Tagungsbericht ‘Heilige, Helden, Wüteriche. Verflochtene Herrschaftsstile im langen Jahrhundert der Luxemburger’

 

Johann von Luxemburg, Darstellung im Gelnhauser Codex; Quelle: Wikimedia Commons

Johann von Luxemburg, Darstellung im Gelnhauser Codex; Quelle: Wikimedia Commons 

Deutsch-Tschechische Akademiekonferenz vom 30. September bis 2. Oktober 2013 an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Vom 30. September bis zum 2. Oktober 2013 tagten deutsche und tschechische Nachwuchswissenschaftler aus den Bereichen Geschichte und Kunstgeschichte an der Akademie der Wissenschaften in Heidelberg, um gemeinsam das von den Veranstaltern vorgeschlagene Forschungskonzept des Herrschaftstils am Beispiel der Luxemburger zu diskutieren. Die Initiatoren der Tagung waren Martin Bauch (Darmstadt), Julia Burkardt (Heidelberg), Tomáš Gaudek  (Prag), Paul Töbelmann (Heidelberg) und Václav Žůrek  (Prag). Den Kern des Konzepts bildet die Auffassung, dass sich spätmittelalterliches Herrscherhandeln nicht wie bislang vielfach angenommen, in erster Linie durch transpersonale Elemente erklären lässt, sondern noch immer stark von personal gebundenen Legitimationsstrategien geprägt wurde. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Untersuchung individueller Herrschaftsstile, die anhand fünf verschiedener Ebenen hinterfragt werden sollen:

  1. Intentionale Performanz im großen Rahmen von Ritual und Zeremonie
  2. Reflektierte Politikgestaltung durch die Betonung etwa religiöser oder militärischer Praktiken
  3. Mutmaßlich unreflektiert-situatives Handeln im Alltag und daraus resultierendes ‘Image’ des Herrschers
  4. Nutzung von Kunst und Architektur als Medien und Bühne für die verschiedenen Formen des Herrscherhandelns
  5. Charakterliche Disposition des Herrschers

Aufgrund der östlich-westlichen Brückenfunktion der Luxemburger und der damit verbundenen Varianz kultureller und politischer Herrschaftsbedingungen erscheint eine Ausprägung individueller Herrschaftsstile im langen Jahrhundert der Dynastie besonders wahrscheinlich. Den verschiedenen Varianten von Herrschaftsstilen, ihren Entwicklungsbedingungen und dem Ausmaß der personalen Bedingtheit wollten die Organisatoren im Rahmen der Tagung und darüber hinaus auf den Grund gehen.

Kompaktseminar

Um auch dem jüngeren Wissenschaftsnachwuchs eine aktive Teilhabe zu ermöglichen, erhielt am 27. und 28. September eine kleine Gruppe von Studenten und Doktoranden aus Tschechien und Deutschland die Möglichkeit, gemeinsam mit den Organisatoren bereits im Vorfeld der Konferenz in das Thema einzusteigen und Erkenntnisse aus ihren eigenen Forschungen einzubringen. Die einführende Keynote übernahm Gerald Schwedler (Zürich). Er beleuchtete die verschiedenen Herrschaftsstile der Luxemburger schlaglichtartig anhand ihres Kanzleistils wie der Bewegung auf internationalem Parkett und erläuterte sein Verständnis von der Konstituierung eben dieses Stils: So wie der Stil in der Kunstgeschichte durch das Zusammenspiel verschiedener Elemente wie Pinselstrich, Faltenwurf etc. konstituiert wird, könne man, so Schwedler, auch den Herrschaftsstil als Ensemble aus den fünf eingangs erwähnten Aspekten begreifen. Diese ließen sich wiederum auf der Makro-, Mikro- und Mesoebene untersuchen. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmer in Kleingruppen die von den Organisatoren vorgeschlagenen Aspekte von Herrschaft (s.o.) und stellten im Plenum ihre eigenen Ergebnisse auf dem Gebiet der Luxemburgerforschung vor. Dabei kristallisierte sich die eng mit der Ebene des unreflektiert-situativen Handelns verbundene charakterliche Disposition des Herrschers als umstrittenstes und methodisch schwierigstes Untersuchungsfeld heraus. Anhand verschiedener Beispiele wurde jedoch auch deutlich, dass sich der Schleier vor dem Gesicht des Herrschers zuweilen lichtet und sich so für den Historiker die Chance eröffnet, auch abseits  geschichtswissenschaftlicher Psychologisierung eine Annäherung an die Person und den Charakter des Herrschers zu wagen. Der über alle Aspekte hinweg vorhandenen Problematik, die Person und die Entscheidungen des Regenten hinter einem Beraterstab unbekannten Ausmaßes und Einflusses zu fassen, begegnete Paul Töbelmann mit dem Vorschlag, den Herrscher grundsätzlich „in Anführungszeichen“ zu sehen und folglich als Personenkomplex zu fassen. Bereichert wurde das Seminar zudem durch eine Einführung in das architektonische Programm der Heiliggeistkirche durch Maxililian Wemhöher von der Heidelberger Forschungsgruppe RANK.

Konferenz

Nachdem Bernd Schneidmüller die Konferenz durch ein einleitendes Grußwort eröffnet hatte, führten Paul Töbelmann und Martin Bauch mit einer Vorstellung des Forschungskonzeptes in die Veranstaltung ein. Als deren Anliegen sahen die Organisatoren neben einer fruchtbaren Neubelebung der Luxemburgerforschung insbesondere auch die Zusammenführung verschiedener Disziplinen und Generationen über nationale Forschungskulturen hinweg. Innerhalb von fünf Sektionen wurden im Verlauf der Tagung unterschiedlichste Aspekte luxemburgischer Herrschaft beleuchtet.

Mit dem Einsatz von Kunst und Architektur als Mittel zur Herrschaftsrepräsentation befassten sich die Referenten der ersten, vornehmlich kunstgeschichtlich geprägten Sektion. Die Moderation übernahm Paul Crossley (London).
Tomáš  Gaudek (Prag) lieferte mit dem ersten Vortrag des Tages ein forschungsgeschichtliches Résumé zur Beschäftigung der tschechischen Kunstgeschichte mit der Zeit der Luxemburger: Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen nahm Gaudek bei der älteren, stark auf die Zeit Karls IV. fokussierten Forschung, die sich für das Schaffen unter Johann und Wenzel nur wenig interessierte und die Regentschaft Sigismunds vereinfacht als Phase von Dekonstruktion und Ikonoklasmus abtat. Davon ausgehend wurde die in den letzten 20 Jahren entwickelte, veränderte Sichtweise auf den Schönen Stil skizziert, um die Basis für die aktuelle Beschäftigung mit der Kunst der Luxemburgerzeit zu verdeutlichen. Wichtig für die theoretische Fundierung waren dabei insbesondere Alois Riegl und Max Dvořák, zwei Hauptvertreter der Wiener Schule. Als grundlegend für den Wiener Ansatz gelten die Annahme einer Interdependenz von Kunst und historisch-gesellschaftlichem Klima, die Herausarbeitung von Stilikonen sowie die Anerkennung einer inneren Werklogik.
Romana Petráková (Prag) stellte in ihrem Beitrag die Frage nach dem Niederschlag der luxemburgischen Herrschaft auf die Kunst- und Kulturlandschaft Breslaus. Im Fokus der Untersuchung standen die Sakralbauten der Stadt sowie insbesondere die dort präsentierten heraldischen Denkmäler. Ist der Einfluss des Herrschergeschlechts sowohl auf die Stiftskirche zum Heiligen Kreuz als auch auf die Elisabethkirche umstritten, so kann doch jedenfalls die Augustinerchorherrenkirche St. Dorothea durch ihren Gründer Karl IV. eindeutig mit den Luxemburgern in Verbindung gebracht werden. Dass sie jedoch, wie vielfach vermutet, als Memorialmonument für das Herrschertreffen zwischen Karl IV. und dem polnischen König Kasimir d. Großen im Jahre 1351 fungierte, wies Petráková ob des für den Luxemburger enttäuschenden Ausgangs  als unhaltbar zurück. Dagegen wertete die Vortragende das Wenzelspatrozinium (neben Dorothea und Stanislaus) als Symbol für den Expansionswillen Karls und sah folglich die oftmals durch ihr Wappenprogramm mit den Luxemburgern in Verbindung stehenden Bauten eher als Denkmäler einer neuen politischen Ordnung denn als Monumente herrscherlich inszenierter Repräsentation.
Mit dem Architekturprogramm Berns beschäftigte sich im Anschluss der dort tätige Richard Němec. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung zu den spätmittelalterlichen Architekten- und Werkmeisterdynastien standen die in dieser Zeit entstandenen Berner Repräsentationsbauten –  insbesondere das neue Rathaus und das Münster. Wie eng die zunehmend professionalisierte Organisation des Baubetriebes mit dem Machtzuwachs der einflussreichen Berner Bürgerfamilien verbunden war, zeigte der Referent anhand des Sankt-Vincenzen-Schulbuches. Den Fund einer böhmischen Pietà nahm er zum Anlass, um die Verflechtung politischer und künstlerischer Kontakte zwischen Bern und Prag aufzuzeigen. In der Formensprache des Berner Münsters sind sowohl Prager als auch Straßburger Einflüsse erkennbar, die beide durch die Baumeisterfamilie Ensinger vermittelt wurden. Doch auch der Ausdruckswille der örtlichen Bürgerelite wird hier deutlich. Dies zeigte Němec anhand der auffälligen Innovationslosigkeit in der Architektur des Münsters, durch welche die Traditionsverbundenheit der Berner verdeutlicht werden sollte, wie an der davon abgesetzten Modernität des Maßwerks. In der Verbindung erkannten, so Němec, die Zeitgenossen die Repräsentation des zwischen Tradition und Moderne vermittelnden Patriziats.
Den Abschluss der ersten Sektion bildete der ebenfalls kunst- und architekturhistorisch angelegte Beitrag von Jana Gajdošová (London) auf den Spuren der Wenzelsverehrung unter Karl IV. in Prag. Im Mittelpunkt stand dabei das ikonographische Programm der Karlsbrücke, bei dessen Betrachtung die fehlende Repräsentation des Heiligen ins Auge fällt. Angesichts des hohen Stellenwertes, den Wenzelsschwert und -krone innerhalb der Krönungszeremonie einnahmen ist es umso verwunderlicher, dass der heilige Wenzel auf der Karlsbrücke, welche eine wichtige Station der Krönungsprozession darstellte, nicht durch eine Statue vertreten wird. Interessant ist zudem die Verbindung des Heiligen mit der im Frühmittelalter am Ort befindlichen Brücke durch seine Translationslegende. Ausgehend von Hinweisen, welche die Existenz einer spätmittelalterlichen Wenzelsstatue nahelegen, die auf einer alleinstehenden Säule am Zugang zur Brücke positioniert war, vermutete Gajdošová den Bau eines entsprechenden Ensembles unter Karl IV. So ließe sich das Fehlen Wenzels auf der Karlsbrücke mit einer Exponierung seiner Person durch die zugleich separierte und doch an das Skulpturenprogramm der Brücke anschließende Stellung der Staute am Brückenzugang erklären. Der steinerne Stellvertreter des Heiligen wurde auf diese Weise in einen eigenen Sakralraum gebettet, der seiner besonderen Wichtigkeit entsprach.

