Buchbesprechung: Bertrand Goujon, Monarchies postrévolutionnaires, Paris 2012

Die französische Restauration (1814-1830) und die französische Julimonarchie (1830-1848) stellen ein Kapitel der französischen Geschichte dar, dem bis dato wenig Aufmerksamkeit in der Geschichtsschreibung zuteil wurde. Oft genug wurde die Bourbonenmonarchie als reaktionäres Intermezzo und als zivilisatorischer Rückschlag auf dem Weg zur Verwirklichung der Republik gesehen. Das Juliregime erschien mehr als Vorstufe zum vorläufigen Ende der Monarchie, das mit der Zweiten Republik eingeläutet und 1870 abgeschlossen wurde. Davon gab es sowohl in der französischen als auch europäischen Historiographie seit 1945 nur wenige Ausnahmen, zu den bekanntesten zählen wohl vor allem Guillaume de Bertier de Sauvignys sowie André Jardin und André-Jean Tudesq jeweilige Überblickswerke.[1]

Innerhalb der beiden letzten Jahrzehnte ist jedoch Bewegung in die Geschichtsschreibung der Bourbonen- und Julimonarchie gekommen. Besonders problematisch erscheint heute die Vernachlässigung wichtiger Aspekte und Faktoren der französischen Gesellschaft zwischen 1814 und 1848. Kaum zu übersehen ist, dass Revolution und Kaiserreich noch lange in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachwirkten und die Legitimitätsgrundlage der Monarchie dauerhaft veränderten. So hat schon Volker Sellin darauf hingewiesen, dass die Charte constitutionnel einen zwar der Gesellschaft aufoktroyierten Kompromiss darstellte, zugleich aber zentrale Ergebnisse der Revolution wie das Parlament oder den Verkauf der Nationalgüter sanktionierte.[2] Emmanuel Fureix hat in seiner wegweisenden Untersuchung zu den Begräbnissen wichtiger Persönlichkeiten der französischen Gesellschaft gezeigt, dass die alten Antagonismen zwischen Ancien Regime und neuer Ordnung fortwirkten.[3] Deutlich wird hier, dass Revolution und Kaiserreich sich zu einem Erfahrungsraum verfestigt hatten, hinter den die Monarchie nicht zurückgreifen konnte.

Dass es vor diesem Hintergrund durchaus sinnvoll ist, diese beiden „monarchies postrévolutionnaires“ in einer Überblicksdarstellung zu behandeln, hat nun Bertrand Goujon vorgeführt. In dem von ihm verfassten zweiten Band der neuen, in den Editions du Seuil aufgelegten „Histoire de la France contemporaine“ entsteht ein komplexes, vielschichtiges und häufig widersprüchliches Bild der französischen Gesellschaft.[4] Der Mehrwert von Goujons Untersuchung besteht darin, die beiden Monarchien als ein Laboratorium traditioneller und fortschrittlicher politischer Systeme vorzustellen, den Anpassungsprozess der Monarchie, die Ausdifferenzierung der jeweiligen Verfassungen und die Herausbildung der parlamentarischen Opposition sehr konzise zu beschreiben. Dass mit dem vergleichsweise eher kurzen Buch (knapp 400 Seiten Text) dennoch eine umfassende Geschichte entstanden ist, die übergreifende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen keineswegs vernachlässigt, ist der Fachkenntnis des Autors zu verdanken, der mit großer Souveränität die Auswahl relevanter Themen vorgenommen hat. Goujon gelingt es, aus der Menge an zentralen Aspekten ein beziehungsreiches Geflecht zu weben und dem Leser so eine äußerst kohärente Untersuchung der französischen postrevolutionären Monarchien zu bieten. Daraus hervorgegangen ist nicht nur ein handliches Nachschlagewerk zur französischen Geschichte, sondern zugleich eine sehr tiefgehende Analyse der französischen Gesellschaft zwischen 1814 und 1848. Diese wird ergänzt um eine chronologische Tafel zentraler Ereignisse sowie einer zwar nicht überbordenden Bibliographie, die aber die wichtigsten und vor allem neuesten Publikationen zum Thema enthält.

