Vorbereitungen zu Finnlands 100. Geburtstag sind im Gange

Jubiläen werfen immer Schatten voraus – so auch im Fall der in vier Jahren anstehenden Feierlichkeiten zu Finnlands Selbstständigkeit. 2017 wird der Nationalstaat Finnland 100 Jahre alt und wird das gebührend feiern. In einer Pressemitteilung (hier der Link zur englischen Version) wurde gestern die Einsetzung eines entsprechenden Komitees bekannt gegeben, dem Ministerpräsident Jyrki Katainen und Finanzministerin Jutta Urpilainen vorstehen. Tatsächlich reichen die Vorbereitungen aber schon in das vorangegangene Jahr zurück, als eine kleine Expertenkommission unter Leitung des Historikers Martti Häikiö mögliche Schwerpunkte und Aktivitätsformen im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten sondierte. Im Bericht der Arbeitsgruppe finden sich eine Reihe von Projektvorschlägen aus Kultur und Wissenschaft, die so verschiedene Aspekte wie die Philatelie, das Jubiläum als Fest der Veteranen (welche die Souveränität Finnlands im Zweiten Weltkrieg verteidigten) oder den Weg zur Loslösung vom Zarenreich in internationaler und komparativer Perspektive betonen.

Es ist kein Geheimnis, dass Buchverlage in aller Welt größere und gerade runde Jubiläen und Geburtstage gerne zum Anlass für Veröffentlichungen nehmen. Sie trauen diesen durch die erhöhte Aufmerksamkeit dann wohl ein höheres Vermarktungspotenzial zu. Man kann sich darüber streiten, ob das immer sinnvoll ist. Im Fall der Vorbereitungen für die offiziellen Aktivitäten kommt natürlich ein anderes Element hinzu: Die 100. Wiederkehr der nationalen Eigenständigkeit zu begehen, ist im Rahmen des Nationalismus als ziviler Ersatzreligion selbstredend ein stark aufgeladenes Ritual. In einem Kleinstaat wie Finnland, der sich in den ersten Jahrzehnten nicht sicher sein konnte, ob die Eigenstaatlichkeit bestehen würde, und dem frühere Historikergenerationen eine Tradition jahrhundertelanger Unterdrückung durch die Schweden und Russen angedichtet haben, ist diese Souveräntitä ein hohes Gut und wird möglicherweise noch stärker überhöht als etwa in Frankreich oder erst recht in Deutschland.

Jedenfalls werden sich auch Historiker auf entsprechende Projekte stürzen bzw. haben dies zum Teil schon längst begonnen. In Finnland herrscht diesbezüglich immer noch eine hohe Wertschätzung der historischen Forschung, wobei es fraglich ist, ob diese noch nennenswert zu einer Stärkung der nationalen Geschichtsdeutungen beitragen wird. Sicherlich ist die ein oder andere Heldengeschichte in den Regalen der Buchhändler zu erwarten. Gerade die internationale und komparative Perspektive wird meiner Prognose nach aber eine ungleich höhere Rolle als bei früheren Jubiläen spielen. Welche Interessen die Großmächte, nicht zuletzt das Deutsche Kaiserreich, daran hatten, Finnland aus dem Zarenreich herauszulösen, dürfte noch deutlicher in den Mittelpunkt rücken.

Die Frage ist, ob nicht die Jubiläen in immer dichterem Takt gefeiert werden. Gerade erst hatte man in Finnland um das Jahr 2009 herum mit viel Trara an die Teilung des schwedischen Reichs von 1809 erinnert, die in den meisten Geschichtsdarstellungen nicht ganz zutreffend als “Abtretung Finnlands” an Russland apostrophiert wird. In diesem Zusammenhang war auch viel Kritik daran laut geworden, das Jahr 1809 als “Beginn des finnischen Staatswesen” zu verstehen. An einer solchen historischen Verzerrung wollten daher so manche prominenten Vertreter der finnischen Geschichtswissenschaft auch keinen Anteil haben. Das dürfte bei dem wesentlich unstrittigeren Datum 6.12.1917 sicherlich weniger der Fall sein, schließlich spielt der Unabhängigkeitstag nicht nur in der öffentlichen Gedenkkultur eine entsprechende Rolle, sondern über das Datum als tatsächlichen Beginn der vollständigen Eigenstaatlichkeit herrscht Konsens. Mal sehen, was die Forschungsprojekte und die offiziellen Feierlichkeiten letztlich für ein Bild zeichnen werden.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1724

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Geschichte wandernd erleben – Der 1864-Marsch in Dänemark

Wer Geschichte mal etwas anders erleben möchte, hat Anfang Februar 2014 die Chance dazu! Anfang Februar findet in Südjütland bzw. Nordschleswig ein zweitägiger Fußmarsch auf den Spuren der Soldaten statt, die dort zwischen Februar und April 1864 aufeinandertrafen. 2014 jährt sich nämlich der Zweite Schleswigsche Krieg zum 150. Mal – Grund genug für eine ganze Reihe von Veranstaltungen in unserem Nachbarland.

Logo der 1864-Tage-Veranstaltungsreihe

Logo der 1864-Tage-Veranstaltungsreihe

Der Marsch ist das erste einer Vielezahl von Arrangements, die unter dem Titel 1864-Tage angeboten werden, um an die Ereignisse vor 150 Jahren zu erinnern. Dabei handelt es sich keineswegs um ein national dänisches Gedenken, sondern um ein deutsch-dänisches Gemeinschaftsprojekt, um an die auf beiden Seiten des Krieges gefallenen Soldaten zu erinnern. Der 80 km lange Marsch beginnt am 1. Februar und wird auf der deutschen Seite am Danewerk starten und nach der Übernachtung bei Padborg am 2. Februar nach Düppel weiterführen. Daneben gibt es noch eine Reihe kürzerer Routen von 5 bis 10 km Länge, wenn man sich die lange Strecke nicht zumutet. Ein deutscher Flyer informiert über das Ereignis, für das man sich noch bis Anfang Januar 2014 anmelden kann.

