionäre Bewegung. Am 25. Januar 2011 entlud sich bei einem so genannten „Tag des Zorns“ der ganze, über Jahre angestaute Unmut über das seit 30 Jahren festgefahrene autokratische System in offenem Protest. Gleichzeitig fanden in verschiedenen Städten des Landes Massendemonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern statt. Bereits am folgenden Tag schlug das Mubarak-Regime zurück. Der Tahrir-Platz wurde unter Einsatz von Wasserwerfern geräumt. Es folgte die erste Verhaftungswelle. Darüber hinaus blockierte das Regime wichtige Social Media-Plattformen, um der Protestbewegung ihre Kommunikationsbasis zu entziehen. Doch davon ließen sich die Demonstranten nicht mehr abhalten, als der Protest bereits ins Rollen gekommen war. Schon am 28. Januar 2011 begann die entscheidende Phase der ägyptischen Revolution. Erstmals schaltete sich die Armee ein, um einen Ausgleich zustande zu bringen. Gleichzeitig distanzierten sich die Streitkräfte vom Mubarak-Regime. Ende Januar setzten sich die Demonstranten dauerhaft auf dem Tahrir-Platz – dem Zentrum ihres Protests – fest. Dort herrschte Augenzeugenberichten zufolge eine nie gekannte euphorische und gelassene Stimmung, die erstmals einen freien und offenen Dialog der verschiedenen politischen Lager ermöglichte. Konsequent und entschlossen forderten die Demonstranten den Rücktritt Mubaraks als Staatschef. Dieser verlor unterdessen auch im Ausland an Rückhalt, als US-Präsident Barack Obama erstmals die Notwendigkeit eines Regierungswechsels in Ägypten andeutete. Gewalt war das letzte Mittel, das dem um seine Macht kämpfenden Autokraten noch blieb, als der Kampf schon längst verloren war. Anfang Februar 2011 schickte Mubarak seine aus den Armenvierteln Kairos rekrutierten Schlägertrupps gegen die Demonstranten los. Die folgenden Gewaltexzesse forderten einem Untersuchungsbericht vom 19. April 2011 zufolge 846 Menschenleben. Darüber hinaus waren 6.467 Verletzte zu beklagen. Doch von all dem Terror ließen sich die Demonstranten nun nicht mehr einschüchtern und blieben standhaft. Gewaltfrei harrten sie auf dem Tahrir-Platz aus. Unterdessen schwand Mubaraks Rückhalt bei der Armee und bei den Verbündeten im Ausland weiter dahin. Die Rede des Präsidenten vom 10. Februar 2011 entpuppte sich nicht als der von ihm erhoffte Befreiungsschlag. Mit vagen Reformversprechen sowie mit der Ankündigung seines Rücktritts nach den Wahlen im September konnte er sein Volk nicht mehr erreichen. Im Gegenteil: Der Unmut über diese Rede schürte den Protest weiter. Am folgenden Tag, dem 11. Februar 2011 konnte die Opposition mehr Menschen als jemals zuvor für ihre Protestkundgebungen im ganzen Land mobilisieren. Am späten Nachmittag gab Mubarak dem Druck der Straße nach und kündigte seinen Rücktritt an. Damit war die Ära Mubarak nach 30 Jahren zu Ende gegangen. Mit ihrem gewaltfreien Massenprotest hatten die Demonstranten das Regime schließlich in die Knie gezwungen. Die erfolgreiche Revolution in Ägypten setzte ein deutliches Zeichen für Veränderung, zumal das Land am Nil als kulturelles und gesellschaftliches Zentrum der arabischen Welt gilt. Die Schattenseite der arabischen Revolution: Bürgerkriege in Libyen und Syrien Schließlich erreichte der Funke der Revolution auch die als besonders brutal geltenden Diktaturen in Libyen und Syrien. Doch diese Regime verstanden es, die Revolutionäre in blutige Bürgerkriege mit unabsehbaren Folgen zu verwickeln. Was auch in diesen Ländern als friedliche Revolution geplant war, versank in brutalster Gewalt. Relativ schnell nach dem Sturz Mubaraks in Ägypten erreichte die Revolution auch das benachbarte Libyen. Bereits am 17. Februar 2011 kam es auch dort zu einem „Tag des Zorns“. Doch das Gaddafi-Regime reagierte sofort mit brutalster Gewalt. Es folgten gezielte Bombenangriffe gegen wehrlose Demonstranten. Angesichts dieser Gewaltexzesse entschloss sich die libysche Opposition dazu, den Weg des friedlichen Protests zu verlassen und ihre Anhänger gewaltsam gegen derartige Übergriffe zu verteidigen. Bereits bis zum 23. Februar 2011 war es den Rebellen gelungen, die Kontrolle über den Ostteil Libyens zu erlangen. Doch was nun folgte war ein von immer brutalerer Gewalt gekennzeichneter Bürgerkrieg. Nach erneuten schweren Bombenangriffen erließ der UN-Sicherheitsrat am 18. März eine Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone, die die Zivilbevölkerung vor weiteren Bombardements schützen sollte. Zu deren Durchsetzung griff die Nato militärisch in den Konflikt ein. Mit Hilfe dieser Unterstützung aus dem Ausland gelang es den Rebellen schließlich im Sommer 2011, den Bürgerkrieg nach erbitterten Kämpfen für sich zu entscheiden. Ende August war auch das Gaddafi-Regime nach mehr als 40 Jahren entmachtet. Doch der Preis, der hier zu bezahlen war, war mit Zehntausenden von Kriegsopfern außerordentlich schmerzlich. In den Monaten erbitterter Kämpfe hatten die Rebellen sich ihrerseits Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen schuldig gemacht. Gaddafi wurde schließlich im