Webressourcen aus Nordeuropa – Fundstücke November 2013

In unserer Sammlung von Fundstücken aus der digitalen Welt Nordeuropas für November steht das Thema Crowdsourcing durch öffentliche Institutionen wie Bibliotheken, Museen und Archive im Mittelpunkt.

Diese Form der Quellensammlung ist in Deutschland nicht unumstritten, wie sich beispielsweise an Achim Landwehrs Blog nachvollziehen lässt. In  Skandinavien wenden viele oft auch öffentlich geförderte Projekte diese Form der Quellensammlung an und stellen die Ergebnisse in Datenbanken bereit.

In Schweden initiierte das schwedische Zentralamt für Denkmalpflege mit dem bereits im Nordic History Blog vorgestellten Portal Platsr per Regierungsauftrag einen Sammelplatz für persönliche Geschichten. Innerhalb des Portals kann nach einzelnen Themenfeldern gesucht werden, zum Beispiel nach Erinnerungen zum Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig wird dieses Portal auch von anderen Museen und Archiven wie Stockholm Unstraight genutzt, die ihrerseits persönliche Erinnerungen sammeln wollen.

 Daneben gibt es Museen mit eigenen Crowdsourcing-Projekten, wie die Seite Lumpenminnen des Armeemuseums in Stockholm, das über das Internet die Erinnerungen schwedischer Männer an ihre Wehrpflicht (“Lumpen”) sammelt, um diese in eine geplante Ausstellung 2014 zu integrieren. Die Resonanz scheint groß zu sein, da bis November 2013 über 2000 Berichte erfasst wurden. Doch im Gegensatz zu anderen Projekten kann der Besucher der Seite nur ausgewählte Zitate der Berichte lesen.

Jenseits öffentlicher Institutionen existieren zusätzlich auch private Seiten, auf denen Erinnerungen archiviert werden. Wie im Falle von Historieskatten finden auch solche Blogs immer wieder Beachtung in öffentlichen Medien.

Auch in Dänemark gibt es zahlreiche Beispiele für Crowdsourcing-Projekte öffentlicher Institutionen, die zum Ziel haben, die Erinnerungen von Zeitzeugen sichtbar werden zu lassen. So betreiben sowohl das Stadtarchiv Kopenhagen als auch das Lokalarchiv Gentofte regional begrenzte Portale für “… fortællinger om deres egen by”.

Das Nationalmuseum hingegen nutzt Crowdsourcing, um seine digitalisierte Münzsammlung zu vervollständigen oder um gemeinsam mit Schülern in gesonderten Projekten Wikipedia-Einträge zu erarbeiten.

Als größte und älteste Crowdsourcing-Inititative begreift sich die Dansk Demografisk Database, die mit ihren Datenbanken seit über 20 Jahren eine umfangreiche Sammlung digitaler Quellen unter einer großen Beteiligung freiwilliger Helfer in den beteiligten Museen und Archiven zugänglich macht.

Die Königliche Bibliothek plant den Aufbau einer Datenbank privater Briefe, die in einem eigenen Forum betrieben werden soll und die sich neben eigenen Quellen der Methode des Crowdsourcings bedienen wird.

 Das Digitalarkivet in Norwegen bietet mit der Datenbank Digitalpensjonatet eine Art “Webhotel”, in dem digitalisierte Archivalien privater Personen eingestellt werden können. Erinnerungen von Zeitzeugen können auf der durch den Norsk Kulturråd ins Leben gerufenen Seite Digitalt fortalt recherchiert werden (siehe dazu auch den Beitrag im Nordic History Blog). Ähnlich wie in Dänemark sammelt auch in Norwegen beispielsweise das Stadtarchiv Bergen in in einem Portal Erinnerungen, Fotos und Dokumente zu dem Stadtteil Årstad.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1989

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Konrad Grünenberg IV: Konstanz, Rosgartenmuseum Hs 1971/54, die Zweite

In diesem Beitrag soll die Konstanzer Handschrift, die Christof Rolker kurz beschrieben hat, genauer vorgestellt werden. Die heute im Rosgartenmuseum (Konstanz) befindliche Abschrift von Grünenbergs Wappenbuch ist wohl Mitte/Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden. Sie wurde um … Continue reading

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/678

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 1-2


Einleitung zum Übersetzungsprojekt

(Björn Gebert)

Die Historia Occidentalis Jakobs von Vitry (gest. 1240) stellt eine ungemein reiche und bekannte Quelle für die Geschichte der lateinischen Kirche im frühen 13. Jahrhundert aus der Sicht eines ihrer Vertreter dar. Der Autor, ein Regularkanoniker, hatte in Paris studiert, gegen die Albigenser gepredigt, war zeitweise Bischof von Akkon und war, gleichsam Höhepunkt seiner kirchlichen Karriere, im Jahr 1229 durch Papst Gregor IX. zum Kardinalbischof von Tusculum erhoben worden.[1] Er darf als Förderer der semireligiosen Lebensweise der Beginen, als Beobachter und Kenner der religiosen Bewegungen seiner Zeit und als Befürworter der Kirchenreform gelten. Die Historia Occidentalis, die er wohl um 1225 vollendete,[2] ist nach einer Historia Orientalis der zweite von drei geplanten Teilen von Jakobs Historia Hierosolimitana abbreviata, die neben zahlreichen Predigten[3] sowie Briefen und einer Vita wiederum nur einen Teil seines schriftlichen Schaffens darstellt.

