Podiumsdiskussion “Digital Communication and the Media Future of the Humanities: Knowledge, Scholarship, Teaching”

Die Abteilung Kultur des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien an der FU Berlin richtet am Montag, den 30. Juni 2014 eine Podiumsdiskussion zum Thema “Digital Communication and the Media Future of the Humanities: Knowledge, Scholarship, Teaching” aus.

Über aktuelle Entwicklungen und Trends im Bereich der Digital Humanities diskutieren die Gäste Kathleen Fitzpatrick (Modern Language Association), Jason Mittell (Middlebury College) und Mark Sample (Davidson College). Die Veranstaltung beginnt um 16 Uhr c.t. in Raum 319 des Kennedy-Instituts. Weitere Informationen unter: http://www.jfki.fu-berlin.de/digital-humanities-roundtable

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3474

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Breitseiten und Rohrkrepierer – zum Verhältnis von Feuilleton, Plagiat und historischem Sachbuch

Rohrkrepierer

Rohrkrepierer einer vermutlich österreichisch-ungarischen Feldhaubitze des Ersten Weltkrieges. Ort und Datum der Aufnahme sind unbekannt; ebenso, ob das Rohr überhitzt oder verzogen war.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rohrkrepierer.png

Sicher ist auch in der gegenwärtigen, sich immer heißer laufenden Plagiatsdiskussion „für die Klebefähigkeit von übler Nachrede [...] irgendein Haftgrund nötig.“[1] Dass diese Aussage, die Olaf B. Rader in Bezug auf die dem Staufer Friedrich II. nachgesagten Untaten formulierte, auch für ihn zutrifft, liegt an dem leicht vermeidbaren, sicher illegitimen Umgang mit Wikipediazitaten und Bildern aus den Wikimedia Commons in dem von ihm verantworteten Teil des Sachbuchs über „Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte“. Die vor zwei Wochen in Gang gesetzte Diskussion kann etwa hier und hier und hier nachgelesen werden, um nur einige der wissenschaftlichen oder doch wissenschaftsnahen Blogs zu benennen. Das Nachverfolgen der Meldungen in den Online-Auftritten etablierter Zeitungen konnte man sich im Großen und Ganzen sparen (mit Ausnahme der NZZ), da dort immer wieder dasselbe kolportiert wurde; im (Online-) Journalismus ja gängige Praxis und keineswegs todeswürdiges Verbrechen.

Doch durch den gestrigen Beitrag des New Yorker Feuilletonkorrespondenten der FAZ, Patrick Bahners, bekommt die Diskussion eine neue Qualität, wenn auch kein höheres Niveau: Die Vorwürfe werden auf frühere Bücher Raders ausgeweitet, darunter die umfangreiche Biographie über Friedrich II. und auch deren Kurzvariante, die in der bekannten Reihe Beck Wissen erschienen ist; keineswegs klar erkennbar ist immer, auf welche der beiden Monographien sich der Vorwurf konkret bezieht. Beleg dafür seien Recherchen Kathrin Passigs, die aber nirgends öffentlich einsehbar sind. Verwiesen wird auf eine laienhafte Internetseite über die ‚falschen Friedriche‘, deren aus einer rechtshistorischen Publikation von 1951[2] basierende Argumentationsstruktur Rader direkt übernehmen soll. Als Beleg wird die Formulierung „in die Knie zwingen“ herangezogen, die der Angeklagte als „auf die Knie zwingen“ variiert. Außerdem sei er gar nicht den kriminalpsychologischen Differenzierungen der ursprünglichen Quelle gefolgt. Tatsächlich, in Chronologie und einzelnen Formulierungen gibt es Ähnlichkeiten zwischen Raders Text und der Internetseite, aber eben auch des Buchs von 1951. Der aktuelle Forschungsstand dürfte anders aussehen, das sei konzediert. Doch ob hier Radbruch/Gwinner die Vorlage ist oder die Internetseite, ist nicht zu entscheiden. Und müssen die drei Seiten (104-106) des Beck-Wissen-Bändchens zum Aspekt der falschen Friedriche wirklich mehr liefern als Faktenwissen?