Repräsentation durch Inszenierung war das Thema der zweiten, von Eva Schlotheuber (Düsseldorf) moderierten Tagungssektion. Den ersten Beitrag lieferte Ewa Wólkiewicz (Warschau), die sich in ihrem Vortrag über den Herrschaftsantritt der Breslauer Bischöfe insbesondere dem Adventus der Elekten widmete und dessen symbolischen Gehalt untersuchte. Die aussagekräftigste Station war dabei der feierliche Gang über die Brücke zur Dominsel. Den dabei traditionell vollzogenen, öffentlichen Kleiderwechsel interpretierte die Referentin als rite de passage, durch welche der „Tod“ des alten, zugunsten der „Geburt“ eines neuen, sündenbefreiten Menschen zelebriert und dem Publikum sinnbildlich vermittelt wurde. Eine Parallele sah Wólkiewicz dabei zur traditionellen Beraubung der zum Papst gewählten Kardinäle.
Daran anschließend befasste sich Veronika Csikós (Budapest) mit den Bischöfen von Regensburg und hinterfragte deren Stellung zwischen Luxemburgern und Wittelsbachern im 14. Jahrhundert. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stand das Ausmaß politischer Interaktion zwischen Bischöfen und Herrschern in diachroner Perspektive, wobei sehr deutlich personell geprägte Unterschiede erkennbar waren. Während beispielsweise der erste Bischof des 14. Jahrhunderts, Konrad von Lupburg, noch weitgehend unabhängig vom Herrscher agieren konnte, stand bereits sein Nachfolger Nikolaus von Ybbs als Mitglied der königlichen Kanzlei in einem engen Verhältnis zum Regenten. Er kooperierte jedoch nicht nur mit Ludwig dem Bayern sondern erfuhr auch durch Johann von Böhmen Unterstützung. Nachdem mit Friedrich von Zollern noch einmal ein den Luxemburgern nahe stehender Kandidat ins Amt gelangte, folgte bis zum Ende des Jahrhunderts eine Phase politisch weitgehend desinteressierter Bischöfe, die sich in erster Linie geistlichen Aktivitäten widmeten und die praktische Verwaltung des Bistums dem Domkapitel überließen.
Wie schon Wólkiewicz beschäftigte sich auch Martin Bauch (Darmstadt) in seinem Beitrag mit einer rite de passage. Im Gegensatz zum Adventus der Breslauer Bischöfe stand nun jedoch nicht allein ein symbolischer Tod im Mittelpunkt des Zeremoniells: Mit besonderem Augenmerk auf der Figur des von ihm so benannten schwarzen Reiters widmete sich der Vortragende in europäisch-komparatistischer Perspektive der Begräbniszeremonie Karls IV. Bis zu seinem Begräbnis war der tote König weiterhin als Regent präsent und wurde als „lebender Toter“ durch einen schwarzen Reiter symbolisiert, den man mit den Insignien des Herrschers ausstattete. Bekannt ist dieser ursprünglich ritterliche Brauch, der im Reich ansonsten keine Tradition hatte, aus Savoyen und Polen, während in England und Frankreich zu diesem Zweck Effigies genutzt wurden. In beiden Traditionen zeigt sich jedoch eine stark personalisierte Wahrnehmung von Herrschaft. Folglich bildete die symbolische Opferung des Reiters das zentrale Ereignis innerhalb des Übergangsrituals. Hiermit erfolgte nicht nur die Rückgabe der irdischen Herrschaft sondern, laut einer These Frantisek Šmahels, auch der Eintritt in den Dienst Gottes. Erst nach dem Vollzug der Opferung konnte mit Wenzel der neue Herrscher die Bühne betreten.
Mit dem Beitrag Zoë Opačićs (London) über luxemburgische Stadtplanung in europäischer Perspektive fand der erste Konferenztag seinen Abschluss. Dabei betrachtete die Referentin in erster Linie die Entwicklungen in Prag, das zwar nie offiziell als Hauptstadt des Reiches propagiert worden war, dessen Prosperität jedoch mit der Stärke des luxemburgischen Königtums korrespondierte. Inspiration für die städtebaulichen Maßnahmen bezogen die Herrscher dabei insbesondere aus Italien und Paris, im Falle Sigismunds auch aus Buda. Den italienischen Einfluss sah die Referentin vor allem in der Anlage von Zeremonialrouten und dem großen Stellenwert von Plätzen als Zentren von Kult und Regierung. Weiterhin verwies Opačić auf das Prag durch den Vergleich mit Rom, Jerusalem und Konstantinopel zukommende Städtelob. Dies korrespondiert mit der Feststellung, dass viele architektonische Elemente in Prag über ihre pragmatische Funktion hinaus auch symbolisch-religiös gedeutet werden können.

Herrschaftsstilen im Kontext von Hofkulturen und Erziehung widmete sich die von Katalin Szende (Budapest) moderierte dritte Sektion. Den Auftakt machte Lenka Panušková (Prag) – Pavlína Cermanová (Prag) war leider verhindert – mit einem Beitrag zu den astrologischen Handschriften Wenzels IV. als Medium der Herrschaftslegitimation: Da die Bibliothek nach seinem Tod zerstört wurde, sind heute nur noch sieben Bücher aus Wenzels Besitz erhalten, drei davon mit Inhalten astrologischer Natur. Zwei dieser Codices nahm die Vortragende näher in den Blick: Anhand einer um 1392/93 entstandenen Handschrift mit dem Liber de signis des Michael Scottus und des Münchner Sammelbandes CLM 826 sowie insbesondere der dort enthaltenen Illustrationen ging sie dem repräsentativen Charakter der astrologischen Handschriften auf den Grund. Wurde Wenzel einerseits für seine Beschäftigung mit der Astrologie kritisiert und als consultum daemonum bezeichnet, so konnte er sich durch das Betreiben der „Königswissenschaft“, ähnlich wie bereits Friedrich II., doch auch als um die kosmologische Harmonie besorgter Friedens- und Gerechtigkeitswächter inszenieren. Seine umstrittene Würde als römischer König wurde, so das Fazit der Vortragenden, mithilfe der astrologischen Handschriften gegenüber den Besuchern der Bibliothek als in den Sternen ablesbar legitimiert.
„Wie man das Herrschen lernt“ erläuterte Paul Töbelmann (Heidelberg) in seinem Vortrag zur Bildung der Luxemburger, in dem er vor allem den damit verbundenen Repräsentationscharakter untersuchte. Ein Bildungsbestreben, wie es die Luxemburger an den Tag legten, war laut Töbelmann im 14. Jahrhundert noch eine Ausnahme und damit auch für die Zeitgenossen besonders bemerkenswert. Niederschlag fand diese insbesondere am französischen Hof erworbene Bildung der Herrscher unter anderem in der Gründung von Universitäten, der Einführung französischer Gewohnheiten sowie, unter Karl IV., einem auch für die Kurfürsten reklamierten Anspruch an Multilingualität. Dabei war letztlich weniger die tatsächliche Bildung des einzelnen Herrschers ausschlaggebend, sondern vielmehr der entsprechende Anspruch und die Außenwirkung, die auch durch Gelehrte im Umfeld des Herrschers konstituiert werden konnte. Hier verwies der Referent  auf den bereits im Vorfeld der Tagung diskutierten und eingangs erwähnten „Herrscher in Anführungszeichen“. So verstanden können die Luxemburger als Vorbilder des rex-literatus-Ideals gelten.
Mit eben diesem Ideal beschäftigte sich auch Václav Žůrek  (Prag) in seinem Beitrag, der die Stilisierung Karls IV. als weiser Herrscher zum Thema hatte. Die unterschiedliche Bewertung Johanns von Böhmen und seines Sohnes Karl IV. zeigte der Referent eindrücklich anhand ihrer literarischen Verarbeitung: Während der Vater bei Guillaume de Machaut im Jugement du Roy de Behaigne noch im typisch ritterlichen Bild des Richters im Minnestreitfall gesehen wurde, erschien der Sohn bei Heinrich von Mügeln in Der meide kranz als Richter beim Streit der personifizierten Künste und Wissenschaften und bestach ausdrücklich durch sein weises Urteil. Laut Žůrek manifestierte sich diese neben Karl IV. etwa auch Karl V. oder Karl von Anjou zugeschriebene Weisheit in vier Aspekten: Der Funktion des Königs als Gesetzgeber und Richter in der Tradition König Salomos, als Förderer von Kunst und Kultur, als Büchersammler und Leser sowie als Autor. Wie der Vortragende zeigen konnte, wurde Karl IV. allen vier Punkten gerecht – etwa durch den Erlass der Goldenen Bulle, die Prager Universitätsgründung, die Veranlassung volkssprachlicher Übersetzungen sowie die eigene schriftstellerische Tätigkeit. Letztlich bildete Karls vielfältig inszenierte Weisheit, so Žůrek, auch einen Gegenpol zur eher ritterlich geprägten Waffengewalt und korrespondierte auf diese Weise mit seinem Image als Friedenskaiser.

