Reformhoffnung oder politischer Büttel? Papst Hadrian VI. (1522-23) aus Pariser Perspektive

Über Papst Hadrian VI. (1459-1523) gehen die nationalen und konfessionellen Meinungen in Europa seit Jahrhundert weit auseinander. Mal galt der gebürtige Niederländer als Vorbote der katholischen Reform, mal als verhasster Austeritätsprediger aus Nordeuropa. Manche sahen in ihm einen ungeeigneten, schwächlichen Staatsmann, andere heben seine ansatzweisen Bemühungen um Ausgleich zwischen den rivalisierenden politischen Blöcken Habsburg und Frankreich hervor. Eine zeitgenössische Pariser Quelle schärft dabei den Blick auf die spezifisch französische Wahrnehmung des letzten nicht-italienischen Papstes vor Johannes Paul II. Meist wurde besonders die unterschiedliche Wahrnehmung im Alten Reich und Rom betont. Während altgläubige deutsche Flugschriftenautoren kurzfristig große Hoffnungen in den neuen Mann auf dem Stuhl Petri setzten, lästerten die Römer bald über den angeblich kunstfeindlichen Biertrinker aus dem Norden. Anfängliche Sympathie schlug in Ablehnung und Feindseligkeit um. Dieser Papst passte nicht in das Mikrosystem des römischen Klientelismus, zumal vor der Konklavereform von 1621/22. Im Reich hingegen beeindruckte Hadrian mit einer auf dem Reichstag von Nürnberg 1523 durch Nuntius Chieregati abgegebenen Erklärung, die Missstände in der Kirchenhierarchie anerkannte und in drastischen Worten Abhilfe versprach. Bei meinen Recherchen habe ich einen zeitgenössischen französischen Blick auf Hadrian VI. gefunden, der insofern überrascht, als dass er die Reformfrage völlig außen vor lässt, auch auf die [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1741

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Alte Religion, alte Rechte. Die “katholische Gemeindereformation” in den 1530er Jahren – eine Hypothese

Im Jahr 1532 stehen in Geislingen, einer Gemeinde im Landgebiet der Reichsstadt Ulm, Wahlen an. Die Bürger sollen neue Richter und einen Bürgermeister wählen. Doch die Mehrheitsverhältnisse bereiten Schwierigkeiten. Der Ulmer Rat fürchtet, dass erneut nur altgläubige Kandidaten Erfolg haben, die dann weiterhin das evangelische “Wort Gottes” behindern könnten. In der Folge entspinnt sich ein jahrelanger Konflikt um alte Rechte und alten Glauben. Ein Großteil der Geislinger Bürger wehrt sich mit den politischen Mitteln der Gemeindeverfassung und verteidigt diese in einem Atemzug mit den atlgläubigen religiösen Praktiken gegen die Ulmer Obrigkeit. Ulm hat Ende 1530 die Einführung der Reformation befürwortet. Jetzt soll die evangelische Ordnung auch auf dem Land durchgesetzt werden. Manche Gemeinden nehmen die evangelischen Kulturformen und Wissensordnungen schnell an, andere sträuben sich. Mancherorts formiert sich altgläubiger Widerstand – so interpretieren die Protestanten die Präsenz und die durchaus innovative Aktualisierung alter religiöser Praktiken. Zur Durchsetzung der evangelischen Kultur kommt es besonders auf die Haltung der lokalen Regierungen an. Der Ulmer Rat will deshalb in den Gemeinden seines Landterritoriums durchsetzungsfähige, obrigkeitstreue und evangelische Vögte, Pfleger, Pfarrer, Richter und Bürgermeister. Das ist leichter gesagt als getan. In Geislingen werden auf der Grundlage der Gemeindeverfassung von 1396 die Vögte als lokale Exekutivbeamte [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1641

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Was macht Frankreichs neue Historiker-Generation? Eine Bestandsaufnahme