Bei der Historia Occidentalis handelt es sich freilich nicht um das Werk eines Historikers, der in jedem Fall objektiv versucht Fakten darzustellen. Sie ist zwar durchaus eine historia in Form einer “Historiographie religiösen Lebens”,[4] aber Haltung und Intention des Autors hat Franz J. Felten kürzlich gut auf den Punkt gebracht:

Zweifellos war er ein gut informierter, verständiger, aber unterschiedlich verständnisvoller Beobachter des religiosen Lebens seiner Zeit, oft genug als Augenzeuge. Vor allem aber erscheint er als Theologe und Prediger mit den zeit- und standestypischen Denkmustern (wie z. B. alternde Welt, allgemeiner Sittenverfall, Wesen der Frau) und paränetischen Absichten.”[5]

Dabei ist das Bild, das Jakob von Geschichte und Gegenwart zeichnet, so Felten weiter, “(zumindest teilweise) bewusst konstruiert […], um die höheren kirchenpolitischen Ziele des Autors zu fördern”.[6]

Inhaltlich bietet Jakob im Wesentlichen eine Zustandsbeschreibung der zeitgenössischen westlichen Kirche und Welt, die zunächst sehr düster ausfällt, etwa wenn er die Bewohner des Abendlandes im Allgemeinen, speziell aber auch weite Teile des Klerus als sündhaft und sittenarm beschreibt.[7] Eine Hoffnung und gewissermaßen ein Licht in der Finsternis stellen für den Autor neben einzelnen Klerikern, quasi stelle in firmamento caeli,[8] vor allem die jüngeren, reformorientierten religiosen Bewegungen seiner Zeit dar.[9] Theologische Ausführungen über das Priesteramt und die Messe, das Bischofsamt und die Sakramente bilden den Abschluss des Werkes.[10]

Für die Historia Occidentalis liegt eine kritische Edition aus dem Jahr 1972 vor, die von dem Dominikaner John Frederick Hinnebusch besorgt wurde.[11] Eine publizierte vollständige englische oder deutsche Übersetzung gibt es bislang jedoch nicht.[12] Angesichts der unbestrittenen Bedeutung dieser Quelle,[13] die unter anderem auch darin besteht, dass ihr Autor spätestens 1219 mit Franziskus von Assisi zusammengetroffen war[14] und deshalb in seiner Chronik ein sehr frühes und externes Zeugnis für die junge franziskanische Bewegung liefern konnte, überrascht dieser Befund.[15] Zwar wird der Forscher ohnehin zum lateinischen Text greifen müssen, will er mit der Quelle methodisch sauber arbeiten, doch für die akademische Lehre, gerade in Hinblick auf Studienanfänger, die über (noch) keine Lateinkenntnisse verfügen, erscheint eine Übersetzung ins Deutsche ein Desiderat. Ausgehend von der Edition von Hinnebusch soll dies nun von Christina Franke geleistet und das Ergebnis hier auf dem Blog zur Verfügung gestellt werden.[16]

Theoretisch ist es das Ziel, monatlich ein oder zwei Kapitel zu veröffentlichen, aber garantiert werden kann diese Regelmäßigkeit leider nicht, da weder die Übersetzerin, noch der Redakteur die Arbeit an diesem Vorhaben hauptberuflich betreiben bzw. mangels Finanzierung auch gar nicht betreiben könnten.

Es folgt die Übersetzung des ersten und zweiten Kapitels nach der Edition Hinnebuschs, die bei der Lektüre immer mit herangezogen werden sollte, da alternative Lesarten in der Übersetzung i.d.R. nicht berücksichtigt werden und nur die in der Edition als direktes Zitat gekennzeichneten alt- und neutestamentlichen Textstellen ausgewiesen werden. Bemerkungen/Ergänzungen zum besseren Verständnis werden nur in Einzelfällen vorgenommen und durch eckige Klammern gekennzeichnet bzw. erscheinen in den Anmerkungen, falls sie ausführlicher ausfallen. Die Seitenzahlen für die jeweiligen Kapitel bei Hinnebusch werden immer per Anmerkung hinter der Kapitelüberschrift nachgewiesen.[17]

Erstes Kapitel

Von der Verführung des Abendlandes und den Sünden der Abendländer[18]

Wie die morgenländische Kirche, die einstmals von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomons zu hören, mannigfaltigen Schicksalen ausgesetzt und durch verschiedenste Bitterkeiten niedergedrückt, ihre Freude in Trauer und Trübsal verwandelte, so blieb auch ihre erstgeborene, besondere Tochter, die Kirche Jerusalems, der Kleidung ihrer Ehre beraubt und von vielen Fleischern zerrissen, fast nackt zurück, „wie die Eiche, wenn die Blätter fallen“[19], so als wäre das Wasser aus ihrer Quelle fast vertrocknet. Nichtsdestotrotz freilich hörte der unersättliche Feind des Menschengeschlechts, die sich ringelnde Schlange nicht auf, in den Landstrichen seiner tödlichen Schlechtigkeit ein verderbliches Gift zu verbreiten, und nachdem das Haupt verwundet war, wollte er die Glieder auf alle Arten verletzen.

Das Haupt und die Mutter des Glaubens ist Jerusalem, so wie Rom das Haupt und die Mutter der Gläubigen ist. So sehr strahlte nun der Schmerz des Hauptes in die Glieder aus, und so sehr zeigte der Herr seinen Zorn und Unwillen durch zahlreiche Strafqualen, dass der gerechte Rächer der Verbrechen, „Gott, der Herr der Rache“[20], nachdem das Heilige Land wegen der Forderungen unserer Sünden in die Hände der Ungläubigen gefallen war, die ganze Welt schlug, indem er ihr viele Qualen auferlegte. Er erlaubte in Spanien den Mauren, in der Provence und der Lombardei den Häretikern, in Griechenland den Schismatikern und überhaupt überall „falschen Brüdern“[21], sich gegen uns zu erheben. Um ein Wort des Propheten zu gebrauchen: So zerbrach der Herr im Takt unsere Zähne, dass, nachdem die Heilige Stadt verlassen worden war, die Ehre der Kirche verringert und ihre Zähne verschoben, das heißt, zerbrochen wurden. Wie viele Kinder auch immer in der Welt geboren wurden, die hatten immer zwei oder drei Zähne weniger als die anderen, die bereits erzeugt worden waren. Nachdem die Zähne zerstört waren, zerbrach der Herr alle unsere Knochen, „verklebt wurde unser Bauch auf der Erde“[22], und unsere Seele haftete am Boden.