Trotz – oder gerade wegen – der schmerzlichen Niederlage, die Preußen und Österreich den Dänen 1864 zufügten, hat sich die Erinnerung an diesen Krieg dort besser gehalten als in Deutschland. Auf dem NordicHistoryBlog werden wir ab Herbst 2013 mit einer Reihe von eigenen und Gastbeiträgen dieses Thema von verschiedenen Seiten beleuchten.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1685

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Links zu 1848 und zur Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts (1)

Schon zu lange hat dieses Blog keinerlei Linkliste – nicht weil das nicht von Anfang an als wünschenswert erschienen wäre, sondern weil der Vorsatz, noch weitere Links zu suchen, bislang der Veröffentlichung des schon Bekannten im Wege stand. Dabei soll es aber nicht länger bleiben. Daher hier eine erste Auswahl sowohl an Webseiten als auch an Blogs von Institutionen und Gruppen, die uns in der einen oder anderen Weise zu den Themen von „achtundvierzig“ relevant erscheinen.

Wer Seiten kennt – oder selbst betreibt! – die auf einer solchen Liste stehen sollten, hier aber nicht aufscheinen, ist herzlich eingeladen, über einen Kommentar Hinweise zu geben. Diese werden dann in einen Teil (2), und womöglich noch weitere, zu diesem Beitrag einfließen.

Blogs

Das 19. Jahrhundert in Perspektive

Eines von mehreren Blogs, die vom oder am Deutschen Historischen Institut in Paris betrieben werden – einer der Institutionen, die für die Initiierung von de.hypotheses.org und für dessen Betrieb maßgeblich waren und sind. Hier werden die Forschungsprojekte und Aktivitäten des DHIP zum 19. Jahrhundert vorgestellt, daneben auch Forschungsvorhaben anderer zur Geschichte Deutschlands, Frankreichs und Europas im 19. Jahrhundert. Außerdem werden Hinweise auf Veranstaltungen und Neuveröffentlichungen des Instituts und anderer Einrichtungen publiziert.

Actualité du XIXe siècle

Blog der Société d’histoire de la Révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle (siehe unten). Berichtet wird insbesondere über neue Publikationen, Abschlussarbeiten und Veranstaltungen in Frankreich, namentlich zur Geschichte der Revolutionen, aber auch zu zahlreichen anderen Aspekten der Geschichte dieser Zeit.

Revolution-francaise.fr

Das Blog der Société d’études robespierristes, Herausgeberin der vielleicht berühmtesten revolutionsgeschichtlichen Zeitschrift, der Annales historiques de la Révolution française. Natürlich überwiegend zu den Jahren 1789 ff., aber wer wollte auch nur für einen Augenblick behaupten, dass die für die Geschichte der Revolutionen im 19. Jahrhundert verzichtbar wären?

Webseiten

Société d’histoire de la Révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle

Zweifellos in ganz Europa die ausgewiesenste und aktivste Gesellschaft speziell zur Erforschung der Revolution von 1848. Die Société besteht bereits seit 1904 unter wechselnden Namen. In jüngeren Jahrzehnten hat sich das Spektrum der in ihr vernetzten Forschungen zum 19. Jahrhundert vielfach erweitert, ohne freilich das zentrale Interesse an 1848 und den weiteren Stationen der „revolutionären Sequenz“ je aus dem Blick zu verlieren. Die wichtige Zeitschrift der Gesellschaft, die Revue d’histoire du XIXe siècle, ist erfreulicherweise zu großen Teilen online verfügbar.

Hambach-Gesellschaft

Die 1986 gegründete Gesellschaft trägt ihren Namen in Erinnerung an das berühmte Hambacher Fest von 1832. Sie widmet sich der Erforschung der liberalen und demokratischen Bewegungen in Deutschland, aber auch der Gegner der Demokratie, und bekennt sich dazu, dass „die Werte und Ziele des Hambacher Festes gelebt und immer wieder verinnerlicht werden müssen. Die europäische Einigung, eine dauerhafte Friedenssicherung und eine gerechte Sozialordnung sind nicht die Ergebnisse eines abgeschlossenen historischen Prozesses: Daran zu erinnern und für diese Werte einzutreten sind wichtige Ziele“. Hierzu wird neben der Organisation von Veranstaltungen unterschiedlicher Art die Zeitschrift Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft herausgegeben.

Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte

Die Erinnerungsstätte ist eine 1974 gegründete Außenstelle des Bundesarchivs in Rastatt, einem wichtigen Schauplatz revolutionärer Ereignisse besonders im Mai/Juni 1849. Neben der Revolution von 1848/49 beschäftigt sie sich insbesondere auch mit den Freiheitsbewegungen in der DDR und den Ereignissen von 1989. Zu beiden Themen kann dort eine Dauerausstellung besichtigt werden; zudem ist die Erinnerungsstätte Schauplatz von Vorträgen, versteht sich als politisches Diskussionsforum und ist als außerschulischer Lernort anerkannt.

demokratiegeschichte.eu

Die Seite präsentiert die Inhalte der vom Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz konzipierten Ausstellung auf dem Hambacher Schloss, eine Reihe von biographischen Artikeln sowie weitere Informationen und Links zur Geschichte der Revolutionen und der Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland und Europa im 19. Jahrhundert.

Forum Vormärz Forschung

Das Forum widmet sich der Förderung der öffentlichen, wissenschaftlichen und literarischen Rezeption der Literatur des Vormärz. Gerade weil dabei auch besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang von gesellschaftlicher und literarischer Entwicklung gelegt wird, ist keineswegs nur für LiteraturwissenschaftlerInnen, sondern durchaus auch für HistorikerInnen viel Interessantes dabei.

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/191

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So what was the “Provisional Central Power” – and why should anyone take an interest?

Protokoll der 180. Sitzung des Gesamtreichsministeriums

Minutes of the 180th session of the cabinet of the Provisional Central Power. November 19, 1849

While this blog is – and will remain – predominantly in German, it may be helpful to potential readers from other countries to provide an English-language version of our project’s mission statement, as previously published in German in this post:

When revolutions are over, the aspects most likely to be remembered are those that contrast most starkly with everyday political life: barricades and fighting in the streets. This is certainly true for the Revolutions of 1848–49 in the collective memory of the German public. There is also some awareness that the revolution eventually led to the election of a National Assembly, which convened at Frankfurt. The installation of a provisional executive branch for the as yet nonexistent “German Empire”, however, is a different story: there is more or less no memory of this first parliamentary government for  Germany in its entirety. Very few are aware that an Austrian archduke, granted the title of “Imperial Regent”, presided over this “Provisional Central Power” for roughly one and a half years, and was thus the first head of a German national government to have been appointed by an elected parliament.