Was hier also für Bahners ein Manko, ja ein klares Indiz für Raders ‚Trivialitäten‘ ist, wird in der zweiten transatlantischen Breitseite zum Anlass für Kritik: Denn hier folgt der Berliner Historiker nun wieder zu sehr (und doch nicht genug!) der Literatur, auf die in der Friedrichsbiographie durchaus verwiesen wird. Es geht um den Aspekt der Waffenmode um 1200, sicher ein äußerst untergeordneter Aspekt in einer Biographie des Stauferkaisers, sollte man meinen. In einem sich gewichtig gebenden Textvergleich werden also einige Zitate Raders neben solche aus einem wissenschaftlichen Beitrag zur Stauferausstellung von 1977 gereiht, auf die sich der Biograph ja bezogen hat. Manche Zitate Raders sind sehr eng an den 35 Jahre alten Artikel angelehnt, manche weniger, was prompt vom Feuilletonisten stilistisch bekrittelt („Man wundert sich, inwiefern wallende, buntbestickte Röcke für einen schlichten Stil stehen können“) und zugleich hyperkorrekt in die Entwicklung der Kriegsmode zwischen 1150 und 1250 eingereiht wird. Fraglich bleibt, ob man solche Details in der von Bahners vorgeschlagenen Breite in einer Biographie des Sizilianers auf dem Kaiserthron lesen möchte und ob Rader hier nicht das Recht, ja die Pflicht zur Kondensierung hat, die fast immer mit Präzisionsverlust einhergeht.

Doch es wird noch investigativer: Rader habe den Leser glauben machen wollen, vor 1150 habe man wohl mit freiem Oberkörper gekämpft, so unpräzise seien seine Formulierungen. Allein, schreibt Rader das? Ihm geht es um das (langärmelige) Panzerhemd mit Handschuhen und Kapuze, das in dieser Zeit aufkommt, kein Widerspruch zur zitierten Literatur. Die Existenz von Kettenhemden vor 1150 dürfte jedem bekannt sein, der einmal ein Bild des Teppichs von Bayeux gesehen hat. Mag man bei den falschen Friedrichen noch ein ungutes Gefühl bei Raders Vorgehen haben, hier baut Bahners einen Pappkameraden auf. Man merkt die Absicht und ist dann noch verstimmter, wenn es etwas nonchalant, nämlich belegfrei weitergeht: Auch stilistisch sei Rader ein Blender, dem regelmäßig Grammatikfehler unterlaufen; alle bisherigen Rezensenten behaupten das Gegenteil, doch geschenkt: de gustibus. Dann wird noch im Vorbeigehen die Mittelalterarchäologie zur wissenschaftlich nicht satisfaktionsfähigen Disziplin herabgewürdigt, derer sich Rader nicht hätte bedienen dürfen. Und schließlich hat er wiederum einen Absatz zum Einfluss der orientalischen Mode nicht aufgenommen, der sich doch hätte aufdrängen müssen.

Dem Leser Bahners seinerseits stellt sich spätestens jetzt die Frage: Was will der Autor des FAZ-Artikels eigentlich erreichen? Mit jahrelanger Verspätung die Rezension schreiben, die schon 2010 – mit sehr positivem, aber nicht unkritischem Tenor und einer Würdigung der Gesamtthese des Buchs – Andreas Kilb in derselben Zeitung übernommen hat? Das Buch wurde ja auch andernorts im Feuilleton gelobt. Raders Buch ist auch im Fach durchweg positiv besprochen worden.[3] Nun, dann wäre es nur eine der Besprechungen, bei denen sich der Rezensent an Quisquilien abarbeitet, aber zum Gehalt des Buches nichts sagen kann oder will. Da aber der Artikel Bahners‘ im Kontext der Diskussion der letzten zwei Wochen über Raders Versäumnisse und Fehler im Seeschlachten-Buch steht, ist der Sachverhalt nicht so einfach. Dies wird auch am nur als diffamierend zu nennenden Schlusssatz des FAZ-Artikels deutlich. Hier soll eine Breitseite ad personam abgefeuert werden, die Diskreditierung Raders als Historiker wird mindestens billigend in Kauf genommen. Um den Ansatz seiner Bücher, um eine Typologisierung zu einem klareren Verständnis der historischen Figur Friedrichs II. und einer zugehörigen Erinnerungeschichte des Staufers, geht es mit keinem Wort. Dass er auch komplizierte Sachverhalte eingängig vermitteln kann, egal: Eine weitere Umdrehung an der Skandalschraube ist zu verlockend, und seien die Vorwürfe – zum jetzigen Stand der Beweislage bezüglich der Friedrichsbiographien – auch minimal fundiert, kleinkariert oder weit hergeholt. Hier wäre die Kärrnerarbeit der verschiedenen Plagiatsplattformen ein Beitrag zur Versachlichung und Substantiierung der Diskussion, bevor gelinde gesagt tollkühn Autoren als Betrüger abqualifiziert werden. Man mag zu diesem neuen deutschen Online-Hobby stehen wie man will: Auf eine kritische Masse von Belegen für unseriöses Vorgehen wird dort bestanden, bevor eine Plagiatsprüfung öffentlich gemacht wird. Im FAZ-Beitrag wird hingegen bei dünnster Faktenlage ein Verdikt formuliert.