Weil die Schlechtigkeit der Menschen auf diese Weise zunahm und zum Bösen geneigt war, wurde sie immer weiter abwärts getragen. Es vertrockneten die Euter, die einstmals Trauben gleich gewesen waren, und die Lehre des Evangeliums erschien gering, während die göttlichen Weisungen fortwährend von den Frevlern niedergetreten wurden. Sie verkehrten Silber zu Asche und mischten den Wein mit Wasser. Alle Ehrerbietung Gottes und der Menschen warfen sie hinter sich, und die Gesichter der Priester erröteten nicht, obwohl sie dem Schädlichen folgten, sich vom Heilbringenden abwandten und sich dem Schlimmsten zuneigten. Der Beste unter ihnen war dem Hagedorn gleich, und der Aufrechte glich der Mauerzinne. Auflösung von Verwandtschaftsbanden und Verfinsterung war in jeder Seele, und die Gesichter aller glichen jener Schwärze. Es fehlte der Glaube, die Barmherzigkeit wurde ausgelöscht und alle Tugend ging zugrunde. Im Sumpf dienten sie mit Ziegel und Stroh dem Pharao. Die Herrschaft des Machthabers und Fürsten der Finsternis erstreckte sich demgegenüber weit und breit.

Die Söhne Zions, die einstmals berühmt waren und ursprünglich in Gold gekleidet, wurden nun für irdene Gefäße gehalten. Ihre Leber war auf die Erde ausgeschüttet, sie irrten blind durch die Straßen und sie waren beschmutzt mit Blut. Auf jämmerliche Weise brachten sie die Ungeheuer ihrer Verbrechen und die Zeichen ihrer Abscheulichkeit hervor, und sie durchschweiften den Erdkreis. Zur Hure ist geworden, die einstmals Stadt der Gläubigen war. „Der Feind streckte seine Hand aus nach allen ihren Schätzen.“[23] „Ihre Fürsten waren in ihrer Mitte wie brüllende Löwen. Ihre Richter waren Wölfe am Abend, am Morgen ließen sie nichts zurück.“[24] „Jedes Haupt war matt und jedes Herz schuldig.“[25] Ihre Fürsten waren Ungläubige, Verbündete von Dieben. „Knabe und Greis lagen draußen auf der Erde.“[26]

Vergangen war die Gerechtigkeit aus den Dingen, die Furcht vor dem Herrn verschwand aus der Öffentlichkeit und Gewalt herrschte durch erzwungene Gleichheit unter den Völkern. Betrug, Hinterlist und Täuschung umgaben weit und breit die Welt. Verschwunden war das Messopfer von Brot und Wein aus dem Haus des Herrn und entvölkert war die Gegend. Es trauerte der Erdboden, weil der Weizen verwüstet war. Der Wein wurde gepanscht, das Öl geriet ins Stocken. Die Bauern waren verwirrt und die Winzer klagten über Weizen und Gerste, denn vergangen war die Erntezeit auf dem Acker. Der Feind hielt Lese im Weinberg des Herrn.

Alle Tugend hatte Platz gemacht und war gleichsam unnütz vergangen. Während die Bosheit Einzug hielt, gab es keinen, der sich entgegenstellte und am Herrn festhielt, oder auch in der Bresche mit ihm stand. Sie hatten eine Wolke entgegengestellt, damit das Gebet nicht durchdringe.

Während die Welt sich jedoch gegen Abend neigte, war die Liebe so sehr erkaltet und wurde Glaube auf der Erde nicht mehr gefunden, dass die zweite Ankunft des Menschensohns nahe und gleichsam schon vor der Tür zu stehen schien. Der Sohn beschimpfte den Vater, die Tochter stand gegen die Mutter auf, die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter, und die Feinde des Menschen waren seine Hausgenossen. Das Heilige wurde vom Profanen nicht unterschieden. Was immer sie begehrten, hielten sie für erlaubt. Alles stand durch die Sünde auf dem Kopf. Wie ein ungezügeltes Pferd wurden sie kopfüber fortgetragen, während sie mit sinnloser Unruhe an den Zügeln zogen. Das Band des Wagens war gleichsam die Sünde. Alle ihre Verfolger, die bösen Geister nämlich, trieben sie in die Enge und „sie wurden in die Gefangenschaft geführt vor dem Angesicht des Feindes“[27]. Sie wollten nicht achtgeben und wandten sich ab. Ihre Ohren verstopften sie, so dass sie nicht hörten, und sie machten ihr Herz zu Stein. Gitarre, Leier, Trommel, Flöte und Wein gab es auf ihren Gelagen, das Werk des Herrn aber achteten sie nicht.

Die Aufrichtigkeit der Sitten und die Zierde der Tugenden fanden, Vertriebenen gleich, keinen Platz, wo die herrschenden und weit ausschweifenden Sünden alles besetzten. Das dem Himmel Freundliche und die gottgefälligen Dinge achteten sie, gleich einer verächtlichen Sache, für nichts. Wo sie also fortwährend und ohne Schamesröte Unkeuschheit trieben wie die Sau im Schlamm, hielten sie Gestank für Köstlichkeit. Gleich dem Vieh vermoderten sie im Schweinekot, während sie ein unbeflecktes Ehebett und eine ehrenhafte Heirat gering achteten. Unter Verschwägerten und Nahestehenden waren die Ehebünde nicht sicher, aber die überstürzte Begierde kümmerte sich nicht um die Gefahren des Geschlechts.

Während also Besonnenheit und Mäßigung ins Exil gingen, besetzten Völlerei und Trunkenheit den Platz. „Wie die Dornen sich gegenseitig umgreifen, so auch sie bei ihren Gelagen.“[28] Alle Tische wurden gefüllt mit Unflat und Schmutz, so dass kein Platz mehr darüber hinaus blieb. Hurerei, Wein und Trunkenheit trugen das Herz davon. Aber das nächtliche Würfelspiel, die gierige und zugleich bittere Sorge der Würfel, auch unerwartete Fälle [der Würfel] riefen Zorn, Betrug, Beleidigung und Streit, ebenso verbrecherische Lästerung gegen Gott hervor, und führten ihre Verehrer häufig in die Grube der Verzweiflung.