Oktober 2011 von Rebellen hingerichtet. Nur einen Tag später als in Libyen begannen am 18. Februar 2011 auch in Syrien Proteste gegen die Regierung, die sich im März spürbar ausweiteten. Auch hier reagierte das Assad-Regime mit brutalster Gewalt gegen die eigene Zivilbevölkerung. Es kam ebenfalls zu einem Bürgerkrieg, der den in Libyen in seiner Grausamkeit noch übertreffen dürfte. Hier kam es aufgrund der geostrategischen Lage im Spannungsfeld des Nahostkonflikts nicht zu einer Intervention aus dem Ausland. Das Assad-Regime ist entschlossen, seine Macht bis zum Letzten zu verteidigen. Kreativität und Selbstwirksamkeit in den arabischen Protestbewegungen Schon in der Phase ihrer Entstehung setzten die neuen arabischen Protestbewegungen auf die Breitenwirkung der aufkommenden Social Media-Plattformen. So konnten sie ihre Kritik an den Regimen und ihre politischen Botschaften an der Zensur vorbei einer breiten Masse zugänglich machen. Darüber hinaus ermöglichten die Plattformen des Web 2.0 den Aktivisten die Mobilisierung ihrer Anhänger für Demonstrationen. Außerdem versetzten diese neuen Kommunikationsformen die Protestbewegung schnell in die Lage, sich zu vernetzen, um auf Maßnahmen von Seiten der Regime, die sie bekämpften, reagieren zu können. Angesichts der Brutalität der Unterdrückungsapparate von Seiten der Regierungen entwickelten die Demonstranten kreative und höchst wirkungsvolle Formen des Protests, die nicht so schnell auszuschalten waren. So vereinbarten sie durch Vernetzung im Internet und durch Handys Spontan-Kundgebungen, die sich ebenso schnell wieder auflösten, wie sie sich formiert hatten. Charakteristisch für die Protestbewegung in den arabischen Ländern war auch die gezielte Besetzung wichtiger Plätze, auf denen die Demonstranten dann tagelang gewaltfrei ausharren konnten. In der Übergangsphase, in der das alte Regime schon im Untergang begriffen war, ein neues politisches System sich aber noch nicht gefestigt hatte, war es für die Menschen wichtig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dazu entwickelten sie neue zivilgesellschaftliche Organisationsformen, die frei von allem ideologischen Ballast das Nötige für das Überleben der Menschen taten. In der chaotischen Phase des Übergangs bewachten Nachbarschaftskomitees Häuser und Wohnungen, um sie vor Plünderern zu schützen. Darüber hinaus kümmerten sich Nachbarn auch darum, die Menschen, die auf dem Tahrir-Platz und auf anderen öffentlichen Plätzen ausharrten, mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Innerhalb der revolutionären Bewegungen waren erhebliche politische und religiöse Differenzen zu überwinden. Das gemeinsame Ziel aller Gruppen ermöglichte in den Revolutionstagen einen Zusammenhalt. Dass sich dieser für die folgende Zeit als wenig tragbar erwies, stellte sich  bereits in den Monaten nach dem Umsturz heraus. Herausforderungen des Neubeginns Derzeit ist die Situation in der arabischen Welt von großen Unsicherheiten geprägt. Die Orientierungslosigkeit entsteht dadurch, dass das Alte zwar definitiv vorbei ist, aber noch nicht klar zu erkennen ist, wie sich die weitere Entwicklung gestalten wird. Die derzeitige verworrene Lage erinnert an die Lage in Europa 1918. Demokratische Reformen werden nur von einer kleinen, meist aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammenden Minderheit befürwortet. Diese Bevölkerungsschicht hatte einen maßgeblichen Anteil an der Revolution. Doch es ist ihr auch zwei Jahre nach dem Ende der Diktaturen nicht gelungen, eigene Organisationsstrukturen sowie ein tragfähiges politisches Programm zu entwickeln. Für die breite, politisch weitgehend orientierungslose Masse der Bevölkerung sind die einfachen Lösungen und Patentrezepte von Islamisten, die vermeintlich Sicherheit versprechen, oftmals attraktiver als mühsame demokratische Prozesse. Wie das Beispiel Ägypten zeigt, werden in einem solchen System die Freiheitsrechte des Einzelnen – vor allem der Christen und der Frauen – massiv eingeschränkt. Inwieweit die davon in ihren Freiheiten beeinträchtigten Teile der Bevölkerung diese Mehrheitsentscheidung hinnehmen müssen, darüber ist in Ägypten ein heftiger, von Gewaltexzessen begleiteter Konflikt entbrannt, dessen Ausgang offen ist. Das Gewaltpotential, das diese Auseinandersetzungen beinhalten, ist möglicherweise sogar dazu angetan, die Errungenschaften der Revolution zumindest teilweise rückgängig zu machen. Das zeigt sich beispielsweise an der Wiedereinführung des Ausnahmezustandes in drei ägyptischen Städten fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Beginn der Revolution. Wenngleich die Konflikte in Tunesien auf kein derart breites Echo in der Medien-Öffentlichkeit stoßen wie diejenigen in Ägypten, so sind sie doch ebenfalls brisant. Auch dort werden liberale Kultureinrichtungen zum Ziel von Übergriffen extremistischer Salafisten, ohne dass die vermeintlich „moderat“ islamistische Regierungspartei „Ennahda“ dem etwas entgegensetzt. In Libyen ist man zusätzlich zu diesen Herausforderungen auch