In founding the “Provisional Central Power”, the moderate revolutionary movement incarnated by the Frankfurt National Assembly was attempting to assert its position with respect to the existing governmental power of the more than 30 German states organised in the German Confederation. The Assembly’s claim to the right to do so was based squarely on the doctrine of popular sovereignty, whereas none of the various kingdoms and principalities had moved beyond a liberal constitutionalism that recognised the hereditary right of the legitimate monarch as existing independently of any popular claim to participation.

Besides the Imperial Regent, Archduke John, the Provisional Central Power consisted of an “Imperial Cabinet” with a Prime Minister, ministers leading half a dozen departments, and undersecretaries to assist them. This organisation was modelled on the ministerial governments present in many of the larger German states, and was intended to engage in similar activities. Notably, the Central Power published the “Imperial Laws” passed by the National Assembly and attempted, with varying success, to see to it that they were accepted and enforced by the individual states. It laid claim to leadership in joint military operations, especially the conduct of the war against Denmark over the status of Schleswig and Holstein. By dispatching “Imperial Commissioners” and occasionally by mandating military actions, it intervened to contain revolutionary insurrections in multiple states between September 1848 and May–June 1849. It was charged with the creation of the first German navy, a project which initially stimulated widespread nationalist enthusiasm. Last but not least, it made every effort to mediate the escalating disagreement between the Assembly and the state governments over the acceptance of the German Constitution enacted by the former. In all of these tasks, however, it was hampered at every step by its lack of any sort of administrative apparatus, by its very limited sources of real bargaining power – especially when faced with the two crucial German powers, Prussia and Austria –, and by the refusal of diplomatic recognition from nearly all other European governments. After the gradual dissolution of the Frankfurt Assembly in the spring of 1849, the Provisional Central Power remained in existence until the end of the year and, despite its sorely limited means, played a significant role in the power struggle between Prussia, Austria and the smaller German kingdoms over the constitutional framework for a future German national state.

Archduke John of Austria as Imperial Regent of Germany. Lithograph by J. Kriehuber, 1848

Both the secretariat of the cabinet and the offices of the individual ministries – Foreign Affairs, Interior, Justice, War, Finances, Trade and, eventually, Navy – rapidly devised their own record-keeping procedures. After the dissolution of the Provisional Central Power in December 1849, its archives were handed over to its successor institution, the Federal Central Commission. They were subsequently integrated into the archives of the Federal Assembly (the deliberative body of the reinstated German Confederation); when this in turn was suppressed in 1866, the records entered the Frankfurt Municipal Library, in whose care they remained until the creation in 1925 of a Frankfurt branch of the Imperial Archives (later the Federal Archives of the post-World War II Federal Republic). After the reunification of 1991, this branch was given up and its holdings were transferred first to Koblenz, then in 2010 to the Federal Archives in Berlin. The archives of the Provisional Central Power, totalling some 25 metres of shelf space, are remarkably well preserved and complete despite all these vagaries. In the period after World War II, difficult archival work was undertaken in order to restore them as far as possible to their original order, as set out in the filing instructions of the various ministries. Detailed inventories are a product of this process. Microfilms of the entire archives were made some years ago.

Until 1945, these sources had been almost completely ignored by academic historians. They have since been used somewhat more often, but their potential is far from being exhausted. Notably, there has been no publication of the minutes of the cabinet, while editions of this type have been in progress for decades for the governments of the major German states. Our project aims to close this gap, and thereby not only to cast new light on the role of a hitherto underestimated agency within the revolutionary sequence of events, but also to apply recent approaches from the political and social sciences, and especially a culturalist perspective, to Germany’s first parliamentary government and the ways in which it functioned (or failed to do so). That the Provisional Central Power was called upon to create the institutional infrastructure for its governmental activity more or less out of nothingness – by founding new administrative offices, recruiting personnel and obtaining financial means – provides a highly unusual perspective on the history of the growth of state institutions and bureaucracy, one of the great secular processes of the 19th century.

The goal of our undertaking is to publish the minutes of the 185 sessions of the Central Power’s cabinet in full, and to use them as the backbone of a collection of further documents from the archives of the Provisional Central Power chosen to best illustrate the scope of its activity, the difficulties it faced, and the expedients by which it attempted to surmount them. These additional materials will be presented in the form of summaries of their content. Beyond this, given that administrative documents usually do not record the political background of decisions or the atmosphere within an institution, extracts from the personal papers, letters and memoirs of the members of the cabinet will be incorporated into our publication to supplement the official records. Detailed indexes will facilitate use of the book by researchers and other readers with a variety of different interests. Our particular attention is focussed on the following four topics:

1. The Provisional Central Power’s relationships with the National Assembly on the one hand, and with the governments of the German states on the other hand; its means, methods, and degree of success in asserting itself with respect to either of these.

2. The tension, in the legal framework and the governmental reality of the Central Power, between traditional monarchical constitutionalism and parliamentary government based on popular sovereignty.

3. The institutional and administrative history of the Central Power, with particular attention to its unique challenges in rapidly creating governmental infrastructure.

4. The self-perceptions, motives, decisional processes, and emotional experiences of the members of the cabinet, seen from the perspective of a cultural history of politics; as well as their communicative and performative strategies for representing their activity to various audiences.

Text by Karsten Ruppert and Thomas Stockinger. English translation by Thomas Stockinger.

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/155

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aventinus recensio Nr. 36 [28.02.2013]: Hans-Henning Hahn / Robert Traba (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, Bd. 3: Parallelen, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012

Die “Deutsch-Polnischen Erinnerungsorte” verfolgen einen bilateralen Ansatz. Mehr als 130 Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen sollen ein Panoptikum der deutsch-polnischen Erinnerungslandschaft abbilden. Den Anfang macht dabei der zuerst erschienene Bd. 3 “Parallelen”. http://www.aventinus-online.de/recensio/varia/art/Rezension_Hans-2/html/ca/view

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/02/3902/

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Stud.: MA “The Celts”, Bangor University, UK

From: Christian Koller c.koller@bangor.ac.uk Institution: Bangor University (UK), bangor University, College Road, Bangor (Gwynedd), LL57 2DG, UK Datum: 23.09.2013 Bewerbungsschluss: 01.08.2013 Few words are as evocative and intriguing as ‘Celtic’, bringing to mind the intricacies of Bronze Age jewellery, the enigmas of Stonehenge and Newgrange; King Arthur, Cú Chulainn and the Bardic craft of medieval […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/02/3857/

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Kampf den Mythen oder: Das böse Erwachen. Über historische Mythen und historisches Vergessen in Dänemark