 Zweites Kapitel

Von den Gierigen und den Wucherern[29]

Obwohl Gott und den Menschen gefällig, waren Edelmut, Freigiebigkeit und Großzügigkeit aus der Öffentlichkeit verschwunden, weil die Wurzel allen Übels, nämlich die Pest der Habgier, fast alles besetzte und mit dem Gift der Begierde ansteckte: So sehr, dass, während das scheußliche Verbrechen der Zinsnahme fortwährend und gleichsam erlaubt die gierigen Wucherer in Besitz hielt, die Lehnsleute wegen dieses unersättlichen Blutegels die Güter und weiten Ländereien im Stich ließen. Die Armen wurden beraubt und die Kirchen geplündert, während die Pest des Zinses, die mit jedem Augenblick wuchs und keine Ruhe geben konnte, sie immer weiter durch Wucherer in Schulden drängte. Dieses unreine und verwerfliche Menschengeschlecht war jedoch überall so sehr erstarkt, dass die, die Zinsen und Überschüsse über das rechte Maß hinaus ohne Erbarmen eintrieben, nicht nur die Städte und Weiler, sondern auch die Landgüter erfüllten, während sie sowohl bei Tag als auch bei Nacht, stündlich und in jedem Moment Handel auf ihre eigene Verdammnis hin betrieben, obwohl doch der Herr sagt: „Gebt einander und erhofft euch davon nichts.“[30] Und weiterhin: „Ihr sollt nichts von einem Raubtier Zerrissenes essen.“[31] Die Söhne, die Töchter und alle die, von denen jenes unheilvolle und krankmachende Geld festgehalten wurde, zogen sie mit sich hinüber durch das Feuer, so dass sich erfüllen sollte, was geschrieben steht: „Sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Dämonen.“[32] Die Pfänder aber, die sie gänzlich durch Glück empfangen hatten, weigerten sich die vermessenen Söhne der Verdammnis entgegen dem Gebot des Herrn zurückzugeben. Er sprach nämlich in Leviticus: „Wenn dein Bruder den Preis für den Rückkauf aufbringen kann, soll man die Früchte von der Zeit an rechnen, in der er verkauft hat, und was übrig bleibt, soll er dem Käufer zurückgeben. So kann er seinen Besitz wieder erwerben.“[33] Er [= Moses] nennt jedoch den ‘Käufer’, der gegen Geld Früchte und keinen Besitz kauft. Andere verkauften ihre Waren zum höchsten Preis, weil sich die Zeit des Loskaufs verzögern könnte, oder sie kauften Waren, die in Zukunft wertlos sein werden, weil sie die Zeit des Loskaufs schon vorhersahen, und verschrieben sich so selbst der Strafe des ewigen Todes und der Verdammnis.

[1] Vgl. Geschichte des Kardinalats im Mittelalter, hrsg. von Jürgen Dendorfer und Ralf Lützelschwab, Stuttgart 2012 (Päpste und Papsttum 39), S. 480.

[2] Vgl. Jacques de Vitry, Histoire Occidentale, trad. par Gaston Duchet-Suchaux, introd. et notes par Jean Longère, Paris 1997, S. 32-37.

[3] Neben seinen Zeitgenossen, dem Zisterzienser Casearius von Heisterbach und dem englischen Theologen Odo von Cheriton, war Jakob von Vitry einer der ersten Autoren, die exempla in ihre Predigten integrierten. Vgl. Caesarius von Heisterbach, Dialogus Miraculorum / Dialog über die Wunder, 1. Teilbd., eingel. von Horst Schneider, übers. und komm. von Nikolaus Nösges und Horst Schneider, Turnhout 2009, S. 57. Ausführlich zu den exempla Jakobs hat zuletzt  Marygrace Peters, Speculum vitae et fidei. The exempla as an historical source in medieval preaching for understanding its context and audience, with emphasis on Jacques de Vitry’s “Sermones Vulgares”, Diss. Boston 1993 gearbeitet.

[4] Franz J. Felten: Geschichtsschreibung cum ira et studio. Zur Darstellung religiöser Gemeinschaften in Jakob von Vitrys Historia occidentalis, in: Christliches und jüdisches Europa im Mittelalter, hrsg. von Lukas Clemens, Trier 2011, S. 83-120, hier S. 118.

[5] Ebda., S. 117. Weitere Kritik übt Felten etwa an der vagen Chronologie innerhalb des Werkes (S. 88 f.) und zumindest mit Verwunderung und leichtem Befremden konstatiert er die Vernachlässigung der Frauengemeinschaften einiger Orden (S. 108-111).

[6] Ebda., S. 118.

[7] John Frederick Hinnebusch, The Historia Occidentalis of Jacques de Vitry. A Critical Edition, Fribourg 1972 (Spicilegium Friburgense 17), Kapitel II-V; VII, X, XXX-XXXI. Die Kapiteleinteilung in der Edition von Hinnebusch geht auf eine moderne Strukturierung des Textes zurück, die schon vom Editor (S. 20-24, 62-64) selbst kritisiert wurde, zuletzt auch von Felten, Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 87 f.

[8] Hinnebusch, Historia (wie Anm. 7), VI, VIII, IX. Zitat aus Kapitel IX, Z. 9-10.

[9] Ebda., Kapitel XIIII-XXIX, XXXII.

[10] Ebda., Kapitel XXXIIII-XXXVIII.

[11] Hinnebusch, Historia (wie Anm. 7).