noch mit der Bewältigung der Kriegsfolgen – vor allem dem Wiederaufbau der Infrastruktur und dem Einsammeln aller illegalen Waffen aus den Arsenalen von Gaddafi beschäftigt. Weite Teile des Wüstenstaates drohen zu einem Rückzugsraum mir islamistische Terroristen zu verkommen. Syrien befindet sich immer noch in einem brutalen Bürgerkrieg, der von täglich neuen Gräueltaten aller Seiten geprägt ist. Doch auch diejenigen Länder, die nicht wie Libyen oder Syrien unter Kriegsfolgen zu leiden haben, kämpfen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Technologisch haben die arabischen Staaten in vielen Bereichen den Anschluss an den Westen, aber auch an Indien, China und die südostasiatischen Länder verloren. Auch der Tourismus, von dem gerade Tunesien und Ägypten abhängig sind, ist infolge der von Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägten instabilen Lage eingebrochen. Darüber hinaus wird die Wirtschaftskraft dadurch beeinträchtigt, dass viel Geld in den dunklen Kanälen der Korruption versickert. Diese korrupten Strukturen, die infolge der Revolution nur zu einem kleinen Teil beseitigt werden konnten, führen zu einer sehr ungerechten Verteilung der ohnehin knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Die Sicherung der Lebensgrundlagen für alle gesellschaftlichen Schichten ist eine Grundvoraussetzung für dauerhaften sozialen Frieden und politische Stabilität. Doch um Unterdrückung, Konflikte und Gewalt wirklich hinter sich zu lassen, sind noch weitaus tiefer greifende Veränderungen in der Einstellung der Menschen notwendig. Die Zensur im Denken zu überwinden ist seit 2011 eine der größten Herausforderungen. Oftmals tritt heute der in seinem Wesenskern totalitäre Islamismus an die Stelle der ideologischen Vorgaben der gestürzten autokratischen Regime. Die einfachen Antworten im Schwarz-Weiß-Denken sorgen für vermeintliche Sicherheit in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Erst wenn die arabischen Gesellschaften den Mut entwickeln, die Freiheit und die Würde eines jeden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft oder seines Geschlechts zu respektieren, wird es einen Ausweg aus der Unterdrückung geben. Der „arabische Frühling“ wird erst dann zur Realität, wenn die Menschen die Verantwortung für ihr Schicksal selbst übernehmen, anstatt fatalistisch auf die Segnungen einer vermeintlich gottgewollten Ordnung zu hoffen. Was unterscheidet die Revolutionen in der arabischen Welt 2011 von der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR? Noch heute stehen die Friedliche Revolution 1989 in der DDR und der durch sie ermöglichte Mauerfall für einen sehr ermutigenden Wendepunkt in der deutschen und europäischen Geschichte. 2011 war viel vom so genannten „arabischen Frühling“ die Rede, von dem man sich eine ähnlich positive Wende der Entwicklungen in den arabischen Ländern erwartete. Doch nicht nur in Hinblick auf das Bürgerkriegsland Syrien, sondern auch hinsichtlich der von Gewalt begleiteten politischen Spannungen in Ägypten heißt es heute oft, der „arabische Frühling“ habe sich zum „arabischen Winter“ entwickelt. Heute, da die erste Euphorie verflogen ist, werden die Unterschiede zur Friedlichen Revolution 1989 in der DDR immer deutlicher:
  • Auch wenn es in der ehemaligen DDR in der Umbruchsphase ebenfalls zu erheblichen Enttäuschungen und Frustrationen kam, entluden sich diese nicht in Gewalt. Dagegen wird die Neuordnung in den arabischen Ländern seit der Revolution 2011 – aktuell besonders massiv in Ägypten – wiederholt von gewaltsamen Unruhen begleitet. Selbst wenn es 2011 noch zu gewaltfreien Protesten kam, kann diese Entwicklung heute im Ganzen betrachtet nicht mehr als friedliche Revolution bezeichnet werden.
  • Die neuen politischen Strukturen mussten in der DDR nicht neu erfunden werden. Durch den Zusammenschluss mit der BRD konnte man deren seit Jahrzehnten bewährtes politisches System übernehmen und somit schnell rechtsstaatliche Grundlagen schaffen. Für die arabischen Staaten mit ihrer kolonialen Vergangenheit ist Europa dagegen kein Vorbild. Sie stehen somit vor der Herausforderung, ihr eigenes System zu entwickeln.
  • Im Gegensatz zur ehemaligen DDR in der Umbruchsphase nach 1989 spielt die Religion in den arabischen Ländern als politischer Faktor eine zentrale Rolle. Vermeintlich gottgewollte Regeln und Vorschriften verschärfen die Gegensätze zu Minderheiten und fördern deren Ausgrenzung. Anders als in der DDR, wo die christlichen Kirchen den gewaltfreien Protest unterstützten, tritt der politische Islamismus in der arabischen Welt als gewaltfördernder Faktor in Erscheinung.
  • Zwar waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR in der Wendezeit schwierig. Doch fehlte es der dortigen Bevölkerung im Gegensatz zu derjenigen in den arabischen Ländern niemals am Lebensnotwendigen. In vielen arabischen Staaten hat sich die Armut durch die Revolution noch weiter verschärft, so dass viele Menschen den Verlust ihrer existentiellen Lebensgrundlagen fürchten müssen.
   