Dass Geschichte als Vehikel der Politik genutzt wird, ist schon seit langem eine Binsenweisheit, das Nationalismus aus der Kombination von konstruierter Geschichte, erlebter Gegenwart und Zukunftserwartung besteht, ebenfalls. Dass beide Elemente aber auch im Jahre 2012 noch immer aktiv das Bewusstsein der dänischen Bevölkerung beeinflussen, kommt den Dänen erst in diesen Tagen zum ersten Mal schmerzlich zu Bewusstsein. Anlass des bösen Erwachens ist die Suche der dänischen Presse nach Schlagzeilen in der Saure-Gurken-Zeit. So warb z.B. der dänische Rundfunk Danmarks Radio in der Vorweihnachtszeit in deren Enthüllungsserie Detektor mit dem Aufmacher Folkeskolens historiebøger lyver, die Volksschulbücher in Geschichte lügen. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass alle Schulbücher in Dänemark an der völlig falschen Behauptung festhielten, die Erde sei im Mittelalter als flache Scheibe gedacht worden und es sei erst Columbus gewesen, der mit diesem Mythos aufgeräumt habe. Diese Meinung gilt in der Wissenschaft (auch in Dänemark) spätestens seit 1945 als vollständig widerlegt, hält sich aber in der öffentlichen Meinung hartnäckig. [caption id="" align="alignleft" width="500"] Statue des dänischen Nationalhelden Absalon in Kopenhagen
Flickr, CC-BY-NC-ND NFR[/caption] Man könnte dieses sicherlich als Petitesse abtun, wäre da nicht die Tatsache, dass das Schulbuchwissen in Dänemark seit 2006 durch eine von Politikern besetzte Schulbuchkommission, der so genannten Kanonkommission, definitiv bestimmt wird und einer strengen politischen Aufsicht unterliegt. Und hier brachte eine Nachfrage bei den Mitgliedern der Kommission Erstaunliches zu Tage. Niemand, nicht einmal die ehemalige Vorsitzende des dänischen Geschichtslehrerverbandes, hatte (angeblich) jemals davon gehört, dass man sich auch im Mittelalter die Erde als Kugel vorgestellt habe: Lene Rasmussen gab unumwunden zu, dass ihr die Idee der Kugelgestalt der Erde im Mittelalter neu sei. Aber wenn dem so wäre, so könnte man den Kanon an der Stelle ändern und zusehen, wozu man dieses gebrauchen könne. Gerade der letzte Nachsatz, wozu man das gebrauchen könne, macht den kritischen Punkt deutlich. Vermittelt wird nicht das neueste, wissenschaftlich fundierte Geschichtswissen. Geschichte ist vielmehr ein Vehikel, das die dänische Gegenwart vor der Folie der finsteren Vergangenheit zu erklären hilft.
Es gibt nur wenige Momente, wo die Suche nach Schlagzeilen den gesellschaftlichen Konsens, dass man eigentlich schon alles wisse, durchbricht. Das geschah Mitte August 2012, als bei Ausgrabungsarbeiten im Zuge des U-Bahnbaus in Kopenhagen frühmittelalterliche Siedlungsreste gefunden wurden. Das ist für sich genommen nicht erstaunlich und kam für die Stadthistoriker auch nicht überraschend, wie eine Nachfrage an der Universität Kopenhagen ergab. Allerdings war dieser harmlose Nebensatz der Aufmacher aller dänischen Tageszeitungen am 17. August 2012, gilt es doch als ausgemachtes “Grundwissen”, dass der bedeutende Roskilder Bischof Absalon (der Held in Saxos Gesta Danorum aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts) die Stadt Kopenhagen “gegründet” und erbaut habe, ein Grundwissen, das spätestens durch die Weihnachtsserie Absalons Hemmelighed (Absalons Geheimnis) des dänischen Rundfunks, die erstmals 2006 ausgestrahlt wurde, wirklich jedem dänischen Kind ein Begriff ist. Auch das ist eigentlich nicht besonders bedenklich. Allerdings hängt der gesamte dänische Nationalmythos an der Person Absalons, als dem weisen Herrscher und Ratgeber des Königs, der Dänemark vor den besonders verhassten Deutschen als wahren Nachfolgern des römischen Imperiums herausgehoben hat. Kratzt man für Kopenhagen an der Gründergestalt Absalon, so kratzt man gleichzeitig an dem dänischen Nationalheld par excellence, mit unabsehbaren Folgen. Das Gleiche gilt für die seit 2010 verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückte Aufarbeitung des preußisch-dänischen Krieges von 1864 und die Schlachten von Düppel und Alsen. Die Bestseller des dänischen Autors Tom Buk-Swienty, die in den letzten Jahren erschienen sind, bieten wissenschaftlich nichts Neues, haben die breite Öffentlichkeit aber in helle Aufregung und Erstaunen versetzt. Diese drei Beispiele machen deutlich, dass sich die dänische Geschichtswissenschaft in ihrem Verhältnis zur Nation und dem öffentlichen Nationalismus in einer schwierigen Position befindet. Auf der einen Seite wurde und wird sie noch immer politisch vereinnahmt, wird nur das in den Schulen gelehrt, was “nutzbringend” erscheint. Auf der anderen Seite befindet sich die Forschung in Dänemark selbstverständlich vielfach auf hohem, internationalen Niveau und kommt in ihren eigenen Recherchen heutzutage weit über die nationale Sichtweise hinaus – nur, dass das nicht nach außen dringt. Die Kluft zwischen der Forschung und dem “Wissen” der Öffentlichkeit ist heute breiter denn je. Ein Gastbeitrag von Carsten Jahnke. Der Mittelalter- und Hansehistoriker Carsten Jahnke ist seit 2008 Universitätslektor am SAXO-Institut an der Universität Kopenhagen. Er promovierte mit einer Arbeit über Heringsfang und -handel im Ostseeraum des Mittelalters und forschte im Rahmen seines Habilitationsprojekts über Netzwerke in Handel und Kommunikation an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert am Beispiel zweier Re­valer Kaufleute. Nach langen Jahren in Kiel ist er seit 2004 an der Universität Kopenhagen tätig. Momentan widmet er sich u.a. der Schifffahrts- und Wirtschaftsgeschichte des Ostseeraums, dänisch-brandenburgischen dynastischen Verbindungen im Mittelalter, aber auch nationalen Mythen und ihrer Aufarbeitung.    