Im Anschluss befassten sich die Referenten der von Eduard Mühle (Warschau/Münster) moderierten vierten Sektion unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Regierungspraxis des Herrschers.
Den Anfang machte Johannes Abdullahi (München) mit einem Beitrag zum Finanz- und Politikstil Johanns des Blinden, den er anhand seiner Goldmünzen untersuchte. Dabei widmete er sich in erster Linie der Frage, mit welcher Motivation deren Prägung unter Johann zu erklären ist. Gegen ein dahinter stehendes Gewinnstreben schienen zunächst die hohen Kosten zur Beschaffung des Edelmetalls zu sprechen. Bei genauerem Hinsehen zeigte sich jedoch, dass die Goldgewinnung entgegen der bisherigen Forschungsmeinung doch in Böhmen stattgefunden haben könnte, was einen Abwurf von monetären Gewinnen wahrscheinlicher macht. Dafür spricht auch eine mögliche Initiierung der Goldprägung durch Lombarden, die als Geldgeber fungierten. Bei Betrachtung des Münzbildes verwundert zunächst, dass auf den ersten Blick kein Bezug zum Herrscher erkennbar ist; es handelt sich um eine getreue, wenn auch durch die Umschrift als böhmisch gekennzeichnete Nachprägung des Floren. Obgleich dieser Umstand mit der schwierigen Durchsetzung der Goldwährung erklärt werden kann, überwiegen nach Einschätzung des Vortragenden letztlich die Hinweise für eine in erster Linie finanzielle Motivation der Goldprägung.
Mit dem niederen Adel um Wenzel IV. befasste sich der folgende Vortrag Robert Novotnýs (Prag). Den Anstoß zu seinen Ausführungen bildete die zeitgenössische wie moderne Kritik an den Ratgebern Wenzels. Dabei sind die so kritisierten Günstlinge laut Novotný mehr als Typen denn als Individuen zu verstehen. Dieser Typus formte sich aus einem wenige Personen umfassenden Kreis niederer Adliger und prägte die Vorstellung von einem hohen Anteil niederen Adels an  den Hofleuten Wenzels.  Hingegen konnte der Referent anhand seiner Untersuchungen aufzeigen, dass lediglich ein Fünftel des Hofes sicher dem Niederadel zuzurechnen ist – ein geringerer Anteil als an den Höfen von Zeitgenossen und Nachfolgern. Zudem betrachtete Novotný die bevorzugten Aufenthaltsorte Wenzels und stellte fest, dass diese eng mit den Zentren des Niederadels verbunden waren, wohingegen er die geringe Präsenz dieser Gruppe am Hof mit einer gescheiterten Integration der machtpolitischen Eliten von Seiten des Hofes erklärte.
Im nächsten Beitrag untersuchte Mark Whelan (London), ausgehend von verschiedenen Episoden, den Umgang Sigismunds von Luxemburg mit der Türkengefahr in seiner Funktion als römischer König. Mithilfe aller erdenklichen Mittel bemühte sich Sigismund um Aufklärung über die Türkengefahr; vehement versuchte er, die Reichsfürsten von der Notwendigkeit eines Krieges gegen die seit 1419 an der Donau stehenden und das ungarische Königreich bedrohenden Feinde zu überzeugen. Obgleich sich mit jeder neuen Krone für den Herrscher größere Handlungsmöglichkeiten eröffneten, musste der König sich, wie Whelan anhand Sigismunds Korrespondenz mit dem Deutschen Orden sehr anschaulich zeigte, doch überraschend hartnäckig selbst um Kleinigkeiten bemühen und scheiterte letztlich auch mit seinem wiederholten und nicht ohne Herzblut vorgetragenen Aufruf zur Türkenbekämpfung.
Die Politik Kaiser Sigismunds stand auch im Mittelpunkt des folgenden Vortrages. Alexandra Kaar (Wien) fragte in ihrem Beitrag nach der Verknüpfung von Wirtschaft und Krieg beim Hussitenfeldzug und untersuchte den darin ablesbaren, individuellen Herrschaftsstil. Dabei nahm sie vor allem die Urkundentätigkeit Sigismunds in den Blick und interpretierte diese als Akt symbolischer Kommunikation. Handelte es sich beim Handelsverbot gegen die Hussiten um eine im Kampf gegen Ketzer übliche Maßnahme, lässt sich an der Form seiner Kommunikation doch in gewissem Maße die Demonstration eines spezifischen Herrschaftsstiles erkennen. So stellte sich Sigismund in seinen Urkunden bewusst als Schützer der rechten, christlichen Ordnung dar, der mit harter Hand gegen die Hussiten vorging. Demnach sah die Referentin im hussitischen Handelsverbot ein Mittel zur Herrschaftsausübung wie zur wirksamen Kommunikation des Herrschaftsstiles.

Den Abend des zweiten Konferenztages bereicherte Eva Schlotheuber (Düsseldorf) – sie übernahm die Vertretung für den leider erkrankten Jiří Fajt (Berlin/Leipzig) – mit einem öffentlichen Vortrag zur Kaiserkrönung Karls IV. und dessen Verbindung zum päpstlichen Legaten Aegidius Albornoz: Die mit der Kaiserkrönung 1355 verbundenen Schwierigkeiten resultierten zu einem großen Teil aus den ungeklärten italienischen Machtverhältnissen während des avignonesischen Exils. So stand mit der Kaiserkrönung letztlich auch eine Klärung des päpstlich-kaiserlichen Verhältnisses im Kirchenstaat auf der Tagesordnung. Weiteres Konfliktpotenzial erwuchs aus den Bestimmungen der Goldenen Bulle, die sowohl das Reichsvikariat als auch das Approbationsrecht des Papstes bewusst unerwähnt ließen. .Interessanterweise akzeptierte Innozenz VI. diese Minderung seiner Rechte jedoch stillschweigend und beharrte lediglich auf einer Absicherung gegenüber Herrschaftsansprüchen des Kaisers in spe, betreffend Rom und den Kirchenstaat. Trotz der päpstlichen Einwilligung zur Kaiserkrönung sollte sich deren Ausführung noch weiter verzögern. Grund dafür war das Verhalten des mit der Krönung beauftragten Kardinalslegaten Aegidius Albornoz. Obgleich Karl IV. ihn auf Bitten des Papstes militärisch unterstütze, war Albornoz zunächst nicht bereit, sich zur Krönung einzufinden und der Herrscher musste einige Ehrminderungen über sich ergehen lassen. Seiner umsichtigen, auf Konfliktvermeidung  ausgerichteten Verhandlungspraxis, die sich schon mehrmals als typisch für seinen Herrschaftsstil erwiesen hatte, war es zu verdanken, dass es im April 1355 endlich doch noch zur Krönung kam. Die Einschätzung der damaligen Verhältnisse von Seiten der Kirche erläuterte Schlotheuber anhand des prächtig illustrierten Treueschwurregisters aus dem Besitz Albornoz‘ , das dieser für die Mark Ancona anfertigen ließ. Hier findet sich eine bisher von der Forschung unbeachtete Darstellung von Papst und Kaiser, die starke Parallelen zur Verbildlichung der Konstantinischen Schenkung in der Silvesterkapelle von Ss. Quattro Coronati in Rom aufweist. Abweichend davon sind in der Illumination des Treueschwurregisters die fünf wichtigsten Städte des restituierten Patrimonium Petri zu erkennen. Daran zeigte sich der Verzicht des Kaisers auf Machtentfaltung im Kirchenstaat; im Gegenzug erkaufte er sich – so eine zentrale Aussage des Vortrags – damit das stillschweigende Einverständnis des Papstes im Hinblick auf die Vereinbarungen der Goldenen Bulle. Mit der Beschränkung auf eine Zustimmung ex silentio hielt sich der Papst jedoch die Möglichkeit zu einem späteren Veto offen.

Mit den Verflechtungen der luxemburgischen Herrschaftsstile beschäftigte sich die vierte und letzte Tagungssektion, deren Moderation Pierre Monnet (Paris/Frankfurt a. M.) übernahm.
Den Auftakt machte Nils Bock (Münster) mit seinem Vortrag über die Heroldsämter der Luxemburger. Er erläuterte zunächst die Entwicklung des Heroldsamtes zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert und verwies auf die Schlüsselfunktion der luxemburgischen Zeit, während der sich das Amt, von England und Frankreich ausgehend, auch im Reich professionalisierte. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung standen die Bestallungs- und Geleitbriefe der Herolde, da sich hier der Grad der Institutionalisierung besonders gut ablesen lässt. Bei einer diachronen Betrachtung der unter Karl, Wenzel und Sigismund ausgestellten Mandate zeigte sich eine Stärkung des herrscherlichen Einflusses zur Zeit Sigismunds. Im Vergleich zum französischen und englischen Heroldswesen erwies sich die moralische Belehrungsfunktion der Herolde im Reich als stärker ausgeprägt. Dies unterstreicht die Funktion des Königs als Richter über die Adeligen seines Reiches. In Form des Herolds wurde seine Person den Adeligen vergegenwärtigt; jener hatte folglich eine stark ausgeprägte symbolisch-repräsentative Funktion, wenn diese auch keine rechtliche Gültigkeit besaß. Letztlich lässt sich die alte These vom Kulturtransfer aus West nach Ost hinsichtlich des Heroldsamtes zwar grundsätzlich bestätigen, Bock betonte jedoch die typisch luxemburgischen Traditionen, die das Amt im Osten ergänzten und von der westlichen Ausprägung unterschieden.
Drei eng miteinander verbundenen Frömmigkeitspraktiken – Heiltumsweisungen, Pilgerzeichen und Wallfahrten – widmete sich Jan Hrdina (Prag) in seinem Vortrag, der die Bedeutung ostentativer wie privater Frömmigkeit für den Herrschaftsstil der Luxemburger anhand eines vorwiegend archivalischen Zugriffs beleuchtete. Zunächst richtete Hrdina seinen Blick auf die jährlichen Heiltumsweisungen in Prag, betonte die Öffentlichkeitswirkung der Veranstaltung und bewertete sie als Bestandteil eines bewusst auf die Betonung von Frömmigkeitspraktiken ausgerichteten Herrschaftsstiles. Hinsichtlich der überlieferten Prager Pilgerzeichen erläuterte der Referent anschaulich die an ihrer Verwendung ablesbaren internationalen Verflechtungen und bewertete sie ebenso wie die Heiltumsweisungen als Mittel zur Herrschaftsrepräsentation, die in diesem Fall jedoch mehr vom künstlerischen Aspekt denn von einer Betonung der Frömmigkeit getragen wurde. Im letzten Teil seines Vortrages betrachtete Hrdina die Verbindung der Luxemburger zum Wallfahrtsort Wilsnack. Obgleich die Wallfahrt seines Erachtens in erster Linie als Ausdruck privater Frömmigkeit gesehen werden muss, beförderte sie dennoch das frömmigkeitsbetonte Image der Herrscher und trug zur steigenden Popularität des örtlichen Kultes bei. Zugleich gelang es ihm auf der Basis von Pilgerzeichen-Abgüssen auf mitteldeutschen Glocken überzeugend zu zeigen, dass das einzige überlieferte Pilgerzeichen der Prager Heiltumsweisung in die 1390er Jahre datiert werden muss und nicht zu Lebzeiten Karls IV. entstanden ist, wie von der Forschung bisher angenommen.
Im Anschluss befasste sich Lukas Wolfinger (Göttingen) in seinem Vortrag zu Albrecht II. und Rudolf IV. von Österreich mit einer weiteren interessanten Verflechtung von Herrschaftsstilen. Dabei ging er der Frage nach, wie sich der Wandel in der habsburgischen Selbstdarstellung beim Übergang vom Vater zum Sohn abseits der von Zeitgenossen wie älterer Forschung vielfach unterstellten charakterlichen Motivation erklären lässt. So fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass die von den Zeitgenossen häufig kritisierte, da überaus aufwendige Inszenierung Rudolfs nicht erst mit seinem Amtsantritt, sondern bereits im Kindesalter begann, was auf entsprechende Absichten des sich selbst eher bescheiden gebärdenden Vaters hindeutet. Das königsähnliche Auftreten Rudolfs lässt sich dabei mit seinen weitreichenden Machtbestrebungen, die sich zunächst auf Ziele im schwäbisch-elsässischen Raum, in letzter Konsequenz jedoch auf die römische Königskrone richteten, erklären. Während seine körperliche Versehrtheit eine Kandidatur Albrechts ausschloss, rechnete dieser sich für seinen Sohn einige Chancen aus und war von Anfang an bemüht, ihm mithilfe einer herrscherwürdigen Inszenierung zu einer möglichst guten Ausgangslage für die Königskandidatur zu verhelfen.
Zum Abschluss der Sektion rückten mit dem Beitrag Julia Burkhardts (Heidelberg) über die Herrschaftspraxis Elisabeths von Luxemburg und Elisabeths von Habsburg erstmals die weiblichen Luxemburger in den Mittelpunkt des Interesses. Die Referentin hinterfragte insbesondere die Tragfähigkeit einer personalen Herrschaftsinterpretation und verdeutlichte anhand der beiden Frauen, wie bereits Lukas Wolfinger am Beispiel Rudolfs und Albrechts, die Kontextbezogenheit jedweden Herrscherhandelns. Diese strukturellen Rahmenbedingungen wurden, so Burckhardt, ergänzt durch tendenziell unreflektierte, situative Handlungen des Individuums sowie durch eine wohlüberlegte Inszenierung der Herrschenden nach außen, die durch reflektiertes Handeln geprägt war. Sowohl bei Elisabeth von Luxemburg als auch bei ihrer Tochter Elisabeth von Habsburg ist eine stark familien- und dynastiepolitische Ausrichtung erkennbar, hinsichtlich der Gestaltung und Umsetzung finden sich jedoch einige Unterschiede. So fällt vor allem die bei ihrer Mutter in diesem Maße nicht vorhandene Betonung von Religiosität und Frömmigkeit unter Elisabeth von Habsburg ins Auge, während jene unter anderem durch ihre Multilingualität überzeugte. Letztlich erkannte die Referentin jedoch bei beiden Frauen einen pluralistischen Herrschaftsstil, der sich aus einem Ensemble verschiedener Handlungselemente zusammensetzt.