Eine besondere Stärke der Untersuchung von Goujon liegt in der Periodisierung, mit der der Autor die zentralen politischen Zäsuren zwischen 1814 und 1848 hervorhebt, ohne zugleich die gesellschaftlichen Kontinuitäten aus dem Blick zu verlieren. Goujon arbeitet pointiert die Charakteristika einer ambivalenten Restauration heraus, die zwar den Bruch mit dem Kaiserreich und die monarchische Kontinuität seit Ludwig XVII. betonte, zugleich aber innerhalb einer sich wandelnden Gesellschaft den politischen Kompromiss zu suchen gezwungen war. Goujon legt in diesem Zusammenhang eine überzeugenden Analyse der Charte constitutionelle vor, klärt über die Handlungsoptionen der sich oft abwechselnden Regierungen bis 1830, die Ausdifferenzierungen der politischen Lager sowie das Gewicht zentraler Akteure wie Karl X. oder Minister Decazes auf, der nach dem Ausscheiden von Richelieu 1818 die Politik der Regierung wesentlich bestimmte. Zugleich zeichnet Goujon ein facettenreiches Portrait der gesellschaftlichen Zerklüftungen Frankreichs, in dem gerade in abgeschiedenen ländlichen Regionen wie der Bretagne die Menschen in rückständigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, während im Elsass oder im Pariser Raum eine fortschrittliche, liberal eingestellte Elite tonangebend war. Diese wirkte zudem unmittelbar auf die politischen Meinungsbildungsprozesse im Parlament ein. Vor diesem Hintergrund analysiert Goujon die Verschärfung der politischen Krise nach dem Attentat auf den Duc de Berry. Der von Karl X. ab 1824 noch forcierte Rechtsruck in der Regierung lief immer mehr der Mehrheitsmeinung im Parlament zuwider.

Bei der Analyse des Regimewechsels von 1830 verlässt sich Goujon nicht allein auf eine kanonisierte Periodisierung, die für die Erklärung des politischen Wandels die Ereignisse während der Trois Glorieuses oft überbewertet. Anstatt allein die politischen Konjunkturen im Juli 1830 zu fokussieren, nimmt Goujon in einem eigenen Kapitel den Zeitraum zwischen 1828 und 1832 in den Blick. Damit widersteht der Autor nicht zuletzt auch der Anziehungskraft des in Frankreich vorherrschenden heroischen Narrativs, nach dem das reaktionäre Regime der Bourbonen durch einen gewaltigen Aufstand in den Straßen von Paris hinweggefegt wurde. Das ist zwar nicht falsch, wird aber nicht den wirtschaftlichen und sozialen Realitäten gerecht, die gewissermaßen im Hintergrund der politischen Ereignisse ab 1828 abliefen. Dazu gehörte ein drastischer Rückgang der Wirtschaftsproduktivität des Landes, eine hohe Arbeitslosigkeit und steigende Lebensmittelpreise. Zudem erfuhr die Gesellschaft einen grundlegenden Wandel, indem Vertreter einer neuen Generation in die Politik vorstießen, die die Monopolisierung von Schlüsselpositionen in der Politik durch die alte Elite scharf kritisierten und auf mehr Mitsprache sowie eine Ausweitung des passiven Wahlrechts drangen. In einem vielschichtigen Portrait dieser Wendezeit wirft Goujon auch einen Blick auf die französische Kultur, in der sich der Konflikt zwischen den „anciens“ und den „modernes“ besonders am Beispiel der literarischen Strömung der Romantik fortsetzte. In diesem Umfeld des tiefen gesellschaftlichen Wandels wird die zunehmende Isolation des Königs und seiner Regierung gegenüber dem Parlament verständlich. Die adresse des 221 vom März 1830 stellte ein Manifest dar, dessen Kritik am autoritären Stil der Regierung ein überwältigendes Echo in der außerparlamentarischen Öffentlichkeit fand.