Die Annales-Dominanz ist schon lange passé. Auch die Repräsentationsgeschichte riecht nicht mehr ganz frisch. Gibt es also etwas wirklich Neues bei den jungen französischen Historikerinnen und Historikern? Auch anderswo bewegen sich ja die kunstvoll hochstilisierten “Brüche” doch im mehr oder weniger kulturkonstruktivistischen Mainstream. Die Wenden sind heute eher thematischer Natur. Vorbei der cultural turn, her mit dem animal turn. Während somit die inhaltliche Zersplitterung fortschreitet, muss die Frage gestellt werden: Gibt es noch eine gemeinsame Richtung, die die Historiker-Generation des frühen 21. Jahrhunderts einzig und wiedererkennbar macht? Was führt uns zusammen und grenzt uns ab? Zu dieser Problematik ist mir in Paris ein Buch in die Hände gefallen, das bezüglich der jüngeren französischen Wissenschaft einige spannende Fingerzeige gibt. 17 Autorinnen und Autoren fragen im von Christophe Granger herausgegebenen und eingeleiteten Band: “À quoi pensent les historiens? Faire de l’histoire au XXIe siècle”. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Beiträger Franzosen, arbeiten in Frankreich oder über Frankreich. Sie geben in der Summe ein griffiges Bild davon, was links des Rheins state of the art ist. Reflexionen dieser Art erscheinen in Frankreich etwa alle 20 Jahre. 1974 veröffentlichten Jacques Le Goff und Pierre Nora in drei Bänden “Faire de l’histoire”, die während [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1309

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CFP: “Sacrés liens!” – “Heilige Verbindungen”, Doktorandenseminar an der EHESS Paris

Im kommenden Semester geht das interdisziplinäre und alle Epochen einschließende Doktorandenseminar “Sacrés liens! Étudier les liens en sciences sociales des religions” an der École des hautes études en sciences sociales Paris in eine neue, seine zweite Runde. Die Bewerbungsfrist für das Seminar endet am 20. September, Vorschläge können auf Französisch und sicher auch auf Englisch eingereicht werden. Eine schöne Gelegenheit für alle, die sich mit dem Verbindenden und dem Trennenden in religiösen Kulturen beschäftigen. Weitere Informationen gibt es auch auf dem Blog zum Seminar unter http://sacresliens.hypotheses.org/. Der CFP für das kommende Semester mit den Kontaktdaten der Organisator/innen findet sich hier. Die (französische) Beschreibung des Seminars lautet: “Le lien est, au sens propre, ce qui entrave, ce qui contraint, mais c’est aussi ce qui unit, affectivement, moralement, socialement, les individus entre eux. Selon une étymologie controversée, le lien serait à l’origine de la religion (re-ligare). Que ce soit dans le lien à la divinité, à la transcendance, au groupe ou à l’autre, la construction d’une relation constitue un élément essentiel du fait religieux. La diversité des liens développés par les individus appelle donc à s’interroger, dans une perspective pluridisciplinaire et diachronique, sur la façon dont l’individu et le groupe construisent leur [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1577

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Musik und religiöse Gewalt. Ägypten heute und Europa im 16. Jahrhundert

Immer wieder beschäftigt mich die Frage, warum und wie religiöse Differenz überspringt in religiöse Gewalt. Besonders spannend finde ich die Katalysatoren, also die Auslöser, Scharniere und Verstärker des Übergangs. Zu diesen gehören in besonderer Weise Gesang und Musik. Entsprechende Hinweise finden sich im Ägypten des Augusts 2013 und in der europäischen Religionsgeschichte des 16. Jahrhunderts. Gibt es eine anthropologische Konstante von Musik als Gewaltauslöserin? Vor einigen Tagen hat Serge Michel, der Korrespondent der französischen Tageszeitung Le Monde in Ägypten, über die Gründe der Gewaltwelle und der Zusammenstöße zwischen koptischen und anglikanischen Christen und Muslimen berichtet. Der genaue Ort des Geschehens war Bani Ahmad, 270 Kilometer südlich von Kairo gelegen, am Samstag, 3. August. Ein Monat war seit der Absetzung von Präsident Mursi durch die Armee vergangen. Seither droht ein Bürgerkeig zwischen islamistischen Mursi-Anhängern und eher laizistisch orientierten Anhängern der Armee und den “Liberalen”. Der Konflikt zwischen Kopten und Muslimen ist in Ägypten seit jeher Teil der inneren Spannungen des Landes. Doch diese finden nun, vermengt mit dem politischen Bürgerkrieg, einen neuen Kontext und neue Artikulationsformen. Am 3. August sprang die Differenz über in Gewalt. Das Treibmittel dafür war laut Serge Michels Reportage ein Lied. In der ersten Version der Ereignisse [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1531