In Form einer Abschlussrunde erfolgte zuletzt eine resümierende Betrachtung der Tagung und des dort diskutierten Forschungskonzeptes. Daran  beteiligten sich Bernd Schneidmüller (Heidelberg), Milena Bartlová (Prag) und Gerrit Jasper Schenk (Darmstadt.)
Schneidmüller widmete sich dem Konzept aus lexikalischer Sicht und forderte ein erneutes Hinterfragen der verwendeten Begriffe. Zudem plädierte er für eine Abkehr vom Gedanken an die Einheitlichkeit des „langen Jahrhunderts“ sowie den endgültigen Abschied vom Bild des Kulturtransfers, wie es aufgrund der älteren Forschung noch immer in Überresten präsent ist, und ermunterte stattdessen zu einer verstärkten Beachtung der Alteritäten.
Einer kunsthistorischen Perspektive entsprang die kritische Einschätzung Bartlovás, in deren Zentrum eine begriffsgeschichtliche Betrachtung stand. Sie zeigte auf, dass mit ‘Stil’ ursprünglich die individuelle Handschrift eines Menschen bezeichnet wurde, während der Begriff in der Frühen Neuzeit eine rhetorische Komponente trug und die Art und Weise beschrieb, in der eine Rede aufgebaut wurde, um dem Zuhörer den größtmöglichen Nutzen zu bieten. Seit dem frühen 19. Jahrhundert hielt der Stilbegriff Einzug in die Kunstgeschichte und wird seitdem mit einem in der Kunst gespiegelten Zeitgeist in Verbindung gebracht. Darauf aufbauend plädierte Bartlová für eine Rückkehr zur intentionalen Konzeption des rhetorischen Stilbegriffes und betonte das kaum trennbare Zusammenspiel zwischen Künstlern, Auftraggebern und Rezipienten. Insgesamt zeigte sie sich jedoch skeptisch gegenüber einer produktiven Nutzung des Konzepts in der Geschichtswissenschaft.
Demgegenüber bewertete Schenk das Forschungskonzept als grundsätzlich fruchtbar. Er ordnete das Konzept der Herrschaftsstile forschungsgeschichtlich zwischen der älteren Politik- und Verfassungsgeschichte sowie neueren, struktur- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen ein und plädierte diesbezüglich für einen Ausbau des medien- und kommunikationsanalytischen Ansatzes. Mehr als der dahinter stehende Realitätsgehalt solle dabei die Kommunikation und Rezeption der Herrschaftsrepräsentation im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen. Den Stilbegriff schätzte er aufgrund seiner suggestiven Kraft und der transdisziplinären Brückenfunktion grundsätzlich vorteilhaft ein, bemerkte jedoch auch die aus dem divergierenden Verständnis von Historikern und Kunsthistorikern erwachsende Problematik. Weiterhin forderte Schenk neben einer diachronen Differenzierung des Konzepts eine Stärkung der komparatistische Perspektive, befürchtete allerdings, dass im Vergleich mit anderen Dynastien die vermeintlich spezifisch luxemburgische Komponente an Eindeutigkeit verlieren könnte. Bei der Zuschreibung einer individuellen Note müssten zudem jeweils der Zeitgeschmack sowie die Bandbreite des kontextuell bedingten Handlungsspielraums berücksichtigt werden.

Insgesamt eröffneten die Beiträge der Konferenz ein breites Panorama möglicher Zugriffe auf das Forschungskonzept, das lediglich durch eine Konzentration der Vorträge auf die zweite Hälfte des luxemburgischen Jahrhunderts etwas eingeschränkt wurde. Anhand verschiedenster Untersuchungsgegenstände näherten sich die Referenten dem Herrschaftsstil mit jeweils anderen Methoden sowie aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und zeigten davon ausgehend diverse Manifestationen luxemburgischer Herrschaftsstile auf, wobei an vielen Stellen der personale Einfluss des Herrschers zu erkennen war. Deutlich wurde jedoch auch, dass die Person des Herrschers, seine charakterliche Disposition und sein individueller Stil kaum von den Beeinflussungen durch höfische Beraterkreise zu trennen sind, sodass ein Arbeiten mit dem bereits zitierten Herrscher „in Anführungszeichen“ durchaus geboten scheint. Dies bedeutet jedoch nicht, dass von einer Annäherung an das Individuum gänzlich Abstand genommen werden muss. Zwar wird man sich zwangsläufig auf eine Annäherung beschränken müssen, diese jedoch erscheint insbesondere anhand des (mutmaßlich) situativ-spontanen Alltagshandelns, wie es etwa Mark Whelan am Beispiel Sigismunds von Luxemburg illustrieren konnte, durchaus möglich und sinnvoll. Daneben zeigte sich, ganz besonders deutlich am Beitrag Lukas Wolfingers über Albrecht II. und seinen Sohn Rudolf IV., wie wichtig, aber auch wie schwierig es sein kann, die Bedingtheit der Herrscherrepräsentation durch die jeweiligen historisch-politischen Umstände auszuloten. Mitunter könnten die verschiedenen äußeren Einflüsse demnach so prägend gewesen sein, dass nur noch unter großen Schwierigkeiten von einer dezidiert personalen Prägung des Herrschaftsstiles gesprochen werden kann. Problematisch erscheint zudem die eindeutige Zuschreibung eines klar unterscheidbaren Herrschaftsstiles zu einer bestimmten Herrscherperson. So war Sigismund keinesfalls in allen Situationen ein „Wüterich“, ebenso wenig wie sich sein Vater Karl IV. immer und überall als „Heiliger“ gebärdete. Hier sollte mit der Vermischung unterschiedlicher Elemente auch innerhalb einer Herrschaft gerechnet werden. Bei allen Schwierigkeiten und Stolpersteinen zeigen die Ergebnisse der Tagung jedoch letztlich ganz deutlich, dass für alle behandelten Luxemburger personale Prägungen von Herrschaft erkennbar sind. Für deren Auswertung kann das Konzept des Herrschaftsstils meines Erachtens dann fruchtbar gemacht werden, wenn wir von einem offenen Stilbegriff ausgehen – wenn wir in Betracht ziehen, dass mehr als nur ein Einzelner den Pinsel geführt haben könnte, dass innerhalb eines Stiles mitunter verschiedene Register gezogen wurden. Die Sammlung wertvoller Mosaiksteinchen, welche die Konferenzbeiträge zu Tage gebracht haben, sinnvoll zueinander in Bezug zu setzen, Kontinuitäten, Verflechtungen und Brüche aufzuzeigen, bedarf es nun eines aktiven Dialogs. In dieser Hinsicht zeigte sich die Tagung sehr vielversprechend, war sie doch entscheidend vom offenen Austausch zwischen den Nationen, Disziplinen und Generationen geprägt. Dabei wurde deutlich, dass untereinander großer Gesprächs- und zuweilen auch Klärungsbedarf besteht, der dank der kollegialen Atmosphäre und der guten Organisation auch auf angenehme Weise gedeckt werden konnte.

Das Konferenzprogramm findet sich hier.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2736

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16. Erinnerung ans Vergessen

Stolpersteine

Gegen Jahresende ballen sich die Erinnerungszumutungen. Allenthalben muss memoriert werden, was in den vergangenen elf Monaten geschehen ist. Deswegen ist der Dezember üblicherweise auch so ein ereignisloser Monat, in dem nichts – oder fast nichts – geschieht. Schließlich sind alle so intensiv mit Erinnern beschäftigt. So wie auf kollektiver Ebene die Jahresrückblicke einander die Klinke in die Hand geben, wird auch im Privaten dem Gewesenen gedacht, werden die familiären Chroniken in kondensierter Form unters befreundete Volk gebracht, werden Bilder und Filme und Sonstiges, das sich an diversen Orten angesammelt haben, fein säuberlich sortiert. Ein Jahr vorbei, das nächste kann kommen.

Gegen diese Form der Erinnerungsarbeit wäre wohl gar nichts zu sagen, wenn sie auf den Dezember beschränkt bliebe. Aber man muss zuweilen den Eindruck haben, dass ein nicht ganz unerheblicher Teil des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens auch während der übrigen elf Monate für das Erinnern draufgeht. Gedenktage, Erinnerungsorte, Kranzabwurfstellen wo man hinschaut. Geschichte (was auch immer das sein soll) wird nahezu im Minutentakt zelebriert. Kaum ein Tag des Jahres, der nicht mit Erinnerungs- und Gedenkmarkierungen belegt ist, gerne auch mehrfach.

Da stellt sich die Frage, ob das nicht des Guten zu viel ist. Tut man der ‚Erinnerungsarbeit‘ einen Gefallen, wenn man sie zum dauerhaften Automatismus erstarren lässt? Sollte der Wert des Erinnerns – das ja gerade im deutschen Kontext immer ein mahnendes Erinnern an die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts ist – nicht gerade in einer pointierten Prägnanz anstatt in einer industrialisierten Dauerveranstaltung liegen? Lebt nicht auch die ‚Erinnerungsarbeit‘ wie jede gute Arbeit davon, auch mal eine Pause einzulegen?

Eine memoriale Zwickmühle

Knifflige Fragen, nicht zuletzt weil damit ja nicht nur, und noch nicht einmal vornehmlich, historische Probleme angesprochen sind. Zwar wird in der öffentlichen Wahrnehmung das historische Geschäft vielfach mit der Notwendigkeit zum Erinnern identifiziert (Medien, Politik, Interessenverbände und einschlägige Persönlichkeiten der Geschichtswissenschaft tragen das Ihre dazu bei, um diesen Eindruck zu bestärken). Tatsächlich handelt es sich aber nicht um ein geschichtswissenschaftliches, sondern um ein gesellschafts- und identitätspolitisches Phänomen. Die erinnerungsmäßige Zwickmühle ist daher schnell ausgemacht: Einerseits führt das Zuviel an Erinnerung zu Überdruss, andererseits steht die politische und moralische Notwendigkeit des Erinnerns außer Frage, so dass es niemand wagt, die Erinnerungsintensität ein wenig zu drosseln, will man nicht als Relativierer und Revisionist dastehen.

Sicherlich ist Erinnerung wichtig. Auch abgesehen von der historisch-moralischen Plumpheit, dass sich die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wiederholen darf, kann man erkennen, was passiert, wenn das gesellschaftliche Erinnern vergessen wird. Zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft. Ein Problem, das sich in derzeitigen ökonomischen Praktiken identifizieren lässt, ist die nahezu programmatische Erinnerungslosigkeit. Krise war gestern – was zählt, ist der mögliche Gewinn von morgen. Das ökonomische Zeitmodell basiert auf einer Scheuklappentechnik, die weder nach rechts noch nach links und schon gar nicht nach hinten schaut.

