Kühberger, Christoph: Subjektorientierung: Can subaltern pupil think historically? In: Public History Weekly 2 (2014) 16

dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1823 Betrachtet man die Lehrpläne oder auch die dafür entwickelten Schulbücher für den Geschichtsunterricht, so gewinnt man schnell den Eindruck, dass in schulischen Lernprozessen die thematischen Zuschnitte sowie die fachspezifischen Methoden den Kern des historischen Lernens ausmachen würden. Es verwundert dabei nicht sonderlich, dass auch die wenigen pragmatisch gehaltenen Publikationen der GeschichtsdidaktikerInnen ein besonderes Augenmerk […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/06/5891/

Weiterlesen

Subjektorientierung. Können Lernende selbstständig historisch denken?

 

Betrachtet man die Lehrpläne oder auch die dafür entwickelten Schulbücher für den Geschichtsunterricht, so gewinnt man schnell den Eindruck, dass in schulischen Lernprozessen die thematischen Zuschnitte sowie die fachspezifischen Methoden den Kern des historischen Lernens ausmachen würden. Es verwundert dabei nicht sonderlich, dass auch die wenigen pragmatisch gehaltenen Publikationen der GeschichtsdidaktikerInnen ein besonderes Augenmerk auf die Ausgestaltung der Quellenarbeit oder das Hinterfragen von Geschichte legen. Was dabei meist nur implizit mitgedacht wird, sind das fachspezifische Vorwissen und die eingefahrenen Denkakte der Lernenden selbst.

 

 

Wen interessiert das Vorwissen der SchülerInnen?

Wie werden bei der Unterrichtsplanung die Kinder und Jugendlichen als Individuen mitgedacht, die sich mit diesen Anregungen und Materialien beschäftigen? Sind die Probleme der kritischen Aneignung von historischen Inhalten, der Gang durch vorkonzipierte Lernwege ohne Umwege und ohne einen subjektorientierten Zugang meisterbar? Wie kann man Vorwissen für das historische Lernen sinnvoll aktivieren? Es hat nahezu den Anschein, dass das Vorverständnis, die Weltinterpretation, die (Vor-)Konzepte der einzelnen SchülerInnen, die sie sich über Jahre hinweg – meist ohne fremde Hilfe – aufgebaut haben, unbeachtet bleiben und statt dessen neue, unbekannte Konzepte und Denkwege im Unterricht seitens der Lehrperson gesetzt werden.

Chance für Conceptual-Change-Forschung

Wohlkonzipierte Schulbücher, beratende Handbücher und grundlegende Lehrbücher übergehen in der Regel ebenfalls diesen subjektiven Aspekt, der in der Auseinandersetzung mit historischem Lernen als Ausgangspunkt so zentral erscheint. Ein Anknüpfen an bestehende Wissens- und Vorstellungsstrukturen, um diese zu reflektieren, zu bestärken, zu verändern oder zu erweitern, erscheint aber als unerlässlich. Conceptual-Change-Forschung sollte deshalb nicht nur wissenschaftlich beobachten, sondern der Intention nach auch als Aktionsforschung im konkreten Geschichtsunterricht zur Anwendung kommen, so wie es Monika Fenn in ihrem Beitrag jüngst angeregt hat. Davon würden nicht nur die Lernenden profitieren; auch die Lehrperson würde über ein verstärktes Aufgreifen individueller Momente im Sinn einer fachspezifischen Diagnostik evidenzbasierte Hinweise für die Ausgestaltung des Geschichtsunterrichts erhalten.1

Subjekte historischen Denkens nicht übergehen

Eine subjektorientierte Geschichtsdidaktik versucht daher derartige Momente des historischen Lernens zu fokussieren. Sie will die einzelnen SchülerInnen als denkende Subjekte in geschichtsdidaktischen Konzeptionen und im konkreten Unterricht verstärkt wahrnehmen und die im Subjekt angelegten Voraussetzungen nicht unterdrücken. Vorstellungen, Vorerfahrungen, Gefühle, Interessen, gesellschaftliche Prägungen etc. dienen dabei als echte Anknüpfungspunkte für historische Lernprozesse, anstatt als subjektive Prägungen des historischen Denkens übergangen oder ignoriert zu werden. Persönliche, also biografische und identitätskonkrete, sowie lebensweltliche Bedeutsamkeiten werden demnach als initiierende Momente und motivationale Beförderer eines eigenständigen historischen Denkens gelesen und genutzt. Differenz und Heterogenität werden dabei als konstituierende Merkmale der Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Geschichte zugelassen, aber auch hinsichtlich der individuellen Lernvoraussetzungen verarbeitet. Inklusion und Individualisierung können auf diese Weise in heterogenen Lernsettings produktiv verarbeitet werden, das Subjekt mit seinen Voraussetzungen stets berücksichtigend.2

Mehr Konsequenz

Aus meiner Sicht lässt sich dies oftmals relativ einfach bewerkstelligen, da sich Facetten einer fachspezifisch gewendeten Subjektorientierung in vielen Ansätzen der im deutschsprachigen Raum vertretenen Geschichtsdidaktik wiederfinden. Es gilt deshalb vorrangig darum, die lernerseitige Perspektive öfter in den Vordergrund zu rücken, um das Verhältnis von Objekt und Subjekt in Lernprozessen und in der wissenschaftlichen Beschäftigung nicht einseitig zu bedienen. Es liegt an den VertreterInnen der unterschiedlichen geschichtsdidaktischen “Schulen”, dies zu leisten!

