Für einen Historiker sind gesellschaftliche Veränderungen absolut faszinierend. Das gilt nicht weniger für die noch wenig historische Digitalisierung. Sie kommt einem medialen und gesellschaftlichen Umbruch a la Gutenberg gleich – und er war für den Beginn der Moderne, also eines neuen Zeitalter, nicht wenig mitverantwortlich. Wie bei Gutenberg vor gut 600 Jahren sind auch diesmal technische und wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage der Veränderung. Nicht zum ersten mal revolutioniert die Wissenschaft derzeit also die Gesellschaft – und damit auch sich selbst. Für die Historikerin und die Fachkommunikatorin in mir war es deswegen eine Herzenssache, mein zweites KM Magazin der Zukunft der Wissenschaft widmen zu können.
Nun sind die Zukunft der Wissenschaft und die Auswirkungen der Digitalisierung auf sie kein weißer Fleck auf der Landkarte mehr. Die ersten Tendenzen, die Schlagwörter der Digitalisierung, betreffen das Wissenschaftssystem genauso wie die Gesellschaft: Big Data, neue Kommunikationsformen, der Ruf nach mehr Transparenz und Offenheit, aber auch nach mehr Kreativität und Blicken über den Tellerrand. Werden sie in einigen wissenschaftlichen Bereichen schon länger umgesetzt, sind sie zumindest zum Teil für andere u.a. aufgrund der zunehmenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Disziplinen noch neu.
Deswegen war es die Idee hinter dem Magazin, anhand von Interviews und Beispielsprojekten zu zeigen, was gute Wissenschaft in der Zukunft ausmacht und was sie bewirken kann. Ein Aspekt sticht dabei immer wieder heraus: Interdisziplinarität. Die Zusammenarbeit von Forschern verschiedenster Disziplinen und Wissenschaftsbereiche an einer Fragestellung beflügelt die Suche nach Antworten und Lösungswegen ungemein, das bestätigen alle Beispiele. Denn wenn es um die Umsetzbarkeit von Zukunftsvisionen geht, spielen nicht nur technische Möglichkeiten, sondern auch soziale Entwicklungen und historisch-kulturelle Einflüsse eine entscheidende Rolle. Eine Chance für die Geisteswissenschaften, zu zeigen, wie ihre Ergebnisse für die Gesellschaft anwendbar sind. Auch wenn Grundlagenforschung weiterhin wichtig bleibt, steht doch die Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen immer mehr im Mittelpunkt der Ansprüche, die an das Wissenschaftssystem gestellt werden. Interdisziplinarität ist nach den Standards einzelner Fächer schwer zu bewerten, Anwendbarkeit hingegen schon. Sie gehört deshalb zu den Punkten, nach denen immer öfter über Fördergelder – und damit scheinbar Forschungsqualität – entschieden wird. Gerade für die Geisteswissenschaften ist das ein Problem und eine Chance zugleich. Die für das Magazin ausgewählten Beispiele haben fast alle auch geisteswissenschaftliche Aspekte und entwickeln Ergebnisse, die in technologischer, sozialer oder struktureller Hinsicht den Alltag verändern werden.
Zu den Projekten, die in Text- oder Bilderform vorgestellt werden, gehören CitizenScience, 3D-Druck, das MIT Senseable City Lab oder die MPI-Forschung rund um Graphen. Leider nur im Bild vertreten ist unternehmensinterne Forschung. Sie ist primär auf anwendbare Ergebnisse in hoher Qualität ausgerichtet, denn das Interesse der Unternehmen liegt in der späteren Umsetzung in konkrete innovative Produkte. Zugleich ist sie durch ihre Unabhängigkeit von Drittmitteln und Förderanträgen aber oft auch kreativer, vielfältiger und visionärer als ihr universitäres Pendant. So beschäftigt sich Forschung in Unternehmen auch damit, wohin Mobilität, Vernetzung, veränderte Infrastrukturen, Kommunikation und digitale Informationen die Gesellschaft führen werden. Google, Lego, Siemens oder Walt Disney investieren jährlich viele Millionen in interdisziplinäre Projekte und eigene Lehrstühle, die Sprach- und Erziehungswissenschaftler, Soziologen, Kommunikations- und Medienwissenschaftler, IT-Experten, Architekten, Ingenieure oder Neurobiologen vereinen.
Trotzdem der spannenden Ideen und wissenschaftlichen Herangehenweisen, die die Unternehmen verfolgen, war es ein DFG-Projekt, das mich zum Cover und Editorial für das Heft inspiriert hat. “Terra Digitalis“, ebenfalls interdisziplinär ausgelegt, verdeutlicht die wichtigsten Punkte der Digitalisierung für die Gesellschaft anhand einer Karte der noch dünn besiedelten digitalen Welt: Mobilität, Kommunikation, Information. Sie ist eine schöne Metapher auch für den Weg der Wissenschaft in dieser digitalen Welt, die sie mitkreiert und von der sie auch selbst verändert wird.
Gerade weil spezifisch geisteswissenschaftliche Forschungen, die Digital Humanities und weitgehend auch die Wissenschaftskommunikation nur am Rand des Magazins vorkommen, hoffe ich, dass es euch ebenso zu neuen Ideen anregt wie mich – ganz im Sinne der Interdisziplinarität. Das KM Magazin “Wissenschaft” könnt ihr hier kostenlos downloaden.
P.S. Speziell für die Mittelalter-Historiker gibts zum Aufregen und Diskutieren im Magazin auch den zweiten Teil der These, das Internet führe uns zurück ins Mittelalter. Der Beitrag ist aber nicht im Schwerpunktteil Wissenschaft verortet
Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/1355