Aber es geht nicht nur um die Invektiven gegen Olaf Rader und die fehlende Transparenz der Vorwürfe durch ein Plagiatswiki. In einem Aspekt trifft Bahners Artikel einen wunden Punkt, das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Sachbuch. Welcher Fachhistoriker würde von einem für ein breites Publikum geschriebenen Buch wie dem zu den Seeschlachten, aber auch eines kleinen Beck-Wissen-Bändchens die absolute Präzision und Forschungsnähe erwarten, die die Verlagswerbung suggeriert? Wenn Beck nicht den Unterschied zwischen einer akademischen Qualifikationsarbeit, einer hoch spezialisierten Fachmonographie und einer Publikation mit breiter Zielgruppe (oft ganz ohne Fußnoten, übrigens) zugeben will, ist das allenfalls kaufmännisch zu erklären. Zugleich: Wer kann sich vorstellen, dass Beck ein klar auf Breitenwirkung angelegtes Buch – sei es zu Friedrich II., sei es zu Seeschlachten in der Weltgeschichte – akzeptieren würde, das hinter jeden Satz eine Fußnote setzt und Beleg auf Beleg schichtet? Gut lesbar, da ist Bahners zuzustimmen, sind Spezialmonographien der Forschung quasi nie. Wenn aber der künftige öffentliche Umgang mit Sachbüchern durch diesen Fall präjudiziert wird, welcher Fachhistoriker wird sich noch daran setzen, für ein breites Publikum zu schreiben? Da bleibt man doch lieber im Gärtchen des eigenen Spezialthemas und schreibt gelehrte Abhandlungen mit einem überschaubaren Rezipientenkreis selbst innerhalb des Fachs, anstelle das Risiko der öffentlichen Hinrichtung einzugehen, die gerade an Rader versucht wird. Dasselbe Feuilleton, das sich jetzt darauf kapriziert, Paraphrasen gegenzuprüfen und Sätze zu googlen, wird sich dann wieder über die Unlesbarkeit der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beklagen und mehr Mut der historischen Zunft einfordern. Übermut wird man nach dieser Diskussion und ihrer sich abzeichnenden Stoßrichtung sagen müssen. Nicht fehlen wird auch das Lob der anglophonen Kollegen, die so packend schreiben, während die deutschen Historiker/innen ihren Fußnotenfetischismus pflegen.

Aber ja, und auch das ist ein Punkt: Wie wäre es, Bücher wieder mehr zu lesen und über ihre Thesen zu reden und weniger ihre Satzfragmente zu googlen? Nein, das ist kein Aufruf zur Legalisierung des Plagiats in der Geschichtswissenschaft und auch nicht im historischen Sachbuch. Und tatsächlich fehlt eine Klärung des Verhältnisses von Fachwissenschaft, breiter angelegter Wissenschaftsvermittlung und neuen Medien wie Wikipedia, egal, welche internen Diskussionen der Wikipedianer es bereits gegeben hat. Und es bleibt kritikwürdig, was Rader im Seeschlachtenbuch getan hat.
Aber eine rein auf formale Aspekte abzielende Kritik verfehlt den Kern des Schreibens über Geschichte; wer Thesen nicht durchdenken, einordnen und abwägen will und stattdessen ausschließlich Belegstellen zählt und Paraphrasen prüft, macht es sich zu bequem. Sicher, mit weniger (intellektuellem) Aufwand gelangt man kaum in die Position des rückhaltlosen Aufklärers. Mehr als ein Skandälchen für zwei Wochen (mit allerdings fatalen und möglicherweise langfristigen Folgen für verschiedene Beteiligte, aber auch die Präsenz historischer Forschung in der Öffentlichkeit) kommt dabei aber nicht heraus. Mit den vorliegenden Begründungen ist die vernichtende Kritik an Raders Friedrichsbiographien durch Patrick Bahners kein Volltreffer, sondern ein Rohrkrepierer.