[12] Allerdings existiert eine Übersetzung ins Französische: Jacques de Vitry, Histoire Occidentale (wie Anm. 2). Als Beispiel für eine veröffentlichte englische Teilübersetzung ist Jessalynn L. Bird, Texts on hospitals. Translation of Jacques de Vitry, Historia Occidentalis 29, and edition of Jacques de Vitry’s sermons to Hospitallers, in: Religion and Medicine in the Middle Ages, ed. by Peter Biller and Joseph Ziegler, York 2001 (York studies in medieval theology 3), S. 109-134 anzuführen.  Des Weiteren wurden Übersetzungen von Briefen Jakobs: Jacques de Vitry, Lettres de la cinquième croisade, texte latin établi par G. Duchet-Suchaux. Trad. et prés. par R. B. C. Huygens, Turnhout 1998 (Sous la règle de Saint Augustin 5) und der Historia Orientalis: Jacques de Vitry, Histoire orientale, introd., édition critique et traduction par Jean Donnadieu, Turnhout 2008 (Sous la règle de Saint Augustin 12) ins Französische veröffentlicht. Eine Übersetzung der von Jakob verfassten Vita von Maria von Oignies ins Deutsche ist bei Brepols im Druck: Jakob von Vitry, Thomas von Cantimpré, Das Leben der Maria von Oignies, übers. von Iris Geyer, Turnhout [2014] (Corpus Christianorum in Translation 18).

[13] Vgl. etwa Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen des Mittelalters. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, 4. unveränd. Aufl., Darmstadt 1977, S. 171, Alfred John Andrea, Walter, archdeacon of London, and the Historia occidentalis of Jacques de Vitry, in: Church History, 50 (1981), S. 141-151, hier S. 141 f. und Felten, Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 118.

[14] Vgl. Pascale Bourgain, Art. “Jakob von Vitry”, in: Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 295. Grundmann, Religiöse Bewegungen (wie Anm. 13), S. 172 vermutete schon für 1216 eine Begegnung der beiden Männer in Perugia, wo zu dieser Zeit Papst Innocenz III. gestorben war.

[15] Überhaupt fällt die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Historia Occidentalis im Vergleich zur Historia Orientalis und zum Predigtwerk Jakobs auffallend gering aus, konsultiert man den RI-Opac. Als Standardwerk zum Autor und seinem Gesamtwerk ist immer noch Philipp Funk, Jakob von Vitry, Leben und Werke, Leipzig 1909 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3) zu betrachten. Da seit dieser Studie jedoch über ein Jahrhundert vergangen ist, kann mit Spannung die Dissertation von Michael de Nève erwartet werden, der das Thema “Jacobus de Vitriaco. Wirken, Werk und Wirkung zwischen ‘cura animarum’ und ‘Curia Romana’” bearbeitet.

[16] Eine Übersetzung ist freilich immer nur als Übersetzungsangebot zu betrachten, da sie zwangsläufig bereits interpretiert, sobald sie sich aus oft vielfältigen Möglichkeiten für eine Wortbedeutung entscheidet. Nochmals sei der Griff zum lateinischen Text für eine detailliertere Beschäftigung mit der Quelle empfohlen.

[17] Angabe wie folgt: Hist. Occ. [Kapitelnummer], ed. Hinnebusch, S. [Seitenzahl(en)].

[18] Hist. Occ. I, ed. Hinnebusch, S. 73-77.

[19] Jes 1,30.

[20] Ps 93,1 (Ps 94,1).

[21] 2 Kor 11,26.

[22] Ps 43,25 (Ps 44,26).

[23] Klgl 1,10.

[24] Zef 3,3.

[25] Jes 1,5.

[26] Klgl 2,21.

[27] Klgl 1,5.

[28] Nah 1,10.

[29] Hist. Occ. II, ed. Hinnebusch, S. 78 f.

[30] Lk 6,35.

[31] Lev 22,8.

[32] Ps 105,37 (Ps 106,37).

[33] Lev 25,25-27.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2529

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Die Zukunft der DFG: “Drittmittel-Druck und Antragsflut”

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bilanziert in ihrem Dossier die aktuellen Entwicklungen im deutschen Wissenschaftssystem. Die Hochschulen stünden immer stärker vor dem Problem der ausreichenden Finanzierung, sodass der Druck zur Drittmitteleinwerbung und die Konkurrenz um Fördergelder erhöht werde. So müsse die DFG immer öfter wissenschaftlich sehr überzeugende Anträge ablehnen.

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Die „Erosion der Grundfinanzierung der Universitäten“ hat inzwischen auch Auswirkungen auf die Rolle der DFG und ihre Förderarbeit. „Die DFG wird ungewollt immer mehr zum Grundfinanzier universitärer Forschung, ihre Drittmittel werden zunehmend zu einer Art von sekundärer Währung im Wissenschaftssystem. Das führt dazu, dass wir über immer mehr und teurere Förderanträge entscheiden müssen und trotz kontinuierlicher Etatsteigerungen proportional weniger Anträge bewilligen können“, so DFG-Präsident Peter Strohschneider.

Weitere Infos zum Thema finden Sie hier.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2582

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Twitter – Medium der Geschichtskultur, z.B. @9Nov38 (Akteursperspektive)

 

Geplant für ein paar hundert Twitter-Follower, wurde „Heute vor 75 Jahren – @9Nov38“ zu einem Massenereignis mit über 11.000 Abonnenten und 36.000 Homepageabrufen. Die vielfach geschilderte Wirkung erhielt es aus zwei für das Medium spezifischen Eigenheiten: Der niedrigen Partizipationshürde und der Zeit als eigener inhaltlicher Dimension. Diese machen Twitter zu einem beachtenswerten Kanal der öffentlichen Geschichtsvermittlung.