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1265

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Richtig gut gefälscht? – ein Flugblatt wird seziert

Anton F. Guhl und Malte Habscheidt „Ostafrika ist deutsch“ titelte ein Flugblatt, das am 1. November 1968 an der Universität Hamburg zirkulierte. Anlass für die ungewöhnlichen Ausführungen war das Ende zweier Denkmäler, die – deutschen „Afrikahelden“ gewidmet – in der … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/1634

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Erinnerungskultur 2.0 · Das Projekt “1001 Geschichten über Dänemark”


1001 stories of Denmark
Screenshot der englischsprachigen
Android-App

Ich habe das Stichwort “Erinnerungskultur 2.0″ auf diesem Blog bei einem früheren Beitrag  bereits verwendet, es ging um ein norwegisches Projekt. Mal sehen, ob daraus nun sogar der Titel einer längeren Serie wird. Jedenfalls ist es hochspannend, zu beobachten, wie in Nordeuropa mehrere erinnerungskulturelle Projekte Elemente des Web 2.0 aufgreifen. In diesem Fall handelt es sich um das Projekt 1001 Geschichten über Dänemark, das erfreulicherweise nicht nur auf Dänisch, sondern nahezu vollständig (!) auch auf Englisch zugänglich ist. Das Grundprinzip ist schnell erklärt: Die Seite verzeichnet 1001 Stätten des dänischen kulturellen Erbes, die sich mithilfe einer Karte oder nach verschiedenen Kriterien (zuletzt hochgeladen, am besten bewertet, alphabetisch) durchsuchen lassen. Eingetragene User können eigene Beiträge verfassen, andere Beiträge kommentieren, neue Orte hinzufügen und neben ihren eigenen Erzählungen auch Bild, Video- und Audiomaterial hochladen. Die 1001 ursprünglichen Einträge und die 50 übergreifenden Thementexte können nicht verändert, aber kommentiert werden. Betrieben wird die Seite von der Abteilung Kulturarv [Kulturerbe] innerhalb der Kulturstyrelsen, einer staatlichen Institution unter der Ägide des Kulturministeriums, welche als kulturpolitische administrative Zentrale fungiert.

Die Seite baut sehr stark auf die Einbindung der User durch ihre eigenen Beiträge. Hier ist auch die Wortwahl bemerkenswert, wenn mit dem dänischen “1001 fortællinger” dezidiert auf das “Geschichtenerzählen” verwiesen wird, persönlich gefärbte Erinnerungen also; die Beiträge gehen oft von eigenen Vorlieben oder der Wohn-, Arbeits- oder Kindheitsumgebung der Erzählenden aus. Da ist bei einigen schon eine gehörige Portion Nostalgie mit im Spiel, aber das ist auch gewollt, um die persönliche Note zusätzlich zu betonen. Im Anschluss an den oben bereits erwähnten Beitrag scheint es also, als ob der Beschäftigung mit Geschichte (als verabsolutierender Kollektivsingular) die subjektiven Geschichten vieler Einzelner entgegengesetzt werden sollen. Oder man könnte sagen: Monolithisch daherkommende, Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmende Deutungen werden durch solche persönlichen Beiträge aufgebrochen und bereichert. Es könnte gut sein, dass sich in bestimmten Bereichen der Geschichtsforschung künftig facettenreichere Bilder aufgrund solchen Materials zeichnen ließen. Könnten diese persönlichen Erzählungen und Kommentare nicht die Grundlage für künftige Forschungen über Alltagskultur, Lokalgeschichte und Geschichtskultur jenseits der etablierten Institutionen bilden? Auf jeden Fall besitzen solche Projekte erhebliches Potenzial zur Mobilisierung geschichtsinteressierter Privatpersonen. Auf diese Weise könnten sich viel breitere Kreise am öffentlichen Geschichtsdiskurs beteiligen. Luke Tredinnick schreibt in diesem Zusammenhang vom Potenzial digitaler Technologien, neue Arten von Geschichten zu kreieren und ein neues Verhältnis zur Vergangenheit zu erlauben.

“Technological innovation has augured what Henry Jenkins has described as ‘participatory’ culture, in which individuals more actively intervene in the structure and make-up of cultural discourse, fashioning the stuff of culture in more personal, fragmented, and playful ways. History is clearly succumbing to this participatory mode. It is not merely the opening up of primary source materials, from census data, to genealogical records, [that] has enabled individuals to construct their own disintermediated relationship with the past. It is also that the proliferation of popular histories, and a popular engagement with the past across both new and traditional media, creates a fertile interaction of the scholarly history and mass culture which cannot leave either unchanged.”

Die Frage ist natürlich, ob die professionelle Geschichtsforschung bereit ist, solche Stimmen wahrzunehmen. So manche Fachvertreter werden darauf setzen, dass sich qua Institutionalisierung und qua Reputationsaufbau innerhalb hermetischer disziplinärer Publikations- und Kommunikationsforen nicht allzuviel ändert. Die Deutungshierarchien oder auch -hegemonien dürften sich als langlebig erweisen. Von daher sollte das Augenmerk auch auf der Herausforderung liegen, welche die Öffnung des historischen Diskurses für so subjektive Stimmen wie auf 1001 Geschichten über Dänemark in sich birgt. Tredinnick spricht von “the making of histories [man beachte den Plural!] in digitally mediated contexts”. Wenn wir von Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter sprechen, sollten wir nicht nur davon reden, dass etablierte Akteure der Geschichtsvermittlung einfach den medialen Wandel vollziehen, so wichtig und bemerkenswert dies auch ist. Doch gerät in den Hintergrund, dass sich neue Formen und Foren für die Auseinandersetzung mit Geschichte herausbilden. “It is not merely that an objectively knowable past is repurposed for changing cultural contexts, but that different kinds of historical discourses are mobilized within a more participatory mode of cultural engagement. […] In the immediacy of digital culture, history perhaps regains part of its mythapoic [sic!] function.”

Zurück zu den Geschichten aus 1001 dänischen Erinnerungsorten: Ein einführendes Video (nachfolgend mit englischen Untertiteln) zeigt Suchmöglichkeiten und einige Beispiele für Userbeiträge und gibt einen guten ersten Eindruck – verbunden mit einigen humorigen Abschnitten, welche die Schwierigkeiten aufgreifen, eine gescheite Aufnahme hinzubekommen. Klar wird aber auch, wie verschieden die Beiträge ausfallen können, vom Hamlet-Gedenkstein inklusive Gedicht-Deklamation bis hin zu einem Stück Straßenmusik, von einem begeisterten Wissenschaftler am Niels-Bohr-Institut bis hin zu einer naturnahen Interpretation der dänischen Nationalhymne.