Probleme der Erinnerungskultur

Woher dann aber trotzdem dieser diffuse Eindruck, dass mit der Erinnerungskultur irgendetwas nicht stimmt? Weshalb nervt Erinnerung, obwohl sie ‚richtig‘ ist? Ein Blick in ein neues Buch von Aleida Assmann kann bei der Beantwortung helfen [1]. „Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“ versucht Assmann mit gewichtigen Argumenten auszuräumen. Implizit wird aber deutlich, wieso dieses Unbehagen nicht von ungefähr kommt.

Problem 1: Bloß weil die ‚Erinnerungspraxis‘ an sich gut und begrüßenswert ist, bedeutet das nicht, dass es auch die Ergebnisse der konkreten ‚Erinnerungsarbeit‘ immer sein müssen. Aufgrund der moralischen Aufladung fällt es schwer, dem Gedenken vorzuwerfen, es sei qualitativ schlecht. Assmann hebt in ihrem Buch ausführlich die Fernsehserie „Unsere Mütter, unsere Väter“ als ein wertvolles Beispiel jüngster Erinnerungskultur hervor. Wenn ich hingegen der Meinung bin, dass es sich um eine bedauerliche Form der Verharmlosung handelt, weil aufrechte, moralisch integre, junge deutsche Menschen vorgeführt werden, die zufällig auch überhaupt nicht antisemitisch sind, die noch nicht einmal für Krieg und Verbrechen verantwortlich gemacht werden können, weil sie Opfer übermächtiger, anonymer historischer Kräfte sind – zweifle ich dann schon die Bedeutung von Erinnerungskultur an sich an?

Problem 2 hängt unmittelbar damit zusammen: Erinnerungskultur entzieht sich tendenziell der Beurteilung, weil sie sich immer schon auf der moralisch richtigen Seite weiß. Das macht kritisches Nachfragen schwierig, zuweilen sogar verdächtig.

Problem 3: Erinnerungskultur geht nicht selten mit einer vulgärpsychologischen Dauerpathologisierung einher. Stichwort ‚Trauma‘! Da insbesondere die Deutschen, aber auch der Rest Europas und der Welt immer noch ‚traumatisiert‘ sind von Judenmord und Zweitem Weltkrieg und allen anderen Grausamkeiten, die die Geschichte der letzten hundert Jahre zu bieten hat, und zwar traumatisiert bis in die Enkel- und Urenkelgeneration hinein, muss – so der memoriallogische Schluss – notwendigerweise erinnert werden. Die Traumadiagnose wird zum Passepartout, das durch seine Dauerverwendung jegliche Aussagekraft verliert. Das ist bedauerlich, insbesondere für die tatsächlich Traumatisierten, hier und anderswo.

Problem 4: Erinnerungskultur ist nicht nur ein Geschäft, sie ist eine Industrie, die allein schon aus Gründen des eigenen wirtschaftlichen Überlebens nicht daran interessiert sein kann, die Memorialfrequenz zu verringern. Zu viele Jobs, Institutionen sowie öffentliche und private Gelder stecken in diesem Bereich, der sich nach wie vor über mangelnde Nachfrage nicht beschweren kann.

Diese erinnerungskulturelle Infrastruktur ist aber zugleich verstrickt in eine Überschuss-, und damit auch Überdrussproduktion, mit der sie sich – so meine Vermutung – keinen Gefallen tut. Sie könnte zum Eigentor werden. Was, wenn sich niemand mehr aus eigenem Antrieb aktiv erinnern will, weil ja schon immer passiv für einen erinnert wird? Dann geschieht eben doch das, was Aleida Assmann bestreitet, dann wird das Datum im Kalender eben doch zu einer „allgemeinen und gleichförmigen Erinnerungsverordnung“ (19).

Die größte Katastrophe?

Für das Vergessen Werbung zu machen, ist gar nicht nötig. Vergessen geschieht ohnehin beständig und ganz von selbst. An das Vergessen zu erinnern, soll auch gar nicht dazu auffordern, das Erinnern nun zu vergessen. Das ließe sich kaum dekretieren, und wäre zudem ein Missverständnis des Vergessens. Vergessen ist nämlich – entgegen landläufiger Meinung – nicht das Gegenteil von Erinnern, ist keine Vernichtung oder Auslöschung memorialer Inhalte. Daran wird man durch ein Buch aufmerksam gemacht, das fast gleichzeitig mit demjenigen von Assmann erschienen ist: „Die Formen des Vergessens“ von Marc Augé [2]. Vergessen erweist sich demnach nicht nur als überlebensnotwendig, sondern als Formvorgabe der Erinnerung und als produktive Praxis, mit der Kulturen ihre Wirklichkeit gestalten. Das Vergessen bleibt unterbelichtet, wenn es nur als Schattenseite der Erinnerungskultur verstanden wird. Denn das Verhältnis von Erinnern und Vergessen gestaltet sich nicht nach der Logik von Gewinn und Verlust, sondern nach der Differenz von Aktualität und Potentialität. Vergessen löst das Erinnerte nicht auf (denn ansonsten könnte man ja nicht wissen, dass man es vergessen hat), sondern es deaktualisiert bestimmte Wissensbestände.

Eines Morgens wurde ich an der von mir regelmäßig frequentierten Bushaltestelle von hungernden Menschen aus der Sahel-Zone angeblickt. Sie befanden sich auf einem Plakat der Diakonie Katastrophenhilfe, begleitet von dem Satz „Die größte Katastrophe ist das Vergessen“. Auch wenn die Intention dieser Kampagne richtig ist, so stimmt doch der Satz nicht. Man kann den Hunger auf der Welt nicht ‚vergessen‘. Man kann ihn nicht beachten, kann ihn beiseiteschieben oder verdrängen, aber ‚vergessen‘ kann man ihn nicht. Die größten Katastrophen sind daher Irrelevanz, Bedeutungslosigkeit, Unachtsamkeit.

Auf diesem Weg in den Aufmerksamkeitsverlust könnte sich die Erinnerungskultur befinden, wenn sie beliebig und unterschiedslos alles als der Erinnerung wert einstuft und das Vergessen verbietet. Einerseits produziert sie dadurch selbst Vergessen, nämlich in all denjenigen historischen Themenfeldern, die nicht Teil der Erinnerungskultur sind. Andererseits könnte sie selbst über kurz oder lang mit Deaktualisierung bestraft werden, wenn sie immer mehr vom Immergleichen einfordert.

[1] Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2013

[2] Marc Augé: Die Formen des Vergessens, Berlin 2013


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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/12/18/16-erinnerung-ans-vergessen/

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Adventskalender 2013 – 18. Türchen

Bettelschale 13. Jahrhundert Herkunft (Allgemein): Iran (Land) Quarzfritte, außen Lüsterbemalung auf opaker weißer Glasur, innen transparent hellblau glasiert; mit Kupferblech eingefasst Höhe: 5,5 cm Breite: 6,8 cm Tiefe: 13,2 cm Bettelschale, die aus einer Scherbe von der Schulter eines lüsterbemalten … Continue reading

Quelle: http://jameel.hypotheses.org/384

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Auflösung der Arbeitsgemeinschaft Historischer Forschungseinrichtungen und neue Trägerschaft der Historischen Bibliographie

AHF-Newsletter, Dezember 2013 Sehr geehrte Abonnentinnen und Abonnenten, nach langer Pause melden wir uns mit dieser Dezember-Ausgabe des Newsletter zurück. Inzwischen hat eine außerordentliche Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen am 20. September beschlossen, die AHF auf Grund fehlender finanzieller Mittel zum Jahresende aufzulösen. Das Kernprodukt der bisherigen Tätigkeit des Vereins, also die bibliographische Dokumentation

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4821/

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1 Jahr dk-blog – ein Rückblick

Im Dezember 2012, also vor einem Jahr, nahm der dk-blog konkrete Formen an, so daß ich zum neuen Jahr mit dem wissenschaftlichen Bloggen richtig loslegen konnte. Mittlerweile neigt sich auch das Jahr 2013 dem Ende zu – Anlaß genug, um einmal innezuhalten und zu reflektieren, wie sich das Format in den vergangenen Monaten entwickelt hat.

Nach meinem eigenen Eindruck verging die Zeit sehr schnell, und auch der allwöchentliche blogpost war schnell geschrieben; immer noch sind Themen endlos vorhanden – so viel Material, so viele Anregungen. Die leisen Bedenken im Vorfeld, daß es irgendwann nichts mehr gebe, über das zu schreiben wäre, hatten sich ganz früh verflüchtigt.

Für die Themenfindung hat sich aber kaum ein festes Schema entwickelt. Viele Anregungen kommen aus der (aktuellen) Literatur oder den Titeln, die gerade auf meinem häuslichen Schreibtisch sind. Vielleicht noch mehr Freude machen mir allerdings die kleinen, an Quellenschnipseln aufgehängten Episoden, die manchmal ins Skurrile abgleiten oder nur schwer zu deuten sind. Über das Bloggen ist mir noch einmal deutlicher geworden, wie bunt historische Befunde sind. Aber auch, wie sehr man sich daran abarbeiten muß, in dieser verwirrenden Vielfalt Muster für Interpretamente zu erkennen.

Es hört sich im ersten Moment abweisend an, ich weiß: Aber mir ist schnell klar geworden, daß ich hier in erster Linie für mich schreibe. Was nicht überrascht, denn in den meisten Fällen möchte ich mir ja über ein bestimmtes Phänomen Klarheit verschaffen, versuche also, erste ordnende Gedanken zu formulieren. Diese Einstellung hat natürlich meine Freude über Reaktionen seitens der Leserschaft überhaupt nicht verhindert, zumal vielfach meine eigenen Beiträge ganz wesentlich gedanklich erweitert und bereichert wurden. An der Stelle also auch ein herzlicher Dank an all die, die sich hier aktiv zu Wort gemeldet haben.

Letztlich wenig überraschend ist, daß das Gros der Besucher stumm geblieben ist. Interessanterweise passierte dies auch in den Fällen, wenn sie etwas zu sagen hatten. Das habe ich in einigen Fällen im Nachhinein erfahren, als Kollegen mich später (per Mail, im Telefonat oder beim persönlichen Gespräch) auf das eine oder andere hinwiesen, manchmal eingeleitet mit der wundervollen Bemerkung: „Fast hätte ich einen Kommentar zu diesem blogpost geschrieben …“. So ganz habe ich mir auf dieses Verhalten keinen Reim machen können.

An der Stelle also einige Gedanken als Jahresrückblick, unvermeidlicherweise aus der Innenansicht – aber vielleicht gibt es dazu ergänzende und/oder korrigierende Meinungen seitens der Leserschaft?

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/362

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Luise hilf! Ein rheinisches Stoßgebet an die ‘preußische Madonna’.