Quelle: http://revolution1989.hypotheses.org/68

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Geschichtsfälschung der anderen Art

Während meines letzten Besuchs im dänischen Nationalarchiv, dem Rigsarkivet, in Kopenhagen bin ich auf verschärfte Sicherheitskontrollen und verkürzte Arbeitszeiten gestoßen. Der Grund hierfür war mir zunächst schleierhaft, bis ich auf diese Nachrichten stieß: „Stort tyveri fra Rigsarkivet“ [Großer Diebstahl aus dem Rigsarkivet, Übersetzung RZ], Berlinske, 25. Oktober 2012. Was ist passiert? Über die letzten 10 Jahre haben zwei Männer (46, 53 Jahre) insgesamt zwei Regalmeter Archivbestände aus dem Rigsarkivet, dem Kopenhagener Landsarkivet und dem Archiv des Ordenswesen im Schloss Amalienborg gestohlen. Der Raub fiel […]

Quelle: http://umstrittenesgedaechtnis.hypotheses.org/132

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Geschichtsfälschung der anderen Art

Während meines letzten Besuchs im dänischen Nationalarchiv, dem Rigsarkivet, in Kopenhagen bin ich auf verschärfte Sicherheitskontrollen und verkürzte Arbeitszeiten gestoßen. Der Grund hierfür war mir zunächst schleierhaft, bis ich auf diese Nachrichten stieß: „Stort tyveri fra Rigsarkivet“ [Großer Diebstahl aus dem Rigsarkivet, Übersetzung RZ], Berlinske, 25. Oktober 2012. Was ist passiert? Über die letzten 10 Jahre haben zwei Männer (46, 53 Jahre) insgesamt zwei Regalmeter Archivbestände aus dem Rigsarkivet, dem Kopenhagener Landsarkivet und dem Archiv des Ordenswesen im Schloss Amalienborg gestohlen. Der Raub fiel [...]

Quelle: http://umstrittenesgedaechtnis.hypotheses.org/132

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Reproduzierbar Wissen schaffen