Ergänzt wird diese Seite durch Apps für mobile Endgeräte, die für iOs und für Android bereitstehen. Unterwegs kann man also den nächstgelegenen historischen Ort, der auf der Seite verzeichnet ist, z.B. auf dem Smartphone aufrufen und sich Hintergrundinformationen anzeigen lassen. Diese Anwendung hat noch Entwicklungspotenzial, doch die Erweiterung um solch eine mobile Variante ist eine klasse Sache. Der historische Reiseführer, der durch individuelle Kommentare noch mehr Einschätzungen dazu erlaubt, ob der fragliche Ort für einen selber wirklich interessant ist – das ist schon toll. Allerdings zeigt sich dann in einigen Regionen, dass die Dichte bei 1001 (plus weitere durch User hinzukommende) möglichen Besuchsorten streckenweise etwas dürftig ist. Auf Seeland (der Insel, auf der Kopenhagen liegt) findet man nun mal deutlich mehr Stätten des kulturellen Erbes als in einigen Teilen Jütlands. Außerdem könnte man sich die einleitenden Texte dann manchmal doch etwas grundlegender wünschen, um gedruckten Reiseführern ernsthafter Konkurrenz zu machen.

Auf der Hauptseite kann man einzelne Orte von besonderem Interesse zu einer Route zusammenstellen, um einen Trip von Geschichtsstätte zu Geschichtsstätte zu planen. Das verweist klar auf den immer weiter wachsenden Geschichtstourismus, dessen wirtschaftliche Implikationen durch einen eigenen Abschnitt zu Wirtshäusern und Hotels unterstrichen werden. Eine Auswahl von 17 Stück wird durch die jeweils besondere Bedeutung für die dänische Geschichte in das erinnerungskulturelle Konzept eingegliedert. Ohne Frage wird der an diesem Teilprojekt beteiligte dänische Gaststättenverband über die zusätzlich in die Gasthäuser strömenden Kunden nicht wenig erfreut sein.

Und dann gibt es da noch eine schöne Überraschung: Ein eigener Abschnitt widmet sich “Europäischen Erzählungen” – eine überzeugende Einbettung dänischer Geschichte in die europäische. Es geht darum, kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen Dänemark und dem Rest des Kontinents aufzuzeigen, Prägungen, Ideenexport und -import, Gemeinsamkeiten, auch die dänische Geschichte nicht rein national zu deuten, sondern als Teil der europäischen Geschichte zu vermitteln. Das verdient Respekt und es bleibt anzumerken, dass einem eine Überschrift wie “Europe – The Beautiful Story” in Zeiten der Eurokrise geradezu das Herz wärmt und einen angesichts des in Dänemark traditionell starken Europa- und EU-Skeptizismus doch überrascht.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/189

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Günther Heydemann: Das Jahrhundert der Diktaturen in Deutschland im Widerstreit von Bewältigung und Nicht-Bewältigung

Die heutige Erinnerungskultur der Bundesrepublik hat sich nach fast einem Vierteljahrhundert Wiedervereinigung „in einem komplizierten, zweigeteilten Prozess seit dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet, wobei die Entwicklungen in Bundesrepublik und
DDR in verschiedenen Phasen verliefen“ (Bernd Faulenbach).[1]
In diesem Komplex ist zwischen sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern und Akteuren zu unterscheiden, „nämlich erstens eine politisch-justizielle Aufarbeitung und eine daraus abgeleitete Ebene der Norm- und Gesetzgebung bzw. des politisch-administrativen Umgangs mit den Folgen der NS-Herrschaft, zweitens eine politisch-moralische, künstlerische und kulturelle Auseinandersetzung sowie drittens die wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ (Hans-Ulrich Thamer).[2] Alle drei Ebenen hängen jeweils miteinander zusammen und bedingen einander.

1. Was die gesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Diktatur angeht, so begann die erste Phase unmittelbar nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen bekanntlich mit dem Versuch einer umfassenden Entnazifizierung der Bevölkerung[3], sowie mit Prozessen gegen die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg einschließlich der dortigen Nachfolgeprozesse gegen schwer belastete Nazis oder Helfershelfer und Sympathisanten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie traf allerdings auf eine Bevölkerung, die sich in den denkbar schlimmsten sozioökonomischen Umständen befand und mehrheitlich ums nackte Überleben kämpfte. Die im Grunde einzig richtige justizielle Vorgehensweise der Einzelfallüberprüfung, vorbildhaft von den Amerikanern begonnen, scheiterte allerdings bald an der schieren Masse der zu bearbeitenden Fälle. Sie schlug aber auch deshalb mittelfristig fehl, weil sich NS-Belastete gegenseitig deckten, dadurch oft nur den Status von Mitläufern erhielten und auf diese Weise einer härteren Bestrafung entgingen, Stichwort „Mitläufer-Fabrik“ (Lutz Niethammer). Einmal durch die Mühen und Mühlen der Entnazifizierung gegangen, wurden die Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse bald als die allein Verantwortlichen für die Verbrechen der Nationalsozialisten stigmatisiert, wohingegen „die vielfachen Verstrickungen und das Mitläufertum“[4] der breiten Mehrheit von Deutschen verdrängt oder vergessen wurden.