 

 

Literatur

  • Ammerer, Heinrich u.a. (Hrsg.): Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, Schwalbach/ Ts. 2014 (in Druckvorbereitung).
  • Hellmuth, Thomas / Christoph Kühberger (Hrsg.): Geschichtsdidaktik aus subjektorientierter Perspektive (= Historische Sozialkunde 42, 2/2012), Wien 2013.
  • Holzkamp, Klaus: Lernen, Subjektwissenschaftliche Grundlegung, Frankfurt/Main 1995.

Externe Links

 


Abbildungsnachweis
© Silke Kaiser: Ich spiegel mich / Pixelio.de

Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Subjektorientierung: Can subaltern pupil think historically? In: Public History Weekly 2 (2014) 16, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1823.

Copyright (c) 2014 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

The post Subjektorientierung. Können Lernende selbstständig historisch denken? appeared first on Public History Weekly.

Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-17/subjektorientierung-can-subaltern-pupil-think-historically/

Weiterlesen

Mythen ade! – Conceptual Change im Geschichtsunterricht

 

Nicht nur junge SchülerInnen, sondern sogar noch Erwachsene haben unzulängliche Vorstellungen davon, wie GeschichtswissenschaftlerInnen zu ihren Erkenntnissen kommen. Mythen wie die des schaufelnden Archäologen, die sich in den Vorstellungen verankern, werden über die Medien transportiert und verstärken derartige beliefs. Diese wirken sich vermutlich negativ auf historisches Denkvermögen aus. Höchste Zeit für die geschichtsdidaktische Forschung zu prüfen, wie das Verständnis von nature of history bei Heranwachsenden gefördert werden kann.

 

Historiker als “Schatzsucher”

SchülerInnen nehmen historische Darstellungen v.a. in Film und Fernsehen als Autorität wahr und nicht als Bewusstseinskonstrukt der Produzenten. Das haben empirische Untersuchungen mehrfach gezeigt.1 Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt das Bewusstsein, dass Darstellungen aufgrund des Blickwinkels der Betrachtenden und nicht etwa wegen fehlenden oder widersprüchlichen Informationen kontrovers ausfallen.2 Als ein Hemmnis für den kritischen Umgang mit Darstellungen stellte sich heraus, dass die Lernenden keine Idee davon hatten, wie eine HistorikerIn forscht, was überhaupt rekonstruiert werden kann und welche Erkenntnisprinzipien den Forschungsprozess bedingen. SchülerInnen besitzen nicht nur wenig differenzierte, sondern auch schiefe Vorstellungen über die Arbeit in den Geschichtswissenschaften.3 Lernende in der Sekundarstufe I betrachten häufig einen Historiker als grabenden Archäologen – wohl auch bedingt durch die über Lehrpläne normativ vorgegebene Konzentration auf Vor- und Frühgeschichte sowie Antike. Gestützt werden die beliefs u.a. durch die Verbreitung von Mythen über die historische Erkenntnisgewinnung von Archäologen in den Medien. So sehen laut einer Studie des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Bonn aus dem Jahr 2000 über 30 Prozent der 1.400 befragten Erwachsenen die Erforschung von Dinosauriern als Aufgabengebiet der Archäologen; 90 Prozent stellen sich einen Archäologen ausschließlich als schatzsuchende WissenschaftlerIn vor. Das ist ein Mythos, der seit dem 19. Jahrhundert popularisiert wird, nicht zuletzt dadurch, dass Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen in Troja, Mykene und Tiryns bis heute medial befördert werden.4