 

Ein Netzereignis

Die Nachzeichnung der Umstände und Ereignisse der Pogrome im November 1938 auf Twitter ist innerhalb weniger Tage und ohne professionelle Werbung zu einem wirklichen Netzereignis geworden. Über 11.000 Menschen äußerten innerhalb von zwei Wochen mit einem Klick auf ‚Folgen‘ Interesse an diesem zeithistorischen Phänomen und besuchten die dazugehörige Homepage mit kontextualisierenden Zusatztexten und Abschriften von Quellen über 36.000 Mal. Nach der regionalen und überregionalen Presse Deutschlands berichteten auch internationale Medien von China bis Panama, zuletzt die New York Times1. Zu erklären ist dies nicht allein mit dem erinnerungskulturellen Fokus rund um den 75. Jahrestag des deutschen Pogroms. Vielmehr sind zwei Besonderheiten des neuen Mediums Twitter entscheidend für den Erfolg eines solchen Public History-Projektes, die es zu einer wertvollen Ergänzung von etablierten Vermittlungsformen machen.

Geschichts-Kommunikation ohne Hürden

Ein Twitteraccount bietet – im Gegensatz zum Weblog oder zur Website oder analogen Medien – mindestens zwei wesentliche Vorteile: Da wäre zum einen die niedrige Partizipationshürde. Ausgehend von der Grundannahme, nur Twitternutzer oder Menschen mit der Bereitschaft, sich dort zu registrieren, erreichen zu können, ist die Rezeption für diese Zielgruppe äußerst einfach: Es genügt ein Klick. Da Twitter durch sog. Replies, Retweets und Favs mittlerweile zu einem stark wechselseitig ausgerichteten Kommunikationsmedium geworden ist, fallen dort auch viele Hürden, die ein direktes Feedback zu den HistorikerInnen sonst erschweren: Eine Antwort in 140 Zeichen erfordert weniger Mühe und Überwindung als eine Mail, ein Kommentar oder ein Brief. Im Projektfortschritt von @9Nov38 war dies leicht zu erkennen: Unter einzelnen Tweets entsponnen sich längere Diskussionen, in die sich immer mehr LeserInnen einschalteten. Es wurden Rückfragen gestellt oder tradierte Familiengeschichten zu den Novemberpogromen geschildert. Nach einigen Tagen begannen Nutzer, die Tweets simultan ins Englische, Spanische, Türkische und Kurdische zu übersetzen. Andere gaben Anregungen oder verlinkten mit Verweis auf den Nutzernamen @9Nov38 Artikel, Fotos und Quellen. Wir erhielten Privatnachrichten und später auch E-Mails von Menschen, die nun die eigene Familiengeschichte im Nationalsozialismus nachvollziehen, vielleicht sogar erforschen wollten und um Starthilfe baten.2 In diesem Sinne wurde @9Nov38 zu einem gegenseitigen Austausch über historische Prozesse zwischen HistorikerInnen und einer interessierten, digital aktiven Teilöffentlichkeit.

Einwände und Bedenken

Über die Nachteile von Twitter, ob mit oder ohne geschichtswissenschaftlichen Kontext, ist schon viel gesagt worden – auch zu @9Nov38 3. 140 Zeichen sind sehr wenig, um komplexe Sachverhalte darzustellen, Kontextualisierung, die sich die Historikerzunft als Markenkern zuschreibt, kann kaum erfolgen. Das Projekt muss man allerdings in seiner Gänze betrachten – es umfasst momentan 665 Tweets mit über 77.000 Zeichen. Dies entspricht 51 Normseiten – dazu werden auch noch weiterführende Blogeinträge und Quellen veröffentlicht. Wer unser Projekt aufmerksam verfolgt, liest also im nebenbei einen Text von der Länge eines wissenschaftlichen Aufsatzes. Ein weiterer Vorwurf, der angebracht wurde, war, dass wir Geschichte auf eine Abfolge von Einzelereignissen reduzieren, auf ein Auflisten dessen, wie es, frei nach Ranke, „eigentlich gewesen“ sei. Um dies zu vermeiden, richteten wir die Homepage4 ein, auf der wir das Projekt erklären, Zusatzinformationen und Kontext liefern sowie Originalquellen veröffentlichen. Sie diente der weiteren, kontextualisierenden Information.

Potenzial: Zeit als Raum

Neben der leichteren Partizipation bietet Twitter ein mediales Wesenselement, das es von anderen Vermittlungsformen unterscheidet: Die Zeit als Raum der historisierenden Nachzeichnung. Während Bücher und Aufsätze genau in jener Zeit erfahren werden, die sich der Leser nimmt, müssen Filmproduktionen eine Handlung in die Länge der Sendung einpassen. Fiktive Realzeitformate wie die TV-Serie ‚24‘ bilden dort eine Ausnahme, die auf Dokumentationen bisher nicht angewendet wurde. Twitter und dementsprechend auch ‚Heute vor 75 Jahren‘ war mehrere Tage rund um die Uhr aktiv. Seine Wirkung entfacht diese Zeitlichkeit in erster Linie durch die Frequenz: Viele Leser teilten später mit, in der Nacht von Samstag auf Sonntag nicht ins Bett gegangen zu sein, weil sich der Abstand zwischen einzelnen Tweets derart verkürzt hatte, dass sich ein Eindruck der zeiträumlichen Dimension der reichsweiten Pogrome einstellte:

PHW HJS - Diagramm Kopie

Dieses Mittel, über Tage und Wochen in verschiedenen Veröffentlichungsfrequenzen zu arbeiten, ist natürlich problematisch. Noch mehr als andere Inhalte stellt es eine nachträgliche, inszenierende Konstruktion dar, die bei der Konzeption stets zu hinterfragen ist. Uns bot sich allerdings so die Gelegenheit, die Ereignisse über einen längeren Zeitraum inklusive Vor- und Nachgeschichte zu schildern, eine zeitliche Verkürzung hingegen wäre unangebracht gewesen. Sie hätte auch unserem Anspruch, wissenschaftlich korrekt zu arbeiten, widersprochen. Im Dezember werden wir jeden Tweet mit einer Quellenangabe aus der Forschungsliteratur belegen. Durch die Aufnahme von @9Nov38 in das Dossier einer internationalen Nachrichtenagentur wurde das Projekt zu einem medialen Teil des offiziellen deutschen Gedenkens.