2. Mit dem Auslaufen der Entnazifizierung und der Nürnberger Prozesse Anfang der 1950er Jahre setzte eine zweite Phase ein. Sie vollzog sich parallel zur Entstehung der bundesdeutschen Demokratie vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Ablehnung und Verurteilung der NS-Diktatur durch die Gründer der zweiten deutschen Demokratie, die einerseits von echter Überzeugung getragen war, andererseits aber auch eine unabdingbare conditio sine qua non für die Westintegration der sicherheitspolitisch gefährdeten jungen Bundesrepublik darstellte. Doch schon an der Wiedergutmachung der jüdischen Opfer, verbunden mit einer Globalentschädigung für Israel und der Jewish Claims Conference durch das Luxemburger Abkommen vom September 1952 erwies sich, dass die unerlässliche Notwendigkeit dieser finanziellen Entschädigungen in der westdeutschen Gesellschaft hoch umstritten war und mehrheitlich abgelehnt wurde.
Denn nicht selten kehrten sich die damit verbundenen Einstellungen bei einer Mehrheit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft sogar ins Gegenteil um, als in der Debatte um den Lastenausgleich von Flüchtlingen und Vertriebenen, Luftkriegsgeschädigten und Invaliden die deutschen Opfer in den Vordergrund geschoben wurden. In beträchtlichen Teilen der Bevölkerung wurde auf diese Weise mental eine Opferhierarchie konstruiert, in der nicht die Vernichtung der jüdischen Opfer, der Sinti und Roma und vieler anderer mehr, sondern das eigene Opfer an die Spitze gesetzt wurde. Obwohl die klare Absage an den Nationalsozialismus gleichsam Staatsdoktrin der zweiten deutschen Demokratie geworden war, lief zum vorherrschenden Verschweigen und Verdrängen des Nationalsozialismus in der jungen Bundesrepublik ein gesamtgesellschaftlicher Integrationsprozess parallel, durch den Millionen an die junge Demokratie gebunden wurden. Hierzu trug u. a. Art. 131 GG bei, der auch früheren NS-Belasteten den Weg in staatliche und kommunale Stellen öffnete. Dass das nicht selten höchst problematisch war, zeigen die Fälle Globke und Oberländer.
Zum mehrheitlichen gesellschaftlichen Verschweigen gehörte auch die meist in Ansätzen stecken bleibende justizielle Aufdeckung und Verurteilung von NS-Verbrechern bzw. Verbrechen, die während des Krieges verübt worden waren.

3. Eine dritte Phase setzte Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre ein und führte erstmals zu einer breiteren, allerdings noch nicht umfassenden Sensibilisierung der bundesdeutschen Gesellschaft hinsichtlich der ja weiterhin virulenten NS-Problematik, hervorgerufen durch den Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 und die daraufhin im gleichen Jahr gegründete Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, besonders aber durch den Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem sowie den Frankfurter Auschwitz-Prozess in den Jahren 1963-65. Erstmals wurden die Menschheitsverbrechen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik bis ins Detail hinein dokumentiert und publiziert. Und zugleich wurden die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt), das bürokratische Procedere und die logistisch-technische Seite millionenfachen Mordes im Rahmen von Befehl und Gehorsam unmißverständlich transparent. Auch wenn das Beschweigen der nationalsozialistischen Jahrhundertverbrechen in Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft weiter virulent blieb, vertuschen oder verharmlosen ließ sich die Monströsität des Holocaust fortan nicht mehr.
Vor dem Hintergrund eines sich vor allem bei Intellektuellen und Studenten markant wandelnden politischen Bewusstseins, Lebens- und Werteverständnisses setzte Ende der 1960er Jahre eine Debatte ein, in welcher die Dimensionen der nationalsozialistischen Verbrechen und die jeweilige kollektive und individuelle Verflochtenheit der deutschen Gesellschaft in den Jahren 1933 bis 1945 mit diesen zunehmend auch in Teile der westdeutschen Gesellschaft eindrang, die sich bislang sprachlos und/oder apolitisch verhalten hatte. Diese Diskussion begann allmählich das in Millionen von deutschen Familien noch immer praktizierte Verschweigen der braunen Vergangenheit aufzulösen.

4. Eine vierte Phase, die man inzwischen als Weg von der „Tribunalisierung zur Historisierung“ des Nationalsozialismus bezeichnet, führte schließlich zum Durchbruch einer nun in nahezu allen Gesellschaftsschichten angekommenen Thematisierung der NS-Diktatur. Hierzu hat der Fernsehfilm „Holocaust“ in ganz entscheidendem Maße beigetragen, der im Jahre 1979 gezeigt wurde und für alle Zuschauer das Leben, Leiden und Sterben von Menschen in Auschwitz erlebbar und dadurch zugleich nachvollziehbar machte. Die Empathie mit den Opfern bereitete den Boden für eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung und führte damit zu einer Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Vergangenheit, die seither kaum mehr nachgelassen hat, auch deshalb nicht, weil wissenschaftliche Kontroversen um den Nationalsozialismus ebenso wie gesamtgesellschaftliche Debatten darüber diese Vergegenwärtigung immer wieder neu entfachten. So u. a. der Fall Filbinger im Jahre 1978 oder die richtungweisende Rede Bundespräsident Richard von Weizsäckers im Jahre 1985 – die NS-Diktatur und ihre Verbrechen blieben fortan ein Dauerthema der öffentlichen Debatte. Genannt seien in diesem Zusammenhang nur der „Historikerstreit“ in den Jahren 1986/87, die hoch emotional geführten Auseinandersetzungen um die „Wehrmachtsausstellungen“ zwischen 1995 und 1999 sowie Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, 1996 in deutscher Fassung erschienen.

5. Eine fünfte Phase, die sicherlich die komplizierteste ist und bis heute andauert, setzte mit der Wiedervereinigung ein, als sich durch den Zusammenbruch der SED-Diktatur die Frage nach dem Wesen kommunistischer und faschistischer Diktaturen neu stellte. Von großem Gewicht war dabei in diesem Zusammenhang, dass mit dem Ende der DDR auch ein häufig gegensätzliches oder stark abweichendes Verständnis der NS-Diktatur bei der ostdeutschen Bevölkerung zum Vorschein kam, das in geschichtspolitischer Hinsicht Berücksichtigung finden musste.
So konnte die Aufarbeitung der Geschichte der zweiten deutschen Diktatur im nunmehr vereinten Deutschland nicht an der besonderen politisch-ideologischen Behandlung der NS-Diktatur durch die KPD/SED vorüber gehen, zumal die DDR sowohl ihren Legitimationsanspruch daraus abgeleitet, als auch mit einer ganz spezifischen Interpretation des Nationalsozialismus versucht hatte, die eigene Bevölkerung über vier Jahrzehnte lang zu indoktrinieren – durchaus mit einigen mentalen Langzeitwirkungen vor allem bei der älteren Generation. Mit dem Ideologem „Antifaschismus“ sollte innen- wie außenpolitisch die unangreifbare Existenzberechtigung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden legitimiert und abgesichert werden. Da der Begriff Nationalsozialismus schon aus Gründen der Kombination der in ihm enthaltenen Substantive für die SED inakzeptabel war, wurde stattdessen durchweg der Begriff Faschismus verwendet, wodurch wiederum der Begriff universalisiert wurde. Die bekannte Dimitroff-Formel vom „Faschismus als offener terroristischer Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Faschismus des Finanzkapitals“[5] führte darüber hinaus zu einer vornehmlich ökonomistischen Interpretation und trug dadurch zu einer weitreichenden Verkennung der wesentlichen Herrschaftsstrukturen des Nationalsozialismus, einschließlich seiner barbarischen Folgen, bei. Die beabsichtigte Folge war, dass „der Faschismus weniger mit der deutschen Geschichte als mit der politischen Geschichte des Kapitalismus zu tun hatte“, wie Herfried Münkler einmal treffend festgestellt hat.[6] Indem die Kommunisten gleichzeitig für sich in Anspruch nahmen, die einzigen gewesen zu sein, die Widerstand gegen die NS-Diktatur geleistet hätten, legitimierten sie sich gleichsam selbst und leiteten daraus auch die Führungsrolle in Staat und Partei ab. Damit nicht genug, wurde angesichts des Weiterbestehens einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik insinuiert, dort lebe gleichsam der Faschismus in Gestalt unverbesserlicher, kriegslüsterner Imperialisten und Militaristen weiter. Auf diese Weise wohnte dem Antifaschismus-Ideologem als Gründungsmythos und Staatsdoktrin der DDR sowohl eine exkulpierende und dadurch zugleich integrierende Funktion (gegenüber der eigenen Bevölkerung) als auch eine exkludierende und depravierende Funktion (gegenüber der Bundesrepublik) inne.