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Keine Forschung ohne (die richtige) Religion? Ein Fox-News-Interview und die Parallelen in Deutschland

Amerika diskutiert über das Interview eines Historikers. Der Rechtsaußen-Sender Fox News hat am 26. Juli ein Gespräch mit dem  Religionssoziologen Reza Aslan geführt. Das Interview sollte eigentlich um dessen neues Buch “Zealot” gehen. Darin untersucht Aslan die Jesus-Biographie und zeichnet die frühe Erinnerungsbildung um die Figur des “Erlösers” nach.1 Doch um das Buch ging es bei Fox News nur am Rande. Die Journalistin setzte gleich mit ihrer ersten Frage das Thema für die zehnminütige Unterhaltung: “Sie sind Muslim. Warum schreiben Sie dann ein Buch über das Christentum?” Aslan verwies auf seine wissenschaftliche Expertise und darauf, dass sein Glaube bei den Forschungen keine Rolle gespielt habe. Doch die Moderatorin hakte nach. Der Tenor: Kann, darf, soll ein Muslim ein Buch über das Christenum schreiben? Ist er dazu als Nicht-Christ überhaupt in der Lage, zumal er theologische Fundamente dekonstruiert? Tritt da nicht einer in ein Gebiet ein, dass nicht seines ist? Sind diese Bedenken nicht auch sehr deutsch? Sicher, etwas Vergleichbares wie Fox News gibt es in Deutschland nicht. Zudem verläuft der wissenschaftliche Riss weniger zwischen Muslimen und Christen, als vielmehr innerhalb der christlichen Konfessionen. Vergleichbar ist vielmehr eine andere Konstante in der deutschen Religionsgeschichtsforschung, die oft nicht gesagt wird und ebenso [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1435

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“Sehepunkte” mit Sonderteil zur frühneuzeitlichen Religionsgeschichte in Ost-/Südosteuropa

Für alle, die es noch nicht gesehen oder die es übersehen haben: “Sehepunkte” hat in der aktuellen Ausgabe (6/2013) einen ausführlichen Sonderteil mit Rezensionen zur Reformations- und Konfessionsgeschichte in Ost- und Südosteuropa. Johannes Wischmeyer (Mainz) hat die Beiträge organisiert und acht Kritiker/innen dafür zusammengebracht. Diese geben einen umfassenden Einblick in den Stand der osteuropäischen Forschung. Die meisten der besprochenen Bücher sind in osteuropäischen Sprachen geschrieben und somit für viele westeuropäische Historiker/innen bzw. Historiker/innen mit einem westeuropäischen Schwerpunkt leider unzugänglich. Die Besprechungen leisten somit auch einen Beitrag zum Wissenstransfer. Wer sich für die Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit interessiert, dem/der seien also die aktuellen “Sehepunkte” sehr ans Herzg gelegt.

Quelle: http://de.hypotheses.org/73053

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Wie wichtig war Religion in der Reformationszeit? Eine Beobachtung in der Grafschaft Lippe

Die Reformation und das nachfolgende konfessionelle Zeitalter gelten als Hochzeit der Religion. Gerade Religionshistoriker (von Kirchenhistorikern ganz zu schweigen) machen dabei ihr Forschungsgebiet gerne etwas unreflektiert zum bestimmenden Paradigma einer ganzen Epoche. Tatsächlich treten im 16. Jahrhundert europaweit durch die Glaubensspaltung Differenzierungen und “zcerteilungen” auf, welche die Gesellschaften gründlich umkrempeln und immer wieder zu Gewalt führen. Auch der Alltag, ja das ganze Leben werden vom Glauben und dessen Ritualen eingerahmt. Die reformatorischen Glaubensspaltugen bedeuten somit Differenz und Unsicherheit im Wichtigsten und Ewigen und müssten die Bedeutung der Religion noch weiter vergrößert haben. Dieser “Betriebsblindheit” der Religionshistoriker, die in der Konfessionalisierungsthese der 1980er und 1990er Jahre ihren Höhepunkt erreicht hat, möchte ich in der Folge eine kurze Beobachtung aus meinen aktuellen Forschungen entgegenhalten. Ich werde auf einer bestimmten, aber für die gesellschaftlichen Konflikte der Reformationszeit repräsentativen Plattform das weitgehende Fehlen religiöser Themen nachweisen. Zumindest mich hat dieser Befund etwas verblüfft und zu ein paar Relativierungen und Überlegungen motiviert, die womöglich nicht neu sind, aber im Forschungsalltag zu selten ins Bewusstsein gelangen. Es geht um die Fragen: War das 16. Jahrhundert wirklich eine Epoche der Omnipräsenz des Religiösen? Wurde die Gesellschaft von Religion oder vielleicht gerade vom Nicht-Religiösen verbunden? Im Rahmen meiner Fallstudie [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1180