  Aktuell findet auf den Scilogs ein Bloggewitter statt, welches exakt das Thema aufgreift, das mich damals veranlasste, mit dem Bloggen anzufangen – die Frage nach der Bedeutung von Reproduzierbarkeit in der Wissenschaft. Ausgelöst wurde dieses Bloggewitter vom britischen Wissenschaftsautor Ed Yong, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft in einem sehr lesenswerten Artikel1 darlegt, dass eine der zentralen Forderungen der Wissenschaft – eben die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse – zumindest für das von ihm betrachtete Gebiet der Psychologie eher die Ausnahme denn die Regel darstellt. Das führte zu einer ganzen Reihe von Reaktionen, die verschiedene Sichtweisen aus sehr unterschiedlichen – bisher zumeist naturwissenschaftlichen Bereichen – darlegen. Die Bandbreite der Reaktionen macht deutlich, dass sich die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen (natürlich) nicht über einen Kamm scheren lassen und das Problem der (nicht-)Reproduzierbarkeit von Ergebnissen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Gleichwohl lässt sich der Tenor wahrnehmen, dass das gegenwärtige wissenschaftliche System vor allem spektakuläre und dadurch manchmal auch spekulative Studien durch Veröffentlichung belohnt, während dröge Überprüfungen von Ergebnissen anderer kaum Beachtung in den angesehenen Zeitschriften finden. Veröffentlichungen in namhaften Journals sind aber weiterhin der wichtigste Treibstoff wissenschaftlicher Karrieren. Diese Konstellation verhindert momentan noch eine wissenschaftliche Kultur, in der die Überprüfung anderer Forscher Studien zum täglichen Geschäft gehört. Abgesehen von diesem allgemeinen Konflikt ergeben sich je nach Gegenstandsbereich spezifischere Probleme, was die Reproduzierbarkeit von Studien bzw. derer Ergebnisse angeht. In der Atom- und der Astrophysik steht es damit offenbar ganz gut, weil die untersuchten Stoffe bzw. beobachteten Weltraumphänomene entweder öffentlich zugänglich oder einfach beschaffbar sind. In der organischen Chemie ist die Reproduktion von Synthesen offensichtlich gang und gäbe, es hapert aber daran, die exakten Bedingungen für Synthesen auf eine nachvollziehbare Art weiterzugeben. Größere Schwierigkeiten machen da Forschungen auf dem Gebieten Psychologie und Medizin, ist doch die Wiederholung von Studien, in denen man viele menschliche Probanden benötigt, mit hohen Kosten verbunden. Die Strategien, dem Problem nicht-reproduzierbarer Studien zu begegen, weisen in zwei Richtungen: Auf der einen Seite werden Plattformen geschaffen, auf denen wiederholte Studien veröffentlicht werden können. Das engagierteste Projekt in dieser Richtung ist sicherlich die Reproducibility Initiative, die Autoren von Studien quasi ein rundum-Sorglos-Paket anbietet, indem sie die Wiederholung der Experimente durch unabhängige Wissenschaftler organisiert. Das kostet natürlich und wird im gegenwärtigen Umfeld sicherlich noch nicht allzu stark nachgefragt werden. Wenn sich aber die wissenschaftliche Kultur ändern sollte (was sie wohl v.a. durch Druck von außen – hier von den großen Förderinstitutionen – tun dürfte), denke ich, dass einem solchen Modell die Zukunft gehört. Die andere Stoßrichtung, das Problem in den Griff zu bekommen, ist die Änderung der Veröffentlichungskultur. In Artikeln sind die durchgeführten Experimente und die zugrundeliegenden Daten meist nicht vollständig beschrieben. Solche Artikel würde wohl auch niemand lesen wollen. Es lässt sich aber im besten Fall einrichten, dass man die verwendeten Daten und die eingesetzte Software als Supplemente zu den eigentlichen Artikeln veröffentlicht. Eine solche Kultur der Transparenz würde der Überprüfung, aber auch der Weiterentwicklung der vorgestellten Methoden immens dienen. Sehr interessant ist das Virtual Observatory aus dem Bereich der Astronomie, welches in gleich zwei Artikeln des Bloggewitters thematisiert wird. Letzteres entspricht auch ungefähr dem Ansatz, den wir im Bereich der Textprozessierung mit unserem Text Engineering Software Laboratory (kurz Tesla) verfolgen. Grob kann man sich dieses virtuelle Labor als Verpackungsmaschine für Experimente vorstellen, die auf textuellen Daten operieren. Mit Texten sind dabei nicht nur natürlichsprachliche gemeint, sondern prinzipiell alles, was sich in Sequenzen diskreter Einheiten darstellen lässt – das gilt mit Einschränkungen ja auch für Proteine und Nucleinsäureketten sowie Partituren von Musikstücken. Der Ansatz ist der, dass wir einen beliebig erweiterbaren Werkzeugkasten anbieten, der als Open Source öffentlich zugänglich ist. Die Werkzeuge sind miteinander kombinierbar, so dass man daraus Workflows zusammenstellen kann, deren Konfiguration mit einer Referenz auf die verwendeten Rohdaten in einer Art virtuellem Laborbuch gespeichert werden. Aus diesem Laborbuch lassen sich einzelne Experimente freigeben und auf Plattformen zum Austausch von Workflows (z.B. MyExperiment) sharen. Sind die Rohdaten verfügbar, so lassen sich die Experimente jederzeit wiederholen, die Konfiguration der einzelnen Werkzeuge, deren Sourcecode und die Art ihrer Zusammenstellung im Workflow sind dabei vollständig transparent.   Der Workflow-Editor von Tesla. Zu sehen ist die Kombination von Werkzeugen (Kästen) durch Verbindung der Ein-/Ausgabeschnittstellen. Wir haben uns darum bemüht, die Benutzung des Werkzeugkastens/der Experimentverpackungsmaschine möglichst eingängig zu modellieren, weil wir damit die Hoffnung verbinden, dass sich möglichst viele Nutzer auf das System einlassen, einzelne Werkzeuge evaluieren und eventuell sogar neue erstellen. Die Weitergabe kompletter Experimente kann nämlich nicht nur dazu genutzt werden, um anderer Forscher Studien zu wiederholen, sondern im Idealfall auch, direkt auf diesen aufzusetzen oder durch Modifikationen (durch Austausch oder Rekonfiguration der Werkzeuge oder die Anwendung auf eine andere Datenbasis) zu besseren Ergebnissen zu kommen. Auch wenn wir noch viel Arbeit vor uns haben, was die noch einfachere Benutzbarkeit und die verbesserte Ausstattung von Tesla angeht, sind die Rückmeldungen der ersten Anwender von Tesla außerhalb unseres Lehrstuhls sehr positiv, so dass wir glauben, dass derartige Systeme in Zukunft stärker genutzt werden und die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austauschs sowie der Überprüfbarkeit von Studienergebnissen erweitern.