Die politische Zäsur vom Juli 1830 ist in der Betrachtung Goujons wiederum eine höchst ambivalente. Konnten mit der Neuauflage der Charte wichtige liberale Fortschritte realisiert werden, so blieb die Phase des „mouvement“ und der von den progressiv orientierten Abgeordneten geforderten Reformen doch eine eher kurze Episode. In diesem Kontext ist die Periodisierung von Goujon auch so sinnvoll: sie macht sich nicht die vom Juliregime selbst propagierte Sichtweise eines politischen Aufbruchs zu Eigen, sondern zeigt, wie die Ergebnisse der Julirevolution schon früh die Zeitgenossen zutiefst enttäuschten. Angesichts nur mehr beschränkter Reformen,  wie etwa des Wahlgesetzes vom April 1831, das den Zensus nur geringfügig herabsetzte und vielen daher nicht weit genug ging, entfremdeten sich schon früh viele vom neuen Regime. Auch mehr symbolische Akte des neuen Königs, wie die Entlassung Lafayettes vom Oberkommando der Nationalgarde, erweckten den Eindruck, dass das Juliregime die Revolution mit allen Mitteln zu beenden suchte. In der Betrachtung dieser sich zuspitzenden Krise fokussiert Goujon das Jahr 1840 als vorläufigen Höhepunkt. Hier, so Goujon, sei der Immobilismus des Regimes und dessen Unfähigkeit, die dringendsten Probleme wie die soziale Frage zu lösen, besonders zutage getreten. Sehr überzeugend erscheint das Bild, das der Verfasser vom Parlament zeichnet, in dem finanzstarke Notabeln in der Mehrzahl waren, die sich insbesondere die Interessen der Großwirtschaft zu Eigen gemacht hatten. Repräsentierten sie nur einen sehr kleinen Teil der Gesellschaft, waren sie gegenüber einer Herabsetzung oder gar völligen Aufhebung des Zensus genauso taub wie gegenüber sozialkritischen Studien, die die miserable Lage der Arbeiter in überbevölkerten Pariser oder Lyoner Vororten thematisierten. Die Gegenüberstellung einer im Zuge der Industrialisierung äußerst dynamischen Gesellschaft, in der linke Journalisten, Intellektuelle und Wissenschaftler wie Pierre-Joseph Prudhon, Étienne Cabet oder Louis Blanc über grundlegende Veränderungen der sozialen und politischen Verhältnisse nachdachten, und einer erstarrten Führungskaste in Regierung und Parlament gelingt hier sehr gut. Damit konturiert Goujon zugleich den zentralen Unterschied des politischen Patts während der Juli- und Februarrevolution: traten 1830 Regierung und Parlament auseinander, fand 1848 ein Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft statt. Aus der paradoxen Situation, dass das Parlament nicht mehr die Mehrheit in der Bevölkerung widerspiegelte, sich also immer weniger Menschen von den Abgeordneten repräsentiert sahen, ging eine breite Protestbewegung hervor, die das Juliregime und damit den Orleanismus als konservative, marktliberale Regierungsform ad absurdum führte.

[1] Vgl. Guillaume de Bertier de Sauvigny: La Restauration, 1814-1830, Paris ³ 1974 ; sowie André Jardin/ André-Jean Tudesq: La France des notables, 2. Bd., Paris 1989.

[2] Vgl. Volker Sellin: Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001.

[3] Emmanuel Fureix: La France des larmes. Deuils politiques à l’âge romantique (1814 – 1840), Seyssel 2009.

[4] Bertrand Goujon: Monarchies postrévolutionnaires, 1814-1848, Paris 2012.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1484

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E-Tutoren-Kurs für Lehrende an der Hochschule Fulda

Das Thema Onlinelehre und der Einsatz von Tutorinnen und Tutoren ist aus dem Hochschulalltag nicht mehr wegzudenken. Das E-Learning-Labor der Hochschule Fulda bietet daher nicht nur Studierenden die Ausbildung zur E-Tutorin und zum E-Tutor an, sondern ermöglicht es auch regelmäßig den Lehrenden, sich intensiver mit dem Thema Tutorinnen und Tutoren in der Onlinelehre zu beschäftigen. Diese Kurse sind dann ganz konkret auf die Zielgruppe der Lehrenden (Professorinnen und Professoren, Lehrbeauftragte, in der Lehre beschäftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) und deren Ansprüche ausgelegt. Präsenzveranstaltung Der Kurs […]