Als “désastreuse époque” bezeichnete Maria Isabella Geyr von Schweppenburg (†1811) im Herbst 1800 die zurückliegenden Jahre, jene Jahre seit dem Einmarsch der Revolutionstruppen ins Rheinland (Oktober 1794), jene Jahre, die dem rheinischen Adel das Äußerste abverlangt hatten. Von Maria Isabella hatten sie den Tod ihres Mannes, die Plünderung, Verwüstung und anschließend die Sequestrierung ihrer Familiengüter, den Fortfall ihrer Titel, Prädikate und Herrschaftsrechte gefordert. Darüber hinaus waren die Präbendenstellen, mithilfe derer ihre zwei Jüngsten versorgt worden waren, der Säkularisation zum Opfer gefallen, waren die einträglichen Hof- und Verwaltungsämter in landesherrlich-kurkölnischen Diensten, wie sie noch ihr Gatte und zuletzt ihr Ältester innehatten, weggebrochen.

Ein standesgemäßes Leben – ob links oder rechts des Rheins –, ja die bloße Existenz schienen in Gefahr. In ihrer augenscheinlichen Verzweiflung wandte sich die rheinische Freiherrin an Luise Königin von Preußen (1776-1811), deren haute protection sie sich offenbar 1793 während eines Aufenthalts der “Jungfer Husch” in der Bäderstadt Aachen erworben hatte. Der preußische Gesandte in Paris, der General Bernadotte und zuvorderst Josephine Bonaparte sollten durch die Preußenkönigin für die Sache Maria Isabellas gewonnen werden, sich beim Ersten Konsul der Französischen Republik für eine Aufhebung des auf den Geyerschen Gütern liegenden Sequesters verwenden. Und tatsächlich zeugen die in ihrem typischen, fehlerhaft-verhuschten Französisch abgefassten Antwortschreiben Luises von etlichen Bemühungen um ihre Klientin, spenden dieser Trost und Aufmunterung, zeugen darüber hinaus jedoch in überaus bemerkenswerter Weise von der Auseinandersetzung Königin Luises mit der Situation der französisch besetzten Rheinlande, des dortigen Adels, der Emigrantenproblematik, zeigen Luise räsonierend über die Schrecken der Revolution, über Möglichkeiten, jener “nation française” und ihrem gefährlichen esprit de démocratie” endlich Einhalt zu gebieten.

Die Frage, ob und inwiefern das Hilfegesuch der Witwe Geyr Früchte trug, gerät bei der Lektüre solcher Korrespondenzen rasch zur Nebensache. Und es manifestiert sich hier auch weit mehr als jenes weitere Mosaiksteinchen in der Überlieferung zur berühmten preußischen Königin, die vor allem dem Bürgertum zum Mythos wurde. Adlige Frauen, Adelsarmut, (weibliche) adlige Patronagenetzwerke um 1800, Ängste, Feindbilder und Verlusterfahrungen zweier Vertreterinnen ganz unterschiedlicher europäischer Adelsgruppen – dies sind nur einige der Themen und Forschungsfragen, die hier sofort ins Auge springen. Sie kreisen im Kern um adlige “Gewinnerinnen und Verliererinnen”. Luise, hilf doch mit!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/423

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Was ists, das hinter diesem Schleier sich verbirgt? Zur Debatte um Mein Kampf und weshalb man Wirkungszuschreibungen vermeiden sollte.

Ende 2015, 70 Jahre nach Adolf Hitlers Tod, werden die Nutzungsrechte an Mein Kampf, die nach Kriegsende auf den Freistaat Bayern übergingen, auslaufen. Dann steht jedem eine Veröffentlichung von Hitlers Programmschrift, auch unkommentiert, frei. Deshalb hatte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) 2009 in Eigeninitiative ein Editions-Projekt ins Leben gerufen, das durch eingehende Kommentierung „Hitlers Quellen Schritt für Schritt offenzulegen, den politik-, militär-, ideen-, kultur- und sozialgeschichtlichen Entstehungskontext seiner Weltanschauung nachzuzeichnen“ sucht, um „[...] jedem ideologisch-propagandistischen oder kommerziellen Missbrauch von Mein Kampf entgegenzuwirken.”1 Das Projekt wurde vom bayrischen Landtag gebilligt und schließlich mit einer halben Million Euro durch das bayrische Kultusministerium unterstützt, bis die Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vergangenen Dienstag, den 10. Dezember 2013, überraschend beschloss, eine Veröffentlichung unter bayrischem Staatswappen nun doch zu verhindern. Das IfZ will jedoch weiterhin in Eigeninitiative an der wissenschaftlich kommentierten Ausgabe arbeiten.

Ein Gesetz: Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.

Der Anstoß, den man an der Haltung der bayrischen Staatsregierung gegenüber einer wissenschaftlich qualifizierten Edition von Mein Kampf nehmen könnte, wirkt unter diesen Voraussetzungen freilich nicht so groß, denn es sieht so aus, als stände außer dem Rückzug der Förderung durch den Freistaat nichts einer Veröffentlichung 2015 entgegen. Die Staatskanzlei kündigte indes unlängst an, dass gegen Verlage, die Mein Kampf veröffentlichen wollen, zukünftig pauschal Strafanzeige wegen Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB erstattet werde2: Die Staatsregierung bezog in den vergangenen Jahren bereits so Position, eine Veröffentlichung der Hetzschrift sei „strafbar als Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda sowie als Volksverhetzung”3; selbst wenn sich diese Haltung 2012 besonders auch auf Initiative des bayrischen Landtages zu lockern schien, wurde sie nun noch einmal durch den Ministerrat deutlich zementiert.

Ich bin sicher nicht juristisch qualifiziert genug, um den Vorwurf der Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda und der Volksverhetzung zu widerlegen. Verweisen kann ich auf den Wortlaut von § 86 StGB, insb. Abs. 2 und 3, und auf ein darauf bezogenes Urteil des BGH vom 25. Juli 19794, in dem unter anderem begründet wird, dass Mein Kampf (genauer: jede vorkonstitutionelle Schrift im Allgemeinen) nicht dazu geeignet ist als Propagandamittel im Sinne von § 86 StGB zu gelten, wenn diese nicht durch zum Beispiel ein Vorwort oder Textzusätze/-ergänzungen „in der Weise aktualisiert wird, dass nunmehr aus ihrem Inhalt selbst die Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik hervorgeht.”5 In Bezug auf den Vorwurf der Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB, insb. Abs. 2, ist Abs. 6 desselben Paragraphen zu beachten, der Abs. 2 unter die Ausnahme von § 86 Abs. 3 stellt, also eine Ahndung ausschließt, wenn eine entsprechende Handlung „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.”

Ich sehe deshalb, wie gesagt ohne ausreichend juristische Qualifikation zu genießen, um derlei Rechtsfragen stichhaltig bewerten zu können, keinen Anhalt für ein rechtliches Vorgehen gegen mindestens eine wissenschaftlich einwandfrei kommentierte Ausgabe von Mein Kampf. 2008 ließ das Communiqué des bayrischen Finanzministeriums zudem erkennen, dass es auch nicht direkt darum ginge, der Verfassung gerecht zu werden, sondern man sich „mit einer restriktiven Haltung sehr viel Anerkennung erworben” habe und da man das Werk deshalb nun für per se verfassungsfeindlich halte, sei auch „nicht zu erwarten, dass nach dem Erlöschen des Urheberrechts das Werk wild veröffentlicht werde.”6 Zumindest wenn man die zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten dazu nutzen kann, jeglichen Veröffentlichungsversuch zu unterbinden. An der Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens bleiben m.E. berechtigte Zweifel offen.

Und furchtbar wie ein gegenwärtger Gott.

Und dabei könnte nun gerade eine womöglich sogar mitbetreute wissenschaftlich kommentierte Ausgabe der bereits jetzt bestehenden „wilden” und unkontextualisierten Verbreitung besonders im Internet7 eine wertvolle, da entsprechend kontextualisierte Alternative entgegenstellen. Mein Kampf hat darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten eine massive Verbreitung gerade (aber bei Weitem nicht ausschließlich) im arabischen Raum erfahren und dort sein Übriges getan antisemitistische Argumentationsweisen zu befeuern. Wer – zumal mit rechtsstaatlichen Mitteln – versucht, entsprechend kontextualisierende und aufklärerische Ausgaben im deutschsprachigen Raum zu verhindern, versagt unserer Gesellschaft die Möglichkeit, die Gefahrenpotentiale von Hitlers Hetzschrift zum Beispiel auch im interkulturellen Diskurs aktiv zu entschärfen.

Wer darüber hinaus unterstellt, eine solche Schrift gefährde per se noch heute den öffentlichen Frieden und gereiche per se zur Ächtung eines Teils der Bevölkerung, der gesteht ihr eine gewissermaßen recht privilegierte Macht zu. Das ist eine aktive Mystifizierung im ursprünglichen Wortsinn; hüllt man ein Werk, eine Person, ein Symbol in ein solches Mysterium ein, erhält das so geschaffene Mysterienkonstrukt eine transzendente Stellung gegenüber der eigentlich recht banalen materiellen Verfasstheit des so Verhüllten: Die Unterstellung, Mein Kampf wäre schon an sich in jedem beliebigen heutigen Kontext volksverhetzend, völlig unabhängig von Herausgabeintention und Umgang damit, gibt dem Konstrukt eine Überzeitlichkeit, die der Schrift beim besten Willen nicht zusteht.

Das wirkt vergleichbar mit der noch immer praktizierten Mystifizierung Hitlers als das ultimative Monstrum, das nicht etwa nur durch Zuschreibung, sondern durch bewusste Transzendentmachung in seiner Monströsität potenziert wird. Das Dokumentationsdrama Speer und Er (2005, Heinrich Breloer) beispielsweise trägt die Monströsität schon im Titel: Eigentlich geht es im Film gar nicht so sehr um Hitler, sondern – der Titel möchte es eigentlich verraten – um den Kriegsverbrecher Albert Speer. Brisanz wird aber, zumindest ad hoc im Titel, nicht mit dessen Verwicklungen in die Machenschaften der Nationalsozialisten und seiner zweifelhaften Selbstinszenierung erzeugt, sondern viel eher durch den phorischen Verweis auf Ihn, dessen Nicht-Nennung dem geneigten Publikum genug Raum lässt sich zu überlegen, dass Speer ohne Ihn als transzendentes Prinzip womöglich kein Kriegsverbrecher gewesen wäre.8 Es handelt sich dabei m.E. noch um eine vergleichsweise seichte und einigermaßen unaufdringliche Vorgehensweise; der plakativ das „Monstrum Hitler” herausstellenden Beispiele gibt es allerdings so viele, dass ich dem geneigten Leser sicher den Gefallen tun kann, es bei diesem einen zu belassen und schlicht darauf zu verweisen, dass gerade populärwissenschaftliche Dokumentationsreihen die Zentralsetzung Hitlers in Bezug auf das Dritte Reich als zweckmäßige Strategie erkannt haben; scheinbar ohne dass die Macher sich darüber im Klaren sind, dass sie damit ein essentielles Prinzip des Führerkults reproduzieren.