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/692

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Statement: Thomas Stäcker – „Eine Bibliothek aus Texten weben“

Die neue alte Rolle der Bibliothek als Ort des Sammelns, Erschließens und Vermittelns von wissenschaftlicher Literatur im digitalen Zeitalter

»The Invention of Printing , though ingenious, compared with the invention of Letters, is no great matter«. Diese für manchen vielleicht überraschende Feststellung, die Hobbes in seinem Leviathan trifft, lässt die grundsätzliche Ebene der Schriftlichkeit gegenüber ihrem Träger, dem Buch, aufscheinen und relativiert zugleich die Bedeutung des letzteren in einer gleichsam phylogenetischen Perspektive. Bibliotheken wiederum, wie der große niederländische Gelehrte Justus Lipisus schreibt: »… sind eine alte Einrichtung und wurden, wenn ich mich nicht täusche, zusammen mit der Schrift erfunden.“


Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Augusteerhalle
(Foto: Friedrichsen | CC BY-SA 3.0)

Der enge Zusammenhang von Wissen, Schreiben und Bibliothek, so die These, löst sich auch in Zeiten des Internet nicht. Mit Lipsius gesprochen, kann das Wissen nicht mit Gewinn genutzt werden, wenn es nicht irgendwo aufbewahrt und bereitgestellt wird. Auch das elektronische Buch macht da keine Ausnahme, und es ist eine leichtfertige, ja gefährliche Vorstellung, dass das Internet gleichsam von selbst für die Kultur- und Wissenstradition und – sicherung sorgte. Bibliotheken und Archive behalten daher auch in Zeiten ubiquitärer digitaler Verfügbarkeit die Verantwortung für die Archivierung des Geschriebenen. Bibliotheken müssen sich jedoch im digitalen Zeitalter darauf einstellen, dass sich grundlegende Kulturtechniken, wie das Schreiben und Lesen, ändern und damit auch die traditionellen Formen des Sammelns, Erschließens und Zugänglichmachens. Überkomme und eingespielte Verhältnisse der Wissensproduktion und Aufgabenverteilungen müssen überdacht werden. Z.B. ist es in Zeiten des beliebig vervielfältigbaren Textes mittelfristig nicht mehr sinnvoll, wissenschaftliche Texte über ein gegenüber neuen „Lesetechniken“ wie maschine reading oder Anforderungen des semantic web weitgehend hermetisches Verlagssystem zu publizieren. Voraussetzung für Änderungen ist hier, dass es gelingt, die wissenschaftlichen Qualitätssicherungs- und Distributionssysteme neu auszurichten und dass Universitäten und Autoren die Kontrolle über ihre wissenschaftlichen Publikationen wieder stärker selbst in die Hand nehmen.

Bibliotheken sind Orte, an denen das Geschriebene, sei es analog oder elektronisch, zuverlässig als ein öffentliches, allen gemeinsames Gut für die Nachwelt gesichert wird, wo, unbeeinträchtigt von kommerziellen Interessen der freie Zugang über eigene Suchsysteme gewährleistet ist und wo in qualitativer Auswahl erworben wird. Allerdings sind Bücher nicht länger nur mehr materielle Gegenstände, die in Magazinen aufbewahrt werden, sondern in elektronischer Form miteinander semantisch vernetzte, an jedem Ort der Welt verfügbare, eben maschinenlesbare Texte, denen immer weniger ein end-user, sondern, wie McCarty es formulierte, ein end-maker gegenübersteht. Dieserart gewobene Texte bilden perspektivisch eine neue, eine digitale Bibliothek, die der analogen zur Seite tritt.