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Die Krise der wissenschaftlichen Rezension. Mehr Form, weniger Format!

Ja, ich rezensiere gerne. Aber offenbar gehöre ich damit zunehmend einer Minderheit an. Gelesen werde ich auch immer weniger (oder wurden meine Besprechungen je gelesen?). Und überhaupt sind die klassischen Gestaltungsformen einer Besprechung (auf Papier oder im Internet) bald überholt. Das sind nur einige der Punkte, mit denen Gudrun Gersmann auf der Konferenz “Rezensieren – Kommentieren – Bloggen. Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft” (München, 31.1.-01.2.2013) das sich abzeichnende Ende der traditionellen Rezension beschrieben hat. Gersmann nennt eine Reihe kürzerer, digitaler, interaktiver – kurzum neuer Rezensions- und Kommunikationsformate, die den wissenschaftlichen Inhalten wieder zu mehr Geltung verhelfen sollen. Die Krise der wissenschaftlichen Rezension ist eine Tatsache. Das liegt auch an mitunter überholten Formaten und Kommunikationskanälen. Ich möchte im Folgenden aber einen anderen Akzent setzen: besonders die Form ist in der Krise. Wer langweilig, ausufernd, überkompliziert und nicht unterhaltsam und mutig schreibt, wird nicht gelesen. Wer nicht kritisiert und lobt, wer nicht klar Position bezieht und Ideen weitertreibt, wer nur paraphrasiert, wird nicht gelesen. Das heißt: wir müssen besser und anders schreiben. Dann ist es zweitrangig, wo wir schreiben. Mehr Form-, weniger Formatdiskussion! Orte der Rezensionskrise Die Krise der Buchbesprechung gibt es nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/1117

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Klares Denken im Delirium. 500 Jahre Ekstase in Religion und Literatur

 

Ekstase fördert tiefe Einsichten. Zwei neue Beiträge von Deutschlandradio Kultur erklären, dass das Delirium in der Literaturgeschichte sowohl als Thema sowie als Produktionsmittel eine wichtige Rolle spielt. In einer Rezension wird Robert Feuchtels Monografie “Grenzgänge” besprochen. Dabei handelt es sich um eine Kulturgeschichte des Rausches, die weit über den simplen Drogenkonsum der Neuzeit hinausgeht. Eine wunderbares Essay widmet sich der Rolle von Drogen und vor allem deren Folgen für Schriftsteller der Neuzeit. Ernst Jünger etwa experimentierte mit der damals neuen Droge LSD. Für viele Autoren waren und sind Drogen Mittel zum Zweck eines umfassenderen Bewusstseins, tieferer Erkenntis und neuer, nie zuvor getaner Einsichten. Genau darauf haben sich auch Religionen spezialisiert. Ich dachte beim Hören gleich an die Derwische islamischer Sufiorden. Türkische Derwische praktizieren die bekannten Tänze, durch die sie in Ekstase geraten und sich eine direktere Gotteserfahrung erhoffen. Andere Derwische trommeln oder meditieren, um in außerweltliche Erfahrungsstadien zu gelangen. Diese Funktionsanalogie zwischen Literaten und Religiösen verblüffte mich. Kurz zuvor war ich bei Recherchen in der Bibliothèque Mazarine in Paris auf eine Flugschrift von Jean Gacy, einem ehrenwerten Genfer Franziskaner, aus dem frühen 16. Jahrhundert gestoßen. Auch in diesem Text spielt das Delirium als Erkenntnisraum eine zentrale Rolle. Leider wissen nicht nicht viel mehr [...]

 

 

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/990

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