Quelle: http://medienbildung.hypotheses.org/4899

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1914 – Tag für Tag. Multimedialer Rückblick

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Im August vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Niemals zuvor hatte eine Auseinandersetzung so viele Menschenleben gekostet, war ein Krieg so grausam geführt worden. Mehr als 15 Millionen Menschen starben in den Kriegsjahren bis 1918. Wie kam es zu dieser Zäsur in der Geschichte? Wie lebten die Menschen damals, was beschäftigte sie in diesen Wochen und Monaten, worüber schrieben Journalisten? Ein multimedialer Rückblick von ZEIT online und dem TV-Sender Arte dokumentiert den Weg zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs und gibt jeden Tag einen Einblick in das Leben von damals, mit einem besonderen Fokus auf Deutschland und Frankreich – immer genau heute vor 100 Jahren:

1914 – Tag für Tag

Quelle: http://1914lvr.hypotheses.org/944

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Datenbanken zur Militärgeschichte Frankreichs auf “Mémoire des hommes” (Mittwochstipp 26)

Die Website Mémoire des hommes des französischen Verteidigungsministeriums ist ein groß angelegtes Internetprojekt, das Datenbanken und Digitalisate aus den Beständen des Service historique de la défense verfügbar macht, zum Teil in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie den Archives Nationales. Kernstück … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/1936

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Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka

Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).

In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.

So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.

Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.

Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.

Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Meinung, Methodik, Vermittlung

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/01/21/was-bleibt-die-kommunistische-verfolgung-von-kommunistinnen-und-kommunisten-und-der-fall-walter-janka/

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Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka

Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).

In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.

So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.

Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.

Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.

Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Meinung, Methodik, Vermittlung

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/01/21/was-bleibt-die-kommunistische-verfolgung-von-kommunistinnen-und-kommunisten-und-der-fall-walter-janka/

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VO+SE Visual Surveillance – Bilder der Überwachung

Im kommenden Sommersemester 2014 werde ich am Institut für Soziologie der Universität Wien gemeinsam mit Roswitha Breckner und Robert Rothmann die VO+SE VISUAL SURVEILLANCE – BILDER DER ÜBERWACHUNG lehren. Die VOSE wird im Masterstudium Soziologie angeboten.

Termin: montags 14.15 – 16.45 Uhr, ab 03.03.2014

Ort: Inst. f. Soziologie, Seminarraum 3, Rooseveltplatz 2, 1.Stock, 1090 Wien

Anmeldung zur LV über UNIVIS von 28. Februar 2014, 10:00 Uhr bis 02. März 2014, 10:00 Uhr

Inhalte: Die Lehrveranstaltung verbindet Konzepte der ‘Visual Studies’ mit jenen des interdisziplinären Forschungsfeldes der ‘Surveillance Studies’ und beschäftigt sich mit der fortlaufenden Ko-Produktion von visuellen Überwachungspraktiken und gesellschaftlichen Ordnungen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Phänomen der Videoüberwachung (CCTV) als Zeichen gesellschaftlichen Wandels (Hempel, Metelmann). Die VOSE geht dabei auf historische Vorläufer ebenso ein wie auf jüngste Entwicklungen im Bereich der algorithmusbasierten Bildverarbeitung und automationsunterstützten Ereigniserkennung. Zudem wird die breite gesellschaftliche Akzeptanz von Videoüberwachung im Hinblick auf den grundrechtlichen Anspruch auf Privatsphäre und Datenschutz diskutiert und in Beziehung zu Tendenzen medialer Inszenierungen und “freiwilliger” Selbstüberwachung gesetzt, wobei über Videoüberwachung hinaus auch andere Facetten visueller Repräsentation (TV-Shows, Social Media etc.) ins Auge gefasst werden.