Dr. Thomas Stäcker ist Leiter der Abteilung „Neuere Medien, Digitale Bibliotheken“ und seit 2009 Stellvertretender Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt dabei unter anderem in der Akquise und Betreuung von Digitalisierungs- und Erschließungsprojekten. Er studierte Philosophie, Latinistik und deutsche Literaturwissenschaft und promovierte 1994 am Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften der Universität Osnabrück.

Quelle: http://gid.hypotheses.org/304

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Die Zeit der Wahrheit

Als letzten Denkanstoß vor der RKB-Tagung bringt Michael Sonnabend hier sein Statement – und damit die Gelegenheit, sich schon einmal warmzudiskutieren, entweder im stillen Selbstgespräch oder in den Kommentaren.

von Michael Sonnabend

Irgendwann werden sie anklopfen. Und Fragen stellen. Freundlich zwar, aber hartnäckig. Sie werden nach dem Sinn fragen, aber auch nach dem Zweck. Die Anderen. Die, die bisher still waren. Diejenigen, die immer glauben, sie seien nicht wichtig genug, um Fragen stellen zu dürfen. Diejenigen, die sich gar nicht getraut haben, misstrauisch zu sein. Weil sie nicht dazugehören.

Das wird die Zeit der Wahrheit. In der alles ans Licht kommt. Wo sich niemand mehr verstecken kann, hinter den dicken Mauern der Alma Mater. Hinter den dicken Panzern der Sprache. Dann werden die Anderen wissen wollen, was wirklich verhandelt wird im Namen der Wissenschaft. Wohl jenen, die dann erklären können, worin der gesellschaftliche Wert dessen liegt, womit sie sich tagtäglich beschäftigen.

Viele in der Wissenschaft halten diese Vorstellung sicherlich für eine Zumutung. Warum Wissenschaft für die Gesellschaft wichtig sei, liege doch klar auf der Hand. Es sei doch gesellschaftlicher Konsens, dass Wissenschaft und Forschung die Gesellschaft voranbringe. Ich wage das zu bezweifeln, zumindest was den Konsens betrifft. Und das liegt an der Wissenschaft selbst. Weil sie immer noch nicht angemessen kommuniziert. Weil sie sich immer nur die Fragen stellt, die sich aus ihr selbst heraus ergeben. Aber sich selten die Fragen anhört, die die Anderen sich stellen mögen.

Das hat viel mit Sprache zu tun. Mit dem offen zur Schau getragenen Unwillen, sich klar und deutlich – vielleicht sogar elegant – auszudrücken. Statt dessen flüchtet man sich lieber ins Unterholz der Passivkonstruktionen, erschlägt den Geist harmloser Mitmenschen mit dem rücksichtslosen Gebrauch von Substantiven und nicht enden wollenden Sätzen. Die Sprache der Wissenschaft ist darauf angelegt, nur von jenen verstanden zu werden, die zu den Eingeweihten gehören. Die Anderen werden sprachlich in die Flucht geschlagen. Wie zur Einschüchterung bläht sich die Sprache der Wissenschaft unentwegt auf.

Sie ist eine Form der Vorwärtsverteidigung. Verbunden mit der Hoffnung, dass niemand nachfragt, wenn es nur hübsch klug klingt. Aber schon Dürrenmatt wusste: „Die Arbeit an der Sprache ist Arbeit am Gedanken.“ In meiner täglichen Arbeit bekomme ich oft genug den Eindruck, dass es mit den „Gedanken“ nicht allzu weit her ist. Nicht selten habe ich es mit Texten zu tun, in denen Allerweltsweisheiten und Selbstverständlichkeiten zum hochwissenschaftlichen Paper mit der entsprechenden Terminologie hochgejazzt werden.

Wir haben es also mit Distinktion und Nebelkerzen zu tun. Man will unter sich bleiben und die Anderen schickt man in den Dunst. Das ist lange gut gegangen, aber mit der wachsenden Vorherrschaft des Internets werden sich die Nebel bald lichten. Dann wird so manches sichtbar werden, was in vergangenen Jahrhunderten zwischen zwei Buchdeckeln dem Vergessen anheimgefallen wäre.

Ich bin mir nicht so sicher, ob wissenschaftliche Sprache – insbesondere die der Geisteswissenschaften – durch das Internet wirklich besser werden wird. Schließlich gibt es auch im Netz genug abgelegene Ecken, in die sich kaum jemand verirrt. Aber das Internet bietet Chancen für diejenigen, die sich nicht ausschließlich in Geheim-Gesellschaften wohlfühlen: Nämlich wahrgenommen zu werden, ins Gespräch zu kommen, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, den niemand mehr so ohne Weiteres in Zweifel ziehen kann. Wer das will, muss lernen, klar und deutlich zu sprechen. Dessen Tür werden sie dann vielleicht auslassen, wenn sie kommen und anklopfen.