 

Dieser Beitrag begründet auf diesem Blog die neue Textkategorie “Cum ira et studio”: Kommentare mit erkennbarer Meinung zu mediävistischen Themen und im weitesten Sinn darauf bezogenen Mediengeschehen. Noch mehr als sonst ist für den Inhalt ausschließlich der Autor verantwortlich; der Beitrag gibt nicht notwendig die Meinung der Blogverantwortlichen insgesamt wieder.

[1] Olaf B. Rader: Friedrich II.: Der Sizilianer auf dem Kaiserthron, München 2010, S. 230.

[2] Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie, Stuttgart 1951.

[3] Vgl. auch Julia Becker, Rez. zu: Olaf B. Rader, Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München (C.H. Beck) 2010, in: QFIAB 91 (2011), S. 503f.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3652

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FAZ zur Geschichte der Identitätssysteme

In der FAZ-Printausgabe (6.5.2014, S.15) berichteten letzten Dienstag Christoph Engemann und Stefan Schulz über Facebooks Angebot, für die US-Behörden ein digitales Identitätssystem zu betreiben; der Beitrag holt erfreulicherweise auch historisch recht weit aus, verweist auf Bernhard Siegerts Passagiere und Papier, bezeichnet die Kirche mit ihren Matriken als analoges Facebook und zitiert auch meine Dissertation. In leicht modifizierter Fassung ist der Text nun auch online im Digital Twin-Weblog der FAZ zu lesen.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/855787261/

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Germanen willkommen! Von Barbaren und dem Mittelalter

 

Germanen oder die Beschäftigung mit ihnen ist nichts, was man unmittelbar mit zeitgenössischen Anforderungen an Lehre in Verbindung bringt. Im Gegenteil scheint der Weg in unaufgeklärte Mythenbildung, okkulten Romantizismus und Antimodernismus vorprogrammiert. Zeit für einen Epochenwandel. 

 

Alltagspräsenz und Unterrichtsabwesenheit

Irgendwie scheinen sie unsterblich zu sein, diese Germanen. Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass sie nicht den Titel einer Zeitschrift zieren. Ein eigenartiger Kult scheint zu bestehen um die über 2000 Jahre alte Hermanns- oder Varus-Schlacht – man begeht Jubiläen und sucht noch immer das Schlachtfeld. Eine Art trotziger Stellungnahme gegen die Moderne scheint auch hinter den von Jugendlichen immer wieder getragenen (pseudo-)germanischen Schmuckstücken zu stecken, deren Träger keinesfalls auf einen rechtsradikalen Kreis einzugrenzen sind. Nur an einer Stelle sind die Germanen auf dem Rückzug: In den Schulbüchern finden sich nicht mehr die detaillierten Karten mit schwierig auszusprechenden Stammesnamen; es bleiben Randnotizen, die das früher so dramatisierte “Ende Roms” nur antippen. Die Plünderung Roms im Jahre 410 ist ebensowenig Thema wie Alarich, Odoaker und Totila. Auch die Rezeptionsgeschichte bleibt blass: Platens “Grab im Busento” rezitiert niemand mehr, und wo ist noch der Sagenkreis um Dietrich von Bern präsent? Über das Germanenbild der Nationalsozialisten erfährt man auch nichts Genaues – aber die Germanen werden schon düster und unmenschlich gewesen sein, wenn die Nazis sie mochten.,1 Eigenartig undifferenziert bleiben unsere anscheinend unausrottbaren Vorstellungen von geistig wenig beweglichen, Lendenschurz tragenden Biertrinkern mit Hang zu Brutalität und obskuren Ritualen.