Twitter-Chancen

Twitter kann also – mit derselben Sorgfalt und kritischen Distanz wie jedes andere nichtwissenschaftliche Medium eingesetzt – eine wertvolle Ergänzung zur bisherigen populären Geschichtsvermittlung sein. Es erreicht andere Teilöffentlichkeiten als Fernsehen und Printmedien und lädt mehr als jedes andere Instrument zur Partizipation ein. Hieraus ergibt sich für die Vermittlung, aber auch die Analyse aktueller Geschichtskultur die Notwendigkeit, dass sich Public Historians mit Twitter auseinandersetzen, und es gleichermaßen als Werkzeug wie als Quelle begreifen.

 Vgl. Charlotte Bühl-Gramer mit ihrer Außenperspektive

 

Literatur

  • Mounier, Pierre: Die Werkstatt öffnen. Geschichtsschreibung in Blogs und Sozialen Medien. In: Haber, Peter / Pflanzelter, Eva (Hrsg.): historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften, München 2013, S. 51-60. [DOI= http://dx.doi.org/10.1524/9783486755732.51 ]

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
Screenshot von @9Nov38 (22.11.13, 12.30 Uhr) mit freundlicher Genehmigung der AutorInnen.

Empfohlene Zitierweise
Hoffmann, Moritz / Jahnz, Charlotte / Schmalenstroer, Michael: Twitter – Medium der Geschichtskultur, zum Beispiel @9Nov38 (Akteursperspektive). In: Public History Weekly 1 (2013) 13, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-779.

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Twitter – Medium der Geschichtskultur, z.B. @9Nov38 (Außenperspektive)

 

Hohe Resonanz in traditionellen wie neuen Medien und über 11000 Follower verzeichnete das Microblogging fünf junger HistorikerInnen zu den Novemberpogromen vor 75 Jahren. Ermöglicht zeitversetztes Tweeten wie das Projekt @9nov38 neue Brückenschläge in die Gegenwart? Einem ersten Kurzbeitrag der AutorInnen am 28.10.2013 folgten im November über 400 weitere Tweets, eine Abfolge aus Quellenauszügen und quellenbasierten Nachrichten. Der Wechsel des Slogans bei Twitter von „What are you doing?“ zu „What’s happening“ im Jahr 2009 bildete dabei die Voraussetzung, über aktuelle persönliche Befindlichkeiten und Tätigkeiten hinaus Kurzmeldungen und Kommentare zu posten und auszutauschen.1

 

Geschichte als Statusupdate?

Auf einige geschichtstheoretische Fehlschlüsse des neuen Medienformats zur Thematisierung von Geschichte wurde bereits hingewiesen: aufzählende Fragmentierung in Einzelereignisse anstelle historischer Narration, Simulation einer Kopräsenz durch die Illusion minutengenauen „Miterlebens“ „der“ Ereignisse, Gleichsetzung von Vergangenheit und Geschichte durch die Anwendung des historischen Präsens.2 „What happened?“ wäre also der geeignetere Slogan für Geschichts-Tweets. Zur medialen Eigenlogik von Twitter gehört schließlich nicht nur die Deutung durch Auswahl von 140 Zeichen kompatiblen Nachrichten, sondern auch durch die Festlegung einer zumutbaren bzw. rezipierbaren Nachrichtenfrequenz für die Follower. „Im Endeffekt würden … am Abend und in der Nacht des 9./10. Novembers tausende Ereignistweets durchlaufen, die keiner mehr lesen oder aufnehmen könnte. Die Auslassung ist also gewollt und nötig.“3 Dagegen haben sich die AutorInnen von @9nov38 dem Problem der fehlenden Kontextualisierung und mangelnder Kohärenzangebote gestellt: Die begleitende Website4 enthält Quellen, einen Blog sowie Links zu Reaktionen auf das Projekt. Nach dessen Abschluss sollen überdies die Inhalte aller Tweets in einer Datenbank mit Literaturverweisen belegt werden.

Medienspezifische Potenziale

Die über mehrere Wochen abgesetzten Tweets können die temporale Dynamik der Novemberpogrome als Terrorwoche mit ihrer Vor- und Nachgeschichte deutlich machen. Durch ihre simultane Taktung mit der Gegenwart des Nutzers erhalten sie möglicherweise einen erhöhten Aufmerksamkeitsstatus und Prägnanz. Die im öffentlichen Gedenken stattfindende Reduktion der Vorgänge auf eine „Pogromnacht“ wird aufgebrochen. Die ereignisgeschichtlich individualisierenden und personalisierenden Kurznachrichten zum Leid der Opfer rücken die Gewalt gegen Menschen stärker ins Bewusstsein als dies häufig in den öffentlichen Medien erfolgt. Denn dort werden vor allem auch auf visueller Ebene die Pogrome auf die materielle Zerstörung reduziert, den brennenden Synagogen und zerstörten Geschäften. Natürlich müssen auch Geschichts-Tweets erst einmal abonniert werden, setzen also Eigeninitiative voraus, die aber als niederschwellig anzusiedeln ist. Als virtuelle Stolpersteine können sie neue Zielgruppen ansprechen und Lernvorgänge in Gang setzen oder verstärken. Das zeigt zumindest das auch die AutorInnen überraschende hohe Interesse der Follower an den verlinkten Quellen. 

Geschichte auf der Timeline

Da die Tweets im persönlichen bunten Nachrichten-Mix der Nutzer landen, stellt sich natürlich auch hier die Frage nach Kohärenz und Stabilität der Sinnbildungen durch diese historischen Weckrufe.5 Möglicherweise fungiert aber dieses „barrierefreie“ Einbrechen der Tweets in die Normalität und Gegenwart des eigenen Alltags auch als ein weiterer Zugang jenseits der normativ gebotenen Trauer, weil der Nutzer bzw. die Nutzerin sich auch hier bewusst wird, dass er bzw. sie selbst gerade etwas tut, was für viele Juden in Europa nicht möglich gewesen ist.6 „Das Vergangene muß eine Art neuer Gegenwart erhalten, zu neuem Leben erweckt werden: zu einem ‚sekundären’ Leben, dessen Ort unser Bewußtsein ist”7. So beschrieb Rolf Schörken lange vor dem Web 2.0 Vergegenwärtigung als eine Form der historischen Bemühung um Aneignung von Geschichte in der Gegenwart. Ein kreativer Versuch, das Vorstellungsvermögen zu aktivieren und Ritualisierungen des Gedenkens aufzubrechen, ist das Projekt in jedem Fall.