6. Trotz dieser massiven Indoktrination ist das spezifische Erinnerungsverständnis ehemaliger Einwohner der DDR an den SED-Staat allerdings keineswegs homogen, wie die Forschung inzwischen nachgewiesen hat. So ist bei einer Minderheit ein sog. „Diktaturgedächtnis“ anzutreffen, das einerseits auf den diktatorialen Herrschaftscharakter des SED-Regimes und seiner Repressionsorgane und –praktiken fokussiert ist, andererseits auf dessen demokratische Überwindung durch die Friedliche Revolution von 1989/90.[7]
Eine zweite, unter früheren DDR-Bürgern mehrheitlich verbreitete Erinnerung stellt demgegenüber das als „Arrangementgedächtnis“ apostrophierte Erinnern an den früheren SED-Staat dar.[8] Hier steht das persönliche Leben und Erleben im Gehäuse des sozialistischen Obrigkeitsstaates, jene Mischung aus erzwungenem, kollektiven Mitmachen und individueller Selbstbehauptung in der Bandbreite zwischen Lippenbekenntnis und opportunistischem Verhalten bis hin zu geforderter oder sogar überzeugter Unterstützung im Vordergrund. Diese Erinnerung stellt auf der einen Seite das ganz persönliche Erleben, nicht selten den damit verbundenen Eskapismus in den Vordergrund, auf der anderen Seite werden die damaligen politisch-ideologischen Zumutungen und der subkutan existente und effiziente Zwangscharakter des Regimes relativiert oder manchmal sogar ausgeblendet.
Schließlich das sog. „Fortschrittsgedächtnis“, besser als „Festhalten an der sozialistischen Utopie“ bezeichnet. Es weist, meist von älteren DDR-Bürgern vertreten, die noch zur Aufbaugeneration gehören, dem SED-Staat nach wie vor einen eher positiven Charakter zu, getragen von der bis heute verinnerlichten Überzeugung, dass Sozialismus grundsätzlich noch immer die beste Staats- und Gesellschaftsform darstelle, auch und obwohl der Sozialismus im Gewande der DDR gescheitert ist.[9]

7. Auf diesem geschichtspolitisch und erinnerungskulturell heterogenen Trümmerfeld mit unterschiedlichen Reminiszenzen an die NS-Diktatur und an den jeweiligen deutschen Staat, in dem man gelebt hat, bewegt sich die heutige politische, öffentliche und wissenschaftliche Diskussion. Sie spitzte sich besonders in der Problematik doppelter Gedenkstätten zu, die gerade in den neuen Bundesländern existent sind, etwa in der räumlichen Koinzidenz von nationalsozialistischen Konzentrationslagern und sowjetischen Speziallagern (Buchenwald/Sachsenhausen) während der Jahre 1945 bis 1952.

Insgesamt hat sich erwiesen, dass die Hinterlassenschaft zweier totalitärer Diktaturen in Deutschland zu einer jahrzehntelangen, oft skrupulösen und notwendigerweise auch selbstquälerischen Debatte geführt hat. Sie blieb, auch und gerade nach der Wiedervereinigung „geschichtspolitisch umkämpft, erinnerungskulturell fragmentiert und erfahrungsgeschichtlich geteilt“, wie dies Edgar Wolfrum einmal prägnant zusammengefasst hat.[10]

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Prof. Dr. Günther Heydemann ist seit 2009 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden. Außerdem ist er seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten des Diktaturenvergleichs (NS-, SED-Regime), der vergleichenden europäischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert sowie auf Transformationsprozessen in den neuen Bundesländern.

 

[1] Ders., Diktaturerfahrungen und demokratische Erinnerungskultur in Deutschland, in: Annette Kaminsky (Hg.),Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, Bonn 2004, S. 18-30; 20.

[2] Vgl. Ders., Die westdeutsche Erinnerung an die NS-Diktatur in der Nachkriegszeit, in: Peter März/Hans-Joachim Veen (Hg.), Woran erinnern ? Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur, (=Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg, Bd. 8), Köln u. a. 2006, S. 51-70; 56. Dort auch die weitere, diesbezügliche Forschungsliteratur.

[3] Das Standartwerk hierzu stammt nach wie vor von Clemens Vollnhals (Hg.), Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991. Hierzu jüngst auch Horst Möller, Unser letzter Stolz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.6.2012, S. 8.

[4] Vollnhals, ebd., S. 59.

[5] Vgl. Günther Heydemann, Die antifaschistische Erinnerung in der DDR, in: ebd., S. 71-89; 75.

[6] Ders., Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR. Abgrenzungsinstrument nach Westen und Herrschaftsmittel nach innen: Manfred Agethen/Eckhard Jesse/Ehrhart Neubert (Hg.), Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg i. Br. 2002, S. 79-99; 84.

[7] Martin Sabrow, Die DDR erinnern, in: Ders., (Hg.), Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 18.

[8] Ebd., S. 19.

[9] Ebd.

[10] Ders., Das Erbe zweier Diktaturen und die politische Kultur des gegenwärtigen Deutschland im europäischen Kontext, in: Steffen Sigmund u. a. (Hg.), Soziale Konstellationen und historische Perspektive. FS für Rainer M. Lepsius, Wiesbaden 2008, S. 310.

Quelle: http://gid.hypotheses.org/130

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