Aber auch auf mehr Sachlichkeit bedachte Darstellungsformen beackern oftmals ein Bildwissen, das die nationalsozialistische Propaganda selbst ausgefurcht hat. Es gibt eine handvoll Bilder Adolf Hitlers, die permanent immer und immer wieder auftauchen müssen, darunter die beiden Schulterstück-Aufnahmen, die die 1943er-Auflage von Mein Kampf auf der Vorderseite und in der Titelei zieren9; als die typischsten heutzutage gezeigten Filmaufnahmen würde ich die Abschlussrede Hitlers im Riefenstahl-Film Triumph des Willens von 1935 oder ähnliche Rede-Aufnahmen sowie Ausschnitte aus den Privataufnahmen mit Eva Braun am Obersalzberg ausweisen wollen. Bis auf letztere greift man dabei auf eindeutiges Propaganda-Material zurück. Durch die Rekontextualisierung werden sie zwar eindeutig von ihrer propagandistischen Einbettung enthoben, besonders der Riefenstahl-Ausschnitt wird nicht selten in den Dienst einer satirischen Doublage gestellt oder dient der bloßen stummgeschalteten Bebilderung von Ausführungen aus dem Off, für die sonst kein spezifisches Material zur Verfügung steht. Die Wirkweise der Bilder verliert sich allerdings nicht, sie wird verändernd weitergenutzt oder – was schlimmer wiegt – in ihrer Wirkungskraft im Sinne des Führerkults nicht ernstgenommen.

Wenn von der Wahrheit nur diese dünne Scheidewand mich trennte – und ein Gesetz

Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, das „Monstrum Hitler” heraufzubeschwören und dabei immer weiter an diesem überweltlichen Konstrukt zu bauen, das mit einem unwirklichen Macht-Privileg ausgestattet wird und die Gesellschaft so wiederum in Ohnmacht davor versetzt. Das kann als Abwehrmechanismus durchaus seine Funktionalität besitzen und fügt sich recht passgenau in eine Darstellungstradition ein, die von ‘Machtergreifung’ und ‘Tag der Befreiung’ spricht, die den ‘Verführer der Massen’ kennt; es fügt sich passgenau in eine Sprach- und Identitätskrise nach dem Krieg, die sich ihrer eigenen Ausdrucksformen ob nationalsozialistischer Instrumentalisierung oder Ächtung nicht mehr sicher sein konnte und zwangsläufig dem ausgesprochen realen Grauen mit mehr oder minder adäquaten Konstrukten des Grauens begegnet. Es ist eine absolut logische Reaktion, dem nationalsozialistischen Führer-Konstrukt das entmenschte Konstrukt des Monster-Hitlers entgegenzustellen, um den ideologischen Ballast der faschistischen Propaganda abzufassen und möglichst auszuexorzieren.

Daher rührt m.E. auch die restriktive Haltung gegenüber Mein Kampf. Es ist nicht etwa der Inhalt der Schrift und ihr etwaiges hetzerisches Potential, das sich ja per se in der heutigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr entfalten könnte10, sondern die Aufrechterhaltung der mindestens ursprünglich ausgesprochen gerechtfertigten Schutzhaltung. Indem man nun aber fortfährt, der Schrift ein hohes Hetzpotential zuzuschreiben, weil es ein essentieller Zuschreibungsbestandteil des Hitler-Konstrukts ist, erkennt man der nationalsozialistischen Ideologie unter der Macht eines hitlerschen Monstrums implizit eine überzeitliche Fähigkeit zur Einflussnahme an und macht Mein Kampf zu einem vermeintlich priviligierten Erkenntnismedium, vor dessen ‘Wahrheiten’ Sais-Schleier und Gesetz den Bürger schützen müssen, der seinerseits zum Zwecke seiner Meinungsbildung auf den Wahrheitsanspruch eines offiziellen Narrativs zu vertrauen habe, dem ja dann ein Wissen innewohnt, das ihm selbst verwehrt bleibt. In solche Unbestimmtheit gesetzt aktualisiert man stetig die Wirkmächtigkeit des Werkes, indem man ihm im Zirkelschluss stetig Wirkmächtigkeit zuspricht. Man darf es wohl als fatal bezeichnen, dass damit „die Faszination einer Macht, die ihren einzigen Grund in ihrer Ermächtigung hat und sich aus dem Nichts selbst erschafft”11, zwar stark umgewertet, aber eben dennoch aufrechterhalten wird.

Und wer mit ungeweihter schuldger Hand den heiligen, verbotnen früher hebt

Der so um Mein Kampf und Hitlers Gestalt gehüllte Schleier befeuert dann nicht nur den Führerkult, dem man eigentlich Herr werden möchte, teilweise sogar noch in Resten seiner demagogischen Einbettung, sondern sie verwehrt aktive Einflussmöglichkeiten auf das Geschichtsbild, das ja ohnehin ständig von revisionistischer Seite dem hanebüchenen Vorwurf der verzerrenden Wirklichkeitsselektion ausgesetzt ist. Eine wissenschaftlich fundierte Dekonstruktion und damit auch Entmystifizierung der Schrift und des Hitler-Konstrukts versetzte die Gesellschaft in die Lage, sich gegenüber faschistischen Argumentationsweisen und ihren Ablegern in Bezug zu setzen und der Breite der Öffentlichkeit aufklärerisch Zugang zu gewähren. Meiner sehr persönlichen Ansicht nach gesundet gerade die deutsche Kultur auch nur in der Aufgabe des Hitler-Konstrukts, dessen Alleinanspruch auf Abscheulichkeit und Demokratiefeindlichkeit den Führerkult – wie ausgeführt und absurderweise! – in seiner Wirksamkeit nachträglich befördert und dazu geeignet ist, zeitgenössische Tendenzen mit ähnlich verheerenden Konsequenzen weichzuzeichnen bzw. die Anfälligkeiten demokratischer Systeme auszublenden. Die Gesellschaft hingegen in ihrer Breite an die theoretischen Grundlagen der nationalsozialistischen Demagogie – und dazu ist Mein Kampf m.E. sehr gut geeignet – heranzuführen, den Schleier so zu lüften, erscheint mir als eine ehrlichere und weitaus wirksamere Position.

Das muss nicht unter dem bayrischen Staatswappen passieren; es müssen indes Möglichkeiten offen bleiben Mein Kampf und Adolf Hitler in ihrer Historizität wahrnehmbar zu machen. Das hilft auch bei der Entschärfung der propagandistischen Potentiale, die gedrungenermaßen weitertradiert und so teilweise reaktualisiert werden: Die Faszination am „Monstrum Hitler”, aus der sich beispielsweise eine große Menge populärwissenschaftlicher Formate brisanzsteigernd speißt, würde an Gefahrenpotentialen und nicht zuletzt vielleicht auch an ihrer fragwürdigen Wirksamkeit einbüßen, legte man ihren Kern offen und zeigte auf, mit welchen Mitteln sie überhaupt hervorgerufen wurde.

Allein schon die zugängliche Rekonstruktion von Hitlers Quellen und Gedankengebern gäbe womöglich weitreichende Aufschlüsse und entzauberte ein Stück weit den Führerkult. Eine solche Rekonstruktion darf jedoch nicht auch noch zukünftig in einen Elfenbeinturm voller Mysten gesperrt werden, schon gar nicht, weil zeitgenössische Führerkulte und Ideologisierungsstrategien dezidiert außerhalb von wissenschaftlich geschulten Kreisen ansetzen. Ich will keineswegs unterstellen, dass eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Mein Kampf dazu in der Lage wäre, vor jeglicher Hetze und demokratiefeindlich-ideologischer Einflussnahme zu schützen; das stellte die Schrift ebenfalls auf das Podest des privilegierten Erkenntnismediums, das sie nicht ist. Es wäre allerdings zu erwarten, dass das zielstrebige und in unseren Wertekanon eingebettete Offenlegen der Grundlagen von Hitlers Demagogie, deren verheerende Konsequenzen uns durch die in den letzten Jahrzehnten geschehene Aufarbeitung sehr bekannt sind, das Auge schult für ganz ähnliche oder mindestens entfernt vergleichbare Weisen. Luise Rinser, um nur ein Beispiel anzuführen, zeigt in ihrem Nordkoreanischen Reisetagebuch12 sehr eindrucksvoll, wie blauäugig man auch als eine der großen literarischen Stimmen nach dem Niedergang des Dritten Reiches, wenngleich noch in den 1980er-Jahren, dem nordkoreanischen Modell des Führerkultes und der propagandistisch überinszenierten Verheißungserfüllung13 hemmungslos auf den Leim gehen kann.

Vielfach geflügelt ist das Wort, das meint, man lerne aus Geschichte. Was sie für Geschichte hält, muss eine Gesellschaft, zumal eine, die das nationalsozialistische Regime zu beerben hatte, für sich selbst festmachen. Mein Kampf in seiner Historizität als vorkonstitionelles Machwerk Adolf Hitlers und nicht als eine hetzerische Geißel der Sozialdemokratie zu begreifen und so damit umzugehen, gewährte womöglich das Privileg es irgendwann Geschichte ohne aktuelle Gefahrenpotentiale werden zu lassen und jenen Stimmen, die unsere Gesellschaft tatsächlich in hohem Maße mit ganz ähnlichen Verfahren gefährden, die Resonanzkraft zu rauben.

  1. Zielvorstellungen des IfZ auf der dem Projekt gewidmeten Präsentationsseite (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013), Titel kursiviert BD.
  2. vgl. Christine Haderthauer (CSU) in einem Nachrichten-Beitrag des Bayrischen Rundfunks. Online-Abruf via BR-Mediathek (Ministerrat: Mein Kampf bleibt weiter verboten, vom 10. Dezember 2013, →Link).
  3. So zum Beispiel zitierte Tim Farin 2008 für stern.de (Hitlers “Mein Kampf”. Zwischen Kritik und Propaganda, vom 25. April 2013, Ressort POLITIK > Geschichte, →Link) ein Communiqué des bayrischen Finanzministeriums.
  4. Az.: 3 StR 182/79, Strafbarkeit des öffentlichen Verkaufs von Adolf Hitlers Mein Kampf. Online-Abruf auf technolex.de (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013).
  5. ebd., vgl. Urteil des BGH vom 24. August 1977, Az.: 3 StR 229/77.
  6. zitiert nach dem stern.de-Artikel von 2008; s. Anm. 3 d. vorl. Beitr.
  7. Eine Google-Suche führt schon unter den ersten Ergebnisnennungen zu kopier- und downloadfähigen Komplettdigitalisaten u.a. einer deutschen und einer englischen Fassung der Schrift. Amazon.com führt die deutschsprachige Fassung in mehreren verschiedenen Ausführungen, darunter auch als Kindle-Edition.
  8. Den sich doch aufdrängenden Verweis auf den locus classicus der transzendentmachenden Nicht-Nennung verhelfs ER wage ich an dieser Stelle nicht explizit zu machen.
  9. Ich habe bis heute keine stichhaltigen Informationen über die beiden Aufnahmen ausfindig machen können, außer dass freilich Heinrich Hoffmann sie gemacht hat.
  10. Ginge man von einem solchen per-se-Wirkpotential aus, müsste man von der Herausgabe von Goebbels Reden bis hin zum dokumentarisch aufbereitet Bildmaterial noch einiges in Frage stellen, das unlängst seinen Weg in die öffentliche Zugänglichkeit gefunden hat.
  11. So Albrecht Koschorke im SZ-Gastbeitrag zur Wirkung von Mein Kampf. Online-Abruf via Süddeutsche.de (Die Wirkung von Hitlers “Mein Kampf”, vom 13. Dezember 2013, Ressort KULTUR, →Link). Eine längere Version des gesamten Beitrags wird nach Angaben von Süddeutsche.de demnächst als E-Book bei Matthes & Seitz erscheinen.
  12. Rinser beschreibt darin die Eindrücke und Erfahrungen während ihrer Reisen nach Nordkorea 1980 und 1981/82, während derer sie auch auf Kim Il-sung traf. U.a. 1986 in einer aktualisierten Auflage bei Fischer erschienen.
  13. Und zum Beispiel Charles K. Armstrong stellt die nordkoreanische Ideologie mit ihrem charismatischen Führer und der Mobilisation der Massen in direkte Nähe des europäischen Faschismus’. Vgl. Armstrong, Charles K.: Trends in the Study of North Korea. In: The Journal of Asian Studies 70 (2/2011), S. 357–371.