Disclaimer: Ich weiß, es gibt nicht „die Wissenschaft“ oder „die Wissenschaftler“. Hier wäre eine Differenzierung notwendig, die ein Blogposting sicher nicht leisten kann. Es ist also die Einbildungskraft des Lesers und der Leserin gefragt, das allzu große Gefäß der Begrifflichkeiten mit je eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zu füllen.

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/392

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Wer war Joachim von Sandrart?

Wer war Joachim von Sandrart? Nein, er war kein berühmter Söldnerführer und auch kein Geheimer Rat, der sich auf diplomatischem Parkett in diesem Konflikt engagiert hat. Und doch hat er in der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs seinen festen Platz; allerdings taucht er erst ganz am Ende dieses Konflikts auf. Denn nach dem Abschluß der Verhandlungen in Münster und Osnabrück begann 1649 in Nürnberg der sogenannte Exekutionstag, auf dem für die vielen noch offenen Probleme Lösungen gesucht wurden, vor allem für das Problem der Abdankung der Truppen. Eine wichtige Etappe zur Beantwortung solcher Fragen stellte der Interimsrezeß zwischen den Schweden und dem Kaiser vom 21. September 1649 dar. Zur Feier dieses Abkommens wurde ein feierliches Bankett ausgerichtet, das zwei Wochen später stattfand. Als Nürnberger Friedensmahl vom 5. Oktober ging es in die Geschichte ein und symbolisierte den erfolgreichen Abschluß dieser Verhandlungen. Sandrart erhielt damals den Auftrag, das Nürnberger Friedensmahl in einem repräsentativen Gemälde abzubilden, das ähnlich wie Gerard ter Borchs Gemälde des Friedens zu Münster zwischen Spanien und den Generalstaaten vor allem die an den Verhandlungen Beteiligten zeigt. Das „Friedensmahl“, riesenhaft in seinen Ausmaßen (290 x 445 cm), stellt eine der Ikonen des Friedensschlusses dar, für dessen zeitgenössische Breitenwirkung vor allem einige Kupferstiche sorgten.

Die Darstellung des Friedensmahls von 1649 ist sicherlich das bekannteste Gemälde Sandrarts und zweifelsohne dasjenige, das auch unter Nur-Historikern am besten bekannt sein dürfte. Dabei lohnt es durchaus, den Blick zu weiten und die insgesamt beeindruckende Lebensleistung des Künstlers wahrzunehmen. Dies ist jüngst in zweifacher Hinsicht sehr erleichtert worden. Zum einen ist seit einiger Zeit die kommentierte Online-Edition der „Teutschen Akademie“ verfügbar, ein monumentales Werk in drei Bänden, in dem Sandrart das kunsthistorische Wissen seiner Zeit vorstellt. Dem zuerst in deutscher Sprache erschienenen Werk folgte bald eine lateinische Ausgabe; beide sind hier verfügbar und durch verschiedene Indices mustergültig erschlossen. Zum anderen präsentiert die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel eine Ausstellung, die Sandrarts Biographie nachzeichnet, aber vor allem auch Einblicke in seine kunsttheoretischen Auffassungen bietet. Die Ausstellung kann nur noch bis zum 24. Februar 2013 besucht werden; danach wird man auf den Katalog „Unter Minervas Schutz“ zurückgreifen müssen.

Natürlich braucht man sich nicht weiter um Sandrart zu kümmern, wenn man einfach nur verstehen will, welcher Stellenwert der itio in partes im Rahmen des Westfälischen Friedenswerkes zukam oder wie man die Truppenmassen nach Ende der Kriegshandlungen loswurde. Aber eine solche Engstirnigkeit wird sich heute kaum jemand leisten können. Und selbst wenn man keine große Neigung zu kunsthistorischen Themen verspüren sollte, dient es in jedem Fall der Erweiterung des eigenen Horizonts, wenn man sich die Tatsache vergegenwärtigt, daß das berühmte Gemälde über das Nürnberger Friedensmahl eben nicht von irgendeinem Maler angefertigt wurde. Vielmehr handelt es sich bei Sandrart um einen der erfolgreichsten Künstler seiner Zeit und zudem um eine intellektuelle Zelebrität, deren Einfluß man nur schwer überschätzen kann. Als wichtig erscheint mir auch, zu sehen, daß Sandrarts Wirken weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts reichte. Er stellte also eine der Persönlichkeiten dar, die von den Erfahrungen des Kriegs geprägt waren, aber an der Gestaltung der Nachkriegszeit lebhaften Anteil hatten.

Das Nürnberger Friedensmahl ist, wie gesagt, unter Historikern gut bekannt. Erläuterungen und gute Reproduktionen des Gemäldes sowie der Kupferstiche finden sich etwa im Katalog „Von teutscher Not zu höfischer Pracht 1648-1701“, S. 26-32, sowie im Ausstellungskatalog „1648. Krieg und Frieden in Europa“, S. 419 f.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/84

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