Perspektivenwandel der Forschung

Ja, geraten sie denn nicht zu Recht in Vergessenheit? Warum einem historischen Intermezzo hinterher jagen, das zwar im Mittelalter Spuren hinterlassen hat, heute aber exotisch scheint? Das Thema “Germanen” zu ignorieren wäre natürlich der bequeme Ausweg, durch den die Tendenz befördert würde, “Geschichte” auf Sachverhalte zu reduzieren, die ohne großen Denkaufwand dem Menschen der Moderne einleuchten. Zudem wäre es verschenktes Lernpotential, denn mit ein wenig Mühe lässt sich gerade hier eine Vielzahl von Beobachtungen machen, die wesentliche historische Zusammenhänge verdeutlichen. Dazu ist ein Blick auf die Forschungslage hilfreich – das mag im vorliegenden Fall noch ein wenig beschwerlicher sein als sonst. Viele alte Gewissheiten sind ins Wanken geraten. War man sich früher noch sicher, dass man mit den Germanen einen einheitlichen, schriftlich wie archäologisch sicher fassbaren Gegenstand vor sich hatte, so streitet die Forschung heute schlichtweg ab, dass es ein Volk der Germanen gab.2 Dementsprechend fordert man jüngst gar einen Verzicht auf den Begriff “germanisch” außerhalb der Sprachwissenschaft. Die von uns so genannte Sprachwurzel bestand zwar, aber soziale, politische oder gar “ethnische” Zusammenhänge lassen sich daraus nicht ableiten.3

Ein geändertes Narrativ

Was es gab, waren verschiedene Siedlungsgemeinschaften nordöstlich der Grenzen des römischen Imperiums, die von den Römern pauschal die Bezeichnung “Germanen” erhielten. Die unbeständige Entwicklung des Imperiums in der Kaiserzeit führte nun zu einer äußerst wechselhaften Politik gegenüber diesen zugleich als kulturlose “Barbaren” diffamierten Anwohnern: Bei Bedarf importierte und integrierte man Fachkräfte (ins Militär), ansonsten grenzte man aus oder betrieb Politik im Umfeld, sei es durch die Förderung genehmer Parteiungen oder aber durch direkte “friedensstiftende” Intervention. So erzählt sind die Parallelen zu politischen Konstellationen anderer Zeiten sehr deutlich. Auf die Dauer führte dieses römische Verhalten zu verstärkter Migration und Konfliktbereitschaft, die durch weiter entfernte, sich aber rasant nähernde Konflikte noch zunahm. Die einsetzende “Völkerwanderung” mit ihren Konflikten um Ressourcen machte die Siedlungsgruppen zu Wanderungsgemeinschaften und formte so erst die “ethnischen” Einheiten, als die sie die Römer (aus mangelndem Interesse) immer schon betrachtet hatten. Als “selbsterfüllende Prophezeiung” wird die Geschichte der Zeitenwende so zu einer Parabel für die Macht des Wortes und der Vorstellungen, zugleich aber auch zu einem Lehrstück in Sachen Wahrnehmung des Fremden, Migration und Integration.

Volk, “Rasse”, Mythos

Zugegeben: Auch diese Perspektive beruht auf Forschung, deren Sichtweise zeitgebunden ist, und dies in einem Maße, dass die Parallelen zur Gegenwart mit Händen zu greifen sind. Gerade in diesem Überschwang aber bietet sich eine weitere Möglichkeit der Reflexion, nämlich hinsichtlich der Perspektivgebundenheit historischer Betrachtung. Auch das “Germanenbild” kann dazu dienen, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu verdeutlichen.4 Auch SchülerInnen sollten begreifen, warum “die Germanen” dem romantischen, nach nationaler Selbstbestimmung strebendem Deutschland als “Volk” galten, den Nationalsozialisten für ihre “Volksgemeinschaft” hingegen als “Rasse”5 – und warum wir heute deutlich andere Perspektiven einnehmen.

Germanen und Mittelalter

Bekanntlich, dies zum Schluss, läutete ja der “Germanensturm” die düstere Epoche des Mittelalters ein, das sich gemäß einer alten Formel als Mischung von germanischen und römischen Elementen unter christlichen Vorzeichen verstehen lässt. Unter solchen Voraussetzungen entstand das Mittelalter nicht schlagartig als dunkle Zeit, sondern als Epoche von Krisen, bestimmt durch permanente und kontingente Veränderungen, was pragmatische Lösungen für aktuelle Probleme erforderte und wenig Raum ließ für längerfristige Orientierungen. In diesem Sinne rückt es uns wieder näher, dieses Mittelalter. Und vielleicht kommt so doch einmal eine Diskussion in fachdidaktischer Hinsicht zustande, und in der Folge dann auch wieder einmal das eine oder andere Element in den Lehrplan. Also: Germanen willkommen – dann klappt’s auch mit dem Mittelalter.

 

 

Literatur 

  • Geary, Patrick J.: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 2002.
  • Jarnut, Jörg: Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittelalterforschung. In: Pohl, Walter (Hrsg.): Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, Wien 2004, S. 107-113.
  • Pohl, Walter: Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration. 2. Aufl., Stuttgart u.a. 2005.