Quelle: http://enkidu.hypotheses.org/293

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Mit Google eigene Ausstellungen kuratieren

Das Google Cultural Institute (mit Sitz in Paris) stellt einen neuen Dienst zur Verfügung. Mit Hilfe der Bilder, die im Rahmen des Google Art Projects von Museen zur Verfügung gestellt wurden, kann man folgendes machen:

  • Kunst-Projekte und Ausstellungen anschauen:
    (Unten auf der Seite auf „nächstes Projekt“ klicken, um zum nächsten zu gelangen.)
  • Bilder in den Rubriken “Sammlungen”, “Künstler”, “Kunstwerke” und “Benutzergalerien” ansehen.
    (Auf der Startseite im mittleren linken Bereich auf “Art Project” klicken und dann im oberen Frame die gewünschte Rubrik auswählen.)
  • Eigene Ausstellungen zusammenstellen. Das geht relativ einfach. Hat man ein interessantes Bild gefunden, klickt man auf das „+“-Symbol, das jedem Bild angeheftet ist, und alles weitere erklärt sich fast von selbst. Auch Ausschnitte von Bildern kann man so speichern und über die sozialen Medien wie FaceBook, Twitter und Google+ teilen.
  • Unter der Rubrik „Look Like an Expert“ etwas über Kunstgeschichte lernen.
  • Unter der Rubik “DIY” eigene Ausstellungen zusammenstellen und andere Nutzer zum Mitmachen anregen. Auf dieser Seite werden dazu einige kreativitätsanregende Ideen präsentiert. Siehe Abschnitte „Remix“ oder „Materials Matter“, etc.
  • Unter der Rubrik „Whats Next“ mehr über weitere Projekte erfahren. Hier gibt es zahlreiche Links z.B. zu Khan Academy’s Smarthistory, Artbabble, einer Seite mit Videos, und, und und…
  • In Bilder hineinzoomen. Einige Bilder stehen dafür im „Gigapixel“-Format zur Verfügung.
  • … und noch vieles mehr. Die Seite ist leider nicht gerade ein Ausbund an Übersichtlichkeit. Ein bisschen Suchen, Klicken und Ausprobieren lohnt aber unbedingt!

Viel Spaß dabei!

 

Original-Artikel: Google Cultural Institute auf dem ARTigo-Blog

Quelle: http://games.hypotheses.org/1401

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TU Dresden erforscht und praktiziert E-Learning im Verbund mit Partnern

http://idw-online.de/pages/de/news566432 Als erster seiner Art wurde der Sächsische Offene Online-Kurs (Saxon Open Online Course – SOOC) des Sommersemesters 2013 mit 242 Teilnehmern in Deutschland, Österreich und der Schweiz erfolgreich abgeschlossen. Junge Bildungsforscher aus der TU Dresden, der TU Chemnitz und der Universität Siegen stellen jetzt gerade dieses SOOC-Projekt und die dabei gesammelten ersten Erfahrungen beim […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4819/

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Sammelband: “Deutsch in der Wissenschaft” — Deutsch in Wissenschaftsblogs?

Heute hat mich ein – gemessen an Blogkonventionen – nicht mehr ganz aktueller Sammelband erreicht. Nichtsdestotrotz ist die besprochene Sache von ungebrochener Aktualität und Dringlichkeit, weswegen ich auch auf diesen Sammelband hinweisen möchte, bevor ich ihn in Gänze zur Kenntnis nehmen konnte.

Im Olzog-Verlag ist 2012 erschienen:

Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs [Auf die Freigabe für das Cover warte ich noch.]

Herausgegeben wurde der Band von Heinrich Oberreuter, Wilhelm Krull, Hans Joachim Meyer und Konrad Ehlich. Er dokumentiert die Tagung “Deutsch in der Wissenschaft”, die mit Unterstützung von “Deutsch Plus – Wissenschaft ist mehrsprachig” (einem Programm der Volkswagenstiftung) vom 10.-12. Januar 2012 in der Akademie für Politische Bildung (Tutzing) stattfand.

Wesentliches Anliegen der Tagung war es, die Wissenschaftssprachendebatte aus der Wissenschaft heraus hinein in die Politik zu tragen, wofür auch eine Reihe Politiker gewonnen werden konnten. So hat Norbert Lammert z.B. den Eröffnungsvortrag gehalten.

Thematisiert wurden in aller Breite und programmatisch nicht nur

  • gesellschaftlich-kulturelle Folgen einer Monolingualisierung der Wissenschaft für die nicht-englischen Muttersprachen (Abschnitt: “Chancen und Grenzen einer Lingua franca für die Wissenschaft”),
  • die Sprachfrage aus je disziplinären Perspektiven (Abschnitte: “Deutsch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften” & “Deutsch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften”),
  • und die Förderungsmöglichkeiten einer “Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft”

- um nur einiges zu nennen – sondern vor allem auch:

  • die Frage nach Sprachpolitik!

Diese scheint sich in Deutschland vermeintlich in Zurückhaltung zu üben. Aber eben nur vermeintlich! In einem Beitrag arbeitet Hans Joachim Meyer (vgl. 2012, 37-48) u.a. heraus in welchem sprachpolitischem Widerspruch z.B. Integrationspolitik und Wissenschaftpolitik zueinander stehen. Meyer und Konrad Ehlich (2012, 33) weisen auch nicht zum ersten Mal in ihren “Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft” auf den weit verbreiteten Irrtum hin “Sprache entwickle sich autonom” und Sprachpolitik wäre folglich unnötig. Ein Blick in wissenschaftspolitische Bestrebungen hin zu einer Internationalisierung um jeden (auch manchmal noch so sinnlosen) Preis macht das schnell augenfällig. Mit Unsummen z.B. DFG-geförderte Spitzenforschung (natur- wie kulturwissenschaftliche) in Deutschland auf Englisch zu betreiben, um international vernetzt und anerkannt zu werden, ist dabei nur ein kleines Beispiel.

Die Langzeitfolgen solcher Politik werden massiv auf die Gesellschaft und ihre Möglichkeiten der diskursiven Auseinandersetzung zurückschlagen, wenn der Stellenwert der Wissenschaft für und ihre Verwobenheit mit politischen, wirtschaftlichen, ethisch-moralischen, künstlerischen, … also im Allgemeinen mit dem öffentlichen Diskurs nicht erkannt wird und damit in der Konsequenz die deutsche Sprache insgesamt ihrem Schicksal überlassen wird – einem Schicksal, das man irgendwann als eine Folge politischer und gesellschaftlicher Entscheidungen wird rekonstruieren können.

Mir liegt aber nicht daran, hier – mehr schlecht als recht – zu paraphrasieren, was im genannten Sammelband viel besser auf den Punkt kommt und den ich jedem zuforderst vor allem zur Selbstpositionierung nur ans Herz legen kann und danach vielleicht zur Reflexion der Frage nach der Preisgabe von mehrsprachigen Erkenntnisvermögen, die die Menschheit in Zukunft vorhalten sollte, um Probleme zunehmend globaler Reichweite zu bearbeiten…

Ebenso möchte ich den Verlag und auch die Autoren der “Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft und  zu den Chancen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit” (Meyer/Ehlich 2012) fragen, ob sie an einer Wiederveröffentlichung des knappen Textes im Internet (z.B. hier in meinem Blog) interessiert sind. Dort habe ich ihn bisher nicht finden können. Sind diese Thesen doch zwischen zwei Buchdeckeln in einer Bibliothek nicht ganz so gut aufgehoben und wirksam wie vielleicht in der sog. Blogosphäre, in der sie einfacher und weitreichender zirkuliert, adressiert und gelesen werden können.

Zum Schluss möchte ich noch zur angehängten Frage im Titel des Eintrags kommen: “Deutsch in Wissenschaftsblogs?” Seit einiger Zeit habe ich den Gedanken im Kopf, den ich aber noch nicht weiter prüfen konnte, dass es doch mal nötig wäre, die deutschsprachige wissenschaftliche Blogosphäre zu vermessen! Wie viele deutschsprachige Wissenschaftsblogs gibt es eigentlich? Welche deutschen Wissenschaftler bloggen in einer anderen und in welcher Sprache?

Ich weiß nicht, ob es Möglichkeiten einer solchen Vermessung gibt. Ich müsste mich diesbezüglich mal mit meinem Kollegen Johannes Paßmann kurzschließen oder vielleicht weiß ja auch der eine oder andere Leser einen Rat. Ich ahne, dass das nur praktikabel wird, wenn man Plattformen (wie hypotheses.org oder scilogs.de) in den Blick nimmt. Was allerdings hypotheses.org betrifft, verzweifelte ich erst vor kurzem daran, einer vollständige Liste aller ‘deutschen Blogs’ einsichtig zu werden. Hier kann sich die Redaktion durchaus angesprochen fühlen ;) – wäre es doch für die Vernetzung und die Anschließbarkeit hilfreich, eine gute und vollständige Übersicht über die existierenden Blogs sich verschaffen zu können. Wie dem im Einzelnen aber auch sei…

Worum es mir bei der Vermessung der wissenschaftlichen Blogosphäre Deutschlands geht, ist es, einen Eindruck vom Stellenwert des Blogs, seiner Zwecke und damit Sprachlichkeit in der deutschen Wissenschaft zu bekommen. Diesbezüglich kämen der Kommunikationsform Weblog – je nachdem welche Entwicklung sie in der Zukunft bezüglich ihrer institutionellen Relevanz nehmen wird – nicht unerhebliche Implikationen für die Vitalität disziplinärer Entfaltungen zu: Wo werden innovative Erkenntnisse und Paradigmen geboren bzw. sagbar, wenn Zeitschriften immer mehr verkrusten? Mit welchen Sprachlichkeit füttern diese Sagbarkeiten den wissenschaftlichen Diskurs? Wie wird (Populär-)Wissenschaft weiterhin in Verbindung mit der Sprache der übrigen Diskurse treten können? Kurz: Könnte es sein bzw. ist es plausibel, sich vorzustellen, Blogs könnten einem neuerlichen Aufschwung der vernakulären Wissenschaftssprachen Vorschub leisten?

Oberreuter, Heinrich/Krull, Wilhelm/Meyer, Hans Joachim/Ehlich, Konrad (Hg.) (2012): Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs. München: Ozlog. 
Daraus:
Ehlich, Konrad/Meyer, Hans Joachim (2012): Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft und zu den Chancen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit. S. 30-34.
Meyer, Hans Joachim (2012): Trägt die deutsche Politik Verantwortung für die deutsche Sprache? S. 37-48.

 

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/357

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