Weitere Informationen im Vorlesungsverzeichnis

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=5621

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Wallensteinische Werbungen in Köln

Im Dezember 1630 wurden dem Rat der Reichsstadt Köln Patente zur Werbung von Söldnern vorgelegt. Dies passierte durchaus häufig, und da es sich um Werbungen für die kaiserliche Armee handelte, hatte der Rat bei seinen Beratungen am 18. Dezember auch keine Bedenken, diese Werbungen zu erlauben. Allerdings ist diese Angelegenheit nur auf den ersten Blick klar; wenn man sich den Passus in den Ratsprotokollen anschaut, fallen doch Besonderheiten, vielleicht auch Ungereimtheiten auf.

Zunächst wird offenbar, daß es sich nicht um die Neuaufstellung einer Einheit handelte. Vielmehr ging es um die Zuwerbung zu einem bereits existierenden Regiment. Es war, wie das Protokoll vermerkt, das Regiment des Obersten Kaspar von Gramb. Dieser war nicht selbst in der Stadt, sondern hatte einen seiner Hauptmänner, Dietrich Grave, als einen Werbeoffizier geschickt. Auffällig ist jedoch, daß ausgerechnet so spät im Jahr, mitten im Winter, das Regiment verstärkt werden sollte. Normalerweise lagen die Einheiten in den Winterquartieren; eigentlich wurden erst im Frühjahr, im unmittelbaren Vorfeld eines neuen Feldzugs, die Einheiten durch Zuwerbungen ergänzt. Eine Erklärung für diesen Zeitpunkt ergibt sich aus den Umständen, in denen sich das Regiment des Obersten Gramb befand.

Der Oberst fungierte damals als Stadtkommandant in der Hansestadt Wismar; sein Regiment lag dort in Garnison. Die Situation im Herbst 1630 wurde zunehmend kritisch: Die Versorgung der Soldaten war miserabel, viele waren krank, angeblich starben täglich 10-15 Mann. Bedenklich war zudem die feindselige Haltung der Bewohner von Wismar, denen der Oberst nicht mehr traute. Er forderte daher dringende Verstärkungen an und drohte, falls diese nicht bewilligt würden, mit seiner Resignation (siehe die Angaben in den Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia, Bd. 5, hrsg. v. Miroslav Toegel, Prag 1977, S. 21 u. 30). Vor dem Hintergrund wird zumindest klar, warum Gramb mit Werbungen nicht mehr bis zum Frühjahr warten konnte.

Auffällig bleibt ein anderes Detail. Im Ratsprotokoll ist explizit von „patenten des Hertzogen zu Friedtlandt“ die Rede (Historisches Archiv der Stadt Köln, Ratsprotokolle Bd. 76, fol. 493‘). Abgesehen davon, daß Wallenstein selbst lieber als Herzog von Mecklenburg tituliert worden wäre, verwundert dies insofern, weil er seit seiner Entlassung im August des Jahres 1630 nicht mehr als Feldherr des Kaisers agierte. Auf welcher Rechtsgrundlage konnte er also noch Patente ausgeben, mit denen er Söldner anwerben ließ? Eine Erklärung wäre, daß dieses Patent noch vor August 1630 datiert war, doch selbst in dem Fall bliebe die Frage, ob es dann noch gültig wäre.

Über die Frage der Legitimität hinaus ist aber zu klären, welches Interesse Wallenstein überhaupt noch hatte, Werbepatente auszustellen, falls er doch zum Zeitpunkt der Ausstellung gar nicht mehr für die Armee zuständig war. Hier bleibt – zumindest sehe ich derzeit keine andere Erklärung – nur der Hinweis auf die Geographie: Die Hansestadt lag im Herzogtum Mecklenburg, und wenn Wallenstein auch das Amt als Feldherr verloren hatte, wollte er definitiv nicht auf das ihm übertragene Herzogtum verzichten. Wismar war ein Einfallstor nach Mecklenburg, das es zu schützen galt. Grund genug also, die kaiserlichen Truppen in der Stadt zu verstärken, unabhängig von der Rechtsgrundlage. Interessant ist allerdings zu sehen, dass diese Bemühungen sogar die Reichsstadt Köln erreichten, die ansonsten mit Wallenstein und dem Krieg im Nordosten des Reiches nicht viel zu tun hatte.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/377

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