Externe Links

 


Abbildungsnachweis
Ausschnitt aus Friedrich Tüshaus: Die Schlacht zwischen Germanen und Römern am Rhein (1876). Quelle: Wikimedia Commons.

Empfohlene Zitierweise
Lubich, Gerhard: Germanen willkommen! Von Barbaren und dem Mittelalter. In: Public History Weekly 2 (2014) 18, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1809.

Copyright (c) 2014 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

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Subjektorientierung. Können Lernende selbstständig historisch denken?

 

Betrachtet man die Lehrpläne oder auch die dafür entwickelten Schulbücher für den Geschichtsunterricht, so gewinnt man schnell den Eindruck, dass in schulischen Lernprozessen die thematischen Zuschnitte sowie die fachspezifischen Methoden den Kern des historischen Lernens ausmachen würden. Es verwundert dabei nicht sonderlich, dass auch die wenigen pragmatisch gehaltenen Publikationen der GeschichtsdidaktikerInnen ein besonderes Augenmerk auf die Ausgestaltung der Quellenarbeit oder das Hinterfragen von Geschichte legen. Was dabei meist nur implizit mitgedacht wird, sind das fachspezifische Vorwissen und die eingefahrenen Denkakte der Lernenden selbst.

 

 

Wen interessiert das Vorwissen der SchülerInnen?

Wie werden bei der Unterrichtsplanung die Kinder und Jugendlichen als Individuen mitgedacht, die sich mit diesen Anregungen und Materialien beschäftigen? Sind die Probleme der kritischen Aneignung von historischen Inhalten, der Gang durch vorkonzipierte Lernwege ohne Umwege und ohne einen subjektorientierten Zugang meisterbar? Wie kann man Vorwissen für das historische Lernen sinnvoll aktivieren? Es hat nahezu den Anschein, dass das Vorverständnis, die Weltinterpretation, die (Vor-)Konzepte der einzelnen SchülerInnen, die sie sich über Jahre hinweg – meist ohne fremde Hilfe – aufgebaut haben, unbeachtet bleiben und statt dessen neue, unbekannte Konzepte und Denkwege im Unterricht seitens der Lehrperson gesetzt werden.

Chance für Conceptual-Change-Forschung

Wohlkonzipierte Schulbücher, beratende Handbücher und grundlegende Lehrbücher übergehen in der Regel ebenfalls diesen subjektiven Aspekt, der in der Auseinandersetzung mit historischem Lernen als Ausgangspunkt so zentral erscheint. Ein Anknüpfen an bestehende Wissens- und Vorstellungsstrukturen, um diese zu reflektieren, zu bestärken, zu verändern oder zu erweitern, erscheint aber als unerlässlich. Conceptual-Change-Forschung sollte deshalb nicht nur wissenschaftlich beobachten, sondern der Intention nach auch als Aktionsforschung im konkreten Geschichtsunterricht zur Anwendung kommen, so wie es Monika Fenn in ihrem Beitrag jüngst angeregt hat. Davon würden nicht nur die Lernenden profitieren; auch die Lehrperson würde über ein verstärktes Aufgreifen individueller Momente im Sinn einer fachspezifischen Diagnostik evidenzbasierte Hinweise für die Ausgestaltung des Geschichtsunterrichts erhalten.1

Subjekte historischen Denkens nicht übergehen

Eine subjektorientierte Geschichtsdidaktik versucht daher derartige Momente des historischen Lernens zu fokussieren. Sie will die einzelnen SchülerInnen als denkende Subjekte in geschichtsdidaktischen Konzeptionen und im konkreten Unterricht verstärkt wahrnehmen und die im Subjekt angelegten Voraussetzungen nicht unterdrücken. Vorstellungen, Vorerfahrungen, Gefühle, Interessen, gesellschaftliche Prägungen etc. dienen dabei als echte Anknüpfungspunkte für historische Lernprozesse, anstatt als subjektive Prägungen des historischen Denkens übergangen oder ignoriert zu werden. Persönliche, also biografische und identitätskonkrete, sowie lebensweltliche Bedeutsamkeiten werden demnach als initiierende Momente und motivationale Beförderer eines eigenständigen historischen Denkens gelesen und genutzt. Differenz und Heterogenität werden dabei als konstituierende Merkmale der Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Geschichte zugelassen, aber auch hinsichtlich der individuellen Lernvoraussetzungen verarbeitet. Inklusion und Individualisierung können auf diese Weise in heterogenen Lernsettings produktiv verarbeitet werden, das Subjekt mit seinen Voraussetzungen stets berücksichtigend.2