Vgl. Autorenteam Hoffmann, Jahnz & Schmalenstroer mit ihrer Akteursperspektive

Literatur

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
Screenshot von @9Nov38 (22.11.13, 12.30 Uhr) mit freundlicher Genehmigung der AutorInnen.

Empfohlene Zitierweise
Bühl-Gramer, Charlotte: Twitter – Medium der Geschichtskultur, z.
B. @9Nov38 (Außenperspektive). In: Public History Weekly 1 (2013) 13, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-798.

Copyright (c) 2013 by Oldenbourg Verlag and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

 

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Journal-Panorama zu Gewalt gegen Frauen

Das von Mathilde Schwabeneder gestaltete gestrige (26.11.) Journal-Panorama befasste sich mit Gewalt gegen Frauen in Italien:

Gefährliches Land für Frauen: Gewaltwelle in Italien

2012 starb in Italien alle drei Tage eine Frau durch die Hand eines Mannes, der ihr nahe stand. Ehemänner, Liebhaber oder Verflossene wurden zu Mördern. Und auch 2013 sind allein bis Oktober schon mehr als 120 Frauen oft auf bestialische Art ermordet worden. Ganz Italien diskutiert daher über Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und ihre mögliche Bekämpfung. Überall ist die Rede vom Femminicidio – vom Mord an den Frauen.

Fernsehen, Radio und Zeitungen sind voll von spektakulären Fällen. Frauenverbände wollen mit Sensibilisierungskampagnen aufrütteln und gegensteuern. Aber der Weg ist noch weit – und das Land der Latin Lovers ist ob der blutigen Realität schwer verunsichert.


Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2013/11/27/journal-panorama-zu-gewalt-gegen-frauen/

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Ein Jahr “De rebus sinicis. Kulturgeschichte Chinas”

Am 27. November 2012 schrieb ich die ersten beiden Kürzest-Beiträge zu meinem Blog “De rebus sinicis. Kulturgeschichte Chinas”. In “De rebus sinicis” wurde lediglich das Thema des Blogs – die “Kulturgeschichte Chinas im weitesten Sinne” – benannt. Unter dem Titel “Kulturgeschichte Chinas: Sichten, Sammeln, Schreiben” skizzierte ich dann Anlass und Motivation für dieses Unterfangen.

In den letzten Wochen des Jahres 2012 gestaltete sich dann die Arbeit am Blog eher zäh – was auch rückblickend vor allem an den nur sehr unregelmäßig geposteten Beiträgen zu erkennen ist. Mit den “Annäherungen an den Kulturbegriff im Chinesischen” dürfte ich dann die “Mühen der Ebene” hinter mir gelassen haben. Schließlich ist es mir ab Januar 2013 gelungen, einen Beitrag pro Woche – somit bisher insgesamt rund 50 Beiträge – zu veröffentlichen.

Bei der Suche nach auch für dieses Blog geeigneten Themen dienten mir meine Anfang 2012 begonnenen stichwortartigen Notizen und Textfragmente zu einer Einführung in die Kulturgeschichte Chinas (derzeitiger Umfang ca. 100.000 Wörter) als “unentbehrliche” Grundlage. Bei der Arbeit an und mit diesen Notizen drängte sich bald der Gedanke auf, bestimmte Aspekte des “riesigen” Themas in Form kleinerer Serien abzuhandeln. Eine erste Serie widmete sich den kulturgeschichtlichen Aspekten der Himmelsrichtungen im Chinesischen.  Eine weitere Serie bot Informationen zu den “Vier Schätzen des Studierzimmers”. Eher “zwischendurch” folgte ein “Zweiteiler” über die “heiligen Berge” Chinas. Den ersten drei Teilen zur Kulturgeschichte Chinas im Netz werden im Laufe der Zeit wohl noch einige Teile folgen.

Nutzen und “Verwertbarkeit” der bisher veröffentlichten Beiträge haben sich bisher etwa im Rahmen der universitären Lehre gezeigt. Neben Überlegungen zu “Transkulturalität und Kulturgeschichte. Zum Auftakt einer Ringvorlesung” habe ich auch eine sehr geraffte Inhaltsangabe meines China-Vortrags veröffentlicht, den ich im Rahmen dieser globalgeschichtlich orientierten Kulturgeschichte-Ringvorlesung an der Universität Wien gehalten habe (“2500 Jahre in 90 Minuten”). Und wenn es gilt, in einer Lehrveranstaltung zur Geschichte der chinesisch-westlichen Beziehungen bestimmte Begriffe zu erklären, ist es einfach praktisch – etwa bei der Erläuterung des Begriffs “Kotau” – einfach auf den entsprechenden Artikel auf “De rebus sinicis” zu verlinken …

 

 

 

 

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/894

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Berufsdarstellungen auf römischen Sarkophagen


Auf den Seiten der Universität Wien kann eine Diplomarbeit zu Berufsdarstellungen auf römischen Sarkophagen abgerufen werden. Die Arbeit von Özer Erdin behandelt die Darstellungsgruppen von Bäckern, Lederverabeitung, Schustern, Zahlungsszenen, Markthändlern, Wirten, Weinhändlern und die vereinzelten Darstellungen von Möbeltischler, Mosaikarbeiter, Rennstallbesitzer und Baumeister/Architekt.



via Hiltibold

Quelle: http://provinzialroemer.blogspot.com/2013/11/berufsdarstellungen-auf-romischen.html

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