Forschungs-Ergebnisse

Für die naturwissenschaftlichen Fächer ist bereits gut erforscht, dass ein Verständnis über nature of science die Lernenden stark in ihrer Flexibilität bei schwierigen Denkprozessen fördert. Dies wurde sogar schon für GrundschülerInnen belegt, die lediglich eine kurze Interventionsphase durchlaufen hatten.5 Dagegen existieren für das Fach Geschichte bislang vorwiegend einige amerikanische, britische, schwedische und spanische Untersuchungen. Es wird vielfach angenommen und ist ansatzweise belegt, dass das Verständnis über nature of history und die Rolle des Historikers die Lernenden dabei unterstützt, historisch argumentieren und denken zu lernen.6 Allerdings entsprechen die Prä-Konzepte in den beliefs der Lernenden meist nicht den wissenschaftlichen Konzepten. Gleichwohl konnten Denis Shemilt, aber auch Peter Lee und Rosalyn Ashby für epistemologische Überzeugungen zu Quellen, Darstellungen und zum historischen Forschungsweg in Interventionsstudien belegen, dass zumindest ein Teil der Testpersonen innerhalb einer von niedrig bis hoch gestuften Skala von nicht haltbaren bis wissenschaftlich haltbaren Denkniveaus eine hohe Stufe erreicht.7 Äußerst interessant ist, dass sich deren beliefs innerhalb einer Altersstufe stark unterschieden und 8-Jährige über elaboriertere Vorstellungen verfügten als 12- bis 14-Jährige. Insofern hängt es also nicht vom Alter ab, ob ein Denklevel erreicht wird, sondern von individuellen kognitiven Strukturen. Das ist ein deutliches Signal dafür, dass historisches Denken bereits vom Grundschulalter an möglich ist und offenbar gefördert werden kann. Unzureichende Vorstellungen von SchülerInnen liegen wohl letztlich auch darin begründet, dass der historische Erkenntnisprozess und dessen Bedingungen im Geschichtsunterricht bislang nur unzureichend thematisiert werden.

Forschungs-Chancen

Die vorliegenden Ergebnisse werfen viele Fragen und Herausforderungen für die empirische geschichtsdidaktische Forschung auf, die über Interventionsstudien anzugehen sind: Unterstützt das Verständnis über nature of history bei SchülerInnen die historische Denkfähigkeit? Wie könnten Prä-Konzepte davon über alle Schuljahre hinweg analysiert und modifiziert werden? Wie müssen sich Lernprozesse in verschiedenen Schularten, Lernvoraussetzungen oder auch bei Mädchen und Jungen unterscheiden?8 Weitgehend offen ist, wie Lernarrangements im Fach Geschichte gestaltet sein müssten, um eine Konzeptveränderung einzuleiten.9 Explorative Studien im Rahmen studentischer Masterarbeiten haben gezeigt, dass es gewinnbringend ist, die historischen Methoden und den Erkenntnis- und Deutungsprozess im forschend-entdeckenden Lernen zu untersuchen. Dabei hat es sich bestätigt, dass alleine ein Arbeiten mit Quellen und Darstellungen nicht genügt, sondern auf einer Metaebene über Widersprüche, Vorannahmen und Narrationen reflektiert werden muss. Dabei scheinen Ankerkonzepte aus lebensnahen Situationen der Lernenden die Einleitung der Konzeptveränderung zu erleichtern. Ergebnisse im Bereich der Conceptual-Change-Forschung in den Naturwissenschaften bieten möglicherweise relevante Anknüpfungspunkte. Hier haben sich problemorientiert angelegte Lernumgebungen mit Experimenten als sehr förderlich erwiesen.10 Eine aktuelle Idee in der Physikdidaktik ist es, die Geschichte des Faches selbst zu thematisieren.11 Wie hat sich Erkenntnisgewinnung früher gestaltet und wie hat diese sich verändert? Dies wäre ein weiterer möglicher Ansatzpunkt für Interventionen im Geschichtsunterricht: Die Mythen, die sich in der Vergangenheit über Archäologen gebildet haben, könnten gemeinsam mit den Lernenden entlarvt werden, um bei diesem Lernprozess deren beliefs über die Arbeitsweise von Historikern auf ein elaboriertes Niveau zu heben.

 

 

 Literatur

  • Drie, Janett van / Boxtel, Carla van: Historical Reasoning: Towards a Framework for Analyzing Students’ Reasoning about the Past. In: Educational Psychology Review 20 (2008) 2, S. 87-110.
  • Limón, Margarita: Conceptual change in history, in: Limón, Margarita / Mason, Lucia (Hrsg.): Reconsidering conceptual change. Issues in theory and practice. Dordrecht / Boston / London 2002, S. 259-289.
  • Voss, James F. / Wiley, Jennifer: Geschichtsverständnis: Wie Lernen im Fach Geschichte verbessert werden kann, in: Gruber, Hans / Renkl, Alexander (Hrsg.): Wege zum Können. Determinanten des Kompetenzerwerbs. Bern u. a. 1997, S. 74-90.

Externer Link

 



Abbildungsnachweis
© Wolfgang Dirscherl  / pixelio.de

Empfohlene Zitierweise
Fenn, Monika: Mythen ade! – Conceptual Change im Geschichtsunterricht. In: Public History Weekly 2 (2014) 12, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1726.

Copyright (c) 2014 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.

The post Mythen ade! – Conceptual Change im Geschichtsunterricht appeared first on Public History Weekly.

Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-12/mythen-ade-conceptual-change-im-geschichtsunterricht/

Weiterlesen