Mehr Konsequenz

Aus meiner Sicht lässt sich dies oftmals relativ einfach bewerkstelligen, da sich Facetten einer fachspezifisch gewendeten Subjektorientierung in vielen Ansätzen der im deutschsprachigen Raum vertretenen Geschichtsdidaktik wiederfinden. Es gilt deshalb vorrangig darum, die lernerseitige Perspektive öfter in den Vordergrund zu rücken, um das Verhältnis von Objekt und Subjekt in Lernprozessen und in der wissenschaftlichen Beschäftigung nicht einseitig zu bedienen. Es liegt an den VertreterInnen der unterschiedlichen geschichtsdidaktischen “Schulen”, dies zu leisten!

 

 

Literatur

  • Ammerer, Heinrich u.a. (Hrsg.): Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, Schwalbach/ Ts. 2014 (in Druckvorbereitung).
  • Hellmuth, Thomas / Christoph Kühberger (Hrsg.): Geschichtsdidaktik aus subjektorientierter Perspektive (= Historische Sozialkunde 42, 2/2012), Wien 2013.
  • Holzkamp, Klaus: Lernen, Subjektwissenschaftliche Grundlegung, Frankfurt/Main 1995.

Externe Links

 


Abbildungsnachweis
© Silke Kaiser: Ich spiegel mich / Pixelio.de

Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Subjektorientierung: Can subaltern pupil think historically? In: Public History Weekly 2 (2014) 16, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1823.

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Archäologie und StarTrek. Zu Gast beim Trekcast #029

Der aktuelle Podcast des Trekcast befasst sich diesmal mit dem spannenden Thema Archäologie.

Ich durfte mit Yann-Patrick Schlame, Thorsten Kroke und Malte Kirchner ausführlich darüber reden und das ist dabei herausgekommen.

http://www.startrek-index.de/trekcast/trekcast-029-star-trek-und-die-archaeologie/

Letztes Jahr haben der Kollege Mirco Gutjahr vom angegraben Podcast schon einmal darüber gesprochen, den Podcast finden Sie hier.

Die Interviews gehen auf drei Artikel zurück, die ziemlich genau vor einem Jahr hier auf MinusEinsEbene veröffentlicht habe.

Faszinierend! Ein archäologischer Ausflug ins Science-Fiction

Das archäologische Geschichtsbild bei Star Trek

Archäologie als narratives Mittel bei Star Trek

Wer sich intensiver damit auseinandersetzen will, sei auf die weiterführende Literatur verwiesen. Denn ob Sie es glauben oder nicht, das Thema ist bereits gut erforscht!

R. Bausch, Assimilation – Koexistenz – Unzugänglichkeit. Soziologische Betrachtungen des Fremden in Star trek, in: N. Rogotzki- T. Richter- H. Brandt- P. Friedrich- M. Schönhoff- P. M. Hahlbohm (Hrsg.) Faszinierend! Star Trek und die Wissenschaften 2 (Kiel 2003) 19-49

D. L. Bernardi, Star Trek and history. Race-ing toward in a white furure (New Brunswick, New Jersey u. London 1998)

H. Brandt-F. Schindel-J. Wellhöner, Indiana Jones im Weltraum? Das Bild der Archäologie in Star Trek, in: N. Rogotzki- T. Richter- H. Brandt- P. Friedrich- M. Schönhoff- P. M. Hahlbohm (Hrsg.) Faszinierend! Star Trek und die Wissenschaften 2 (Kiel 2003) 139-164

R. Heilmann, Über die Rolle von Archäologie und Geschichtsforschung im Film Planet of the Apes, in: K. Denzer, Funde, Filme, falsche Freunde. Der Archäologiefilm im Dienst von Profit und Propaganda (Kiel 2003) 21-42

K. U. Hellmann- A. Klein (Hrsg.) “Unendliche Weiten…”. Star Trek zwischen Unterhaltung und Utopie (Frankfurt 1997)

T. Harrison, S. Projansky, K.A.Ono, E.R. Helford (Hrsg.), Enterprise Zones. Critical Positions on Star Trek (Boulder, Colorado u. Oxford 1996)

A. Rauscher, Das Phänomen Star Trek. Virtuelle Räume und metaphorische Weiten (Fulda 2003)1

L. Russell, Archaeology and Star Trek: Exploring the past in the future, in: M. Russell (Hrsg.) Digging Holes in popular culture. Archaeology and science fiction, 2002, 19-29

O. Wenskus, Umwege in die Vergangenheit. Star Trek und die griechisch-römische Antike. Literaturwissenschaftliche Studien zu Antike und Moderne 13 (Innsbruck 2009)

S.E. Whitfield-G. Roddenbery, The making of Star Trek (New York 1968)

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/1045

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Kolloquium: Wie Digital Humanities gestalten? Ein Kaleidoskop von Perspektiven

Im Rahmen des Forschungskolloquiums von Prof. Dr. Claudine Moulin (Universität Trier – Germanistik) und Prof. Dr. Caroline Sporleder (Universität Trier – Computerlinguistik & Digital Humanities) geben internationale Wissenschaftler einen Einblick in ihre aktuellen Forschungen und zeigen dabei ein breites Spektrum digitaler Möglichkeiten auf.

8. Mai 2014
Dr. Nils Reiter (Universität Stuttgart)
Discovering Structural Similarities across Narrative Texts

15. Mai 2014
Prof. Dr. Michael Stubbs (Universität Trier)
The (very) long history of corpora, concordances, collocations and all that

22. Mai 2014
Dr. Hans-Ulrich Seifert (Universität Trier)
Dietrich online. Die Umwandlung der ‚Bibliographie der deutschsprachigen Zeitschriftenliteratur‘ des Zeitraums 1897–1944 in ein normdatenbasiertes Suchportal (DFG-Projekt UB Trier 2014–2019)

5. Juni 2014
Thierry Declerck (Universität des Saarlandes)
Repräsentation von dialektalen Wörterbüchern für deren Veröffentlichung im Linked-Data-Netz

26. Juni 2014
Dr. Julianne Nyhan (University College London)
Fr. Roberto Busa: founder of Digital Humanities?

3. Juli 2014
Dr. Silvia Stoyanova (Universität Trier/Princeton University)
Remediating Giacomo Leopardi’s Zibaldone: the digital encoding and harvesting of intra- and inter-textual semantic networks as a hermeneutic approach to the intellectual notebook genre

10. Juli 2014
Dr. Natalia Filatkina (Universität Trier)
Wie Zukunftsangst konstruiert wird. Diskurshistorische und korpuslinguistische Analysen des Begriffs

17. Juli 2014
Dr. Anne Baillot (Humboldt-Universität zu Berlin)
Was ist digitale Philologie?

24. Juli 2014
Jürgen Knauth und David Alfter (Universität Trier)
Towards a lemmatized and PoS-tagged Pali corpus

Veranstaltungsort: Universität Trier, 16-18 Uhr, Raum B17

Es ergeht herzliche Einladung an alle Interessierten!

Weitere Informationen entnehmen Sie der Website des Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren | Trier Center for Digital Humanities.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3461

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Französische Ortsnamenbücher: Die elektronische Neuauflage des “Dictionnaire topographique de la France” (Mittwochstipp 39)

Das Dictionnaire topographique de la France ist ein ambitioniertes wissenschaftliches und verlegerisches Großprojekt zur Erfassung aller modernen und historischen Ortsnamen Frankreichs, das bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begründet wurde und bis heute fortgesetzt wird. Unterteilt nach Départements sind bisher 35 … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/2389

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Ausschreibung des Franz-Stephan-Preises und des Förderpreises 2014 (Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts)

Die Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts schreibt dieses Jahr erneut zwei Preise aus:

  • den FRANZ-STEPHAN-PREIS für Dissertationen oder für Arbeiten vergleichbarer Bedeutung zur Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert
  • den FRANZ-STEPHAN-FÖRDERPREIS für Diplom- oder Masterarbeiten mit Schwerpunkt im 18. Jahrhundert.

Die ÖGE 18 ruft alle exzellenten jüngeren Vertreterinnen und Vertreter geistes- und kulturwissenschaftlicher Studienrichtungen auf, ihre Dissertationen sowie Diplomarbeiten zur Geschichte und Kultur der Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert bis zum 31. Mai 2014 einzureichen.

Die Bewerbungsmodalitäten finden sich unter hier.

http://oege18.org/oge18/aktuelles_files/757513ab123a066250e4e4a9594626ec-139.html

 

via Thomas Wallnig

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1716

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